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„t,iK,Google
GESCHICHTE
DER
SLAVISCHEN LITERATUREN.
ZWEITER BAND. ,
BKSIB HÄLFTE.
,9 l,ze..y Google
»Google
GESCHICHTE
DER
8LAYISCHEN LITERATUREN
A. N. PYPIN UND V. D. SPASOVIC.
NACH DKR ZWEITEN AUFLAGE AVS DEM HUSSISCIIEK
liBKRTKAGKN V<1N
TRAUGOTT PECH.
AUrOHISiRTR ÄVSGAliE.
ZWEITER BAND.
ERSTE HÄLFTE.
GESCHICHTE DER POLNISCHEN LITERATUR,
MIT EINRM VORWORT VON A. N. PYPIX.
LEIPZIG:
F. A. BROOKHADS.
J.Google
»Google
Vorwort des Uebersetzers.
Die Herausgabe des zweiten Bandes dieses Werkes hat sich län-
ger verzögert, als es dem üebersetzer erwünscht ist, und auch jetzt
vermag er zunächttt nur die erste Hälfte des Bandes vorzulegen. Es
geschieht dies zugleich im Interesse der Leser, um ihnen wenigstens
wieder einen weitern Theil des Werkes baldmöglichst zugänglich zu
machen. Ausserdem empfahl sich eine solche Theilung auch aus
sachlichen GrUnden. Der ganze zweite Band wurde in der Ueber-
setzung eiueu starken, unhandlichen Band von ca. 60 Bogen ge-
geben haben. Fast genau die Hälfte dieser Bogenzahl nimmt die
Vorrede der Verfasser und das vierte Kapitel, „Der polnische Volks-
sUmm", ein. Es lag daher nahe, dies beides abzutrennen und als
erste Hälfte des zweiten Bandes herauszugeben.
Wie schon in den einleitenden Worten zum ersten Bande be-
merkt, beschrankt sich die Betheiltgung des Herrn Spasovic (oder
nach polnischer Schreibweise, die im vierten Kapitel zur An-
wendung kommt; Spasowicz) auf die Darstellung der polnischen
Literatur; diese hat er aber auch ganz selbständig verfasst. Die
nähern Umstände dieses Verhältnisses hat Herr Pypin seihst
in dem nachfolgenden an den Uebersetzer gerichteten Briefe
„Statt eines Vorworts" auseinandergesetzt. Es wird darin
nnter anderm bemerkt , dass Herr Spasovic mit besonderer
Ausführlichkeit bei der neuen Periode, der Literatur der polni-
schen Emigration (die sich hauptsächlich an die Namen Mickie-
wicz, ^owacki, Krasinaki knüpft), verweilt habe, und als Grund
dafür angegeben, dass über diese Literatur bisher in Kussland
mit Rücksicht auf die Censurverhältnisse nicht geschrieben wer-
den konnte. Ohne Zweifel ist dadurch eine gewisse Ungleich-
ü,g :.._.. ..Google
VI Vorwort dea üeberseteers.
mässigkeit in die Behaudlung des Stoffes den frühern Perioden
gegenüber gekommen, und es war fraglicb, ob es nicht zweck-
mässig sein konnte, diese Ungteicbmä88^;keit bei der deutschen
Ausgabe durch Kürzungen in der neuem Periode einigennassen
auszugleichen, zumal da das Hinderniss der Censur für das
deutsche Publikum nicht bestand. Der Uebersetzer hat aber von
Kürzungen abgesehen, nicht nur, weil es schwierig ist, dabei
die richtige Grenze innezuhalten und immer die Intention des
Verfassers genau zu treffen, sondern auch im Interesse des deut-
schen Publikums selbst. War das letztere auch nicht durch
Censurverhältnisse verhindert, die polnische Emigrationsliteratur
kennen zu lernen, so ist sie ihm doch tbatsächlicb im Ganzen
ebenso wenig bekannt, wie dem russischen Publikum. Erst in
den letztem Jahren hat sich eine grössere Thätigkeit im Ueber-
setzen aus dem Polnischen entwickelt, die insbesondere auch
den oben genannten drei grossen Dichtern zugute kommt. Aber
alles das ist noch in den Anfängen begriffen; viele wichtige
Werke sind noch unübersetzt, oder die Uebersetzungen noch nicht
publicirt und daher dem deutschen Publikum nicht zugänglich;
rücksichttich ihrer wird die ausfiihrliche Arbeit des Herrn Spa-
sovic eine willkommene Quelle der Belehrung bieten. Aber auch
bei den Werken, die schon durch Uebersetzungen zugänglich sind,
wird ein so kundiger Führer, wie Herr Spasoviö, der den gerade
bei jenen Dichtern durch ihre poetische Phantasie oft sehr ver-
hüllten Kern der Werke in scharfsinniger Weise klarlegt, sie
mit der Zeitgeschichte, den bestehenden Culturverhältnissen und
Lebensanscbauungen in Polen verknüpft, ihren Zusammenhang
mit der Weltliteratur und ihre Stellung in derselben nachweist,
nicht unerwünscht sein.
Die citirten Stellen aus den polnischen Schriftstellern hat
der Uebersetzer, so weit es möglich war, den polnischen Origi-
nalen oder vorhandenen deutseben Uebersetzungen, die dann mit
als Quelle angeführt sind, entnommen. Doch waren dabei die
Grenzen freilich eng, da die Zahl der zur Verfügung stehenden
Originale und deutschen Uebersetzungen gering war. In den
meisten Fällen musste er sich mit einer Reproduction der russi-
schen Uebersetzungen des Originals begnügen. Das letztere gilt
im allgemeinen auch für die übrigen Abtheilungen des Buches,
nur war bei der polnischen besonderer Anlass davon zu reden,
wegen der darin vorkommenden zum Theil sehr umfänglichen
ü,g :.._.. ..Google
Vorwort des Uebergetzers. TU
Citate ans polnischen Schriftstellern und ihres oft sehr specifi-
schen Inhalts, den jede Üebersetzung nur in einem mehr oder
weniger gebrochenen Lichte wiedergeben kann, geschweige denn
die Üebersetzung einer Uebersetzuog. Uebrigens konnten die
rossischen Hei-ausgeber nicht selten unmittelbar in den ihren
Lesern nicht fernstehenden slavischen Originalsprachen citiren.
Solche Citate kommen wirklich anter andern auch in der polni-
schen Abtheilung neben übersetzten Citaten vor, insbesondere
bei Proben aus Dichtern; namentlich waren sie aber in der bul-
garischen, serbischen und kleinrussischen Sprache möglich, sodass
in den betreffenden Abtheilungen (im ersten Bande) ^in Zurück-
greifen des Uebersetzers auf die Originalwerke meist gar nicht
in Betracht kam. In einzelnen Fällen glaubte der Uebersetzer
Citate der letztem Art auch ohne Nachtheil weglassen oder im
Auszug mittheilen zu können, namentlich wenn das Interesse mehr
in Aeusserlichk^iten, z.B. der Sprache, der Form der Darstellang,
nlg im Inhalt lag. Darin, neben Accomodationen an den neuen
Leserkreis hier und da im Ansäruck, wie sie in keiner Üebersetzung
zu vermeiden sind, oder an die veränderten Zeitverhältnisae (z. B-
wurde der bulgarische Theil des Originals während des russisch-
türkischen Krieges, die Üebersetzung nach Abschluss desselben
und Feststellung seiner Resultate verfasst), bestehen die Abwei-
chungen vom Original, die im Vorwort zum ersten Bande erwähnt
wurden. Ganz ungerechtfertigter Weise hat der Referent eines
rassischen Blattes in diesem ,, Bekenn toies" Tendenziositiit ge-
wittert. Sie lag dem Uebersetzer durchaus fern, wie sich jeder
Unparteiische durch Vergleichung des Originals mit der Üeber-
setzung überzeugen kann.
Dem Publikum der deutschen Ausgabe wird es von Interesse
sein, dass in derselben auch einige deutsche Werke über die pol-
nische Literatur, und insbesondere, wenn von citirten polnischen
Werken deutsche TJebersetzungen vorhanden waren, auch diese
an den betreffenden Stellen mit angeführt sind. Doch lag es
sei bstrerstünd lieh nicht in dem Zwecke des Werkes, darin abso-
lute Vollständigkeit zu erstreben. In den übrigen Abtheilungen
des Buches waren die Uebersetzungen gleich im Original mit
berücksichtigt.
Statt der Vorreden der Verfasser, die für den zweiten Band
versprochen waren, wird dem Werke jetzt eine neue Vorrede oder
vielmehr die Vertreterin einer solchen beigegeben, die Herr Pypin
■ü,g:.._..., Google
YIII Vorwort des Ueboreeiiers.
speciell für die deutsche Ausgabe geschrieben hat. Darin ist
alles das ausgeschieden, was in den Originalrorreden nur Inter-
esse für russisclie, resp. slavische Leser haben konnte, dagegen
sind die allgemeinen Gesichtspunkte umeomehr hervoi^ehoben,
von denen sich der Verfasser (er spricht zugleich im Kamen sei-
nes Mitarbeiters, Herrn Spaeovi£) hat leiten lassen. Die deutsche
Uebersetzuiig erhält dadurch einen selbständigen Werth auch für
die Besitzer der russischen Ausgabe.
Herr Pypin hat die Freundlichkeit gehabt, dieses „Statt eines
Vorworts" als „Brief an den tiehersetzer" zu bezeichnen, und
gedenkt zugleich in den Eingangsworten in anerkennender Weise
der Thätigkeit desselben. Indem letzterer diese Anerkennung mit
Dank acceptirt, sowie auch für die allerseits günstige Aufnahme
dankt, welche der erste Band der deutschen Ausgabe in den Krei-
sen der Wissenschaft und der Presse gefunden hat, muss er doch
einen beträchtlichen Theil dieser Anerkennung Kof die Herren
übertragen, die ihm bei seiner zum Theil nicht leichten Arbeit
durch Rath und That unterstützt haben. Es ist dies vor allem
Herr Professor Dr. August Leskien in Leipzig, welcher sich der
grossen Mühe unterzogen hat, eine Correctur des ganzen Werkes,
von Anfang an, nach dem Original zu lesen. Dieser ebenso vor-
züglichen als hochherzigen Unterstützung bat das Buch in erster
Linie zu danken, wenn en durchgehends eine sachkundige Ueber-
setzung geworden ist. Nach ihm hat dann noch zi^ grösserer
Correctheit der Details ein wissenschaftlicher und, worauf es
hier besonders ankam, auch praktischer Kenner der slawischen
Sprachen und Literaturen, ein Landsmann des Uebersetzers,
Herr Pfarrer Michael Hörnik in Bautzen, eine Revision des
ganzen Werkes, ebenfalls von Anfang an, gelesen. Der Heber--
Setzer spricht beiden Herren, die im Vorwort zum ersten Bande
nicht genannt sein wollten, Tür den ihm und mehr noch der
Wissenschaft erwiesenen grossen Dienst wiederholt den auf-
richtigsten Dank aus. Möge diese Ausgabe des Werkes —
selbst ein Product freundschaftlichen Zusammenwirkens von
Deutschen und Slaven auf dem Felde der Wissenschaft — einen
Beitrag zum bessern gegenseitigen Verständniss der beiden gros-
sen Völker liefern.
Die zweite Hälfte des zweiten Bandes in deutscher Ausgabe
ist bereits im Druck und wird hoffentlich noch vor Ende des
laufenden Jahres zur Ausgabe gelangen können. Sie wird den
ü,g:.._.u., Google
Vorwort des Uebcrsutzcre. IX
Rest der Literaturen der slaviechen „ R^n^is^'^'' " enthalten,
nämlich im fünften Kapitel den cechiBch-slovakischen Volksstamm,
im sechsten das baltische Slaventlmm mit den Laueitzer Serben
behandeln, ferner im siebenten eine Schlussabhandlung über die
slavische „Renaiesance", endlich Berichtigungen und Nachträge,
sowie — alles wie im Original — ein Gesammtregister für beide
Bände bringen.
Die grossrussische Literatur, welche ein Werk für sich und
zugleich den dritten Band der vorliegenden „Geschichte der sla-
TJscben Literaturen" bilden soll, ist, wie aus den nachfolgenden
Mittheilungeu des Herrn Pypin zu ersehen, im Original noch
nicht fertig.
Noch über einen allgemeinen, das ganze Werk betreffenden
I'unkt mnss sich der Uebersetzer aussprechen. Seitens der Kritik
ist der Wunsch geäussert worden, dass auch den in den Anmer-
kangeu angeführten elavischen Titeln deutsche üebersetzungen
beigegeben werden möchten , indem dadurch diese Titel für
den deutschen Leser sozusagen belebt würden. Die Richtigkeit
dieser Ansicht soll durchaus nicht bestritten werden, aber die
praktische Folge eines solchen Vorgehens wäre gewesen, dass
sich die ohnehin oft sehr langen Anmerkungen noch fast um das
Doppelte vergrössert hätten. Die Quellenangaben sind ausserdem
hauptsächlich nur für die Forscher bestimmt, welche in die Ein-
zelheiten der Darstellungen des Buches tiefer eindringen wollen,
und fUr diese ist Kenntniss der slavischen Sprachen unerlasslich.
Nur bei Werken, die gewissermassen mit zum Text gehören und
nur au» irgendwelchen äussern Gründen in die Anmerkungen
gewiesen sind (wie z. B. bei besprochenen Schriftstellern die
Ton denselben — nicht über dieselben — geschriebenen Werke),
schien es allerdings nöthig, den slawischen Titeln auch deutsche
Üebersetzungen beizugeben, und dies zu thun hat sich der Her-
ausgeber nach Möglichkeit bemüht.
So sei denn hiermit auch der zweite Band einer freundlichen
Aufnahme empfohlen.
Leipzig, im Juni 1883.
Trangott Pech.
., Google
statt eines Vorworts.
Vom Verfasser des Originals zugleich im Namen seines Mitarbeiters.
(Brief ui den Uebersetzer.)
Ihr Vorschlag, eine besondere Vorrede zn der deutschen
AuBgabe dieses Buchs zu schreiben, bringt mich gewissermaseen
ia Verlegenheit. Um sich an ein fremdes Publikum mit einer
förmlichen „Vorrede" zu wenden, müsate man wol mit den gegen-
wärtigen Ansichten und der Stimmung desselben besser bekannt
sein, als es mir hier in Petei^burg möglich ist. Zur Vermeidung
einer solchen Prätension habe ich es daher vorgezogen, Ihnen
einfach die Frage zu beantworten; von welchen allgemeinen Ge-
sichtspunkten ich bei meiner Arbeit ausgegangen bin. Und dann
gibt mir die Zuschrift an Sie vor allem Gelegenheit, Ihnen mei-
nen aufrichtigen Dank für die sorgrältige Ausführung Ihrer
Arbeit auszusprechen, die mir ja erst das Vergnügen schafft,
mein und des Herrn Spasovi^ Buch in eine der grössteu Welt-
literaturen eingeführt zu sehen.
Doch nun zur Sache!
Seit den letzten Decennien des 1 H.Jahrhunderts hat unter den
slaviscbeu Stämmen eine politische, civilisatoriscbe und literari-
sche Bewegung begonnen, die besonders charakteristisch bei den
Stämmen ist, welche bisher von der Geschiebte fast ganz ver-
gessen zu sein schienen: wie die Bulgaren und Serben unter dem
türkischen Joch, oder die Cechen, die Lausitzer-Serben (Wen-
den) und Slovenen bei rasch fortschreitendem Verluste ihrer
...., Google
Vom Veriasaer des Originaln. XI
Nationalität unter dem Einflnss der deutschen Politik und Cul-
tur, oder die österreichischen Serbo-Kroaten und die Slovaken
unter dem deutschen und niagyariechen,; dabei zugleich römiech-
katholiscben EinfluBB. In der Literatur des russischen Volkes,
das unabhängig und mächtig war, und in der Literatur der Polen,
die zwar in dieser Periode schon ihre politische Selbständigkeit
Terloren hatten, aber noch vor kurzem frei waren and ihre be-
wegte Geschichte und reiche Literatur hatten, begann eben-
falls ein besonderes Aufleben in nationaler Richtung. Alles zu-
sammengenommen bildet diejenige historische Erscheinung, welche
man die nationaJe Renaissance des Slarenthums nennt,
und die mit einem ähnlichen Aufleben des Nationalitäteprinoips
bei den germanischen und romanischen Völkern seit Ende des
vorigen und besonders seit Anfang des jetzigen Jahrhunderts,
parallel läuft.
Die nationale RenaisBance der elavischen Völker begann (bei
den besonders verwahrlosten Stämmen) mit dem Auftauchen ele-
mentarer Literatnrinteressen, bisweilen mit dem ersten Auftau-
chen einer Literatursprache auf Grundlage der Volkssprache (bei
den Bulgaren, Serben, den Russinen, den Lausitzer Serben u. s. w.),
mit der Sorge um die vernachlässigte oder früher gar nicht vor-
handene Bildung des Volkes (in Russland mit den ersten Ge-
danken an dieNothwendigkeit der Bauernbefreiung); sie verband
sich mit patriotischen Erinnerungen an eine glücklichere und
ruhmvollere Vergangenheit, führte zum Selbstbewusstaein, und
schloss bei den geknechteten und mehr oder weniger ab-
hängigen Stämmen mit Bestrebungen nach politiäcber Unab-
hängigkeit oder nationaler Gleichberechtigung. Der übereinstim-
mende Gang in der ältesten Geschichte und Oultur aller Stämme;
der Parallelismns, der sich bei ihnen in der historischen und
poetischen Restaurirung der Vergangenheit und in der Erfor-
schung des gegenwärtigen Volksthums offenbarte; das Zusam-
mentreffen einiger den nationalen Bestrebungen günstiger poli-
tischer Ereignisse; endlich ein gemeinsames Stammesgefühl und
-Bewusstsein — haben unter den Literaturen und den patrio-
tischen Bestrebungen der Slaven eine gewisse Gemeinsamkeit und
Solidarität, und (besonders seit den dreissiger Jahren) als Protest
gegen die Unbilligkeit der Geschichte und die noch fortdauernde
Keindscbaft anderer Völker — den sogenannten Panslavismus
geschaffen, über den noch bis zu diesem Augenblick so viele und
ü,g :.._.. ..Google
XII statt eiuca Vorworta.
SO leidenschaftliche und so übertriebene Streitigkeiten heiTBchen,
und dessen wahrer Sinn und dessen Dimensionen immer noch
zum grossen Theil den streitenden Parteien unklar bleiben.
Darin liegt gegenwärtig das nationale, culturhistorische und
politische Interesse, das mit der Erforschung der slavischen
Literaturen, besonders in deren neuester Periode verknüpft ist.
Dieser Erforschung muss ein allgemein wissenschaftliches Inter-
esse zu Grunde liegen: die historische Aufhellung des innem
Lebens eines der grossen Stämme der earopäischen Völkerfamilie.
Nur in der Unparteilichkeit und Vollständigkeit wissenschaftlicher
Untersuchung kann ein richtiges Verständniss des historischen
Charakters dieses Stammes und eine gerechte Würdigung seiner
gegenwärtigen Bestrebungen gewonnen werden; nur so kann es
. begreiäich werden, dass das Slaventhum keine Europa fremde und
gewisse rmassen seine Civilisation bedrohende Welt bildet — wie
80 oft von seinen fanatischen Feinden behauptet wurde — ~, son-
dern dass es eben nur ein verwandter Zweig dieser Welt ist, der
mit ihr den gleichen Weg der Bildung und zu den gleichen Zielen
eines möglichst allgemeinen nationalen Wohlstandes geht. Das
Slaventhum hat später als die andern Stämme des arischen Eu-
ropa den Schauplatz der Geschichte betreten, und schon dies allein
legte den Grund zu der grossen Verschiedenheit seiner weitern
Schicksale von denen Westeuropas. Es trat in die Geschichte
mit einer nationalen Individualität ein, die sich durch anders
geartete Bedingungen des Bodens und des Lebens gebildet hatte,
aber bekundete doch gleich mit den ersten Schritten seinen eu-
ropäischen Culturcharakter, nimmt, mit der europäischen Völker-
familie eng verbunden, in verschiedener Weise an den Schick-
salen derselben theil, und liefert seine bedeutenden Beiträge zu
deren Entwickelung. Seit den ältesten Zeiten macht sich in der
slavischen Welt ein starkes Streben nach Bildung bemerkbar,
wobei sie sich ganz wie das westliche Europa, wenn auch in an-
derer Weise und indirect, der antiken Culturtradition anschliesst,
aber sich dann wieder von Westeuropa trennt, da sie (im Süden
und Osten) das Christenthum in dessen orientalischer, byzantini-
scher Form annahm. Die Cultur gelangte zu den Slaven sowol
vom römisch-germanischen Westen als vom byzantinischen Süden,
dem — wie es sich jetzt immer mehr herausstellt — auch die
westeuropäischen Völker für ihre Cultur in verschiedener Weise
verpflichtet sind.
ü,g :.._.. ..Google
Vom Verfasser des Originals. XIII
Das Zeitalter Simeon's von Bulgarien, der Fürsten von Kiew
in Rassland, Stephan Dusan's in Serbien, Karl's IV. in Bölimeu
waren fürwahr rühmliehe Epochen in der slavisclien Geschichte
nnd Literatnr. Auf der BalkanhalbinBel drang byzantinische
and italienische Kunst ein and fand ihre Entwickelung; byzan-
tinische and westeuropäische Einflüsse reichten in der alten Po-
riode nicht nar bis Kiew und Nowgorod, sondern auch in die
entlegenen Länder Ostrusslands. Die literarische Thätigkeit des
östlicheo Slaventhums brachte in seiner alten Periode bedeu-
tende and selbständige Werke hervor (wie die Annalen Nestor's,
das Lied vomHecreszuglgor's); die populäre Religion nnd Poesie
des Westens und des slavischen Ostens nährte sich im Mittelalter
an^anz denselben Legenden, an derselben Kosmogonie und Escha-
tologie, an denselben Wunder- und Heldensagen, und in neuerer
Zeit zeigt die Untersuchung slavisch-russischer Denkmäler nicht
selten in überaus interessanter Weise den überwachsenen und ver-
gessenen Pfad, auf dem solche Werke der mittelalterlichen Poesie
ihre Verbreitung gefunden haben aus der gemeinsamen Quelle
in Byzanz .... Mit einem Wort, die alte Periode trug vielver-
sprechende Keime der Bildung und Cultur in sich, als die Stürme
der Mongolen, Tataren und Türken auf das in Entfaltung begrif-
fene Leben der Ost- und SUdslaven losbrachen und eine entsetz-
liche Verwüstung anrichteten. Slavische Reiche (das bulgarische
nnd serbische) wurden zertrümmert; ganze Stämme fielen in bit-
terste Sklaverei, verloren die Früchte ihrer frühern Bildung und
die Möglichkeit, eine neue zu erwerben, kehrten fast zum Urzustand
zurück. Es ist schon ausgesprochen worden und bleibt wahr, dass
das Slaventhum jene Einfälle, die Westeuropa bedrohten, auf seine
Schultern genommen, und so eine Schutzmauer desselben gebil-
det hat. Der Kampf mit der asiatischen SündHut, der mit dem
13. Jahrhundert, und sogar schon früher, vom russischen Volke
aufgenommen wurde und sich ganze Jahrhunderte lang hinzog,
ging schliesslich zur Offensive über; in Asien öfTnet die russische
Eroberung den Weg für die europäische Cultur, in Europa dürfte
der Kampf kaum abgeschlossen sein durch die Befreiung Bulga-
riens in unsern Tagen. ... Im slavischen Westen fiel auch der
cechische Stamm im nationalreligiösen Kampfe mit dem deutschen
Katholicismus, mit Hinterlassung eines grossen Resultats für die
ganze geistige Entwickelung Europas. An der Orenzscheide des
Mittelalters und der neuern Zeit erscheinen zwei slavische Namen
ü,g :.._.. ..Google
XIV Statt einea VorwortB.
als Vorboten groBser Fortschritte der Aufklärung — Huss und
Copernicus. An derselbeD Grenzscheide fesselt die Aufmerksam-
keit des Historikern das glänzende Aufblühen der dalmatinischen
Literatur in einer eigenartigen Verschmelzung slavischer Nationa-
lität mit italienischen Idealen der Poesie, Wissenschaft uud Kunst.
Vom 18. Jahrhundert an standen als die kräftigsten Literaturen die
polnische und insbesondere die russische da. Nach Jahrhunderten
der FJnsterniss, nach einem schweren äussern Kampfe und nach
dem nicht weniger schwierigen Bildungsprocess einer staatlichen
Einheit betritt Russland mit Peter dem Grossen wieder den Weg
der europäischen Bildung, von dem es einst durch die Verhee-
rungen der Tataren abgelenkt war. Die russische Literatur eilt,
sich die Errungenschaften der wissenschaftlichen und humanistiäth-
poetischeu Entwickelung Europas anzueignen, wobei sie, innerhalb
eines Jahrhunderts die verschiedenen Entwickelungsstufen dessel-
ben durchlaufend, im gegenwärtigen Jahrhundert eine bedeutende
poetische Vollendung und Selbständigkeit des Inhalts erlangte.
Die russische Wissenschaft findet Achtung in den Gelehrten-
kreisen Europas, russische Schriftsteller cursiren in Uebersetzun-
gen in allen europäischen Literaturen; vor kurzem erregte ein
russischer Künstler Bewunderung iu den europäischen Haupt-
städten als ein Vertreter der Kunst ersten Ranges, der ihr neue
Aufgaben stellt.
Bei diesem historischen Umfang und bei der Mannichfaltigkeit
der ethnographischen Eigenthümlichkeiten zeigen die slavischen
Literaturen viel eigenartigen nationalen Charakter in den religiö-
sen, ethischen, gesellschaftlichen Bestrebungen, in der Poesie und
Kunst, und — bei aller Verschiedenheit des Slaventhums von den
romanisch-germanischen Völkerschaften— doch den gleichen euro-
päischen Charakter ihrer Ideale. Sowol in der alten als in der
neuen Periode seiner Geschichte schloss sich das Slaventhum
naturgemäss der europäischen Bewegung an, die ihm gleichartige
Aufgaben des Denkens und einen gleichartigen Charakter der
Poesie brachte, und trat selbst in dieser Richtung thätig auf.
Aber da es erst später die Arena der Geschichte betrat, bewahrt
es noch gegenwärtig von seinem alten Wesen und seinen natio-
nalen Ueberlieferungen vieles, was bereits bei den westeuropäi-
schen Völkern verkümmert ist (und was den Gegenstand eif-
rigster Studien und edler Begeisterung für den romantischen
Alterthumsforscber bildet), vieles von der urspi-ünglichen Frische
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Vom Verfa»Ber des Originals. XV
de« Nationalcharaktere, wofür eine reiche eigenartige Volks-
poesie ala Zeugniss dient, die von den Sammlern noch bis
heate nicht erschöpft ist, und im gegenwärtigen Jahrhundert
der gelehrten Forschung ein lebendiges Muster des homerischen
Epos lieferte (bei den Serben, Bulgaren und Russen). Die Hin-
Wendung zu dieser Poesie, überhaupt zu den originalen Seiten
des Volksthums bildet eine der ersten Erscheinungen und zugleich
einen der stärksten Factoren der neuern Wiederbelebung der
Slaven. Die neue Periode ihres literarischen Lebens, auf der
Basis des Volksthums und in Verbindung mit den vorzüglichsten
Resultaten der europäischen Ideen und Poesien, hat eine Reihe
bedeutender Schriftsteller hervorgebracht, die tbeils gross durch
ihre nationale Bedeutung, tbeils auch werthvoU für die gesammt-
enropäische Literatur sind ; dahin sind zu zählen KoU&r, Mickie-
wicz, Puskin; die Schriftsteller der neuern russischen Literatur,
Gogol, Turgenev, Saltykov, L. Tolstoj, haben die Aufmerksam-
keit auf sich gelenkt als reich begabte Talente von scharf ausge-
prägtem nationalem Charakter und von tiefem poetischem Rea-
lismns, worin ihneu nur wenige europäische Schriftsteller gleich-
gestellt werden können.
In der vorliegenden lieber Setzung tritt das Buch in die
deutsche Literatur zu einer Zeit ein, die nicht viel Hoffnung
auf Sympathie oder wenigstens Unparteilichkeit für den be-
handelten Gegenstand bietet. Leider unterliegt es keinem
Zweifel, dass ein Gefühl der Feindschaft zwischen den beiden
Stämmen besteht. Von der Geschichte überliefert, d. i. aus
Jahrhunderten herstammend, deren Barbarei in andern Be-
ziehungen längst anerkannt und verurtheilt ist, wird dieses
Gefühl selbst bis in die neueste Zeit durch die groben
Instincte der Massen, durch falsche Politik der Regierun-
gen genährt, durch schlechte, die unterworfenen Völker be-
drückende Institutionen gefördert und durch die Enthusiasten
und Fanatiker auf beiden Seiten geschürt. Die wahre Bildung
{fast sonderbar wäre es, an die christliche Moral zu erinnern,
auf die sich die Bedriicker so oft berufen) verurtheilt eine
solche Feindschaft als rohen Instinct und Unverstand, und zeigt
ein Versöhnungsmittel in gerechten Institutionen und in der
gegenseitigen Achtung fremden Rechts. — Die Geschichte und
epeciell die Literaturgeschichte kann eins der besten Hülfsmittel
ni einer richtigen Erforschung der Frage liefern.
XVI Statt eines Vorworta.
Der neuere Kampf der Slaven für Freiheit, nationale Exi-
stenz, politische Gleichberechtigung ist in den Augen des un-
parteiischen BeobachterB eine Erscheinung ron hoher Bedeu-
tung für die Humanität. Es ist ja bekannt, dass die nationale
Idee zweischneidig ist, fortschrittlich und reactionär zugleich;
sie Sst in hohem Grade wohlthätig, wenn sie sich regt zum
Schlitz des wirklichen Rechts und der Menschenwürde, und
äusi erst schädlich, wenn sie sich in Eigendünkel, Exciusivität
und Intoleranz verkehrt, die alsbald in Ungerechtigkeit über-
gehen und Widerstand und Feindschaft von der andern Seite
hervorrufen; mit einem Worte, sie ist wohlthätig oder schädlich,
je aachdem als herrschendes Princip die Idee der Humanität
und Bildung oder der rohe Stammesinstinct aufgestellt wird.
Bei unparteiischer Betrachtung der Geschichte des Slaventhums
kann man leicht gewahren, dass seine nationalen Bestrebungen
nicht nur ganz gesetzmässig sind, sondern auch alles Recht auf
Sympathie der gebildeten Gesellschaft haben. Bei der Befreiung
der Serben und sogar jetzt bei der Erlösung der Bulgaren voni
türkischen Joche kam es trotz der Feindschaft gegen den „Pan-
slavismus" niemand ausser den verbissensten Turkophilen in den
Sinn, dass es anders sein, dass ein europäisches Culturvolk noch
länger unter der rohen Willkür der Asiaten bleiben könne. Nie-
mand kann auch den Bemühungen der slavischen Renaissance um
Aufklärung und Hebung der Volksmassen, um Beschaffung einer,
wenn auch nur ganz bescheidenen Literatur für dieselben in ihrer
eigenen nationalen Sprache und mit nationalem Inhalt (histori-
schen Erinnerungen, Darstellungen und Idealen aus dem Volks-
leben) eine hohe Achtung versagen. Es kann nicht Wunder neh-
men, wenn hierbei die Führer des neuauflebenden Volks zuweilen
ihre Kräfte, ihre Errungenschaften und ihre Erwartungen über-
schätzen, was nur zu natürlich ist in einer Periode, die der Zeit
der Jugendträume gleicht (eine entwickeltere Gesellschaft und
Nation von reicher geschichtlicher Erfahrung sollte indess eine
solche Erscheinung begreifen und dafür dieselbe Entschuldigung
und Rechtfertignng finden, die einige Epochen ihres eigenen Auf-
schwungs erfordern); und doch — in diesem Streben nach Bildung
und Veredelung der Volksmassen gehen die neuem slavischen
Literaturen vollkommen Hand in Hand mit den bessern Bildungs-
und Culturbestrebungen unserer Zeit, wo ganz Europa von eintr
demokratischen Bewegung ergriffen ist, von einem Streben nach
ü,g :.._.. ..Google
Vom VerfMser des OrigiualB. IVII
politischer und iotellectueller Hebung der Yolksmassen , and wo
I. B. sogar bei Völkern mit sehr reicher Literatur locale Be-
wegangen und kleine Literaturen in den Locnldialekten auf-
taachen.
Die slawische Renaissance ist überhaupt sowol ein Erzeug-
oiss des nationaien (d. i. des Stammes- und zugleich Tolksthüm-
lichen, demokratischen) Gefühls und Bewusstseins , das sich aus
den historischen Hindernissen einen Ausweg gebahnt hat, als auch
eine der Thatsachen der aufklärenden und befreienden Bewegung
in Europa seit dem Ausgang des 18- Jahrhunderts. In der That,
die rationalistische Philosophie, die deutsche „Aufklärnng" des
vorigen Jahrhunderts, die Kntwickelung der historisch-philologi-
schen Studien (insbesondere in Deutschland) haben in verschie-
dener und bisweilen sehr eindringlicher Weise an der slavischen
Renaissance mitgewirkt, indem sie ihr sowol eine wissenschaft-
lich-theoretische Basis als eine Stütze moralischer Sympathien
lieferten. So ist es die europäische (eogar speciell die deutsche)
Wissenschaft, welche die enge indo- europäische Verwandtschaft
des Slaventfaums mit dem Kreise der Culturnationen festgestellt
hat, von den alten Indiern und Iraniern an bis za den Völkern
des classischen Alterthums und den neuern Germanen und Ro<
manen. So ist es wieder die deutsche Wissenschaft, die jene
Forschungen über die Volkssprache, das Volksleben und die
Volksiibei'lieferungen gefördert und theoretisch ausgebildet hat,
die, wie bemerkt, überall neben der nationalen Wiederbe-
lebung einhergingen. An diese Bewegungen der europäischen
(und wir wiederholen, YOr allem der deutschen) Wissenschaft
schlössen sich die wissenschaftlichen Arbeiten der slanschen
Gelehrten aller Stämme an, indem sie denselben Process der
ForBcbang fortsetzten und in ihren Kreisen dieselben ethischen
Conseqnenzen der Wissenschaft zogen. Schon im 18. Jahr-
hundert war so mancher Förderer der slavischen Renaissance
in der kritischen Schule Lessing's und in der humanitären
Herder's erzogen; dieser letztere sprach sich vom Standpunkt
seiner historisch-philosophischen Principien mit wanner Sym-
pathie über den Stammescharakter der Slaven aus, was seinen
Namen bei den Schriftsteilern der slavischen Renaissance sehr
populär gemacht hat. Dae Haupt der deutschen Literstar zu
Anfang des 19. Jahrhunderts, Goethe, war über die damals
entdeckten Erzeugnisse des serbischen Volksepos entzückt, die
Pim, SaTlHl» Lltantana. Q, 1, b
ü,g :.._.. ..Google
XVUI statt eines Vorworts.
auch Jakob Grimm mit warmer Sympathie begrüsste. In der
russischen Wissenschaft war der erste Begriiuder einer kriti-
schen Geschichtschreibung ein berühmter Deutscher, Schlözer,
der von dem altrusslschen Chronisten Nestor begeistert war,
und durch diese Begeisterung die wissenschaftliche Liebe zum
Atterthum und zur historischen Ueberlieferung in russischen
Kreisen kräftigte. In unserer Zeit haben die Serben die
erste Geschichte ihres Volks und ihrer Befreiung von einem
deutschen Historiker ersten Ranges (Ranke) erhalten, der
seine Nachrichten darUber von dem hauptsächlichsten Vertreter
der wiederbelebten Literatur der Serben ( Karadzic ) erhielt.
Die Einflüsse der europäischen Wissenschaft gehen als be-
lebendes Element durch die ganze neuere Geschichte der russi-
schen Bildung seit Peter dem Grossen, und eine Reilie fremder
Gelehrter, besonders deutscher, die in die russische Akademie
und an die Universitäten berufen wurden, waren lebendige För-
derer europäischen Wissens und europäischer Literatur — unter
andern auch in der human-befreienden Richtung, in der sich die
slavische Renaissance vollzog. So hat die europäische Literatur
und Wissenschaft in der slavischen Welt einen neuen Inhalt
und neuen Impuls und diese wieder in jenen ein neues Ent-
wickelungsmittel gefunden, wodurch sie in den Kreis der euro-
päischen Ideen eintrat. Die Aufzählung von Beispielen solcher
gegenseitiger Beziehungen des modernen Slaventhums zu den
europäischen Literaturen, solcher wesentlicher Stützen, welche die
slavische Bewegung in der ganzen Entwickelung der wissenschaft-
lichen, politischen und socialen Ideen des gegenwärtigen Europas
fand, würde hier /.u weit führen.
So hat sich also die slavische Bewegung neben und in Ueber-
einstimmung mit dem socialen und politischen Fortschritt Eu-
ropas entwickelt, wie eine seiner eigenen Erscheinungen. Der
Gedanke an die Möglichkeit einer engern internationalen An-
näherung der Slaveu war ihr natürliches Resultat, und es ge-
nügt nur eiu wenig Aufmerksamkeit und Unparteilichkeit, um
das ganz Normale dieser nationalen Bewegung vom entschie-
densten westeuropäischen und selbst deutschen Standpunkte aus
anzuerkennen. Der Panslavismus trat auf als dae Ideal einer
moralischen Vereinigung des Slaventhums auf Grund ihres ein-
heitlichen Ursprungs, aber auch (,bei verschiedenen Stämmen) auf
Grund historischer Beziehuugen und der Glaubenseinheit und
ü,g :.._.. ..Google
Vom Verfftaaer des Originals. XIX
infolge dessen als ei» Streben nach literarischer Gegenseitig-
keit, und das ist zur Zeit sein einziger realer Sinn und seine
Bedeutung; — erst später und sporadisch haben sich daraus
Phantasien von einer politischen Gemeinschaft entwickelt. Der
erste, idealistische Gedanke an eine Einheit war ganz natürlich,
Bchon deshalb, weil sich ganz von selbst literariscb-wissenschaft-
liche Verbindungen bildeten wegen der Gemeinsamkeit vieler
Gegenstände der nationalen Forschung und der gesellschaftlichen
Bestrebungen. Derselbe wurde her\'orgerufen durch dasBewusst-
iein der Zuriickgebliebenheit in der Cultur, durch das Bewusst-
sciu. Züge aus dem Alterthum bewahrt zu haben, die sonst im
gegenwärtigen Europa verloren sind, durch das Bewusstsein des
l'ebelwollens, um nicht zu sagen der Feindschaft Westeuropas,
— dies war (und ist noch heute) die Kraft, welche die Slaven
unwillkürlich einander näher bringt. Historische Vorgänge, wie
die Mitwirkung Russlands bei der Befreiung der Serben jind in
anserer Zeit bei der Befreiung der Bulgaren, führten auf den
Gedanken, dass das mächtige, stammverwandte Volk auch eine
politische Stütze des Slaventhums werden könne.
Aber Thatsacben muss man in ihrer wirklichen Bedeutung
and in ihrem wirklichen Umfang auffassen. Leute, die sich aus
politischen Gründen feindlich gegen das Slaventhum oder rich-
tiger gegen Russland verhalten, stellen bisher den „Panslavis-
niDs" als eine Gefahr für die europäische Civilisation dar, als
ein Werkzeug de^ herrschsüchtigen Pläne Russlands, und das
Urhältniss des Slaventhums zu Russland als eine Art platoni-
schen Strebens unter die Herrschaft des letztern zu kommen, —
<ias ist eine plumpe Vorstellung, von fanatischer Feindschaft
Oller Unwissenheit dictirt uTid von der Geschichte nicht gerecht-
fertigt. Wir werden hier nicht in die Details dieses Themas ein-
sehen, dessen Klarlegung wir dem Buche vorbehalten, und be-
merken nur, dass die Ereignisse unsere Auffassung bestätigen.
Sonach ist der „kriegerische Panslavisraus , der die russische
Gesellschaft durchdringen soll", ein recht plumper Irrthnm der
europäischen Publicistik, wenn nicht gar eine absichtliche Er-
findung and ein Vorwand. Aber wenn die Unparteilichkeit er-
fordert, diese Uebertreihungen zurückzuweisen, so gebührt es
äch umsomehr, die Rechtmässigkeit derjenigen Forderungen
anzuerkennen , welche die slavische Welt namens ihrer Na-
tionalität stellt. Die slavische Welt bedroht niemand und for-
b*
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
XX Statt eioee Torworts.
dert nur ihr natürliclies, von Logik und Humanität anerkanntes
Recht. Die nationale Feindschaft ist von der Vergangenheit er-
erbt, nnd Sache der Aufklärung ist, nicht nach vermeintlichen Grün-
den zur Rechtfertigung der Feindschaft zu suchen und sie zu ver-
stärken, sondern sie zur Ruhe zu bringen durch humane Ideen und
politische Gerechtigkeit. Welchen Verlauf der Process der slavisch-
germaniscben Beziehungen nehmen, welcher Theil der slavischen
Stämme noch unter deutschem Fiinfluss seine Kationalität verlieren
wird (denn die GermaniBirung dauert fort), wie sich die gegensei-
tigen Beziehungen der slavischeti Stämme untereinander gestalten
werden, und ob der Druck nicht einen Ausbruch des Widerstands
und eine neue Anregung zu Einheitsbestrebungen hervorrufen
wird — das ist Sache der Zukunft, die wir uns nicht vermessen zu
errathen. Aber die gegenseitigen Beziehungen des Slaventhums
beginnen sich schon zu klären, die Annäherung wächst fortwäh-
rend, und im slavischen Bewusstsein wacht, im Gegensatz zu der
Theorie der Slavophilen, die Idee eines andern Panslavismus auf,
der auf gegenseitiger Achtung der nationalen Individualität, auf
einer natürlichen Entwickelung der Beziehungen, auf einer Ge-
meinsamkeit der sittlichen und Bildungsbedürfnisse gegründet
ist; innerhalb der Stämme selbst wächst die Sorge um die
Aufklärung des Volks und das politische Bewusstsein. Russlaud
hatte bis vor kurzem für die Slaven fast nur Autorität als po-
litische Macht, die ihnen als Stütze dienen konnte; diese Vor-
stellung hat auch in einem Theil der russischen Gesellschaft einen
gewissen Chauvinismus genährt; in der Gegenwart, mit der grös-
sern Reife der russischen Gesellschaft, denkt der verständige
Theil der öffentlichen Meinung weit weniger an irgendwelche
äussern Pläne als an die innem Sorgen des russischen Lebens
selbst, ja verhält sich sogar feindlich gegen Agitationen in der
„slavischen Frage", weil sie von jenen Innern Sorgen, die zn
ernster Natur sind, ablenken, — und vor den Augen des Slaven-
thums beginnt sich zum ersten male das i-ussische Leben nicht
nur mit seinen materiellen, sondern auch mit seinen sittlichen
Kundgebungen und Kräften zu entfalten ; das rassische Leben be-
ginnt einen Einöuss zu beweisen nicht nur durch die politische
Autorität allein, sondern auch durch den innem Gehalt seiner
Bildung, Literatur, Kunst, seiner socialen Bestrebungen. Und
je freier und weiter sich dieses innere Leben entwickeln wird.
ü,g :.._.. ..Google
Vom VerfasBer des Originala. XXI
am so mehr wjrä der „PanBlavismus" nicht eine politische Phan-
tasie, sondern eine Gemeinschaft der Bildung werden.
Das vorliegende Buch ist mit dieser Idee der nationalen
Gleichberechtigung — sowol rücksichtlich anderer Völker als rück-
sichtlich derSlaven untereinander geschrieben. Ist dasNational-
bewusstsein einmal geweckt, so muss der. Nation das allgemein-
menschliche Recht auf die eigene Sprache und auf die Liehe zu
seiner nationalen Eigenart zuerkannt werden. Die Geschichte
der slavischen Literaturen ist auch die Geschichte des Schicksals
der einzelnen Stämme, die fUr ihre Nationalität kämpfen und
bestrebt sind, sich inmitten der allgemein historischen Bewegung
Europas und in immer grösserm Zusammenhang mit derselben
za entwickeln. Die Geschichte hat die Form noch nicht ans-
gearbeitet, in der sich ihre moralische Gemeinschaft verwirk-
lichen kaiin, und der sie zweifellos zustreben; aber die slavi-
sclie Bewegung bildet nicht nur keine Gefahr für die Givilisa-
tioD, sondern ist im Gegentbeil nur eine neue Kraft, die für die
Civilisation arbeitet, eine neue Thatsache ihres historischen Ver-
laufs. Die tiefere Quelle der ganzen slavischen Renaissance ist
die europäische Bildung.
Das Original dieses Buches ' ist die zweite, stark veränderte
und sehr vervollständigte Auflage des zuerst 1865u. d. T, „Obzor .
istorii slavjanskich literatur" („üehersicht der Geschichte der
slavischen Literaturen") erschienenen Werkes. In der Zeit zwi-
schen dem Erscheinen der beiden Ausgaben (1865 und 1880) sind
zahlreiche Forschungen über den Gegenstand erschienen, liegen
eine Menge neuer Thatsacheu in der Literatur selbst vor; dazu
haben sich meine eigenen bibliographischen Hülfsmittel erweitert,
sodass schliesslich bei der Umarbeitung ein fast ganz neues Buch
entstand und sein Umfang (ohne noch die russische Literatur mit-
zurechnen) von ursprünglich einem Bande auf zwei Bände an-
wuchs. In gleicherweise, wie mein Arbeitsantheil, erweiterte sich
auch die Darstellung der polnischen Literatur von Herrn Spasovic.
Was die russischo Literatur betrifft, so hatte ich mich in der
ersten Auflage auf eine kurze Uebersicht beschränkt, weil ich
< Den vollständigen Titel des Originiila a. im I. Bd., S. V.
ü,g :.._.. ..Google
XXII Statt eines Vorworts.
nur mssiscbe Leser im Auge hatte, welche die Einzeluheiten in
andern Werken finden konnten. Aber es zeigte sich, dass mein
Buch auch unter andern slaviscben Stämmen Leser hatte, für die
jene kurze Uebersicht unzureichend war. Deshalb habe ich in der
zweiten Auflage einen andern Weg eingeschlagen {und das Inter-
esse für das Buch ausserhalb Russlands bestätigte die Richtigkeit
desselhen): ich veröffentlichte nämlich im ersten Bande nur „die
partiellen Literaturen der russischen Sprache" (kleinrussisch,
weissrussisch , gaUzisch und ungarisch - russisch) — weil sie eine
besondere Verbindung mit der slavischen Renaissance haben und
zum Theil mit ihr parallel laufen — und schied die Darstellung
der iiiEsischen Hauptliteratur (der grossrussischen) für ein be-
sonderes Buch aus, an dem ich jetzt arbeite und das zugleich
den dritten Band der vorliegenden „Geschichte" bilden wird.
Den Fachmännern ist es bekannt, mit welchen Schwierigkeiten
die Aufgabe verbunden ist, deren Ausführung ich in dem vor-
liegenden Werke unternommen habe. Als Zeugniss dafür kann
die ThatsBche gelten, dass mit Ausnahme weniger Versuche (äa-
fank, Mickiewicz, Grigorovic) die slavischen Literaturen bisher
ein solches Werk nicht aufzuweisen hatten. Die Geschichte der
Literatur eines Volkes oder eines Stammes ist die Geschichte
seines Innern Lebens, seiner geistigen und poetischen Thatigkeit,
seiner nationalen Ideale; aber eine solche Geschichte kann erst
nach vielen vorbereitenden Untersuchungen ausgeführt werden —
während dem Geachichtsachreiber der slavischen Literaturen bis-
her der Mangel an Werken über ganze Stammesge biete, ganze
Perioden und Richtungen, der Mangel an biographischen und
bibliographischen Arbeiten hinderlich entgegentritt. Dahin ge-
hören z. B. die Fragen über die Anfänge der altbulgarischen Lite-
ratur, über das dunkle Mittelalter der Slaven überhaupt, über die
jetzt für unecht erklärten Denkmäler, welche ins cecliische Alter-
thum gesetzt wurden, über das Schicksal des kleinrussischen
Stammes und seiner Sprache. Es bleibt immer nocli eine Menge
alter Schriftsteller zu erforschen übrig; noch immer werden neue
Literaturdenkmäler aus alter Zeit entdeckt; die intime Ge-
schichte der slavischen Renaissance beginnt sieb erst jetzt zu ent-
hüllen mit der Herausgabe der Biographien und Ck>rrespondenzen
ihrer Führer u. s. w. Von den noch nicht gelüsten allgemeinen,
historischen und politischen Fragen, wie der Fundamentalfrage
von der Theilung des Slaventhunis in Ost- und Wcstslaven oder
ü,g :.._.. ..Google
Vom Verfasser des Üriginals. XXlll
der gegenwärtigen Gärungen Riisslands und des Slaventhums u. s. w.
wollen wir gar nicbt erst reden. Diese Fragen bleiben im slavi-
schen Leben nocli „auf der Tagesordnung stehen". Ohne solche
Fragen zu lösen und mich in Theorien einzulassen, beschränke
ich mich in meiner Darstellung nur auf eine Geschichte der that-
sächlichen Vorgänge in den slavischen Literaturen , mit den-
jenigen nähern Scblussfolgerungen, wie sie durch die Thatsachen
angedeutet werden.
Eine solche Darstellung wurde sowol durch die Lage der Dinge
in der russischen Literatur, die ich insbesondere im Auge hatte,
als auch in den andern slavischen Literaturen erfordert —
nämlich durch den Mangel an allgemeinen Uebersichten über
die Geschichte, Ethnographie, sowie schliesslich auch die Lite-
ratur der Slaven. Wenn man wünscht, gesunde Begriffe über
den Gegenstand zu verbreiten, so sind solche Uebersichten in
erster Linie nothwendig, als erste Hülfsmittel der Forschung.
Einige Lücken waren unvermeidlich — bei dem Zustand des lite-
rarischen Materials und einfach bei der Schwierigkeit alle nöthigen
slavischen Bücher zur Hand zu haben: die slavische Abtheilung
ist sehr unvollständig vertreten sogar in den Hauptbibliotheken
Petersburgs (der k. Oe£Fentlichcn nnd der Bibliothek der Aka-
demie der Wissenschaften).
Eine der wichtigen Seiten der slavischen Literaturen bildet
die Volkspoesie, Ihre Erforschung ist noch lange nicht abge-
schlossen, sogfir in Hauptsachen noch nicht. Ohne Gemeinplätze
zu wiederholen, habe ich nur das Material angeführt und den
Eindruck dargestellt, den diese Poesie auf einheimische und
fremde Beobachter ausübte; aber eine einheitliche historische
Erklärung dieser Periode ist zur Zeit noch nicht möglich. Wahr-
haft kritische und tiefe Untersuchungen sind erst in der letzten
Zeit begonnen worden.
Der Leser wird eine grosse Ungleichmassigkcit der Erzeug-
nisse in den grossen und kleinen Literaturen bemerken. Die be-
scheidenen Verhältnisse der letztern machen dort eine kleine
Sammlung von Gedichten, Volksliedern, ein populäi'eR Buch,
wie sie in grossen Literaturen gar nicht beachtet werden, zu
einem wichtigen Ereigniss. Ihre Bedeutung ist allerdings nur eine
relative und besteht darin, dass sie in ihren Verhältnissen die-
selbe Anregung und ThUtigkeit des Nationalgefübls zum Ausdruck
bringen.
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
XXIV Statt eines Voi-worts.
Zur Dar^itelliing der polnischen Literatur — die nicht in
den Kreis meiner Studien gehörte — lud ich, schon bei der
ersten Auflage, Herrn Spasovic ein. Es war dies in den Jahren
186.3 — 64, als der eben bewältigte polnische Aufstand die alte
Stammesfeind Schaft der Russen und Polen erneuerte und bis zur
äussersten Unverträglichkeit steigerte. Bei der Art, wie ich die
slavischen Beziehungen betrachte, sah ich in der gegenseitigen
slaviBclien Feindschaft weder Vernunft noch Nutzen; ein politisch
richtiges und wissenschaftlich wahres Verständniss der slavi-
schen Beziehuugen erfordert, metner Ansicht nach, Achtung vor der
fremden nationalen Individualität. Der ganze Sinn des natio-
nal- slavischen Ideals bestand in der gegenseitigen Anerkennung
der nationalhistorischen Eigenthümlichkeiten seines „Nächsten",
worin auch der Weg zur Versöhnung und wirklicher Einheit ge-
funden werden konnte. Ich erwartete — und habe mich darin
nicht getäuscht — , dass ich trotz der schweren Zeitverhältnisse
bei Herrn Spasovic dieselbe Stimmung und dieselben Hoffnungen
finden würde. Ihm schwebte (wie er im Vorwort zur russischen
zweiten Autlage dieses Buches darlegt) dieselbe Idee vor, dass
„diejenigen Grundlagen einer friedlichen Annäherung der feind-
lichen Stämme, von denen man in bessern Zeiten träumen konnte,
triumphiren und sich eine unterbrochene Annäherung erneuern
wetde, weil sie im Geiste der Zeit und in der Macht der Dinge,
in der noch von der Gesellschaft nicht erkannton, aber zweifel-
losen Solidarität der nationalen Interessen liege". Er war über-
zeugt, dass das „russische Publikum, das so empfänglich für das
Verständniss alles Besondern in fremden Civilisationen sei und
die allgemein anerkannte Fähigkeit besitze, alle Ideale kritisch
zu zerlegen", die nationale Besonderheit würde verstehen können,
welche sich in der polnischen Literatur ausgedrückt hat — und
dass „damit ein gewaltiger Schritt zu gegenseitiger Achtung und
folglich auch zur Annäherung der beiden Culturen, die durch eine
chinesische Mauer von Vorurtheilen getrennt sind, gethan wäre".
In der neuen Auflage seines Werkes hat Herr Spasoviß mit be-
sonderer Ausführlichkeit bei der neuern Periode verweilt, bei der
Literatur der polnischen Emigration, die früher wegen der Censur-
verhältnisse nicht dargestellt werden konnte. „Die Möglichkeit,
sich objectiv zu dieser Literatur zu verhalten und sie in der
russischen Presse frei zu analysiren, ist an und für sich schon
ein gewaltiger Fortschritt, denn sie bedeutet, dass sich die Leiden-
ü,g :.._.. ..Google
Vom Verfaaser des Originala. XXV
Schaft bis zu einem Grade abgekühlt hat, bei dem es möglich wird,
die Bedingungen einer geistigen Annäherung zu beurtheilen, und
in dieser liegt eben die ganze Kraft; alles weitere wird sich trotz
aller Hindernisse von selbst ergeben — es ist nur eine Frage
der Zeit,*'
Es bleibt mir nur noch übrig, den Wunsch auszusprechen,
dass dieses Werk in seiner neuen Form seinen Theil mit bei-
tragen möge zur Klarung der innern Verhältnisse unter denSlaven
selbst, sowie auch zur Versöhnung der äussern internationalen
Feindseligkeit in den hohem Idealen der Bildung und der politi-
schen und socialen Gerechtigkeit.
St. Pbtbbsbdrg, ir>. (27.) Januar 1883.
Alexander Pypin.
.y Google
J.Google
Inhalt.
Vorwort des Deberaetzera V-IX
Statt eines Vorworts. Vom Verfasser den Originals zugleiuh
im Namen seines Mitarbeiters. (Brief au den Uel>erBetzer) , X — XXV
Viertes Kapitel. Der pololsche VolkSRtamm 1—435
Einleitnng 1 — 6
]. Die alte Periode bie zur Mitte des 16. Jahrhun-
derts (der Reformation) 7-32
Historische Bemerkungen, Die lateinische Schule und das
lateinische Schriftwesen ; die ersten Denkmäler der polüi-
BcbeD Sprache.
3. Das goldene oder clasaiscbe Zeitalter der Litera-
tur (1548-1606) 33-87
Znstand des Reiches und der Gesellschaft; die Szlachta-
Cultur. Der Einfluss der westeuropaiBchen Bildung, Die
Hnmanisten r Rej von Nagtowice, Johann Kochauowaki. Die
idyllische Poesie: Szymon Szymonowicz; die Satire: Klono-
wicz; Stanislaw Orzecho wski. Die Exduaivität der Szlacbta.
Die jesuitische Prop^anda: Peter Skarga.
3. Die jesuitiseh-maocaronieche Periode (1606—1764). 87—129
Ü«r Anfang der Stagnation und des Verfalles. Der £in-
tluss der Jesuiten auf die Erziehung und Literatur; Verfall
der letztem; Macoaronismen und schwülstiger Stil. Der
lateinische Dichter Sarbiewski. Waclaw Potoukt, Meozuja-
Kocbowski, Andreas Morsztyn. Die QescbichtBscli reiber; die
Memoirenliteratur. Politische Werke; Forderungen einfr
Refonn: Jalitonoweki, Stanislaw Leszczytiski. Zaluski. Die
Piaristen: Stanislaw Eouarski.
..., Google
XXVm Inhalt.
Seil«
4. Die Periode dei Könige Ponintowski (lTfi4-96) und
die Zeiten nacli derTheilung bis zum Auftreten
der polniHchen Romantik (1795-1^22) 129-205
Iliatoriflclie Bemerkungen. Stanislaw August Poniatowski.
A. Die letzteu ruhigen Jahre vor der Katastrophe 139-170
W^ierski; Trembeuki; Ignaz Krasiuki; Adam Narutze-
ivicz. EntwickeluDg des Theaters.
B. Die politische Literatur des vierjährigea
Beichstags 170-185
Staszio; KoD^taj; NiemoewicK. Der politisi^he Zusam-
menbruch.
C. Die Uebergangszeit naeh der dritten Theilung 185— 205
Linde; Cliodakowaki; Rnkowiccki; Maciejowski.' Woro-
nicz. Die PBeudocIass leisten. Suiadecki. Die drama-
tiflclie Literatur.
5. Die Periode Miokiewioz' (1822-48) 2a''.-394
A. Die Romantik. Die Vorgänger und ZeitgenoBsen
Mickiewicu'. Die Thütigkeit des letztern . . .205-293
Kazimir Brodzinski; Malczewski; TymkoPadura; B. Za-
leski; Severiu Goszczyliski. Lelewel. Die Pliilomath^n
und Philareten. Das Leben und die poetische Wirksam-
keit Mickiewiez'.
B. Die Spaltung der Literatur in eine Emigrau-
tenliteratur und in eine einheimische (1830-48)293-394
Julius Slowacki und Sigismund Kranii^Bki. Rzewuski.
Die einheimische Literatur.
6. Die letzten Ausläufer der Romantik auf dpm hei-
matlichen Boden (1848— 63) 394-428
Vincenz Pol; Koüdratowiuz (Syrokomla); KaczkoWBki.
Szajnucha. Korzeniowski. Kraszewski. Der Rückgang der
Romantik.
Die aofalesischen Polen. — Die preussischen Mazuren.
— Die KaSuben 429-436
.y Google
Viertes Kapitel.
Der iKtlnlsche Tolksstamm.
Jiachdem die aüdslavisclien Reiche von byzantinischeni Typus,
das bulgarisclio und eerbische, zu .Ende des 14. Jahrhunderts,
Ton Islam erdrückt, zusammengebrochen waren, und ehe noch
Rnssland den Schauplatz der europäischen Politik betrat, um
DDter Peter dem Grossen an den Angelegenheiten Europas thä-
tigen Antheil zu nehmen, erscheinen auf diesem Schauplatz von
den Bl&Tischen Völkern nur die beiden westlichen, die Cechen
und die Polen, beide der römisch-katholischen Culturwelt an-
gehörend. In dem Auftreten der Staaten, welche diesen bei-
den Völkern zur Wiege dienten, sprach sich das allgemeine
Bedürfoiss des slavischen Stammes aus, sich zu schützen und
der nach Osten dringenden Welle des Germanenthnms ent-
gegen zn wirken. Das westlichere, öechische Beicb bildete
eich früher aus, allein es entnationalisirte sich, da es sich
im Gebiete des römisch -deutschen Reichs befand; es bürger-
ten dch in ihm deutsche Einrichtungen ein, selbst die kirch-
liche Hierarchie erwies sich als eine Befördrerin des dentschen
Elements. Das unterdrückte Volksthum flackerte nur einmal
auf in der grellen Flamme des Hussitenthums, dem kühnen
Versuch einer kirchlichen sowol, als politischen und socialen
Reform; äamach sank es erschöpft zusammen und lag nach
der Schlacht am Weissen Berge (1620) beinahe zwei Jahrhun-
derte in Todesschlnmmer. Polen hatte keinen solchen Zwiespalt
im Innern, keinen solchen blutigen, tödlichen gegenseitigen
Kampf der Elemente zu erdulden, des ursprünglich volksthüm-
lichen mit dem eindringenden fremden. Die römisch -katho-
lische Kirche war und blieb hier eine nationale Institution,
hrn, SIxTluba Litantsren. II, I. 1
ü,g :.._.. ..Google
2 ViertcB Kapitel. Die Polen.
welche die oberflächliche Ausbreitung des Protestantismus im
16. Jahrhundert nicht zu erschüttern yermochte. Obgleich die
Einrichtung der Szlachta (des Adels) aus Deutschland entlehnt war,
so entwickelte sie sich doch so schnell und erfolgreich auf der
Grundlage des Allods, dass die spätere Metamorphose des Allodial-
systems, der Feudalismus, nioht nur in Polen nicht Wurzel fassen,
sondern nicht einmal einzudringen vermochte. Das starke Wachs-
thum der Szlachta, das sich zum Nachtheil aller andern Bestand-
theile des gesellschaftlichen Organismus vollzog, zeitigte eine
dem Anschein nach herrliche, aber frühreife Frucht, das Reichs-
tagswesen, das parlamentarische System, das sich in Polen mit
besonderer Vollständigkeit und Consequenz früher entwickelte,
als in England, auf Grundlagen und in Formen, die mit dem ihm
rücksichtlich der Entstehungsbedingungen verwandten ungari-
schen Parlamentarismus fast identisch sind. Dies wohlgeHigte
nationale Paästwo (so nennt man noch jetzt den Staat in pol-
nischer Sprache), eine Monarchie mit aristokratisch-republikani-
schen Institutionen, mit Gesetzen, in denen einseitig, bis ip die
letzten Extreme, die Idee einer fast unbegrenzten bürgerlichen
Freiheit durchgeführt war, hatte anfangs einen grossen Erfolg.
Nach den Worten Hüppe's' war Polen von Jagiello bis Batory
(1386 — 1586) während zweier Jahrhunderte die tonangebende
Macht im Osten Europas, die über einen Flächenraum von mehr
als 20000 Quadratmeilen verfügte. Allein dieses Reich schützte
die Slaven an der Elbe und Oder nicht gegen die Deatecben;
es vermochte nicht am Baltischen Meere festen Fuss zu fassen
und wurde vom Schwarzen Meere abgedrängt; ee suchte seine
Ausbreitung hauptsächlich im Osten, in den moskauisch-russischen
Ländern, in den Gebieten des damals noch in der Wiege liegenden
und sich nach ganz entgegengesetzten Principien entwickelnden
Bauem-Zarenthums — der moskauischen Autokratie. Die schwache
Seite dieses ganzen Organismus bestand darin, dass das wirkliche
Volk nur die Szlachta war, ein Stand von 800000 bis l Million
Menschen in einer Bevölkerung von 8 — 13 Millionen^; dass die
herrschende Klasse nach voller Verwirklichung ihres Ideals der
„goldenen Freiheit" Anker warf: sie hatte nichts mehr zu er-
' S. llüppp, VerfaMung der Republik Polen, S. 12 (Berlin 1867).
' Hiippe, H. 79. — Tadeusz Korzon, „Stan ekonomic^ny Polski'* (in
wartebsuer Journal ,,Ateneum", Jabrg. 1877).
...., Google
Histnriachc BemerkanKOU' 3
streben; ein unbeweglicher ConBerrativismus ward zur herrschen-
den Stimmung; die Gesellschaft verknöcherte, indem sie jegliche
Refonn als einen Eingriff in die Freiheit mied, und ängst-
lich Rowol die freie Kiinigswahl , mit andern Worten einen
fast aactionsartigen Verkauf der Krone an den meistbietenden
Candidaten durch das Szlachta-Volk, welches sich Mann für Mann
nr Wahl einland, als auch das liberum veto vcrtheidigte, d. i.
das Recht jedes einzelnen Reichstagsmitgliedcs, durch seinen
Protest auf dem Reichstage da8 Zustandekommen von Beschlüssen
ni hintertreiben.
Die Einrichtung, dass Verordnungen erst durch einstimmige
Annahme Gesetzeskraft erlangten, lähmte die Macht der Gesetz-
gebang. Die Künigswahl gab der Einmischung von Ausländem
eine legale Handhabe; jede Grossmacht organisirtc zu eigenem
Vortheil ihre besondere österreichische, französische u. s. w, Partei
in Polen; die Gewohnheit sanctionirte sogar so anomale Erscliei-
nnngen, wie die Rnkosze (Rebellionen) und Confdderationen, d. h.
organisirte Convcntioncn der Szlachta zur Erreichung verschie-
dener Zwecke, ja sogar zur Gegenwirkung gegen die Macht des
Königs. Es war<l zum Sprichwort, dass Polen durch die Anarchie
bestehe (nierz^dem stoi); die Weisheit seiner Regenten bestand
bei der Erstarkung der erblichen Monarchien um sie herum darin,
dass sie diplomatisch das Gleichgewicht zwischen den Antago-
nisten, den auswärtigen Mächten, zu halten und Bündnisse mit
den weniger gefibrlichen gegen die geiahrlicheren zu schliessen
sachten.
Bei dem starren ConserratiTismus der Szlachta, die das Fun-
dament des Gebäudes bildete, konnten fortschrittliche Ideen nur an
den Spitzen keimen, in den Geistern der Könige und Staatsmänner,
die an die Abwendung des Zusammenbruchs dachten durch Ver-
bessemng der Republik (naprawa Ilzeczy pospolitej), durch Be-
Bchmnknng der Macht der Szlachta, durch Verleihung von Rech-
ten an andere Stände und Volksklassen und durch Erblichkeit
des Thrones. Diese Pläne reifen lange Zeit im Geheimen, wer-
den nur schüchtern auBgesprochen ; die Ideale der Reform ver-
breiten sich langsam und spärlich und dringen ins allgemeine
Bevustsein erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, d.i.
sozusagen am Anfang vom Ende, * Als herrschend erscheinen
sie erst nach der ersten Theilung Polens (1772). Damals
nahm unter dem Eindruck der äussersten Gefahr eine Periode
1*
ü,g :.._.. ..Google
4 Viertes Kapitel. Die Polen,
verstärkter, fieberhafter Arbeit ihren Anfang nach jahrbunderte-
langem Stillstand. Die bestehende Ordnung wird einer Kritik
unterzogen vom Staudpunkt der philosophischen Ideen des 18. Jahr-
hunderts, die sich von Frankreich aus Ycrbreitet hatten. Die
Kation tritt bewusst au die Reform heran; ans ihren besten gei-
stigen Kräften setzte sich der vierjährige Reichstag zusammen,
aus dem die Constitution vom 3. Mai 1791 hervorging. Allein
dieser Constitution war es nicht heschieden, ins Leben zu treten,
und sie ward nur zn einem geistigen Vermächtniss des sterben-
den Organismus. In verhängnissvoller Weise war in Polen die Ver-
wirklichung einer jeden gründlichen Reform gleichzeitig von
einem innem und äussern Kampf- abhängig, da sich die Oppo-
sition der Parteigänger des Althergebrachten und der Adelsfrei-
heit auf die Mitwirkung von aussen stützte, und die auswärtigen
Mächte immer bereit waren, diese Hülfe zu gewähren, weil es für
sie yortbeilhafter war, mit der Anarchie der Szlachta zu thnn
zu haben, als mit einer gefestigten Centralgewalt. Für den stärk-
sten Organismus ist es fast unmöglich, zwei Kämpfe auf einmal
auszubauen, einen innem sowol als einen äussern; um so weniger
vermocfate dies ein geschwächter. Der letzte Act des erschüttern-
den Dramas der aufeinanderfolgenden Theilungen Polens, be-
leuchtet vom Wiederschein blutiger Ereignisse, der Strassen-
auf laufe des warschauer Pöbele, der patriotischen Anstren-
gungen Koficiuszko's, der Erstürmung Praga's, endete damit,
dasB alle die Länder, welche die Republik bildeten, nach Verlust
ihrer politischen und in der Folge auch der bürgerlichen Insti-
tutionen Bestandtheile der drei östlichen Grossmächte Europas
wurden. Jetzt sind schon mehr als 80 Jahre vergangen und
man kann sagen, dass sich kein einziges Partikelchen nicht nur
des frühern Staats und seiner Institutionen, sondern auch seiner
Gesetze erhalten hat und in Wirkung geblieben ist (in Galizien
gilt das österreichische bürgerliche Gesetzbuch, in Posen das
preussische Landrecht, im Königreich Polen seit 1807 der Code
Napoleon; in den westlichen und südwestlichen Gouvernements
Kusslands ist an Stelle des Litauischen Statuts nach der Verord-
nung vom 25. Juni [7. Juli] 1840 der 1- Theil des 10. Bandes des
Svod zakonoT getreten). Nach dieser Zerstörung ist nur eine
wenig bemerkbare und schiJer fassbare Kraft übriggeblieben —
die historische Nationalität: Haus und Familie, Sprache und
Sitte, gewisse durch Jahrhunderte erworbene und typisch ans-
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HiBtorische Bemerkungen. 5
geprägte Gewohnheiten des Denkens und des Handelns. Das
Leben dieser Nationalität, einige Zeit versteckt, trat wieder
hertor, wo es dem geringsten Widerstände begegnete, auf dem
Gebiete der Literatur und der Kunst, in einem herrlichen
Aufblühen der uutionalen Poesie, die an Schönheit und Reich-
thum des Gehalts bei weitem alles übertraf, was im soge-
nannten „goldenen Zeitalter" der Sigismunde geschafTen wor-
den war. Für diese Entwickelung war die Theilung des ehe-
maligen Polens unter die drei Mächte der heiligen Allianz eher
forderlich als hinderlich, weil es möglich war, dass die Hinder-
nisse, welche sich in dem einen Staate fanden, in den andern
infolge der Verschiedenheit in den Regierungssystemen nicht
vorhanden waren. Diese Wiederbelebung strebte, nachdem sie
sich von den Formen des französischen Pseudoclassicismus los-
gemacht ond als polnische Romantik aufgetreten war, nach Kräf-
tigung des nationalen Selhstbewusstseins und nach neuer Ver-
knüpfung der zerrissenen Fäden der Volksüberlieferungen unter
äussern Bedingungen des Volkalebens, die sich durchaus verändert
hatten und jede Möglichkeit aristokratischer Privilegien und der
künstlichen Oberherrschaft einer Gesellschaftsklasse über die an-
dern ausschlössen. In dieser Literatur reflectirten sich alle Ver-
hältnisse der Zeit, innerhalb welcher sie entstanden war. Sie
konnte nicht umhin, die verlorene glänzende Vergangenheit zu
beklagen, idealisirte dieselbe über die Massen, urtheilte über das
Geschehene oberflächlich; ohne in die tiefliegenden Ursachen
einzudringen, blieb sie bei der politischen Seite der Frage
stehen, vergass die sociale, und spornte nicht nur zur Ausdauer
an, sondern auch zu thörichten Versuchen, die verlorene poli-
tische Selbständigkeit wiederherzustellen, sei es mit offener
Gewalt, sei es mittels der Waffe der Schwachen, diplomati-
schen Intrignen bei den europäischen Mächten, deren Zwecken
es entsprechen mochte, die polnische Frage zu eigenem Vor-
tkeil auszubeuten. Jetzt scheint diese Periode unpraktischer
Phantasien und plötzlicher Ausbrüche, die mit der polnischen
Romantik begann und in einigen aufeinanderfolgenden Auf-
ständen gipfelte, welche die besten Kräfte der Nation unnützer-
weise verschlangen, zu Ende zu sein. Es lässt sich schwer
voraussehen , ob sich bald ein geeigneter und befriedigender
modus vivendi zwischen deu blutsverwandten, aber geschicht-
licb getrennten Gliedern dar slavischen Familie finden wird.
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6 Viertes Kapitel. Die Polen.
Jedeufalls zeugt aber das Auftreten von Grössen, wie Mickie-
wicz, Krasinski und iStowacki in der Poesie, Chopin und
Möniuszko in der Musik, Matejko in der Malerei von der Kraft
und Lebensfähigkeit einer beBondem polnischen Cultur und
ihrer Existenzberechtigung.
Bei dem engen Zusammenhange zwischen der polnischen
Literatur und dem allgemeinen Gange der polnischen Ge-
schichte werden wir, indem wir die eraterc in Perioden thei-
len, jeder einzelnen Periode erst eine Skizze and Üebersicht
der wichtigsten politischen und culturgescbichtlichen Ereignisse
vorausschicken und dann erst zur eigentlichen Literaturgeschichte
übergehen. >
' GtwOhnlith beginnt man die Biljliographic und GCBchiuhtsolireiliung
der polüisohon Literatur mit dem ProfcSBor der warschauer Universität,
Felix Bentkoweki, der 1814 zn Warschau die „Historya lituratury pol-
skiej, wygtawiona w apisie dziel driikiem ogtoszonyoh", 3 Bde., herausgab.
Es war dies nur ein bibliographiacber Katalog.
— £ine Umarbeitung und YervollatikDdignug der Arbeit Bcntkoweki's
nahm auf Veraulaasung des Buchhändlers Zawadzki in Wiliia Adam Joch er
vor: „Obraz bibliijgi-aficzno-hiBtoryczny literalury i uauk w Polsce" {Wilna
184U), aber diese umfassende Arbeit brach im 3. Band ab und ist noch lange
nicht zu Ende geführt.
— Ein gewaltiges Werk über polnische Bibliugrapbie, zu dem 1&48
der Plan gefasat, und desacn Druck 1870 brennen wurde, liegt jetzt vüU-
endut vor; es ist die von dum Bibliothekar der krakauer Universität Karl
Eatreicher verfaaste „Bibliugrafia polska XIX atulecia" (ISXXK) Drucke),
das den ersten Theil einer noch umfänglichem Arbeit bilden soll, einer
vollständigen „Bibliogratia polska". Bd. I (1872) 523 8., A— F; Bd. 11 (1874)
634 S-, G— L; Bd.IÜ (1876) 608 S-, M— Q; Bd. IV (1878) 65D S., R— U; Bd. V
(1880) 335 S., W— 2 ; Bd. VI u. VII {1881—82) Dopelnienia — Kachtrige, Ä-2.
Der Ort dft Herausgabe ist Krakau; das Werk erscheint auf Kosten der
dortigen Akademie der WisBonsoliaften, Es sind darin alle in polnischer
oder in andern Sprachen erachienenen, aber auf Polen bcziigliehen Werke
vom Jahre 1600 an aufgenommen.
Be merke nswcrthere systematische Werke über die Üeschichtc der pol-
Diaohon Literatur sind: Lestaw Lukaszewicz, „Rys dziejöw pismicu-
uictwa polakiego" (Krakau 1836). bine unbedeutende Broschüre, die aber
la Auflagen erlebte.
— Michael Wiszniewaki unternahm ea, unter dem Titel ,,IIi8torja
litoratury polakiej" eine vollständigo Cultui^eschichte zu schreiben, auf
Grund umfangreicher selbständiger Forschungen (7 Bde., Krakau 1H40— 451,
brachte aber sein Werk nur bis zur Mitte des 17. Jahrbunderts. — Nach
Dig :..:.., Google
Die ftite Periode.
1, Die alte Periode bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts
(der Beformatioii).
Den polnischen Historikern ist es noch nicht gelungen, die in
den Annalen enthaltenen mythischen Erzählungen der alten Zeit zu
den Uandschrifteii nnd Aufteiohniuigen dea VerfasBera führten dicBC Arbeit
fürt Hscewicz (Bd. 8, 1851) und ^cbrawski (Bd. 'J uod 10, ia^7).
— Eine Kürzung nnd Umarbeitung dieses Werkea nahm der DJuhter
L KoDdratowioz (W. Syrokomla) vor; „Diieje literatury w Polsee od
tierwiutköw do naszych ozasöw" (Wilna 1851 — M; 2. Ausg. 3 Bde., War-
ichao 1874), rusBiscb von A. Kuaminskij u. d. T.: „htorija polgkoj lite-
ratorj ot na5ala jeja do nastojaiC'^o vremeni" (2 Bde., Moskau 1862).
— Da« Werk Ton K. Wtad. Wöjoicki: „Historya literatury polskiej
w tarTsach" (4 Bde., Wareehau 1845—46; 2. Ausg. 1861) iet eher eine Cbre-
ilomathie, als eine LiteraturgeBohichtc.
— JohoDii Majorkiewioz, „Literetura polska w rozwiuivoin histo-
rjeinym" (WarBohau 1847) ist der Versuch einer Bearbeitung des Gegen-
tundes nach ier Methode der H^^rsoben Philosophie.
— CeberauB reichen InbaltB ist das Werk: „Pismiennictwo Polskie od
DsjdawaieJBi;ch ozaa6w a& do r. 1830" (3 Bde., Warsohau 1861 — 52) von
dem berühmten Slavisten Waclaw Alex. Maoiejowski, aber es ist nur
bl> mm 17. Jahrhundert geführt.
— Beoht brauchbar ist die sehr populäre „Historya literatury polskiej"
TOD Jolian BartoBEewioz (Warsohau 1861; 2. Aufl., veranstaltet vuu sei-
nem 8ohnc, 2 Bde., Erakau 187T).
— Wtad. Kehring, Prof. zu Breslau, gab heraus: „Kurs literatury
dls niytku SKkö)" (Posen 1866), worin die Periode des Mickiewicz und
»einer Schale recht gut bearbeitet ist.
— Weniger befriedigt die „HiBtorya literatury polskiej dla mlodzieiy"
m Karl Hecberzynski (Kraken 1873).
— Besser ist dsB Buch von Adam Knliezkowski, „Zarys dziejöw
literatory polskiej dla uiytku szkolnego i podri-eznegu" (Lemberg 1873).
— Schon lange ist eine umfängliche Arbeit auf diesem Gebiet verspro-
chen von Anton Malecki, früher Professor au der tiniversität Lemberg.
— A. Mickiewicz, „Lea Slavea" etc. (B.I.Bd., S.5, Anmerk.) erschien
»nch in polniacher Uebersetzung von F. Wrotnowski (3. Ausg. in 4 Bdn.,
PoBCQ 1865).
— Im Jahre 1855 begann Joacf Kazimir Turowski die polnisoheo
Cliaeiker und alteü Schriftsteller neu herauszugeben, in Heften, welche
5 Serien bildeten, lue Ausgabe erschien zuerst in Sanok und Przemysl, dann
in Krakan und hörte 1862 auf; sie umfasst im ganzen über 250 Hefte.
— DenUobc Werke: E. Lipijicki (E. Pufike), „GeBohichte der pol-
nischen NationalUteratur, übersichtlich dargestellt" (Mainz 1878). — H.
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8 Viertes Kapitel. Die Polen.
entwirren ; sie bilden ein Gemenge von Ueberliefernngen, welche
sich um Gnesen, KruEzwica, Krakau drehen, ferner von weise-
Nitschmann, „Der poloischo Parnaas" (4. Aufl., Leipzig 1875) enthält Bio-
graphien der herroiTagendcm Dicliter nebst Proben aiia ihnen in deutsehen
Uebersetiungen ; vorauRgcBchickt ist eine literatui'geschichtlichc Einleitung.
— A. Cybuleki, „Geschichte der polnischen Hichtkunst in der ersten
Hälfte dBB laufenden Jahrhunderts" (2 Bde., Posen ISÖI). — Eine Biblio-
graphie der deutschen Uebersotzungcn aus dem Poluisuhen und der deut-
schen Schriften über Erscugnisse der polnischen Literatur gab L. Kurtz-
mann heraus n, d. T.; „Die polnische Literatur in Deutaohland" {Posen
1881).
Als Begründer einer kritischen Geacbichtschrcibang Polens gilt ge-
wühnlieh Adam Karuszewioz: „Historya naroda polakiego od poaz%tku
«hrzesoiaiifltwa" (Bd. II — VII, Warschau 1S03 — 4, herausgegeben von Mo-
stowski; Bd. I, ebenda 1834, berausg. von der üeHellsohurt der Freunde der
Wiasensebaften zu Warschau). Joachim Lclewel schrieb überaus viele
Monographien; ecino Werke erschienen bei Äupaiiski in Poaen 1854 —
68 in 20 Bänden u. d. T.; „Polska, daiejc i rzcc/y jej ronpatrywane," —
Eine grusse originale, aber unkritische Arbeit ward von Theodor Nar-
butt untemummen: „Dziejc narodu litewskiego'' (9 Bde., Wilna 1835 —
1841). — Jgdvzej Moraczewski unternahm ob, eine vollständige prag-
matische Geschichte Polens vom republikanischen Standpunkte aus zu
sehreiben „üzieje Rzcczypospolitej pulskiej" (9 Bde., Posen 1849—55; der
letzte Band ist 1855 naeh dem Tode des Veriaesers erschienen ; das Werk
reicht bis zum Jahr 1668). — Waleryan Wröblcwaki machte unter dem
Pseudonym W. Koronowicz denTersuch einer Philosophie der Gesohichte
Polens, aber von einem sehr engen, ausschliesslich poHlincfaen Gesiehtspunktc
aus. — Einen vollständigen Gegensatz zu den eben genannten beiden Wer-
ken bildet das unbedeutende Pamphlet von Anton Walewski, in klerika-
lem Geiste: „FilozoGa dziejöw polskieh, metoda ich badania" (Krakau 1875).
— Die Werke des berühmten Dichters und Historikers Karl Szajnoeha
aind vor kurzem gesammelt worden (10 Bde., Warschau 1876—78). — Teo-
dor Morawski, „Dzieje narodu |)ulskiego" (8 Bde., Posen und Dresden
1871 — 7ä). — In der Publication noch nicht abgeschlossen ist „Historya
pierwotna Polski" von Julian Bartuszewicz (letzte Ausgabe in 4 Bdn.,
Krakau 1878). — Walery Przjborowaki, „Dzieje Polski do 1772 dia
mtodzieiy" (Warschau 1879).
Sehr zahlreich sind die Werke über polnische Geschichte von dem lem-
berger Gelehrten Heinrich Schmitt.
Eine neue Kiehtuog in der Wissenschaft der polnischen Geschichte,
ganz entgegengesetzt der Schule Lelewel's, machte sich in den Arbeiten der
Professoren an der Jag iel Ionischen Universität zu Krakau, Szujski und Bo-
brzyüski geltend. Joaef Szujski gab in^4 Bdn. „Dzieje polskie wedle osUl-
nich badan spisane" (Lemberg 1862 — 66) heraus, das znr Zeit beste and
Digz^c, Google
Die alte Periode. 9
kroftÜBclieD, pommerschen und grosspolniscben Traditionen über
die Leeben oder Ljacbeo, über Krakus, Wanda, Popiel und
PiasL Einige davon sind ganz den cechischen ähnlich (Krak
Krok, Piast Premysl); andere, wie die über die Lechen, er-
inacm stark an die ekandinavischen Sagae. Vor nicht gar
knger Zeit machte Szajnocha den Vergucli, den Ursprung PoletiB
TOD den Normannen herzuleiten und bemühte sich, hauptsächlich
auf Grund philologischer Daten, nachzuweisen, dass zu den klei-
DCD elavischen Stämmen au der Elbe, Oder und Weicheel die
neoetl« Haudbuch übov disBen Gegenstand. Michael Bobrzynskt gab
IS7n zu Warachaa „Dzieje Poixkie w zaryaie", eine prächtige Skizze heranB,
worin besonders die ja gi eil (in i sehe Periode trefflich charakterisirt ist, — Selir
lilentvoll und originell ist die Art der Ansiedelung und die ursprüngliche
OrganiBBlion der polnischen GeseUsuhaft dargestellt iu dem Werke von Ta-
densz Wojcieuhowsk), „Cbrobaoya, rozbiör BtarozytnoBci sIowiariBkioh"
lEnkaii 1873)- — Nicht unerwähnt darf bleiben August Bielowski, der
Herauagebcr der kritisch bearbciteteo ältesten Denkmäler: „Monumenta
hiBtorica Foloniao vetuatiaeima" (3 Bde., Lcmberg 1864— 7F<), und Ant.Sigm.
Heicel, der Herausgeber der ältesten Denkmäler der polnischen Gesetz-
gebung: „Starodawne prawa polskiego pomniki" (2 Bde., Krak au 1857— 70).
— Wichtig sind auch die deutschen Arbeiten: Richard Röppel, „Geschichte
Polens'* (bis zu Ende des 13. Jahrb. Leipzig 1840), ein Band, dem später
Jteob J. Caro zwei weitere Bände unter demselben Titel hinzufügt« (Gotha
l^~-69). — Mit den politischen Institutionen Polens machen bekannt: die
polnische Bearbeitung des deutschen Schriftstellers Lengniob („Prawo po-
«polile Krötewatwa polskiego, wyd, Helcla,", Krakau 1836) aus dem 18. Jabr-
hoodert und Siegfried Hüppe, „Verfassung der.Republik Polen" (Berlin 1867).
In Bezog auf Geographie: Michael Balinski und Timotheus Lipinski,
.3tarozjtua Polska, pod wzgl^em historycznym, geograficznym i statyst^oz-
njm opisana" (3 Bde., Warschau 18B0). — Luejan Tatomir, „Geografia
ogoba, SUtystyka ziem dawuej Polski" (Krakau 1868).
Das beste Le^iikon ist bisher das von Samuel Bogumil Linde bearbei-
tete: „Slownik jezykft polskiego" (6 Bde., Warschau 1807 — 14; neue ver-
mehrte Aufl., Lemberg 1854 — 60). Die beste Grammatik von Anton
Milecki, „Gramm atjk B j§zyka polskiego wigfeaza" (Lemberg 1863); ver-
gleichend „Grammatyka historyczno-poröwnawcza j^zyka polskiego" (3 Bde.,
Lemberg 1879). — Franz Malinowski (geb. 1608 bei Thom, seit 1851 in
Posen), „Krytyczna gramatyka j§zyka polskiego" (Posen 1869).
Die Sammlungen von Volksliedern sind seit etwa 50 Jahren sehr zahl-
reich geworden; den Anfang machte die Sammlung des galizisohen Schrift- -
itellers Zaieski (Wactaw z Oleska; herausg. 1833). Besonders bemcrkens-
werth sind die Sammlnngen von Wüjoicki, Äegota Pauli, Czeczot,
Zejszner, Oskar Kolberg.
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10 Viertee Kapitel. Die Polen.
ÄnfängQ einer Organisation von lechisch- normannischen Gefolg-
schaften gebracht worden seien, welche seit dem 6. Jahrhundert
nach Christus vom Baltischen Meer bis au den Karpaten herrsch-
ten. Dieser Versuch mislang und wurde verworfen (ähnlich, wie
man jetzt in der mBsischen Literatur die normannische Herkunft
der Waräger leugnet: Gedeonov, Ilovajskij, Zabelin). Die erste
zweifellos zuverlässige Nachricht über einen polnischen Staat
fällt in das Jahr 963, als anter Kaiser Otto I. der Markgraf
Gero den heidnischen Fürsten Mieszko oder Mieczko besiegte,
welcher über einen Stamm der Foljanen im Warte-Gebiet,, zwi-
schen Oder und Weichsel (Gnesen, Posen) herrschte, und ihn
dem Kaiser tributpflichtig machte. Dem gesammten westlichen
Slaventhum drohte Gefahr; die Deutschen unterwarfen die zer-
splitterten slavischen Stämme an der Elbe und Oder systema-
tisch einen nach dem andern und bekehrten sie gewaltsam
zum Christenthum, legten Grenzmarken an und gründeten Bis-
thämer, an deren Spitze das 968 errichtete Eribisthum Magdeburg
stand. Von den Deutschen bedrängt, sah der polnische Fürst
Mieszko ein, dass er, um das slavische Volksthum mit Erfolg
zu schützen, dem Beispiel seiner Stammesgenossen, der Öechen,
folgen müsse, welche zu einer Organisirung gelangt und erstarkt
waren, weil sie schon im 9. Jahrhundert das Christenthum an-
genommen hatten; — er wendete sich auch an den König Bole-
slav von Böhmen, heiratbete dessen Tochter und empfing zu
Posen die Taufe (966), gründete daselbst auch ein Eisthum,
welches 968 unter das Erzbisthum von Magdeburg kam. Die
bescheidenen Anfänge und Verdienste Mieszko's wurden durch
den Ruhm seines genialen Sohnes und Nachfolgers, Bolestaw
Chrobry (992 — 1025) in den Schatten gestellt; dieser gilt auch
für den eigentlichen Begründer des Reichs, dessen Grenzen er
weit über die Ansiedelungen des Stammes der Poljanen aus-
dehnte, die dem Reiche den Namen gaben. Er nahm Weiss-
Kroatien mit Krakan bis eu den Karpaten und die czerweiiskischen
(rothrussischen) Städte (Galizien) in Besitz, ferner das baltische
Küstenland (Pomorze, Pommern), wurde von Otto III als selb-
ständiger Herrscher und Bundesgenosse anerkannt (1000) und mit
einer vom Papste empfangenen Krone gekrönt. Er erlangte für
Polen kirchliche Selbständigkeit durch Errichtung des Erzbis-
thums Gnesen, dem sowol die neu errichteten Bistbümer (von
Krakan, Breslau, Kolberg u. s. w.) als auch später das Bisthum
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Die alte Periode. 11
Posen unteretellt wurden, nachdem sich dieseB ?om Erzbifithnm
Magdeburg getrennt hatte. In den heftigen Kämpfen, welche
Boleslaw mit den Deutschen nach dem Tode Otto's III. führte,
geht das im Heidenthum verbliebene polabische Slaventhum
unrettbar anter; die Verluete auf dieser Seite wurden durch
weite PerBpectiven nach dem Osten (Kiew) ersetzt. Es unter-
hegt keinem Zweifel, dass in dem mit Polen vereinigten Weiss-
Kroatien nebst Krakau schon Samenkörner des Christentliums
vorhanden waren ' , ausgestreut, als Sratopolk das Land unter
die Botmässigkeit Mährene brachte (894) und hier Methodius
Bischof war (über die Beziehungen des letzern zu dem heidni-
schen Fürsten „an der Weichsel" oder in Wislica s. Bielowski,
Monnmenta, I, 107). Allein, obgleich Spuren einer spätem lan-
gen Dauer des Christenthums nach slavischem Ritus vorhanden
sind, so haben sich doch keine Daten über eine selbständige
Organisirung desselben erhalten. -Die Obechand erlangte der
lateinische Bitns, der schnell und tief Wurzel fasste und zu
einer der Hauptgrundlagen des nationalen Lebens wurde, aus
folgenden Gründen: der römische KatholicismuB war kosmo-
politischer, konnte sich also mit allen Nationalitäten vertragen,
ohne sie in ihrer eigenartigen Entwickelung zu stören; die von
ihm eingeführte lateinische Sprache war die beste Befördrerin und
Verbreiterin der antiken classischen Cultur; durch Anerkennung
der Überherrlichkeit des Papstes fand das polnische Volksthum
in diesem eine Stütze in seinem Kampfe mit dem römisch-deut-
schen Reiche; schliesslich erwies sich die römische Kirche, indem
sie die Idee von dem Vorzug der geistlichen Ordnung vor der
weltlichen zur Durchführung brachte, als der erste Factor
zn der Beschränkung der königlichen Gewalt und legte den
Grundstein zum polnischen Parlamentarismus, der in der pol-
nischen Geschichte etwas ebenso Nationales war, wie die
Ausbildung der Selbstherrschaft in der alten Geschichte Russ-
lands. Diese Seite der Thätigleit der Geistlichkeit trat erst
später deutlich hervor; anfangs erscheint als die bewegende
' Eine leideDBchaftUube Polemik über den slavieuhen Ritus im alttn
Polen wurde in den Jahren 1839^50 geführt zwischen Alti. Waut. Ma-
ciejoweki ciDerseita und Ignaz Riuhtcr und B. Ostrowski andererEcits.
I>er Inbftlt des Streite ist in den Artikeln vou A. Maleoki im iembevger
Jonnwl „Przewodnik naakowy i literauki", 1875, uiitgctheilt.
.....Gooj^lc
12 Viertes Kapitel. Die Polen.
und alles organisirende Kraft die Gewalt des Königs oder des
Fürsten, welche ebenso mächtig war, wie in Rnseland unter Ja-
roslaT. Trotz ihrer volksthnmlichen Abstammung vom Fürsten
Piast ist doch nicht die geringste Spur von Volksversamm-
lungen vorhanden, höchstens beräth sich der Fürst mit sei-
nem Gefolge (comites) und den Bischöfen, Die Organisation
der Gesellschaft ist eine ganz kriegerische. Uie Landschaften
zerfielen in Opola (viciniae), vereint durch solidarische Haft
der Bewohner der Obergewalt gegenüber; in den Städten sassen
in befestigten Plätzen als füi'stliche Feldherm und zugleich
Richter die „Castellane". Innerhalb der Gesellschaft machte
sich ein Unterschied zwischen dem Kriegerstande und den nicht
kriegerischen Klassen geltend, es hob sich die Szlachta ab. Der
Ursprung dieeer Institution wird jetzt folgendermassen erklärt.'
Bei den lechischen Slaven herrschte die Polygamie; wenn jemand
starb und weder Sghne noch-Brüder vorhanden waren, so nahm
das binterlassene Vermögen (puscizna) auf dem Wege der soge-
nannten grahie2, d. i. Einziehung, der Fürst in Besitz, welcher im
Bereich seines Fürstenthumg als Eigenthümer allen Grund und
Bodens angesehen wurde- Mit dem Christenthum ward die Mo-
nogamie eingeführt, ee klärte sich die Bedeutung der Familie, das
gegenseitige Band der Verwandten oder Vettern, der Nachkom-
men eines Stammvaters, ihr Verhältoise zur Dziedzina, d. i. dem
Erbgut, welches jenem Vorfahren angehört hatte. Der Fürst be-
gann seinen Waffengenossen da« jus hereditarium auf Ländereien
zu verleihen, welche das wurden, was in Westeuropa die AUodial-
besitzungen waren — freie, private Ländereien, die auf immer
ans der Gesammtmasse des fürstlichen Besitzes ausgeschieden
wurden. Die durch fürstliche Verleihung privilegirten Erben em-
pfingen auch nach dem deutschen Worte „Geschlecht" den Bei-
namen Szlachta; sie wurden die Theilhaber eines „Erb" oder
„Herb" (Wappen); kein Partikelchen des gemeinsamen Erbes
durfte ohne Bewilligung der Verwandten veräussert werden; sie
hatten ein gemeinsames symbolisches Zeichen und einen gemein-
samen Ruf (proclama, zawotanie). Die zu einem „Herb" ge-
hörigen GeBchlecbtsgenossen wurden als dienstpflichtige Leute all-
mählich von allen andern Diensten und Abgaben befreit, welche
■ äiaJDooha, „Lechicki poaE|tek Polski"
LhnteD Artikel.
...., Google
Pia alte Periode. 13
anf den Frohnptlichtigen lasteten , und als die Einrichtnng
immer mehr Wurzel fasBte und gedieh, gelangte in die Hände
dieser Leute auch die richterliche Gewalt über die gemeine,
auf dem Lande derselben Besshafte Bevölkerung (Pan ist ur-
Bprünglich dasselbe wie Richter). Parallel mit der Entwickelung
der priTilegirten Geschlechter, ans denen sich dann der eine
Stand der Szlachta biMete, ging ein anderer Process, wodurch
der ländlichen Bevölkerung das Besitzrecht am Lande entzogen
wurde; die freien, bäuerlichen Grundbesitzer verlieren sich mit
der Zeit ganzlich, indem sie in die allgemeine Masse der Bauern
übergeben, welche auf fremden Ländereien, fürstlichen, kirch-
Hcben, herrschaftlichen, mit unfreien Leuten, Sklaven und Nach-
kommen von Sklaven (parobki, originarii) angesiedelt sind. Nach
dem Wislicer Statut sind die persönlich freien Kmeten noch nicht
ganz leibeigen; ihnen steht noch ein begrenztes Recht der Aus-
wanderung zu. Zur Vertheidigung der alten Zeit und des mit
ihr verbundenen Heidenthums erhoben sich die unteren Volks-
klassen zweimal (1034 und 1077), aber ohne Erfolg, wobei sich
der Stand der Dienstmannen und die Geistlichkeit als so stark er-
wiesen, daes sie nach Bewältigung der Rebellen 1079 König Bole-
riaw den Kühnen, einen despotischen und grausamen Mann, der
seine Hände mit dem Blute des Bischofs Stanislaw von Krakau,
der ihn excommunicirt , befleckt hatte, abzudanken nöthigten.
Die durch dieses Ereigniss geschwächte Macht des Fürsten trat
noch einmal in dem frühem Glänze und der früheren Kraft auf
in der Person Boleslaw's IlL Krzywousty (1102 — 38), der sich
durch siegreiche Kriege gegen Kaiser Heinrich V. auszeichnete,
das slavische Küstenland von den Mündungen der Oder bis zu
denen der Weichsel definitiv unterwarf und mit Hülfe des
Apostels der Pommern, des heiligen Otto, zum Christenthuto
bekehrte. Allein mit dem Tode BolesJaw's III. trat für Polen
ebenso nnvermeidtich wie für Russland unter Jaroslav ein»
Periode der Theilnng ein, infolge der Ansicht, nach welcher
man den Staat als ein gemeinsames Familiengut des Fürsten-
hanses betrachtete.
Die directe Folge der Zerstückelung des Ganzen in Theile
war einerseits eine Schwächung der kaum geborenen Nation; sie
Terlor einige Theile des Bolesiaw'schen Polens, z. B. Schlesien,
das unter den sich germanisirenden Fürsten aus der altern
Linie des Piastenhauses deutsch wurde; andererseits die Diffe-
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14 ViertCB EapiteL Pie Polen.
renzirung der Theile, die Ausbildung gesonderter Landschaften,
von denen eich jede nach eigener Weise organisirte und einen
stark individuellen Charakter ausprägte. Jeder Fürst hatte sei-
nen Statthalter, Wojewoden (Palatin), Kanzler, Richter; auf
die Wojewoden folgten dem Bange nach die Castellano in den
Städten, die Verwalter der Opolen. Alle diese Aemter waren
gewöhnlich lebenElanglich. Diese Barone im Verein mit den Bi-
schöfen bildeten den Rath des Fürsten und eigneten sich unter
Ausnutzung der gegenseitigen Händel der Fürsten eine grosse
Macht an, ernannten Fürsten und setzten sie ab, und machten
mehrmals praktisch zur Wirklichkeit, was man später die Elec-
tion nannte. Die Macht nnd Bedeutung dieses unternehmenden
Magnatenthums waren nicht die gleichen im Norden und im Süden.
Während der Nordeo, d. i, das eigentliche Polen oder Grosspolen
mit Gnesen und Masovien mit seinen zahllosen adeligen Klein-
grundbesitzern, mehr in alter Weise lebte nnd für die Boleslaw'-
sche Tradition der Vollgewalt des Fürsten eintrat, bildete sich
im Süden, im sogenannten Kleinpolen, eine Ordnung der Dinge
aus, in der die Barone das Uebergewicht hatten, und welche sie
benutzten, um Kazimir, den jüngsten Sohn Bolestaw's III., auf den
Thron zu bringen. Schon dieser König, mit dem Beinamen des
Gerechten, erscheint als ein ganz neuer Typus, als der Typus
eines Herrschers, der auf Versammlungen im Verein mit der Geist-
lichkeit und dem höhern Adel Gesetze gibt, und der unter ihm
stattfindende Congress von Lgczyca im Jahre 1080 gilt bei den
Historikern gewöhnlich fiir den Anfang der Errichtung eines
polnischen Senats. Die Gewalt des Fürsten, beschränkt durch
die Geistlichkeit, welche nach Rom hinneigte, und sich bemühte,
alles Weltliche dem päpstlichen Stuhl unterzuordnen, und beein-
trächtigt durch das Magnatenthum konnte nicht mehr die Auf-
gaben bewältigen, denen wol früher ihre Kräfte entsprochen
hätten; sie selbst öffnet den Deutschen die Thore und lässt sie
mitten hinein ins Herz von Polen. Eine Erscheinung solcher
Art charakterisirt das 13. Jahrhundert und besteht in der Nieder-
lassung des deutschen Ordens an der untern Weichsel und in
der Verleihung des deutschen Rechts an Städte und Colonien,
die sich besonders nach dem Einfall und der Verwüstung der
Tatai-en mit deutschen Auswanderern füllten. Einer der schlech-
testen Kegenten, Konrad, Fürst von Masovien, der mit dem halb-
wilden Stamme der heidnischen Preussen nicht fertig werden
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Die alte Periode. 15
konnte, rief die dentcfaen Ritter herbei, gab ihnen dag Kulmer
Land nnd alles, was sie Ton den Preuesen erobern würden. Der
Orden siedelte sich an der baltischen Küste an und gewann
schliesslich die Oberhand über Polen, weil eben er es war, aus
dem die beutige preussische Monarchie hervorging. Infolge der
AnsJedelongea von Colonisten geht die Germanisirung aller pol-
nischen Städte und Städtchen, ja sogar die Anlage neuer deut-
scher Dörfer während des ganzen 1$. Jahrhunderts rasch vor
sich nnd insbesondere seit der Zeit, wo die Tataren 1241 Polen
Terwüstet, Kralcaa und Breslau niedergebrannt hatten. Polen
war in eine Wüste umgewandelt worden; um es zu beTÖlkern,
mnssten Colonisten herbeigerufen werden, indem man ihnen Er-
leichterungen versprach, sie von den Obliegenheiten des polni-
schen Rechts eutband, ihnen heimische Institutionen, eine eigene
städtische und ländliche Gerichtsbarkeit beliess, von der man
noch bis in die Zeiten Kazimir's des Grossen. Appellationen an
den Magistrat zu Magdeburg richtete. Auf den Dörfern lag die
Gerichtsbarkeit und die Verwaltung in den Händen des Schulzen
und seiner Schöffen (lawniki, scabini); in den Städten übte der
Voigt mit seinen Schöffen das Richteramt aus, die Verwaltung
besorgte der Stadtrath (Magistrat). Verlockt durch das Beispiel
trachteten sogar rein polnische Städte nnd Dörfer nach Yer-
leibnng des deutschen Rechts.
Es gab Fürsten, z. B. Leszek der Schwarze, die sich auf dieses
dentsche Bürgerthum von Städten wie Krakau stützten und deutsche
Sprache nnd Sitte annahmen. In den Städten siedelten sich seit
itsa ersten Krenzzuge eine Menge von Juden an, die aus Deutsch-
land geflohen waren. Aue der Masse des Volks schieden sich die
Städte ans, es schied sich femer aus die Szlachta oder der Ritter-
st&nd, der in den Wappon-(Geschlechts-)geno88en6chaften einen
fegten Zusammenhalt besass; endlich nahm die am meisten privile-
girte Stellung die Geistlichkeit ein, die nach Rom gravitirte, sich
von der fürstlichen Gerichtsbarkeit befreite und ihre eigene Ge-
richtsbarkeit nach kanonischem Recht besass, das sie den Fürsten
anfdrang, die nun auf Schritt nnd Tritt mit den zahllosen Privi-
legien der Geistlichkeit, des Adels, der Städte zu rechnen hatten.
Trotz der Zersplitterung des Volks und der Verschiedenheit der
Stände bestand doch das Gefühl einer nationalen Einheit und
zeigte sich das Bedürfniss, eine starke Centralgewalt zu schaffen.
Welche, die Zusammenschtiessung der einzelnen Theile zu einem
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16 Viertes Kapitel. Die Poleo.
Ganzen fördernd, dem Staate nach anasen bin Sicherheit ge-
währen und im Innern Ordnung Bcfaaffen könnte. Es bildete
sich der Begriff der monarchischen Einherrschaft aus. Dieee
politische Bewegung hatte zugleich eine starke Wurzel in den
Volksmassen, war von wanner Sympathie derselben begleitet.
Als Sammler des polnischen Landes traten die Bepräsentaaten
einer der jüngsten Linien des Piastenhauses — der mazurisch-
kujawischen, Wladyslaw tokietek und dessen Sohn Kazimir der
Grosse auf. J'iOkietek setzt sich 1313 zu Erakau, das definitiv
zur Residenz wurde, die Eöuigskrone auf, beruft 1331 den ersten
bekannten Reichstag (sejm) nach Cbgciny (generalem omninm
terrarura conventus), gewinnt die ersten Siege über den Orden,
verheirathet seinen Sohn an die Tochter Gedymin's von Litauen
nnd übergibt ihm 1333 den Thron nach dem Rechte der mon-
archischen, directen und ungetheilten Erbschaft. Dieser Sohn, Ka-
zimir der Grosse, mehr Diplomat als Eriegsmann, lenkte den Staat
auf friedliche Wege der Entwickelung, baute Städte, die sich
unter ihm zu polonisiren begannen, schuf eine fiir beide Hanpt-
theile Polens gemeinsame Gesetzgebung, die unter dem Namen des
Statuts von Wislica bekannt ist.* Die Hauptbestandtheile seiner
Monarchie waren Grosspolen und Kleiupolen, wozu 1340 auch das
galiziscbe Rnssland kam. Eine Bedeutung der Theilfürsteo er-
hielt sich nur einige Zeit bei dem allmählich schwindenden und
aussterbenden Geschlecht der mazurischen Fiasten. Spuren der
frühem Theiinng erhielten sich in der Staatsverwaltung, in den
Aemtern der ehemals fürstlichen, nach der Vereinigung Polens
aber nur landschaftlichen Wojewoden, Castellane u. a. Sie
waren die Vertreter der Interessen der einzelnen Landschaften,
während die allgemeinen Interessen der Krone ihre Organe
in den königlichen Ministerien nnd den städtischen Starosten
(einer aus Böhmen entlehnten Institution) hatten; diese letztern
waren vom Könige mit der Befugniss der Criminalgerichtshar-
keit ausgestattet in den vier Fällen von Raub , Nothzucht,
Brandstiftung, Ueberfall. Alle übrigen Rechtssachen nnd
Streitigkeiten wurden von den gewählten Richtern der Land-
' Das Hauptwerk über diesen Codex ist von Helcel. Seine Unter-
suchungen ergeben, dasa es zwei gesonderte Statuten gegeben hat ~ das
Pioirkower Tür Groaajiolen und das Wialicer vom Jahre 1317 für Kleinpolen,
das 1368 zum gemeinsam eo Gesetzbuch erhoben wurde.
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Die alte Periode. 17
Schäften entschieden. Die Eigentbümlichkeiten Gross- und Klein-
poIeoB verwiBchten sich niemalB, sodass also gleich im Fundament
des polnischen Staatsorganismus das Princip einer Föderation
lag, als einer freiwilligen, auf Zustimmung und Recbtegleichheit
beruhenden Vereinigung der Länder unter einer Regierung —
freilich auf aristokratischer, nicht gemeinbUrgerlicher Grundlage,
die es int Mittelalter nicht geben konnte.
Der Nachfolger Kazimir's, sein Neffe Ludwig oder Loys ans
dem Hause Anjou, der keine männliche Nachkommenschaft hatte,
und im Gegensatz zum polnischen Volksgebraoch den Thron
einer seiner Töchter geben wollte, drang den nach Kaschan be-
mfenen polnischen Herren fast mit Gewalt einen Vertrag auf
(1374), der dem Inhalt nach von gleicher Bedeutung war wie die
spätern pacta conventa, und die gesammte Szlachta von den Ab*
gaben beh-eite (ausser zwei Groschen Ton der Hufe — a manso).
Als kraft dieser Üebereinkünfte Loys' Tochter, Hedwig, den Thron
bestieg, kam gegen ihren Willen, auf das Andrängen der klein-
polnischen Herren , ihre folgenschwere Heirath mit Jsigiello zu
Stande, femer die Krönung zu Krakau (1386) nnd die Tanfe
Litauens. Die erste Frucht der Vereinigung Polens mit Litauen
war, dass mit vereinten Kräften dem gemeinsamen Feinde, dem
dentechen Orden, ein entscheidender Schlag versetzt wurde, in
der Schlacht von Tannenberg, 1410. Allein die Union zweier so
scharf voneinander verschiedener Reiche, wie Polen und Litauen,
war nur eine persönliche und drohte jeden Augenblick zu zer-
^len. Im Fürstenthum Litauen war der Grosaflirst erblich, ein
bst antokratischer Gebieter, femer fand sich dort ein starkes
Bojarenthum, der Gmndbesitz war beschränkt, fast lehnsartig,
ein Band mit der Krone wurde nur dadurch aufrecht erhalten,
daas einer der Jagiellonen, oft sogar nicht einmal der, wel-
cher auf dem litauischen Throne sass, nach Uebereinkunft mit
dem Reichstag auf den Thron von Polen erhoben wurde, ausge-
stattet mit einer königlichen Macht, die durch die Privilegien der
Stände und der Magnaten sehr beschränkt war, indem sich die
letztem gewöhnt hatten, die Geschicke des Staates -mit ihrer kun-
digen, wenn auch schweren und eigennützigen Hand zu lenken.
Der polnische Reichstag jener Zeit war nur eine Fortsetzung der
frühem Zusammenkünfte uud Berathungen (colloqnia), eine Ver^
Buamlnng von Krön- und landschaftlichen Würdenträgern aus
allen oder einigen Landschaften; die Betheiligung der Dienst-
Prrnr, SUTlHke LiutktBnn. 11,1. 2
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18 Viertes Kapitel. Die Polen.
mannen an denselben war ganz unbestimmt. Dieser Kronrath
tritt zuweilen in Widerstreit mit dem König, dem es zn Zeiten
schwer wird, seine polnische Politik mit den Pflichten eines Gross-
fursten von Litauen in Einklang zu bringen. Es sitzen darin
Leute, die unter schwachen Königen factisch den Staat regieren;
als eine solche Person tritt z. B. der berühmte krakauer Bischof
Kardinal Zbigniew Olegnicki (gest. 1454) auf, der mit kräftiger
Hand die nach Polen gedrungene hussitiecbe Bewegung znm
Stillstand brachte', Anhänger der florentiner Union und einer
l^alen Kirchenreform mit Unterwerfung des Papstes unter
das Concil war, aber über die Interessen des Staats die der
Kirche setzte, den Sohn Jagiello's, Wladyslaw III., auf den
ungarischen Thron brachte, und darnach zum Kreuzzug gegen
die Türken veranlasste, in welchem König Wladyslaw 1444 auf
dem Schlachtfelde von Varna den Tod fand. Der Nachfolger
Wladyrfaw's III., welcher Polen nnd Litauen in einer Hand ver-
einigte, war König Kazimir (gest. 1492); er wurde früher bei
weitem nicht nach Verdienst gewürdigt, und erst seit kurzem*
hat die historische Forschung in ihm einen der bedeutendsten
Herrscher entdeckt, der am meisten dazu beigetragen hat,
die mittelalterliche, erbliche Monarchie in eine repräsentative
mit einem Gesetz, mit dem Reichstag als Gesetzgeber und
mit dem König als Vollstrecker der Gesetze umzuformen; —
sie fand in ihm mit einem Wort den Schöpfer des polnischen
Parlamentarismus. Der Beiz des Föderativwesens nnd der gros-
sem Freiheit veranlasste den preussischen Adel und die Städte
unter der Herrschaft des Ordens nach Einverleibnng zu streben,
am die Aufnahme in den Verband der polnischen Krone nachzn-
sucben, was den preussischen Krieg zur Folge hatte, der damit
endete, dass nach dem Thorner Frieden 1466 das baltische Küsten-
land mit den Mündangen der Weichsel, Danzig, Marienburg und
Ermeland mit Polen vereinigt wurden, dem Orden, und zwar als
polnisches Lehen, nur Ostpreussen mit Königsberg verblieh. Wäh-
rend dieses Krieges nimmt der von dem Magnatenthuni , den Gross-
würdentrügem-, eingeengte König, der Soldaten und Geld brauchte,
' Dhh Hub tenllium in Polen ist am besten in den zahlreichen Mono-
gi-ikphien H ); I 1 I n L, Prochäslca bearbeitet, in den Publica tionen der
krakane Akad m u a.
* Ca o und BobrzjrliBki.
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Die alte Periode. 19
eineu Bruch der Pririlegien im Interesse des allgemeinen Besten vor
nnd fuhrt ins politische lieben den zwar noch nicht ganz reifen,
aber im Staatsdienst geschulten Stand der zum Heere, aber nicht
aao Beamteutham gehörigen Szlachta ein. Kazimir's Kieszawer
Statuten ^ 1454, spielen in der polnischen Constitution eine eben-
solche Rolle, wie die Magna Charta in der englischen; sie sind eine
Urkunde über Rechte und Pririlegien des Adels, an deren Spitze
4«r berühmte Satz steht: neminem captivahimus nisi jure victum
(Freiheit von UnterBuchangshaft) ; doch wird darin über alle im
Staate das Gesetz gestellt, sowie angeordnet, dass neue Gesetze
nur gegeben nnd Steuern nnr auferlegt werden sollen nach vor-
heriger Berathang mit den Kreislandtagen der Szlachta. Diese
Landtage, welche der König hereiste, erwiesen sich als willfährig.
Als er in ihnen einen Stütüpunkt gefunden, vereinfachte er den
Mechanismus: statt der Kreislandtage berief er allgemeine Ver-
sammlungen für GroKspolen, Kleinpolen, Bnssland (gewöhnlich
in Kolo, Neu-Korczyn, Wisznia Sijdows), zuletzt wurde 1468
bestimmt, dass von den Landtagen der einzelnen Kreise oder
Landschaften, aus denen die Wojewodschaften bestehen, zu einer
allgemeinen Versammlung des gesammten Königreichs (gewöhn-
hch zu Piotrkow) je zwei landschaftliche Abgeordnete (nuntii
terrestres) gewählt werden sollten. So bildete sich der Haujit-
landt^ der Krone (walny sejm koronny), der zuerst vor den
andern Landtagen nicht den geringsten Vorzug hatte, weil der
König bei einem Miserfolg auf diesem Reichstage seine Absich-
ten auf den Landtagen durchsetzen konnte. Von dem Reichstage
hielt sich die Geistlichkeit fem, indem sie ihre Privilegien ver-
theidigto; ihn mieden die Städte, obgleich sie dazu eingeladen
waren; sie kümmerten sich überhaupt wenig um das Allgemeine,
und der Bürgerstand verlor infolge dessen jede politische Be-
deutung. Nach dreissig Jahren hatte der Reichstag schon die
ganze gesetzgeberische Gewalt in sich concentrirt; von einer Ge-
Ktzgebung auf den Landtagen findet sich keine Spur mehr. Auf
die Initiative des Königs Jobann Albrecht wurden wichtige Aen-
demngen vorgenommen, doch wurde auch der Anfang von Ge-
setzen gemacht, wodurch die Bauern in die Leibeigenschaft der
■ Bobrzjnski, „0 ugtawodawstwje Nieizftwakiem" (Kriikaa 1873);
■.Sejin; polskie za OlbrachU i Aleiandrti" (in Ateneam, 1876). — Roniuald
Habe, ^tatala Nieszawakie z 1464 r." (Waracbau 1870).
...., Google
20 Viertes Kapitel. IHe Polen.
Szlächta kamen, und die böhern kirchlichen Würden wurden das
ausschliessliche Besitzthum der letztem. Die den Boden unter den
Füssen verlierenden Magnaten benutzten die kriegerischen Mie-
erfolge, welche das Lebensende dieses Königs verfinsterten, um
nach seinem Tode den letzten Versuch zu machen, eine oligarchi-
Eche Regierungsform herzustellen, den Grosafiirsten Alexander zu
nöthigen, vor der Krönung das Privilegium von Mielnik 1501 zu
unterschreiben, nach welchem der König zum Präsidenten eines
Senats wurde, und die gesammte Gewalt in die Hände dieses
Magnatenrathes überging. Der König unterschrieb alles, was
verlangt wurde, reiste aber dann nach Litauen und überHess
es dem Senat, Polen nach eigenem Ermessen zu regieren. Die
Erfahrung zeigte die volle Haltlosigkeit der Magnatenregierung;
man bat den König zurückzukommen: der Vertrag von Mielnik
wurde aufgehoben, die Ressorts der Kronminister (Kanzler,
Unterkanzler, zwei Schatzmeister, einer der Krone und einer
des Hofes, Krön- und Hofmarschall) abgegrenzt, der Kanzler
Laski damit beauftragt, eine Gesetzsammlung herauszugeben
(1506); zuletzt kam auf dem Reichstag zu Radom 1505 die
berühmte Verordnung zu Stande: nihil novi constitui debeat
per nos et sucessores nostros sine commnni consiliorum et nun-
tiorum terrestrium consensu (es darf nichts Neues festgesetzt
werden durch uns und unsere Nachfolger ohne gemeinsame Zu-
stimmung des Senats und der landschaftlichen Abgeordneten). Die
allgemeine Hebung der Szlachta, die von dem Gefühl der Gleich-
heit beseelt war, untergrub das Magnatenthum an der Wurzel.
Niemals wurden die Staatsämter erblich, niemals bekam der Senat,
der zuletzt nur aus den Wojewoden, Castelianen, Ministem und
römisch-katholischen Bischöfen bestand, eine selbständige Bedeu-
tung. Ans dem Umstände, dass es dem Magnatenthum an festen
Wurzeln mangelte, erklären sich auch dessen Rolle und Intri-
guenpolitik: bald bewirbt es sieb um Gnaden bei dem Könige,
bald wieder um Popularität bei der Szlachta. Es verschwindet
gewissermassen zeitweilig zwischen den beiden Hauptfactoren,
dem Monarchen und der Szlachta, die sich gewöhnt hatte, sich
selbst als das gesammte polnische Volk zn betrachten. In allen
Ländern, die später noch in den Bestand des Staates übei^ingen,
war es von da an das erste Werk der polnischen Politik, die
verschiedenen Rangklassen des Dienstadels zu einer Szlachta
zu vereinigen und dann erst die weitere staatliche Organisation
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Die alte Periode, 21
niid VenraltoDg einzufiibren. Diese frühzeitige Umforiuui^ de«
mitteLalterlicben , patriarcbalen Staate in den moderneo Ver-
fassangsstaat hatte allerdings ihre dunkeln Flecken und Mängel.
Das Gesetz galt allgemein, aber über die Städte verfügte man
ohne sie zu fragen, und das gemeine Volk bleibt sogar
gSDz ausserhalb des Gesetzes. Die Minister konnten nicht ge-
wechselt werden, es gab auch kein dem Reichstag verantwort-
hches Ministeriam, das die Continuität der Regieningsweise
noter Bchwacheo und unföhigen Herrschern gesichert hätte. Der
König war eifersüchtig auf sein persönliches Regiment, die Mi-
nister nahm er zwar aus der Sphäre der Magnaten, aber ein
dem Reichstag nicht verantwortlicher, lebenslänglicher Minister
konnte leicht auf die Seite der Opposition übergehen und dem
König die Hände binden. Diese Organisation setzte eine unauf-
hörliche kräftige Initiative seitens der Regierung voraus, so-
wie energische Leute auf dem Throne; aber beide Dynastien,
Piasten und Jagiellonen, sterben schnell imd ohne Nachkommen-
schaft ans, und die letztere war noch dazu durch Milde, Zag-
haftigkeit und Unentschiedenheit des Charakters ihrer Vertreter
berühmt.
Als ein solcher weichherziger Friedensfreund erscheint der
populärste der Könige, Sigismund I., der Alte, der länger als
40 Jahre die Zügel der Regierung in seinen unthätigen Händen
hielt. Man lobt ihn, dass er sich dem Protestantismus gegenüber
ganz neutral verhalten und Eck zur Antwort gegeben habe, er ziehe
es vor, König sowol über Schafe wie über Böcke zu sein. Seine
ruhige äussere Politik, die sogar mit SoHman harmonirte, liess
die Szlachta alle Reize der Ruhe und der Müsse schmecken; die
ökonomische Entwickelung und die Fortschritte waren erstaun-
hcb, aber Smolensk ging verloren; dem mit den Jagiellonen ver-
vaadt gewordenen Hause- der Habsburger wurde polnische Mit-
wirkung zutbeil, als es die Throne von Böhmen und Ungarn ein-
nahm, die nach dem Tode des letzten Nachkommen aus dem un-
garischen Zweige des Hanses der Jagiellonen, König Ludwig's II.,
gefallen in der Schlacht bei Moba6(1526), frei geworden waren.
Anch läset es sieb nur durch engherzige, dynastische Erwägun-
gen erklären, dass die Länder des deutschen Ordens, welche
bei Albrecht's von Brandenburg Uebertritt zum Protestantismus
Bäcntarisirt wurden, von Sigismund I. diesem seinem Neffen
von schwesterlicher Seite in Lebnbesitz gegeben wurden —
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22 Viertes Kapitel. Die Polen.
ein Schritt von den TerhäDgnisBTolIsten Folgen fSr Polen. In
der innern Pplitik Sigismund'B tritt deutlich die Rückkehr zn
den mittelalterlichen Ideen eines HeiTBchei's nach eigenem Recht
zu Tage, der sich nicht auf die Szlachta Btützt und die Magnaten
vorzieht. Intriguanten bekommen die Oberhand; die Königin,
eine Italienerin Bona Sforza, handelt mit Stellen und Aemtem;
ohne Controle werden die Mittel der Staatskasse verschwendet
und geraubt. Da wiegelte die Oppositionspartei der Magnaten
die Szlachta gegen den König auf, indem sie dieselbe dazu auf-
hetzte, die Steuern zu verweigern und die Gewalt des Königs
zn beschränken. Die 1538 bei Lemberg zu einem Felclzug nach
der Walachei versammelte Szlachta protestirte, statt ins Feld zu
ziehen, gegen die Handlungen des Königs und ging auseinander
(der sogenannte Hiihner-[Kartoffel-]krieg — kokosza wojna —
das erste Beispiel der dann folgenden sogannten Roko&ze). Die
immer mehr zur Erkenntniss ihrer Rechte kommende und von
den Magnaten dazu aufgestachelte Szlachta entwöhnte sich ihrer
Obliegenheiten ; gleichzeitig machte sie aber die Bauern definitiv
zu Leibeigenen.
Hauptdaten der alten Periode.
963. Markgraf Gero beeiegt den polnischen Fflraten Mtetzyslaw und
macht ihn tributpflichtig.
965- Mieczyslaw nimiiit die Taufe von cecbiBchen Priestern.
968. Gründung des ersten polnischen Bisthnms in Posen.
1000. Besuch Otto's Ut. in Gnesen; Errichtang des Erzbisthums da-
selbst.
1024. Boleataw Chrobry wird zum König gekrönt.
10.14. Unruhen nach dem Tode Mieczystaw's II.; Aufschwung des Hei-
denthums.
1040. Kazimir, der Sohn Mietzystaw'e II. besteigt den Fürstenthron.
1079. Der von der Kirche excommunicirte Boleelaw II., der Kühne,
ermordet den krakaner Bischof Stanislaw.
1124. Die Bekehrung des slavischeu Küstengebiets unter Boleslaw III.
Krzfwousty. Die Apostel thätigkeit des heiligen Otto.
1139. Tod Boledaw's III., Beginn der Tfaeilperiode.
1177. Kazimir der Gerechte setzt sich in Krakau fest.
1180. Der Congress zn L^csyca, der vermeintliche Anfang des Senats.
1226- Konrad, Fürst von Masowien, verleiht dem deutseben Orden das
Knlmer Land.
1241. Der Einfall der Mongolen; der Brand Krakau's; die Schlacht
bei Liegnitz.
1395. Przemyslaw wird zum König von Polen gekrönt-
..., Google
Die alte Periode. 23
1319- Kröanng Wladyelaw Lokietdc'e bu Krakau.
1331- Gesammtpolnischer Beichstsg zu Chfcinj.
1333' ThroDbesteigung KoKiniir's des Grossen.
1310. Eazimir vereinigt das galizische Kusstand mit Polen.
1347. Der Reichstag za Wislica.
1370. Der Tod Kazimir's des Grogsen; die Thronbesteigung Loys'.
1374. Der Congreas und Vertrag in Kaacliau.
1364. Ankunft der Königin Hedwig io Polen.
1386- Taufe, Vertnählang mit Hedwig und Krönung Wladyslaw's II.
Jagiello.
1387. Die Taufe Litauens, Gründung des Btstbums zu Wilna.
1387- Der Feldzng Hedwig'g nach Rotbrussland ; Sicherung desselben
(Qr Polen nach Vertreibung der ungarischen Beamten, die Loys
eingesetst hatte.
1400. Errichtung der krakauer Akademie.
1410. Niederlage des dentselien Ordens In der Schlacht bei Tannenberg.
1413. Beichstag und Union zn Horodto. Der litauischen Szlachta
werden die Rechte nnd Wappen der polnischen verliehen.
1444. Tod des Königs von Polen nnd Ungarn, Wladyslaw's IIL, bei
1454. Adel und Städte in Preussen bitten um die Einverleibung ihres
Landes. Die Nieazawer Statuten.
1466. Ende des preussiscben Krieges; Friede mit dem Orden zuTbom;
1468. Die Institution der iandschaftlichen (provinsialen) Abgeordnelen.
B^nn der reprüsentatiren Regierung.
1605. Das Radomer Privilegium des Königs Alexander. Dem Reichs-
tag wird die gesetzgebende Gewalt zuerkannt.
1525. Älbrecht von Brandenburg empfangt nach Niederlegung des Ti-
tels aines Grossmeisters des Deutschen Ordens zu Krakau die In-
vestitur auf das LehnfQrstenthum PreunseD.
1529> Au^sbe des ersten Litauischen Statuts.
1537. Der „HOhnerkrieg" ; die bei Lemberg unter den Waffen stehende
Szlachta zeigt offenen Widerstand gegen den König.
Wir haben in einer flüchtigen Skizze fast fünfhundert Jahre
der politischen Geschichte Polens, d. i. die grössere Hälfte der-
selben überblickt, sind aber noch nicht zum Anfang einer polni-
schea Literatur gelangt, weil sich aus den Zeiten vor dem
16. Jahrhundert nur sehr ännliche Ueberreste mündlicher Volks-
poesie und sehr schwache Anfänge eines polnischen Schriftthums
erhalten haben.'
' Eine sehr apeoiellc Foreuhung über die altpolnigche Sprache enthalt
iu Bach von J. Baudouin de Courtcnay: „O drevne-polskom jazyk^
de ZIT at«Utija" (Leipzig 1870).
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24 Viertes Kapitel. Die Polen.
Zur Zeit der Annahme des CbriBtenthams atandea die slavi-
sehen Stämme, welche das polntBche Volk bildeten, snf einer
sehr niedrigen Stufe der geistigen Entwickelung i sie hatten
kein SchriftweBen , nur eine sehr ärmliche Mythologie, die nicht
über den Naturdienst hinausging, und welcher nach dem
Zeugniss des Bischofs Thietmar von Merseburg, eines Zeitge-
noBEen von ßoleslaw Chrobry, jede Vorstellung eines künftigen
Lebens fremd war. Polen vermag nicht nur kein Epos aufzu-
weisen, das dem „Liede vom Heereszug Igors" oder den Rhap-
sodien der Königinhofer Handschrift gleichkäme, sondern besitzt
überhaupt kein literarisches Denkmal, das seinen Inhalt aus der
heidnischen Weltanschauung schöpfte und eine directe Verbin-
dung mit der alten heidnischen Zeit hätte. Eine ärmliche Volks-
poesie lebte als mündliche Ueberlieferung in Lied und Sage.
Infolge der Annahme des Christenthums nach römisch- katholi-
ßchera Ritus ward der volksthümliche Boden mit einer dicken
Schicht lateinischer Cultur überschwemmt, deren Quellen die
von der Geistlichkeit gegründeten Schulen waren. Die ältesten
derselben waren Klosterschulen, gegründet von dem alten Orden
des heiligen Benedictus und andern Orden; später finden sich
Dom- und Farocbialschulen vor. In diesen Schulen wurden die
Kenntnisse nach dem System des Trivium und Quadrivinm vorge-
tragen; ausser der römischen Kirchenliteratur wurden die classi-
scben römischen Dichter und HiBtoriker studirt. Die Schulen zer-
fielen in höhere und niedere; tur höhere galten die Domschule zu
Posen (Kollegium LubraAskiego, gegründet 1516) und die Schule
der Kirche der heiligen Maria zu Krakau. Wissensdurstige Leute
vervollständigten ihre Bildung durch Reisen und durch den Be-
such ausländischer Universitäten, als Bologna, Padua, Paris und
seit 1348 Prag. Als es nach den Händeln der Periode der
Tbeilungen Wladystaw Lokietek gelang, die zersplitterten Theile
des Reichs Boleslaw Chrobry's wieder in starker Hand zusammen-
zufassen, wurde von den polnischen Königen die Kothwendigkeit
erkannt, ihr Reich durch die Gründung einer Universität zn
Krakau zu schmücken. Der Sohn ISokietek's, Kazimir der Grosse,
suchte nach dem Beispiel Karl's IV., des Gründers der prager
Universität, auch eine Universität zu schaffen, indem er 1364 im
Dorfe Bawol (jetzt eine Vorstadt KrakauB, Kazimierz) das Stu-
dium generale mit dreiFacultäten, der juristischen, medicini-
Echen und philosophischen, eröffnete. Uebrigens gelangen diese
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Die täte Periode. 25
Versocbe nicht ; es maagelte ao ProfeBEoren , der Unterricht
hatte keineo Erfolg; zaletzt kam unter dem Nachfolger Kazi-
mir's, König Lo;b, dieses Institut ganz in Unordnung und
Verfall, und die polnische Jugend begann infolge dessen
hanfenweise die prager UniTorsität in Böhmen zu besuchen.
Die eigentlichen Begründer der ÜniTersität (Akademie) waren
die Königin Hedwig und Wtadyslaw Jagiello.- Auf Bitte der
Hedwig ordnete Papst Bonifacius IX. an, dass die wiederzu-
erricbtende Anstalt ausser den drei frUheren Facultäten noch
eine vierte, die theologische, haben solle. Die krakauer Uni*
Tersität wurde tod Jagiello 1400 (erst nach dem Tode d«r
Hedwig) feierlich eröffnet. Es wurde festgesetzt, dass ihr
Kanzler ex officio der Bischof von Krakau sein solle; diese Ab>
häogigkeit von dem krakauer Bischof, sowie das Vorhen'schen
der theologischen Facultat über die andern machten die krakauer
Akademie zu einem Torwiegend religiösen Institut, ' zu einer
Tochter der Kirche, zu einer Stütze der Scholastik. Dieser Rich-
tong blieb die Akademie treu, bis Polen selbst nntei^ng. Die
ksne Periode ihrer Blüte fallt mit der ßegierang der Dynastie
der Jagiellonen zusammen; and eben damals brachte sie eine
Reibe von bedeutenden Gelehrten hervor, wie den bedeutenden
Denker Gregor von Sanok, E^rzhischofTODLemberg (gest. 1477),
ferner Johann Gtogowczyk (von Glogau), den Er&nder der Phre-
nologie (gest. 1507), Nikolaus K op e r n i k (Gopernikus, 1473—1543),
den Historiker Johann Dlugosz. So lange die damals die Geister
bewegende religiöse Frage nur darin bestand^ innerhalb der Kirche
eine Reform herrorzuhringen, den Klerus zu bessern und die ver-
bUenen Sitten zu ändern, sjmpathisirte die krakauer Akademie
mit dieser Bewegung, unterhielt literarische Verbindungen mit
der prager Universität , schenkte hier and da den Lehren des
Hassitenthums Gehör, und ward auf einige Zeit zu einer Pflanz-
stätte des Humanismus, der Hauptsache nach aber stand sie auf
Seite der legalen Kirchenreform, und vertrat die Idee der Unter-
werfung des Papstes unter das Concil. Als jedoch der Protestan-
tismus auftrat und eine vollständige Spaltung hervorbrachte,
indem er sich definitiv von der Kirche trennte, zog sich die
Akademie von den Neuerungen zurück und scbloss sich in den
engsten orthodoxen Conservativismus ein, der einen vollständigen
Verfall ihrer frühern Bedeutung zur Folge hatte. Die Professoren
beiassten sich mit der Zusammenstoppelung dürftiger Bücher, mit
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26 Viertes Kspitel. Die PoleD.
theologiBchen Disputationen, mit der Astrologie; in der Akademie
herrechte ein achlechtee Kiroheulatein und eine vermoderte Scho>
laetik. Daa Volk ward gleichgültig gegen das erstarrte Ingtitut
Ganz in derselben Weise verfielen auch die der krakauer Aka-
demie unterstellten niedern Scbulen, die von ihr im ganzen
Reiche gegründet waren und verwaltet wurden, der Zahl nach
gegen 40- Sie war nicht im Stande, mit dem Protestantismus
einen erfolgreichen Kampf aufzunehmen; als jedoch die Jesuiten
zu der Lösung dieser Aufgabe schritten und überall ihre CoUe-
gien zu errichten begannen, kam die Akademie mit ihnen in
Streit, indem sie zu beweisen suchte, sie habe in Sachen der
Volkseraiehung das Monopol ; in diesem Streit um die Privilegien
ward sie besiegt.
Die einzige Schriftsprache war das Latein. Das Volk betete
polnisch und stritt sich vor Gehebt polniacb, aber die Predigten
and die Urtheilssprüche der Gerichtshöfe wurden lateinisch ab-
gefasst; in dieser Sprache ist auoh der erste Codex geschrieben,
der das polnische Landrecht enthält, bekannt unter dem Namen
des Wislicer Statuts. Die lateinische Kunstliteratur ist in Polen
sehr reich und umfaest zwei Hauptgattongen von Erzengnissen:
Annalen und Poesie, und zwar vorwiegend lyrische. In den
Annalen spricht sich in firemdländiscber Form der gesunde,
praktische Sinn des Volkes, ein warmer Patriotismas und ein
merkwürdiges Verständnise für die Interessen des Staats aus.
Obgleich selbst bis zum 16. Jahrhundert die Geschichtsschrei-
bung nicht aus den Händen des einzigen gelehrten Standes jener
Zeit, der Geistlichkeit, kam, so ist doch in den polnischen Chro-
nisten nur wenig von einsiedlerischer Ascetik zu merken; es sind
Leute des praktischen Lebens, die den eifrigsten Antheil an den
politischen, bürgerlichen, diplomatischen, ja sogar kriegerischen
Angelegenheiten nehmen; sie setzen oft durch ihr tiefes Verständ-
niss der Ereignisse und durch die künstlerische Keproduction der-
selben in Erstaunen.' Solche älteste Chronisten sind: ein Ge-
nosse des Königs Bole^w Krzywonsty, der Mönch Gallus (gest.
um 1113), ein Ausländer, der aber in Polen so heimisch gewor-
' Sehr ausführlich ist die polnische Gesuhichtsschreibung bin zum
16. Jahrhundert in dem vurzüglichcu Werke von Heinrich Zeissberg
dargestellt: „Die polnische GeschichtBBchreibung des Hittelslters" (Leipzig
1678).
...., Google
Die alte Periode. 21
den war, dass in seiner ErzäUniig, die mit Vereen durchmengt
nnd nicht ohne poetisches Colorit ist, eine Menge Poloniemen be-
merkbar wird; der Bischof von Krakau, Vincenz Kadtubek (gest.
1223), ein Anhänger Kazimir's des Gerechten und seiner Nach-
koDuneu, ein Schriftsteller, dessen Chronik eine solche Beden-
tong erlangte, dass sie in den Schalen als Handbuch zum Stu-
dinm der Taterlandischen Geschichte benutzt wnrde*; Godzislav
Baszko (gest. um 1273); der echarfe, talentvolle Janko von
Czarnköw, Archidiakonus von Gneeen (gest. nm 1384), Snb-
kansler Kazimir'e des Grossen; zuletzt der erste kritische Histo-
riker Polens, der Kanonikus von Krakan Johann Dlugosz vcm
Niedzielsko, dem Wappen Wienlawa angebörig (1415 — 80), der
Freund des Cardinals Zbigniew Oleänicki und des Königs Kazimir
Ja^ello, der Erzieher der königlichen Kinder, ein bedeutender Ge-
lebrter, geschickter Diplomat und grosser Staatsbürger mit einem
unbeugsamen und durch nichts befleckten Charakter. Sein gewal-
tiges Werk, die „Historia polonica" in 12 Biicfaem, die 25 Jahre
emsiger Arbeit erforderte, bildet die hauptsächlichste und bis-
weilen einzige Quelle Air die Geschichte der Regierung der drei
eisten Jagiellonen. Er schritt an die Arbeit, nachdem er sich
mit einem grossen Material von Dooumenten, Annalen, polnischen
Bowol wie ausländischen, versehen hatte; im Alter lernte er noch
russisch, um die russische sogenannte Nestor'sche Chronik zu
lesen.' Er besitzt einen stark ausgeprägten Patriotismus, hält sich
bestandig auf dem Standpunkt des Nationalstaates, liebt die Cecben
wegen des Hussitismus nicht, verhält sich ablehnend und fast be-
' Dt Bpätere Qaellen diesen Vinoeiu VinoentiaB Eadlubconis neonen,
Dod Bach bekannt Ut, (Iübb sein Vater Bogu«law, Gottlob hiesa, eo ist es
■cht wahrscheinlich, daae Eadtubek der verdorbene Vatersname des Hietori-
hers ist. Seine Chronik enthält alle die märchen haften Erzählungen vom
Anbng des polniBchen Volkes, die noch jetzt ein Bathscl und einen Stein
dea AastosaeB für die polnische Geschichte Schreibung bilden. Stoslaw £a-
^na> hat die Ervrählung Kadlubek's zum Bischof meisterhaft dargestellt:
nlhrie el^cje w PoUoe w XIII wieku" (im Ateneum, 1878).
' Uie erst« volUtänilige Ausgabe aller 12 Bücher des Dlngosz wurde zu
I^pzig 1711 von Heinrich ab Bayssen, dem Erzieher des Carevif AleksSj
Peirovif, veranstaltet. Die neueste vollständige Kammlung aller Werke des
DhigOBZ ward von Alexander Przczdziecki zu Krakau besorgt (6 Bde.,
1867—70); darunter befindet sich auch seine polniecbe Geschichte, ins Pol-
nüche äbersetzt von Karl MeoherEynski.
...., Google
28 Viertes Kapitel. Die Polen.
daaernd gegen ded Andrang litauischer und russischer Elemente
infolge der allmählich vorrückenden Union der Völker. Davon &b-
geeehen urtheilt er über Leute und Ereignisse ganz als Mann der
Kirche ; nach dieser Seite bio gehört er noch ganz dem Mittelalter
an und steht in einem scharfen Gegensatz zu zweien seiner Zeitge-
nossen, zwei leuchtenden Strahlen der aufgehenden Sonne des Hu-
manismus, Gregor von Sanok und demToskaner Callimachus.
Die Werke des erstem haben eich nicht erhalten, aber nach Beinen
Biographie zu schliessen, welche der ihm ergebene Callimachus ge-
schrieben hat, darf man annehmen, dass es ein Mann von hohem
Talent war, ein vorzüglicher Kenner der Glassiker, ihr Nachahmer,
ein Gegner der Scholastik, die er „somnia vigilantium" nannte.
Der wirkliche Name des Callimachus war Filippo Buonaccorsi
da Gimignano (gest. 1496). Dieser eingewanderte Italiener,
dem es gelang, in grosse Gnnst bei dem König Johann Albrecbt
zu kommen, der mit Polizian in Gorrespoudenz stand und seine
Werke Lorenzo Medioi widmete, liess eine unvertilgbare Spur in
der Literatur und Geschichte zurück. Als Diplomat wurde er
mit den schwierigsten Missionen betrant: nach den Berichten
Oregor's von Sanok schrieb er eine in künetleriBcher Beziehung
vortreffliche historische Erzählung von dem Kreuzzug W)a-
dyslaw's III. Jagiello gegen die Türken und von dessen Helden-
tod auf dem Schlachtfelde bei Varna (polnische Uebersetzung
von M. Gliszczynski: „0 krölu Wladysläwie czyÜ o kl^ce war-
neöskiej", Warschau 13£4). Er schrieb lateinische Verse; mit
ihm und dem Deutschen Konrad Geltes, der in Versen ver-
schiedene Städte und Theile Polens, die Weichsel, Krakan, Wie-
liczka bescbrieb, beginnt eine Reibe von lateinischen Dichtem
der Renaissance in Polen, deren Einfluss auf die Entstehung
einer polnischen Nationalliteratur im 16. Jahrhundert unzweifel-
haft ist. Es gibt noch in der polnischen Literatur apokryphe
„Rathschläge des Gallimacbus an den König", 35 kurze Anweisun-
gen im Geiste von Machiavelli's „II principe" — darüber, wie man
den Senat in die Hand bekommen, die Landstände beseitigen, sich
auf das Volk stützen und auf den den Italienern so wohlbekann-
ten Wegen znr SelbBtherrschaft gelangen könne. Diese „Rath-
schläge" hat GallimachuB nicht geschrieben, aber sie stellten Geist
und Tendenz seiner Politik ziemlich treu dar. Diesem apokry-
. phen Pamphlet kann man die Denkschrift des Doctors der Rechte,
des Barons und „Castellans" Johann Ostrorog („Monumentum
ü,g :.._.. ..Google
I>ifl alte Periode. 29
pro ordinanda republica'^) entgegenstellen, die dieser auf dem
Reichstage des Jahres 1459 vorlegte, über diejenigen Reformen
im Staatsoi^anismuB , welche am Mitte des 15. Jahrhunderts
wuDscbenswerth waren.* Ostrorog (ge»t. 1501) ist der würdige
Stammvater aller der zahlreichen „Statisten", d. i. Staatsmänner,
die fortwährend an eine Verbesserung (naprawa) der Republik
dachten, und deren Werke bis zn dem vierjährigen Reichstag
hin fast den reichsten Zweig der Literatnr bilden. Er Ist
Monarchist, möchte in eine möglichst selbständige Stellung Rom
g^eniiber gelangen. Indem er für das geschriebene Recht ein-
tritt, schlägt er eine einheitliche Gesetzgebung vor und die Auf-
steUuag eines Gesetzes statt der bestehenden zwei, nämlich
des polnischen Land- und des deutschen bürgerlichen Recbts,
strebt nach Abschaffung der Zünfte und nach einer obligatori-
schen Anwendung der polnischen Sprache in der Predigt and im
öffentlichen Leben.*
Von einer polnischen Nationalliteratnr kann in dieser Periode
noch nicht die Rede sein; nur sehr wenige Denkmäler eines
polnischen Schriftwesena sind vorhanden; es beginnen, dem
Lallen der Kinder gleich, primitive Versuche einer Poesie in der
roheo, anbearbeiteten Volkssprache. Es sind unzweifelhafte Spu-
ren vorhanden, dass in den ältesten Zeiten das cyrillische Alpha-
bet in Polen in Gebrauch war, und dass es bis zum 13. Jahr-
hundert von den Benedictinem angewendet wurde, aber in
diesem Jahrhundert verfiel der Orden, an Beine Stelle traten
die CistercieuBor, Prämonstratenser, Dominikaner, die sich we-
niger wohlwollend gegen das slavisch • polnische Volksthnm vei^
hidten, and deren Einflnss man es zuschreiben mag, dass die
CfrilUca von dem lateinischen Alphabet verdrängt wurde; die mit
(^rillica geschriebenen Handschritten sind aber insgesammt ver-
schwanden, sie wurden vergessen oder wol gar im 15. Jahr-
' L. Wegner, „Jod Oetrorog i jego Panuftnik" (Pobmi 1869). Keoe
AugBb? in den Arbeiteii der krakaaer Akademie der WiBsenschaften.
' Im 5. Bande der Pablicationen der krakauer Akademie der WiBsen-
Mbtfleii 6ndet sieh ein »ehr intereeBanter lateiniBcber Tivctat von Sta-
tidvw Zaborowski über die königlii^hen Güter und die Verbesserung
dea StatitB. DieBer Tractat, in den ersten Jahren des 16. Jabrhnaderts ge-
•chrieben nnd 1507 beransgegeben, le^ die Bedeutung der Reform deB Kd-
nigi Alezander dar.
...., Google
30 Vierte« Kapitel. Die Polen.
hundert von der Geistlichkeit vernichtet, welche, vom Hus-
eitenthum erschreckt, von dem Zeitpunkt an die altslavische
Schrift mit änsseretem Argwohn betrachtete. ' Da die slavi-
schen Sprachen mehr Laut« haben als die lateinische, so zwang
die Nothwendigkeit, das lateinische Alphabet zu erveitern und
es zum Ausdruck dieser Laute geeignet zu machen, d. h. es
musste durch die Erfindung neuer Zeichen vervollständigt wM-
den. In der Rechtschreibung macht eich eine grosse Unord-
nung und Unklarheit bemerkbar, jede Generation schreibt anders.
Im 15. Jahrhundert versuchte der Schöpfer der polnischen Gram-
matik, Jobann Parkosz ans 2örawica, Kanonikus in Krakau (gest.
nach 1451), orthographische Regeln aufzustellen; er rieth das j
(Jod) anzuwenden, sowie die Nasaleu 4, g, diakritische Zeicheo
und Striche zu setzen (ü, &, l u. s. w.) Als erste Arbeiter auf
dem Gebiete des polnischen Schriftwesens traten Geistliche auf,
die das gewöhnliche Volk beten zu lehren hatten, und da das
Christenthnm nach Polen ans Böhmen gekommen war, und die
£echische Sprache früher als die polnische eine literarische Bearbei-
tung empfangen hatte, so wurde die letztere gleich von Anfang an
stark von der erstem beeinflusst. Dieser Einfluss macht sich in
bemerklicher Weise bis ins 15. Jahrhundert geltend. Als Beweis
dafür können Bruchstücke dienen, die sich von einer Sammlung
von Kirchenliedern, bekannt unter dem Namen des „Gancionals
von Pi-zeworszozyk" (1435) erhalten haben; der Stil dieser,
grösstentheils aus dem Öechischen entlehnter Lieder strotzt
von Cechismen. Das älteste der Kirchenlieder wird von der
Ueberlieferung dem heiligen Adalbert (Wojciech), Bischof von
Prag und Apostel der Pomment (gest. 997), zugeschrieben. £&
ist das Lied von der Mutter Gottes (Bogorodzica) , welches
seit Boleslaw Chrofary von den Kriegern gesungen wurde, wenn
sie in die Schlacht zogen; es fand sich auch immer auf den
ersten Seiten der Gesetzsammlungen und galt bis zum Untei^ng
Polens flir die Nationalhymne der Polen. Der ursprüngliche Text
dieses Liedes ist nicht auf uns gelangt; von den zwei ältesten
Abschriften desselben fallt die eine ins Jahr 1408, die andere
ins Jahr 1456. Es wuchs immer mehr an durch Hinznfügung
neuer Strophen in jedem Jahrhundert, ja selbst die Sprache än-
derte sich, sodass sie rein polnisch wurde, während sie ursprüng-
:t>wicz, HiRtor. lit. pohk., I, ',
.,GüÜg[f
Die &1U Periode. 31
bch höchst wahrscheinHch dem öecbischen näher stand. Der
VoUnaprache erwies die Kirche grosse Dienste. Als sich im
13- Jahrhnndert, infolge der Tatareoeinfälle, in dem entvölkerten
Iisnde massenhaft deutsche Colonisten anzusiedeln begannen,
Dörfer und Städte gründend, trat die polnische Geistlichkeit
für die polnische ^rache ein und rettete sie vor dem das
Land überschwemmenden Gemianenthnm. Durch die Synodal-
ferordnongen der ErzhischÖfe von Gnesen Fulko (Pelko)
1207 und Jakob Swinka wurde den Geistlichen vorgesohrieben,
dem Volke in polnischer Sprache zu lehren: das Vaterunser,
Ave Maria, den Glauben und das Confiteor; den Pfar-
rern ward befohlen, Schalen zu gründen und in denselben
als Lehrer nur Personen anzustellen, welche der polnischen
Sprache mächtig wären. Mit dem Ende des 13. Jahrhunderts
beginnen Uebersetzungen der Heiligen Schrißi in die polnische
Sprache, unter denen besonders bemerkenswerth sind: „der
Psalter der Königin Margaretha" (heransgegegeben 1834 in
Wien), der aber wahrscheinlich falschlich diesen Namen trägt,
weit er allem Anschein nach Maria, der Tochter des Königs Lojs,
angehörte, und „die Bibel der Königin Sophie", der Gemahlin
desWtadystaw Jagiello (herausgegeben in Lemberg 1870). Auch
haben sich ans dem 15- Jahrhandert fünf Lieder religiösen In-
halts erhalten, die man dem Prior des Klosters zum heiligen
Kreuz auf der liysa Göra, Andreas Ton &iu^ oder Slopu-
chowski (gestorben nach 1497) zuschreibt, und die durch ihre
«nnaebahmliche Naivetat, Herzlichkeit und Lebhaftigkeit der Far-
ben im Geiste des reinsten Katholicismus bei weitem alle folgen*
den Entengnisse solcher Art übertreffen. In diesen Liedern wen-
det sich der Dichter an die Jungfrau Maria, indem er sie nennt
„Mütterchen Gottes, schöner als die Kosen des Paradieses, über-
irdische Königin, Stern des Meeres, helle Moi^enröthe, Sonne
des ewigen Lichte — mit ihr kann sich nicht vergleichen die
Lilie an Weisse, noch die Rose an Schönheit, noch der Lasur
an Werth, noch die Nnrde an Wohlgemch. " ' Die reinen,
' Wir fähren noch eine Stelle an, welche die Klagfe der GotteBmnUer
«tn Kreoze ausdrückt: „Lieber Sohn! o dsss ich dich hier unten hatte —
■eil würde dir ein wenig helfen — dein Köpfchen hän^ nach der Seile,
ich würde dir es stützen — BInt fliemt, an dir herunter, ich würde dir ea
■bwiicben. — Nach Trank rufst du, ich würde dir aa trinken geben — doch
uk kuiD deinen heiligen Körper nicht heben."
...., Google
32 Viertes Ki^itel. Die PoIcd.
ruhigen Aocorde dieser kirchlicbeo Lyrik werden zuweilen yod
den grellen Lauten der hussitischen Propaganda durcbbrocbeD.
Von einem der Anhänger der neuen Lehre, dem Professor der
Akademie zu Krakau, Andreas Galka von Dobczyn, der um
Mitte des 15. Jahrhunderts lehte, und durch den Cardinal Zhig-
niew Oleänicki ans Krakau vertrieben wurde, bat sich eine
Lohhymne auf Wiklef erhalten, die hemerkenswerth ist, nicht
durch das Talent des Verfassers, dessen sich wenig in diesen
Versen findet, sondern dadurch, dass damit der Versuch gemacht
wird, das Lied zu einem Werkzeug der religiösen Propaganda
zu machen.
Neben der alten kirchlichen Lyrik brach sich eine neue Strö-
mung Bahn — die Tolksthumliche, weltliche und lyrisch-epische
Poesie. Das Volk hatte sein episches Alterthum vergessen, voll-
brachte aber nach Annahme des Christenthums viele ruhmvolle
Thaten, indem es ein mächtiges Reich schuf und es vielmals auf
dem Schlachtfelde vertheidigte ; das NatioDalbewnsstsein kam in
vielen Liedern und Dumen kriegerischen und andern historischen
Inhalts zum Ausdruck, die uns fast nur den Titeln .und den An-
fangsversen nach bekannt sind. ^
In die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts fällt auch das
erste historische Buch in polnischer Sprache, das jedoch nicht
von einem Polen geschrieben ist. Es ist dies die türkische
Chronik des sogenannten „Janitschar". Von Jire^k („Roz-
pravy", Wien 1860) ist nachgewiesen, daes dieser Schriftsteller
der Serbe Michael Konstantinovifi aus Ostrovica war, und dass
seine Annalen, welche die Niederlage Wladyslaw's III. bei Varua
und die Niederlage Johann Albrecht's in der Bukowina be-
schrieben, wahrscheinlich in Polen nnd in polnischer Sprache
verfasst worden sind, ans der sie dann ins Oechische übersetzt
wurden.
> A wit>^ te uam, witsj mity hospodynie (Und bo sei hhb denn will-
kommen, gnädiger Herr) — bei der Rückkehr dw Königii Kazimir, des Wie-
derheratellera, nach Polen; das Lied vom Frieden BRuhluss des Bolealaw Krz;-
wouaty mit den Pommern; das Lied von der Ludg&rd, der Fran de« Königs
Przemjrßtaw; da« Lied vom Voigt Albert zu Krakau, der aich gegen Wla-
djBtaw Lokietek empörte; das Lied von der Sablauht bei TanoeDberg:
„idiie Witold po nlicy, przed nim nioB^ dwie ezablioy" (Witold zieht die
Strass' entlang, ihm voran zwei Säbel blank).
.y Google
DftB goldene Zeitalter.
t Das ^Idene oder olasaiBOhe Zeitaltar du* Literatur (1548—1606).
Diese Periode dauerte etwas über ein halbes Jahrhundert.
MäD Denot sie die goldene oder die ciassieche, auch wol die
Sigismundische , obgleich die letztere l^enennung insofern nicht
richtig ist, als die Regierungszeit Sigismund'B I. keine bedeu-
teDden Dichter und Schriftsteller, ja nicht einmal bedeutende
Historiker herrorbrachte und sich am Ende der Kegieruug Sigis-
mnnd's III. in der Literatur schon deutlich der Verfall bemerk-
bar machte. Der Anfang der Periode fällt mit der ThronbeBtei-
gong des letzten Jagiellonen, Sigismund August, zasammen, und
öe bricht in der Mitte der sehr langen Regierung (1586 — 1639)
S^mund's III. ab, als schon die grossen Sterne des polnischen
PamasB erloschen, ja sich auch im Baa der Republik selbst
Risse zeigten — die Symptome des unabwendbaren und frühen
Verblühena und Verfalls einer frühreifen, aber zugleich glän-
zenden Cinlisation. Als Grenze, welche diese Periode tob der
folgenden trennt, kann man das Jahr 1606 bezeichnen, in wel-
chem zu Moskau- der erste von den Polen auf den Thron ge-
setzte Usurpator umkam, und der bewaffnete Aufstand gegen
den König ausbrach, der unter dem Namen des Rokoaz Zebrzy-
dowski's bekannt ist.
Die Hauptmomente der politischen Geschichte waren folgende.
Das von den Händen ungebildeter mittelalterlicher Krieger und
lömisch-kathoUscher Geistlicher aufgeführte und von den Huma-
nisten oberflächlich mit Stuck bekleidete Gebäude stand fertig
da bis zum Dach. Der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
fielen die letzten Arbeiten zu — der Scbluss der Gewölbe, die
de6nitive Vereinigung des Königreichs Polen mit dem Gross-
förstenthnm Litauen, über welche sich ein unverdächtiger
Zenge, der deutsche Gelehrte Hüppe, so äussert: Die Lnbliner
Union vom Jahre 1569 war ein Meisterstück, das jeder stu-
diren muas, welcher wissen will, wie die Gehässigkeiten und
entgegengesetzten Interessen der Landeetheile befriedigt und den
Interessen des Ganzen untergeordet werden können, — Wir
nehmen diese Ansicht an, aber mit Vorbehalt. Die Union war
ein schweres Werk und konnte nur durch Einigkeit bestehen;
letztere wurde jeden Augenblick durch den litauisch- russischen
Pma, SlBTlMb« LlltrBtBna. II, I. 3
ü,g :.._.. .,(^iÜOglC
34 Viertes Kapitel. Die Polen.
Färticalarietnus und durch das Magnatentham in Frage gestellt
&\)er die Instincte der Litauen aufgepfropften Szlachta, die
Liebe zur Gleichheit und Freiheit, welche den adeligen Demos
der zur Szlachta gewordenen verschiedenen Stande des Dienstadels
beseelte, bekamen die Oberhand. Die Vereinigung nahm König
Sigismund August vor, der letzte seines Geschlechts, und sie
vollzog sich um den theuern Preis der Reste der königUcheu
Gewalt, derjenigen selbstherrlichen ererbten Rechte auf das
Staramlancl des Königs, Litauen, deren er 1564 auf dem Reichs-
tag zu Warschau enteagte. Zu der Saumseligkeit des Vaters
gesellte sich bei ihm noch italienische List und Gewandtheit.
Er erreichte es, dass durch den Äbschluss der Union zu
Luhlin im Jahre 1569 zwei getrennte Reichstage unlöslich in
einen verschmolzen, aus zwei Reichen eins wurde, ein Wahl-
reich, das allen Eventualitäten eines Interregnums ausgesetzt
war. Aber die Vereinigung war keine definitive, keine per-
fecte ; zu Gunsten des stolzen , hochgeborenen litauisch - rus-
sischen Magnatenthums und diesem zum Opfer blieb eine be-
sondere Regierung für Litauen bestehen, es blieben besondere
litauische Minister neben den Kronministem : zwei Hauptcomman-
direude oder Hetmane (eine nicht senatorische Würde, die unter
Sigismund I. gestiftet wurde), zwei Kanzler (ein Kanzler und ein
Uuterkanzler), ein Schatzmeister u. s. w. Dieser Process der Ver-
schmelzung der Krone Polens mit dem Grossfürstentbum Litauen
fand gleichzeitig mit einer andern Erscheinung statt, einer ge-
waltigen Weltströmung, die Gesammteuropa ergriffen hatte, und
die auch mit starkem Wellenschlag über die Oberfläche des pol-
nischen Staates ging — der Reformation. Wie in Westeuropa
war auch in Polen ihr Vorläufer der HumanismuB, die ver-
meintliche Rückkehr zu den antiken Mustern, die Versuche,
den Reichstag einer athenischen oder römischen Volksversamm-
lung ähnhch zu machen, die landschaftlichen Abgeordneten als
Volkstribunen, die Szlachta als den zur Regierung bestimmten
Stand anzusehen, von dem jedes Glied eine fast unbegrenzte
Freiheit geniesst, folglich auch die des Gedankens und des
Gewissens. Die polnische Constitution machte den Neuerungen
von Wittenberg und Genf die Thore weit auf. Im Jahre 1530
ward die Frage der Straflosigkeit von Vergehen gegen die
Kirche auf die Spitze getrieben, als einer der talentvollsten, aber
auch charakterlosesten Menschen jener Zeit, Stanislaw Orze-
Das f^oltlene Zeitalter, 3&
cbowEki, ein Ruesioe and Priester, Propaganda für die Ehe geist-
licher Personen zu machen begann and sich selbst verbeirathetc.
Vom Bischof vor da» geistliche Gericht geladen, wiegelte Orze-
chowski die ganze Szlachta gegen die Geistlichen auf, wobei die
Berechtignng des bischoflichen Ketzergerichts bestritten wurde,
als im Widerspruch mit dem Grundsatz: „neminem captabimus
nisi jure victum." Die auf dem Reichstag von 1552 vertagte
Frage in der Angelegenheit Orzechowski's ward durch die Con-
rtttotion von 1562 dahin entschieden, dass sich die weltliche
Uacht weigerte, die Entscheidungen geistlicher Gerichte über
Dissidenten zur Ausfuhrung zu bringen. Im Schose der Kirche
selbst fand eine Spaltung statt. Der Primas Uchajiski schwankte
zwischen dem Katholicismns und der Reformation, schirärmte
TOD der Errichtung einer von Rom unabhängigen nationalen
Kirche. Ein ihln nahestehender Mann, ein Schüler Melanchthon's,
der Protestant Andreas Fr. Modrzewski (1503 — 72), Verfasser
des berühmten Werkes: „De republica eniendanda" (15f>l)',
machte den Vorschlag, eine Nationalsynode zu berufen, zu der alle
Bekenntnisse einzuladen wären. Der König sollte mit der Sy-
node in Glaubenssachen (Jesetze geben und die Kirche nach Art
der anglikanischen eingerichtet werden. Es wäre nur nöthig,
sich von der römischen Suprematie freizumachen, die Priester-
ehe, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, den Gottesdienst
in der Volkssprache einzuführen, sich dem östlichen Katholicis-
mos zn nähern, indem man in allem übrigen Dogma und Hier-
archie unberührt liesse. Für den König standen die Dinge
nberans günstig: nachdem man die Nothwendigkeit erkannt,
im König alle Kräfte zu concentriren und ihn an die Spitze
mr Durcbfnhmng der religiösen Reform zu stellen, belebten
uch die monarchischen Gefühle in der Szlachta und traten mit
noerhörter Kraft hervor; das unter dem Vater Verdorbene
konnte auf einmal verbessert und hergestellt werden. Die
Szlachta strebte nach der sogenannten Execntion (der Aus-
(iihning des Statuts Alexander's von 1504 über die ungesäumte
> Ceber Modrzewski ver^l. die Artikel von Malcuki in „Bibhoteba
Ossoliiiakich", V. Bd. (]8fi4); die Artikel von Tarn.i wski in „Przegl^d
Polski", I86I-C8; zwei Vorlesungen von VI. Lanianskij am K. u.26, Febr.
1674 in der St. peteraburgpr Alitheilung des slavigchen Comit^a über Ostro-
rag ood Modnewaki (im „Golos", 1874, Nr. 44 u. 60).
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36 Viertes Kapitel. Die Polen,
und UDvergUtete Rückgabe aller von Hofleuten unrechtmäsBi-
gerweise verkauften, verpiandeten oder geraubten Staatalän-
dereien an die Krone — eine Maseregel, die dem Magnaten-
thum mitten ins Herz gerichtet war, indem dadurch eine Menge
leicht erworbener Vermögen vernichtet wurde). Der Konig ver-
passte die Zeit, untergrub das Magnatenthum nicht an der
Wurzel, kräftigte seine Macht nicht. Die Execution kam nur
wider Willen und halb zu Stande; den vierten Thei) der
Einkünfte auB den königlichen Gütern oder die sogenannte
„Quarta" opferte der König 1563 auf das reguläre Militär —
eine unzureichende Summe, ein ärmliches Mittel, das noch
dazu die falsche Idee förderte, es sei eine Sache und Pflicht
des Königs, die Armee üu unterhalten. Alle Krongüter wur-
den in Starosteien getheilt und nach dem Gutdünken des
Königs auf Lebenszeit gegen eine niedere Pacht an verdiente
Leute (panem bene merentes) abgegeben. Für den König hatten
sie nur die Bedeutung eines Mittels, sich zweifelhafte Anhänger
zu verschaffen, und die Zahl der Unzufriedenen noch aus denen
zu vermehren, welche hei der Vertheilung übergangen waren.
— Auf die Seite des Protestantismus trat der König nicht, son-
dern als gegen das Ende seiner Regierung der Protestantismus
abzublühen begann, regenerirte sich der Katbolicismus, kräf-
tigte seine Disciplin und organisirte die Hierarchie. Es begann
eine neue Strömung, die auch viele Monarchen zur Kräftigung
ihrer Macht benutzten. Sigismnnd August verhielt sich auch
dieser Wiedergeburt des Katbolicismus gegenüber ganz ebenso un-
entschlossen; als 1564 der päpstliche Legat Coromendoni mit den
Verordnungen des Tridentiner Conoils nach Polen kam, schwankte
der König, der von Rom die Scheidung von seiner ihm verhass-
ten Frau (Katharina von Oesterreich) nicht erlangt hatte, bis er
schlieeslich doch nachgab, überwunden durch den Geist und die
Beharrlichkeit des Legaten. So blieb also der König passiv xwi-
schen zwei gewaltigen religiösen und politischen Parteien , die
sich zum Kriege bereit machten und sich schon im Geiste in
das Erbe theilten, das nach seinem Tode frei werden sollte.
Das Niveau der politischen Begriffe, die sich unter der Herr-
schaft des Parlamentarismus und der bürgerlichen Freiheit ent-
wickelt hatten, war jedoch so hoch, dass gleich im hochbedeut-
samen Moment des ersten Interegnums die rein bürgerliche Idee
des obligatorischen Friedens zwischen den GlanbensbekenntnisseQ
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DaB goldene Zeitalter, 37
»oT dem Boden des Gesetzes, d. i. das, was man jetzt Toleranz
nennt, auftrat und mit einem mal angenommen wurde. Auf dem
Reichstage zu Warschau nach dem Tode von Sigismund August
Terpflichteten sich alle Stände der Republik durch die berühmte
Cooföderation vom 28. Januar 1573, unter dem frischen Eindruck
der Bartholomäusnaclit in Frankreich, eidlich, auf ewige Zeiten
Frieden zwischen den religiösen Dissidenten zu halten (indem
man aucfa die Katholiken unter diesem Worte mit begriff), der
Religion halber kein Blut zu rergiessen, noch einander zu ver-
folgen und ZQ strafen.* — Die erste freie Königswahl kam zu
Stande. Die Art und Weise ihrer Handhabung wurde auf eben
demselben Yom Primas als Interrex berufenen Congress bestimmt,
gemäss dem Vorschlag des jungen und noch nicht zu Ansehen
gelangten, aber populären Starosten von Beiz, Jobann Zamojfiki,
der dahin ging, dass den König nicht der Senat und die Abgeord-
neten zu wählen haben, sondern die ganze zusammengekommene
Silachta, Mann förMann, unter Abnahme der Stimmen nach den
Wojewodschaften, Dieser Vorschlag wandelte die Wahl in ein
Hazardapiel um, in dem zuletzt die numerische Ueberlegenheit
und die bewaffnete Macht entscheiden mnssten, wobei eine
Einmischung Fremder unvenneidlich war. Aber anfangs gingen
anch diese gew^ten Versuche glücklich von statten. Nach
der mislongenen Episode mit Heinrich von Valois wurde aof
den Thron ein genialer Mann gewählt, der Ungar Stephan
Batory (1526—66), Protestant der Erziehung nach, Katholik
am politischen Erwägungen. Er hielt die Zügel der B^ie-
nmg mit fester Hand, führte auf dem Reichstag von 1578 die
Gerichtsorganisation durch , mittels Gründung der sogenann-
ten Tribunale, höherer Gerichte letzter Instanz, nämlich eines
Krontribnnals und eines Tribunals für Litauen, bestehend aus
Bichtem, die von der Szlachta auf den Reichstagen gewählt
wurden; zähmte femer die Magnaten in der Person Zborowski's;
hob den mittleren Adel in der Person Zamojski's, und verlieh,
nachdem er das Volk in den Krieg gegen Moskau fortgerissen.
' Das Schöne dieser Verorduosg verdirbt der charakteristieche Punkt 4,
welcher beweist, daae auch die Toleranz für ein Privilegium der Szlachta
galt. In diesem Punkte wird gesagt, dass die Conföderation die Macht der
UeTTen über die Leibeigenen tarn in saecularibus quam in apiritua-
libai nicht verringern dnrfe.
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38 Viertes Kapitel. Die PoIcd,
den polnischen Waffen einen unerhörten Glanz und Kuhm. Die
Opposition gegen die Absichten und die Politik des Königs war
stark; seine auf äussere Unternehmungen gerichteten Pläne dien-
ten ebenfalls dazu, die Opposition zu verstärken; diese Pläne
waren colossal: die Unterwerfung Moskaus und dann die Ver-
treibung der Türken aus Europa. Die Szlachta, der er impo-
nirte, folgte ihm jedoch und unterstützte ihn. Die Pläne Ba-
tory's wurden durch seinen Tod unterbrochen. Das ganze gegen
ihn gährende Misvergnügen kam an seinem nächsten Genossen,
dem Kanzler und Hetman Zamojski, zum Ausbruch, der jedoch
so mächtig war, dass er nach Ueberwindung seiner Feinde,
welche die österreichische Partei bildeten, einen Nachkommen
des Hauses Jagiello in weiblicher Linie, Sigismund III. Wasa,
auf den Thron setzte.
Wenig begabt, eigensinnig, ein Fanatiker mit engherzigen,
klerikalen Ansichten, erzogen in den Begriffen einer unumschränk-
ten Gewalt nach göttlichem Recht, stürzte Sigismund III. von
seinem väterlichen Thron in Schweden und wurde auch in Polen
nicht populär. Da er nicht im Stande war, offen zu wirken, führte
er seine geheime Cabinetspolitik, neigte sieb einem Bündniss mit
Oesterreich zu, opferte die Interessen Polens, nur um den schwe-
dischen Thron wieder zu erlangen. Sogar das gefiel den Zeit-
genossen an ihm nicht, dass er an einen Krieg mit der Türkei
mehr aus religiösen, als aus politischen Motiven dachte; diese
Absichten entsprachen dem Geschmack der Szlacbta nicht, die
sich immer mehr an friedliche Beschäftigungen gewöhnt hatte,
und sogar schon Batory widerwillig gefolgt war. An der Spitze
der Opposition stand jetzt Zamojski. Auf dem sogenannten In-
quisitionsreichstag im Jahre 1592 wollte diese Opposition mit
dem König rechten, forderte eine Untersuchung seiner verfas-
sungswidrigen Handlungen. Nach dem Tode Zamojski's wuchs
der Zwist zu einem Bokosz an, d. i. zu einem offenen Bürger-
kriege zwischen den Royalisten und den Aufetändiscben , in
deren Lager sich alle nichtkatholischen Bekenntnisse befanden.
Der Kampf fand zu derselben Zeit statt, wie die von dem Könige
ausgerüstete Expedition des Usurpators nach Moskau, ein Privat-
unternehmen, an dem sich ehrgeizige Magnaten, die von Chmel-
nickij sogenannten polnischen Königlein, adelige Abenteurer,
östliche Cortez und Warren-Hastings betheiligten. Die Aufstän-
dischen wurden bei Guzöw geschlagen 1607. Allein der König
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Da5 goldene Zeitalter. 39
wurde noch mehr durch KeichBtagsconstitutioneii beschränkt,
in die ein Theil des Programms der Aufständischen überging.
Am stärksten litt der Protestantismus, der Geist der politischen
Beformeo verschwand, es kamen andere Zeiten.
Die Ursachen des nahenden Verfalls könuen erst jetzt, aus
dtf Ferne, verfolgt und diu^elegt werden; in jener Zeit beachtete
m&n die kleinen Gewitterwolken nicht, die sich am Horizont zu-
Bammenzogen. Die Republik stand im Laufe des ganzen 16. Jahr-
hunderts im Vergleich zu den damaligen Staaten Westeuropas auf
der höchsten Stufe der Zufriedenheit und Ordnung, und barg
in sich zwei unumgängliche Bedingungen des Wohlstandes: Macht
nach Aussen and bürgerliche Freiheit im Innern. Polen war sehr
mächtig. Seine Besitzungen dehnten sich von den baltischen Küsten
bis EU den jetzigen neurussischen Steppen und von den Karpaten
bis weit über die Dvina und über den Dnepr hin aus. Die
Erben zweier eingegangenen Ritterorden, des Deutscheu Ordens
und der Schwertritter, der Fürst von Preussen und der Herzc^
von Karland, standen in Lehnsabhängigkeit von dem König
von Polen. Seisem EintluBs war die Moldau und Walachei unter-
than; zahllose Herren aus Litauen und Russland umgabeb den
König. Die gewaltigen materiellen Mittel der Republik gewähr-
ten ihr vollständige Sicherheit vor äussern Feinden und gaben
ihr die Möglichkeit, ihre ganze Thätigkeit der Innern Ent-
«idcelang zuzuwenden. Die letzten beiden Jagiellonen unter-
hielten sogar freundschaftliche Beziehungen mit den Feinden der
gesammten Christenheit, den türkischen Sultanen Soliman und
Selim U. Unter dem Schatten des holden Friedens verwandelte
sich Polen, einst ein kriegerischer Eroberungsstaat mit Gefolg-
wesen und Kriegerversammlungen, endgültig in einen Staat von
Grundbesitzern und Ackerbauern. Die Szlachta, die in (irühem
Zeiten ein ritterlicher Stand hiess, ward jetzt vorvriegend ein
Landadel (ziemialtetwo); politische Vollberechtigung besitzen
nnr Grundbesitzer adeliger Abkunft (bene nati et possessionati).
Die Szlachta verfügt über altes: sie hat die örtlidie Selbstver-
vsltnng der Landschaften in den Händen-, sie wandelte die kö-
nigliche Gewalt mittels der Königswahl in eine von ihr abhän-
gige Institution am ; sie nimmt an der gesetzgeberischen Gewalt
mit dem König und dem Senat theil mittels ihrer landschaft-
lichen Nuntien oder Boten, die nach den ihnen von den Land-
schaften gegebenen Instructionen bandelten, and an der Ge-
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40 VierteB KByitel Die Polen.
richtabarkeit mittels gewählter Richter. Seihst der Senat oder
der königliche Bath war eine reine ÄdelBinetitution , weil er aae
hohem Würdenträgern bestand, staatlichen, landBchaftlichen,
geistlichen und weltlichen, die zu diesen Wurden aus der Mitte
der bedeutendsten Grundbesitzer vom König ernannt wurden.
Der polnische Edelmann verachtete Industrie und Handel, die
er den Städtern, Ausländern, Juden überliess; in seinen Augen
waren nur der Ackerbau und der Staatsdienst im Civil- und
Militärwesen Beschäftigungen, die sich für ihn schickten. Die
ganze Szlachta repräsentirte gewissermassen eine einzige Brüder-
schaft von zugleich Ackerbauern und Kri^em, die bereit war.
Mann tär Mann zu den Waffen zu greifen, um im Falle der
Noth eine Gefahr abzuwenden, aber nur Vertheidigangskriege
führte und sehr argwöhnisch auf die Eroberungspläne derjenigen
Herrscher blickte, die von einem mehr kriegerischen Geiste be-
seelt waren (z. B. Eatory), aus Besorgnies, die Gewalt des
Königs könne sich zum Nachtheil der Freiheit der Szlachta
vergrössem. Die polnische Poesie lieht es, diese friedliche
Stimmung des Geistes in folgendem charakteristisohen Bild dar-
zustellen: ein armer Szlachcic, der sich innerlich für ebenso
viel hält, wie jeder beliebige Wojewode, ackert die Erde, nach-
dem er den Säbel abgeschnallt und die Klinge in die Grenze
seines Stammguts gesenkt hat.
Das jetzige Russland nennt man bisweilen einen Bauern-
staat; ganz ebenso konnte man Polen einen Gutabesitzerstaat
nennen. Beide Attribute enthalten weder eine Kritik noch einen
Tadel in sich, sondern nur die einfache Anerkennung einer
Thatsacfae; sie bezeichnen, dass die Hauptkraft Russlands un-
streitig im gemeinen Volke liegt, während die Hauptkraft Polens
von der grundbesitsenden Szlachta gebildet wurde. Aebnliche
' Elemente bestanden auch im alten Rossland im Ueberfluss, aber
sie wurden durch den Einfall der Tataren und die moskauische
Centralisation weggefegt; es ist bekannt, wie spurlos alle nord-
ruseiscfaen Volksrechte verschwunden sind. Eben diese Elemente
erlangten aber in Polen ihre volle Entwickelung und bildeten die
Grundlage eines Staatsorganismus , dem sie einen sehr originel-
len Charakter verliehen. Bei all seiner Einseitigkeit war dieser
Organismus der Entwickelung der Individualität nnd grosser
bürgerlicher Tugenden in hohem Grade förderlich. Das Princip
völliger Gleichheit, welches das Wesen der Szlachta bildete, und
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Dm goldene Zeitalter. 41
wonach sich der arme Szlacbcic auf seinem kleinen Hofe für niclit
«chlechter hielt als der erste Magnat, entwickelte in diesem
Stande ein starkes Bevusstsein persönlicher Würde, ohne das es
keine wirkliche Freiheit geben kann. Dieses Gefühl glich durch-
ans nicht dem auf dem Boden der Romantik erwachsenen klein-
lichen point d'honneur der Spanier oder Franzosen, das immer
bereit ist, den Handschub hinzuwerfen, tind für das kleinste ver-
letzende Wort und die kleinste Bewegung, welche die persönliche
Eigenliebe streift, den Degen zu ziebeii. Als Masstab des Ver-
dienstes galt nur das, was jemand für die Oeffentlichkeit (den
Staat oder die Gemeinde) geleistet hatte; der res privata wurde
Bteta die res publica gegenübergestellt, wobei es für die Pflicht
eines anständigen Bürgers galt, die erstere der letzem zu opfern;
fnr einen gemeinen Menschen wurde angesehen, wem es bei seiner
Thätigkeit nur nm „res privata" zu thnn war, aber für „res publica"
«nrden jeden Augenblick mit der grössten Selbstverleugnung, die
an das alte Rom erinnert, Leben und Eigenthum, sowie fast die
ganze Thätigkeit des einzelnen Mannes eingesetzt, weil in diesem
aonderbaren Staate, fast ohne Centrum — mit einer kleinen regu-
lären Armee, mit einem nach unsem gegenwärtigen Begriifen
schlechten Finanzsystem, mit überaus ungenügenden strafrecht*
hohen Mitteln, und last ohne alle polizeilichen Institutionen — alle
Öffentlichen Functionen durch die Selbsttbätigkeit der den Staats-
körper bildenden Einheiten verrichtet wurden. In andern Oi^a-
nismen tritt der Patriotismus ruckweise auf in den Momenten
der Gefahr, in den gewöhnlichen Zeiten sind aber seine Forde-
rnngen an das Individuum nicht gross: hier dagegen forderte
er einen unaufhörlichen Dienst — mit den Waffen in der
Volkswehr, mit dem Geiste, dem Worte und dem Rathe auf
den Land- und Reichstagen und in den landschaftlichen und
staatlichen Aemtem. Aus diesen Lebensbedingungen ging der
Mangel jeder knechtischen Verehrung vor dem materiellen
Reichthum hervor, welcher sich bis zur Verachtung steigerte,
femer der überaus geringe Werth, welchen noan dem Ver-
mögenscensus beilegte, um so mehr als auch die Lebensweise
der grossen Mehrzahl der Szlachta selbst zur Massigkeit und
Bescheidenheit geneigt machte. Polen hatte nie einen glänzen-
den, prächtigen Hof, der eine Rolle als Gesetzgeber der Mode
und des Geschmacks gespielt hätte; die Szlachta liebte die Städte
nicht, und hatte in ihnen keine beständigen Wohnsitze, sie baute
ü,g :.._.. ..Google.
42 Viertes Kapitel. Die Polen.
keine Schlösser, sondern lebte zerstreut auf den Dörfern, indem
sie periodisch zu den Landtagen, GerichtstermineD, Gadenzen und
Wahlen zusammenkam. Als Fflanzstätten der eigenthümlichen
Cultur der polnischen Sztachta dienten die zahllosen kleinen Guts-
höfe, mit denen die Republik besäet war. Das Höfchen steht mit-
ten im Dorfe, unter dem Schatten uryäterlicfaer Linden ; hier ruht
der Gutsherr tod den Mühen der RathsTersammlungeo und des
Krieges aus, indem er an einem Tisch mit seiner Familie und sei-
nem Gesinde sitzt und freundlich Gäste und Kacbbarn empfangt.
Hanptdateu der zweiten Periode.
1548. I>ie Opposition anf dem Reichstage gegen Sigismtind August
wegen seiner Ehe mit Barbara Raddwill.
1552. Aufhören der Ketzerverfolgang.
1661. Livland, im Kriege mit Ivan dem Schrecklicboi erschöpft,
BchliesBt sich der Republik an.
1562. Der Reichstag weigert sich, die Urtbeilasprüche der geistlichen
Gerichte g^^n die Ketzer zn vollziehen.
1564. Sigismtmd Angast erkennt die Artikel des Trideutiner Con-
cils an.
1569- Die Union Polens und Litanens anf dem Reichstag zu Lublin.
1572. Das erste Interregnum.
1573- Die Warschauer Conföderation über die Toleranz. Wahl Hein-
rich's Ton Valois zum König.
1574. Flucht des Königs aus Polen.
1576. Ankunft des gewählten Königs Stephan Batory in Polen.
1576. Errichtung von Tribunalen för Gross- und Kleinpolen.
1579 — 1587. Krieg gegen Moskau. Einnahme vou Polock; Weliki
£uk; Belagerung von Pskow.
1562. WaffenstillBtand Polens mit Moskau zu Kiwerora G6rka (Za-
poljo).
1585. Geridit auf dem Reichstag zu Warschau über die Anhanger
Zborowski's.
1686. Tod Batory's.
1587. Sigismund 111. Wasa befestigt sich auf dem Thron.
1692. Der Inquisitions-Reichstag.
1596. Die Union von Brest.
1599. Sigismund verliert den schwedischen Thron.
1605. Tod Johann Zamojski's.
1604. Der Usurpator Demetrius rüstet sich in Krakatt zum Feldzug
gegen Moskau.
1606—1608. Der Rokoss des Zefaraydowski und Kadziwilt. Fall und
Tod des ersten Usurpators.
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Das goldeoe Zeitalter. 43
Im 16. Jahrhaadert waren die dunkeln Kehrseiten einer
usBchliesElich der Szlachta angehörenden Caltur noch kaum
bemerkbar; im Gegentheil die Szlachta stand in ihrer vollen
Blüte ohne Disteln und Dornen. Die gesanuntslarische Seite
Inldeten darin, nach der treffenden Bemerkung Miokiewicz'
(34. Vorlesung) die FamilienbeziehaDgen, die Gutherz^keit, die
knoslicben Tugenden, unter denen die Gastfreundschaft be-
eonders hervortritt; die ausschliesslich volksthUmliche, eigent-
lich polnische Seite, kam in der politischen Thätigkeit zum
Aasdruck, in den BeziebuDgen des Büi^ers zum Staate; die
europäische und kosmopolitische Seite endlich wurde gebildet
TOD den religiösen und socialen Vorstellungen, welche bei der
Szlachta leichten Zutritt fanden, und, aus dem Westen ein-
geführt, sich schnell ausbreiteten, da man sich dieselben mit
der der slavischen Natur eigenen Empfänglichkeit aneignete,
bi« polnische Jugend reiste scharenweise ins AusUnd, um sich
io den Wissenschaften zu vervollkommnen, und brachte frische
Doil neue Ideen mit in die Heimat zurück. Die polnischen
Magnaten und Staatsmänner standen in beständiger Gorrespon-
denz mit den berühmtesten westeuropäischen Gelehrten und
Schriftetellem. Reformatoren und Neuerer, die wegen reli-
giöser und politischer Freitdnnigkeit verfolgt wurden, flohen^
nach Polen und fanden hier ein ruhiges Asyl und Anhänger.
In den winzigsten Flecken nnd Dörfchen wurden Buchdmcke-
reien errichtet, welche eine unzäbliche Menge von Büchern und
Broschüren, politischen, theologischen, wisseoBchaftlichen und
polemischen Inhalts druckten und in Umlauf brachten. Bei
einem solchen materiellen Wohlstände und bei einer solchen
poUtischoD Freiheit, bei der Empfanglickeit für die CuUurideen
des Westens und einem lebendigen Nationalbewusstsein mnsste
doe Nationalliteratur znm Vorschein kommen. Ihr plötzliches
Auftreten und ihre schnellen Fortschritte erklären sich dadurch,
dass sie durch die vorausgegangene Entwickelung der lateini-
schen Literatur vorbereitet war. Eine solche Bedeutung für
die Bildung und solche Dienste erwies das Latein nur von
der Renaissance an, in der Person der sogenannten Huma-
aisten, Leuten, welche sich der Gultur und den Einrichtungen
des Mittelalters gegenüber verneinend verhielten, indem sie
sich für die griecbiscb-römische Welt begeisterten, und dessen
Heidenthum mit seinen Glaubensvorstellungen und Ideen als
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44 Viertea Kapitel Die Polen.
ein unerreichbares Vorbild zur NacbabmuDg hinstellten. Im
16. Jahrhundert gab es solche Humanisten in Polen, nicht nur
Ton auswärts hereingekommene, wie Celtes uod Callimachus,
sondern auch aus dem eigenen Lande. Ihre Pflanzstätte war
die Akademie zu Erakau, an welcher Paul von Kroäna der
erste Professor der Poetik war. Sein Schüler, Johann von
Wiälica, schrieb ein episches Gedicht über die Schlacht von
Tannenberg nach Art der Aeneide. Zwei andere Schüler: An-
dreas Krzyoki, Primas und Bischof von Ermeland (gest.
1578) und Jobann Flachsbinder, bekannter unter dem Na-
men Dantiscus (er war von Geburt ein Danziger, wober auch
sein lateinischer Beiname) scbrieben lyrische und satirische
Verse. Auf einen höhern Grad der Vollendung, Kunst und
Reinheit brachte die Bearbeitung des lateinischen Verses ein
Schüler Krzycki's, der Sohn eines grosspolniscben Bauern, Cle-
mens Janicki (1516 — 43), der vom Geiste der römischen Lite-
ratur so durchdrungen war, dass man ihn für einen Zeitgenossen
des Catull und Ovid halten mochte.^ Die schwachen Seiten
dieser Richtung lagen darin, dass die Humanisten sehr wenig
im Griechischen bewandert waren, und der Hauptsache nach
nur Römisches darboten, dass sie, nach hohen Prqtectoren in
der grossen Welt und an den Höfen suchend, der Meinung
waren, das VerstandnisB für die feinen Schönheiten der alten
Literatur und Poesie sei nur einer sehr geringen Zahl von
Auserwäblten zugänglich, und jede nationale Vulgärsprache
verachteten. Aber die Verhältnisse gestalteten sich so, dass
diese Vulgärsprache in den Vordergrund trat; in ihr musste
man auf dem Reichstag, in der Predigt, im Drucke sprechen.
Der Impuls zu ihrem Gebrauche ward vom Protestantismus
gegeben, der darum auch eine so grosse Verbreitung fand,
weil er leichtfasslich in der Volkssprache die Heilte Schrift
erklärte, die ebenfalls in diese Sprache übersetzt wurde. Clas-
sisch gebildete Leute stellten sich die patriotische Aufgabe, auf
diesem Instrument zu spielen. Die polnische Sprache hatte sich
schon vor dieser Zeit etwas ausgebildet unter dem Einfluss des
altern öecbischen; jetzt kam sie unter den Einfluss der Formen
und insbesondere der Syntax des Lateinischen. Man begann in
' Monographien von Sig. Wfcleweki über Erzycki (Krakau 1874)
and Janioki (Wftraohau 18G9).
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Rej TOD Nagtowioe. 45
itiT die natioDalen Ideen des clasaiBchen AlterthumB mitzutheilen.
Die grossen Dichter des goldeoen Zeitalters: Kochanowski, Szy-
monowicz, Klonowicz äbeii sieb gleicfamftssig sowol im polnischen
wie im Iftteiniiichen Vers. Die lateinischen Werke kamen alsdann
fast in Vei^esBcnheit, aber als in unserer Zeit, in den fünfziger
Jahren, Ludwig Kondratowicz daran ging, sie poetisch zu über-
tragen, da schien es, als wäre eine neue Quelle der nationalen
Poesie entdeckt worden. Dorch ein sonderbares Zusammen-
treffen von Umständen war nur der älteste der polnischen
Schriflateller, Bej, kein classisch gebildeter Mann und in der
Kenntniss der antiken Welt Tollatändig Laie. Infolge des so
starken Einflusses der claasischen Ueberlieferungen steht die
Nttiona]lit«ratur gleich von Anfang an auf einer so hohen
Stufe, dass ihre Erzeugnisse noch beute für musterhaft gelten.
Diesen Werken g^enüber erscheinen alle folgenden Erzengnisse
der polnischen Literatur bis zur Romantik, d. i. bis zu Mickie-
iricz herab blaas, trübe und schwach. Diese Literatur ist nicht
reich an epischem Element und lebt ganz in der Gegenwart;
sie zeichnet sich ans durch das Geßihl der Befriedigung, durch
eine ruhige Stimmang, durch eine Richtnng auf das Positive, frei
von Träumerei. Sie hat einen stark politischen Charakter und
dreht dch gänzlich um staatliche und sociale Fragen. Sie schuf
kan Tolksthümlichet Drama; die dramatischen Versuche blieben
auf der Stufe künstlicher Erzeugnisse der Gelehrsamkeit und der
Nachahmung stehen. Dafür treten Didaktik nnd Lyrik besonders
herror und werden zu hoher Vollendung gebracht in der Person
von zwei Uauptvertretern der Literatur im goldenen Zeitalter:
Rej TOD Nagtowice nnd Kochanowski, von denen der erstere der
Schöpfer der poloischen Prosa genannt werden kann, nnd der
andere fnr den Urvater des polnischen Liedes gilt. Beide waren
Oeinpolen nnd der von ihnen angewandte kleinpolnische Dialect
ward zur Literatursprache der Polen.
Rej von Nag}owice, vom Wappen Oksza, stammte aus
einem alten Geschlecht, das schon lange im krakaaer Gebiet
ansäasig war. Sein Vater siedelte nach Roth -Russland über,
Terheiratbete sich reich nnd erlangte durch seine Frau grosse
Güter bei der Stadt Zydaczöw am Dn^tr. Hier im Städteben
26rawna ward Nikolaus Rej um 1507 geboren (gest. 1669).
Der Vater, ein biederer Mann, aber beschränkten üorizont«,
liebte seinen einzigen Sohn über alle Massen, Hess ihn keinen
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46 Viertes Kapitel. Die Polen.
Schritt von siob und lehrte ihn nicht«; später gab er ihn
in die Schule zu Lemherg und alsdann nach Krakau, aber
der Sohn zeigte eine solche Neigung zu mnthwilligen Streichen,
zu Gelagen und lustiger Gesellschaft, daas ihn der Vater wieder
zu sich nahm und den Tsugenichte in seinem Hause behielt,
wo er auch nichts weiter machte, als Fische im Dnestr an-
geln, Wildpret schiessen, Tauben und Echhörnchen fangen.
Der Vater beschloss, ihn an den Hof eines Magnaten zu geben,
womit die damalige Szlaehta gewöhnlich ihre geseÜBcbaftlicbe
Carriere begann. Bei dieser Gelegenheit wurde Stoff zu einem
Gnlarock gekauft. Der junge Rej schnitt denselben in Stücke,
und nachdem er Elstern und Krähen gefangen, machte er sich
ein Vergnügen daraus, diesen die zerschnittenen Stücke an die
Schwänze und Flügel zu binden und sie in solchem Aufputz
wieder fliegen zu lassen. Im Alter ron zwanzig Jahren war Rej
noch in vollem Sinne des Wortes ein Naturkind, ohne jede
Schulbildung, als er an den Hof des Andreas Tenczjnski, Woje-
woden von Saodomir, kam. Der kluge Wojewode gewahrte in
Rej angewöhnlicbe Fähigkeiten, veranlasste ihn, zu lesen und
sich im Schreiben zu üben.' Rej selbst begann sich zu achämeD
and ging daran, lateinisch zu lernen, sowie durcheinander theo-
logische und politische Bücher, polemische Broschüren, Iat«ini8che
Historiker, Compilotoren und Anekdotensammler zweiten Banges
zu lesen; wenn er etwas nicht verstand, so fragte er kundige
Leute. Es achlug bei ihm an und alles häufte eich in eigener
Weise, wenn auch ohne System und Kritik, in dem genialen Kopfe
des Autodidakten an; in s^nen reifsten Werken schlagen durch
die entlehnte Gelehrsamkeit die sonderbarsten AnachronismeD
durch, Sokrates folgt der Zeit nach auf Epikur, Pnmpejus gilt
für den ersten römischen Kaiser, der König von Aragonien, An-
tigonus, kämpft unter den Mauern von Athen. Die Kenntnisse,
welche Rej zusammenraffte, blieben nicht lange bei ihm brach
liegen, sie kamen gleich znr Verwendung: Rej schrieb überaus
viel, über die mannigfaltigsten Gegenstände, in Versen and
Prosa, und l^te unter den ungünstigsten äussern Verbaltnissen,
bei dem lockersten und geräuschvollsten Leben, eine erstaun-
liche schriftstellerische Productivität an den Tag. Leidenschaft-
licher Freund lustiger Gesellschaft, der Jagd; der Musik und
des Zechen», schrieb Bej des Nachts; das von ihm Geschriebene
verbreitete sich sofort unter der Szlaehta, die ihren urwücbrigeo
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Rej von NsgJowiw. 47
Dichter über alles liebte, und bei der er sieb einer sehr grossen
BekaDDtscbaft erfreute. Bej war niemals im Auslande, nur einmal
mftchte er eine Reise ins Grossfürstenthum Litauen; er nahm an
keinem Peldzug theil, sah keine einzige Schlacht, and wenn er
jemals den ^bel gezogen hat, so war es nur etwa, um Gäste
aoBeinander zu bringen und zu entwaffnen, die bei Tisch in Streit
gtfftthen waren, aber er TerpasBte keine einzige Versammlung
ia Szlachta, keinen einzigen Reichstag, und erschien oft am
königlichen Hofe. Die Königin Bona, die Könige Sigismund I.
und II. liebten ihn. Er schlug alle ihm angebotenen Aemter in
der Landschaft und am Hofe aus, aus Furcht zwei Dinge von
höchstem Wertb zu verlieren: die Unabhängigkeit und das gute
Gewissen; den officiellen Ehren zog er den Ruhm vor, der
■itzigste Mensch in Polen und der gutmiithigste Humorist zu
sein. „Nemini moleetos", sagt von ihm sein Biograph Trzeciecki.
Die Grundfrage der Zeit war damals die Frage der Religion.
Eej war für die Genfer Neuerungen (d. i. den Galvinismus) ein-
genommen und wurde ein eifriger Apostel des Protestantismus,
abersetzte die Psalmen, schrieb eine Auslegung der Evangelien
(„Postylla polska"), erklärte die Apokalypse. Alle diese Werke,
sind jetzt vollständig vergessen: Rej hatte zq wenig wissen-
schaftliche Kenotuisse, nm irgendetwas Selbständiges za sagen, er
wiederholte nur fremde Argumente, popularisirte die Ideen der
lateinisch-französischen nnd lateinisch-deutschen protestantischen
Theologen, indem er mit deren Schmähungen und bis zur Trivia-
lität herabsinkenden Spöttereien die Mönche, die katholische Geist-
Uchkeit und das Ceremonienwesen überschüttete. Gewöhnt an die
melodischen Weisen des musikalischsten von allen stavischen
Summen — des rothrussischen, war Rej ein Freund von Versen,
Bod schrieb ihrer unglaublich viele bei jeder Gelegenheit. Seiner
fruchtbaren Feder entflossen sowol kleine Verse („Figliki", Scherz-
heder, and „Zwierzynieo", Tbiergarten, 1532) als nmfangliche
Dichtungen, wie z. B. die „Darstellung des Lehens eines recht-
schaffenen Menschen" („Wizerunek wlasny 2ywota czlowieka poczci-
wego", 1560), etwas in der Art der Göttlichen Komödie, worin
er einen Jüngling darstellt, der sich anschickt, die Welt zu be-
reisen und zu suchen, was das Beste sei. Dieser Jüngling be-
racbt die griechischen Philosophen und die alttestamentlichen
Propheten, steigt zum Himmel empor, geht zur Hölle hinab und
empfängt überall eine Menge erbaulicher Unterweisangen. Rej
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4J^ Viertes SapiUl. Pie Polen.
verstiehte sogar ein Drama za schreiben, iadem er zum Gegen-
stand das Lebes des alttestamentliehen Joseph nahm. Die Ge-
dichte Rej'e, für welche die Zeitgenossen ein lebhaftee Interesse
hatten, waren nichts weiter als gereimte Prosa. Echte Poesie
würde man darin vergebens suchen, weil es Kej an Cultur man-
gelte, weil, sich sein Geschmack nicht an classiscben Mustern ge-
bildet hatte, deren Geist ihm fremd blieb; weil ihm sein un-
stätes and zerstreutes Leben nicht die Möglichkeit gab, sich zu
concentriren; endlich weil es in seiner starken und begabten,
aber rohen Natur wenig pathetische Saiten gab, weil in ihr eine
nüchterne Verständigkeit vorwaltete und weil seine Phantasie an
der Oberfläche der Erde hinglitt, ohne das Bedürfuiss zu fiihlen,
sich in das Land des Ideals jenseits der Wolken emporzu-
schwingen.
Mit den Jahren stellte sich die Reflexion ein, die Leiden-
schaften hatten ausgegoren, Bej ward gesetzt, ernster, nachdem
er sich am Lärm und an den Vergnügungen der Welt übersättigt
hatte, er fing an, sich zurückzuziehen; sein Geist, reich durch
Eriahrung, gelangte zu voller Reife: damals, im Alter der Jahre
(1564 — 67), schrieb er das bedeutendste seiner Werke, voll tiefer
Lebensweisheit, welche in einen überaus malerischen und prächti-
gen Stil gekleidet, leuchtet wie alter abgelagerter Wein in bun-
tem Becher. In diesem Werke trit} Rej als Sittenlebrer auf, als
feiner Beobachter und treuer Zeichner der menschlichen Katar
in ihrer polnischen Abart. Es trägt den Titel: „Der Spiegel
oder das Leben eines rechtschaffenen Menschen" („Zwiercadlo
albo 2ywot poczciw'ego cdowieka", 1567).
Es ist dies eine Art Encyklopädie der Kenntnisse, die dem
Szlachoic nützlich sind, ein Tractat über praktische Philosophie,
nach den Lehensaltern in drei Theile getheilt (Jüngling, Mann,
Greis), Der Tractat beginnt mit der Erschaffung der Welt und des
Menschen, wobei sich die Weltanschauung Rej's, obgleich er Pro-
testant ist, doch sehr wenig von der katholischen unterscheidet.
Gott hat den Menschen aus vier Elementen geschaffen, daher
die Verschiedenheit der Temperamente. Er hat ihn dem Eio-
fluss der himmlischen Gestirne unterworfen, welche am Hori-
zont in dem Moment seiner Geburt scheinen, sodass ihm schon
bei der Geburt bestimmt ist, ob er gute oder schlechte Nei-
gungen haben soll. Zar Gegenwirkung gegen diese Gebunden-
heit der thierischen Seite des Menschen sind ihm gegeben eine
ü,g :.._.. ..Google
Kej Ton Nkglowiae. 49
unsterbliche Seele, die Rej vom Veretande nicht nnterBcheidet,
Bnd Gottes Gelote. Der Verstand ist dazu da, die Wege des
HenBclien zu erleuchten; die Gebote dazu, die Leidenschaften
n lähmen. Zur Zägeloog der LeidenBchafteu tragen mit bei
Eniehnng, Bildung und Wahl der Beschäftigung. Rej führt
nnter andern ein Beispiel an, das eigentlich seine ganze Theorie
der Vorherbestimmnng umwerfen müsste; er erzählt, dass einem
K&Qfiuann ein böses Kind geboren wurde, das grosse Neigung
nr Graasamkeit zeigte; der Vater gab es einem Fleischer in
die Lehre and aus dem präsumtiven Räuber ward ein sehr
töditiger Fleischermeister. Um den edlen Zweck der Bildung
der Menschen und der Zügelang der schlimmen Neigangen zu
fordern, führt Bej den Menschen von der Wiege an durchs
ganze Leben, indem er ihn in den Pflichten unterweist. Unter
don Menschen versteht Rej nur den Szlacbcic; die ganze Welt
besteht nach seinen Begriffen nur für Polen, und ganz Polen
kommt in der Szlachta zum Ausdruck. Von allem, was unter
derSzlachta steht, hat Rej nur sehr verworrene Begriffe — durch-
uu nicht etwa deshalb, weil er hochfahrend wäre, weil er die
Dichtadeligen Leute verachtete; im Gegentheil er brandmarkt
jede Art Ueberhebung scharf, als Grundlage des Adels gelten
ihm nur persönliche Tugenden und er verlangt den humansten
Umgang mit dem Gesinde — sondern deshalb, weil das ein-
zige wirklich volle Leben dos Leben für den Staat und im Staate
sei, and ein solches nur der Stand der Szlachta führte. Der
ideale Typus des Menschen ist nach Rej eine Vereinigung von
C%arakt«rzägea, wie sie sich nur bei einem Szlaohcic finden kön*
sen: ein solcher Mensch muss ein grosses Herz haben, das die
Wecbselfälle der äusseren Dinge veracht«t, denen der Schiffer,
der Kaufmann, der Handwerker nachjagen und dienen. „Wer sich
daran gewöhnt, nar an wichtige Dinge zu denken, die ihm and
dem Vaterlande nützlich sind, der schaut schon auf alle Ver-
hälbiisse herab wie der Adler von der Höhe, der schätzt wenig
und denkt nicht an die kleinen Zufälligkeiten dieser Welt und
des Schicksals, sondern sorgt nur nm das Eine, dass er nicht
nur sich selbet nützlich sei, sondern überhaupt allen nach Ver-
dienst. Einem solchen Menschen ist alles gleich, Glück oder
Unglück; ob er sich aaf Rosen bettet und schläft, oder auf Nes-
seln nnd Wermath. Erwacht er, so fliegt sein Gedanke wieder,
wie der Adler, in die Höhe." Wenn Rej von der Wahl des Be<
Pins, SUTiKhs Litantnira. U, 1. 4
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00 Vierteil Kapitel. Die Polen.
niis eines zur Reife gelangtan Menschen spricbt, &a versteht er
darunter nur die für einen Szlachcic schicklichen Beechäftigongea.
Solcher Berufe gibt es der Hauptsache nach drei; den Kriegs-
dienst, den Dienst am Hofe des Königs oder irgendeines Mag-
naten, drittens den Dienst in der Landschaft oder im Staate in
der EigeuBchaft eines Beamten, eines landschaftlichen Abgeord-
neten auf dem Beichst&g oder eines Senators der Republik. Bei
jedem von diesen drei Berufen verweilt er lange.
Das ist das Schema von Bej's Werk. Es ist werthroll nicht
durch die darin enthaltenen Sittenlehren, sondern weil auf dieser
recht groben Leinwand eine unendliche Zahl von Skizzen nach
der Natur hingeworfen ist, welche alle Typen der damaligen Ge-
sellschaft darstellen, sodass es die beste Physiologe derselben
bildet, eine Galerie von Studien, mit wenig Strichen gezeich-
net, voll unnachahmlichen Humors und an die Manier der vlä-
misdien Schule erinnernd. In diesem booten Haufen gibt es
Soldaten und geputzte Damen, Hofieute und Geistliche, Trunken-
bolde und Geizhälse, aufgeblasene Stutzer, selbstsüchtige Men-
schen and Schmeichler. Das ganze Werk besteht aus solchen
Bildern. Wir fähren beispielsweise das Portrait des Eitlen
an: „Er schreitet daher in bunten Stiefeln, sieht die Leute
nicht an, glättet an sich herum, ist in seinen Schatten verliebt,
spuckt nach der Seite, reisst den Handschuh von der Hand,
auf der ein Bing ist, und hält diesen Handscbah in der andern
Hand, hustet unwillkürlich, tritt vorsichtig von einem Stein auf
den andern, indem er sich nach seinen Dienwn umschaut, and wenn
er sich unter gute Freunde setzt, so spricht er jedes Wort mit
Pausen aus, indem er es in Stücke beisst, stodct, damit alle
wissen, dass er mit Bedacht spricht; besieht sich die Nägel, bes-
sert am Hute herum, und die betrügerischen Freunde si^mai-
cheln ihm, sehen sich an und lächeln, und bethören ihn so,
dass er sie mit allem Guten tractirt, was sie nur wünschen.
. . . Was bläst du dich auf, erbärmliche Fliege? Sitzest da wie
ein bemalter Klotz an einem behauenen Stein oder an einem
bunten Teppich, mit der Nase nach oben, und weisst nicht,
dass sich diejenigen, die dir ins Geeicht schmeicheln, hin-
ter dem Rucken über dich lustig macheu. Ziehe Kleider an,
welche du willst, begiesse dich mit Wohigerüchen ; wenn dich
nicht Tugend und Verstand schmücken, so werden auoh die
Wohlgerüche nichts nützen, da wirst stinken wie ein Book, wirst
D,9:.z.a., Google
B«j Ton Nag^owie«. 51
sein wie ein Maulesel, der mit feinem Stoffe überdeckt ist;
Dcfamt diesen ab , and es wird sieb zeigen , dase Obren,
Sdtwanz, Kopf, Hab — alles teufelsmässig widerwärtig uod
lutstÜcb ist." Gegen die Sucbt, fremde Modsn nachzuahmei),
tritt Bej in folgender Weise auf-. „Mag jemand zehn Kleider-
■cbnitte in der Woofae erfinden, jeden wird man loben. Hat das
Kleid einen Kragen bis zum Qiirtel, so wird man sagen: das ist
tchön und bequem, da kann man sich vor Wind schützen, uad
noeh dazu tfaut es auch nicht so web, wenn einem jemand mit
dem Stock eins über den Bücken versetzt. An einem andern
Kleide ist kein Kn^en, nicht so viel wie einen Finger breit:
tach das ist gut, man kann den Kopf nach Belieben wenden,
der Kragen schneidet nicht in den Hals. Ein anderes Kleid
hat äbermässig lange doppelte and dreifache Aermel: man
wird sagen, der Mann sieht zu Pferde stattlicher aus, wenn
Aermel an ihm herumbaumeln. An einem andern Kleide reichen
die Aermel bis an die Einbogen: auch das ist gut, man ist über-
haupt ungenirter und steigt bequemer zu Pferde. Ein anderes Kleid
ist lang bis auf die Erde: man wird sagen, der Wind kann nicht
an den Knien herumspielen. . . . Ich bin überzeugt, wenn jemand
Uömer vei^oldete und sich auf den Kopf setzte, man würde
kBoh von ihm sagen: prächtig, weil eben alles prächtig ist, was
heute aufkam, und waa wir gestern noch nicht gesehen hatten."
Bej stellt das Leben am Hofe und im Heere vortrefflich
dar-, sein Herz schlägt vor Freade beim Erdröhnen der Erde,
wenn in gemessenem Schritt die geschlossenen Golonnen mar-
whiren und klangvoll die Trommeln und Pauken ertönen; aber
am meisten liebt er das Haus, den Acker und das Familienleben.
Beizend sind bei ihm die Beschreibungen der Wirthschaft und
der Beschäftigungen des polnischen Landmanns nach den Jahres-
leiten, and schwer ist es, sich etwas Wärmeres, Einfacheres,
Poetischeres vorzustellen, als die tief empfundenen Bilder des
Familienlebens. Er schreibt vor, die Frau zu lieben, zu achten,
sich über alles mit ihr zu berathen, weil es „dem Wolf süsser
igt, mit der Wölfin im Walde zu leben, als dem Manne mit der
Frau, wenn sich das bässliche Geschwür häuslicher Zwiste ein-
teilt". „Welch eine Frende, welch ein Vergnügen", sagt er,
nwenn sich liebe Kinderchen an dich hängen, diese geborenen
Spassmacher, wenn sie zwitschern wie Vögelchen, indem sie um
den Tisch henimlaufen, wenn sie schäkern und gaukeln, eines
4«
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52 Viertes Kipitel. Die Polen.
etwas ergreift und ee dem andern reicht, und eich gegenseit^
Bo vergDügen, dasa man sich des Lachens nicht erhalten kano.
Wenn ein Kind zu reden beginnt, lallt es lauter Kauderwelsdi,
und doch wie echöo und lieblich ist das alles." Aber am be-
deuteudsten ist ohne Zweifel der Theil des „Spiegels", welcher
der politischen Thätigkeit des Menschen gewidmet ist; er zeigt,
wie hoch bei der Szlachta das Kireau der politischen Bildung
war, und gibt einen sehr klaren Begriff von dem Wesen der pol-
nischen Constitution. Rej kennt den Mechanismus der Repräeen-
tatirregierung vorzüglich: die Reichstage sind eingesetzt zar
Zügelung der Regenten and zur Controle über die Gesetzmässig-
keit ihrer Handlungen; anf die Reichstage können nicht alle
insgesammt, in ganzen Haufen, kommen; deshalb wählen sie
Vertraaensmänner, Repräsentanten, und geben ihnen den schönen
Namen Ton Boten oder Wächtern der Republik. Dieses Amt
gilt Rej geradezu ßir ein heiliges, weil dem Landboten seine
Brüder, die Szlachta, Rechte und Freiheiten, Gut und Leben
anvertrauen. Ein solcher Mann muss sich vor Geschenken,
Nepotismns , Bewirthung hüten , und fleissig aufmerken , was
jemand sagt, und jedes Wort nagen, weil es oftmals sobeint,
als wenn etwas zum Wohle der Republik geschähe, nimmt
man aber den Deckel vom Topf weg, so zeigt es sich, dass
im Topf Wermuth statt Sauerampfer schmort. Noch schwerer,
gefährlicher, verantwortlicher ist der höchste Posten, den ein
polnischer Bürger erreichen konnte, das Amt eines Senators
der Republik, eines königlichen Rathes.
Nirgends war die Gewalt des Königs schwächer als in Polen ;
aber zugleich genoss der König kaum in irgendeinem Lande so
grosse Liebe und Hochachtung wie hier. Seine moralische Au-
torität war sehr gross; er ist die Kraft, welche den ganzen
constitutionellen Mechanismus in Bewegung setzt, ohne die
dieser nicht wirken kann. „Der König", si^ Rej, „ist das
AUerheiligste, der Mann Gottes, der Auserwählte und Gesalbte.
Es geziemt sich, mit Furcht zu ihm heranzutreten, weil in
ihm, sei er auch der beste Mensch, doch etwas Drohendes und
Göttliches liegt, und er wahrscheinlich, wie man sagt, Wolfs-
haare zwischen den Augen hat." Obwot er mit Furcht und Ehr-
erbietung an ihn herantritt, ist der Senator dennoch verpflichtet,
ohne auf den Zorn und das Misvergnügen des Königs zu achten,
ihm die volle Wahrheit zu sagen, ihn an alle Pflichten za er-
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Rej von Nagfowioe. 53
inDern, ihn TOr den Leidenschaften and Laatern zu warnen, weil
„der Geist des Herrschers einer Flamme ähnlich ist, die nach
oben streht, wenn ihr gutes Holz zugelegt wird; wenn ihr
iber nasses nnd rohes Holz zugelegt wird, so wird das Feuer
mit dem Rauch längs der Erde kriechen; ganz so ist es auch
mit einem Rathe, der dem Herrscher gegeben wird: entweder
lehwebt er mit ihm zum Himmel empor, oder breitet sich mit
ihm auf der Erde ans,"
In den fünfziger Jahren des 16. Jahrhanderts , als Bej in
rollern Glänze seines Talentes und Ruhmes stand, las jemand bei
einer geselligen Zusammenkunft im Sendomir'schen Gebiet, der
■ach er beiwohnte, als Neuigkeit einige eben aus dem Auslande
mitgebrachte Verse eines jnngen Dichters vor, den niemand
kannte und der in Paris lebte. Die Verse besangen den Ruhm
Gottes and begannen so:
Was verlaogBt du von udb, Herr,
Fftr die vielen Gaben,
FSr den fUicbtham, Gtttiger,
Den wir vod dir haben?
Keine Eirche achliesat dich ein.
Aller Orten thronst du;
Himmel, Erde, Flor und H&in,
Selbst das Meer bewohnst du. >
Diese Verse setzten alle in Erstaunen durch die ungewöhn-
Uche Schönheit der Form. Rej war mehr als die andern ent-
zückt und begriisste mit einem Enthusiasmus, der ihm zur
liöchgten Ehre gereicht, das Lied mit einem improvisirten
Doppel vers:
Dem muBB ich in der Kunst den Vorrang geben,
Ihm heimischen Liedes Pflege übergeben.
Der junge Dichter, dem Rej das Scepter der Poesie über-
gab, und der von da an auf dem polnischen Parnass thronte,
war Johann Kochanowski (1Ö30 — 84), vom Wappen Korwin,
aus der Landschaft Sendomir.^ Das ganze Geschlecht der Kocba-
' Ans H. Nitschmann, „Der poln. Parnass", S. 37.
' Et gibt gute Monographien über Kochanowski: K. Löwenfeld,
Johann Kochanowski und eeinc lateiniscbcu Dichtungen " (PüHcn 1378);
J. Przjborowski, „Wiadomoäö o iyciu i pismach J. Kochanowskiego"
(POMD lte7).
...., Google
54 Viertes Eapitel. Die Polen.
nowski zeichnete sich durch poetisches Talent aus: der Broder
dee Johannes übersetzt« die „Äeaeide"; sein Vetter Nikolaus
schrieb kleine Gedichte; der Neffe Peter (1556—1620) über-
setzte Tasso's „Befreites Jerusalem". Zvanzig Jahr alt etudirte
Johann auf der Universität zu Krakau (1544 — 49), begab si(^
dann ins Ausland und brachte sieben Jahre in Italien und in
Frankreich zu, besuchte die Universität Padna im Verein mit
Johann Zamojski, war in Venedig, Rom, in Kampanien, lebte
lange in Paris und kehrte 1557 nach Polen zurück. Sein Leben
ist im allgemeinen nicht reich an Ereignissen. König Sigismund
August verlieh ihm den Ehrentitel eines königlichen Secretärs und
sein Freund, der Vicekanzler Myszkowskl erwirkte ihm verschie-
dene Beneficien, eine Pfarre in Posen, die Prälatur im Kapitel.
Die Mönche des Klosters Sieciechöw hatten sogar die Absicht,
Kochanowski zum Abt zu wählen, doch kam diese Wahl ans
irgendeinem Grunde nicht zu Stande.' In solcher Weise vnir-
den geistliche Beneficien und Würden, als einträgliche Stellen,
sogar an weltliche Personen übertragen, wenn diese nur nn-
verbeirathet waren, auf Grund der Fiction, dass der Inhaber
des Beneficinms mit der Zeit noch in den geistlichen Stand tre-
ten könne. An kriegerischen Unternehmungen nahm Kocha-
nowski nur einmal theil, im Feldzuge gegen Moskau 1568- Trotz
aller Bemühungen Myszkowski's ward Kochanowski doch kein
Kleriker, da er dazu nicht den geringsten Beruf fühlte, and einer
glänzenden Carriere das bescheidene, stiUe Lehen eines Land-
edelmonns vorzog. Er verliess den Hof, verzichtete auf die Be-
neficien, verheiratbete sich 1574 und liess sich auf seinem väter-
lichen Stammgut Gzamolas nieder. Er gewann das Landleben
so lieb, dass er sich nur ungern und selten auf den zahlreichen
öffentlichen Versammlungen zeigte, um so mehr, als ihm die
' Wo war ich nicht, waa hab' ich nicht prohirt?
Hin Ober'a tiefe Meer hat'« mich Reführt,
Nach Fi'ankreich, Dcutsobland, an ItalieuB ätranil,
Besucht hab' ich das SibyUiniauhe Land.
Bald friedlicher Student, bald Bitteramann
In stolzer Wehr am Köuigsbofe dann
Mit edlen Hofherm, morgen fromm, gesetzt.
Als atiUer Domherr, fast ein Mönch zuletzt
In grauer Kutte, doch zwiefach begabt
Mit Pfründengut — warum auch nicht? — als Aht!
..., Google
Johann Koohanowiki. 56
Talente des Redners und FolitikerB abgingen and er gor keinen
Ehrgeiz beeass. Als unter Batory der Freund Kochanowski's,
ZuDOJdci, der Liebling und die rechte Hand des Königs geworden
nr, und ihm eäaa der seuatoriBchen Stellen, das Amt eines Ca^
itellans Ton Ptoäsk, aubot, lehnte er dae Anerbieten ab, mit den
Worten, er volle keinen hoffartigen Castellan in sein Haus lassen,
der alles das Tersohwenden würde, was er, ein armer Landedel-
mann, mit seiner Arbeit zusammengebracht habe. Der König be>
itimmte ihn gleichwol für das Amt eines Wojski von Sendomir
— ein londschaiUiches Amt, ohne Besoldung, wie es alle solohe
Aemter waren, aber ganz ruhigen Charakters, weil im Fall einer
Uohilisirang der Wojski als Verwalter der Landschaft am Flatee
n bleiben und nur ftir die Franen und Kinder Aet unter den
W^en Stehenden zu sorgen hatte. Die letzte Lebenszeit Kocha-
nowski's wurde durch den frühen Tod seiner geliebten Tochter,
Umüa, getrübt. £r starb im Jahre 1584 und ist in der Fami-
Uengmft seines Geschlechts zn Zwoleä beigesetzt.
Die Liebe der Zeitgenossen zu Johann Kochanowski war un-
begrenzt, er genoBs den Ruf des ersten Dichters und es wurde
feste Mein?uig, Polen habe nie einen Sänger gehabt wie er, noch
verde es je einen solchen haben.
Die gegenwärtige Kritik hat dieses Urtheil bedeutend zu mo-
difidren und mnss Kocbanoweki, bei all seiner Künstlerschaft,
den Namen eines Tolkstbümlichen polnischen Dichters absprechen ;
a irt gross als ein Schriftsteller, der sich den Geist der an-
tiken Poesie TOrzüglich angeeignet hat, allein diese Empfänglich-
kett beeinträchtigte die Originalität seiner Dichtung, sodass ihm
nur der Ruhm des grössten und talentvoilsten Nachahmers der
uitiken Muster in polnischer Sprache bleibt; diese bildete er
um, bearbeitete, Terfeinerte sie, und brachte sie fast auf die
Stufe eines musikalischen Instmmentes, fähig die zartesten
Laote herrorzubringen. Kochanowski war ganz ein Mann der
Bonaissance, eine in hohem Grade harmonische, klare, ruhige,
bebende Natur, aber unfähig, in glühendem Feuer starker
Leidenschaft zu entbrennen. Diese Natur war noch weicher
geworden durch Erziehung und langen Aufenthalt im Aaslande.
Deutschland blieb für ihn, wie für Polen überhaupt, eine terra
uicognita. Mit der spanischen und portugisischen Literatur war
er nicht bekannt (sein Zeitgenosse Camoens gab viel später, als
Kochanowski nach Polen zurückkehrte, seine Dichtung heraus.
56 ViertöB Kapitel. Die Polen.
UDcL Cervantes achrieb zu jener Zeit noch nicht). In Pfuris knüpfte
er eine Bekanntsohafl) mit Ronsard an. Iföwenfeld schreibt dieser
Bekanntschaft einen viditigea Einäuss auf Koohanowski za:
Bonsard dürfte ihn auf die Idee gebracht haben, die er selbst
in Frankreich verwirklicht hatte — in der Volkssprache zu
schreiben. Die ersten polnischen Verse Eochanowski's fallen mit
seinem Aufenthalt in Paris zusammeo. In Italien varen seine
Vorgänger Dante, Petrarca, Boccaccio und Ariost. Für Dante
hatte Kochanowski kein Verständniss; der tiefe, begeisterte My-
sticismus und die gewaltige Willensenergie des in sich selbst
concentiirten Verfassers der „Göttlichen Komödie" waren ihm
unzugänglich. Ebenso konnte er sich mit Ariost nicht be-
freunden, weil das Ritterthnm und die Romantik, auf welche
sich das Kpos des letztern gründete, dem SlaTcothum ganz fremde
Elemente waren, und weil die feioe Ironie und der scherzende
SkepticismuB, welche den Verfall und die Zersetzung der italie-
nischen Gesellschaft bezeichneten, dem Geschmack des jungen,
frischen und an seine Ideale glaubenden Volkes, welchem Kocha-
nowski angehörte, nicht behagen konnten. Sonach waren die
Huster, welche auf die poetische Ausbildung Koohanowski's ein-
wirkten, zum Theil die italienischen Lyriker (darunter Petrarca),
deren widrige Stisslichkeit sich jedoch nicht auf ihn übertrug,
und vor allem die classischen Dichter, iusbesondere die römi-
schen nnd von diesen wieder vorzüglich Horaz und Virgil. Er
begann mit lateinischen Versen, ging dann zu polnischen über,
und das mit solchem Erfolg, dass er später mit Recht von
sich sagen konnte:
Der Hcbänen Kalliope Fels bab' ich erklommen,
Des Qipfel niemals noch ein Pole eingenommen.
Maciejowski sagt: „Indem er sich zur Aufgabe machte,
seine Landsleute mit der antiken Poesie bekannt zu machen,
lebte sich Kochanowski so in dieselbe ein, dass sie ihm fort-
während vor Augen schwebte; was er auch planen mochte,
alles kam in antiker Weise heraus." Die Alten öffneten ihm
das Geheimniss der Schönheit, lehrten ihm Gesetzmässigkeit
und vollständige Pracision der Form, sein Vers gleicht dem
reinsten geschlifiFenen Krystall, und wenn Rej durch sein Co>
lorit berühmt ist, so ist es Kochanowski durch die plastische
Vollendung seiner Gontouren. Seine Productivität war gross,
er versuchte sich in allen Arten der Poesie und allen Vers-
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Joh&nn KoohmnowskL 57
muaen, machte Polen die Terziiie und das Sonett zn eigen (Piedni,
Iffl. IV, Nr. 28 do Franc, 32 do Stanie.), übersetzte Homer (der
Zweikampf des Paris mit Meaelaue), Bclineb Oden, Elegien, Sa-
tiren, Epigramme, sogar Dramen.
Zur epischen Gattung gehören: „Szachy" („das Schach-
Epiel"), eine NachahmuDg des italienischen Dichters Vida; „Su-
anna", eine der Bibel entnommene Erzählung; „Proporzec
albo hotd pruski" („das Banner oder die Huldigung Freus-
witE"), eine schöne Beschreibung der Belehnung Preussens,
welche von Sigismund August an Albrecfat von Brandenburg
ToQzogen wurde, und worin die Geschichte Polens in Bil-
dern vorgeführt wird; „der Feldzug gegen Moskau" des Het-
muis Cbristophor Hadziwilt 1581; das Bruchstück eines Helden-
epos über die Schlacht mit den Türken bei Varna, in welcher
König Whtdfdaw IV. Jsgiello fiel. Diese Bruchstücke be-
weisen, dass Kochanowski bedeutende» episches Talent be-
las«, aber ein grosses volksthümliches Epos konnte er nicht
schaffen aus Mangel an hiensu geeigneten Elementen in der
damaligen polnischen Gesellschaft, der jede Romantik fernlag,
die sehr zu Neuerungen in der Religion hinneigte, dazu mit
ihrer glänzenden Gegenwart sehr zufrieden war, im Ver-
gleich zn welcher die Vergangenheit als überaus ärmlich und
wenig beneidenswerth erschien. Unter solchen Umständen war
es nicht möghch, das Epos auf einem seiner beiden stärksten
Motive zu erbauen, weder auf der Religiosität, deren Ideale
durch die Reformation stark erschüttert waren, noch auf dem
Patriotismus, der bei der Ruhe des Staats keine hesondem
beroiechen Thaten und Anstrengungen erforderte. Kochanowski,
eio Kind seiner Zeit, gab den römischen Katholicismus nicht auf,
war aber im Grunde seines Herzens Theist (seine harmoni-
sche Natur verwehrte dem Zweifel den Eingang und floh jeden
innem Kampf), aber dieser Theismus vertrug sich aufs beste
mit dem ganzen heidnischen Olymp und Hess Kochanowski
den religiÖBen Streitigkeiten gegenüber vollständig gleichgültig,
sodaEB man noch heute nicht weiss, nach welcher Seite er
mehr neigte , ob er in seinem Innern Katholik oder Pro-
testant war.* Der christlichen Mythologie entnahm er niemals
' Im 17. Jahrhundert hielt es Vespaitian Koohowski lur nüthig, das
Andenken Kochanowski'a gegea den Verdacht der Ketzerei zu verthei-
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58 Viertes Kapitel. Die Polen.
weder Bilder Doch Farben. Er fUrchtet flir Polen die Folgea
eines langen Friedens und lobt die gateo alten Zeiten toU Un-
ruhe, Wachen und Schlachten*, aber dieses Bedauern ist nur
eine poetische Figur, daneben geht das Bewusstsein einher, daea
es unmöglich sei, zu dem vergangenen, eisM'neD, g^anzerten
Zeitalter zarückznkebren.
Wichtiger als die epischen Bruohatiiclce ist das Drama Kocha-
nowski's: „Odprawa posiow greckich" („die Abfertigung der grie-
chischen Gesandten"), das er für Zamojski bei Gelegenheit von
dessen Heirath mit der Nichte Batory's schrieb, und da« 1578
vor dem König Batory in TJjazd6ir bei Warschau aufgeführt
wurde. Der Keim des Dramas lag in Polen, wie in den andern
Ländern Westeuropas, in den Mysterien, die der Katholicis-
mus erzeugte. Noch heute trageo die Barschen in den zwölf
Nächten die sogenannte „Krippe" (ja^) oder Hütte (szopka)
herum, auf der mittels Puppen die Geburt Christi, die Anbetung
der Magier dargestellt wird und schliesslich der Teufel dem He-
rodes den Kopf abhaut und ihn in die Hölle soUeppt, Dialoge
solcher Art worden von maskirten Personen in den Kirchen
aufigefubrt und die Geistlichkeit selbst nahm daran theiL Papst
Inuocenz III. ertheilte im 12. Jahrhundert deshalb den polni-
schen Geistlichen einen strengen Verweis, — von da an wurden
digen. Liric. 1,32: Apologie für JohaiiD Kochanowaki, den einige für e
Ketzer holten (Apologia za Janem Kuchano'iVBkim, Ictör^o niebtöray r
miej) hyf- heretykiem).
' 0 heiliger Friede, dich begleitet
Ein Fehler, der dioh sehr verleidet:
In Tr^heit läaat dn leicht Temuken,
Im SiDnenrouBch die Welt ertrinken.
Und an einer andeni Stelle Bpricht er aich ao btu:
Die Zeiten preia' ich, wo ao hoch man ehrte
Den grauen Kittel, wie die bent'ge Seide
Am taglich theuerem, verbrämten Kleide,
Mit Maskenacherzen nicht den Beutel leerte;
Als stets im Stalle man das SchUchtroaa hegte.
Die Wand mit Panzer, Schild und Lanze prangte,
Daa Schwert im Gürtel, und zum Schlaf sich legt«
Auf Hea der Bursche, nicht den Pfühl verlangte.
Doch tapfer kämpfte. Wäre ao beecbeiden
Noch heute Polen und ein Schreck den Heiden!
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Johann KootunoTraki. 59
die drsutatigolien V<n:stellasgen aus den Kirchen auf die Kirch-
höfe and in die Schulen verlegt, und wandeln sich in halb
geistliche, halb weltliche Schanspiele um; in die ernsten hibli-
lehen Stoffe worden gewöhnlich unterhaltende Intermezzos ein-
geschoben. Die geistlichen Stoffe wurden später von den Je-
suiten zu ihren pietistischen Dialogen benutzt; was aber die
komiEohen IntermezzoB betrifft, so konnte sich aus ihnen die
Komödie in rein Tolksthümlichem Geiste entwickeln. Im Jahre
1530 erschien: „Komedija o migsopugcie" („Gomödie vom Car-
MTal"), 1533 die „Rozmowy" („Gespräche") von Veit Kor-
csewski, dann eine Menge anonymer Bühnenstücke („Albertus
z vojn;", „Peregrynacija dziadowska") und Dialt^e, an denen
gewöhnliche Leute theilnehmen, die der lebendigen Wirklichkeit
enteommen und in Typen umgewandelt sind, wie der Bauer
Johann, der für die alten Sitten eintritt, sein Sohn, deutscher
Stadent, der protestantische Lehren angenommen hat, der Pfar-
rer, der Kirchendiener, der sowol dem Pfarrer als dem Vor-
steher dient nnd in da« Heer geschickt wird , der Cantor,
die Bettelbrüder, endlich der Psalmensänger oder Organist.
Ausserdem gibt es noch Nachrichten über Vorstellnngen im tra-
gischen Genre; so wurde z. B. zur Zeit des Dhigosz (15. Jahr-
hondert) anf dir Bühne der Tod der Königin Ludgarda darge-
stellt Kochanowski benutzte für sein Drama das alles nicht, er
Tersnchte es nicht, die rohen, auf dem heünatUcben Boden er-
wachsenen Anfange zu vervolUtändigen und zu entwickeln. Er
•chrieh for eine auserwählte Minderzahl, die, wie er, von classi-
sdien Beminiscenzen durchtränkt und mit der Vergangenheit
Griechenlands und Roms besser bekannt war, als mit der Ge-
schichte des eigenen Vaterlandes. Er nahm zum Thema eine
Scene aus der Dias und stalte sie drsunatisch dar in den Formen
der griechischen Tragödie, die ihm vollständig geläaäg waren.
Uljsses und Menelaus sind als Gesandte der Griechen ange-
kommen, um die Herausgabe der von Paris entführten Helena
la fordern. Paris weiss Freunde zu gewinnen, sammelt eine
Partei; andererseits hat der für Geschenke und Schmeicheleien
oningängUcbe ehrliche Antenor die Absicht, auf einer Volksver-
sammlung die Nothwendigkeit nachzuweisen, dem Menelaus seine
Frau herauszugeben. Der Chararakter der Helena ist veredelt
im Vergleich mit der „Ilias". Sie wird als eine Frau dargestellt,
die ihrem Manne, den sie Hebt, gewaltsam geraubt wurde. In
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60 Viertes Kapitel. Die Foleo.
unruhiger Erwartung sieht sie der E^techeidang ihreB Scfaii^Bsls
entgegeo. Ein tod der VolksverBamniliiiig aurückkehrender Tro-,
janer theilt ihr mit, was auf der Versammlung Torgegangen,
und berichtet, daes die Stimme der Leidenschaft über die Ein*
gebungen der Pflicht die Oberhand gewonnen habe, und dass die
Gesandten, deren Verlangen abgelehnt sei, mit leeren Händen
zurückkehren. Bald kommen auch die letztem selbst, der
kluge Ulysses prophezeit den Untergang Trojas, das von uner-
fahrenen, parteiischen Rathgebem regiert werde; der heftige Me-
nelauB ruft die Götter an und stösst Flüche aus. Nach dem
Weggang der Gesandten tritt vor den in Erwartung grosser Er-
eignisse versammelten Trojanern ebenso wie in der Orestie des
Aeschylus die vom Dämon ereilte Kassandra auf »md spricht
schlimme Prophezeiungen aas. Zuletzt endet das Drama wie
mit dem dumpfen Bollen eines entfernten Donners, mit der
Nachricht, dass die Griechen gelandet seien und der Krieg be-
gonnen habe. Dieses Drama mit etwa 600 reimlosen Versen ist
nicht in Acte getheilt und besteht aus kurzen Scenen, die mit
Chorgesang abwechseln; es findet sich keine lutrigue darin,
keine dramatische Schürzung noch Lösung des Knotens, und das
ganze Interesse gründet sich auf den idealen Kampf zwischen der
Leidenschaft und der sittlichen Nothwendigkeit. In diesem Drama
legte Kochanowski ein glänzendes Zeugniss seines tiefen Verständ-
nisses der antiken Welt an den Tag, nnd eine bewunderungs-
würdige Meisterschaft in der künstlerischen Reproduction der-
selben. Erst in neuerer Zeit hat Goethe in der „Iphigenia auf
Tauris" ein Werk geschaffen, das in jener Hinsicht der „Odprawa
poslöw" gleichkommt. Aber da es keinen Zusammenhang mit
dem Volksleben hat, steht dieses Drama ganz vereinzelt in der
Literatur da, — Kochanowski fand keine Nachfolger; die spä-
tem Generationen verloren das Verständniss für dieses Drama
und vergassen es gänzlich.
Diejenige Gattung der Poesie, mit welcher Kochanowski
grossen Einfluss auf seine Zeitgenossen ausübte, und worin er
es zur Vollendung brachte, sodass er der typische Dichter
auf dritthalb Jahrhunderte wurde, war die Lyrik. Er machte
eine vollständige Üebersetzung der Psalmen David's (1578),
die beste, welche bisher besteht, und die noch gegenwärtig
im Volksmunde lebt. Er schrieb Oden, Elegien, Epigramme,
Idyllen (Sobötka, Dryas Zamechska). Im „Satyr", der Sigis-
ü,g :.._.. ..Google
Johann EoDhanoweiki. 61
mund AngQBt gewidmet ist, legt er dem Waldgott eine Kritilc
der Nationalfebler id den Hund: der Leidenschaft, den Aus-
läsdem nachzuahmen, deB Leichtsinne in den Urtheilen über
Sachen des Olaubene nnd der Politik, tind des sich in das
geselbchaftliche Leben einschleicfaenden Luzae. Im Jahre 1580,
ntch dem Tode seiner geliebten Tochter Ursnla, welche er die
„ghiTische Sappho" nannte, nnd auf die er hoffte seine Lei^
ni »ererben, schrieb Kochanowski die „Treny" („Elegien")
oder melancholische Betrachtungen , in denen er sich zuweilen
Ton den classischen Reminiscenzen und der trockenen Gelebr-
sankeit lotreist und originell wird, weim er mit Einfachheit and
Natöilichkeit, die den Gipfelpunkt der Kunst bilden, sein Leid
im Tone des Volksliedes ausf^richt.* Zu den bedentendsten
Wnken Eochanowski's gehört dessen Sammlang von „Kleinig-
keiten" („Fraszki"), die im Jahre nach seinem Tode (1584) her-
ausgegeben wurden. Hier glänzt der scherzende Gedanke durch
8cbarfeinn, wechselt muthwilliger Scherz mit beissendem Epi-
gramm, sind die Gesellschafter des Dichters humoristiscb skiz-
zirt, werden Liebe und Wein gefeiert; über die fröhliche Gesell-
schaft breitete ihre schattigen, duftenden Zweige die berühmte
Lmde von Czamolas aus, die der Dichter ao oft besungen hat.
Kochanowski starb in der vollen Ueberzeagung von seiner
Unsterblichkeit. Einen betniohtlichen Theii derselben hat er
dem Umstände zu rerdanken, dass er ein ganzer Mann war,
Dichter im Leben sowol wie im Lied, gut, ehrbar, massig,
bescheiden*, nnd dfue er den Tollsten Aufidruck der damal^en
Gesellschaft bildete, sowie die edlen republiksjiisohen Kmpfin-
dangen ausznsprechen verstand, welche diese Gesellschaft be-
BCAlten, die Gefühle der Freiheit, Humanität und eines tiefen
Bewosstseins der persönlichen Würde.
Jetzt wollen wir die weitem SohickstUe der polnischen Poesie
nach Kochanowski verfolgen und die Talente zweiten Ranges an-
' ,JHeht in einem Bolchea Bette sollte dioh, meine liebe Toohter, die
HnUer geleiten, nicht solche Mitgift versprach sie Jir xa geben, wie sie
jeUt dir gmb; ein Hemduhen nar gab sie und ciu auhlichtes Häubchen; zu
UäDpten legte dir der Vater ein Stückchen Erde; — wehe, sie und ibre
Uitgift sind jetzt in eiDem Schrein beachlussen."
' Herr igt der — ich meine —
Dem genügt das Seine.
.,GüOglf
62 Yieiie« E^tal. Die Polen.
flibren, velcfae sich auf diesem Gebiete bekannt gemacht habeo.
Nikolaus S^p Szarzydeki (vorzeitig gestorben im Jahre 1Ö81,
etwas über zwanzig Jahre alt) ahmte glücklich Petrarca nach
und schrieb einige tief empfundene religiös - lyrische Sachen.
Die Lyrik wird sichtlich schwächer and verfallt, die Verderbuiss
des Geschmacks tritt darin zu Tage, dass die Gedichte immer
mehr mit mythologischem Ballast und classischeo Beminiecenzen
überladen werden. Bei einig«i Dichtern ist eine Schwenkung
znr Mystik, Ascetik und eine Bückkehr zur kirchlich-christlicheD
Poesie bemerkbar. Als solche Dichter, welche Bchon den Ueber-
gang zu der folgenden jesuitisch'maccaronischen Periode bilden,
treten Grochowski und Miaakowski auf. Der Priester Sta-
nislaw Grochowski (1554-~1612), war ein Mann von sehr
mittelmässigen Talenten, von schmuzigem Charakter, Pfründea-
jäger, boshaft und zugleich ein Erzschmeichter, streute allen
Grossen dieser Welt Weihrauch und war dabei ein aufdring-
licher Mensch und Intriguant. Er schrieb sehv viele dem In-
halt nach schlechte Verse, geistliche und weltliche, übersetzte
auf den Rath der Jesuiten die Hymnen ans dem „Breviarium
romanum" und verfasste eigene Gedichte derselben Gattung.
Wegen der Satire „Babie kolo" („der Altweiberzirke]") ward
er von den darin mitgenommenen damaligen Bisdböfen hart ver-
folgt. Viel talentvoller als Grochowski war Kaspar Miaskoweki
(1549—1622), aus der Landschaft Bawa, der echte Typus eines
häuslichen, fest auf seinem Krbe sitzenden Adligen, dem Land-
leben ei^eben, ein eifriger Katholik und Conservativer. Als sieb
unter ßigismund III. der Kampf der Parteien zu einem offenen
Bürgerkriege steigerte, der unter dem Namen des Zebrzydowski'-
schen Kokosz bekannt ist, standen auf der einen Seite die Pr<^res-
sisten, auf der andern der König, unterstützt von den Jesuiten und
der Beaction. Miaskowski schalt die Aufstiuidischen in einem Ge-
dicht voll Kraft und Unwillen („Dyalog 0 zje*daie Jgdrzejowskim"
— „Dialog über den Congress von Jgdrzejöw"). Für seine besten
Werke gelten „Waleta wloszczanowska" („Abschied von der Hei-
mat") und seine religiösen Lieder, Busselegien, „Blnmen auf die
Krippe des Heilandes" und die „Geschichte des Leidens Jesu
Christi", die in Stunden getheilt ist. Eine besondere Bedeutung
erlangten zwei Gattungen der didaktischen Poesie, in denen auch
Kochanowski Muster hinterlassen hatte, nämlich die Idylle und
die Satire. Die Entwickelung dieser beiden Gattungen erklärt
Dig :..:.., Google
Du goldm« Zütolter. '68
aeh US BOcialen Ureachen , atie der Lage der . S^laehta in-
mitteo der Gesellschafli aod ans ihrem Verfaältaiss zn den an-
dern Ständen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Polen
durchlebte damals einen jener kritischen Momente, von denen
das Schicksal eines Volkes abhängt, die entscheiden, ob sich
dasselbe noch höher erheben, oder den abschüssigen Abhang be-
trete wird, an dessen Ende der unvermeidliche Abgrund harrt.
Die Szlaohta var alles in der Bepublik; ihr ist Polen für die
Macht und den Wohlstand verbunden, die es erlangte. W^che
Fordeningen aber waren noch au die damals alhnächtige Szlaohta
lom weitem Gedeihen der Bepublik zu stellen? Sie sind klar
ftnsgespnx^en in dem Werke des Andreas Frjcz Uodrzewski:
„De Bepublica emendanda" (1551, ins Polnische ühersetzt von
CfprianBazjlik): „Lieber Gott 1 Gib deim ganzen Stande der Bit-
ter ein Herz, dass sie nach Ablegung der Eigenliebe die ganze
Kepublik lieben, d. i alle Menschen, welche mit ihnen zusammen
in diesem Staat^Örper leben; dasa sie sich um alle bekümmern
■nd aller Leute Leben, Interessen und Ehre vertheidigen. Wenn
dies sein wird, dann wird es offenbar werden, warum die Herren
Senatoren und der Adelsstand dem König an die Seite gestellt
sind, als Theilnehmer an der obersten Gewalt." Da kein Mittel-
stand Torhanden and die städtische Bevölkerung der Zahl nach
gering war, so stiess sich die Szlacbta unmittelbar an den
Bauernstand; ihr lag die Sorge ob, den letztem zu heben, ihm
Bildung nnd Bedite zu geben; ihr lag'es ob,*Bicb das Ziel zu
setien, dem ganzen Volke den Adel zu geben, und darnach zu
streb«!, dieses Ziel aUmätüidi zu verwirklichen. Die Literatur
führte mit ihrem richtigen Instinkt anf diesen Gedanken bin und
Hess äch, nachdem sie den Zauberkreis der Szlaohta durchbrochen,
m Idyll zn den Bauern herab, entlehnte Bilder und Typen aus
den Banerleben and suchte sie dichterisch zu gestalten. Dies
nr die Aufgabe, welche sich eine ganze Schale rothruasisoher
Dichter steUte, an deren Spitze Szymonowicz steht. Diese Ten-
dnuen realisirten sich nie und blieben auf dw Stufe frommer
Wünsche stehen; keine äussere Macht zwang die Szlacbta, eich
den Massen zu nähern und auf einem Wege vorwärts zu schrei*
tea, an dessen Ende die Selbstvemichtung denselben durch
ihr Aufgehen im ganzen Volke zu sehen war. Keine politische
Macht eutschliesst sich freiwillig zum Selbstmord, noch ist sie
tu Selbstverlengnung geneigt ohne vorausgegangenen Kampf;
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64 YiertCB Kapitel Die Polen.
vergeblich wäre es gewesen, etwas derartiges von der Szlachta
zu erwarten. Sie rabte auf ihren Lorbern and ward aus diefiem
eiissen Schlafe nur durch den wilden Dämon der soaialen Re-
volution in Gestalt der Kosakenkrie^e geweckt. Nachdem sie
mit scbrecklichen Verlusten die hondertköpfige Hydra der unter
ihren Füssen wogenden Volksmasse überwunden, schloss sieb
die Szla«hta in dem engsten StandescoDserTstisrnua ab, wobei
alle ihre schwachen Seiten zu Tage traten und sich deutlich
markirten, was dann der Satire eine reiche Kabrung bot. —
Wir wollen zuerst die bukolische Poesie betrachten und dann
za den satirischen Dichtern übergehen.
Im östlichen Tfaeil des heutigen Galiziens an dun kleinen
Flüsschen Feltew, in einer prächtigen Gegend am Fasse der
Karpaten breiten sich weit nach Osten zu grosse Ebenen aus.
Diese Ebenen sind der offene Weg für die Heuscfareoken und die
Tataren. Hier liegt, malerisch hingestreckt, die alterthümUohe
Stadt des Fürsten Leo (Lemberg), das Herz Rothnisslands, mit
drei geistlichen Residenzen in seinen Hauern: der des römisob-
ksthoUschen Erzbischofs, des armenischen Metropoliten nnd des
griechisch-orthodoxen Bischofs zum heiligen Georg.
Id diesem Lande, das seit Kazimir, im 14. Jahrhundert, zur
polnischen Krone gehörte, mid in dieser von starken Kauern um-
gebenen Stadt, welche die Schutswehr der Republik gegen Osten
bildete, ward im Jahre 1557 dem städtischen Ratheherm Szymon
z Brzezin ein Söhn Szyinoa geboren, der sich nach dem Na*
men des Vaters hätte Szymonowic oder Szymonowioz nennen
sollen, aber, nachdem er Gelehrter geworden, es vorzog, sich
griechisch Simonides zu nennen und zu unterzeichnen.^ Szy-
monowicz studirte auf der Akademie zu Krakau, reiste dann in
die Niederlande und nach Frankreich, wo er sich mit dem be-
rühmten Humanisten Joseph Justus Scaliger (dem Sohn) befrean-
dete, dessen Rathscbläge einen entscheidenden Einfluss auf sein
ganzes Leben nnd seine künftige literarische Tbätigkeit aus-
übten. Nach seiner Rückkehr aus dem Auslände ward er mit
' Werke von Szymonowios, bersuegegebeti von Wjclawski (Knlm
1864). Aug. Bielowski, Szymon Szyiuonowi uz, 1875, vgl. Pamigtiiiki Akad.
um. Krnkowskiej, II, 106 — 121. Hier sinil die Biographie des Dichter«,
eeiue anbekanaten oder wenig bekannten Werke und »eine CorreapondenE
abgedmokt.
...., Google
Sijmon SzymOQowioE. 66
Johann Zaniojeki bekannt, der damals schon Kanzlei* war, trat
bei ihm als Secretär ein and half ihm bei der Errichtung der
Akademie zu Zamoä6. Zamojüki übertru); ihm die Erziehung
seines einzigen Sohnes, gab ihm ein Gut zu lebenslänglichem
Besitzthnm, wusste 2a bewirken , dass auf seine Anregung und
ul die Fürsprache Ton Abgeordneten der Landscliaft auf dem
Reichstage König Sigismund III. an Simonides den Adel verlieh
mit dem Familiennamen Bendoüski und ihn mit dem Titel eines
Hofdichters schmückte (1590). Simonides starb hochbetagt im
J^hre 1629. Seine Werke zerfallen in zwei Gattungen: latei-
niiche Oden und polnische Idyllen. Wir verweilen nur bei
«a&en bokolischen Liedern. Simonides hatte den Theokrit
gründlich studirt und war ganz von ihm durchdrungen; er
b^nn mit Uebersetzungen aus Theokrit, Bion, Moschns, zum
Theil auch aus Vii^U und Ovid, oder mit solchen Umarbei-
tongen und Nachahmungen, in denen der ganze Inhalt antik
var, den Hirten und Hirtinnen nur slaviscbe Namen (Milko, So-
bo6 o. B. V.) gegeben waren. Später ging er noch einen Schritt
weiter und versuchte als Thema wirkliche, nicht fingirte Dorf-
ntteu zu nehmen, indem er sie möglichst idealisirte; mit an-
dern Worten, er begann Bilder aus dem Volksleben zu schrei-
ben. Da er mit einer lebhaften Phantasie Beobachtungsgabe
nnd das Talent einer feinen psychologischen Analyse verband,
so fesselten die von ihm in den engen Bahmen der Idylle ge-
lüsten Scenen die Zeitgenossen, trotz ihres Mangels an Naivetät
Bod Einfachheit. Simonides vermochte in keiner Weise zweien
Uäugeln zu entgehen, die mit der Gattung der bukolischen Poesie
lelbst untrennbar verbunden sind: der Trivialität, wenn der
Dichter die Natur getreu zu copiren sucht, und der Fadheit,
vemi er, seine Helden idealisiiend, den Boden der Wirklichkeit
Terläest und sich in dem Gebiet des Conventionellen , will-
kürlicher Erfindungen ohne Leben nnd Farbe bewegt. Um
seine Hirten wahrheitsgetreu zu machen, legt er ihnen bald tii-
Tiale Scherze und skeptische Spöttereien in den Mund, wie sie
den Bauern nicht eigen sind, bald lässt er sie wieder Unterhal-
tungen fuhren voll beissenden Witzes und feiner Höflichkeit.
Unter einer Menge von mislungenen Scenen überraschen einige
dnrch ihren Realismus, durch die Wiedergabe volksthümücher
Yorstellungen und Meinungen in künstlerischer Form. Dahin
gehört die fünfzehnte Idylle „Zaubereien", in der eine von
Fim, ^»tIwIu LiMnlom. II, 1. '5
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66 Vierten Kapitel. Die PoleD.
ihrem treulosen Manne verlassene Frau Hirse auf Kohlen schüt-
tet, Wachs schmilzt, Eschenblätter yerbrennt und Beschwörun-
gen und Besprechungen anwendet, um den Ungetreuen an sich
zu ziehen und dessen Geliebte zu beseitigen. Von derselben
Art ist auch noch die schöne zwölfte Idylle „Kolacz" („der
Aschkuchen"), die übrigens mehr dem Leben der Szlachta ent-
nommen ist und die Hochzeitsgebräuche darstellt.*
Zuletzt kam Simonides auf den glücklichen Einfall, in den
Mund des gewöhnlichen Volkes pathetische Klagen über sein
bittres Schicksal, über die Bedrückungen seitens der Gntsbe-
sitzer zu legen. Diese Klagen wurden nicht zum Zweck einer
demokratischen Propaganda geschrieben, da die Poesie des Si-
monides bei ihrer Eünstlichkeit nie auf eine Verbreitung im ge-
wöhnlichen Volke rechnen konnte, und er selbst überhaupt kein
Revolutionär, sondern ein der bestehenden Ordnung tief er-
gebener Mann war. Sie enthielt nur eine Warnung für die
künftigen Zeiten and zeigt in dem Verfasser nicht nur einen
Künstler, sondern auch einen Mann mit bestimmten Zielen,
einen mathigen Bürger, der es wagte, einem damals allmäch-
tigen Stande sehr unangenehme Dinge ins Gesicht zn sagen,
einem Stande, der durchaus nicht geneigt war, etwas derartiges
zu hören. In der siebzehnten Idylle „die Hirten" sprechen die
Bauern von den Erpressungen der herrschaftlichen Förster, von
den Bossen wegen HolzfreTels. In der achtzehnten Idylle „die
Schnitterinnen" treibt der herrschaftliche Verwalter mit der
Peitsche in der Hand die Dorfweiber zur Arbeit; eine yon ihnen,
Petrucba, stimmt das folgende Lied an: „Liehe Sonne, da helles
Auge, du Auge des schönen Tages, du bist nicht wie unser Vogt,
du stehst auf, wenn die Zeit kommt; ihm ist das nicht genag,
er möchte, dass du dich um Mitternacht erhöbest. Liebe Sonne,
Die Elster mft vom Zaune, das deutet Gäste aa,
Wiewol die Elster auch sich eiumal iri'eD kann.
Wer üäste liebt, wird nie, wat sie verheiaat, bestreiten,
Er lägst mit Sorgfalt gleich das Abendbrot bereiten.
0 liebe Elster, sprich, wo bist du hingeflogen?
Von welcher Seite kommt der Giut zu uus gezogen?
Die Elster ruft vom Zaun ~- die Jungfrau jubelt laut,
Ihr hat des Herzens Schlag des Freundes Nah'n vertraut.
(ITeben. Ton Nlliohmun, „D« poln. Punuu
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Sebastian Klonowioz. 37
dn fährst einen Tag nach dem andern , bis das lange Jahr voll
ist, nod er möchte alles in einer Stande machen; du brennst
nweilen, zaweilen lassest du ein Lüftchen wehen und die Glut
terstrenen, er aber schreit beständig: nicht ge&ulenzt, eichle,
sichle; er vill auch nicht wissen, dass bei der Arbeit mit der
Sichel der Schweiss in drei Bächen vom Gesicht strömt. Dich,
liebe Sonne, verdecken manchmal Wolken, aber sie vertreibt
der Wind bald; unserm Vogt darf man nicht gerade ins Ge-
sicht sehen, weil bei ihm fortwährend die Brauen gerunzelt
sind" 0. 8. w.
Von der Idjrlle gehen wir znr Satire Über. Bei allem Glanz
und aller Pracht des damaligen Polens fühlten die leitenden Per-
EODea doch, dass in der Republik nicht alles in Ordnung war.
Symptome einer Krankheit wurden bemerkbar, mau stellte von
Zeit zn Zeit ihre Diagnose, aber die Ursache des Uebels blieb
ein Gebeirouifis. Johann Kochanowski nnd Peter Zbylitowski
(1571 — 1649) empfahlen an Stelle von Arzneien nur Sittenlehren
wie etwa die folgenden: seid bescheiden, enthaltsam, human
g^en die Niederen, jagt nicht der Mode nach, hütet euch vor
dem Luxus, haltet fest an den alten guten Sitten. Es versteht
sich von selbst, dass diese Sittenlehren zu nichts führten. Der
Strom der Zeit risa die- Gesellschaft in entgegengesetzter Rich-
toDg mit fort. Nur ein Schriftsteller war vorhanden, begabt
mit einem bedentenden kritischen Geiste , welcher tiefer in
die gesellschaftlichen Verhältnisse blickte, und indem er dem
ffeaen der Szlacbta auf den Grund ging, sich erkühnte, direct
in die Wurzel derselben in Polen die Hand anzulegen, die
Bedentang und den Vorzug der Geburt zu verwerfen und an
der Gültigkeit des Erbadels zu zweifeln. Dieser Zweifel kam
in Anspielungen, in Umschreibungen zum Ausdruck; aber bei
aller Milde der Form war dazu doch ein beträchtlicher bürger-
licher Muth erforderlich. Dieser Schriftsteller, der es wagte,
bewusst gegen den Strom der Zeit und der Gesellschaft zu
schwimmen and von seinen Zeitgenossen kaum bemerkt wurde,
den aber eine spätere Machwelt als ihren leiblichen Bruder be-
grüBsen mues, war Sebastian Elonowicz (oder lateinisch, von
acer^klon, Acernus, 1545 — 1602). Klonowicz* stammte ans
' PnyboroWBki, Rok ämierci Klonowicza, im Jooraal „Ateneom",
1878, Sr. 2.
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68 Viertes Kapitel. Die Polen.
einer bürgerlichen Familie der Stadt Sulmierzyce an der schle-
sischeD Grenze, wurde an der Akademie zu Krakau gebildet,
Hess sich in Lublin nieder, war Ratlistierr und Schreiber des
Stadtgerichts, zuletzt Bürgermeister der Stadt Lublin, yerwaltete
dabei das Amt eineB Richters oder Vogt« auf den Gütern des
Klosters von Sieciechow, in welchem ein Freund des Klonowicz,
der spätere Bischof von Kiew, Wereszczyäaki, Abt war. Die
Untersuchungen des Archivars Joseph Detmeraki in Lublin haben
die in der Literaturgeschichte eingebürgerte Ueberlieferung über
Klonowicz stark erschüttert; darnach sollte er nämlich von einer
bösen und liederlichen Frau ruinirt worden und dann in äosser-
ster Armuth im Jesnitenkrankenhaus des heiligen Lazarus zu
Lublin gestorben sein (vgl. den Artikel von Przyborowski). Es
unterliegt keinem Zweifel, dass Klonowicz die Verfolgungen star-
ker und einäussreicher Feinde zu erdulden hatte. Der gelehrte
Bibliothekar der krakauer Universität Joseph Muczkowski (seine
Broschüre erschien 1S40) hat zufällig entdeckt, wer seine Haupte
Verfolger gewesen sind. In den Acten der Jesuiten fand er die
Nachricht, die letztem hätten ihn vor seinem Tode zur Reue
gebracht und genöthigt, um Verzeihung zu bitten, dass er im
Jahre ICOO anonym die Broschüre herausgegeben „Equitis Poloni
in Jeauitas actio prima", worin er nachzuweisen suchte, dass sich
der Orden mehr mit lotriguen als mit der Wissenschaft befasse,
und dass er Polen Schaden gebracht habe, indem er sich der
Bildung des Volkes bemächtigte. Die Hand des Ordens lastete
auch auf den Werken des Dichtei's, die nach Möglichkeit ver-
nichtet vrurden. Vor allem verfolgte man seine „Victoria, deo-
nun", die mit folgendem Doppelvers der Jesuiten gebrandmarkt
wurde:
Quid praemü versibuB tarn diguis,
Nim caroifex et ignis?
Betrachtet man Klonowicz vom künstlerischen Standpunkt
aus, 80 wird das Urtbeil nicht zu seinen Gunsten aus&llen; sein
poetisches Talent war schwach; durch poetische Schöpferkraft,
die einen grossen Gedanken in die ihm entsprechende Form
zu kleiden gevnisst hätte, ragte er durchaus nicht hervor.
In seiner Natur herrschen zwei Fähigkeiten vor; eine scharfe
Beobachtungsgabe und ein analytischer Verstand, der jeden
allgemeinen, von ihm zum Thema gewählten Gedanken in eine
un^blige Menge von Einzelgedanken zerlegte. Nachdem er
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Sebaati&u Elonowici. 69
dnen solcben Gedanken gefaast, trug er eich lange mit ihm
hernm, oft Jahre lang, wendete ihn nach allen Seiten, nahm
nach allen R^etn der Logik ein ganzes Netz systematischer
Tkeilnngen Tor und fiillte die Maschen desselben allmählich
mit einem Inhalt aus, den er entweder dem Vorrath seiner
Gelehrsamkeit oder der eigenen Lebenserfahmng entnahm. Mit
Ansschlass der „Graheselegie auf den Tod Johann Kocha-
Dowski's", einer Reihe von lyrischen Gedichten, sind alle Ge-
dichte Ton Klonowicz weitschweifig, tragen die Spuren langer
and mühsamer Arbeit an sich, lesen sich schwer, sind aber
reich an malerischen Einzelheiten.
Vor nicht langer Zeit wurde noch ein Werk des Klonowicz in
lateinischer Sprache aufgefunden und 1875 zu Warschau Ton
Wlsdy^aw Okgcki herausgegeben: die ,,Goraia", worin das adelige
Geschlecht der Gorajski verherrlicht wird; es vermag jedoch dem
Bnhme des Dichters nichts weiteres hinzuzufügen. Die Dichtnn-
^ von Klonowicz lassen sich auf zwei Gattungen zurückführen:
Landschaflsschilderungen (dahin gehört seine polnisch geschrie-
bene Dichtung „Flie" — „der Flösser" und die lateinische
„Roxolania") and Sittenschilderangen (wie „Worek Judaszöw"
— „der Säckel des Judas" nnd „Victoria deorum"). Flisy
(Flösser) ist der Name der Schiffer anf der Weichsel. Kloao-
wica besteigt mit ihnen eine Barke an der Brücke zu Warschau
and macht die Fahrt bis nach Danzig hinab mit. Die Dichtung
b^nnt mit der Erschaffung der Welt, mit der Bildong der
Fliuse, leitet ans dem grauesten Alterthum, von Jason und Ulys-
us, die Geschichte der Schiffahrt und des Handels her, stellt den
Schiffsbau encyclopädisch dar, beschreibt die Sitten der Schiffer,
ihre technischen Ausdrücke und Redeweisen, ihre Traditionen,
Dod indem sie bei jeder Biegung und jedem Arme des Flusses
verweilt, xeicbnet sie die Bilder der Ufer und der an ihnen
hegenden Dörfer und Städte. lu der lateinischen „Roxolania"
ontemahm es Klonowicz, als ein Pflegesohn des Rothen oder
Güiziscben Russlands, die Herrlichkeiten seines Adoptivvater-
landes zu beschreiben, und indem er seinen Gegenstand in drei
Theile theilt, beschreibt er im ersten die Gaben nnd die Er-
tengnisse der Natnr, wie auch die Gewerbe der Bewohner, als
Waldbau, Landbau, Viehzucht, Bienenzucht; im zweiten die roth-
nneiscben Städte: Lnhlin, Lemberg, Kiew, Przemysl, Kamieniec;
im dritten — Leben und Sitten der Bewohner, die Taufen, Leichen-
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70 Viertes Kapitel. Die Poleo.
begängnisBe, Fasten, Zaubereien und den religiösen Aberglauben
des Volkes, die Leiden und Freuden des Bauers, die Habsucht
der Juden. Ein grosser Meister in der Landschaftsmalerei, zog
es Klonowicz nach der Anlage und Art seines Geistes doch ror,
wichtige Stoffe, moralische Fragen zu bearbeiten, „spasshaft zu
schreiben nicht um des Spasses willen, sondern zur Verbesse-
rung der menschlichen Sitten, vor allem zur Besserung der
jungen Leute". Als Bichter, der sich lange mit dem Schmuze
und dem Bodensatz der Gesellschaft befasst hatte, kannte er
die Kehrseiten der menschlichen Natur sehr wohl — er machte
auch seinem durch den Anblick des Uebels betrübtem Herzen in
einem Gedicht in polnischer Sprache Luft: „der Säckel des Ju-
das", einem sonderbaren Werke, bei dem man nicht recht weiss,
wo man es hinthun soll, ob in die juristische Literatur oder in
die Poesie. Dem Vei-fahren des Verfassers nach gleicht es eher
einem Commentar zum „Sachsenspiegel", welcher den Bicbtem
in den Städten als Norm diente; es ist nichts anderes als ein
juridischer Tractat, nach allen Regeln der Wissenschaft, über
den Diebstahl und über verschiedene andere tadelnswerthe Arten,
sich Eigenthnm zu erwerben zum Nachtheil anderer Personen.
Der Verräther Christi, der ruchlose Judas, trug am Gürtel einen
bunten Beutel, der aus vier Sorten Leder genäht war: vom Wolf,
vom Fuchs, vom Leoparden und vom Löwen. Den vier Bestand-
theilen des Beutels entsprechen die vier Arten, sich fremdes
Eigentbum anzueignen: Diebstahl, Betrug, Erschleichang und
Gewalt, was denn auch dem Verfasser den Anlass gibt, alle
Arten dieser Vergehen der Reihe nach zu schildern und durch-
zunehmen.
Auf das erste Stück des Beutels werden bezogen: der
einfache Diebstahl, die Simonie, der Diebstahl von Bienen und
Pferden, das Bestehleu der Staatskasse und der Wucher. Zu-
letzt wird mit der unerschrockenen Hand des berufsmässigen
juristischen Technikers dramatisch und malerisch der ganze
He]^ang des gerichtlichen Verfahrens gegen Diebe gezeichnet,
mit dem Henker, dem Hinaufziehen des Delinquenten auf die
Wippe, dem Brennen des Körpers mittels Lichter, und dem
Aufknüpfen des Diebes an dem hohen Querbalken zwischen
Himmel und Erde, damit er dem menschlichen Geschlecht
nicht mehr schade. Unter das Fuchsfell sind Betrüger ge-
bracht, die um Almosen bitten, femer die Bettler, die an-
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SebMtiaa EloDowjcz. 71
geblich Wander tliun , die Preller , welche au f Kosten der
Hänner leben, indem sie den Franen den Hof machen. Auf
das Leopardenfell sind bezogen die hinterlistige Rechtsver-
drdang, der jüdische Wucher und die Erpressung von Ver-
eächtnissen durch Mönche bei Sterbenden zu Gunsten von
Klöstern nnd Kirchen. Zuletzt, zum Löwenfell gelangt, hüllt
sich der Verfasser auf einmal in Schweigen, „da es gefährlich
Bei, TOD diesem Felle zu sprechen", und nachdem er seine
Rede unterbrochen, scblieset er die Dichtung mit der Bitte
u die Räuber, welche fremdes Gut genommen, dass sie nach
dem Beispiel dessen, was mit den Silberlingen des Judas ge-
Bcbah, wenigfitens einen „Blutacker" kaufen mögen zum Be-
gräbniss für die von ihnen beraubten Opfer. Bei Klonowicz
rnnss man mehr als bei irgendeinem seiner Zeitgenossen zwi-
schen den Zeilen lesen: in dieser unToUstandig ansgesproche-
nen Andentang liegt, wie man annimmt, ein politischer Hinter-
gedanke — unter der Gewaltthätigkeit des Löwen verstand
er wahrscheinlich die Gewaltthätigkeit und die Bedrückun-
gen der im Staate vorherrschenden Aristokratie gegen die
andern Stände; aber das Wort erstarb ihm auf den Lippen vor
der Schwierigkeit der Aufgabe. Dies« Schwierigkeit bestand
nidit in der Besoi^iss vor Verfolgung der Regierung — weil
die Institotionen in Polen freier waren, als irgendwo anders und
der Schriftsteller volle Freiheit des Wortes und der Presse ge-
D088; sie bestand vielmehr in der geringschätzigen Ignorirung,
mit welcher sich eine zu einer bestimmten Verfassung gediehene
Geaellscbaft zu Wahrheiten und Uathschlägen verhalt, die ihr un-
angenehm sind und ihre Bnhe stören. Klonowicz wollte sich um
jeden Preis Gehör verschaffen, er kleidete den harten Gedanken
iü weiche Formen, er sprach mit allen möglichen Vorbehalten
und Zugeständnissen einen Protest gegen die bestehende Ordnung
der Dinge aus und legte die Idee, dass eine gründliche sociale
Beform nöthig sei, in einer langen didaktischen Dichtung dar,
lateinisch in 44 Gesängen, unter dem Titel: „Victoria Deo-
nnn". Dieses Werk gehört in die Poesie, weil es in Versen
geschrieben ist, tbatsächlich ist es aber nichts weiter, als ein
grosser Tractat über Moralphilosophie, der ganz aus Thesen,
Widerlegnngen , Beweisen und Beispielen besteht. Der Titel,
ganz willkürlich gewählt, ist einer am Ende der Dichtung be-
findlichen Episode (XXXIX, XL) über den Kampf der Titanen
■ ü,g:.._..., Google
72 Viertes Kapitel. Die Polen.
mit Japiter eDtnommen; unter den Titanen sind die Magoateo
und die Szlaohta verstanden, die den Thron erschüttern, unter
Jnpiter die königliche Gewalt. Es hestand die Hypothese, Elo-
nowicz habe den Zebrzydowski'scben Rokosz von 1606 im Sinne
gehabt. Diese Annahme fällt jedoch, nachdem das Todesjahr
des VerfasserB, 1602, festgestellt und noch eine andere That-
sache entdeckt ist, nämlich dass die „Victoria Deorum" schon
1587 geschrieben ist. Eigentlich sollte der Titel der Dichtung
„De vcra nobilitate" lauten, und ihr Grundgedanke ist, dass
„wohlgeboren" nur ist, wer wohl lebt, und wohl lebt, wer wohl
stirbt. Klonowicz räumt die Nothwendigkeit ein, dass ein Adel
bestehe, weil die Menschen nicht mit gleichen Fähigkeiten
geboren werden, und es in einem jeden Gemeinwesen sowol
Regierende als Regierte geben müsse. Aber nach dieser Con-
cessioD verlangt er, dass der Adel ein echter sei und kein fal-
scher, der echte aber könne sich nur auf Tugend (besonders
Tapferkeit — virtus) und Arbeit gründen, aber nicht auf Geburt
und auf Reichthum.
Da der Adel durch Tüchtigkeit erworben werden muss, so
wandelt er sich bei Klonowicz ans einem Geburteadel in einen
persönlichen um, was der Verfasser auch dadurch erhärtet,
dass er zahlreiche Beispiele der Verderbniss und Entartung
aristokratischer Familien und der Begabung gewöhnlicher Leute
und Bastarde anfuhrt. Den herrschenden Vorurtheilen gegen-
über behauptet er, die Handarbeit sei nicht erniedrigend für
den Szlachcic; er geht enei^isch gegen die Gutsherren vor,
indem er für die Bauern eintritt. Klonowicz ist nur Kritiker,
aber nicht Reformator; er weist zwar auf die Ursachen des
Uebels hin, schlägt aber keine Mittel zur Heilung vor: solche
gab es ft'eilich auch in der polnischen Republik nicht, deren
organischer Fehler eben in der Geburtsaristokratie lag. Ihn
baechlich kein Argwohn, das Uebel sitze so tief, dass sich das
Volk von demselben nicht anders befreien könne, als durch
seinen politiBchen Tod. Er war der Meinung, die Zeitgenossen
oder doch wenigstens die nächsten Nachkommen würden ihn
nach Gebühr würdigen', aber die Erinnerung an ihn verlor
sich und erst nach zwei und einem halben Jahrhundert, nach
Forsitan ad Msnes duloedo posthuma laudis
Ferveoit nostroe et seri senaus honoris.
..., Google
Sebattitin Elonowicz. 73
dem Üntei^ang der Kepnblik, ist seiDem Schatten ToUe Ehre
latheil geworden und sind ihm Grabdenkinäler errichtet worden.*
Statt einer Reform in liberalem Geiste, nach der Klonowicz
rief, näherte eich mit schnellen Schritten eine illiberale, untole-
raote Reaction, eine Rückkehr znm Alten, eine Fesselung des
Gedankens, der infolge der Reformation den Zaum abgeschüttelt
hatte, ebne dass die staatlichen Institutionen reformirt waren.
Freie Institutionen erforderD in dem Volke, das sich ihrer be-
dienen will, gesunde Sitten und eine Ansbildung der Charaktere.
Diese AnsbildTing wurde im Mittelalter durch die Religion ge-
geben. Der Protestantismue in Polen stellte nach Verwerfung
der kirchlichen Autorität kein nenee Sittengesetz an die Stelle
des katholischen and war sichtlich bestrebt, im Arianismus,
Aoabaptismus nnd andern Sekten die Religion in eine reine
Philosophie amunwandeln, die nach dem blossen Masstab des
Bedürfnisses sowol die Heirath zwischen Blutsverwandten als un-
eheliche Verbindungen, Confiscation geistlicher Güter und aller-
btnd Willkür guthiess. Dabei war dieser polnische Protestan-
tämDB ToII innerer Widersprüche, die ihn unvermeidlich zum
Fall bringen mnssten; er fasste nur in der Schicht der höhern
Silachta Worzel, suchte in den Magnaten seine Stütze, sah steh
dtrch die Umstände genöthigt, seinen Beschützern gefällig zu
sein, ihnen manches Ungebührliche nachzusehen, kümmerte sich
wenig nm die Volksmassen und gewöhnte sich daran, die Frei-
heit des Bekenntnisses als eine dem Adel allein zukommende
Prärogative zn betrachten. Die protestantische Szlachta genoss
die Freiheit, zn glauben oder nicht zu glauben, und schätzte
dieselbe hoch; aber sie erkannte zugleich, dass für da« gemeine
Volk eine Religion nöthig sei, nm es in Zaum zu halten.
Dieses Bündnias des Protestantismus mit der Aristokratie konnte
nur bis zn einer gewissen Zeit anhalten, nämlich bis zu dem
Momente, wo die beiden miteinander verbundenen Kräfte inne-
worden, dass sie hei dieser Vereinigung nur verloren: die
Religion, weil sie durch die Abhängigkeit von ihren welt-
bchen Protectoren erniedrigt wurde; die Aristokratie, weil der
Protestantismus, als ein Element der Kritik und der Negation,
jede Autorität zersetzen mnsste und folglich auch die der
' Eine schöne Würdignsg eeiuer Verdieoste fand KloDowicz bei Ma-
«iejowBki, „Piim. Polek.", 1,022—566.
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74 Viertes Kapitel. Die Polen.
Szlachta, ihre Herrschaft über die Bauern, ihr politisches Ueber-
gewicbt, das sich auf nichts anderes gründete, als auf Geschichte
und Ueberlieferung. Dieser Moment trat zu Ende des 16. und
Anfang des 17. Jahrhunderts ein. Der Bahnbrecher der neuen
Bichtut^;, ihr Vorbote und Theoretiker, der die Samenköruor
des starrsten ConservatiTismus legte, die im folgenden Jahr-
hundert üppig anfgingeo, war derselbe Stanislaw Orzechowski,
dessen Angelegenheit in der Mitte des 16. Jahrhunderts Föten
fast zum Protestantismus fortriss, indem sie die Slrafgewalt der
Bischöfe gelähmt hatte. In dieser typischen Person verkörpern
sich nebeneinander alle Extreme und Widersprüche der Glanz-
periode, und da sie zugleich eine volle Herrschaft über die
Geister vieler Generationen der Verfollperiode erlangte, so müs-
sen wir auch bei ihr verweilen. ^
Sohn einer griechisch-orthodoxen Mutter, Enkel eines eben*
solchen Priesters, war Stanislaw Orzechowski, vom Wappen
Oksza, (1515 — 66), gente Ruthenus, natione Folonus, einSzlachcic
von Frzemyäl, schon in der Wiege zum Kanonikus dieses Ortes
bestimmt; im 14. Lebensjahre ins Ausland gesandt, studirte er
in Wittenberg, wo er die Gunst Luther's gewann, brachte aber
dann lange Zeit in Italien zii und trug aus der Hauptstadt des
Katholicismus, Rom, sowol eine tiefe Ueberzeugnng von derUn-
erschntterlichkeit und der Kraft dieser Kirche davon, als auch
die Erkenntniss der Notbwendigkeit einiger Beformen innerhalb
derselben, — und zwar einer Annäherung an den östlichen Ka-
tholicismus , oder die griechische Kirche , zum gemeinsamen
Kampfe gegen die protestantischen Sekten, — und der Auf-
hebung des obligatorischen Cölibate für den Klerus. Talentvoll,
hinreissend, mit allen Eigenschaften eines Agitators ausgestattet,
wiegelte er durch seine Verlobung sowie darauf folgende Ver-
heiratbung die ganze kleinpolnische Szlachta gegen die Bischöfe
auf; auf seiner Seite standen alle Protestanten ; er wurde wegen
Ketzerei excoromunicirt. Dabei war dieser Manu trotz des Un-
gehorsams gegen die KirchensatzuDgen doch seinem Herzen nach
durchaus kein Ketzer, und andererseits sahen die Bischöfe ein,
welchen gefährlichen Feind sie sich gemacht hatten. Es kam
zwischen ihnen und Orzechowski ein Ausgleich zu Stande, die
Excommunication wnrde von ihm genommen, die Angelegenheit
' L. Kabalft, „Stanistaw Orzechowski" (Lemberg 1860).
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StauietavT Orzecboneki. 75
negeu LegaUsimng seioer Ehe dem ErmeBsen des Papstes
anbeimgegeben. In der quälenden Erwartung einer Entschei-
ding hierüber, die jedoch nie erfolgen sollte, 'nard dieser
tut entweihte Priester, der sich in die allerzweideutigste Lage
gebracht hatte, da er von der katholischen Geietlicbkeit als
heimlicher Ketzer verdächtigt, von den Protestanten als offener
Benegat geschmäht warde, ein heimlicher Rathgeber der Bi-
schöfe, ein Vorkämpfer des KatfaolicismuB, eine Geissel der Pro-
testanten. Isolirt, misachtet, legte er eine bewunderungswürdige
Tbätigkeit an den Tag und bewies als Polemiker und Famphle-
tist ein Talent ersten Ranges. Von seinen Ideen näbrten sich
im folgenden Jahrhundert die katholischen Schnftsteller, indem
rie ganze Seiten wörtlich entlehnten; einige seiner Werke, z. B.
die „Apokaljpsis", hatten gegen 11 Auflagen. — 1d allen seinen
Broschüren, Briefen und Dialogen wird nur der eine Gedanke
durchgeführt: daea es unabweisbar nothwendig sei, die scbranken-
lo«e, politische Freiheit der Szlachta auf einer vollen geistigen
Knechtung, auf der voUeu Unterwerfung des Geistes unter die
Aotorität der Kirche zu begründen. Es gibt kein Volk auf
der Welt — sagt Orzechowski in seinem Dialoge „Quincunx"
{Q. to jest wzör korony polskiej na cynku vfystavriony, IÖ64) —
das über dem polnischen stünde sowol der Gleichheit (es gibt
bei ihm weder Grafen noch Fürsten) als der Freiheit nach.
„Dn, Litauer, gehst wie ein Ochse im angeborenen Joche, ich,
der Pole, schwebe daher wie ein Adler, weil ich keinem erb-
Ucben Herrscher, sondern einem König unterthan bin, den ich
mir selbst gewählt habe. Der Pole tragt ein berühmtes Kleid
~ die Freiheit, die gleich ist der des Könige, und hat an
der Hand einen goldenen Ring — den Adel, vermöge dessen
der Orösste dem Geringsten gleich ist. Mit dem König hat er
gemeinsam das Recht des Staates, das in gleicher Weise ihm
wie dem Könige dient. Im Genuss alles dessen freut sich der
Pole und tanzt, ohne irgendwelche unfreiwillige Verpflichtung
zu tragen und dem König, seinem Oberherrn, mit etwas wei-
tem verbunden zu sein, als mit dem Titel auf der Klageschrift,
iwei Groschen von der Hufe und dem Dienst in der Volkswehr.
In erblichen Monarchien gibt es keinen Schutz gegen den Herr-
seber, aber in Polen ist ein solcher vorhanden, und zwar: der
£id des Königs. Wer aber zwingt diesen, den Eid zu halten?
Derjenige, welcher ihm diesen Eid abgenommen, der ihn gekrönt,
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76 Vierten Knpitel. Die Polen.
ihm folglich auch die königliche Gewalt gegeben hat, der aut^
das Volk vom Gehorsam gegen den König entbinden kann — der
Erzbischof von Gnesen, pater regis et regni princeps, der die
Schlüssel zu den Thoren des Himmels bat. Es gab Zeiten ohne
Könige, sie werden auch wiederkommen, wenn einst die Könige
insgesammt vor dem jüngsten Gericht zu nichte werden, aber
es gab nie eine Zeit ohne Frieeterthum, noch wird es eine solche
geben. Das Phesterthum ist ein ewiges Amt, das Königthum
aber nur eine zeitliche Würde; um so viel der König höher
steht als das Volk, um so viel steht der Priester höher als
der König." — Die Theorie Orzechowski's ist folgende: in Polan
gibt es keine Leute ausser der Szlachta; jeder Szlachcic ist
ein souveräner Herr, über allen diesen Herren steht ein eben-
falls von ihnen gewählter und wenig von ihnen unterschiedener
oberster Herr, der König, aber ihm ist im Interesse der Frei-
beit der Szlachta ein Zügel angelegt, den der Priester in
Händen hält. Diese Theorie ist die extremste Consequenz der
einseitigen Idee der Adelsfreiheit, aber sie traf das Richtige,
indem sie auf die enge Verwandtschaft der bis zur letzten
Stufe entwickelten und darum conservativ gewordenen Szlachta
mit der Autorität in Glaubenssachen, auf die Gefahr hinwies,
die von allen Neuerungen, religiösen sowol als politischen
drohte. Nachdem man diese Gefahr erkannt, fiel die Mehrzahl
der Anhänger des Protestantismus von diesem wieder ebenso
leicht ab, wie sie ihm beigetreten war, sagte sich von der Frei-
heit des Gedankens los, unterwarf sich wieder der Autorität der
Offenbarung, welche durch die Kirche repräsentirt wurde, und
der scheinbar ganz verfallene Katholicismus erstand wie ein
Phönix aus der Asche, erneuert, gereinigt und kriegerischer
als jemals in frühern Zeiten. Die Reihen seiner Gegner lichten
sich, von den protestantischen Magnaten geht einer nach dem
andern zum Katholicismus über, es treten auch die Fürsten
über, ferner die litauischen und russischen Grossherren, welche
bisher der griechisch' orthodoxen Kirche folgten. Eine enthu-
siastische Propaganda verrichtete Wunder, sammelte die zer-
streuten Schafe wieder in eine Heerde unter das alte Banner
und setzte sich das Ziel, die Glauhenseinbeit zum Fundament
für den Staat zu machen, nachdem sie alle Ketzer (Prote-
stanten) und Schismatiker (griechisch Orthodoxe) gezvnmgen
haben werde, die Oberherrschaft des römischen Papstes aozn-
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Peter Skftrga. 77
eikeiuien. Diese BestreboogeD dea EathoUcismue fielen mit der
eroBBten Ausbreitung der Grenzen PoleifB nach Osten, mit dem
Homeat mBammen, als sich die polnischen Adler sogar gegen
ien Kreml von Moskaa richteten, als die nicht unbegründeten
Hoffnungen bestanden, dass früher oder später Moskovien selbst
in den Bestand der polnischen adelig -katholischen Föderation
einbezogen werden würde, sei es durch die Wahl eines der mos-
kaeischen Fürsten auf den polnischen Thron (nach dem Beispiel
der Dynastie der Jagiellonen), oder dadurch, dass auf den Thron
TDD Uo^au jemand gesetzt würde, der sich dasn hergäbe, die
Pläne der polnischen Politik auszuführen. Die Hauptpersonen
in der religiösen Propaganda waren die Jesuiten; von ihrem Ein-
änss auf die Bildung des Volkes, auf dessen geistige Entwicke-
loDg werden wir später reden, bei der Betrachtung der folgenden
Periode, wo die Thätigkeit derselben schon ihre Früchte trug;
hier sei nur bemerkt, dass ihre Tendenz in Tieler Beziehung de-
mokratischer war, als der Proteatantismns der Szlachta, dass
viele von ihnen scharfsichtiger waren als Orzecbowski und ahn-
ten, dass durch die Stagnation, in welche die Gesellschaft in-
folge der definittren Schwächung der königlichen Gewalt ver-
nnken werde, der Staat zu Grunde gehen müsse; endlich, dass
sich unter den Jesuiten auch ehi'liche Leute fanden, voll Selbst-
rerleagnong, ihrer Sache mit Begeisterung ergeben, die im Namen
Gottes bittere Wahrheiten zu dem Volke und selbst zu der
Silachta redeten, die Gewaltigen dieser Welt schalten, ohne sich
je durch Schmeicheleien zu erniedrigen. Einer dieser aufrichtigen
and ehrlichen Arbeiter auf dem Gebiet der katholischen Propa-
ganda und, man darf sagen, die Personi£cation derselben, war
der berühmte Priester Peter Faw^zki, bekannter unter dem
Znnamen Skarga, der sich durch seine hinreiseende Beredsam-
keit den Beinamen Goldmund (Chrysoatomus) erwarb. Sein Ein-
flnss auf die Zeitgenossen war so gewaltig, und seine rednerische
imd hterarische Thätigkeit so eng mit allen politischen Vorgängen
der damaUgen Zeit verbunden, dass es nöthig ist, die Haupt-
momeote seines 76jährigen Lebens, das von Anfang bis zu Ende
nnr einer Idee gewidmet war, näher darzulegen.'
Peter Skarga, ein maznriecher Adeliger, ward 1536 geboren,
■ Byoheioki (M. DEieduazyoki), „Fiotr Skarga i jego wiek" (2 Bde.,
KnkM 1860).
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78 VierteB Kapitel. Die Polen.
Btudirte auf der Akademie za Erakau , trat id dea geistlichen
Stand, ward KanonikÜB des Kapitels zu Lemberg nnd Fre-
diger an der dortigen Kathedrale. Die Weltgeistlichkeit, der
er angehörte, befriedigte seine zur Ascetik geneigte, strenge,
die Disciplin liebende Seele nicht. Er schied aus derselben,
ging nach Rom und trat dort, in der Hauptstadt des Katho-
licismas, 1568 in die Reiben jenes vor kurzem entstandenen
Ordens ein, der auf einer mehr als militärischen Subordina-
tion, auf einer blinden und unbedingten Unterwerfung des Ver-
standes und Willens des Menschen unter die Interessen und die
Zwecke der Kirche gegründet war. 1571 nach Polen zurück-
gekehrt, ward er 1573 auf einen sehr wichtigen , aber schwieri-
gen Posten gestellt im Osten der Bepablik zu Wilna, mitten
unter . den in Litauen yorherrschenden Calvinismus. Er zeich-
nete sich bald als Prediger aus, bekehrte die Magnatenfamilie
der Cbodkiewicz und die nieSwie^'echer Linie des Hauses Radzi-
witt zum KatholicismuB, hielt Disputationen mit protestantischen
Theologen, gründete religiöse und mildthätige Brüderschaften,
war der erste Rector der 1579 aus dem Jesuiten -Gymnasium
gebildeten wilnaer Universität, machte Reisen zur Errichtung
von Jesuitencollegien, Schulen und Kirchen in Polock, Dorpat,
Riga. Aus Wilna siedelte Skarga 1584 nach Krakau über;
1588 machte ihn der zum König gewählte Sigismund III. Wasa
zu seinem Hofprediger. 24 Jahre lang genoss Skarga das un-
begrenzte Vertrauen des letztem. Der Prediger Birkowsld sagt
von ihm: wie vor den römischen Kaisern angezündete Fackeln
getragen wurden, so war Skarga eine solche brennende Fackel
vor der Pereon des polnischen Königs und Volkes. Gelder
gingen zu Tausenden durch seine Hände, weil der Hofprediger
auch der Verwalter der Gelder war, welche der König für die
Armen spendete, aber für seine eigene Person that ihm selbst
der Groseben leid, er lebte in freiwilliger Armuth in einer engen
Mönchszelle, wo er sich die kleinsten Bequemlichkeiten versagte.
Sein Wort galt bei dem König viel, aber er bat nie für jemand,
warb nie für jemand um die geringste Gnade. Als Politiker
nahm er an zwei Ereignissen lebhaften Antheil: an der Union
von Brest (1596) und an dem Zebrzydowski'scben Kokosz.
Die Brester Union bereitete er mit seinen politischen, gegen
die griechisch-orthodoxe Kirche gerichteten Werken vor („Ueber
die Einheit der Kirche Gottes unter einem Hirten und über
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Peter Sku^ 79
das griechische Scbieiua" — „0 jednoäci koäcio}a Bo2ego u. s. w."
Wibia 1577). Er trat auch auf der Synode zu Brest 1596 als
Bedner auf und zwar als einer der Deputirten des Königs.
Dort forderte er auch die Griechisch - Orthodoxen , die mit der
Union nicht einverBtanden waren, zn einer öffenllicheu Dieputa-
tion auf und beschrieb den ganzen Verlauf der Sache in dem
Buche „Sjnod Brzeski i jego obrona" („die Synode zu Brest
und ihre Vertheidigung", 1697). Die Brester Union, die Gewalt^
thätigkeitea und Verfolgungen der Katholiken gegen die an
Zahl echwächem Protestanten auf Anstiften der Jesuiten, und
die dem VoUce verhassten Verbindungen des Königs mit dem
Hanse Oesterreich riefen einen Bürgerkrieg hervor. Es bildete
sich eine Coalition aus allen dem König und den Jesuiten feind-
hcben Elementen, aus den Protestanten, den nichtunirten Grie-
chisch-Orthodozen, aus den Magnaten, welche gegen das Bünd-
niss mit Oesterreich waren und die Bestrebungen des Königs
nach dem Dominium absolutum fürchteten. Es kam zu einem
bewa&eten Aufstand oder Bokosz, an dessen Spitze ein intimer
Freund des verstorbenen Zamojski, der Wojewode von Krakau
Zebrzjdowski stand. In diesem Spiel waren die Karten sonder-
bar gemischt: auf der einen Seite stand die königliche Gewalt,
die dem Orden als Schirm and Werkzeug diente, mittels welcher
die Jesuiten die Idee einer religiösen Einigung des Volkes um
j«den Preis durchzuführen suchten; auf der andern Seite reichten
ach die Terachiedenartigen, einander hassenden akatholisoben
Bekenntnisse und Sekten die Hand, vereint durch die ihnen
drohende gemeinsame Gefahr, und trugen auf ihren Schultern
das ehrgeizige Magnatentbum, das sich so gern bei jeder geeig-
neten Gelegenheit dem König widersetzte. Skarga fuhr vom
König zu Zebrzydowski, um ihm zuzureden, sich zu versöhnen;
die Aufständischen verlangten vom König die Entfernung der
Jesuiten; Skarga, ohne einen Schritt vom König zu weichen, trat
als Kämpfer für den Orden auf und vertheidigte ihn sowol mund-
hch von der Kanzel herab als schriftlich: „Pröba zakonu socie-
tatis Jesu" („Prüfung des Statute der Gesellschaft Jesu", Krakau
1607).
Das Tragische in diesem Kampfe der Parteien war, dass, auf
welche Seite sich auch der Sieg neigen mochte, die polnische
Gesellschaft doch unausbleiblich verlieren musste. Der König
bewältigte die Aufständischen, aber nicht in dem Grade, dass
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80 Viertes EapiteL Via Polen.
seine Gewalt das Schioksal der niedem arbeitenden Klassen des
Volkes in ii^endetwas hätte erleiclitern könnea; darnach warden
die Diseidenten geschlagen und Skarga erlebte den vollen Triampb
des Katholicismos. Er starb zu Erakau 1612.
Die literarischen Arbeiten Skai^'s lassen sich in polemisch-
theologische Werke, in Werke, die sich anf die Kirchengeschicbte
beziehen, und in Predigten eintheilen. Er polemisirte sehr viel
mit den Griechiscb-Orthodozeu, mit den Protestanten verschiede-
ner RicbtiiDgeD („Die sieben PfeUer, auf denen die katholische
Lehre steht" — „Siedm filaröw, na ktörych stoi katolicka nanka
u. s. w." 1582; „Aafmf zu dem Einen seligmachenden Glauben"
— „Wyzwanie do jedniej 2bawienBej wiary" und vieles andere),
schrieb geharnischte Tractate insbesondere gegen die Arianer
(„Beschämnng der neuen Arianer" — „ Zawstydzenie nowyoh
arjanäw", Erakau 1608; „der neue Messias der Arianer nach
dem türkischen Koran" — „Messiasz nowy aryanöw u. s. vr."
Krakaa 1612). Diese Werke unterliegen unserer Erörterung
nicbt, so vrenig wie seine Versuche in der Kirchengescliichte, die
da^n bestanden, daes er Heiligenlegenden herausgab („2ywotf
Swiftych", 1579) und in Uebersetzung einen Auszug aus dem
Werke des Cardinais Baronius: „Annales ecclesiastici" (1603 —
1607) lieferte. Die Legenden sind kritiklos geschrieben, aber in
einem schönen, fesselnden Stil, dem sie es zu verdanken haben,
dass sie bis 25 Auflagen erlangten und in der Volksmasse be-
kannter und verbreiteter sind, als irgendein anderes Literatur-
werk. Am allerwichtigsten sind Skarga's Predigten ' („Kaxania na
niedziele i Öwi0a" — „Predigten auf die Sonn- und Festtage",
159Ö; „Kazania o siedmiu sakramentacb i Kazauia przy godne" —
„Predigten über die sieben Sakramente und Gelegenheitspredig-
ten", 1600) und insbesondere die Beichstagspredigten („Ka-
zania sejmovre", 1600). Achtzehnmal hatte er Gelegenheit vor den
2U gesetzgebenschen Arbeiten versammelten Reichstagen Pre-
digten zu halten, welche die Bedeutung von politischen Reden
hatten, viermal hatte er Daukpredigten zu halten aus Anlass
grosser Siege, durch welche eich cUe polnischen Waffen be-
rühmt gemacht hatten: 1588 bei Gelegenheit der Oefangen-
' Eine Auswahl erachien in deuUcker Ueberaetznng n. d. T.: „Sonn-,
FestUge- und OelegenheiUpredigten naoli Skuga. Uerkuag. von A. Swien-
telt" (BrMl«n 1871).
.....Gooj^lc
Petev Slcugtt. 81
uhme des Erzherzogs yon Oesterreicb, Maximilian, bei Pitschen;
1600 bei Gelegeoheit der Unterwerfung der Moldau unter Polen
darch Zamojekii 1605 bei Gelegenheit der Niederlage Karl's
TOB Sädermanland, des Onkels toq Sigismund III. , dnrch Chod-
Uewicz bei Kirchholm an der Dwina, und 1611 bei Gelegenheit
der Einnahme Ton Smolensk. Die Kraft Beiner Beredsamkeit
war so gross, dass ihn seine Feinde, die Dissidenten, einen
i^eelentyrsnnen " (psychotyrannus) nannten. Um seine Reden
nach Gebühr zu würdigen, muss man rergessen, dass er ein Je-
Bnit war, muss man sich in seine Lage vereetzen, sich auf seinen
Standpunkt stellen. £r war in vollem Sinne des Wortes ein
Bürger unter den Priestern, so sonderbar auch diese Bezeichnung
erscheinen mag; er repräsentirt den seltenen Typus eines Jesui-
teo, der zugleich ein Patriot war. Sein Vaterland liebte er warm
und leidenschaftlich, wünschte eifrig seine Grösse, die Ausbrei-
tung seiner Grenzen und seiner Macht, und als er mit Schrecken
die Zeichen der Fäalniss und Zersetzung bemerkte, welche den
künftigen Untergang der Bepablik verkündeten, litt er stärker
Ton diesen Krankheiten als seine weniger scharf blickenden Zeit-
genossen. Indem er nach den Ursachen des Uebels forschte,
fand er sie unmittelbar in der Sektirerei, in der Verschieden-
heit der Meionngen und in der Spaltung in Glaubenssachen,
nach jener Regel des Evangeliums: Jegliches Beicb, so es mit
ihm selbst nneins wird, das wird wüste und ein Haus fällt auf
das andere (Lnkas XI, 17). Er wusste sehr wohl, dass er
grimmigen Hass der Dissidenten gegen sich hervorrief; man
nannte ihn einen Inquisitor , Schmeichler , kömglichen Para-
üten, einen apostolus absoluti dominii; er war nicht einmal
sicber vor den frechsten and gewaltthätigsten Angriffen und Be-
leidigungen, in Wilna wurde er einmal geschlagen, in Warschau
empfing er zweimal öffentlich Ohrfeigen und jedesmal hegte er
nicht nur keinen Zorn gegen die Beleidiger, sondern erbat für
sie sogar grossherzig Verzeihung. Niemals erlaubte er sich,
die Personen anzngreifeu oder auf sie hinzuweisen, niemals
hetzte er die Katholiken zu roher Gewalt gegen die Pro-
testanten, zur Zerstörung ihrer Versammlungen und Kirchen,
in einer gewaltsamen' Hindemug ihres Gottesdienstes auf;
nichtsdestoweniger waren seine Bemühungen und Kathschläge •
anf die Erreichung ebendieses Resultats gerichtet, auf die
Entwurzelung des Dissidententhnms mit Hülfe der weltlichen
tini, HUilaclia LllcrMnrgn. II, I. ti
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82 Viertes Kapitel. Die Polen.
Macht und auf die Nichtduldung des Sektenwesena Beitens
des Staates, weil die Toleranz nach Beines Ideen direct zum
Atheismus führte.
Die Gewalt des Köuigs ist nactt der Meinung Skarga's nötbig,
um der Kirche den Sieg über die Andersgläubigen zu verschaffen,
um die Uitbeile der geistlichen Gerichte zu voUstrecken. Er
verheimlicht nicht seiue Neigung zu dem Ideal einer theokra-
tischen Regierung (4. Reichsl-agepredigt) , zu einem königlichen
Priesterthum und zu einem priesterlicheD Konigthum, d. b. zu
einer Verfassung, in welcher der Priester gemeinsam nüt dem
König und durch diesen regieren würde. Aus der heiligen
Schrift und aus der Natur der Dinge gehe die Nothwendig-
keit der Einherrschaft oder Monarchie hervor. Er wäre auch
nicht gegen die Autokratie, wenn der Monarch immer sündloa
und weise wäre, da dies aber selten der Fall, so setze der mensch-
liche Verstand dem König einen Kath und Gesetze an die Seite,
wodurch er die Macht desselben bestimme und begrenze, damit
er nicht ein schUmmer Tyrann werde (6. Reicfastagspredigt). Darin
bestehe eben die wahre Selbständigkeit, die goldene Freiheit,
dass man Könige habe, welche nicht eigenmächtig und willkür-
lich, nicht wie Tyrannen regieren, sondern auf Grund des Ge-
setzes; solche Freiheit verleihe Gott den Polen, indem er ihnen
im Laufe von 600 Jahren gute, gerechte und heilige Könige ge-
geben habe. Es ist klar, dass Skarga bei einer so monarchischen
Stimmung allen Einrichtungen feindlich gegenüberstand, die für
das Palladium der Freiheit in Polen galten. Er ist nicht begeistert
für das Vorrecht der Szlachta, die Könige zu wählen. Er ist
geradezu empört über das Grundgesetz der Republik: Neminem
captivabimnB nisi jure victom. Er wappnet sich stark gegen die
vielköpfige Hydra einer Versammlung von landschaftlichen Ab-
geordneten, welche ihre Autorität auf Kosten des Königs and des
Senate gekräftigt hat. „Ihr Herren Landboten", sagt er, „wandelt
nicht Polen in eine deutsche Reichsstadt um, macht nicht ans
dem Könige eine gemalte Figur, wie in Venedig, da ihr nicht
den Verstand der Venetianer habt, auch nicht in den Mauern
einer und derselben Stadt wohnt." Der Szlachta stellt er in
Bildern, die durch ihre dunkle Färbung etschrecken, alle
Uebel anschaulich vor Augen, an denen die Republik leidet
(7. Reichstagspredigt; „Anforderung zur Busse" — „Wyzwanie
do pokuty", Wilna 1610). „Mein Gott, welcher Luxus ist in
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Peter Sku^. g3
dieses Reich eiDgedraügeu. Klein und Gross, alle haben die
beilige Massigkeit abgeworfen und das altpolnische kriegerische
Leben verschmäht. Jeder will Wein trinken, selten ist ein
F&n ohne Seide, ohne Secbsgespann und ohne Livreen. Ver-
breo hat sich auch die Theilnahme für die Republik, niemand
kÜBimeit sich um die Erhaltung der Festungen und Mauern.
Die Republik wird arm, reich werden nur einzelne Häuser.
Das Bestehlen der Staatskasse ist so eingerissen, dass sich die
Bewahrer solcher Kassen fast ohne Gewissensbisse an Staats-
geldem vei^eifen, sodass kaum die Hälfte der Abgaben, welche
von den Bürgern und Bauern erhoben werden, zu ihrer Be-
itimmung gelangt. Wer könnte alle Verleumdungen, Intriguen,
Betrügereien und Verrätbereien bei den Gerichten aufzählen?
^e Blutschande, Ehebrüche und Meineide? Und der blutige
Schweiss der Uuterthanen oder Bauern, der sich unaufhörlich
abesst, ruft er nicht die Strafe Gottes über den ganzen Staat
herab? . . . Nach welchem Recht werden freie Bauern, arme
Polen und Christen, in Leibeigene umgewandelt, als wenn sie
gekaufte Sklaven oder Kriegsgefangene wären? Nach welchem
Recht machen die Gutsherren mit ihnen, was sie wollen? Warum
haben diese Leute weder einen Schutz noch ein Gericht, das
ihnen Leben, Gesundheit und Eigenthum schirmte? Warum
legen wir auf sie das supremum dominium, das wir doch fUr
ans selbst nicht dulden mögen? Warum gehen wir mit ihnen
um wie mit Sklaven, und nicht wie mit Lohnarbeitern? Auf
deinem Grund und Boden sitzt ein Bauer und thut nicht,
was er soll; jage ihn weg von deinem Acker, aber nimm
ihm nicht die angeborene und christliche Freiheit und mache
did) nicht zum Oberherm seiner Gesundheit und seines Lebens,
ohne jegliches Gericht." . . . Skarga wusste, dass seine politi-
scheu Ratbschläge gegen den Geist der Zeit waren und nicht
angenommen würden, sein Herz füllt sich mit Gram, den
lippen entströmen Worte voller Zorn und niederschmetternd
wie Donner, mit dem Seherblick eines alten Propheten ver-
kündet er seinem Vaterlande den Untergang! „Was soll ich
Bit dir anfangen, armes Reich? Wenn ich Jes&ias wäre, so
würde ich nackt und barfuss gehen und zu euch schreien,
ihr Uebertreter und Uebertreterinuen des Gesetzes Gottes. Die '
Wände eurer Republik krachen in einem fort und ihr sagt:
da* ist weiter nichts, Possen. Polen besteht durch An-
6»
g4 Viertes KapiteL Die Polen.
archie (nierz^dem). Ihr begreift nicbt, dass Polen duTch
Anarchie nicht besteben kann, dasB dies wider die Vernunft
ist. Durch Anarchie und Sorglosigkeit stürzt alles and fallt,
und da die Anarchie aus der Blindheit der Sünde entspringt,
so würde daraus folgen, dass Polen durch Sünden besteht
und sich gewiBBermasBen der Zucht Gottes entzieht. Es wird
fallen, wann ihr es nicht vermutben werdet, und euch alle
mit seinen Ruinen zerschmettern. Wenn ich Jeremias wäre,
80 würde ich mir Fesseln an die Füsse und Stricke um den
Hals legen und zu euch Sündern schreien: so wird man eure
Aeltesten fcBseln; und wiirde ein verfaultes Kleid zeigen,
würde eB schütteln und sagen , so wird verderben und in
nichts zerfallen euer Ruhm und all euer Hab und Gut"
(8. Reicbstagspredigt; Aufruf zur Busse). „Ein äusserer Feind
wird über euch kommen , eure Zwiste benutzen und wird
sagen-, ihr Herz hat sich gcBpalten, jetzt werden sie unter-
geben. Diese ZwiBte werden euch in GefaugeuBcbaft bringen,
in welcher alle eure Freiheiten Tersinkeu und zu Schanden
werden. Grosse Länder und Fürstenthümer, die sich ver-
einigt haben und mit der Krone zn einem Körper verwachsen
sind, werden abfallen und zerrissen werden; ihr, die ihr einst-
mals andere Völker regiertet, werdet, wie eine verlassene Witwe,
zum Spott und Spielzeug eurer Feinde werden. Ihr richtet
euer Volk und eure Sprache zn Grunde, die einzige freie unter
allen slavischen; ihr vernichtet, was von diesem so alten und
so weit verbreiteten Volke übrig ist, und werdet von andern
Völkern verschlungen werden, die euch hassen. Ihr beraubt euch
nicht nur eines HeiTscbers aus eurem Blute, und des Rechts, ihn
zu miblen, sondern auch des Königreichs und des Vaterlandes;
ihr werdet als Bettler im Exil herumirren, als verachtete Vaga-
bunden, die man dort mit Füssen tritt, wo man sie früher
pries und feierte. Werdet ihr im Stande sein, euch ein anderes
Vaterland zu erwerben, wo ihr solche Güter, solches Geld,
solche Schätze und Freuden haben könntet? Ist es möglich,
dass euch und euren Kindern eine zweite solche Hntter geboren
werde? Wenn ihr die jetzige verliert, so werdet ihr euch eine
zweite Bolche nicht einmal vorstellen können" (3. Reichstags-
predigt).
Mit Skarga schliesst das goldene Zeitalter der polnischen Li-
teratur in würdiger Weise ab; er brachte die polniBohe Prosa
ü,g :.._.. ..Google
DtB goldene Zeitalter. g5
auf eine hohe Stnfe der Vollendung, aber nach der richtigen Be-
mei^ang MaciejowBki'8 (Fiämien. II, 359) hat keiner von den pol-
tÜEchen Schriftetellem so viel wie er dazu beigetragen, die pol-
itische Sprache nach lateinischem Typus zu formen, keiner hat
in die Syntax so viele rein lateinische Wendungen eingeführt
wie Skarga. An ihn, als Prediger, schliessen sich an Ghrjsto-
phoros Warszewicki (1524 — 1603) und Joseph WereszczyÄski,
Abt von Sieciechöw, Bischof von Kiew (gestorben 1599; seine
Predigten sind gesammelt und 1854 in Petersburg von Gotowiäski
herausgegeben; alle übrigen Werke in Turowski's Bibliothek).
Ehe wir vom goldenen Zeitalter scheiden, wollen wir noch
einen flüchtigen Blick auf die polnische Geschichtsschreibung
jener Zeit werfen. Die polnischen Historiker kann man in zwei
Kategorien theilen: in solche, welche lateinisch und solche, welche
polnisch ecbriebon. Erstere zerfallen wieder in Compilatoren,
welche die Werke ihrer Vorgänger excerpirten und ein pragma-
tisches System der Nationalgeschichte aufzustellen suchten, und
in Augenzeugen, welche aus erster Hand über die Ereignisse
berichten, an denen sie selbst theilgenommen , oder welche sich
wenigstens während ihres Lebens, vor ihren Augen vollzogen
haben. Zu der erstem Klasse der lateinisch schreibenden gehören:
der Astrolog Miechowita (gestorben lö2'd), der polonisirte
Deutsche Secius aus dem Elsass (gestorben nach 1576), der ge-
lehrte Astronom und Priester Bernhard Wapowski (geh. 1535),
der Bischof von Ermeland Martin Kromer (1512 — 89). Unter
den Schriftetellem der zweiten Klasse sind besonders bemerkens-
verth zwei Personen: Swi^toslaw Orzelski und Reiohold Heiden-
etein. Orzelski (geb. 1549, ge^t. 1588) verfasste mit bedeu-
tendem Talent eine Geschichte der vier Jahre 1572 — 76, vom
Tode Sigismund Augnet's bis zur Wahl Batory's, während wel-
cher sich Polen definitiv in ein Wahlreich umwandelte: „Inter-
«gni Poloniae libri VHI." Heidenstein (1.t66 — 1620) war
Secretär bei Johann Zamojski und bei Stephan Batory und ward
• sine Art von officiellem Historiograpben, weil Zamojski, der
wiae ongewöhnlicheii Fähigkeiten bemerkte, ihm den Auftrag er-
theilte, die Ereignisse des Krieges, welchen Batory mit Moskau
geführt, und andere darauffolgende Ereignisse zu beschreiben,
und ihm wahrscheinlich selbst vieles dictirte und vieles hinzu-
fügte. Die Reihe der Historiker, welche polnisch schrieben,
beginnt mit dem adeligen Geschlecht der Bielski oder Wolski.
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gg Viert«s Kapitel. Die Polen.
Von denselben machte der Vater, Martin (1495 — 1575), den
ereten Versuch einer allgemeinen Geschichte von der Er-
schaffnng der Welt an unter dem Titel „ Kronika äwiata "
(„Weltchronik"). Sein Sohn Joachim (gest. 1599), entnahm
der Chronik des Vaters den Theil, welcher sich auf Polen bezog,
arbeitete denselben um und gab ihn unter dem Titel „Kronika
polska" („Polnische Chronik") heraus. Lukas Görnicki (in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts) schrieb „Dzieje w Koronie
Polskiej" („Ereignisse in der Krone Polens"), eine Art Memoiren
über den königlichen Hof unter Sigismund August, aber er ist
weit bekannter durch sein didaktisches Werk „Dworzanin polski".
(„Der polnische Edelmann"), eine Nachahmung des italienischen
Buches von Balthasar Castiglione „H libro del Gortegiano".
Görnicki gibt seinem Werke folgenden Rahmen. Er fingirt, daas
sich auf dem Landsitz des Bischofs von Krakau und Kanzlers
Samuel Maciejowski, bei Erakau, die Hofleute des Bischofs ver-
sammelt haben und sich zum Zeitvertreib mit der Frage beschäf-
tigen, mit welchen Eigenschaften ein idealer Hofmann aasgestattet
sein müsse, d. i. ein solcher, wie er eigentlich sein sollte. Jeder
spricht der Keibe nach, andere entgegen; das ganze Werk be-
steht aus solchen Dialogen. Bartosz (Bartbolomaeus) Paprocki
vom Wappen Jastrzfbiec in Masovien (gestorben 1614) brach
eine neue Bahn in der Literatur mit seinen heraldischen Unter-
suchungen über einzelne berühmtere Gescldeohter der polnischen
Szlachta: „Herby rycerstwa polskiego" („Wappen der polnischen
Ritterschaft", Krakau 1584)- Eine ganz gesonderte Stellung
nimmt der sehr originelle Schriftsteller Matthäus Stryjkowski
(Maciej Osostowiciusz Prekonides S., geboren 1547, gestorben
in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts) ein. Obgleich
von Geburt Mazure, fasste er doch nach seiner Uebersiede-
lung nach Litauen eine solche Leidenschaft zu seinem neuen
Vaterlande, dass er darüber zu trauern begann, dass Litauen
t^eine selbständige politische Existenz verloren habe, dass es auf
der Oberfläche mit einer Schicht polnischer Civilisation bedeckt
sei, und beschloss, die TJeberreste der von Tag z« Tag mehr
verfallenden litauischen Älterthümer in der Literatur zu ver-
ewigen. Die Aufgabe war schön, aber den Kräften Stryjkowski's
nicht angemessen; er besass dazu weder Kritik genug, noch
genug wissenschaftliche Vorbereitung; dafür hatte er aber zwei
Eigenschaften, welche seinem Werke einen nngewöbnlicheu Werth
.....Gooj^lc
Die jeBoitiHche Periode. 87
terleibea: Wissbegierde und Ausdauer. Er lernte die rasaigche
ind litauische Sprache, bereiste ganz Litauen und Livland, be-
»h die Schlachtfelder, die Arsenale, veranstaltete Ausgrabungen
io Grabhügeln, Schanzwällen und Ruinen, besichtigte eine Menge
ton Schlössern und Kirchen, war mit einem Wort der erste
Alterthnmsforscher Litauens. Alle diese mannichiachen, in solcher
Weise gewonnenen Nachrichten legte er ohne jedes System in
Versen und Prosa in einem Werke dar, in welchem er die Er-
eignisse der litauischen Geschichte mit Vorgängen aus seinem eige-
nen Leben vermengte und alles mit einer gehörigen Dosis Selbst-
lob nberschüttete. Dem Werke gab er den prahlerischen Titel
„einer bisher noch nicht dagewesenen polnischen, Utauischeii, rus-
sischen u. s. w. Chronik": „Kronika polska, litewska, ^mudzka i
vuystkiej Rusi kijowskiej, moskiewskiej, siewierskiej, wolynskiej,
podolski^j, podgorskiej i podlaskiej, ktöra przedtem nigdy Swiata
niewidzifda" (Krölewiec — Königsberg 1582.)
8. Di« jesttitiBoli-iiiacearonisclie Periode (1606—1764).
In der gesammten europäischen Geschichte bilden das 17-
und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Uebergangsepocho
Dod darum eine sehr färb- und charakterlose Zeit.^ Nach der
Senaissanoe, die zeitweihg in der Kunst zwei Cnlturen vereinte
und aus der mittelalterlichen deren religiöse Meinungen nur
ab ästhetische Motive entlehnte, war die Reformation vorüber-
gegangen, — eine kräftige Belebung des religiösen Gefühls,
das zugleich das Gepräge einer leidenschaftlichen Intoleranz trug,
ü^rall hatte die Reformation als Ferment gewirkt-, wenn sie
aaeb die frei«, ruhige geistige Entwickelung der Gesellschaft auf-
hielt, so war sie es doch auch wieder, welche die auf der Tages-
ordnung stehenden politischen und socialen Metamorphosen be-
Bchlennigte, so in England den definitiven Sieg des aristokrati-
' Ant. W&leweki, „Historya wjzwolonej £-ptej za panowania Jana
Euimieraa" (2 Bde., Krakau 18iO— 72); „Diiicje bezkrölewia po skonie Jana
HI" (Krsfcau 1874), — K. Jarochowski, „Itziejc panowacia AuffiiGta II
od imierci Jana III" (Posen 1ST4); Dzieje paiiowania Auguata II do WHtfiiieua
KvoU XU DB ziemie pohk^" (Pobcd 1874).
._..., Gooj^lc
gg VierteB E&pitel. Die Poleo.
Bchen FarlamentaTisintis , auf dem weBteuropäischen Gontinent
den Sieg der königlichen Gewalt, in Polen den des adeligen
Volksrecbts. In Europa bilden sich die absoluten Monarchien aus,
die persönliche Selbständigkeit wird in die engsten Grenzen ein-
geschlossen, die Freiheit verkürzt, den Gewinn trägt die Gleich-
heit davon; die Politik wird ausschliesslich zu einer Sache der
Regierung, des Cabinets; gEinz ebenso specialisirt sich auch die
Wissenschaft, indem sie in der Einsamkeit und fem von den
politischen Dingen die Fortschritte des Wissens vorbereitet,
welche den Charakter der neueren Zeiten bilden. Vermittels
dieser strengen Dressur des Individuums wurden die demokrati-
schen Lebensbedingungen der damaligen Gesellschaft aufgebaut.
Polen, welches nach manchen Seiten sowol in den Institutionen
als auch in der Bildung die westeuropäischen Staaten überholt
hatte, bewegte sich in diametral entgegengesetzter Rtcbtung,
dem Stillstand, der Verknöcherung , dem Verfall entgegen. Die
grösste Freiheit für jedes Glied des Szlacbta -Volkes war er-
reicht, das Ideal verwirklicht, es erübrigte nur noch, das
Erworbene festzuhalten. Das politische Leben verschlingt alle
Fähigkeiten und Kräfte, aber es fehlt ihm an Aufgaben ; ausser-
halb desselben interessiren Wissenschaft und Kunst wenig;
man sieht sie als blossen Zeitvertreib an. Der conservative
Zug in den Verhältnissen führt zu demselben Zug auch in
den Ideen, zu einer Bückkebr zum Kirchlichen, zu einer Re-
ligion, welche auf Autorität beruht, ein Anhängsel des Szlachta-
Regiments bildet, das Rituelle für die Hauptsache hält und
keinen freien Gedanken duldet.
Es gab keine grossen Männer mehr, die Charaktere verflach-
ten , das Vaterland des Copernicus kann sich keines einzigen
Gelehrten rühmen, der Puls schlägt immer langsamer und lang-
samer, 6s gibt ganze Regierungszeiten (z. B. die August's lU.),
die von Tag zu Tag lebten ohne Historiker, die das Geschehene
bedacht und klargelegt hätten. Infolge einer solchen Stagnation
stand Polen auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundorts als
ein kolossaler Anachronismus im damaligen Europa da, zwischen
den grossen westeuropäischen centralisirten Organismen und dem
heranwachsenden Hussland. Seine Institutionen waren dem uion-
arcbischen Regierungssystem direct entgegengesetzt. Eine fast
chinesische Verknöcherung in den Begrifl'en der an diese Insti-
tutionen gebundenen Gesellschaft stiess revolutionäre Denker
ü,g :.._.. ..Google
Die jesnitisobe Periode. g9
Ton sich. Der Geiet der Neuerung drang in diese OeselUcbaft,
ftber zo spät, ala sie Bchoa am Rande des Verderbens stand.
Wir haben die Stufen zu verfolgen, auf welchen sie dieeem ver-
bängnissTolIeD Verderben zuschritt, und dann die Merkmale eines
Sb^bess zum Bessern zu verzeichnen, welche in der folgenden
Periode grosse Bedeutung erlangen.
Schlimm sind die Resultate der Regierung König Sigismund's UI.
Wsaa. Er ahmte Philipp II. nach, war von der Idee der Ilerr-
Echad nach göttlichem Recht durchdrungen; ans politischen
Motiven verband er sich mit Oesterreich, gewährte diesem die
Hülfe der polnischen Lisowczyken oder Elearen (1619) zur Unter-
drückung der Cechen und Magyaren (im Dreisaigjährigen Kriege).
Seme Politik gegenüber Russland zog eine blutige Furche zwi>
Beben den zwei slavischen Völkern. Die unter seiner Theilnahme
aDgestiftete Union von Brest (1595) blieb unfertig, ohne Rechts-
gleichheit mit dem Katholicismus, ohne ausreichende Unterstützung
nnd Rückhalt in den Laien gewöhnlichen Standes und im Adel,
der es vorzog, direct zum Katbolicismus überzugeben. Seine Be*
liehnngen zu Schweden verwickelten Polen in einen Krieg mit
Gustav Adolf, wobei Riga und Livland verloren gingen (1621).
Trotzdem sich der König aus religiösen Motiven mit dem Ge>
danken eines Türkenkrieges trug, machte doch unter seiner
Segierung die Lelbeigenmachung des ukrainischen Volkes und
die Cuterdrükung der Kosaken trotz ihrer Züge gegen die Türkei
und die Tatsren rasche Fortschritte. Seine absolutistischen Be-
strebungen machten seine Regierung unpopulär, und diese Un-
popularität und der Argwohn der Szlaohta wurden zu einem Stein
des Anstoeses , an welchem die weiten , aber äusserst phantasti-
schen Pläne seines Sohues Wladyslaw IV. (1632 — 41) scheiterten.
Der neue König schloss lGii4 mit Moskau und 1635 mit Schwe-
den Frieden , und plante unter der Mitwirkung des Italieners
Tiepolo im Bunde mit Venedig einen Krieg gegen die Türken.
Ad diesem Unternehmen sollte das von Wladyslaw nach Gebühr
gewürdigte Kosakenthum Antheil nehmen. Zwischen dem König
und den Kosaken kamen geheime Abmachungen zu Stande, auf
Kosten des Königs wurden Truppen geworben. Die Opposition
auf dem Reichstag 1646 machte das Begonnene zu nichte, der
König musste die Truppen entlassen und die Ausländer ent-
fernen. Ein Türkeukrieg war das einzige Mittel, der schon
lange reifenden Volksbewegung in der Ukraine zu begegnen;
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90 Viertes Kapitel. Die Polen.
jetzt brach diese Bewegung aus unter Führung tod Bohdan
Chmelnicliij fast gleichzeitig mit dem Tode des Königs (1648).
Sie spielte sich unter seinem Nachfolger, dem letzten der Wasa,
Johann Kazimir, mit erschreckender Schnelligkeit ab und legte
mit Toller Augenscbeinlichkeit die Ungeheuerlichkeit des so-
cialen und die Haltlosigkeit des politischen Organismus an
den Tag.
Die Bewegung war der Hauptsache nach eine sociale, Natio-
nalität und Religion kamen nur als secundäre Motive mit in
Betracht; sie brachte nicht nur das ganze niedere Volk der
Ukraine auf die Beine, sondern hallte auch in den Karpatiachen
Bergen und in Grosspolen in Gestalt von Bauernaufständen wieder;
selbst Chmelnickij vermochte nicht mit ihr fertig zu werden, und
unterwarf nach einem Schwanken zwischen Polen, der Türkei und
dem moskauischen Reich schliesslich dem letztem die Ukraine.
Durch seine leichten Siege öffnete er fast gleichzeitig (1655) den
Truppen des Kaisers Aleks^j Michajlovi6 und dee kühnen Aben-
teurers Karl Gustav von Schweden den Weg in das Herz Po-
lens; letzterer kam als ungebetener Beschützer der Dissidenten,
indem er sich als Vertheidiger gegen Moskau und die Kosaken
aufdrang. Der König musete nach Schlesien fliehen, die Schweden
hielten Krakau und Warschau, die moskanischen Truppen Wilna
and Minsk besetzt, Chmelnickij belagerte Lemberg. Ebenso schnell
wie der Verfall vollzog sich auch die Restauration mit Hülfe von
Parteigängern und der Conföderation von Tyszowce, die zum
Schutjfe des Glaubens und des Vaterlandes gebildet wurde. Die
ganze Bewegung der Szlachta, welche den König wieder einsetzte,
war durch einen religiösen Charakter und patriotischen Hass gegen
den Ausländer roarkirt. In der schweren Stunde der Prüfungen
ward die Nothwendigkeit erkannt, die Regierungsform zu ändern,
es wurden Verheissungen gemacht, das schwere Los des Banem-
standes zu verbessern. Diese edlen Absichten wurden aber ver-
gessen, als sich die Verhältnisse wieder änderten; ihnen war es
ebenso wenig beschieden, ins Leben zu treten, vrie dem Vertrag
von Hadja£ mit den Kosaken unter Vjhovskij (1658), nach wel-
chem man gedachte, die griechisch-orthodoxe Kirche mit dem
Katholicismus in gleiche Rechte zu setzen, indem man ihm die
Union opferte, in den Senat griechisch-orthodoxe Bischöfe einzu-
führen, zuletzt die Kosaken und Russland (RuS) zum dritten Gliede
im polnisch-litauischen Staate zu machen. Es wurden wieder fiied-
Die JMDitisohe Periode. 91
liebe Beziehungen zu den Kachbarn bergeBtellt (der Vertrag von
OUwa 1660, von Andrusow 1667, noch früher von Wehlau 1657,
durch welchen der Kurfürst von Brandenburg von der Vasallen-
whaft befreit nnd zum vollen Herrn Oetpreussene wurde); allein
die innere Verwirrung erneuerte sich aus Anlass der von dem
Uoderlosen König und seiner Gemahlin, der Französin Maria
Louise ins Auge gefaseten Pläne einer Reform nach französiechem
Master, wozu als erster Schritt die Sicherung der Wahl des be-
rühmten Prinzen Cond6 zum König dienen sollte. Dem Gericht
ond der Verurtheilnng auf dem Reichstage hatte sich das Haupt
der Opposition, welches diese PUine zerstörte, Fürst Lubomirski
ZQ unterwerfen; für ihn trat die Szlachta ein; um der privaten
Beleidigung eines Magnaten willen begann ein hartnäckiger
Bürgerkrieg, der mit einer Niederlage der königlichen Gewalt
endete. Der König dankte ab. Bei der Neuwahl zerstörte die
Silacbta alle Intriguen der Royalisten aowol französischer als
österreichischer Färbung, indem sie einen bis dabin von nie-
mand gekannten Candidaten, einen Piasten, Bein von ihrem Sein,
Michael WiSniowiecki , den Sohn des enragirtesten Feindes der
Kosaken, Jeremiae, zum König wählte; in seine pacta conventa
mirde die Clausel aufgenommen, dass er dem Thron nicht
entsagen dürfe.
Der Neuerwäblte erwies sich als eine vollständige Null.
Während seiner Regierung erfuhr Polen bei der das Reich
zerrüttenden Confoderstion von Gol^b för den König gegen
die Magnaten und der Heeresconfoderation für die Hetmane
gegen die Szlachta im Jahre 1672 den grössten Schimpf in sei-
ner Geschichte: den Verlust von Kamieniec (37 Jahre lang bis
lam Vertrag von Karl owitz, 1690), die Abtretung desselben nebst
der Ukraine und Podolien an die Türken nach dem Frieden von
Baczacz, die Trihutpflichtigkeit des polnischen Königs an den
Padischab. Dieser Schimpf wurde von dem darauffolgenden
Piasten, Johann III. Sobieaki (1674 — 96) abgewaschen. Die
ionern Verhaltnisse in Polen besserte Sobieski nicht; seine Siege
waren in dieser Beziehung unfruchtbar; sogar seine äussere Politik
ist nicht frei Ton eigennützigen dynastischen Combinationen und
Schwankungen zwischen Oesterreich, mit dem er seine dynasti-
schen Interessen verband, und Frankreich, zu dem er sich durch
Beine Erziehung hingezogen fühlte; selbst der Feldzng nach Wien
1633 war zwar eine christliche Tbat, aber zugleich ein Schlag,
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92 Viertes Kapitel. Die Poleo.
welcher der Politik Ludwig's XIV., der auf der Seite des Siil-
taDB stand, an der Donau versetzt wurde. Nichtsdestoweniger ist
die ganze Reibe der Kriege mit der Türkei und der Feldzüge
im Laufe von anderthalb Jahrzehnten nicht Mobs das persön-
liche Werk des Königs, sondern auch des gaozen Volkes, das mit
Begeisterung und Selbstbewusstsein seinen Beruf eriiillte, für das
Ghristenthum einzutreten und die Schutzwehr desselben (antemu-
rale christianitatis) zu sein. Die Motive dieser Begeisterung waren
vorwiegend religiös, in ihr kam die positive Seite jener Wieder-
belebung des römischen Katholicismus zur Erscheinung, durch
den in Polen das 17. Jahrhundert bezeichnet ist; ihr verdankt es
auch die letzten Seiten seiner Geschichte, welche eine welthisto-
rische Bedeutung hatten, denßuhm, der schrecklichen Macht der
Türken die entscheidenden Schläge versetzt zu haben, mit welchen
auch der Verfall der Türkei beginnt. Dieser Ruhm verdeckte
jedoch andere beklagenswerthe Erscheinungen nicht: nach dem
Urtheilsspruch des Reichstags von 1689 fand in Warschau ein
Auto-da-fe statt: der Szlachcic JCijszczyliski wurde wegen Atheis-
mus verbrannt. Der lorbergekrönte König verlor alles Ver-
trauen beim Volk, unterwarf sich seiner eigennützigen Frau
Maria-Kazimira, das Ende seiner Regierungszeit ist erfüllt mit
Sestechungskünsten, dem Streben Geld aufzuhäufen, um den Kin-
dern den Thron zu sichern, und mit Familienzwisten. EineCandi-
datur der Sobieski wurde unmöglich, aber zugleich damit gelangte
die Krone in vollem Sinne des Wortes zur Veraoctionirung; der-
jenige von den ausläDdischen Bewerbern musste sie erhalten,
welcher mehr Parteigänger werben und den andern in der Besitz-
ergreifung des Thrones zuvorkommen konnte. Als ein solcher ge-
wandter Käufer erwies sich der Nachahmer Ludwig's XIV,, der
sächsische Kurfürst August IL, welcher den Katholicismus an-
nahm und die pacta conventa unterschrieb in der Absicht, sie
durchaus nicht zu halten. Kein einziger von den Königen be-
wies soviel Verachtung gegen die Constitution eilen Formen,
kein einziger strebte so offen nach der Selbstherrschaft, in-
dem er sich auf seine sächsischen Truppen stützte, welche er
gegen die Constitution in den Grenzen der Republik hielt. Er
BCbloss Verträge ohne Vorwissen der Bepublik ab, verwickelte
sie in den Nordischen Krieg, verhandelte über ihre Theilung
mit Bussland und Preusseu. Der Hauptschauplatz des Nordi-
schen Krieges, Polen, ward von einem Ende zum andern durch
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Die jesnitUche Periode. 93
fremde Truppen verwüstet. Nach der Niederlage Karl's XII.
bildete die Szlachta 1715 die Confoderation von Tarnogröd, um
den König zu zwingen, die Bächsischen Truppen aus Polen zu
liehen. Sie wendete sich zur Erhaltung der Freiheiten der
Szlachta an die Vermittelung Peters des Grossen. Unter dieser
Vennittelung kam der Warschauer Vertrag zu Stande (1717),
womach sich nicht nur der König Terpfiichtete, die Sachsen ans
dem Lande zu ziehen, sondern auch die Zahl der regulären Trap-
pen der Repahlik auf 24000 heachränkt wurde. Von diesem Mo-
ment an hört Polen factisch auf, ein selbständiger Staat zu sein.
— Die nächste Wahl und alle folgenden kamen unter actirer
Betheilignng einer ausländischen bewaffneten Macht zu Stande.
Der neue König August III., der für die Beseitigung des franzö-
sischen Candidaten Stanislaus Leszczyäski russischen Bajonetten
rerpflichtet war, befolgte den Grundsatz voller Nachgiebigkeit
gegen Rnssland, womit er freilich Polen den Frieden gab, aber
um den Preis der Würde und der Selbständigkeit des Volkes.
Was man nicht bei dem allmächtigen königlichen Minister Brüht
erkaafen konnte, das konnte man durch Protection über Peters-
bnrg erwirken. Dahin begannen sich auch die ehi^eizigsten und
unternehmendsten der Stellen- und Äemterjäger zu begeben.
Der pathologische Process der Zersetzung des Staates, (in den
Spitzen der Gesellschaft begonnen, ging rasch vorwärts.
Wir haben darzulegen gesucht, warum die Stagnation im Leben
der polnischen Gesellschaft eine vollständige war und sich gleich-
massig BOwol auf das Gebiet des politischen und socialen Lebens
als auch anf das der geistigen Entwickelung ausbreitete. Auf
dieser ganzen Periode liegt wie ein schwerer Stein der Druck der
jesuitischen Erziehung. Um die Erfolge der Jesuiten auf diesem
Gebiet zu erklären, müssen wir zurückgehen, zur Epoche der Re-
formation, und auf die Umstände hinweisen, welche diese Erfolge
erleichterten. Die Akademie zu Krakau mit ihren zahlreichen
FiUalschulen befand sich im Zustande der Erstarrung, des Still-
standes, des Verfalles; aus Furcht vor Neuerungen brach sie alle
Beziehungen mit ausländischen Gelehrten ab; ihre materiellen
Mittel verringerten sich, weil viele einträgliche Stellen in die
Hände von Protestanten übergingen. Es entstand eine Menge
protestantischer Schulen, niedere und mittlere, in welchen meist
ans dem Auslande berufene Gelehrte im neuen Geiste, nach neuen
Methoden lehrten, aber in denen der Unterricht den Zielen und
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94 Viertes Kapitel. Difi Polen.
Zwecken einst einseitigen, BektireriEchen Propaganda unterworfen
war. Die lutheriscben Schulen kamen hauptsächlich im Norden
zur Blüte, in den preussischen, einet dem deutgehen Orden ge-
hörigen Ländern, als Kalm, Thorn, Dauzig. Unter Sigismund
August gelang ee dem Vasallen Polens, dem Herzog Albrecht Ton
Preussen, zu Königsberg eine Akademie oder Unirersitat zu er-
richten; diese war dem Geiste nach latheriscb, der CnterridiU-
aprache nach ursprünglich polnisch, ward aber alsdann im
17' Jahrhundert deutsch und übte fast gar keinen Einduas mehr
auf den Gang der Bildung in Polen aus. Die Mähriscben (Böhmi-
Bcben) Brüder hatten ihre berühmten Schulen in den grosspolni-
Bohen Städten Lissa und Koiminek, die Calvinisten in Wilna.
Die Arianer oder Socinianer, welche vorwiegend in Kleinpolen
ihren Sitz hatten, errichteten ihre hohem Schulen und Drucke-
■ reien anfangs in Pificzöw (an der Nida), alsdann in Lewartöw
(am Wieprz) und insbesondere vom Ende des 16. Jahrhunderts
an in Raköw (unweit Sendomir). Diese Stadt, speciell für
sie von der Familie Sienieäski erbaut, ward zum Mittelpunkt
aller extremen protestantischen Sekten, welche den reinen Theis-
mus predigten oder sogar bis zum Atheismus gingen (Uni-
tarier, Antitr initarier, Anabaptisten u. a.), und stand bei ihnen
in dem Rufe eines Earmatischen Athens. Die Akademie zu Kra-
kau war nicht im Stande, mit den sich mehrenden protestanti-
schen Unterrichtsanstalten zu kämpfen. Zum Kampfe mit ihnen
berief die polnische höhere Geistlichkeit den Orden der Je-
suiten und acclimatisirte ihn in Polen. Der Bischof von Erme-
land, Cardinal Hosius, errichtete in Polen das erste jesuitische
„Collegium" zu Braunsberg 1564; gleich darauf errichtete der
Bischof von Plock, Noskowski, ein zweites solches zu Pultusk,
der Bischof Valerian Protasowicz ein drittes zu Wilna. Dem
Beispiel der Bischöfe folgten weltliche katholische Eiferer, Män-
ner und Frauen, indem sie bedeutende Schenkungen und
Vermächtnisse zu Gunsten der Jesuiten machten; in solcher
Weise entstanden die Coltegien zu Jaroslaw (in Roth-Russland),
zu Posen, Kaliscb, Lublin, Lemberg, Kiga, Dorpat, Danzig, Polock,
Nie^wieä, Warschan. Bei allen Collegien bestanden Schulen, denen,
der Orden eine besondere Aubnerksamkeit zuwendete. Die Ein-
richtung dieser Schulen ist das Beispiel einer bis dahin uner-
hörten Centraljsirung. Sie waren ganz uniform eingerichtet;
die geringste Abweichung vom allgemeinen Plan bedurfte eiatt
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Die jesuitische Periode. ■95
besondern Entscheidung des in Born weilenden uiid mit dictato-
ri&cher Gewalt bekleideten Ordensgenerals. Der Unterricht war
in vollem Sinne des Worts koBmopolitiscl) , ohne RückGicht auf
Bedingungen des Orts und der Zeit, vollständig nur der einen
Idee der Welthern»chaft der tömisch-katholiscliea Kirche unter-
worfen — und ganz der gleiche in Itahen, Spanien, Oesterreich
und Polen; wie er von dem Begründer der jesuitischen Pädagogik
nnd dein Miturbsiter Lojola's, Peter Canisius, erdacht worden
war, so blieb er auch fast bis zum Verfalle des Ordens. Kr
igoorirte die volksthümliche locale Literatur und die neuere
Qesdiichte, die Staatswissenschaften und die Naturkunde. Der
HanptgegeuBtand seiner Sorge war die Sprache der römisch-
katholischen Kirche, d. i. das Latein, und die römische Lite-
ratur, sorgfältig gesäubert von allen Ideen, welche mit der
kirchlichen Orthodoxie nicht übereinstimmten (alle Glassiker
wurden nach den sogenannten editiones castigatae studirt). Der
Schüler lernte in den zwei niedern Klassen (infima und gramma-
tica) die Elemente der lateinischen Sprache nach dem berühmten
Lehrbuch des Jesuiten Alvar; in der dritten Klasse (sy ntasis) ab-
solvirte er die Grammatik; in der vierten Klasse (poesis) lernte
«r die -schwierigem lateinischen Prosaiker (besonders Cicero) und
Dichter geläufig lesen und veniteben; in der fünften Klasse (rhe-
torica) beschäftigte er sich mit der Theorie der Beredsamkeit,
mit den Hülfewissenschaften und mit Uebungen in der Stilistik.
Aiuser diesen fünf Klaasen bestanden bei einigen bedeutenderen
Collegien noch zwei höhere Curse: der philosophische (die Philo-
sophie wurde vorwiegend nach Aristoteles gelehrt) und der theo-
logische (worin die Autorität des heihgen Thomas von Aquino
herrschte). Indem sie den Untetricht in den engsten Rahmen
einschlössen, gaben sich aber die Jesuiten Mühe, dass sich die
Schäler dieses Wenige vollständig aneigneten (non mnlta, sed
mnltum), verwendeten die grösstmöglichste Sorgfalt auf die Aus-
bildung guter Lehrer; jeden jung^iMann von glänzenden Fähig-
keiten sachten sie in ihren Orden zu ziehen, und jeder, der
in denselben getreten war, musste, bevor er den höhern Grad
eines Professors erlangte, seine Thätigkeit mit dem Amte eines
Lehrers begiiinen. Die Jesuiten suchten unter den Schülern
durch Belohnungen, Bangabstufungen, Disputationen Wetteifer
n wecken and zu unterhalten, behandelten sie mild und human,
besonders die Kinder vornehmer und reicher Aeltem, gegen
ü,g :.._.. ..Google
96 Viertes Kapitel. Die Polen.
deren AuBgelaseenheiten sie oftmals Nachsicht übten; über-
haupt webte in ihren Schalen der Geist der Aristokratie and
es wurde von frühen Jahren an das Princip der Ungleich-
heit der Stände beobachtet. Obgleich der Orden seine Ver-
breitung in Polen hauptsächlich der Macht des Königs zu dan-
ken hatte, erkannte er doch sehr bald, dass diese nicht die
Hauptsache im Staate war, und suchte sich an das Magnaten-
tbam anzuschliesaen, sowie yon dieser Seite Unterstützung zu
erlangen. Um die Volksbildung kümmerte sich der Orden gar
nicht und errichtete überhaupt keine Elementarschulen. Seit
der Einführung des Ordens in Polen strebte dieser darnach,
hier seine eigene Universität zu gründen, mit dem Rechte,
gelehrte Grade zu verleihen, was er auch im Jahre 1579 er-
langte, als Stephan Bator; die Urkunde zur Errichtung der
jesuitischen Akademie zu Wilna unterzeichnete; sie hatte zwei
Facultäten, eine philosophische und eine theologische. Diesen
wurde durch die Bemühungen des Unterkanzleru von Litauen,
KazimirLeo Sapieha, und mit von ihm gespendeten Geldmitteln
im Jahre 1634 noch eine dritte Facultät beigefügt, die juristi-
sche, welche sich übrigens nicht lange hielt und gleich nach
dem Tode ihres Gründers verfiel. Die Jesuiten untefhielten
vier Collegia nobilia — in Warschau, Ostrog, Lemberg und
Vfitebsk und 55 Mittelschulen.
Nachdem sie tiefe Wurzeln im Volke gefasst, eröffneten die
Jesuiten an allen Punkten des Reichs einen hartnäckigen Kampf
gegen die protestantischen Schulen. Sie suchten auf das Publi-
kum einzuvrirken und fesselten es durch die Pracht feierlicher
Processionen, durch die Mannichfaltigkeit scenischer Vorstellun-
gen, durch öffentliche Disputationen, zu denen sie die Protestan-
ten aufforderten. Was die Propaganda nicht zu thun vermochte,
ward mit Gewalt vollführt; in vielen Städten worden die pro-
testantischen Kirchen vom Volke auf Anstiften der Jesuiten
zerstört, die Schulen von Jesuitenzöglingen auseinandergetrieben,
and gegen diese Gewaltthätigkeiten gab es weder Gericht noch
Polizei. Ein grosser Theil der lutherischen und calvinistischen
Schulanstalten verfällt vollständig; eine Menge Elementarschulen
für das Volk, deren Zahl im IG. Jahrhundert Joseph £ukaBzewicB
(„Historya szköt w Koronie i W. X. Litewsk.", 1, 1849) auf 1500
mit 30000 Schüler anschlägt, verschwindet spurlos. Die Schule
der Arianer za Raköw ward 1638 auf Anordnung des Reichstags
D,9:.z.u., Google
Die Jesnitiacbe Periode. 97
gescblMBen , zuletzt warden alle Ariacer durch das Gesetz TOm
Jahre 1658 aas der Repnblik vertrieben. Uraprünglich waren
die Jesuiten der Akademie zn Krakau willkommen, da sie in
iliDen thätige Vorkämpfer des Eatholicismus fand, aber bald er-
schrack die gelehrte Körperschaft über die echnetlen Fortschritte
ihrer Bundesgenossen und begann ihnen das Recht streitig zn
machen, Schalen an solchen Orten zu gründen, wo schon An-
stalten bestanden, die der Akademie zu Erakan sabordinirt
waren. Die Akademie gestattete den Jesuiten nicht, in Posen
dne höhere Schule neben der akademischen Schule Luhraäski's
za errichten, doch gelftng es den Jesuiten 1622 eine eigene Schule
des heiligen Petrus in Krakan selbst zu griinden. In der leiden-
Bchaftiichen Polemik', welche dieser Streit Teranlasste, war die
Akademie nicht im Recht und nur durch egoistische Misgunst
geleitet; mit den Jesuiten kämpfend, ahmte sie selbst in wissen-
schaftlicher Beziehung diesen nach und führte in ihren Lelir-
anstalten die jesuitischen Unterrichtsmethoden ein. Der Etnäuss
der Jesuiten war so gross nnd so allgemein , dass er sich sogar
' Das bemerkenBwertheBte von den 'Werken, die ans dieser Polemik
hervorgingen and gegen die Jesaiten gerichtet waren, iat „Gratis albo
ditcnre ziemianina z plebanem" („Gratis oderDisoura zwisehea einem Edel-
iDiniL und einem Pfarrer", 1626), verfasst von dem bernhmten Matbema-
liker Johann Brzoski (Brosoios). Wir fuliren daraaa eine Stelle an:
Bie j««iiiten verwenden die ganze Zeit auf den Unterricht der Kinder in
der zn schweren Grammatik dos Alvar aus folgenden Gründen: a) um den
Aeltem so viel wie möglich Geld abzunehmen; b) um auf ihre Art die
josgen Wölfe zu drcssiren; c) nm die Charaktere der Kinder verstehen zu
lernen; d) nm, im Falle die Aeltem das Kind zurücknehmen wollten, die
fertige Einrede za haben, man eolle es wenigstens die Grammatik erlernen
l*Men — die Grundl^e alles Wissens; e] um die Lernenden bis znm reifen
Alter in der Schnle zn behalten; dann, wenn der erwachsene Schüler klug
um] anständig ist, und Hoffnung hat, ein Erbe oder eine Unterstützung von
Verwandten zn erhalten, suchen die Patres jedesmal, ihn in ihren Orden za
ziehen; wenn der Schüler aber dumm ist und nicht lernen oder nicht bei
ihnen bleiben will, so lassen sie ihn frei. Was soll aber der bärtige
Schäler anfangen? Bei einem vornehmen Herrn in Dienst treten? Dazu
ist er zn einfaltig nnd dumm. Irgendwelche Wissenschaften stndiren?
Dun ist es zu spät. Ein Handwerk lernen? Davor schämt er sich. Er
wmdet sich wieder an die Patres nnd bittet sie, dass sie ihn unterbringen.
Sie geben ihm auch eine Stelle als Aufseher oder Schreiber bei irgend-
einem ihrer Wohlthäter, oder als Schlosskaplau, oder als Pfarrer, worauf
«ie ihn dann als Werkzeug für ihre Ziele und Interessen benatzen.
H'H, aiKTliche Lltenitatta. II, 1. 7
...., Google
98 Viertes Kapitel. 'Die Polen.
auf ihre religiösen Gegner' erstreckte. Alle bedeutenden grie-
chiscb-orthodoxen Gegner der Union gingen aus Jesuitenschulen
hervor, ja sogar der Unterrichtflplan in der Kiever Akademie,
die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Feter Mogila
(Mohyta) gegründet wurde und als Muster für alle geistlichen
Lehranstalten in Knseland diente, war rein jesuitisch. Die Ein-
seitigkeit der jesuitischen Erziehung, die gar keine Verbindung
mit dem gesellschaftlichen Lehen hatte und nicht Bürger, son-
dern Vorkämpfer des Katholicismns heranbildete, musste natür-
lich die bessern und schärfer blickenden Leute in Polen besorgt
machen ; übrigens blieben alle Versuche, das System des Ordens
zu erschüttern, bis ins 18. Jahrhundert hinein ohne Erfolg. Zu
solchen Versuchen gehört die Gründung der Akademie Zamojski's
und das Auftreten eines neuen erzieherischen Ordens in Polen, der
Piaiisten. Der Kanzler Johann Zamojski gründete 1595 aus eigenen
Mitteln eine besondere Akademie auf seinem Stammsitz Zamoä6.
Obgleich er ein sehr reicher Mann war, so reichten doch seine
Mittel allein nicht aus, um die ganze Akademie in gehöriger
Weise zu unterhalten; das ist der Grund, weshalb sie gleich
von der Gründung an bei der Dürftigkeit des Gebalts für
die Lehrer und dem Mangel an Lehrmitteln nicht prosperircn
konnte. Die Professoren litten Hanger, die Schüler waren nicht
untcrzubiingen. Erfahrene Leute riethen dem Kanzler, nur eine
philosophische Facultät zu eröfCnen; er eröffnete deren drei: eine
philosophische, medicinische und juridische, von denen er be-
sonders fiir die letztere sorgte. Die Ansicht des Kanzlers über
die damalige Jurisprudenz war sehr gesund und lichtig; er war
unzufrieden mit dem Vorherrschen des kanonischen und der Ver-
nachlässigung des römischen Rechts auf der Universität Krakau;
ferner wollte er die Vorträge über vaterländische Gesetzgebung,
die sich nur auf das Landrecht (der Szlachta) erstreckten, erwei-
tem, indem er auch das Stadium des Stadtrechts hineinzog- Die
Hauptperson in der juristischen Facultät war Thomas Dresner,
ein vorzüglicher Kenner des römischen Hechts, der die Recbts-
knnde nach vergleichender Methode lehrte. Die Zamojski'sche
Akademie wirkte nur sehr kurze Zeit mit Erfolg und kam bald nach
dem Tode Zamojski's in vollständigen Verfall, ward der Akademie
zu Krakan unterstellt und eine FiÜale der letztern. Der Gründer
des Ordens der Plansten (patres scholarum piarum) war Jose-
phus de Calasanza oder Casalanza (gestorben zu Kom 1648). Der
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die jfHuitisülie l'.Tioile. , ()9
Oriieo war ausschliesslich der Erziehung dor Jugend gewidmet,
hatte om Mitte des 18. Jahrhunderts gegen 28 Schulen und
lebrte iast dasselbe wie die Jesuiten, d.i. die lateinische Sprache
und Literatur, »her die Fiaristen hielten die Schüler in weit
blrengerer IHsciplin, lehrten unentgeltlich, und nahmen gan?:
arme Leute hereitwillig auf. Die Jesuiten verhielten sich aus
Misgunst so gegen die Fiaristen, wie sich ihnen seihst gegen-
über einst die Akademie zu Krakan verhalten hatte, d. h. sie
begannen die Piaristen in der gewissenlosesten Weise zu Tcr-
fiilgen, eigene Schulen üherall da zu errichten, wo Piaristenschulen
■ waren, die Schüler der letztern ru sich zu locken und 'die Mit-
glieder des Ordens zu ruiniren, indem sie gegen dieselben endlose
Processc vor Gericht anstrengten. Sonach war die Erziehung
eine fast ausschliesslich mönchische in zwei Formen-, fiir die
äöbne der Heri-en in den Convictcn jesuitisch-mönchisch, und fih-
Jie gewöhnlichen Leute piaristisch-mönchisch.
Ilnuptdnten der diitten Veviode.
1610. Sieg boi Ktuszyn. Die Einnahme Uoakaua durch die polniachen
IC19. Schlacht an der Cecors. Tod ^ötkiewski's.
leSl. Der Feldzug von Chotin rettet Polen vor den Türken. — Der
Schwedische Krieg; der Verlust Riga's.
1633. Die Thionbesteigung Wladyslan'a IV.
1634. Der Friede von Polanow mit Moskau. ;
1635. Der Stuiiisdorfer Waffeuatill stand mit Schweden.
16-14. (Jolloi|uium charitntiviim zwischen den ConfossLonen in Thorn.
1646- Die Pläne Wladyslaw'a IV., einen europäischen Feldzug gegen
die TQrkei zu Stande zu bringen.
1648. Beginn der Kosakankriege. Sieg Cbmeluickij's bei den „Gelben
Gewässern", Tod Wladyslaw'a IV. — Die Katastrophe von Pilawce.
Die Wahl Johann Kazimir's.
16.'i7. Daa Treffen bei Beresteczko. Der Vertrag von Bialocerkiow.
1651. Der Reichstag zu Warschau wird zum ersten mal inittela des
liberum voto gesprengt. — Die Niederlage bei Batok.
1654> Cbmelnidcij geht mit dem Kosnkenthum zu Moskau Ober.
1G55. Der schwedische Krieg. König Gustav in Warschau und Kra-
kan, die Truppen des Alexi^j Michajioviö in Wilna. CbmelDickjj
bei I^emherg. — Vertheidigung von Cü^istochowa, — Die Confiide-
ration von Tyszowce.
1657. Der Wehlauer Vertrag Polens mit dem Grossen Kurfürsten, wel-
rfiec PreoBsen von der Irfjhnaabhängigkeit beTrcit. .
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100 Viertes Kapitel Die Polen.
1668. Vertreibnng der Arjaner ans Polen. Der Vertrag tod Hadjac
mit den Kosaken.
1660. Der Vertrag von Oliwa.
1664. Das Reichstagsgericbt Über Lubomireki.
1665 — 66. Der Lubomiraki'sche Rokosz.
1667. Der Waffenstillstand von Andmsow mit Moskau.
1668. Johann Kaiimir dankt ab.
1669. Die Wahl Wiäniowiecki's mm König.
1672. Die Einnahme von Kamieniec-Podolski durch die Türken. Polen
wird der Türkei tributpflichtig durch den Vertrag von Buczacz ;
abgetreten werden PodoKen und die Ukraine.
1674. Johann III. Sobieski wird König,
1683- Be&eiung des von den Türken belagerten Wiens durch Sobieski.
1 686. Friede mit Hoskau oder der sogenannte Vertrag Grzymultowski'a.
Die definitive Abtretung von Smolensk und Kiev.
1696. Der Tod Sobieski's.
1697. Doppelte KönigawahL August II. behält die Oberhand.
1698. Der Rarlowitzer Friede der europäischen Mächte mit den Türken.
1699. Die Vertr&ge Augnst's 11. mit Peter dem Grossen gegen Schwe-
den; 6eg;inn des Nordischen Krieges.
1704. Entthronung AugUBt's IL Die Wahl Stanislaw Leszczydski's.
1706. Der Friede von Altranatädt.
1709. Nach der Schlacht bei Poltawa kommt August II. wieder auf
den polnischen Thron.
1715 — 17. Die Taniogroder ConfSderation - der Szlachta gegen den
König.
1733. August III. wird zum König gewählt.
Die unmittelbare Tolge der jesuitiEchen Erziehnng war eine
Bclireckliche Verderbniss des Geschmacks und eine Entwerthung
des innem Gehalts der Literatur bei ungewöhnlicher Fruchtbar-
keit und einem scheiabar grpBsen Eifer der Gesellschaft für die-
selbe. Der Geist der Kritik, der alte Feind der Autorität, war
niedet^eschlagen, die Wissenschaft trennte sich vom Leben, ver-
wandelte eich in eine unbrauchbare Schulgelehrsamkeit: auf
diesem Boden konnten nur Mittelmässigkeiteu aufkommen und
gedeihen. Die Literatur, welche sich der Beschäftigung mit den
öffentlichen Fragen entwöhnte, hörte auf eine ernste Angelegen-
heit zu sein, wurde bei den einen ein Handwerk, bei den andern
eine Unterhaltung, ein Luxus, ein Spielzeug. Je unfruchtbarer
die Literatur ward, desto pedantischer, desto weniger der Volks-
masse zugänglich, desto mehr ward sie für die witzigen Köpfe
jener Zeit zu einem Mittel, mit ihrer Gelehrsamkeit grosszutban,
D,9:.z.u., Google
Die jeanitiMilie Periode. 101
aber die unbedeutendsten Dinge yiele Worte zu machen und mit
dieser Kunst zu überraschen, durch unerwartete Einfalle, durch
spasshaft« ZuBammenstellungen der Mythologie und Geschichte
mit den Vorgängen des täglichen Lebens zum Lachen zu bringen.
Ein groeser Theil der Szlacbta sprach geläufig lateinisch, die
rümische Literatur war die einzige Quelle der Gelehrsamkeit,
daher entstand die Gewohnheit, nicht nur die polniGcho Sprache
mit einzelnen lateinischen Ausdrucken zu durchsetzen, sondern
aucli ganze lateinische Phrasen in sie einzuschieben und sie mit
solchen Maccaroniamen so zu überschütten, dass auf jeden pol-
nischen Satz immer ein lateinischer folgen muaate und umgekehrt.
Das erste Bcipiel einer solchen Mischung bietet ein Gedicht, das
Johann Kochanowski zum Scherz verfasste:
Carmen maccaronicum.
Est prope wyaoknm celeberrima sylva Erakovum
Qaercnbua inBignia inulto miranda iol^dzio
latuleam spectans wodam Gdaäskumque go£ciiicam,
D^bie nomen habet, D^bie dixere priores.
Uanc ego, cum sucboe torreret Syrina agros
Et rozganiaret non m^dra canicula takoe,
Ingredior multam de conditione t.yvrota.
Deqne statu vitae mecum myilando futurae etc. etc.
Was bei Kochanowski ein Scherz war , geschah im
17. Jahrhundert im Ernst, mit der vollen Ueberzeugung , dass
gerade hierin die Schönheit des Stils bestehe. Da das Band
zwischen der Literatur und dem Leben zerrissen war, und sich
die Meinung befestigte, dass die Kunst zu reden etwas an sich
Bestehendes und um ihrer selbst willen da sei, so trug man kein
Bedenken, andere zu rühmen, sie mit den überschwängUohsten
Lobeserhebungen zu überschütten, da man wohl wusste, dass
niemand solche Worte für haare Münze nehmen werde. Pane-
gjriken fielen wie Platzregen, der widerliche Dunst brennenden
Weihrauchs verpestete die Luft anderthalb Jahrhunderte lang.
Die Jesuiten lobten ihre Wohltbater, die Geistlichen ihre Patrone,
die Szlachta die Magnaten, die Senatoren einander selbst. Für
die werthvollste Eigenschaft eines Mannes im adeligen Poldu des
n. Jahrhunderts galt Tornehme Geburt. Die Vornehmheit der
Herkunft wurde durch Stammbäume und Wappen bewiesen, daher
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102 Vierten Kapitel. Die Polun.
die Leidenschaft für die Heraldik, welche fast an die Stelle der
GeBcliichte trat, und die ungewöhiilicli hohe Bedeutung der Wap-
pen in der panegyrischen Literatur. Jeder suchte nachzuweigea,
dass sein Wappenkleinod sehr alt sei, und bemühte sich, es aus
Italien, Deutschland, Spanien, womöglich von Noah, und wenn das
nicht, Bo doch wenigstens von den griechisctien Helden oder den
römischen Kaisern herzuleiten. Es erscheint eine unzählige Menge
falscher Stammbäume; jeder Fanegjriker hält es für unerläss-
liche Pflicht, zum Thema das Wappen der zu lobenden Person za
nehmen und dieses Thema soviel wie möglich zu variiren. Die
Namen der Wappen gelangen als Hauptelement in die Titel der
Lobreden, Gedichte und Werke. Die Titel werden so gesucht,
kraus und geschraubt , dass dabei schliesslich aller gesunder
Menschenverstand verloren geht. •
Alle schöpferischen Kräfte des Volkes gingen in der Bered-
samkeit auf, sie ward zu einer Kunst, die alle andern Künste
und Literaturgattungen überragte, ebenso national, wie die
Bildhauerkunst bei dtn Griechen, die Vocalmusik bei den Italie-
nern, das Theater bei den Franzosen. Die republikanische Re-
gierungsform nöthigte die ganze Szlachta, an den mündlichen Ver-
handlungen über die öffentlichen Angelegenheiten theilzunehmen ;
jeder einigermaesen gebildete Mann übte sich von frühen Jahren
an in der lebendigen Rede und im Disputiren. Nachdem sie sich
infolge dessen in die Redekunst verliebt, führte die polnische
Gesellschaft sie nicht nur in den Kreis des öffentlichen, sondern
auch des privaten Lehens ein, und erfand eine Menge von For-
men und Arten derselben, mittels aller möglichen Anwendungen
auf verschiedene Erscheinungen und Gelegenheiten des häus-
lichen und Familienlebens. Die Beredsamkeit bestand aus zwei
Hauptarten, der weltlichen und der geistlichen. Die weltliche
zerfiel wieder in die parlamentarische (auf den Land- und
Reichstagen), die tribunale (vor Gericht), die militärische, mit
welcher die Führer ihre Armee vor dem Kampfe anfeuerten , die
' Wir fühi'cn zar Probe einige solche Titel in ücbersetzung &n: „Die
von ilun irdiBohcn lllütcn in den himmliaclien Bienenitook fliegenden Bie-
nen" .... Oder: „Beilo, gesäubert vom Orabesstaub" .... „WiBCblappea,
um dem ycretockten Sünder den Mund zu wiHchca" ..'. n^in GarteD,
aber nicht gejätet, ein Schober, aber jede Gai'be von anderem Getreide,
ein Laden vcrBuhicdcncr Waarcu" u. b. w.
...., Google
Die jegnitiBohe Periode. 103
fbnerale, endlicli die des Hauses und der Familie znr BegrüBsang
«Des hoben Gastes, zu Gratulationen bei Empfang von Äemtem,
in Kiodtanfen, Hochzeiten and andern bochfeierlicben Gelegen-
heiten. Nach dem Gesagten vird es klar, dass die Kunst zu
reden den Prüfstein desWerthes eines Menschen bildete and die
DiiDingängliche Bedingung seiner öffentlichen Carriere irar, so-
dass Starowolski , ein Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, mit
ToUem Recht sagen konnte: „es kann in Polen niemand ein Bär-
ger, ja ich darf sagen, ein Pole heissen, der nicht schön und
koDstToll über jeden beliebigen Gegenstand nicht nur lateinisch,
soDdem ancb in der Muttersprache zu reden weiss" („De claris
oratoribus Sarmatiae", 1628). Um zu zeigen, worin die Beredsam-
keit nach den Begriffen des 17. Jahrhunderts bestand und bis zn
welchem Grade die polnische Sprache von Maccaronismen strotzte,
seien zwei Bruchstücke angeführt, das eine aus der Rede eines
seinerzeit berühmten Redners, des Wojewoden von Minsk, Krzy-
Btof Stanislaw Zawisza an König August H., die im Jahre 1697
gehalten wurde; das andere aus dem Jahre 1660, den vorzüg-
Uchen Memoiren Fasek's entnommen, die noch später za erörtern
sein werden. Zawisza hegrüsst in folgender Weise den König
ans Antass seiner Krönung: > „Unsere polnische Niobe, die,
noch Tor kurzem effusa in lachry mas, hodie concrescit in
gemmas; nach finstem Nächten der Trauer Candida mundi
sidera currunt, weil du den polnischen Thron bestiegen hast
Toltn sidereo discutiens nnbila. Es kehren wieder cum
foeuore die Terlorenen Hofinungen. Das Vaterland cum suis
ordinibuB, indem es in seinem Schosse primnm majestatis
ordinem, d. i. Eure königliche Gnaden in diademate sno
erblickt, erscheint nicht mehr wie eiue klagende Turteltaube,
sondern legt Adlerfedern an. Es schaut in einen günstigen
Himmel mit heitern Augen, und schwebt auf die Höhe, von
der es gewohnt ist, contra superbum orientis tyrannum
ignea vibrare tela; es ruft zum ganzen Erdkreis mit jubeln-
der Stimme: Ol qni nominibus cum sis generosus aritis
exsuperas morum nobilitate genus" .... Johann Fasek
hatte die Grabrede zu Ehren seiner verstorbenen Kameraden
' Wybor möw staropoUkich jwieckich, acjmovych i !nii;ch zebrauych
pr»z Autoniego Matcckiego (in TurovBki'E Biblioteka Fohka, Krakan
...., Google
104 Viert«H KapiUl. DioPolen,
Eubieszowski und WojnowBlri zu halten: „Mit welchen Voltt-
mina soll man eicli vor dieBer Constitution Bcbiitzen, wetcben
Farlatnenten Klagen überreichen, bei welchem von den mäch-
tigsten Monarchen dieser Welt Kettung suchen vor der un-
entrinnbaren Drangsal, die das menschliche Geschlecht von dem
Tode zu erdulden hatV Ich weiss es nicht, ich finde kein Mittel,
aber ich bin überzeugt, dass ein Gesetz nicht im Stande ist,
jemand darin zu helfen, wenn ich das Hieroglyphicum der Re-
publik Genua'lese: parcam falcem tenentem minaci maua
snperham, welche auf die lolgende Inschrift zeigt: leges lego,
reges rego, judices judico. Wer vermag einer solchen Ge-
walt zu widerstehen?" .... Weiterhin tröstet sich der Redner
damit, dass auf Grund der Constitution, des Bündnisses, das von
Ewigkeit her zwischen Himmel und Erde geschlossen, uns ver-
sprochen sei, morte renasci und ad communem socicta-
tem zurückzukehren. ... Dann erwähnt er, dass nach atheni-
schem Gesetz der verstorbene Krieger durch eine Lobrede des
beredtesten seiner Mitbürger geehrt werden musste. Fosek be-
kennt, dass die Pflicht, seine Genossen zu preisen, seine Ki^fte
übersteige, aber „da der eiserne Mars die goldschimmernde
Fracht verachtet, so hat sich deshalb die ihm freundlich gesinnte
Minerva, geschwärzt vom Rauche des Salpeters, entschlossen, die
Fflicht zu übernehmen, seine Commilitonen zu loben. Von Kind-
heit, ja man darf sagen, von der Wiege an sind sie bei der rauhen
Bellona in die Lehre gegangen, ohne sich durch die Lieb-
kosungen der zarten Pallas und des Apollo verleiten zu lassen.
Kach der Gewohnheit der alten polnischen Krieger erwählten sie
eich als die junge Brut eines edlen Aars zum Leiter den rauhen
Mars und weihten sich ihm zeitlebens zum Opfer .... u. s. w."
Einer geringern Verderbniss des Geschmacks als die weltliche
war die geistliche Beredsamkeit unterworfen, wovon der Grund
zuni Theil darin liegt, dass sie nicht in solchem Grade, wie die
weltliche, Beispiele aus der heidnischen Mythologie verwenden
konnte, andererseits darin, dass in ihr die Traditionen des Peter
Skarga fortlebten. Ein würdiger Nachfolger des letztem war
sein l''reund, der Dominikaner Fabian Birkowski (1566 — IG36),
der mehrmals die Mühen des Lagerlebens der polnischen Armee
als Prediger des Prinzen Wladyrfaw (Sigismnnd's Sohn) in den
Feldzügen von Moskau und Chotin theilte. Seine Predigten
riechen nach Fulverdampf, athmen kriegerischen Enthusiasmus,
ü,g :.._.. ..Google
Die jetnitiBohe Periode. 105
doch Elud Bie zugleich den Protestanten gegenüber Ton dem
gaozeD fonatischen Hasse des katholi&clieii Mönches der Zeit
des Drei ssigjähri gen Kriege» getränkt. Aber auch bei Bir-
kowski ist Künstelei, Gespreiztheit, Haschen nach Witzen
und Wortspielen zu bemerken, was dann von den Predigern
zu Ende des 17. und zu Anfang des 18> Jahrhunderts auf die
Spitze getrieben wurde. Wenn ein Prediger dieser Epoche einem
König oder einem Magnaten eine Grabrede zu halten hatte,
Bo gab er ihr den Titel „Blumenkranz" und zählte dann alle
Blumen einzeln auf, indem er unter denselben die Tugenden
Terstand, oder stellte diese Tugenden als Perlen in einem Rosen-
kränze dar oder schickte sich an, dem Seligen ein Mausoleum
lu errichten, und theilte seine Predigten in Säulengänge, Pyra-
miden und Säulen ein. Der Grundplan jeder Predigt verliert
üch unter einer unzähligen Menge von Episoden; dem Prediger
genügt das kleinste Wort aus der heiligen Schrift z. B. „war",
oder „zu jener Zeit", um der Phantasie die Zügel schiessen zu
lassen; er läset sieb in Gespräche mit Gott ein, mit den Heiligen,
and kleidet die ganze heilige Geschichte in polnisches Costüm;
die Midianiter treten bei ihm als Tataren auf, die Israeliten haben
Starosten, Bischöfe, halten Reichstage ab, kämpfen, machen
Rokosze und Confoderationen , wie die Polen, sogar Christus
nimmt die Gestalt eines Königs der Schlachta-Republik an, ganz
wie auf den alterthümlichen Bildern der ältesten vlämischen
Maler.
Die Geschmacklosigkeit, welche die allgemeine Regel und
dag Hauptmerkmal der Epoche bildet, reäectirte sich am aller-
stärksten in den sceuischen Vorstellungen. Der Hof liebte Mas-
keraden und Ballete. Unter Johann Kazimir, der mit der Erau-
ZÖÖH Maria Louise verheirathet war, gab eine französische Hof-
truppe grosse auf den Effect berechnete Vorstellungen von Schlach*
ten und Erstürmungen. Im Jahre 16G1 ward in Warschau um
Hofe Corneille's „Cid" in der Uebersetzung von Morsztyn auf-
geführt. In den Städten reisten wandernde Schauspielertruppen
umher, welche die Menge mit Possen aus dem Volksleben unter-
hielten. Aber diese Vorstellungen fanden keine Unterstützung bei
der Szlacbta, welche selten die Städte besuchte und gewöhnlich
dem Hof Opposition machte. In den Memoiren Fasek's hat sich
folgende charakteristische Nachricht erhalten: im Jahre 1664
führten die Hofschauspieler eine Schlacht der Eranzosen mit den
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106 Viertes Kapitel. Die Polen.
Deutschen und die Gefangennalime des Kaisers auf. Dieses Schau-
spiel gefiel der anweBenden Szlachta, die nach ihrer Gewohnheit
bewaffnet, erschienen war und die Habsburger nicht sonderlich
liebte. Sie begann den Franzosen auf der Bühne zuzurufen, sie
sollten mit dem Kaiser keine Umstände machen und ihn schnell
umbringen. Die Schauspieler standen ganz verdutzt da, als einer
von den stürmischen Zuschauern den Bogen spannt« und den
Kaiser mit einem Pfeil durchbohrte, andere folgten diesem Bei-
spiel und schössen auf beliebige Schauepieier. Die Vorstellung
wurde aufgehoben; die Zuschauer gingen, nachdem sie das Ihre
gethan, auseinander; trotz aller Untersuchungen wurden die
Veranstalter des Blutvevgiessens nicht entdeckt noch bestraft.
Weit mehr wurden von der damaligen Gesellschaft die Dialoge
geistlichen und weltlichen Inhalts geschätzt, welche von den
Schulvor&tehern veranstaltet vmrden, und in denen todte Alle-
gorien an die Stelle realer lebendiger Figuren traten, Personi-
ficationon abstracter Begriffe auf der Bühne erschienen, im
Verein mit den Heiligen der Kirche und den Gottheiten des
Olymp. Die Jesuiten waren Meister in der Veranstaltung solcher
Vorstellungen, deren Pracht sie zum Theil auch den Erfolg ihrer
religiösen Propaganda zu verdanken hatten. Beispielsweise fuh-
ren wir das Programm des Festes an, welches von ihnen zu WÜna
(4. März 1604) aus Anlass der Kanonisirung des heiligen Kazimir
veranstaltet wurde.^ Eine feierliche Procession mit der Fahne
des heiligen Kazimir zog durch die Stadt, an allen Hauptpunkten
stehen bleibend. Am Rudniker Thor, das in Gestalt eines
riesigen Vogels aufgeputzt war, erschien eine Frau in tiefer
Trauer, die Stadt Wilna darstellend, welche bekanntlich häufig
von Seuchen heimgesucht wurde. Diese Frau tröstet sich damit,
dass sie nach der Kanonisirung des heiligen Kazimir im Himmel
einen zuverlässigen Fürsprecher und Schutzpatron erhalten werde.
Zwei Engel mit Lilien in den Händen verkünden ihr, dass sich
ihre Hoffnungen erfüllt haben, und dass die Heiligsprechung
vollzogen sei. Da verwandelt sich die Frau — Wilna —
augenblicklich in eine Kaiserin mit Purpur, Krone und Scepter,
setzt sich in einen Wagen und begibt sich nach der Stadt, ihr
voran die Stawa (RnhmesgÖttin) mit einer goldenen Posaune in
den Händen. In der Nähe des Rathhauses wird ihr Weg durch
1 M. Bftlifiski, „Dawna Akademia Wilonska", S. 103 (1862).
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Die jesuitisohe Periode. 107
ein grosses Schlo&s von Pappe mit hoheu ThürmeQ gebemnit.
Vier Eogel und vier Tugenden: Tapferkeit, Massigkeit, Ge-
«andheit und Gerechtigkeit führen nntereioauder vor dem
Schlosse ein Gespräch, womach dasselbe anbrennt und unter
Flammen , Lärm und Flintenschüssen verschwindet. Vor der
Akademie -Kirche (des heiligen Johannes) fordert die dem Auf-
zag vorangehende Stawa die Akademie auf, an der Feier theil-
zanehmen. Dieee erscheint, hegleitet von der Theologie, Phi-
losophie, Geschichte, Beredsamkeit, Poesie, Philologie und Gram-
matik, endlich den nenn Musen, welche den Olymp verlassen
und sich an den Ufern der Wilia angesiedelt haben. Den letz-
ten Theil des Festes bildete ein Dialog, an dem sieben Jünglinge
theilnahmen, welche die sieben Hauptkirchen Wilna's repräsen-
tirten.
Wir gehen nun zu einem Ueberblick der hervorragenden
poetischen Erzeugnisse der langen Uebergangsperiode über. Es
bestand die Meinung, dass -während derselben kein einziges
poetisches Talent aufgetreten sei und nur talentlose Leute ge-
wirkt und geschrieben hätten. Von dieser Meinung ist man aber
jetzt abgekommen; für poetisch unfruchtbar kann nur die erste
HäUle des 18. Jahrhunderts gelten, aber während des ganzen
17. Jahrhunderts hat die Poesie Vertreter, die über dem Mittel-
gut stehen, bemerkenswerth sowol durch die Kraft und den
Keichthum der Gedanken wie durch die Schärfe des Colorits.
Es gab auch noch eine Kritik, die Schriftsteller kennen ein-
ander. Merkwürdig ist nur, dass ihre Werke entweder nicht
herausgegeben wurden (vgl. „Wojna Chocimska" — „Der Krieg
TOQ Chotin") oder, wenn dies auch geschah, den Zeitgenossen
nicht sonderlich gefielen, oder endlich, wenn sie auch einige
Bekanntschaft erlangten, dann doch von den folgenden Gene-
rationen vollständig vergessen wurden, als die Verderbniss des
Geschmacks die äusserste Grenze erreichte , und die Gesell-
schaft nur am Gespreizten, Gekünstelten, Garricirten und Häss-
Uchen Vergnügen fand. Von einigen Dichtern sind nur nackte
Kamen übriggeblieben mit Angaben, dass sie einmal hoch-
geschätzt waren (Skarszewski nach den Mittheilungen Kochow-
Bki's, Grotkowski nach denen Morsztyn's u. a.) Vielleicht fin-
den sich auch noch ihre Werke. Von denen, die auch ihren
Werken nach bekannt sind, erscheinen drei als die haupt-
rächlichsten; Wa(Jaw Potocki, Vespasian Kochowski und
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108 Viertes Kapitel Die Polen.
Andreas Morsztyn; sie umgibt eine Menge Dichter zweiten
Ranges. Zwei Brüder Zimorowicz, lemberger Bürger arme
nischer Herkunit;, ahmen im bukolischen Genre den Szymono-
wicz nach. Der jüngere von ihnen, Simeon (1604 — 29), starb
früh und konnte sein Talent nicht zur Eutwickelung bringen
(„Roxolanki"). Der ältere, Joseph Bartholomäus (1597 —
1628) verfasate 17 Idyllen, die sehr bemerkenswerth sind, weil
sich in ihnen viele der Natur entnommene Skizzen finden, die
Sprache malerisch und voller Provincialismen ist (solowej, whi-
dyka, spas, praznik, derewnia). Zwei Idyllen („Kozaczyna",
,, Burda ruska") stellen sich fast als Geschichtsblätter dar,
weil in ihnen von einem Augenzeugen der Feldzug Chmol-
nickij's mit den Tataren nach ßothrussland, die Schrecken der
Belagerung und Verwüstung von Lemberg dargestellt werden.
Zu derselben idyllischen Schule gehört Johann Gawi6ski aus
Krakau (seine Gedichte gab 1843 2egota Pauli in Lemberg her-
aus). Die hauptsächlichsten Kriege des 17. Jahrhunderts und
die Gcsandschaftcn sind in ziemlich schwerfälligen Versen in
zahlreichen epischen Gedichten des fruchtbaren Samuel von
Skrzypna Twardowski (geb. um 1600, gest. nach 1660) er-
zählt. Bissige, gallige Satiren, die sich nicht durch sonderliches
Talent auszeichnen, schrieb Krzystof Opaliüski (1609 — 55),
Wojewode von Posen, der sich tbatsächlich nicht um ein Haar
besser erwies als die von ihm verspottete Gesellschaft; er war
ein stolzer Mann, boshaft, selbstgefällig, käuflich, und vcr-
rieth das Vaterland, indem er Grosspolcn in die Hände des
Schweden Karl Gustav auslieferte. Fast alle polnischen Dichter
dieser Periode beherrschen auch den lateinischen Vei-s, doch gab
es einen Lyriker, den Jesuiten Matthias Kazimir Sarbiewski
(gest 1640), einen Litauer, Professor der Akademie zu Wilna
und Hofprediger, der nur lateinisch schrieb, und ein an Feuer
und Kraft bedeutendes poetisches Talent auf lyrische Dichtungen
in einer Sprache verschwendete, die zu einer todten geworden
war, naclidem die neuern Nationalsprachen aufgeblüht waren.
Sarbiewski nimmt die erste Stelle unter den Latinisten des
17. Jahrhunderts in Europa ein; man stellte ihn mit Horaz in
eine Reihe und studirte ihn als Classiker lange Zeit in den
Schulen, besonders in England; Papst Urban VIIL krönte ihn in
Kom mit einem Lorberkranze. Die von ihm besungenen Gegen-
stände waren der Glaube, die Kirche und der Krieg mit den
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Die jesnitiBohe Periode. 109
Türken; wie alle polnischen Dichter des 17. Jahrhunderts ruft
er ßein Volk und Europa zum Kreuzzug gegen die Türken auf.'
Das charakterigtischste Dichterwerk des 17. Jahrhunderte
ist ohne Zweifel ein grosses Gedicht in 10 Gesängen: „Wojna
Chocimska" — „Der Krieg von Chotin", dae sich in Handschrift
erhalten hat und erat 1850 herausgegeben wui-de.'
Ursprünglich schrieb man diese Dichtung dem Andreas
Lipski zu, Unterwojewoden von Sandec, alsdann dem Achatius
Pisarski, Starosten von Wolbrom; jetzt hat Szajnocha* nach-
gewiesen , dass die Dichtung Waclaw P o t o cki , Untermund-
Gchenk Ton Krakau, verfasst hat, gehören um 1622, gestorben
um 169G oder 1697 *, Verfasser von Werken, die für unbedeutend
galten: eines allegorischen Romans in Versen, entlehnt aus Bar-
clay's Argenis (Barclay schrieb sie 1582—1611, die Bearbeitung
Potocki'a ist 1697 herausgegeben), eines zweiten ebensolchen Ro-
mans aus der alten Geschichte „Syloret", witziger Gedichte unter
dem Titel „Jovialitates", einer massigen religiösen Dichtung aus
dem Leben Christi („Neue Werbung zur alten Fahne des über
Welt, Teufel, Tod und Hölle triumphirenden Jesu, des Sohnes Got-
tes" — „Nowy zaci^g pod cbor^iew 8tar%" etc., herausgegeben
1690), eines Wappenbuchs in Versen („Poczet herböw") und end-
lieh des „Krieges von Chotin". — Die Schönheiten des letztern
Werks lenkten die Aufmerksamkeit auch auf die vorhergehenden;
es erwies sich, dass in seinem Wappenhuch und in der freien
Cebcrsetzung von Barclay's Argenis eine überaus grosse Menge
werthvoUer Andeutungen, Urtheile und spitzer Bemerkungen über
Leute und Einrichtungen Polens im 17. Jahrhundert verstreut
änd. Der Verfasser hasst die Wasas, ist ein Feind Oesterreichs
und der Aasländer, ein warmer Verehrer Sobieski's und seiner
aotitürkischen Politik, ein entschiedener Gegner des Wahlkönig-
' Die latciniauhe Poesie Polens wäre ein todtee Kapital geliiiebeo,
"enn nicht ihre beesem Werke in den fünfziger Jahren von Ludwig Kon-
aratowicz (Syrokomla) in prächtigen Versen ülieractzt worden wären.
' Wojna Chocimskn, poemat Irohatcrnki jir/x?. Aiidrzeja Lipskirgo,
wjikna przez Stnniglawa Przyleckiego (Lcralierg l&'iO).
' Szajnouha, Szkice HistoFjczne, IWil.
' Ad. Belcikowski, „WaoJaw z Potoka Potocki" (Krakau 1868; in
nFnegl^d polski").
...., Google
110 Vierte» Kapitel. Die Pol« u.
thums.' Was den „Krieg von Cliotin" betrifft, so bildet das
Thema dieser Dichtung eine der Episoden des Kiesenkampfes
der Christenheit mit dem Islam , welcher den rranzösischeu
Volksepen des karolingischen Sagenkreises und der Kunst-
dichtung Tasso's den Uräprung gab, und dessen letzter Act sich
vor Wien in der Befreiung desselben von den Türken durch Jo-
hann III. Sobieski abspielte. Im Jahre 1620 wurde den Polen
auf der Kbene von Cecora bei Jassy von den Türken eine schreck-
liche Niederlage beigebracht; es fiel der Gross-Hetman Xol-
kiewski , der Unter-Hetnaan Koniecpolski wurde gefangen genom-
men. Im folgenden Jahre 1621 schwebte über Polen die schreck-
liche Gewitterwolke eines türkisch -tatarischen Einfalls, Sultan
Osman hatte die A^bsicht, in Krakau eine Moschee zu errichten
und theilte schon Polen in Paschaliks ein; seine ungeheure Ar-
mee umfasste 300000 Mann aller Ra^en und aller Nationen des
Orients, 150 Kanonen, eine Menge Elephanten, 10000 Last-
kameele. Den türkisch-tatarischen Ileerhaufen traten 65000
Mann polnischer und zaporogischer Truppen entgegen, unter
Führung des altersschwachen und todtkranlien Chodkiewicz. An
diesem Heer, das sich am Dnestr an den Mauern des Cbotincr
Castclls verschanzt hatte, zerschlug sich, wie an einem Felsen,
in 40 Tagen die Woge des Heereszugs, und ging, ohne etwas aus-
gerichtet zu haben, zurück. Das ist der Stoff — der nicht fern-
lag, sich noch frisch im Gedüchtniss erhalten hatte, und sehr
umständlich in den Memoiren einer Menge von Zeitgenossen und
Augenzeugeu beschrieben ist. An die Bearbeitung des Gegen-
standes machte sich Potocki aller Wahrscheinlichkeit nach zwi-
schen 1662 — 72 während der Ilegierang Wiäniowiecki's, als über
Polen wieder die drohende Wolke eines Türkenkrieges schwebte
und das Volk wieder von dem ritterlicli-religiüsen Geiste der
Kreuzzüge, welche sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts
hinzogen, beseelt war. Sein Werk (in 10 Gesängen) hat nur
' Wie Chriatua mit der Kirche und der Mann mit der Frau, so moss
mit dem König die Kepnblik verbunden acin. (Wappeubuch). „Wonn hier
der König aue der Welt acheidet, so öffnet man der Anarchie dleThore des
InterrefrnuTns; wer dann der Stärkste iat, linfa am Beaten, ... Bis die
Wntil kommt, da laufen die Concurreiiteu Bcbnrenweia uud adineiden die
Krone in Stücke; die einen besticht man mit Veraprechungen, die anderu
mit baarem Geld u. e. w."
...., Google
Die jeBuitiBohe Periode. Hl
die Form einer epischen Dichtung, kann aher durchaus nicht
mit dem Volkscpos verglichen werden. Die Dichtung ist oline
jede Fabel, ohne einen epischen Plan, ohne jede Beimischung
der beiden nothwendigen Elemente eines jeden, classischen sowol
wie mittelalterlichen Epos: des Wundci's und der Frauenliehe.
Wie Fotocki ia der Argenis die fertige Arbeit Barclay's als
Grundlage nahm, so halt er sich im „Cbotiner Krieg" blind an
die Memoiren des Jakob Sobieski (des Vaters von König Jo-
hann 111.: „Gomroentariorum belli Cbotinensis libri tres") und
Terfasste in Versen eine malerische Geschichte des Krieges, wo-
bei er nichts hinzuerfand, sondern nur die Lücken der Berichte
crgÜDzte. Obwol der „Cbotiner Krieg" eigentlich kein Produkt
der Poesie, sondern nur poetisirte Geschichte genannt werden
kann, ist doch das Talent Potocki's so gross, dass die von
ihm reproducirte Vergangenheit lebendig wieder aufersteht mit
Personen voll Leben und Bewegung, in Bildern von schärfstem
Colorit, in originellen, fesselnden oder unterhaltenden Skizzen,
sodass diese Bilder in der Seele des Lesers die Gefühle er-
wecken, welche die Vertheidiger von Chotin beseelten, und dass
wu einen der dramatischsten und glänzendsten Momente, der
polnischen Geschichte von neuem durchleben. Die vorwiegenden
liÜgenscbaften des Autors sind Humor, lebhafte Kmp&ndung und
feine Beobacbung; deshalb ist das Gedicht reich an prächtigen
Beschreibungen, pathetischen Stellen ', und bei allem Ernst seines
Stoffes bricht darin doch zuweilen die Satire durch. Von Po-
tocki, als eifrigem Katholiken des 17. Jahrhunderts, darf man
freilich auch nicht jene Objectivität, jene vollständige Unpartei-
lichkeit gegen die Feinde der Christenheit erwarten, zu der einige
Männer der Rennaissancezeit gelangt waren. Bei ihm sind die
NichtChristen fast gar keine Menschen, sie sind insgesammt
' Wir fahren eine Stelle &as der Apostrophe dea Dichten an Oott an
(pieiiu I D. IL): „Schaue her&b, o ewiger Gott, der du einst den gerechten
Zorn hemmteBt durch einen festeD Gurt üher den Himmel und für immer
deia Arsenal, von wo deine Donner über die Welt erdröhDeu, mit einem bunten
Bcifen Bohloaaest. . . . Sieh auf die Leuchte deines Ruhmes, die in diesem
Beithe DnverlöschUch zu deinem Preise Sammt. Uud wenn auch dichte
Schnuppen durch unser böses Wesen und unsere Laster sie in deinen Angen
Terdonkeln, so putze sie ah, du hast die Schecre der Gnade in der Handj
diu du sie nicht auslöschest, hoffen wir bei den Leiden Christi."
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112 Vierte« E&piUl. Die Polen.
Uebelthätor und Taugenichtse, ihi-e Leiden and ihr Untei^ang
erwecken kein Mitleid; der Dichter beschreibt mit Ei^Ötzen
{6. Gesang), wie Schlachtrosse in Haufen von Menschenfleisch
stecken bleiben, wie geronnenes Blut wie Gallert zittert, wie sich
Sterbende in ihren eigenen Gedärmen yerwickeln, Potocki thut
sich überhaupt auch seinen eigenen Landsleuten gegenüber
keineQ Zwang an, er bemitleidet ironisch den Königssohn
Wladyeiaw, der am Fieber litt und die ganze Zeit im Zelte lag,
und die von ihm geworbenen deutschen Söldlinge, welche Tom
übermässigen Genuss moldauischer Melonen erkrankt waren: „wirf
das Fieber ab", ruft er Wtady^aw zu, „gedenke, du Alexander,
dass Darins an deinem Kopfkissen steht, lege den Eisenpanzer
an, besteige den Bucephalus, der vor dem Zelte steht, Mars
wird dich heilen durch Blut oder Schweissl Es ist eines
Führers unwürdig, mit fremden Federn zu prunken, ohne das
Pferd bestiegen oder den Türken gesehen zu haben." Potocki
spottet giftig über die verweichlichten Stutzer, denen der Panzer
zu schwer ist, und die nicht mögen, dass der Helm ihre poma-
disirte Fiisur drucke; er verhöhnt die Buchpolitiker und die
Stubenhocker. Sigismund IH. schonte er weniger als andere;
mit wenig Strichen ist die dürre, schweigsame, hochmüthige Fi-
gur des eigensinnigen Königs vorzüglich gezeichnet, der sich in
der Gegend von Lemberg mit der Jagd vergnügt, ohne sich
irgendwie zu beeilen, seinem erschöpften Kriegsheer Hülfe zu
bringen.
„Eile, eile, Sigismund, in vier Wochen kannst du deine Trup-
pen an der Dooan aufstellen! Eile, wie ein Adler schwebe über
Podolien hin, im Herbst, so Gott will, wirst du schon in Kon-
stantinopel sein." Aber der König vernimmt es nicht, er fährt
fort Krieg za führen nicht mit den Händen, sondern mit den
Ohren (9. Gesang): „Das ist eben die Krankheit aller Könige,
dass sie am liebsten die Hathschläge der Maitressen, der Zwerge,
der Geiger, der Schmeichler und überhaupt solcher Personen
hören, die nicht drei Worte reden, ohne dass ein Privat-
interesse damit verknüpft sei." Das vom König im Stiche ge-
lassene Heer schloss einen Wafl'cnstillstand mit den Türken; mit
dem Original dos Vertrags ward der Priester Szoldrski zu Sigis-
mund gesandt, „der, eben mit der Hasenjagd beschäftigt, die
Nachricht über den Krieg wie ein Märchen anhört, an einem
Orte mit hunderttausend jungen Sannaten still sitzt und wartet
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Die jesuitisclie Periode. 113
laf die Grosspolen, wie eine Ente mit jiingen Küchlein ihre Noth
hat und nicht mit ihnen übereinkommen kann, da sie schwimmt,
während jene laufen." .... Als ihm Szoldrski den Vertrag vor-
gelesen, wurde der König zornig, und rief, den Säbelgriff fassend,
ärgerlich aus: „mich haben sie nicht erwartet mit diesen Trnppen
hier, haben eich erkühnt, ohne mir mit Oeman in Unterhandlung
in treten, den Herrn zu spielen ohne den Herrn zu fragen! (Hier
Hi^hlug er ärgerlich mit dem Hut auf den Tisch). Ich weiss nicht,
Toroit sich Wladyslaw und Lubomii'ski vor mir entschuldigen wer-
den? Ich eile den Türken nach, es werden sie weder die Donau
noch die schneeigen Balkanketten vor mir verbeten; wenn der
Szlachta der Krieg nicht hehagt, wie ich mich davon überzengt
habe, so gehe ich selbst und wäre es nur mit einem Söldnerheer."
— In solcher Weise wiithet der König, im Zimmer auf und ah
schreitend, aber eigentlich ist er innerlich über die Massen froh,
dass er morgen nach dem beliebten Warschau zurückkehrt,
Uebrigens verbirgt er diese Freude sorgfältig, ruft Friedrich, be-
fiehlt ihm, die Landsknechte zum Marsche bereit zu halten, nach-
Tosehen, ob jeder von ihnen &lbel, Pulver, Flinte und Lunte hat.
„Länger darf nicht gezögert werden, ich raste nicht, bis ich
mm Hellespont gelange". Halt, König, jetzt ist Zeit zu schlafen,
nicht Krieg zu fuhren. Bald war der König in seinem Zorne
Ton Bobola, dem königlichen Unterkämmerer, in Schlaf ge-
lullt
Helden, auf welche sich das Interesse der Dichtung concen-
trirte, gibt es nicht; als hervorragende Personen erscheinen der
Cnter-Hetman (Sahajdaßnyj) mit seinen Zaporogem, der ergraute
Chodkiewicz, der tapfere Lubomirski und besonders die alte, kräf-
tige Szlachta mittleren Ranges, die sich beim König nicht um reiche
Stsrosteien bewarb, unentwegt den altväterlicJien Gewohnheiten
folgte, and immer bereit war, aus Pflicht gegen Gott, für den
Glauben und für das Vaterland das Leben zu opfern. Den schönen
Typus einer solchen Szlachta hat der Dichter in dem alten Husaren-
rottmeister Johann Lipski dargestellt, der mit vier stattlichen
Söhnen unter einem Fähnlein kämpft, der Chodkiewicz räth, alle
IM hängen, die an einen Rückzug denken, und der so zerstochen
nnd zerhauen ist, dass or von vorn keine neue Wunde mehr em-
pfangen kann, die nicht einen der vielen Hiebe gestreift hätte,
mit welchen sein Körper bedeckt ist. Dieser Johann Lipski
spricht, mit Stolz auf seine Wunden weisend: „das sind meine
Pim, BUTlHh* LltwatSHB. 11,1. g
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114 ViertcB Kapitel. Die Polen.
Wappen, das sind meine rothen Srzemawen ', mit ihnen verde
ich AUS dem Grabe aufergtehen auf das Signal der Posaune des
Erzengels zur Generalrevue aller Verstorbenen, und wenn ich sie
zeigen werde, 80 wird mir der heilige Heerföbrer (d. i. Gbristus)
das Indigenat im Himmel verleihen."
Wir Bcbliessen die WUrdigung der Dichtung mit den troffeDdon
Worten Belcikowski's (S. 59): „Das strenge Gewissen Hess keine
willkiirlicben Erfindungen zu; alles, was auf den Blättern der
Geschichte geschrieben war, nahm der Dichter zu Herzen, er-
wärmte es durch die Phantasie und sang nicht eine Epopöe, der
seine Kräfte nicht gewachsen waren, sondern eine Siegeshymue,
eine Art Findar'schen Faean, etwas, was Epos und Lyrik in sich
fasst. Mit diesem doppelten Sinne hat Potocki den Grundfehler
seines Werkes gutgemaclit und das unpoetisch Begonnene ward
von ihm poetisch ausgeführt."
Es ist nicht lange her, dass man W. Potocki überhaupt noch
nicht kannte; sein Zeitgenosse, Hieronymus Vespasian Mieczuja-
Kochowski^ war bekannt, kam aber dann in Vergessenheit,
weshalb er auch nicht nach Gebühr gewürdigt worden ist. In
der letztern Zeit hat man ihm besondere Aufmerksamkeit zu-
gewandt, nnd in ihm den allseitigen, charakteristischen Ver-
treter des 17. Jahrhunderts erkannt, der ausserdem noch die
Keime der Ideen und Cicbtungeu hegte, die in der Literatur
ci'st hundert Jahre später in der poluischen Romantik zu Tage
traten. Geboren in der Landschaft Sendomir (zwischen KiSO
und 1633), studirte Kochowski auf der Akademie zu Krakau,
vertauschte aber, ohne den Cursus beendet zu haben, die Feder
mit dem Säbel und führte (1651— C3) das abenteuerliche Leben
eines Soldaten, nahm an allen Kosaken- und Schwedonkriegen
theil. Die Verwegenheit des Kriegers, seine Entschlossenheit
und Ungebundenheit im Verkehr, seine Geschicklichkeit, alle
Vergnügungen des Lebens im Fluge zu erhaschen, kamen in küh-
nen Liedern zum Ausdruck, die immer fröhlich und scherzhaft,
oft sehr ausgelassen waren. Die freien Stunden und die Lange-
weile des Lagerlebens versUsste die Muse, „nicht die attische
' Srzeniawn igt ein weisser Fluas in i'othem Felde, einn der hckann-
testen poloisoheii Wappen.
* Adam Kz^iewski, „Hieroüjm Wespazyan Kieoiujn z Koohowa Ko-
.chowski" (Warschau ,1871, U(i S.)
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Die jesuitiBche Periode. 115
JuDgfrsu, sondern die Slavin", übrigens wird diese Muse nur
ans fiescheidenheit schlicht genannt, nicht nmsonst hatte er
Mythologie studirt; er prunkt damit, dase er fast jedes Stück
mit Bnchgelehraamkeit beginnt, indem er I'höbus, die Fieriden,
den ganzen classiscben Olymp vorführt. Der unterschied zwi-
schen ihm und den Humanisten des 16. Jahrhunderts, z. B. Ko-
chanowski besteht darin, daas sich die letztern den Inhalt und
nicht blo8 die Formen der antiken Poesie aneigneten, und
sich zu den Göttern des Olymp wie zu realen Glaubenswesen
Terhielten, die eben mittels des Studiums wieder erweckt wur-
den, während bei Kochowski diese Gottheiten nur Worte sind,
conveationelle Zeichen , trockene Allegorien , die jedoch die
Poesie nicht entbehren darf, weil sich diesen Leuten die Poesie,
eine gelehrte Unterhaltung, gewissermassen als eine Festung
darstellte, statt der Wälle und Kanonen mit den Namen der
Götter Griechenlands und Roms ausgerüstet (llzi{Kewski, 71),
— zu der nur Zutritt hatte, wer diese Mythologie verstund.
Diese poetische Phraseologie ohne realen Inhalt verbindet sich
in der sonderbarsten Weise mit den christlichen Glaubens-
Tor»tellungen des Dichters. Kochowski ist römischer Katholik,
nnd zwar ein Katholik des 17. Jahrhunderts, welcher der Auto-
rität der Kirche wie ein Soldat dem Commando folgt, jede
Freisinnigkeit vie eine Sünde meidet, sich der Ketzerei gegen-
über wie ein Spanier verhält. lu der Schlacht verwundet, schrieb
er diese Wunde der Kleingläubigkeit zu, die er dem blutr
schwitzenden Kreuze im Dome zu Gnesen gegenüber bewiesen
hatte (Lirjki , 16, 16). In seinen „Liryki" {II, 25) findet sich
eine Ode auf eins der beklagenswerthesten Ereignisse — die
Vertreibung der Arianer („Bando na Aryany"; hebe dich weg,
babylonische Kupplerin, liederliches Weib, Verderben des sar-
matischcn Thrones, ewige Schande des Vaterlandes , . .), Dieser
Glaube ist sinnlich, macht sich den Menschen nicht durch ab-
Btracte Begriffe unterfchan, sondern durch starke Bilder, welche
auf die Nerven wirken. Ein beträchtlicher Theil der Gedichte
Kochow&ki's ist religiösen Inhalts. Er verfasste einen „Garten der
Jungfrau" zu Ehren der Gottesmutter („Ogrod panienski etc."),
schreibt die „Leiden Christi" („Chrystus cierpi^cy"), eine lange
Dichtung von ÖOOO Versen nach dem Evangelium — ein grob-
triviales Epos, das leidenschaftlich alle Wunden und Narben am
Körper des Gekreuzigten dai-stellt, aber gleich daneben auch
.....Gooj^lc
1 IG Viertes Kapital. Die Polen.
PhöbuB, die ErinDyen, Acheron und den ganzen Plunder der clas-
sischen Gemeinplätze in die Dichtung einführt. Satirische Kleinig-
keiten (Fraszki), Bilderchen voll Witz und Bcherzendcr Fröhlicb-
keit, erotische Verse und religiöse Gedichte bilden den kleinern
Thcil der Werke Kochowski's ; er war ausserdem auch Burger nnd
Patriot und es ging kein Sieg, keine Königswahl, kein Feldzug,
kein Reichstag, keine Contoderation vorüber, ohne dasB er in kräf-
tigen und klangvollen Versen die Gefühle der mittleren Szlachta
ausgedrückt hätte, die in den Momenten patriotischer Begeisterung
noch fähig war, grosse Dinge zu verrichten und durch vereinte«
Wirken die Bepublik aus den sie von allen Seiten bedrohenden
Gefahren zu retten. Er stand tapfer auf der Seite Johann Kazi-
niir's und hasste das kosakische Leibeigenen-Gesindel mit seinem
ukrainischen Spartacus — Chmel (Chmelnickij), nannte dies Volk
ein Kainsgeschlecht („Lyricorum epodon", 12). In der Folge
wirkte Kochowski sammt der Mehrheit der Szlachta dem König
und der französischen Partei am Hofe entgegen, die sich be-
mühten, die Wahl Conde's zum König im voraus zu sichern. In
der Sache Lubomirski's betrachtete er diesen als Märtyrer und
schrieb zu seiner Vertheidigung ein ganzes episches Gedicht:
„Der Stein des Zeugnisses" („Kamiei'i swiadectwa"). Er er-
wartete das Heil für Polen von der Wahl der beiden Piasten;
nachdem er sich augenscheinlich in Wiäniowiecki verrechnet,
wurde er bis zum Ende seines Lebens der treucste Anhänger
Johann Sobieski's, der ihn zur Belohnung für seine historichen
Arbeiten („Annalium Poloniae ab obitu Vladislai IV. climacte-
rcs tres") zum königlichen historiographus privil^iatus machte.
Den König vereinte mit Kochowski das gemeinsame Gefühl des
Hasses gegen die Türken und das Bewusstsein der religiösen
Pflicht, Krieg gegen die Muselmanen zu fuhren. Schön ist der
Gram des Dichters über den Verlust von Kamieniec. Es war
ihm vergönnt, die Befreiung von Wien mit eigenen Äugen zu
sehen, die er auch mit Greisenhand in seiner letzten Dichtung
darstellte („Das Werk Gottes oder Lieder des befreiten Wien"
— „Dzi^o Boskie n. s. w."). Kochowski starb 1699, nachdem er
die Rückgabe von Kamieniec durch den Karlowitzer Vertrag noch
erlebt hatte. Ehe wir von ihm scheiden, muss noch eins seiner
Werke erwähnt werden, das aus einzelnen Stücken bestehend,
nnter dem Einfiuss häuslicher sowol als politischer Ereignisse der
letzten Lebensjahre, als der Verfasser zu Ende der sechziger und
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IM« jesaitiaohe Periode. i\^
AnfaDg der siebziger Jahro stand, geBchrieben ist; es ist dies die
sogeBannte „Polnische Psalmodie" („Psalmodya polska", 1693),
35 Psalmen, in Prosa, in biblischem Stil mit Nachahmung der
Psalmen Davids. Um dieses Werk zu verstehen, wollen wir uns
im Geiste auf das Stammgut des Dichters, das Dorf Goleniewa
im Krakauiscfaen versetzen; hier schreibt er seine Annalen, baut
ein Armenhaus für seine Bauern, hier besingt er das bescheidene
Leb«n des Landmanns: „Ich danke dir, Herr, dass du mir Brot
lor Genüge gegeben hast etc." In dieser Einsamkeit beobachtete
der Dichter • Historiker den Verlauf der Öffentlichen Angelegen-
heiten, schalt die Landboten, welche die Reichstage sprengten, die
Verweichlichung, die Völlerei und den Luxus der Zei^enossen, kam
za dem für seine Zeit merkwürdigen Schluss, dass der Ueberfluss
selbst eines Gutes wie die Freiheit, schädlich sein könne. • Je älter,
desto melancholischer, desto ernster wurde Kocbowski; er trennte
nch von der Mythologie, entsagte allen weltlichen Motiven, be-
geisterte sich allein an der Bibel und schüttete in Nacbafamungen
da alttestamentlichen Propheten alle seine Leiden und Besorg-
lÜBse und sprach zugleich seine Auffassung der Zukunft seines
Volkes aus. Er fühlt, dass man den Staat nicht auf den frühem
Stand bringen könne; „wir sind zusammengeschrumpft", sagt er,
„wie die Haut am Feuer oder wie Blut, das sich zum Herzen
ergiesset" (VIII). Er stellt sich die Frage, worin die Schuld
Polens bestehe, und findet keine Erklärung (XIV); daraus ent-
springt sofort die Annahme, dass die vollendete Freiheit, wie
sie bestehe, Hass erzeuge, und dass die freiheitsliebende Ge-
sdlscbaft von Feinden umgeben sei, die darnach streben, diese
Freiheit zu unterdrücken, über die nichts in der Welt gehe;
' LjT. I, 16: Lieb üt mir die Freiheit, ich bin in ihr geboren, ich
e mich mit ihr and bin atolz aof sie, aber ich muBS sie so brauchen,
du9 ich nicht dem Vaterlande schade. . . . Freund deines Vaterlandes,
Sirmat«, gehe mit diesem Edelstein so um, jetzt nnd später, dass sich die
Arniei nicht in Gift verwandle.
„Fraezki"; Diiit et facta sunt: Gott erschuf durch ein Wort (es werde)
"üe Welt, aber auch wir zerstören durch ein Wort (veto) Polen.
nPiertcten wolnoici" („der Ring der Freiheit"); Im Binge ist Gold, im
CoHe die berühmte Perle der Kleopatra, aber in dieser Perle iet Gift ver-
bargen. Daa Gold, das ist die (polaiscbc) Krone, die Perle, das ist die
Freiheit dieses Vaterlandes; hütet euch, dass sich in dieser Perle nicht
Gift finde.
.....(^lOOglc
118 Vii-rle3Kfti>itpl. Die Polen.
aber die Freiheit sei Gottes Werk, und da Gott für dieselbe
sorge, gestatte er nicht, dass sie untergehe (VII). In diesen
mystischen Prophezeiungen und Lehren stecken schon alle Keime
des polnischen Messianismus, der eich in der Mitte des 19. Jahr-
hunderts zu einer vollständigen religiös-pliilosophisehen Theorie
entwickelte.
üiis Geschlecht der-Morsztyn stammt von krakauer Bür-
gern ab. In der polnisclien Literatur des 17. Jahrhunderts ßndeu
sich mehrere Personen dieses Namens; eine von ihnen, Hicro-
Qymns, Trucheess von Biala, schrieb eine allegorische Dichtung
in erotischem Genre „ftwiatowa rozkosz" („Die Wonne der Welt",
160*V); ein anderer, Stanislaw, Wojewodc von Mazuren, über-
setzte Raciue's „Andromache" ; aber weit tiilentvoller und bedeu-
tender als diese war Andreas Morsztyn (geb. um 1(120, ge-
storben zu Anfang des 18. Jahrhunderts), ein gewandter Hof-
manu, Liebling der Marie Louise, welcher von Jobann Kaziiiiir
1608 auf den wichtigen und eiulriiglichen Porten eines Kronunter-
sühatzmeistcrs (Finanzmini^tcrs) erhoben wurde. Alle Moi-sztyus
waren der Erziehung, dem Geschmack und den Neigungen nach
stark französisirte Polen, Vorläufer der Itichtung, welche in
der folgenden Periode zur herrschenden wurde. Morsztyn war
eine der kräftigsten Stützen der französischen Partei, die bei
der Szlachta sehr unpopulär war. Im Jahr Iü84, als die Be-
ziehungen des Königs Sobieski zu Ludwig XIV. die schlechtesten
waren, ward Morsztyn angeklagt, dass er fast im Dienste des fran-
zösischen Königs stehe; infolge dessen musstc er Polen verlassen
und siedelte sich in l'rankieich an, wo er sich ein Gut kaufte
und den Titel eines Grafen de CItateauvillaiu trug, Moi-sztyn
druckte seine Werke nicht, er scliiekte sie nur an seine Bekann-
ten herum; ein grosser Theil seiner Gedichte ist bisjetzt noch
nicht herausgegeben. Als echter Vertreter seiner Zeit, die
das Galaute mit dem ßcligiösen zu vereinigen wusstc, bietet
er in seinem schönen ascetischen Gedicht „Die IJusse" („Po-
kutii") ein Beispiel von Zerknirschung und Sclbstgeissclung.
Ausser einer Uebersetzung von Corncille's „Cid" (die noch jetzt
für nmstorhaft gilt) schrieb er in leichtem Vers mit eleganter
Einfachheit, fern von jeder Pedanterie, die einen Hauptmangel
der Werke Kocbowski's und seiner Zeilgenossen bildet, die schöne
Erzählung „Psyche". Als Grundlage diente ihm der griechische
Mythos iu der italienischcu Bearbeitung, welche derselbe iu
ü,g :.._.. ..Google
Die jeauitisehe Periode. 119
einem Gesänge von Marini'e Dichtung „Adonis" empfangen hatte.
Aber Morsztyn arbeitete das italienische Master um, und wasste
TJele witzige Anspielungen einzufügen, die sich auf die Gesell-
scliafl jener Zeit und die damaligen politischen Ereignisse be-
zogen.'
Wir gehen zur Prosa über. In der gegenwärtigen Periode
kamen nur die Zweige derselben zur Blüte, welche die engste Ver-
bindung mit dem sehr activen, wenn auch ziemlich unfruchtbaren
politischen Leben des Volkes hatten. Die polnische Geschichts-
schreibung des 17- und der ersten Hälfte des 18- Jahrhunderts
wendet wie in frühem Zeiten zwei Sprachen an: die lateinische,
und die polnische und umfasst zweierlei Arten von Werken: Ver-
suche von pragmatischen Darstellungen ganzer Regierungen oder
g&Dier Perioden aus dem politischen Leben des Volkes in zusam-
menhängender Erzählung nach den Quellen und Memoiren über
einzelne Zeitabschnitte. Die Werke der erstem Art sind alle,
ohne Ausnahme lateinisch geschrieben; die polnische Geschichts-
schreibung, welche bei Bielski und Stryjkowski polnisch zu
sprechen begann, legte wieder lateinisches Gewand an. Die-
Hemoiren sind fast sämmtlich in polnischer oder besser gesagt
in einer maccaroniscben Mischsprache geschrieben. Die be-
lunntesten Schriftsteller, welche den Namen von Historikern
verdienen, waren: Paul Piasccki (1580 — 1649), Bischof von
Przemysl, bemerkenswerth durch seine religiöse Toleranz und
Feindschaft gegen die Jesuiten; er beschrieb die Regierung.
SigiGmnnd's III. und Wladyslaw's IV.; ferner der uns schon als
Dichter bekannte Vespasian Kochowski, der die Regierung Jo-
hann Kazimir's und Michael Wiäniowiecki's in vior Büchern be-
schrieb, welche er „Climacteres" nannte, weil jedes dieser Bücher
die Ereignisse von 7 Jahren in sich fasst. Dieses grosse Work,
isü lebhaft und gefällig geschrieben ist, bildet die Hauptquelle
fdr die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Laurentius Ru-
dawski, ein in den Adelsstand erhobener Bürger, Kanonikus
in Warschau, ein so grosser Anhänger Ocsterreichs , dass er
' .^uilrzoj Muntztj'U, uiu Aul'autz vuu Pi-uftiSBur Autun Malecki ia J.
Otrjzku'u „PiBiuu zbiuruwe", I, aW. St. Ptturabtii-g 1859. Eiu Aufsatz von
PrufcBsur Sehriug iu der „Bililiulcka Waraziiwskii", 1Ö7G. - Die Artikel
von Titus äwideraki im lemberger Jonmiil „Przewodnik iiaukowy i lite-
«eki- fnr.1878.
...., Google
120 Vieites Kapitti. Diu l'olcn.
bereit war, ganz Polen den Interessen des Hauses llabsbiu^,
vor dem er sich knechtisch beugte, zu opfern, beschrieb die Er-
eignisse von der Xhionbesteigung Johann Kazimir's biü znm
Frieden von OHwa (1648— GO); sein Werk ist dadurch wichtig,
dasa es eine Würdigung derjenigen Ereignisse vom monarchiBcheu
Standpunkte aus enthält, welche Kochowski vom altadeligeu Stand-
punkte beschrieben hat. Mit Kochowski ueigt sich die Kunst
dee historischen Erzählens sichtlich dem Verfall zu. Das Niveau
der politischen Bildung sinkt schnell, die Charaktere verflachen,
die politischen Ereignisse werden weniger interessant, zugleich
nimmt das Verständniss für den allgemeinen Zusammenhang
derselben und ihre Abhängigkeit voneinander ab. Statt einer
historischen Erzählung hinterliess der Bischof von Ermelaod
und Kanzler Andreas ChrjBostomus Zaluski (gest. 1711) fiinf
grosse Bände seiner Correspondeuz („Epistolae historico-&milia-
res"), ein werthvoUes aber ganz rohes Material. Der Mangel au
historischer Kritik wird theilweise durch eine überaus grosse
Fülle der mannichfaltigsten Memoiren, Tagebücher und Be-
merkungen ersetzt, in denen die Zeitgenossen alles das auf-
Bcbrieben, was sie persönlich betraf oder was mit ihnen selbet
vorgegangen war, wobei sie auf Schritt und Tritt auch die allgemei-
nen politischen Ereignisse berühren. Diese überaus reiche Fund-
grube der Geschichte ist erst vor kurzem entdeckt und erst zu
einem kleinen Theil ausgegraben; aller Wahrscheinlichkeit nach
liegt die grösste Hälfte derartiger Memoiren noch verborgen,
um das ganze Interesse derselben in dieser Periode zu verstehen,
muss man sich vergegenwärtigen, dass freie Institutionen, wie die
polnischen, eine bedeutende Lebensfähigkeit haben, dass der be-
harrliche Glaube an sein politisches Ideal, die erstaunliche Stand-
hafligkeit in den schwierigsten Verhältnissen, die Uebung der
Individuen, auf jeden Aufruf im Namen des bedrohten Vaterlandes
sich in Massen zu gruppiren, den Sitten des Szlachtastandes einen
in hohem Grade epischen Charakter verlieh. Stellen wir uns
vor, dass auf diesem Untergrunde des Bildes die herrschsüchtigen
Pläne der Könige, die Ränke der nach Popularität haschenden
Magnaten, die ins Innere der Republik dringenden Einflüsse aus-
wärtiger Staaten gezeichnet sind; dass sich das öffentliche Leben,
höchst geräuschvoll und geschäftig, in endlosen Landtagen,
Reichstagen, Conföderationen , beim Klange der Becher, beim
Rasseln der Säbel und beim Klirren des Stahls abspielt, — und
ü,g :.._.. .,(^iÜOglC
Di« jofniitisohe Tetiode. 121
wir werden leicht begreifet), welch reicheB Material fiir den Zu-
Ecbaner die polnische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts bot.
Die Aufgaben des Lebens waren bei weitem geringer als im
16. Jahrhundert, die Ziele der Menschen beschränkter und egoisti-
scher, aber das Leben floss in breitem Strome geräuschvoll,
maiiDichEaltig dahin. Mit dem Verfall der Bildung verüchwaud
du Geschlecht der grossen Beobachter, welche das Leben der Go-
BcUschaft in allen seinen bis ins Unendliche mannichialtigeu Er-
scheinungen hatten verstehen können, dafür trat aber eine grosse
Uenge Ton Erzählern auf, die vom Standpunkte ihrer Partei,
ihns Kreises diejenigen landschaftlichen und staatlichen Ereig-
nisse beschrieben, an denen sie selbst unmittelbar theilgenom-
men hatten. Solcher Erzähler gibt es so viele, dass mau mit-
tels derselben den Zustand Polens in der anschaulichsten Weise
ia seiner ganzen überraschenden Buntheit reproduciren kann.
Die wichtigsten von den entdeckten und bisher herausgegebenen
Denkschriften gehören folgenden Personen an: dem Kanzler Alb-
redit Radziwill (gest. 1656); Nikolaus Jemiolowski (geat. um
1693), Joachim Jerlicz, einem Kleinrussen und volynischen
Silachcic (gest. um 1673); dem Primas Johann Stephan Wyd2ga
(gest. 1636); Adalbert Dgbol^cki, einem Franziskaner, Kaplan
der Elearen oder Lisowczyken, welcher die Thaten dieser Genossen-
Echafteu in Deutschland und Polen beschrieb; Erasmus Otwi-
uowski, der sehr umständlich die Ereignisse fast der ganzen
B^enmg August II. beschrieb; Christoph Zawisza, Wojewode
Ton Minsk, zu Anlang des 18. Jahrhunderts. An der Spitze aller
Hemoirenschreiber steht der durch sein umfassendes literarisches
Talent und unerschöpfUchen Humor überraschende Johann Chry-
soetomus Pasek, vom Wappen Doliwa*, ein mazurischer Szlach-
äc, tapferer Soldat, ein Haudegen durch und durch, der unter
dem Oberbefehl Czamecki's mit den Schweden in Polen und
Dänemark, mit Moskau in Litauen kämpfte, sehr viele Aben-
lener erlebte, die polnischen Gesandten aus Moskau nach War-
schau begleitete, einstmals im Streit Mazeppa, den nachmaligen
Hc^an der Kosaken, prügelte, der Liebling der Könige Johann
Kazimir und Johann Sobieski war, und sich zuletzt, als er alles
dorchgemacfat, im krakauer Lande niederliess, wo er ein hohes
' fironirtaw Chl^bowski, „Jan Chrysostom PfMek i jego Pami^tDiki"
0 wtnchauer TygCHluik illustrowany, Jahrg. 1S79).
...., Google
122 Viertes Kapitel. Die Polen.
Alter erreichte (er starb zwischen 1699 unci 1701; vergl. Ate-
neum 1878, Juli). Pasek schrieb seine Memoiren ohne den
geringsten Anspruch auf Autorruhm, aber er gab die Physio-
gnomie seiner Zeit so anschaulich wieder, dass er auf lange als
unerschöpfliche Quelle tüT Historiker und Romanschriftsteller
dienen kann.
Das Ende der Periode wird noch grelJer durch einen sehr
bedeutenden Schriftsteller, Matuszewicz, beleuchtet, dessen
werthvolle Memoiren vor kurzem herausgegeben wurden (,,Pa-
migtniki Marcina Matuszewicza , kasztclana brzesko - litewsldego,
1744 — 65", herausgegeben von A. PawiAski, 4 Bde. Warschau
1B7G)- Dieser Matuszewicz, aus dem mittlereu Adel, ein durch-
triebener Mensch und Intriguant, wusste sich, nachdem er bei
den Czaitoryski's nicht angekommen, bei deren Gegnern, den
ItadziwiUs und bei Branicki zu insinuiren und erlangte, trotz
seiner Talente erst gegen Ende seines Lebens, Ehrcnstellen uud
das Amt eines Castellans fiir seine Betheiligung au der Con-
föderatioQ zu Radom, welche mit allen Merkmalen des Lnndes-
Terraths behaftet war. Seine Memoireii reichen nicht bis zu
diesem bässlichen Ereigniss; sie brechen bei der Krönung Ton
Stanislaw Poniatowski ab, aber in ihnen ist fast photographisch
genau die ganze Epoche August's III. aufgenommen, mit er-
schreckender Wahrheit, in aller Nacktheit der Yerderbniss und
des Vei-falls.'
Ein ganzer Abgrund trennt Pasek von Matuszewicz, das mo-
i'alisclie Niveau ist schrecklich gesunken, das Gemeinwohl zur
Phrase, die constitutionclle Regierung eino Blusion geworden, es
gibt fast kein unbestechliches Tribunal mehr, alle Landtage werden
ganz nach Willkür zusammengesetzt und wenn berufen, ebenso
wieder aufgelöst, die Trunkenheit herrscht epidemisch, bei Ge-
richt und bei den Wahlen siegt derjenige, welcher die Brüder
Szlachüicen am besten traktirt, die Szlachta tobt anf den Land-
tagen, aber kriecht vor den Magnaten und bewirbt sich bei ihnen
um Dienste; von den Magnaten ist am mächtigsten, wer am
reichsten und wer mit ausländischen HÖfen verbunden ist. Ma-
tuszewicz, der an dieser schmuzigen Wirtbschaft unmittelbar An-
theil gcnummeu, crzilhlt nuiv von allen Einzclnhciten derselben
' W. Si>a30wieK, „M. Matus^ewiuz jako paniittnikarz" (im Atem
IH76).
ü,g :.._..;, Google
Die jesUili'che Po.rioile. 123
ohne Gewissensbisse. Seine Memoiren geben ein Bild des Zu-'
Standes tou Polen in der ersten Uiilfte des ly, Jalirhunderts, das
sfbr wabrheitsgetreu, aber einseitig ist: wenn man nach ibm ur-
IhfÜt, könnte man 'zu dem Schlüsse kommen, dass es im ganzen
Slaatekörper keine gesunde Stelle gegeben habe. Die l<aulniss
breitete sich aus, doch gab es auch eine Ucaction dagegen; das
nationale Bewnsstwein erwachte, Reformideen wurden geboren und
vuchsen, wenn auch selir langsam, im Kampfe mit gewaltigen
Hindernissen.
Es galt, die Gewalt zu ergreifen und einen gewaltigen
politischen Umschwung auf einmal eu vollziehen, die Ab-
hrbaffang des liberum veto zu decretiren, das ßeichstagswesen
ZB ordnen, die Oericbtsbarlteit zu reforrairen, die Macht der
Uelmane und Minister zu beschränken, das Heer und die Steuern
m Tergrosscrn. Die Reform führte unvermeidlich zu einer
Kräftigung der monarchischen Gewalt, zur Erblichkeit der-
selben; sie wird ursprünglich von den Königen mit ihren
nächsten Räthcn geplant und verborgen gehalten, wie ein ge-
fahrhches StaatsgebcimuiEs. Aber bei der offenen Abneigung
des letzten Königs aus sächsischem Hause dagegen tritt die
l'eberzeuguDg ein, sie allmählich ohne Vorwissen des Königs für
die nächste Königswahl vorbereiten zu müssen. Als Trägerin
iler Reform erachien die sogenannte „Familie" — das fürstlich-
litauische Geschlecht der Nachkommen Gedjmin'a, die Czarto-
ryskis, welche hcharrlich ein klar prÜcisirtes Ziel verfolgten, in-
dem sie auf ihre Verbindungen, auf die äussere materielle Unter-
stützung Russlandg und auf die Mitwirkung aller wohlgesinnten
Leute, die von den Aufklärungsideen des 18. Jahrhunderts be-
seelt waren, rechneten. — Die politische Reform in Polen war
aufs engste mit dem Rationalismus des 18. Jahrhunderts ver-
bunden. Auf ihrer Seite standen Leute, die sich entweder, sogar
in Sprache und Kleidung, französisirt oder wenigstens gewöhnt
luttcu, französisch zu denken, sich der einbeimischen Barbarei,
der nationalen Geschichte gegenüber ablehnend zu verhalten,
die polnischen Institutionen und Verhältnisse von einem ausser-
nalionalen, kosmopolitischcu Standpunkt zu betrachten. In die
l'olnische Gesellschaft brachte die Idee der Reform einen noch
nie dagewcBeueu Zwiesi>alt. Um auf die Zeitgenossen mit Erfolg
zn wirken, erzeugte sie eine ganze politische Literatur, welche
auch iu der Literaturgeschichte das Bindeglied zwischen der
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124 Viortes Kapitel. Die Polen.
jesuitisch -maccaronischen Periode und der glänzenden Periode
Poniatowski's bildet.
Wir wollen diese politisclic Literatnr in ihren Hauptycrtretern
betrachten. Gewöhnlich stellt man an die Spitze dieser Reihe'
Johann JablonowBki, Anhänger des Königs Stanislaw Lesz-
czyAaki, der 1730 /u Lemberg eine anonyme BroEchiire heraus-
gah, die viel Lärm und dem Verfasser so viele Feinde machte, dass
er die Schrift selbst aufkaufte und nach Möglichkeit vernichtete.
Der Titel lautet: „Skrupul bez skrupulu w Polsce" („Was in
Polen ohne Gewissensbisse geschieht — eine Darlegung der Sün-
den, die dem polnischen Volke am meisten eigen sind, abernicht
für Sünden gelten, ein Tractat, geschrieben ron einem Polen,
welcher derselben Sünden schuldig ist, aber sie bereut, und her-
ausgegeben zu dessen eigener und Andrer Besserung"). Eigentlich
ist dieses Buch kein politischer, sondern ein etliischer Tractat, es
schlägt fast keine Reformmassregeln vor, ausser der sittlichen Er-
neuerung, aber geisselt überaus treffend und schonungslos die
kleinen alltäglichen Unredlichkeiten und Laster, mit denen die
Gesellschaft stillschweigend Nachsicht hatte, weil alle mit ihnen
mehr oder weniger behaftet waren: das systematische Anschwärzen
der Minister, die Neigung, dem König Hindemisse in den Weg zu
legen und ihn zu ärgern, das Aussprengen falscher Gerüchte, um
den Geist der eigenen Partei zu heben, die Nntzniessung ver-
schiedener unberechtigter Einnahmen seitens der Hüter der
Staatscasae, die Chikane und Parteilichkeit der Gerichte, endlich
die ordnungslose Weise der Keichstagsverhandlungen, welche
„wogen wie ein stürmisches, hodenloses Meer durch Gott weiss
woher ausbrechende Stürme menschlicher Leidenschaften und In-
triguen".*
Zwei Jahre nach der Broschüre JaWonowskl's erschien ano-
' Eigentlich steht in der Zahl der Rcforraatoroii Earwiuki voran.
Sein sehon 1709 verfassteB Werk ist zuerst in Krakau 1871 gedruckt („De
ordinandn republica"). Krawicki schilt eine Beschränkung der Houarohie
vor, in der Weise, dass dem König die Yei^ebnng der Aemter entzogen
werde, die durch Wahlen zu besetzen seien.
* Wie unpraktisi:h Jabfonowski als Reformator ist, sieht man daraus,
dasB er vorschlägt, der Untersebatzmeister solle Bochensohaft über die Ein-
nahmen und Ausgaben nicht vor dem Reichstage, sondern vor den Land-
tagen ablegen.
...., Google
Die jeeuitieclie Periode. 12,>
njim zu Nancy ia Frantreicli ein zweites, bei weitem gehalt-
ToUeresWerk; „Ein freies Wort, die Freiheit zu sichern" („Glos
Yolny, woloos^ ubezpieczajqcy " ). Es war von dem ehemaligen
Künig, der sich zam zweiten mal anschickte, die Krone zu ge-
vinneD, Stani8}aw Leazczyt'iski (1677 — 1766) verfasst.' Der
Verfasser gesteht, dass das alte Gebäude Btürze (mole sua ruit)
veges Uebennase an Freiheit (summa libertas etiam perirc
Tolentibne); er snchi den Stand zu gewinnen, der in Polen die
Obei^ewalt hat, bekennt „ohne Schmeichelei", dass der Szlachta
alta Tugenden und Talente angeboren seien, schlägt aber folgende
Maasregeln vor, um der Constitution, ohne sie zu yernichten, die
gebühreade Form (debitam forniam) zu geben: Die Königswiilil
wird nicht aufgehoben, aber sie soll zunächst in den Landtagen
stattfinden, welche nur Candidaten vorschlagen; alsdann auf dem
Reichstage so, dass einer der vier ersten von den Landschaften
beieichneten Candidaten mit Stimmenmehrheit gewählt werde.
Aach vor dem liberum veto hat der Verfasser scheinbar den
grÖGBten Respect, in Wirklichkeit reducirt er es aber fast auf
Null; weder auf den Landtagen noch auf dem Iteichstage sollte
die Wahl der Präsidenten, d. i. der Marschälle, oder die Gültig-
keit der BeichstagsbeschlüsBe von der Willkür einer einzelnen
Person abhängen. Der YerEasser entzieht das Recht, an den
Landtagen tbeilzunehmen , den Militärpersonen und denen, die
bei irgendjemand in Frivatdienst stehen. Unter Beibehaltung
des Zweikammersystems im Reichstage verlegte Leszczynski
den Schwerpunkt der Volksvertretung aus den allgemeinen
Versammlungen der Kammern in die von ihm vorgeschla-
genen Ministercollegien , d. i. in ReichstagBcomites, die aus
einer gewissen Anzahl von Senatoren und landschartlichen Ab-
geordneten, der Zahl nach vier, mit Bezug auf die vier Haupt-
Refrenstände; Krieg, Finanzen, Justiz und Polizei, bestehen. Die
CottegieD sollten während des Reichstags Gesetzvorschläge aus-
arbeiten and in der Zwischenzeit von einem Reichstag zum andern
als höchste Gerichtunstansen wirken. Die Starosteien (pania hene
merentium) schlägt der Verfasser vor, auf die Staatscasse zu
nehmen und zu den Quellen der Staatseinnahmen hinzuzufügen,
die Minister nicht auf Lebenszeit zu ernennen, sondern auf sechs
' Alexander Rembowski, „Stanislftw Lewoiynaki jako statystg" (in
H'w», 1878, Heft 80-96).
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126 Viertes Kapitel. Die Polen.
Jahre durch Abstimmung auf dem Reichstage, an der beide Kam-
mern und der König theilzuuehmen hätten; sie für alle Re-
gicrungshandlungen verfintwortlich zu machen, sie der Aufsicht
der Ministercollegien zu unterstellen, in den Wojewodschaften
"Wojewodencollegien zu bilden, bestehend aus den Wojewoden
und vier landschaftlichen Abgeordneten, die richterlichen Aemter
aus Wählämtern in lebenslängliche umzuwandeln. Ohne in sein
Programm die Betheiligung der niedem Volksklassen an der
Volksvertretung aufzunehmen, legt der königliche Philosoph doch
den Finger an die kranke Stelle Polens — das anomale Ver-
hältniss der Szlachta zum gewöhnlichen Volke. „Alles, dessen
wir uns rühmen", sagt er, „sind wir dem gemeinen Volke schul-
dig. Es liegt auf der Hand, dass ich kein Szlacbcic sein könnte,
wenn der Bauer nicht (leibeigener) Bauer wäre. Die Plebejer tof-
schaffen uns Brod, sie fördern für uns die Schätze aus der Erde,
durch ihre Arbeit haben wir Vermögen, von ihrer Mühe kommt
der ßeichthum des Staates. — Sie tragen die Last der Abgaben,
stellen die Rekruten; wenn sie nicht wären, müsstfin wir selbst
den Acker bestellen, sodass man statt des Sprichworts: der Herr
aus den Herren, sagen müsste: der Herr aus den Bauern."
Diese halben Massregeln waren in einer Form voll diploma-
tischer Reserve vorgeschlagen, doch übte der Regent vod
Lothringen Jahrzehnte laug einen grossen persönlichen Ein-
tluss auf die öffentliche Meinung in Polen aus. Ihm machten
die Eiferer für die Reform ihre Aufwartung; sein Hof zu Lune-
ville war der Sammelpunkt, an dem sich die leitenden Persön-
lichkeiten Polens mit der intellectuellen Bewegung in Frank-
reich bekannt machten, französische Cultur einsogen, und
indem sie eine leidenschaftliche Neigung für dieselbe fassteu,
sie dann auf polnischen Boden übertrugen. Die Kinder der
höhern polnischen Aristokratie wurden in der von Leszczyi'iski
zu Lunovillo errichteten Kriegs -(Ritter-) schule erzogen. Die
Patrioten neuer Prägung, welche ihr Vaterland liebten, wie es
künftig sein sollte, aber französisch dachten und fühlten, wenn
sie sich auch in einer von ihnen umgebildeten, verfeinerten, von
Liitinismen gesäuberten polnischen Sprache ausdrückten, gingen in
ihren Plenen bedeutend weiter als Leszcuyiiski, waren weit radi-
calrr in ihren Ansichten über die veralteten und ihren Ideen
nach baibarischen Institutionen der Heimat. Aus der Scliar der-
selben i.igon besonders zwei Personen geistlichen Standes hervor,
D,9:.z.a., Google
. Die jöBuitiacho Periode. 127
Behr ungleich an Verdiensten, aber eng miteinander verbunden
sowol ihrer Thatigkeit nach, als durch ilire nahen Bezielmngen
lum Hofe von Lunerille: Zatuski und Eonarski.
Joseph AndrcaB Zatueki (1701 — 41)' war Bischof von Kiew,
ein Mann voll aristokratiBclier Vorurtheile, und bis zu dem
Grade Frankomane, dass er der warschauer schönen Welt Fre-
■ii^n in französischer Sprache hielt; auBserdem gewaltiger
Bibliomane, brachte er die reichste Büchersammlung über pol-
nische Geschichte zusammen (gegen 300000 Bücher, 15000 Hand-
schriften), die er dann in seinem Testamente der Kation ver-
machte (sie ward als russische Beute von Warschan weggeführt
oad legte den Grund aar kaiserlichen öfTentlicben Bibliothek in
Petersburg). Unter seiner Anleitung bildete sich der erste pol-
uieche Bibliograph Jenisch aus, der seinen Namen in Janocki
nmändcrto (seine Werke: Jauociana); auf Anregung Zahiski's
liefasste sich mit der Herausgabe alter lateinisch-polnischer An-
naien der Arzt Laurentius Mizler de Kolof. Stanislaw Ko-
närski (1700 — 1773) stammte aus einer vornehmen Familie, trat
mit 17 Jahren in den Orden der Piaristen, beendete seine Bil-
dung in Rom und Luneville, kehrte 1730 nach Tolen zurück
und vollbrachte drei Aufgaben, die glänzend gelangen und
reich an Folgen waren: eine Keforra der Erziehung, die Heraus-
gabe einer vollständigen Gesetzsammlung, und eine völlige Auf-
klärung der öffentlichen Meinung über den Bankerott des libe-
rum Veto. Mit Hülfe und Unterstützung Zaluski's gab Konarski
in 6 Bänden die sogenannten „Volumina legum", eine vollstän-
dige Gesetzsammlung Polens vom Wislicer Statut an heraus.'
Zuerst Rector des Piaristenseniinars in Rzeszöw, alsdann Provia-
zial dieses Ordens, eröffnete er 1740 zu Warschau ein Muster-
Internat (Convict) für Kinder aristokratischer Häuser, das col-
legiuoi nobilium ; später gelang es ihm überhaupt alle Pia-
rislenschulcn zu reforuüren. Der Alvar wurde aus dem Unter-
ridit verbannt, eine grössere Ausdehnung empfingen die Ma-
thematik, Geschichte, Geographie; neben dem Latein wurden die
neuem europäischen Sprachen und die Volkssprache gelehrt.
Konarski und seine Mitarbeiter sorgten für vorzügliche Lehr-
bücher auf allen Gebieten der Wissenschaft. Die von ihm ein-
' Zweit« Auagabe der Volumios legura in 8 Bänden mit Invenlnr, ver-
wWallct von Josaphat Ohrysko (Peteraburg 1859— IJO).
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128 Viertes Kapitel. Die Pnlen.
geführten Oonvicte waren zwar keine Schulen - für das Volk , ja
nicht einmal für die Szlachta, Rondem modische Institute für die
Jugend der vornehmen Welt, in denen diese eine glänzende welt-
liche, wenn auch nicht sonderlich tiefe Bildang in französischem
Gcschmacke erlangte; aber man darf auch nicht vergessen, datm
Knnarski's Thätigkeit mehr eine politische als wissenschaftliche
war, dass er die Wissenschaft nicht um ihrer selbst willen liebte,
dasB er mittels der Erziehung nicht sowol Gelehrte als einänss-
reiche Leute heranbilden wollte, welche im Stande wären, die Ini-
tiative in der politischen und in deren weitem Folge aach der
socialen Reform zu übernehmen. Als Publiciet ersten Ranges er-
weist er sich in der vierbändigen anonymen Schrift: „0 skutccz-
nym rad sposobie" („Ueber die wirksame Art der Berathungen",
1769 — 73), worin er bei der Analyse der Geschäftsordnung des
Reichstags den grossen Schaden des liberum veto darlegt und
einen Modus der Lösung der Fragen nach Stimmenmehrheit
vorschlägt. Der Verfasser packte sozusagen das Uebel bei den
Hörnern und brachte es zum Wanken, mit unwiderleglicher
Logik und grosaartiger Belesenheit. Konarski möchte den
Thron erblich sehen , dem König die Verleihnng vacanter Aem-
ter nehmen; er meint, die auswärtigen Mächte würden sich einer
Abschaffung des liberum veto und sonach einer Einschränkung
der Anarchie nicht widersetzen; auch hält er die Forderung
des Parlamentarismus für möglich unter vereinter Anstrengung
der der Reformidee ergebenen Patrioten; seine Thätigkeit war
nicht durch die Politik des Hauses der Czartoryski bedingt, aber
förderte dieselbe nicht wenig. Dieses Buch übte einen unge-
wöhnlich starken Eindruck ans, riss die ganze vornehme Welt
mit fort, wirkte auch auf die Szlachta', sodass als der länget
erwartete Moment des Todes des letzten Königs ans sächsischem
Hause eintrat, sich Leute, welche jenen Augapfel der Adelsfrei-
heit vertheidigt hätten, fast gar nicht mehr vorfanden.
Am Ende dieser Periode zeigen sich die ersten Versuche einer
kritischen Bearbeitung der polnischen Geschichte. Die Preussen
Hartknoch (gest. 1687), Lengnich (1689—1774), Brann
(gest. 1737) machen sich mit deutscher Beharrlichkeit und Ge-
nauigkeit an den schwierigsten und dunkelsten Gegenstand im
Leben des Volkes, an die Geschichte des polnischen Rechts.
' Pamistniki Matuazewicza IT, ',
.,Güoj^lc
Die Periode PoDJatoweki's. ]29
Ceberans fruchtbar war der Historiker, FubliciBt und Alterthums-
forscher Simon Starowolski, Kanonikus zu Krakau (gest. 1656),
der gegen 60 Werke hinterlassen hat; die Zeitgenossen nannten
ihD seicer utnränglichen Belesenheit halber den polnischen Varro.
Der Jesuit Kaspar Niesiecki (gest. 1744) hlnterliess werthrolles
Uaterial fiir die polnische Geschichte in einem heraldiechen
Werke, in welchem er die Geschichte aller irgendwie bedeutenden
SiUcbtafamitien sammelte und darstellte. Dieses Werk, in vier
grossen Bänden, wurde zu Lemberg 1728 — 48 unter dem Titel
^Korona Polska" („Die polnische Krone") herausgegeben.'
4. Die Periode des Königs FoniatAwski (1764 — 1796) und die Zeiten
nach der Theüimg bis zum Auftreten der polnisohen Romantik
(17B5— 1822).
Hauptdaten.
1764, 7. (18.) October. Wahl Stau. Aug. Poniatowski's zum Kilnig.
1766. Conföderationen der DissidenteD, unterstützt von Ruasland,
1767. Die Confoileratioii you Rodom. Die Verbaunung der Senatoren
nach Kaluga.
1768. 12. (23.) Februar. Der Vertrag mit RuBsland, weicher die
Beichs-gruadgeaetze garantirte.
1768. 29. Februar (11. M&rz). Bildung der ConfCderation von Bar.
1769. Die KoIiiwazcKyzna.
1770. Die Conföderirteu von Bar setzen Poniatowski ab.
17(1, 3. (14.) November. Attentat der Conföderirten von Bar auf
den König.
1772. Die erste Theilung Polens.
1773. Beichstag. Die Opposition Rejtan's.
1714. Aiifhebung des Jesuitenordens. Errichtung der Educationscom-
misaion.
1775. Errichtung des Beständigen Ratha.
1787. Die Zusainmenkunfl Katharina's IE. mit Poniatowski zu Kaniow.
1788, 5. (16.) October. Eröffnung des vierjährigen Reichstags.
1791, 3. (14.) Mai. Die neue polnische Constitution.
1792, 14. (2&.) Hai. Der Abscblnss der Couföderation von TargowiciL
1793, 24. Not. (5. December). Der König echliesst sich derselben au.
' Die Arbeit Niesiecki'ti, bedeutend vervollständigt, wai-d neu hemus-
^e^ben von Johann Neponiuk Bnbrowicz (10 Bdi;., Leipzig 1839).
fmg, sUTboba Lltantnnn. II, I. ' y
.....(^lüoglc
130 ViertM Kapiti?!. Die Polen.
1793- Die eweite Theilnng Polens; der ataniBie Reicliattg an Gradno.
1794, 2i. März (4. April). Dot Anfstend Koiciuizko's is Krakau.
1794, J7. (28.) April. Der Umschwung in Waraclmu.
1794, 8- (19.) November. Die Einnahme WarscLsus durch Savorov.
1795. Die dritte endgaltige Theilung Polens.
1807. Die Bildung des Hentogthnins WarschMU.
1815. Die Bildung des Königreichs Polen.
Mit SchwierigkeiteD aXlei Art iet die richtige Dar^llnog
und Würdigung der uDruhigen Epoche verbanden, welche mit
der Wahl Poniatowski's beginnt und sich bald durch stossweises
Streben nach radicaler Refoim bald durch die Bacchanalien der
Echonaogslosesten Reaction auszeichnet. Alle Ereignisse dieser
stürmischen Zeit haben einen doppelten Sinn and Charakter.
Erstlich stellen sie den mislungenen, verspäteten Versuch einer
eiligen Ausbeseerung des zerfallenden politischen Gebäudes dar.
Die Eigentbiimlicbkeit, dass die Verwirklichung des Unterneh-
mens durch äussere Einflüsse gehindert wurde, läset angeuBcbeia-
lieh die Frage nicht zur Entscheidung kommea, invieveit das
Volk die schwere Aufgabe bewältigt hätte, wenn jenes Hinderaiss
überhaupt nicht existirt hatte; andererseits ^eilicb war diese äus-
sere Einmischung das verhänguissvolle Resultat eines Beharrens in
chronischer Anarchie, deren Unterstützung, da sie ein wesent-
liches Interesse für die Nacbbun hatte, auch als ein weamtlicher
Bestandtheil in deren Politik überging and zu einem leitenden
Princip der letztem wurde, sodass jede innere Reform in dam
Polen des 18. Jahrhunderts in verhängnissToUer Weise mit
einem äussern Krieg verwickelt und das Schicksal des Volkes
im höchsten Grade tragisch wurde. Zweitens aber nimmt Ton
«besdenselbeu Ereignissen der letzten Katastrophe die sociale
sowol wie die literarische Wiederbelebung ihren Anfang, die
durch den besonderen Gang der Dinge bei den Polen früher
eintrat, als bei den andern slaviscbeo Völkern, der aber einige
typische Züge aufgeprägt sind, welche bisweilen biBdem, das
Znsammentreffen und die Aehnlichkeit zn erkennen, wvgea der
äussern Verschiedenheit in den Erscheinungsformen. Mitben im
Kampfe für die untei^ehende politische Selbständigkeit kläroi
sich bei den bessern Leuten des 18. Jahrhunderts in Polen die
Bedingungen von dessen künftiger Ezistenz, — Bedingungen,
...., Google
Die Periode Poniatowski'B. 131
wdcfae im alten Polen überbaupt nicht vorhanden waren und
gut nea geschaffen werden muBBten. Alle diese Leute haben
ein Behr bestimmtes und rein politisches Ziel vor sich, für ihren
ntrmen Patriotismus existirt nichts Unmögliches, sie sind stark
im Irrtbom rücksichtlich der Möglichkeit, die Aufgabe auf einmal
uuxnfiihren , and hoffen plötzlich die Bedingungen und Voraus-
setzongen zu schaffen, von denen die Verwirklichung ihres Ideals
ftbhängt; bei den unTermeidlichen Miserfolgen solcher Versuche
Uten ihre Bestrebungen in politische Phantasterei aus, aber
ni^eich damit rückt das politische Ziel immer mehr in uuer-
■easlicfae Feme, und in den Vordet^rund treten die Sorgen des
Ta^, die Ausarbeitung der Voraussetzungen und Bedingungen
einer schon nicht mehr poUtisdien, sondern nur einer beson-
den nationalen Existenz. Obgleich es den Leuten der Ton uns
betrachteten Periode noch fremd war, die polnische Frage so zu
atelleu, wie sie sich erst vor kurzem nach einer Menge vonMis-
geschicken und Enttäuschungen klärte, sie aber doch in ihrpoU-
tiscbee Ideal Ideen hineintrugen, die zu leitenden Principien der
geg^irärtigen Demokratien wurden, die Gleichheit der Menschen,
die Redite des Individuums, eine radicale Aenderung nicht nur
der nnbehoUenen politischen Maschine des Mittelalters, sondern
uch der Gesetze und nicht dieser allein, sondern auch der Sit-
ten, so erscheinen sie als Lieblingshelden iur die künftigen Ge.
tcblechter, und wenn auch nicht als die Schöpfer, so doch als
die Propheten der spätem Renaissance.
Von dieser Seite gewährt die Literatur der Zeit des Königs
Stui^w August ein grosses Interesse; sie ist ganz mit Politik
dBTchflocbten.i
■ SzQJBki, „Dzieje Polski", IV. Bd. — HeiDr. Szmitl, „Paaowanie
8UnMhwa Au^ets" (2 Bde., Lemberg 1868—70). — W. Kaiinka, „ObUI-
■ic kta panowmma Stanialawa Angiuta" (SBde., in Pamiftaiki z XTUL w.,
V<ri^ Ton 2opaä*ki, Fosea 1868).— J. 1. Kraazewaki, „PoUka w ozaaie
ln«ch roibioröw 1772—99, Studia do luBtorji ducha i obyczijöw" (3 Bde^
Posen 1873— 7B).— S. SoloTJey, „Istorija padenija PolSi" (Moskau 1865);
Jrtorij« BoBsii", {B.28, Ebend.1878). — N. KostomaroT, „PoslSdnie gody
Rtti Poipoiitoj" (Petereborg 1870). — Roepell, „Polen nm die Mitte des
IS. ikbrinmderta" (Gotha 1876).— Brflggen, „Polens Auflöinng" (Leipzig
U78).— D. Angeberg, „Becneil des trait^B et Conventions ooncernant U
Pologne, 1762—1862" (Paria 1862).
a*
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132 Viertes Kapitel. Die Polen.
Wie die Politik, so tmgt anch die Literatur ein franzÖBisches
Gepräge. Die polnische Reform bewegte sich in der welt-
historischen, nach der Reformation grossartiggten Strömung der
Aufklärungsideen des 18. Jahrhunderts. Die Gewalt des Kö-
nigs hatte sie allerdings nicht zu verkleinern, sondern zu ver-
grössern; den dritten Stand, den es überhaupt nicht gab, hatte
sie künstlich zu schaffen; von der französischen Philosophie des
18. Jahrhunderts entlehnte sie die Begriffe der Menschenrechte
und die Negation aller Kasten. Noch sehr gering war der Pro-
centsatz von Leuten, die sich von den neuen Reformideen leiten
Hessen, und doch war es nicht möglich zu zögern, das Staats-
Echiff sank und war schon bis an den Bord mit Wasser gefüllt.
Es blieb nur der Weg einer heimlich geplanten, kühn durchge-
führten Staatsumwälzung oder der Weg der sogenannten politi-
schen Intrigue übrig. Diese Aufgabe übernahm die „Familie",
d. i. die Partei der Gzartoryski (die Brüder Michael, Kanzler
von Litauen, und August, Wojewode von Rothrussland), welche
grosse Reichthümer hatten (infolge der Vermählung August's
mit der letzten Tochter aus dem Geschlecht der Sieniawski) und
im Besitz weiter Familienverbindungen waren (mit den Ponia-
towskis, dem Hetman Clemens Branicki). Von allen Magnaten-
programmen zeichnete sich der Plan der Gzartoryski dadurch aus,
dass ihm eine vollständig staatliche Idee zn Grunde lag. Die
Stützpunkte zur Bewältigung der Anarchie suchten sie ausser-
halb Polens; indem sie den Schein der schon nicht mehr be-
stehenden politischen Selbständigkeit opferten und eine russische
Partei in Polen bildeten, nahmen sie au, dass es in den Inter-
essen RuBslands liegen werde, ganz Polen ohne Theilung zu er-
werben, und dass es diesem dann unter den Fittigen Russlands
möglich sein werde, seine innern Verhältnisse zu ordnen. Der
Moment der Wirksamkeit trat für die „Familie" mit dem Tode
König August's lU. 1763 ein; unter dem Schutze ruseiacher Ba-
jonnete trat der Reichstag zusammen, auf welchem die Czar-
toryskis die Opposition in der Person des Hetmans Branicki
und Karl RadziwiU's nöthigten, sich zu entfernen, den Reichs-
tag selbst in eine Gonföderation umwandelten (d. i. in eine
Versammlung, welche nach Stimmenmehrheit entscheidet), eine
Militär- und Finanzcommission errichteten, bestimmt die Macht
der Hetmane und des Unterscfaatzmeisters zn beschränken, das
Gerichtswesen reorganisirten, das liberum veto antasteten. Nicht
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Die Periode Poniatowaki's. 133
gue nach ihrem Willen, aber auf Anweisung der russischen B«-
giening ward 1764 ein Mann ihrer PaHei und Familie auf den
Thron gehobeu, der mit der Kaiserin Katharina II. persönlich be-
kannte Stanislaw August Poniatowski ; er war ein Enkel des Dich-
ters Andreas Morsztyn und Sohn des feinen Diplomaten und Ge-
nerals Stanislaw Poniatowski, eines fast ahnenloBen Emporkümm*
lings, welcher Genosse Leszczynski'a und Karl's XII. gewesen war,
nod damit endete, dase er unter den Sachsen den ersten Sitz im
polnischen Senate innehatte. > Der Erfolg der Czartoryski machte
die benachbarten Regierungen stutzig, in deren Combinationeu
tsdurchaus nicht paeste, Polen sich orgauisiren und erstarken zu
lissen; sie verloren plötzlich ihren äussern Stutzpunkt, und ihre
g&Dze schlaue, langjährige Arheit war zerstört. Kussland ver-
langte Gleichberechtigung für die Dissidenten und brachte die
Curtorfski in eine unmögliche Lage; unterstützen konnten sie
diese Forderungen nicht, ohne ihre ganze Popularität zu ver-
lieren, ohne in den Ruf von Verräthern zu kommen. Anderer-
seits liefen die polnischen Anarchisten nach Berlin und Peters-
borg, und auf dem Reichstag von 1766 ward seitens Russlands
und Preussens ein Protest gegen die Aufhebung des liberum veto
eiogebracht. Der Bewahrung dieses „Augapfels" der Adelsfrei-
heit klatschte die Mehrheit der im Conservativismus erstarrten
Szlachta Beifall zu. Schwieriger war es, den Reichstag zu einem
udem Schritt zu bringen, der ihm widerwärtig war gegenüber
dem Reste von Gefühl für die nationale Unabhängigkeit und wegen
der religiösen Begriffe — nämlich die Dissidenten zu politischen
Rechten zuzulassen. Doch wurde auch dieses Ziel durch die
nusiEche Politik erreicht. Auf ihre Veranlassung wurden dissi-
dentische Conföderationen zu Thorn und Danzig gebildet, und
später (1767) die GeneralconfÖderation zu Radom. Die aus der
Be^emng entfernten Oligarcheu mit dem von der Kaiserin be-
gnadeten Exulanten, dem „litauischen Bären", Fürsten Badziwit]
an der Spitze, griffen unter Mitwirkung russischer Soldaten zu
den Waffen für die ihnen moralisch widerwärtigen Rechte der
Andersgläubigen, um sich den verlorenen EinÖass wieder zu
schaffen und den König vom Throne zu stürzen. Diese Hoff-
DQDgen des erbitterten Magnatenthums gingen nicht in Erfüllung,
nur die Czartoryskis traten von der Bühne ab; der durch die
' Kanteoki, „Ojciec Stanielawa Äugaeta" (im Ateneam, Jahrg. 1876).
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134 Viertes Kapitel. Die Polen.
UDfreiwillige Unterzeichnung der Conföderation von Badom ge-
schwächte und erniedrigte König blieb auf seinem Platze ohne
Bedeutung und Macht, während zum wirklichen Vermittler der
Parteien und Entscheider der Geschicke der russiBcfae Gesandte,
Fürst Repnin, wurde. Die Versuche der Reichstagsopposition
worden dadurch paraljsirt, dass der Bischof Ton Krakau, Sot-
tyk, und einige andere Senatoren nach Kaluga verbannt wurden ;
yom Reichstag wurden angenommen und in einem besondem
Vertrag vom 12. (23.) Februar 1768 durch Russland garantirt ao-
wol die Rechte der polnischen dissidentischeu Unterthanen als
auch die Grundrechte des polnischen Volks, darunter das liberum
Teto in allen wichtigem Fragen der innem und äussern Politik
(den sogenannten materiae Status).
Die directe Folge der Conföderation von Radom und dee
Reichstagsrertrags über die Garantie war die Conföderation tod
Bar. Das von diesem Ereigniss empfindlich berührte National-
geflihl rief eine freiwillige, plötzliche, religiös-patriotische Be-
wegung hervor. Das ganze Land bedeckte sich mit fli^enden
Abtheilnngen von Parteigängern, den „Cavalieren des Kreuzes",
den „ Marienrittem ". Die Führer der Bewegung wurden zn
legendenhaften Personen: der podoÜBche Bischof KrasiAski, die
Pntawskis, der KarmelitermÖDch Pater Marcus, der Kosak Sawa;
die Bewegung riss selbst den Marschall der Conföderation von
Radom, Radziwilt, mit sich fort. Im Süden rief me das blutige
Hajdamakentbum hervor, ein Aofruhr, der unter dem Namen der
„KoliiwBzczyzna" bekannt ist. Die angeregelte, sich von Ort za
Ort wälzende Bewegung entsprach ihrer politischen Aufgabe nicht
im geringsten. Die ConfÖderirten betraten den Weg weitsichti-
ger diplomatischer Intriguen, setzten den König als Verräther ab,
und versuchten ihn sogar mit bewaffneter Hand aus Warschau
zu entführen, verwickelten Russland in den türkischen Krieg und
beschleanigten nur die Theilang der Republik; die Versuche des
Nachfolgers Repnin's, des Fürsten Volkonskij, wieder eine rus-
sische Partei zu bilden und sie mit dem König an der Spitze
den Confoderirten gegenüberzustellen, erwiesen sich als ver-
fehlt; es war nicht möglich , dafür auch nur einigenuassen
angesehene und ehrliche Leute zu finden. Damals neigte sich
die Kaiserin Katharina den schon lange gemachten Vorschlägen
Friedrich's des Grossen zu; Oeaterreich betheiligte sich ebenfalls
an der Theilang, der zufolge Russland die jetzigen weisarussi-
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Di« Periode Poaifttonski's. 135
Bdteu GonTemements, Oest^rredcli Galizieu ansBer Erakau und
amn Tbeil des Lnbliner GonvememeDts, Prenssen ErmelaDd
ud das sogenannte Königreich Preueaen vom Meere and den
Mudimgen der Weichsel an bis jenseits des Flusses Netze mit
Anechlass der bei Polen verbleibenden Städte Danzig und Thorn
empfing. Von 13000 Qnadr&tmeilen verminderte aich der Flächen-
ruua der Bepublik auf 9438 Quadratmeilen, mit einer Bevölke-
nmg von 8 Millionen Einwohnern.' Die Nachgiebigkeit des
Königs unterlag keinem Zweifel, es war nur uötbig, den Reichs-
tag sor Annahme des TheUangsvertrags zu zwingen. Die Haupt-
n^e in diesem Act der Selbstvemichtung fiel auf den bestech-
lichen nnd schamlosen Gyniker Adam PoniAski (Protest T.
Bqtan's auf dem Reichstage). Eine Regierung auf neuen Prin-
äpien einzurichten, ward der Reicbstagsdelegation überlassen,
welche sich mit der Arbeit nicht beeilte und sie bis zum Jahre
1775 hinzog. Die neue Form d«r Regierung war vollständig
oUgarchisch, dem König wurde sogaf die Verleihung von Aem-
ten and Starosteien genommen; die vollziehende Gewalt wurde
dem Beständigen Käthe (Rada Nieustaj^ca) aus 36 Mitgliedern
(18 Senatoren nnd Ministem und 18 Mitgliedern aus dem Adels-
stände, vom Reichst!^ auf zwei Jahre gewählt) übei^eben, der
in Departements eingetheilt war (answärtige Angelegenheiten,
Krieg, Polizei, Justiz und Finanzen). In Warschan ging es hoch
ker, es vollsog aich die geräuschvolle Tbeilung der Aemter,
Gelder nnd Besitzungen seitens der Theilnehmer an der Gewalt.
Gegenstände der Beute waren die ehemaligen Güter der Jesuiten,
die nat^ Aufhebung des Ordens durch Papst Clemens XIV.
(21. Juli 1773) für die Zwecke der Volksbildung bestimmt wur-
den, nnd die Starosteien oder Krongüter. Diese sowol wie jene
wurden, sehr niedrig abgeschätzt, von zwei Vertheilnngscommis-
nonen nach emphyteutischem Recht an Leute vergeben, welche
ihren Verbindungen nach für würdig daza erachtet wurden. Der
König wurde dadurch gewonnen, dass man seine Schulden be-
nhlte and es ihm überliess, fürs erste den Beständigen Rath zu
erj^üizen. Die Entscheidung der Geschicke hatte von da an
weder der König noch der Rath, sondern der Vertreter Russ-
luds in Warschau, Stackelbei^. Dieser Moment des grössten
nicht nur politischen, sondern auch moralischen VerEalls der Na-
' Korzon, im Äteoeum 1877, Nr. 5.
D,9:zea.y Google
136 Viertea Kapitel. Die Polen.
tion war der Anfang der ganzen zwanzigjährigen Periode (1772 —
93), auf welcbe die Persönlichkeit des Königs Stanislaw Äagust
einen grossen Eiiifluee ausübte, sodass sie mit seinem Namen be-
nannt wird. Bei dieser Persönlichkeit, die in der Literaturge-
schichte noch bemerkenswerther ist als in der politischen, naiissen
wir etwas verweilen.'
Stani^aw August Foniatowski war unbestreitbar einer der
gebildetsten Philosophen des 18. Jahrhundert«, dabei ohne Zweifel
ein Mann mit guten Intentionen, fleissig und erostlich- bestrebt,
mit Würde und in möglichst guter Art die sehr schwierige
Rolle eines polnischen Königs zu spielen. Er. hatte einen feinen,
kritischen, durchdringenden Geist, einen ungemein durchbildeten
Geschmack; er wasete Leute und Verhältnisse erstaunlich richtig
zu schätzen, war überlegend und berechnend, ohne Feuer der
Leidenschaft, ohne Poesie und Enthusiasmus. Man bann ihm
auch Ausdauer bei der Durchführung seiner Pläne nicht ab-
sprechen, aber es fehlten seiner Thätigkeit alle moralischen
Stützpunkte, jegliche sittliche Grundlage; es fehlte jene Kraft
des Willens, welche den Menschen veranlasst, das fast Un-
mögliche zu erstreben, das Leben auf eine Karte zu setzen, fü^
eine Idee zu sterben. An der Spitze der Consorvativen unter
der alten erprobten Fahne der Szlachta zu stehen und das alte
Polen im Verein mit den Conföderirten Ton Bar zuvertheidigon,
daran hinderten ihn seine philosophischen Ueberaeugungen. An
die Spitze der Neuerer zu treten, der letzten Katastrophe ent-
gegenzugehen und änsserstenfalls sogar die revolutionären Ele-
mente zum ncitionalen Kampfe gegen die Nachbarn aufzurufen
- — vermochte er nicht wegen Mangel an Energie und Charakter
und weil es ihm an kühner Initiative gebrach. Aber er war
auch nicht einmal so tapfer, dass er seine Ueberzeugungstreue
dnrcb passiven Widerstand besiegelt hätte, durch Weigerung,
seine Hand an das zu legen, was er setbet geschaffen und auf-
gebaut hatte. Als nach seinem Dafürhalten die Mittel, das un-
vermeidliche Ereigniss abzuwenden, erschöpft waren, söhnte er
sich mit demselben aus, indem er seine Hände in Unschuld
' Die beste Charakterietik des Königs StanielikW AuguBt fiodet eich in
der üben angeführten Schrift Ealinka's, „Ostiit. lata" etc. Vgl. auch „Cor-
respondancc du Roi St«n. AuguBte PoniatoWBki et de M-tne Geoffrin , par
Charlea de Mony" (Paris 1875).
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Diti Periode PDuUtowBki'g. 137
wusch, Dshm das Gebotene an, beugte sich anter das Joch der
FoideraDgen, so erniedrigend sie auch im- ihn waren, und fiihi'
fort zu heucheln, als ob gar keine Veränderung vorgegangen
wäre. Ohne diese Nachgiebigkeit wäre es leicht möglich ge-
wesen, dass Polen schon 1772 endgültig gelheilt worden wäre;
ihr haben daher die Literatur, die Bildung und die politi-
echen Ideen, welche sich in den zwanzig Jahren der Abhängig-
keit und unsichern KxistenK entwickelten, als die Hauptperson
JD Warschau nicht der König, sondern Stackelbei^ war, ihre
Erfolge zu danken. Trotz seines oligarcbischen Ursprungs war
der Beständige Rath das. erste organisirte.Centralinstitut, das
nach den Gesetzen der Arbeitstheilung in Departements nach
der Art der Geschäfte zerfiel und grossen Nutzen brachte.
Ul«ch nach Uebergabe der ehemaligen Güter der Jesuiten für die
Zwecke der Volksbildung wurde im Jahre llTd die Educationscom*
mission errichtet, der die gesamrate Volkserziehung übertragen
Torde, und welche das erste Unterrichteministerium in Eu-
ropa war.
Diese Einrichtung brachte ein unvergleichlich festeres Werk
m Stande, als alle politischen Reformen, weil sie den Unter-
gang Polens überlebte und im 19. Jahrhundert in hohem Grade
ZOT Erhaltung des polnischen Volksthums, zur Kräftigung
seines allseitigen moralischen Eintlusees in allen Ländern bei-
tmg, welche einen Bestandtheil der ehemaligen Republik ge-
bildet hatten, ja sogar über die Grenzen der letztern hinaus.
Die Educationscommission bestand aus acht Personen, unter
denen sich besondere Verdienste erwarben: Chreptowicz, Unter-
kanzler von Litauen ; Ignaz Potocki , Secretär von Litauen ;
Adam Gzartoryski, General der podolischen Landschaften; An-
dreas Zamojski, Kanzler; Secretär der Commis^on war Gregor
Hramowicz, der Hauptverfasser ihrer Statuten. Die Commission
hatte ihren Sitz in Warschau, sandte zur Inspicirung der Schu-
I«n besondere Visitatoren aus und legte dem Reichstag über ihre
lliätjgkeit Rechenschaft ab. Nachdem sie die beiden Akademien
zu Krakau und Wilna von Grund aus reorganisirt und bei ihnen
sowol Plan als Methode des Unterrichts verändert hatte, bildete
^ie ans ihnen Verwaltungscentren — aus der krakauer ein sol-
ches für Polen, aus dör wilnaer, deren Name in den einer Haupt
»^nle umgewandelt wurde — für Litauen. Die Republik wurde
in Bezug auf das Unterrichtswesen in neun Bezirke getheilt; in
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
1S8 Tiertee Kapitel. Die Polen.
jedem derselben wurde eine biUiere Schale mit Qymiuuialciirsiu
und einige Unterkreisschalen errichtet Das tod der Cosudis-
Bion aoBgearbeitete allgemeine Statut fiir die p«lniaGb«n md
litauischen Unterrichtaanstalten trat 1783 in Kraft. Um die
Schulen mit gutOu Lehrbüchern zu versehen, ward bei der
Gommission eine Gesellschaft für Elementarbücber errichtet, in
welcher die gelehrtesten Polen der damal^ea Zeit Baascoi (Hugo
Kofi%taj, Jobann Sniadeoki, Onuphrius Kopczyäski). Die Ge-
sellschaft eröffnete Goocurse fiir die Bearbeitoag d^ besten
Lehrbü(^er und infolge dieser Hassregel bereicherte sich das
polnische Sehriftthom durch eine gaose j^Ötslich entetandsiu
pädagogische Literatur. Am ecbweräten war es, fiUiige Lehrer ru
finden, zunächst mosste man sich mit fkjesuiten begnügen, die
bei ihren bisherigen Gewohnheiten für die in den Unterricht ein-
geführten Veränderungen keine Sympathie haben konnten; die
Lehrerseminarien, welche zu Krakau, Wilna, Kielce, £owicz eröff-
net worden, konnten nicht gleich Früchte tragen. Uebrigens glich
sich auch dieser Mangel gegen den Beginn des grossen Tierjäfari-
gen Reichstags hin ans; die krakauer Akademie erwachte ans
ihrem jahrhundertelangen Schlafe nnd die Hauptscbate zu Wilna
entwickelte sich rasch unter der energischen Leitung ihres oner-
müdlichen Reotora, des Exjesniten Martin Odlanidci Foczobat
(geb. 1728, legte 1799 sein Amt nieder, starb 1810).
Auf Grund seiner pacta conventa machte sich der König ver-
bindlich, aus eigenen Mitteln eine Kriegsschule za errichten.
Ohne Kosten zu scheuen, errichtete er 176Ö zu Warschau (im
Karimirskiscben Palast, wo sich jetzt die Universität befindet)
das Cadettencorps oder die Bitterschule, deren Chef der König und
deren Commandant Adam Czartoryski war. In dieses Corps Ixaten
schon erwachsene Jünglinge (16 — 18 Jahr alt) ein, die Zahl der
Cadetten ging nicht über 80, die Tendenz des Unterrichts war
nicht so sehr technisch als vielmehr philosophisch, human, man
sachte in den Zöglingen soviel wie möglich die Gefühle der Ehre
und Vaterlandsliebe zu wecken. Aus dieser Sdiole gingen Ko-
sciuezko und Niemcewicz hervor.
Von allen äoitcn beschränkt and abhängig, hatte der König
die volle Möglichkeit, sich in den Mnssestunden mit der Lite-
ratur zu be£assen, sich mit auserlesenen Dichtem and Könst-
lem zu umgehen, sie durch sein Wort anfzumantem, durch Geld
anzuspornen, seine Donnerstagsdiners zu veranstalten, und er
Die Periode PoDJBtowski's. 139
sachU mit dem Ruhm eines Besctiätzers der Wissensch^en «od
Köoite den Schimpf einer auf die Hälfte redodrten Krone zn
«erdedcen. Zu einem zweiten dem königlichea ähnlichen Gen-
tram ward PuUiTf , das gastfreundliche Magnatenhaas der Für-
iiea Czartorfski.
A. Die letEtss mhlgen Jahr« vor der Katastrophe.
Id der polnischen Gesellschaft des 19- Jahrhunderts, nach
Mickiewicz, ward es zur Gewohnheit, auf die Literatur der Re-
giemngszeit Poniatowski's Terächtltcb berabzublicken. Auf ihr
lastet schwer die Anklage der Nachahmung der Franzosen,
des Verratha am Geiste der Nation. Es ist merkwürdig, dass
diese Beschuldigung erst im 19- Jahrhundert auftrat, dass
seinerzeit die alten Elemente in Polen dieser Nachahmung nur
dm ptuaiven 'Widerstand des Beharrens, nnr eine stumpfe,
gedankenlose Negation jeder Neuerung entgegensetzten; im ent-
scheidenden Augenblick, von dem Leben oder Tod der Nation
äbbing, rafften sich die alten Elemente mit aller Kraft nur
dizu auf, dass sie ihr veto aussprachen und selbstmörderisch
an die Existenz des Staates selbst die Hand legten (die Tar-
gowicer Conföderation). Als Polen fiel, die Szlachta in die
Ferne gerückt war und schon Moos und Schimmel über sie wuchs,
da eist Hessen eich Stimmen remebmeo, welche ihr Bedauern
ausdrückten, dass jenes Alterthum vereohwunden sei; das im
Leben Untergegangene begann im Gesänge wieder an&ner-
«tehen, wobei die Anforderungen und Farben der Gegenwart sehr
häufig den Bildern der Vergangenheit untergelegt wurden. Das
alte Szlacbtawesen war schon im 18. Jahrhundert erschöpft,
seine Ideale erwiesen sich als unhaltbar, die Gesellschaft vor-
langte eine Erneuerung, die Bahnung nener Wege zur Poesie.
Für ihre Regeneration musste sie zu Entlehnungen ihre Zu-
flacht nehmen. Aus Frankreich wehte damals auf ganz Europa
der trockene, scharfe Wind des Rationalismus. Die populäre
Philosophie der französischen Encyklopädisten , die mit dem
Werkzeug des gesunden Menschenverstandes im Namen der uu-
Terti^baren Rechte des IndiTiduums wirkte, kam der polni-
schen Gesellschaft des 18- Jahrhunderts wie gerufen und half
ihr die eigenen Lebensverhältnisse mit kritischem Auge be-
trachten, die eigenen unklaren Bestrebnngen präoisiren und zn
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140 Viertes Kapitel. Die Polen.
einer beeseru Ordnung der Dinge formulireu. Alle herrorragen-
den. Leute jener Zeit sind Bationalieten , Verehrer Voltaire's
und BouaBeau's, Freunde der französischen Cultur; sie sind
von ihr durchtränkt bis aufs Mark und stehen deshalb mit
Verachtung den alten Einrichtungen Polens, seiner „Bar-
barei" gegenüber, mit einer Verachtung, die um so begreif-
licher ist, weil jene Leute den Beruf in sich fühlten, alle
Schöpfungen des Mittelalters schonungslos zu bekämpfen. Die
Entlehnungen begannen, wie es gewöhnlich geschieht, mit Aeusser-
lichkeiten, mit einfachen Nachahmungen der Mode, der Coatume,
der Redeweise. Alsdann trat allmählich au ihre Stelle die be-
wusste Aneignung dessen, was der polnischen Gesellschaft ua^h
Temperament und Art homogen war, sowie die allmähliche Ver-
arbeitung des Fremden ins eigene Fleisch und Blut. Beide
Momente begegnen sich in der polnischen Poesie, welche die
verschiedenartigsten Typen, sowol leichtsinniger Verachtung
des Heimischen, als auch eines aufgeklärten Patriotismus, der
das Eigene zu schätzen weiss, aufweist. Diese Literatur, welche
den Namen der classischen trägt, ist ein Echo und eine
Copie der französischen Aufklärungsliteratur, und diese letztere
trägt, so fern sie auch dem Hofclassicismus ihren innern Tenden-
zen nach steht, doch in der äussern Form und in den Manieren
lüufig den Stempel ebenderselben Trockenheit und Kälte, die
dann in den Nachahmungen mit doppelter Stärke hervortraten.
Durch ebensolche Eigenschaften zeichnet sich sonach auch
ihre polnische Copie aus; sie ist arm an Poesie, aber glänzt
durch Scharfsinn, zeichnet sich durch eine ausgesuchte Feinheit
der Form aus, feilt sorgfältig und fein jeden Vers and jede
Phrase. Ihre Hauptkraft liegt in der Satire. Diese geisselt die
gesellschaftlichen Mängel und Laster schonungslos und erhebt
sich in patriotischem Unwillen zum Pathos, überrascht durch
ihre finstere Tiefe und durch die Wahrheit des Gefühls. Im künst-
lich bepflanzten Blumenbeet des polnischen Classicismus gibt es
allerhand Gewächse, giftige sowol als heilsame; zu den giftigen
kann man W^gierski und Trembecki, zu den gesunden und heil>
samen Krasicki und Naruszewicz rechnen; wenn wir dazu noch
zwei Sterne dritten Banges: Karpiäski und Knia2nin, zuletzt den
Dramendichter Zablocki hinzufügen, so kann durch diese sieben
Personen fast der ganze polnische Pamass in der Periode der
Ruhe, zwischen der ersten Theilung und der definitiven Kata-
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Die Periode PoniBtowski'B. 141
slrophe yertreten werden. Wir haben jeden von diesen Dich-
tem näher zu betrachten.
Thomas Cajetan Wegierski (1755—87) repräsentirt das Bei-
spiel eines vollständigen Enthusiasmus für das Ausländische, der
»ich zu knechtischer Verehrung steigert und damit endet, dass
der Dichter, bei der Schilderung seiner Uerzensträume , - seines
Wansches Paris zu besuchen und sich dann in der Heimat Roub-
uMtn's, im Wohnort Voltaire's, an den prächtigen Ufern des
(ionfersees niederzulassen, ausruft: „Wo reisst du mich hin,
inPiD unstäter Sinnl ich muBS im Vaterlande bleiben in der Zahl
der Unglücklichen, unter den Barbaren, die sich kaum aus der
FiDstemiss erhoben haben, und unter dem Joche der gröbsten
Vonu-tbeile seufzen." Sohn nichtvornehmer Aeltern, mit glän-
zendem poetischem Talente begabt, drängte sich Wegierski
an den Hof, ward königlicher Kammerherr, doch war er allen
lästig wegen seiner bösen, scharfen Zunge, die selbst den König
nicht schonte und W§gierski eine zahllose Menge von Feinden
machte. Im Jahre 1779 musste er infolge eines Pasquills aaf
die Kaiserin den Hof verlassen, begab sich ins Ausland, fahrte
ein sehr lustiges Leben, wozu ihm Glück im Kartenspiel die
Hittel gab, besuchte Italien, Frankreich, Amerika, England, end-
lich starb er nach Erschöpfung seiner Kräfte in allen möglichen
AnBEchweifungen im 33. Lebensjahre za Marseille an der Schwind-
BQcht. Wfgierski betrachtete das Leben als eine lärmende Orgie,
als eine onaufhörliche Maskerade; er war Epikuraer und be-
sang nur die Philosophie des Genusses. Ein Meister im Witz,
kommt er hierin Voltaire am nächsten. Er spottet über die
heUigsten Gegenstände S seine Muse liebt unsittliche, wollüstige
Erzählungen, zuletzt erreicht er die äussersten Grenzen des
Cynismus in einer Menge scbmuziger Gedichte, die im Manu-
»cript von Hand zu Hand gingen, unveröffentlicht blieben und
mit den berüchtigsten französischen Erzeugnissen ähnlicher
Art aus dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts concurriren
können.
' „Gern möchte ich den Herrgott gehen, wie er ernst anf dem Diaman-
t^Dthrone litzt, wie er geechickt ohne Minister die Maaohine reg^iert, denn
w weit ich nach meinem aohwaohen Vorstände artheilen kann, ist es schwer,
ein Stnckchen Land zu verwalten, noch schwerer die Welt u. s. w."
...., Google
143 Vierte« Eftpitel. Die Polen.
Der äatterhaftp, leichtsinnige Wggierski irar bei all seinea
Mängeln doch, waB man Bagt, ein guter, rechtschaffener Kerl;
er feilschte mit seinem Talent nicht, und stand, wenn auch
nicht in der Kunst, wohltönende Verse zu schreiben, doch dem
sittlichen Charakter nach bei weitem höher als ein anderer Kam-
merherr des Königs, ein ebensolcher Atheist und Epikuräer, Sta-
nislaw Trembecki, in welchem man das Muster eines schmeich-
lerischen Hofdichters sehen mag (geb. um 1726, gest. 1812).
Trenibecki hatte eine kühne Feder, einen feinen Geschmack
und war mit den lateinischen GlasBikem und sogar mit den da-
mals wenig gelesenen alten polnischen Dichtern der Zeit der
Sigismnnde gut bekannt. Ihm gebührt ganz unbestreitbar der
Ruhm des ersten Stilisten seiner Zeit, seine Verdienste um die
Sprache sind gross; als Purist märzte er nach Möglichkeit in ihr
fremde Worte und Wendungen aus and erfand eine Menge neuer,
die durch Kraft und treffenden Ausdruck überraschten. Selbst
Mickiewicz galt er im Versbau für einen Meister ersten Banges,
und er lernte viel tod ihm. Uebrigens bat% sich hinter den
grossartigen Bildern und feierlichen Accorden Behr oft nur ein
ärmlicher und gewöhnlicher Gedanke. Treonbecki unterschied
die Poesie nicht you der Versmacherei , sah hinter der Form
den Inhalt nicht, er war ^n Priester der reinen Kunst, liir
die jeder Inhalt indifferent ist. Wenn er vom Schicksal in
eine uidere sociale Lage gestellt wäre, würde er sich wahr-
scheinlich auch auf Galanterien mit Damen, auf Verse aua-
kreontischen Inhalts und andere ähnliche Tändeleien in der
Art der franzöeischen Ters de societe jener Zeit beschränkt
haben; aber er be&.nd sich am Hofe des Königs, mitten in der
stärksten Glat der politischen Leidenschaften, man nöthigte ihn
auch, politische Pamphlete über gegebene Themen zn schreiben,
auf Befehl zu loben oder diejenigen zu schmähen, die er vorher
in den Himmel erhoben hatte. Trembecki, der sich durch voll-
ständige Gesinnungslosigkeit auszeichnete, war zu allen Dien-
sten bereit. Seiner Würde achtete er so wenig, dass er sich
in einem seiner Gedichte mit dem Hündchen des Königs Fonia-
towski verglich. Er verschwendet vor dem König die gemeinste
Schmeichelei, indem er ihn einen „Vater des Vaterlandes" nennt.
„Von dir", sagt er, „kommt das Licht, das unter uns leuch-
tet, and uns wieder des Namens der Slaven würdig macht. Der
durch deine Bestrebungen erleuchtete Pole weiss den schönen Tod
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Die Periode Pooiatowiki's. 143
flioen nilimloBea D&sfiin Yorzuziehen. ... Du hast uns unter-
neeen, berühmt gemacht uod geschmückt, firsoheiae, Furie,
Dud Bftge: was hat er than können und nicht gethan."^ Der
Kösig war wiriclich ein kluger, liebenswürdiger Mann und ein
Wohltfaäter Tremb«eki'B; man könnte glauben, die Dankbarkeit
kibe den Dichter geblradet, ihm die Mängel dee Königs rer-
boiffln nnd ihn veranlasst, die nötliige Sclücklicfakeit ausser Acht
la laasen. Aber nicht dem König allein schmeichelte er; es gibt
mle Eneagnieae toq ihm, die sich nicht anders als durch seine
IHeiarische Käuflichkeit erklären lassen. Als der Jesuitenorden
TOB Papst Clenene XIV. aufgehoben wurde, schreibt Trembecki,
Atheist der Gesinnung nach, eine Elegie auf den üniet^ang des-
selben.' Als er ZQ denen gehörte, vetche aus Petersburg Pessio-
nea enpfingen, feierte er in eriiabenem Tone die Tugenden der
srndisdien lünerra und ihrer Helfershelfer, welche die Liebene-
wärdigkeit Versailles mit der Verwegenheit der Skythen vweinig-
ten. Er besingt den «ner Ceder Ton Damaskus ähnlichen Po-
t^kin und BumjiwooT, der die zweibömige Lnna «einer Befebls-
htberin zu Füssen gelegt habe. Ganz und gar Kosmopolit, jedes
Patriotismns bar, lobt Trenbecki dennodi mit patrioUschMi
Versen den Schmied, der einige Wagen Tür die Truppen der
B^nblik gespendet hatte, aber als der Donner erscholl und auf
AoB Beicfastag m Grodno nach der berühmten stummen Sitzung
die zwdte TbeÜnng Polens unterschrieben wurde, fand sich bei
Trembecki Kühnheit und Stimmung, die aus Grodno zurück-
gekehrten Beichsboten zu trösten und sie für ihre Soi^e uin
die BepaUik zu loben. Um seinen VerraUi einigermassen m
msbtfertigen , erfiand er auch eine ganse panslaristische Theorie
and auf dem friechen Grabe des Vatu^andes üngt er, der
Kaenopolit, von brüderlicher Einbog d«r blutsverwandten
' Wiens do St. AiguaU powrao)g$Oego c podrö^ Wolpid^j 1767 r.
(Gediekt von St. Angnat bei sejoer Rüokkelir voa der voljmiBoheD Reise in
Jihr 1787.)
* „Die Söhne Loyol&'s haben den Rahm vor der Welt, dosa tausende
Ton ihnen HArtyrer wuen, keiner ein Henker. Um den uralten Tempel zu
itbMn, niiMt«ii («erat üe Pfeiler ratgeworfen werden. Gabst du in der
AhricU de» Orden dem fltarken SoUag, so glaube ich, Clemeni, dan du
■rftklbw biet I . . . Wenn ihr die Steineheu von dieeen gestürzten Stalen
momelt, *o könnet ihr, Könige, Bohöne HoBaiken haben."
...., Google
144 TierteB Kapitel. Die Polen.
Stämme.' In der Ode an Fürst Repnin aus AiiIhss des geplnti-
ton Krieges mit der Türkei spricht er sich folgendermassen auK:
„Bald werden wir mit stark gewaohseuen Kräften die Gittor
des Harems zerbrechen und in Stambal mit den bezaubern-
den Töchtern der Sonne tanzen." Zur VerTollBtändigung der
Charakteristik Trembecki'e sei noch bemerkt, dass seine Epi-
gramme roh und flach waren und die politischen Stücke an
poetische Denunciation streifen. Eine der widerwärtigsten De-
nuQciationen solcher Art trägt den Titel: „Joannes Sarcasmus"
and ist gegen den des Jakobinerthums verdächtigen Publicisten
Adalbert Turski gerichtet, dem Trembecki die Ruthe in einer
BeBsernngsanstalt verspricht, und darnach räth, ihn in ein Irren-
haus zu bringen.
Trembecki nahm ein klägliches Ende. Als es keinen König
mehr gab, fand er am Hofe eines der stolzesten Magnaten und
der finstersten Politiker jener Zeit, Felix Potocki, des Anstifters
der Targowicer Confoderatioo , ein Unterkommen. Potocki war
mit einer Griechin, Sophia, verheirathet , die auf dem Sklaven-
markte zu Stambul gekauft und in ganz Europa durch ihre
Schönheit und Ausschweifung bekannt war; ihr zu Ehren
legte Potocki einen Garten bei HumaA in Podolien an, der
MilHonen kostete, und nannte ihn Zofijöwka. Um die Mu&se-
stunden seines neuen Herrn zu versussen, verfasste der siebzig-
jährige Trembecki eine lange beschreibende Dichtung nach dem
Muster Delille^s, welche alle Reize Zofijöwka's besingt und mit
einer dem Lucrez entnommenen philosophischen Weltbetrach-
tnng der hinsterbenden Civilisation schHessi: „Das Gewfebe der
Dinge ist ohne Ende und An&ng, es nimmt weder zu noch ah,
sondern erscheint immer in neuer Gestalt. In mir iöt kein -ein-
ziges von den Atomen mehr, welche vor einem halben Jahrhun-
dert meinen Körper bildeten, sondern ich habe mir an ihrer
Stelle durch Nahrung, durch Speise und Trank Theilchen an-
derer Wesen angeeignet. Indem ich jede Minute Theilchen aus
mir ausscheide, nähre ich andere Geschöpfe. Wenn der all-
mählich verfallende Bau unscrs Körpers aufhört zur Aufnahme
' „AuH demselben Reis, wie wir, ist der Busse (geboren, ein K'eioher
Muth lästt aicb ihm uiobt absprechen. Aber das volkreiche, weite und dem
MoDarohen treue Land hat aus diesen drei QrüDdeu eineu ungelieuern Tor-
zug vor una."
...., Google
Ignaz Krasiclii. ]45
des himmlischen Feuers fähig zu sein, bo tritt das ein, was wir
Tod nenneo, aosere Ueberreste aber vertheilt der Leib der
grossen Mutter an die andern lebendigen Wesen."
In seinen alten Tagen kam Trembecki sichtlich herunter,
er verfiel in Armuth; dieser einst glänzende Ca valier, der gegen
30 Duelle hatte meist wegen Damen, ward ein schrnuziger Gy-
niker und nienschenscheuer SonderHog-, er starb unbeachtet und
von allen vergessen zn Ende des denkwürdigen Jahres 1812-
Der Erfolg Trembecki's bei der innem Nichtigkeit seiner
Werke ist eine pathologische Erscheinung, das krankhafte Pro-
doct der Fäulniss. Aber der gesellschaftliche Organismus trieb
bei all seiner Verderbniss gesunde und kräftige Triebe, die das
Vorhandensein sittlicher Kräfte bekundeten. Der einflussreichste
Süd getreaeste Vertreter des 18- Jahrhunderts in Polen — in
ftllem, was dasselbe an Edlem, Humanem, AllgemeiD-menscblichem
begase — war Ignaz Krasicki ', Bischof von Enueland (geb. in
RotbruBsland, zu Dubiecko 1735, gest. zu Berlin 1801). Von Kind-
heit an befand er sich in den günstigsten Verhältnissen , sowol
der Herkunft als dem Reich thum und der gesellschaftlichen Stel-
lung nach. Sein Geschlecht war sehr alt und vornehm und hatte
einst die Grafenwürde von den deutscheu Kaisern erhalten.
Seine Aeltem besassen bedeutende Güter im Gebiet von Sa-
Dok; da sie nicht wünschten, diese Güter unter ihrer zahlreichen
Nachkommenschaft zu zerstückeln, bestimmten sie von frühen
Jahren an Ignaz und drei jüngere Brüder desselben zum geist-
hchen Stande, in der Hoffnung, dass bei den Verbindungen der
Familie ihre Kinder höhere Stellen in der kirchlichen Hierarchie
erlangen würden. Man kann nicht sagen, dass die Neigungen
d^ lebendigen und empfänglichen Knaben dem Berufe entspro-
chen hätten, zu dem man ihn bestinunte, er betrachtete das
Priesterthum nur als Carriere. Er studirte zu Lemberg bei den
Jesuiten und als er schon einige einträgliche geistliche Stelleu
innehatte, begab er sich zum Abscbluss seiner Ausbildung nach
Itom. Hier (1760 — 61), in der Hauptstadt des Katholicismus,
' J. I. Kraszenski, „Enuicki, tycie i dzieta, kartka z dziejöw litcra-
twy (in der Zeitocbnft AteneurD, 1878, Nr. 2, 3, 5, 7); Ad. Mieleszko Ma-
liizkiewicz, „Kilka szczegolöw do biografii Krasii-kiego" (ia Ktos; 1878,
!4r. 688-691); P. Chmielowski, „Cbarakterystyka 1. Kraaickiego" (in der
Zeitochrift „Niwa", 1879).
trm, 31>TlMhs UteniDien. H, I. Kj
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146 Viertes Kapitel. Die Polen.
ward der Geist des jungen Priesters am meisten ergriffen, nicht
von dein Glanz des Gottesdienstes und den kirchlichen Traditio-
nen, sondern von den grossen ReminiBcenzen des antiken Roms-
Er selbst sagt von sich, dass er mit Ehrfurcht den Boden be-
rührt habe, anf welchem einstmals die Catone wandelten; das
Lieblingsziel seiner Spaziergänge war das Forum romanum.
Die Phantasie malte ihm auf diesem Platz die Rostra-Tribüne,
er hörte im Geiste die Reden derGraccben, Hortensier, Cicerone;
die Bernhardiner Mönche, die Inhaber der Ueberreste des Tem-
pels des olympischen Jupiters, erschienen ihm als alte Augnm;
sogar die Gänse auf dem tarpejischen Felsen galten ihm für
Nachkommen jener Gänse, welche Rom vor den Galliern retteten.
Der wissbegierige Wanderer , entzückt von der Vergangenheit,
lässt auch praktische Ziele nicht aus dem Auge, denkt daran,
wie er sich versorge, sein Geschlecht erhöhe, schmucke und
verwandten Personeu helfe. „Du wirst durch die Wirthin Geld
haben", schrieb er scherzweise an seineu Bruder, „und ich werde
durch weibliche Cbarlatanerie zu Rang kommen und sobald nur
einer von diesen Wegen von Erfolg begleitet ist, wird es viel-
leicht dem Hause zu Gute kommen." Nach seiner Rückkehr
.nach Polen im Jahre 1762 traf der gebildete junge Abbe, der
durch seine Predigten in der Kirche und noch mehr durch sei-
nen funkensprühenden Witz in den Salons berühmt war, in
Warschau mit dem Trucbsess von Litauen zusammen, der in
ihm sofort den künftigen polnischen Voltaire erkannte; infolge
dessen wurde Erasicki, als der Truchsess König geworden, sein
Vertrauter und Liebling, dem er in den Briefen an Frau GeofF-
rin den familiären Namen Miuet gibt. Die Freundschaft des Könige
kam Krasicki schon in sehr kurzer Zeit zu statten. In demjenigen
Tlieile des Königreichs Preussen, welches Ermeland heiest, ver-
brachte der alte Bischof Grabowski seine letzten Lebenstage. Es
war ein Coadjutor (Vicar) iilr denselben ausfindig zu machen,
der nach seinem Tode seine Stelle übernähme. Vom Coadjutor
des Bischofs wurde verlangt, dass er preussischer Bürger, Mit-
glied des Kapitels sei, dass er von Grabowski dem Kapitel vor-
geschlagen und von diesem gewählt werde. Freunde halfen Kra-
sicki, den erstem beiden Bedingungen zu genügen, d. h. das
preussischc Indigenat zu erlangen und einen der Kanoniker des
Kapitels zu bewegen, dass er seine Stelle an Krasicki abtrat.
Schwerer war es, dem alten Grabowski beizukommen, einem
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IgnM Kraaicki. 147
altmodischen Mann , dem Krasicki mit seinen Maniereu der
grosseo Welt und seinem Geist als eine für die bischöfliche
Würde nicht taugliche Person erscheinen musste. Krasicki he-
fasste sich auch wirklich mehr mit Versen als mit dem Messhuch,
liebte Damengesellschaft, trug in den Pamphleten jener Zeit den
Nunen Gladysz (der Coquette) oder UmizgaUki (Stutzer) und
es drcalirte sogar eine Carricatur, welche ihn eine Messe lesend
darstellte, umgehen von Damen in Reifröcken, welche die Dienste
des Küsters verrichteten. Die Bitten des Königs waren ahcr so
eindringlich, das» der Greis nicht widerstehen konnte und seine
Zuttimmung gab. Der von ihm vorgeschlagene Krasicki wurde
im Jahre 1766 zum Coadjutor des Bischofs von Ermeland ge-
wählt. In demsdben Jahre starb Grahowski und der dreissig-
jährige Krasicki ward sein Kachfolger. Der Bischof von Erme-
land galt für den ersten Senator Freussens; seit Krmeland dem
Deutschen Orden angehörte, trug er den Titel eines Fürsten
des heiligen römischen Reichs, hatte eine umfangreiche richter-
liche Gewalt, ein prächtiges Schloss zu Heilsherg, und den Ein-
kooReD nach stand der Bischofssitz von Ermeland in dritter
Linie — er brachte gegen 400000 poln. Gulden ein und stand
nur dem Erzbiethum zu Gnesen und dem Bisthum zuKrakau in
dieser Hinsicht nach. Gleich nach der Erhöhung Krasicki's folgte
eine grosse Abkühlung der Gefühle des Königs gegen ihn. Der-
selbe hatte auf thätige Hülfe und Dienste des ihm verbundenen
Hannes in der Politik gerechnet; statt dessen erwies sich Kra-
sicki als das, was er immer war, — als ein Weltmann, der
in Warschau ein offenes herrschaftliches Haus führte , und
als Literat, der sieb abseits aller Intriguen und Parteien hielt.
htolge dessen finden sich in der Correspondenz des Königs
mit Frau Geo£Frin fortwährend Klagen über Minet, dass er
ein Faullenzer', dass er ein Egoist^ sei, er wird gescholten,
ja zuletzt direct schwarzen Undanks^ beschuldigt, wahrscbein-
Ueh w^en der unbedingten Neutralität, die er in der für
den König schweren und betrübenden und hässlichen Periode
' 13 IHM 1767: Mioet est nlle faire la retraite du rat dune son fro-
Oage. FM grande peur que ce Minet si ainiablc, ni apiriiuel, si applique
H qui Die doit tant, ne devieone an faiueant qui ae xe Houcie de rien.
' 24 »ept. 1767: le defaut de Minet et d'etre i^rsounei.
* 27 ocL 1771 : ingTBtitade etfroyahle.
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üigz^c, Google
148 VierteB Kapitel. Die Polen.
seiner Isolining während der Confiideration von Bar beobach-
tete. Das Schicksal selbst schnitt alle geschäftlichen Be-
ziehungen zwischen dem enttäuschten Protector und seinem
ehemaligen Liebling ab, als (1772) nach der ersten Thei-
lung Polens ganz Ermeland zu Preussen kam, Krasioki jen-
seits des Grenzcordons blieb, und sich aus einem Senator
der Republik in den Unterthanen einer selbstherrlichen Mon-
archie verwandelt^, noch dazu mit gehörig beschnittenen Ein-
künften, da ein beträchtlicher Theil derselben auf Anordnung
Friedrich's des Grossen an die Staatscasse überging. Der ge-
wöhnliche Aufenthaltsort Krasicki's wav jetzt das altertbüm-
liche bischöfliche Schloss zu Heilsberg, zuweilen besuchte er
Berlin und Sanssouci, wohin ihn der königliche Reformator
berief, der es liebte, zu zwangloser Unterhaltung Literaten
und Philosophen um sich zu sammeln. Der Fürstbischof ward
ein aufrichtiger Verehrer des Königs: sie waren beide Rationa-
listen, durchdrungen von den fortschrittlichen Ideen des 18. Jahr-
hunderts. In einen andern Staat Übergegangen, zeigte Krasicki
erst von da an sein hervorragendes Talent in der Verbreitung
aufklärender Ideen in seinem wirklichen Lichte, indem er im
Namen der Vernunft und der Freiheit eine radicale Reform
der gesammten Menschheit predigte, ohne Blut und Gewalt-
tbätigkeit, ganz allein vermittels des Wissens und der Fort-
schritte der Bildung. Den Ideen des 18. Jahrhunderts dient«
er nur als Literat, aber bei dem Umfang und der Universalität
seiner Kenntnisse, bei der Mannichfaltigkeit der in Angriff ge-
nommenen Aufgaben und einer vor ihm nicht dagewesenen Frucht-
barkeit und Schönheit der Form übertraf er alle Zeitgenossen
und that für die Philosophie des 18- Jahrhunderts in Polen mehr,
als sie alle zusammengenommen. Groell in Warschau druckte
Dichtungen, Sammlungen von Versen, Romane, nur mit den Buch-
staben X. B. W. bezeichnet, die sich aber schnell verbreiteten und
im Publikum unter dem Namen Nowalie warmiäskie (Erst-
linge aus Ermeland) bekannt waren: „Myszeis" („Der Mäuee-
krieg")' „Monacbomachia" (1775), „Przygody Doäwiadczy^skiego"
(„Abenteuer Doöwiadczynski's", 1776), „Satyry" („Satiren", 1778),
„Pan Podstoli" („Der Herr üntertruchsess", 1778) u. ß. Jedes
Werk persiflirte, belehrte, die Belehrung war in eine unterhaltende
Form gekleidet, der Roman hatte alle Eigenschaften eines poli-
tischen Pamphlets, der Vers war zierlich und elegant, satirisch,
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Toll attiscbeo Salzes und gutmUthigsteD, nicht beleidigenden Hu-
mors. Man darf in diesen Werken weder Tiefe noch Kraft der
GeföUe, noch echte Poesie sucbm, aber die Pfeile trafen sicher,
die Anspielungen waren sofort zu erratben, die glücklichen Wen-
dungen wurden auswendig gelernt und gingen in Sprücbwörter
über; keiner von den Zeitgenossen beackerte so sorgfältig die
»erwilderte Flur der geistigen Bildung des zurückgebliebenen Vol-
kes, niemand trug mehr als Krasicki zur Läuterung des Ge-
schmacks, zur Zerstreuung von Vorurtheilen bei. Der Fürst-
irischof von Ermeland verwandelte sich in einen „Fürsten der
Dichter" und Trerobecki sprach keine Schmeichelei aus, sondern
das aufrichtige Gefühl des Volkes in den Worten: „Von der
würdigen Kunst witzig und geschmackvoll zu schreiben, gabst
du das erste Muster zu unsers Äugust's Zeit."
In dem Verbältniss wie der Ruhm des Dichters wuchs, bes-
serten sich auch seine Beziehungen zum König; von Undank war
keine Rede mehr; im Gegentbeil der Dichter bezahlte die frühem
Schulden mit Wucher, kämpfte in der„MyBzeia" für dieselben Ideen,
die der König beförderte, schlug in den Satiren die geraein-
samen Gegner, pries die Umgänglichkeit des Königs, seine Liebe
zur Bildung, seine Beschützung der Wissenschaft und Kunst.
Der König begann auf den Dichter stolz zu sein, der wenn auch
nicht seine Schöpfung, so seine Entdeckung war; er nahm ihn
1782 grossartig auf, liess ihn in seinem Palast wohnen und
ehrte ihn mit einer ihm zu Ehren geprägten Medaille; musa
vetat mori. Nacbdem er nach dem Aufenthalt in Warschau das
schon österreichische Bothmssland und sein heimatliches Du-
biecko besucht, kehrte Krasicki nach Heilsbei^ zurück, von wo
er immer häufiger an eine Uebersiedelung nach Polen zu denken
begann. Dahin zog ihn nicht nur der Wunsch, dem geistigen
Centrom des Landes, Warschan, nahe zu sein, sondern auch ein-
gehe ökonomische Erwägungen. Er schränkte sich in nichts
gern ein, sein Haus war stets voll von Verwandten und Gästen,
sein Tisch war vorzüglich, theure Sammlungen von Kupferstichen
nnd Büchern, die Passion für den Gartenbau verschlangen alle
Einkünfte; dieser Inhaber eines der einträglichsten Bischofssitze
gelangte zuweilen zu dem Schluss, dass er Noth und Mangel leide,
er und die Verwandten liefen nach Warschau, um ihm den Weg
mm Primat oder wenigstens zum Bischofssitz von Krakau zu er-
öffnen. Diese Hoffnungen veranlassten ihn, eine erfolglose Reise
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150 Viertes Kapitel. Die Puleu.
Bach Warschau zu machen (1789), gerade während der stür-
mischsten Zeit des vierjährigen Reichstags, und in den ihm tief
widerwärtigen Abgrund der erregten demokratischen Leiden-
schaften am Vorabend der Katastrophe zu tauchen. Die Lage
der Dinge benrtheiltc er richtig ', der Znknnft gegenüber verhielt
er sich skeptisch und zog sich wieder in sein Heilsberg zurück,
um sich mit den Büchern zu beschäftigen, in klarer und ziemlich
ruhiger Voraussicht des grossen Zusammenbrncbs. Aber als das
verhängnisBvolle Ende eintrat, begann dieser scheinbar gleich-
gültige Mann mit ebenderselben Frische ja sogar Fröhlichkeit
die unversehrt gebliebenen Ueberreste der glänzenden Gesell-
schaft um sich zu sammeln und lenkte seine Thätigkeit darauf,
in ihr das geistige Leben, die literarische Bewegung zu unter-
halten. Infolge der letzten Theilungen Polens waren nicht nur
Posen, sondern auch die Hälfte des jetzigen Königreichs Polen
zu Preussen geschlagen worden. Der König von Preussen ernannte
in der Absicht, Ermeland für einen Deutschen freizumachen,
Krasicki 1795 zom Erzbischof von Gncsen; dies war aber be-
kanntlich der erste Bischofssitz in der polnischen Kirche und es
blieb ihm selbst nach den Theilungen noch ein Rest des frühem
Glanzes und der frühem Bedeutung.
In dem verwaisten und verödeten Warschan, in seiner Resi-
denz zu Skierniewice, zu Lowicz sammelte er unter seine Flügel
die Schriftsteller, welche sich aus dem grossen Schiflfbruch ge-
rettet hatten, und arbeitete mit seiner Greisenband an der Erhal-
tung der Leuchte einer nationalen Literatur, in der er das Pfand
einer künftigen Wiedergeburt der Nation sah. In Lowicz begann
er die Zeitung „Co tydzieü" (Wochenblatt) herauszugeben, in
Warschau munterte er einen Freund, dem er die Heransgabe
einer Sammlung seiner Werke übertrug, Fr. Xaver Dmochowski,
zur Herausgabe einer wissenschaftlich-literarischen Zeitschrift auf,
auch entstand unter seiner Mitwirkung nicht lange vor seinem
Tode die Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften (Towa-
rzystwo przjjaciöt nauk) in Warschau, in der sieb fast die ganze
' „Willst da wiasen", sagt er, „was die ReitihBstände eigentlich sind;
mit einem Worte erwidere ich: es ist eine Orgel, in welcher jede Taste tont,
wenn man sie berührt wie sichR gehört, und es spielt auf ihneu der Orga-
nist Lueubesini, die Dalge voll UofTnung auf künftigeu Glück, werden von
Uebermuth und Rache, die einander die Hand reichen, getreten."
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IgDsz Ki'ssiuki. 151
getstige Thätigkeit des polnischen Volkes im ersten Viertel des
19. Jahrhunderts coucentrirte.
Indem wir an die Analyse der Werke Krasicki'e gehen, be-
räliren wir seine TJebersetziingen und NachahmuDgen nur im
Vorübergehen und bleiben bei seinen Original werken länger
stehen. Krasicki war mit dem classisehen Alterthum wohlbekannt;
er übersetzte den ganzen Flutarch nnd Lacian von Samosata.
Die bessern Leute des 18. Jahrhunderts begeisterten sich für die
repablikanischen Tugenden der grossen Männer des Plut&rch und
znEchen dem bosbaften Spötter Lucian und Krasicki war sehr
TJel Gemeinsames. In Nachahmung Plutarch's und Lucian 's
Ter&sste er eine Menge Biographien von grossen Männern der
neneni Zeit nnd von „GesprucheD im Reiche der Todten". Sehr
Terdient machte er sich durch Heraasgabe einer umfangreichen
Eacykiopädie aller Wissenschaften in alphabetischer Ordnung
QDter dem Titel: „Zbior wiadomosci" („Sammlung der Wissen-
schaften", 2 Bde., 1781—82)-, er unternahm auch den in Polen
in seiner Art ersten Versuch einer Geschichte der allgemeinen
poetischen Literatur Europas unter dem Titel: „Ueber die Dichte
konst und die Dichter" (das Buch erschien nach seinem Tode).
Die Aufgabe war gewaltig, das Buch überrascht nicht so sehr
durch seinen Umfang, als durch die grosse Belesenheit Krasicki'B,
der sich behufs der Zusammenstellung dieser Chrestomathie mit
der ganzen Welt der Dichter von Orpheus und Bidpai an bis
Voltaire und Gessner bekannt machen musste — aus jedem Dich-
ter mussten nach einer kurzen Charakteristik desselben Bruch-
Btiicke in Uebersetznng angeführt werden. In seineu Urtheilen
ober die poetische Production ist Krasicki ein Anhänger des Ari-
stoteles und steht nicht über Boileau ; die Poesie ist ihm eine an-
genehme Fiction, im Drama fordert er die alte Beobachtung der
drei Einheiten; vom Epos verlangt er, dass es einen Helden
habe und dass dieser ausserdem in jeder Beziehung Achtung ver-
diene (Milton ist nach der Meinung Krasicki's darin unpassend
verfahren, dass er sich zu seinem Haupthelden den Satan ge-
wählt bat). Ueber Shakespeare urtbeilt Krasicki in Voltaire'soher
Weise: „in diesem Schriftsteller wird der Mangel an Wissenschaft
durch die Grosse des Geistes ausgeglichen; seine Werke athmen
eine gewisse ßohheit, unter den gröbsten Fehlern schlagen bei
ihm zuweilen Glanzpunkte durch, die ihn über die Meister stel-
len." Vom Volkstbümlicheu in der Poesie hatte Krasicki nicht den
X52 Vierlea Kapitel. Die l'olcii.
geringsten Begriff: die Individualitäten jedes Volke«, jedes Schrift-
stellern und jedes Zeitalters werden in seiner glatten Uebersetzung
vertuscht und verwiecht, sie gleicht mehr einer Paraphrase, mid
der Uebereetzer kümmert sich gar nicht um eine genaue Wieder-
gabe des Originals. Der Mangel an historischer Kritik und
Volkstbümlichkeit in der Poesie hatten zur l'olge , dass die
epischen Versuche Kraaicki's schwach und einige unter aller
Kritik sind. Mau veranlasste ihn zu schreiben und drängte
ihn 1782 herauszugeben eine nationale heroische Dichtung in
hohem Stil über denselben Gegenstand, der schon Waotaw Po-
tocki begeistert hatte. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, dass
Potocki's „Chotiner Krieg" überhaupt existirte, und er schrieb in
Octaven ein zweites solches Werk unter dem gleichen Titel —
eine blasse Copie von Voltaire 's „Henriade" mit einer Menge
allegorischer Fersonificationen , wie Ruhm, Glaube u. s. w.,
eine Dichtung, in der sowol Einsiedler als Schwarzkünstler,
sowol Teufel als Engel auftreten, der aber das Colorit der
Landschaft fehlt, die als Schauplatz der Ereignisse dient, und
die bei Potocki so wahrheitsgetreu dargestellt ist, in der
nicht lebendige Personen, sondern nur Puppen auftreten,
dem endlich jegliche Achtung vor der historischen Wahrheit
fehlt — sodass z. B. der Held der Dichtung , der greise,
secbzigjährige Ghodkiewicz in einen vom Feuer der Liebe
glühenden Neuvermählten verwandelt ist Die maschinen-
artige Künstlichkeit und die Unwahrheit der Grundlage wer-
den nicht wie in der „Henriade" durch den innem Gebalt
der Dichtung ersetzt; es mangelt eine philosophische Idee,
die der Epopöe zu Grunde gelegt wäre. Wenn in ihrem
Culminationspunkte der Geist des Wladyslaw Jagiello, des bei
Varna gefallenen, den Ghodkiewicz im Traume zum Himmel
emporzieht, zu dem öden, kalten Himmel des 18- Jahrhunderts
ohne Bilder und Personen, der nur mit Planeten, Sonnen und
Kometen bevölkert ist , so läuft der ganze Sinn der Reden
des führenden Geistes nur darauf hinaus, dass alles Irdische
Eitelkeit der Eitelkeiten sei, und dass man sich nicht daran
hängen dürfe. Bei weitem besser als das heroische gelang Kra-
aicki das scherzhafte Epos, das in der Thierwelt spielt oder
dem Klosterleben entnommen ist. Sowol der Art seines Geistes
als dem Charakter der Zeit nach, die sich mit der Zerstörung
jeder Art von Götzen beschäftigte, war Krasicki Satiriker und
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Iguaz Ki'asicki. 153
fölilte sieb nur dort frei, wo seine naive Fröhlichkeit und feine
Ironie, die sich auf eine ungewöhnlich ttcharfe Beobachtungs-
gabe stützte, ihren Spielraum fand. In die Kategorie solcher
scherzhafter poetischer Werke gehören die drei Dichtungen „My-
sieis" (der Mäusekrieg)', „Monachomachia" oder der Krieg
der Mönche' und „Autimonachomachia" (1780). Bei dem alten
polnischen Chronisten Kadhibek hat sich die Ueberlieferung von
den mythischen König Popiel von Polen erhalten, der auf einer
lusel des Sees Goplo, nicht weit von der vorhistorischen polnischen
Residenz Kruszwica, von Mäusen gefressen wurde. Diese, Polen
und Deutschland gemeinsame üeherliefening, welche der neuem
bistoriBchen Kritik' für einen Nachklang der Donnannischen An-
griffe auf die elavischen Stämme in fernen heidnischen Zeiten gUt,
nahm Krasicki zur Grundlage für seine poetische Erzählung, und
beschrieb darin die von König Popiel, der sich den Kater Mru-
czystaw zum Liebling genommen hat, gegen die Mäuse verhängte
Verfolgung, die stürmische Rathsversammlung der letztern, die blu-
tige Schlacht der Kater mit den aus allen Weltgegenden zusam-
mengekommenen Heerhaufen der Mäuse, zuletzt die Verzweiflung
nud das traurige Ende des Königs Popiel, der sich vor Leid be-
trinkt. In der Rathsversammlung der Mäuse, in den Streitig-
keiten zwischen den verschiedenen Gattungen, den Mäusen und
den Ratten, wird die polnische Art der Reichstagsverhandlnngen
und der Antagonismus des Senatoren- und Szlachtastandes per-
siflirt. In der Sitzung des königlichen Rathes sind die damaligen
Politiker carrikirt dargestellt: „Es geht die weitere Abstim-
mung der Reihe nach vor sich, es erheben eich Streitigkeiten,
die nicht ohne Grund sind; der Unterschatzmeister rügt die
Meinung des Kanzlers, der Kanzler beschuldigt den Marschall, die
Hetmane rathen zu einem schleunigen Krieg, der Tumult dauert
gegen vier Stunden; mancher Anwesende billigt oder tadelt, was
die andern sagen, nur um nicht miissig dazusitzen. Die aus-
ebandergeb enden Stimmen sind nun zu sammeln, um zu einem
Schlüsse zu gelangen. Die Meinungen sind so getheilt wie die
Geister. Es erweist sich, dass das ganze Geschwätz unnütz war;
> Deatsche UeberseUaog (Warschau 1790).
> Oenteohe Uebersetzimi; (Hamburg 1T82), von A. WinkUwgki (Ber-
1 1870).
* SiaJQooha, Cectücki pocz^tek Polski.
...., Google
154 VierttB Kapitel, Die Polen.
um zum gewänscliten Beeultat zu gelaugen, fasst man folgende
Resolution: «Zar Wahrung der Autorität des Thrones mag der
Hemcber alles thun, was ihm beliebt.i>" Die zweit« scherzhafte
Dichtung Krasicki's, die grossen Erfolg hatte, ist eine Nach-
ahmang von Boileau'E „Le Lutrin" und auf die Aufforderung
Friedrich's des Grossen geschrieben, der den Wunsch aassprach,
Krasicki möge seinen Aufenthalt in Sanssouci durch irgendein
poetisches Werk verherrlichen. Dem freigeistigen König zu Ge-
fallen that Krasicki etwas sehr Skandalöses nach dem Begriff
der damaligen Zeit: er verspottete die Klöster, die geistige
Trägheit der Mönche und die unendlichen Trinkgelage', ihre
gelehrten Dispute, ihre Anhänglichkeit an Aristoteles, den un-
geheuerlichen Bombast ihrer Predigten. „In einem von den
Flecken, deren es in Polen so viele gibt, wo nur Bauern und
Juden nisten, wo Burg- und Landgericht in den Ruinen eines
alten Schlosses ihren Platz haben, wo auf neun Klöster drei
Schenken und einige Häuschen kommen", entsteht ein Wett-
streit zwischen den Orden der Dominikaner und Karmeliter, der
die Herausforderung zu einer gelehrten Disputation herbeiführt.
Diese Disputation endet mit einem Faustkampf der Streitenden;
die Schiedsrichter des Kampfes, der Prior und der Orts-
advocat, bringen feierlich auf den Kampfplatz den mit Wein
gefüllten grossen Klosterpokal, das „vitrum gloriosum". Der
blosse Anblick dieses ehrwürdigen Gegenstandes söhnt die Käm-
pfer aus und stellt augenblicklich innige Fjntracht her. Die
Klöster zur Zielscheibe des Witzes zu machen, war nichts neues
im 18. Jahrhundert, aber dieser unerwartete Schlag kam von der
Hand eines Fürsten der Kirche und erschütterte das alte Polen
stark, in d^ die Klosterorden mit vielen Wurzeln eingewachsen
waren. Die „Antimonachomachia" hatte den Zweck, die Gereizten
zu beruhigen und sich mit ihnen auszusöhnen, indem sie die „Mo-
nachomachia" als einen harmlosen Scherz hinstellte. In vollstem
Glänze kommt das satirische Talent Krasicki's in seinen Fabeln,
■ S. z. B. die ApoBtitiphe an Küoig PoDialowuki im 3. Gesang: „Von
obeu kommt Oas geblechte Beispiel in jedem Lande, von oben konimt die
Uraaehe unsere Unglücks; o du, der dn auf dem polaiscben Throne sitzest,
verachtest den Meth und liebst uieht den Wein, du läsat die TrunkBueht
verschwinden, von dir kommt die Lust an Büchern und der UnteT^ang der
Keller, du hast das Volk der Krage, (iläaer, Fässer u. e. w. beraubt."
...., Google
Ignax Krasicki. 155
^steln, beBonders in den Satiren zum Ausdruck, die voll
feiner, skeptischer Ironie über die Jahrhunderte der Barbarei
und des Aberglaubens sind, als „die Gerichteschöffen mit dem
Bürgermeister Hexen auf dem Marktplatze brannten, während
der Gehülfe des Starosten, um sich vollständig von der Schuld
dereelben zu überzeugen, sie an einem Seile in den Teich warf;
da alte Weiber Besprechungen am Kinde vornahmen, da der
Teufel als deutscher Junker auf dem zerfallenen Thorme tanzte,
als der Weichselzopf infolge von Zaubereien wüthete und dämo-
niscbe alte Weiber fraDzösisch schwatzten oder, in den Vor-
hallen der Kirche an heiligen Orten niessend, den Zuschauern
einen unaussprechlichen Schrecken einjagten."* Vollkommenden
Vers beherrschend ist Krasicki zugleich Publicist, der seine Re-
formtbeorie predigt. Zur Verbreitung von Ideen ist keine Form
geeigneter, fesselnder, als der voluminöse Tendenzroman in Prosa.
Diese Form benutzte Krasicki. Seine berühmtesten Versuche
in dieser Gattung sind: „Die Geschichte", „Die Abenteuer
des Nikolaus Doäwiadczyiiski" (1776)* und „Der Herr
Untertruchsesa".' Seine „Geschichte" ist eine boshafte Verspot-
tuDg der Gescbicbtsschreiber, eine Art Memoiren, geschrieben von
einem Menschen, der nie stirbt, sondern sich mittels eines wunder-
baren Balsams verjüngt und wiederbelebt. Dieser unsterbliche
Mensch durchlebt alle wichtigern historischen Epochen, schlaf
sich mit Alexander von Macedonien und mit Hannibal, phi-
losophirt in Athen, befreundet sich mit Fomponius Atticas,
lebt später an dem Hofe Otto's des Grossen, und erzählt
dasselbe wie die Geschichtsschreiber, aber nicht in derselben
Weise. Die Ereignisse werden bei ihm gewissermassen nmge-
siälpt. Die „Abenteuer Doäwiadczynski's" stellen in lebendiger,
witziger Erzählung die Modeerziehnng dar, wie man sie durch
französische Betrüger, die sich für Marquis ausgaben, empfing;
ferner den Luxus und das Karteuspiel, die Leidenschaft ins
Ausland zu reisen, die Ränkesucht der Advocaten, die Käuflich-
keit der Gerichte und die politischen Parteien. Sdiliesslich hebt
Krasicki, der in der Satire so stark ist, im „Doäwiadczyüski"
den Schleier von seinen eigenen Idealen und zeichnet sein
' IMe 2. Satire des zweiten Theils: Lob des JabrbundertB.
' Dentsehe üebersetzuag (Warachan ITTÜ).
* Deutsch von J. Ä. MiguU (.Waracbau 1779).
.,GüOJ^If
156 Viertes Kapitel. Die Polen.
Utopien. Der Held wird nach Erduldung eines Schiffbruchs
auf die Insel Nipa aaBgeworfen , wo ihn die Wilden Vernunft
lehren. Sie kennen kein EiHen, folglich auch keine Kriege,
weder Silber noch Gold, essen kein Fleisch, lesen keine BUcher, .
verachten jede Wohlredenheit, heschäftigen sich mit Ackerhan,
haben weder privaten Grundbesitz noch politische Institutionen
ausser der älterlichen Gewalt, noch Gerichte ausser dem Friedens-
gericht, und bekennen eine blosse Naturreligion , d. i. einen
trockenen verstandesmässigen Theismus im Geiste des „Glaubens-
bekenntnisses des savojardi sehen Vicars". Das Utopien Krasicki's
ist eine Gesellschaft, nur aus Philosophen und Rationalisten des
18. Jahrhunderts bestehend, die in denjenigen fabelhaften Zustand
versetzt sind, der dem Gesellschaftsvertrag und der Geschichte
vorausgegangen sein soll, eine leere Phantasie ohne Ideen, ein
seiner Nichtrealisirbarkeit halber langweiliges Gebäude, das nur
ans lauter Negationen der ganzen vorhandenen Ordnung der Dinge
besteht. Noch wichtiger als die beiden vorhergehenden und das
bedeutendste von den prosaischen Werken Krasicki's ist „Der
Herr Untertruchsess" („Pan Podstoli") mit dem Motto „mori-
bus antiqnis", worin die Hauptfrage des 18. Jahrhunderts gestellt
wird: wie man die Forderungen der Vernunft mit der Ueber-
lieferung in Uebereinstimmung bringen soll, was aus der Ver-
gangenheit zu bewahren sei mit Erneuerung und Reformirung?
Der Autor hat den idealen Typus eines Bürgers gezeichnet,
wie er sein muss zu Hanse und in der Kirche, bei Gericht,
in seinem Kreise und unter den Bauern. Der erste Theil des
„Untertruchsess" wurde 1778 herausgegeben, der zweite 1784; ehe
der dritte Theil 1798 geschrieben war, war der polnische Staat,
der Magnaten- und Szlachtastaat, schon zerfallen; unter den Triim-
mem blieb als Bewahrer der nationalen UeberlieferoDgen der
polnische Gutsbesitzer, beschränkt durch den engen Kreis sei-
ner Beziehungen zu andern ganz ebensolchen Individuen wie er
und zu der häuerlichen Bevölkerung. Krasieki stellt, nachdem
er sich in philosophischer Ruhe mit dem Untergänge des Staa-
tes ausgesöhnt bat, in dem „Herrn Untertruchsess" das Muster
eines Gutsbesitzers in seinem häuslichen Leben und in der Wirtli-
schaft, in Keinen Beschäftigungen und Vergnügungen dar uuil
legt ihm Lehren voller Lebensweisheit in den Mund. Kra-
sieki ist ein vorzüglicher Fabeldichter und ein Satiriker ei-sten
Ranges.
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Adam H&niazewicz. 157
Die elegante Satire Krasicki's ist völlig harmlosen Charakters;
sie ist in Spitzen gekleidet, tragt Pnder und Manschetten, und
»pottelt in unschuldiger Weise, indem sie die allgemeinen Laster
und Mängel des damaligen Zeitalters zur Schau stellt. Zuletzt
schrieb er von 1780 an, indem er zu Heilsberg ein Haus-
tlieater errichtete, dramatische Schauspiele in komischem Genre
und gab sie unter dem Namen Michael Mowinski heraus. Der
blosse Titel dieser Stücke: der Weise, der Intrignant, der Lügner,
der Stutzer u. s. w. zeigt, dass dies Cbarakterkomödien , nicht
Intrigueu- und Effectstücke sind; vorgeführt werden einige Typen,
sie werden in Dialogen skizzirt, es gibt keine Schürzung noch
Lösung des Knotens, die Fabel selbst ist gezwungen, und der
SchJubs erscheint unmotirirt, zufällig. Diese Kleinigkeiten wur-
den gchneller Hand hingeworfen und sind weniger bekannt als
die andern Werke Krasicki's. '
Den vollen Gegensatz zu Krasicki bildet ein zweiter Dichter
und Bischof, Adam Naruszewicz (1733 — 96), der als mürri-
scher, galliger Moralist in die lärmende Orgie der Zeiten Po-
niatowski's hineinschaut und das „memento mori" ausspricht,
ohne selbst zu ahnen, wie schnell sich seine Unstern Ahnungen
tbatsächlich bewahrheiten werden. Krasicki war eine vollständig
neue Erscheinung in der polnischen Literatur, die sich nur durch
die Einflüsse der französischen Cultur und Literatur erklären
lässt. Naruszewicz steht auf nationalem Boden, und man kann
in der polnischen Literatur leicht auf seine Vorgänger hinweisen,
mit denen er sehr viel Gemeinsames hat. So kann er, wenn
auch nicht dem Charakter nach, den man nicht ganz tadellos
nennen kann, für den Nachfolger des Klonowicz und den Fort-
Betzer des von diesem begonnenen Werkes gelten. Naruszewicz
ist sowol als Dichter wie als Historiker berühmt; wir beginnen
mit der Würdigung seiner dichterischen Thätigkeit. Geboren
in Finsk, Nachkomme einer angesehenen, aber verarmten litaui-
sehen Familie, trat er in jungen Jahren in den Jesuitenorden,
reiste zur Vervollkommnung in den Wissenschaften ins Ausland
■wai nahm den Lehrstuhl der Poetik ursprünglich an der Aka-
' Die erste AtiB^be der Werke KrBsioki'e, nach Beinem Tode, wnrde von
Dmochowski Tentiutaltet (10 Bde., Waraohau 180S]. Eine Ergänzung,
Band 11—18 (Warschau 1830—32). Eine neue Ausgabe (Waraohatt 1878—
19) von der Redaction der „Klosy".
D,9:.z.u., Google
158 TierleB Kapitel. Die Polen.
demie zu 'Wilna, aUdann am Colleginm nobilium in der Altstadt
zu Warschau ein. Die jeBuitiache Erziehung schlug tiefe Wur-
zeln, von denen sich Naruszewicz sein ganzes Leben lang nicht
losmachen konnte. Von den Jesuiten nahm er deren schwülsti-
gen und übertrieben -pathetischen Stil an, in dem alle seine
lyrischen Werke geschrieben sind, schwerfällig und geschmack-
los.' Als Professor der Poetik, der die Regeln des Vers-
baues vortrug und die Zöglinge in der Anfertigung von Versen
auf gegebene Themen praktisch unterrichtete , gab er sieb
auch selbst poetischen Uebuugen hin, die nur durch ihre von
Maccaronismen freie Sprache höher stehen als die Fanegyriken
des 17. Jahrhunderts, aber im Inhalt kühn mit ihnen wett-
eifern können. Naruszewicz weint am Grabe August's III. und
freut sich über die Thronbesteigung des Truchsess von Litauen ;
verherrlicht seine Gönner, die Czartoryskis, ihre Villa Po-
«%zki, sogar den Schlitten der Frau Adam Czartoryski's,
des Generals der podolischen Länder, und hält es für seine
Pflicht, Hymnen, Oden und Idyllen bei den Heirathen verschie-
dener Magnaten und andern ähnlichen Gelegenheiten zu ver-
fassen. Seine poetische Fruchtbarkeit brachte ihn dem König
nahe, weltfern Naruszewicz von da an ohne Mass und Zahl
seine lyrischen Ergüsse zu widmen begann, bei Gelegenheit eines -
jeden Besuches, den der König den Schulen abstattete, aller
Namenstage, jedes Jahrestags der Krönung oder bei jeder Ge-
legenheit, wo er eine Medaille, oder eine Uhr, oder ein«i Orden
vom König empfing, oder wenn er diesem das Tintenfase oder
eine Uebersetzung aus Horaz überreichte. Manchmal ward seine
Muse sogar eine zudringliche Bettlerin; als der Jesuitenorden
vom Papste aufgehoben, und der vierzigjährige Dichter brot-
und obdachlos wurde, schrieb er eine gereimte Bittschrift,
in der er unter Aufzählung seiner Verdienste die Hoffnung aue-
sprach, dase er von der Gnade des Monarchen nicht verlassen
werden möge.
' Besonders befremden die geküneteiteu euBBrnmeiigeaelEten AtUectiv«,
wie roiodoptyniie etowa (honigflieaBende Woi-te), wodogromna Tetyda (die
waaserdoDiieriide Thp.tis), jgdze plauzorode (thränenHefniohtete Furien),
pseozote ztotogwara < goldaumtuende Biene |, tfeknosmutny widok (aehn-
iuohUtrouriger Anblick) u. x. v. In der Ode an die Sonne wendet er aioh
folgeudermawes an das Tagesgestirn: „0 du kostbarst» Siegelring an der
Rechten des Sohöpfersl''
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Adam Naniszewicz. 159
Allein in dieseiD schwälstigen Fanegyriker wohnte die Seele
eioes grossen und tücbtigcn Bürgers, und derjenige würde sich
Btart irren, der ihn auf Gmnd seiner lyrischen Werke in eine
Reihe z. B, mit dem Speichellecker Trembecki stellen wollte.
Freilieb zahlte Naruszewicz seinem Zeitalter einen reichlichen
Tribat, watete wie die andern im Schlamme der Abgeschmackt-
heit, und die Spritzflecken dieses Sctimuzes hefteten sich an die
Schösse seines Priestergcwandes, aber zu seiner Kechtfertigung
tDDss bemerkt werden, dass die damalige Zeit hinsichtlich der
Poesie nicht so prüde war, wie die jetzige; man nahm keine
so ernste St«llung za derselben ein, hielt sie nicht für eine
Dienerin der Wahrheit, die Achtung vor ihr ging nicht bis zum
Cultas, sondern man betrachtete sie einfach als eine angenehme
üerstrenug und feine Unterhaltung. Wir fügen noch hinzu,
dass die Feder Naruszewicz' nicht einfach von der Schmeichelei,
ja nicht einmal von der blossen Dankbarkeit gegen den König
geiettet wurde, der Naruszewicz auszeichnete, ibm gnädig
vnr, ihn zu seinem Vertrauten und Ratligcber machte, ihn
schliesslich auf die -Idee brachte, und ihm die Mittel dazu
gab, ein colossales Werk zu vollbringen, das seinen Namen
Terewigte — die erste kritische Geschichte Polens. Narusze-
wicz fühlte sich einfach durch den König bezaubert, durch
(einen Geist und Geschmack, durch seine Liebe zum Schönen,
«eine grossen Pläne zur Erneuerung und Wiederbelebung
Polens geblendet. Diese Wiederbelebung stellte sich ihm
in einem andern Lichte dar als Krasicki; letzterer flüch-
tete sich aus dem WirrwaiT der Gegenwart in die nebelhafte,
leere Tiefe philosophischer Abstractionen. Naruszewicz war im
Vergleich zu Krasicki ein positiver Mensch , Pole durch . und
darch und noch dazu ein solcher alten Schlages. Vor seinem
Geiste entrollte sich das glänzende Bild der ruhmvollen Ver-
gangenheit Polens, vor der die Zeitgenossen nur Zwerge waren.
Sein Sinn strebte in die Feme, zu den Zeiten der Piasten, zu
derjenigen Periode der polnischen Geschichte, wo die Sitten
demokratischer, wo die Stände nicht scharf geschieden waren
nnd wo sich unter der mächtigen Rechten der noch selbstherr-
licben Könige der polnische Staat bildete. -Demokrat im Herzen
tnd deshalb Monarchist, begriff Naruszewicz, dass die Zeit gekom-
men sei, mit dem Hochmuth und der Exciusivität der Szlachta
m brechen, und die Beform hatte für ihn den Sinn einer Bück-
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160 ViertcB Kapitel. Die Polen.
kehr zum Alten, länget Vergangenen; mit einem Wort, wenn es
möglich wäre, ein Gleicbnise anzuwenden, das einer andern ge-
sellschaftlichen Sphäre und der Gegenwart entnommen iet, so
müsste man Naruszewicz den ersten Vertreter derjenigen Rich-
tung nennen, die in Russland den Namen des Slavophilenthams
trägt. In dieser Hinsicht ist er der Vorläufer Lelewel's; er
hahnte den Weg für eine ganze Generation von polnischen Histo-
rikern und Dichtem des 19. Jahrhunderts. „Die Regierang war
in Polen immer schlecht", ruft er ans, ,,aher die Leute waren
besser. Bezeichnet mit dem Stempel antiker Tugend, hatten sie
die schönsten Seelen hei äusserer Einfalt. Sie standen jenen
glücklichen Zeiten näher, wo die Geister stärker durch das Band
des Ruhmes und der Ehre gebunden waren. Die veränderliche
Welt vollbringt ihren Kreislauf; auf das goldene Zeitalter folgte
ein Zeitalter aus scblecbterm Metall; alsdann trat Kupfer an die
Stelle des Silbers; Gott weiss, ob nicht unsere Söhne von Thon
sein werden nach eisernen Aeltern. Die Züge der Jugendjahre
haben sich verwischt — der Rost eines lethargischen Schlafes
hat sich in die Waffe eingefressen, Uebörmässige Freiheit, zu
Privatinteressen ausgebeutet, bedrückt die Schwachem, bewirft die
Gleichen mit Schmuz, tritt die Autoritäten mit Füssen- Es gibt
keine Strafe mehr für Missethaten ausser etwa irgendwo im Statut;
■Gewalt schmiedet die Gesetze, welche von der Bosheit ungestraft
übertreten werden; eine bestechliche Gerichtsbarkeit neigt die
Wage auf die Seite hin, wo das schwerwiegende Gold oder der
drohende Stahl liegt. 0 ihr, die ihr einstmals mit mächtigem
Scepter das Land regiertet, ihr ruht jetzt in eisernem Schlafe in
der dumpfen Behausung des Todes; eure vergänglichen Ueber-
reste liegen auf dem Berge Wawel, der sterblichen Natur des
Menschen den schuldigen Tribut zahlend. Erhebt euch eine
'Minute ans dem Staube , mächtiger Wtadyslaw , kriegerischer
Stephan! — sehet her, in was sich das alte Land verwan-
delt" ... * Bei einer solchen Auffassung der Vergangenheit
Polens ist es begreiflich, dass sich Naruszewicz zu der Gegen-
wart desselben als ein strenger Richter und schonungsloser
Satiriker verhalten musste; sein Herz läuft von Unwillen über
und im Zorn ergiessen sich bittere Reden. In seinen Satiren
bekundet sich der Prediger und der Lehrer, er spricht die
' Ode an die Bilder berühmter Polen aus alt«r Zeit.
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Adam Narntxewicz. 161
Wahrheit einfach und nngescbminkt ans^ sodass sich aller Bal-
Iwt der Mythologie, alles Beiwerk classischer ReminiscenzeD als
miDÖthig erweisen. Wie Klonowicz wird Naruszewicz durch die
Ungerechtigkeit bis in die Tiefe der Seele empört; er legt sich
vor allem eine bestimmte sittliche Frage vor, beginnt die Ge-
daDkenarbeit, indem er Argumente sammelt, seine Galle er-
giesBt sich, and er zeichnet Bilder in scharfen und groben Con-
tonren, die aber von Leben strotzen und durch kräftiges Co-
lorit überraschen. Die ganze Welt bewegt sich um den Satiriker,
im Wirbelwind schweben die tanzenden Paare an ihm vorüber,
eine tolle Maskerade geht mitten in den grossen Fasten vor:
„Die Annath bedeckt sich mit Brocat, die Narren haben
dch weisse Philosophenbärte angehängt, Frauenzimmer gallo-
piren zu Pferde, und jeder Mann sieht wie ein Weib aus;
Herz gibt es nicht, Ausdauer wenig, Verstand und Hände sind
kraftlos. Greise haben sich in wilde Pantalone umgewandelt,
änglinge in Harlekine mit Fucbsecbwänzen; Bacchus-Beeren
stehen roth auf den Wangen der Priester; die Nasen sind zu
förmhchen Trauben geworden, die Leiber zu Trögen. Leicht-
sinn, Hoffart und Eigennutz haben einen unaufhörlichen Ball
reranstaltet. Der Pole hüpft auf einem Beine zu der Musik
der Fremden. Man braucht die Circe, welche Menschen zu
Thieren machte, nicht in den homerischen Erzählungen zu
EQchen; willst du eine Sammlung von allerlei Gethier sehen?
Gehe auf die Rathhäuser, in die frommen Klöster, besuche die
Gerichtssäle und die Amtslocale: unter Zobetmützen uudPriester-
gewändem wirst du Wnnder schauen: rufe, nachdem du die
Kniee gebeugt: „Ochsen, Esel und allerlei Vieh, tobet den
Herrn. " ' In Seide und Gold , in glänzender Caroese , he-
BpSDDt mit Vollblntrennem fliegt der Herr Borg-Geld dahin,
der gestern zehn Thaler beim Lakai geliehen, heute hun-
dert beim Schornsteinfeger borgt, und zwölf jener alten Frau
aJ^elockt bat, die bei der Kirche des heiligen Johannes Grütze
verkauft. Diesem Herrn ist auch nur das Dorf Habenicht,
das Gut Borgheim, und die Schenke Nimmerzahl geblieben.
Die Menge auseinanderstossend und zornig die Arme ein-
Btemmend geht der brave Bursche Ranfkopf einher, aus den
Aagen sprühen Funken, wie unter dem Hahn der Pistole; wir
> Reda^ (Maskenball), Satire
nm, SUrlHha LltanlnnD. II, I.
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162 Viertes Knpitel. Die Polen.
wollen wetten, dass er nach Marymont eilt, um sich im Duell
zu schlagen. Ich war selbst Zeuge, wie er mit Steinen Dohlen
von den Dächern trieb, wie die Juden ehrerbietig vor ihm aus-
einandertraten, wie er hundert Distelköpfe mit einem Schlage
abhieb. Aber dieser Paradeheld mit Achselbändern bat ein
Hasenherz, er könnte nur unbewaffnete Haufen auf den Land-
tagen auseinandertreiben oder mit dem ^bel auf dem Pflaster
rasseln; er ist bereit, am Tische bei der Weinflasche den Kopf
fürs Vaterland zu opfern, da er wohl weiss, dass niemand die-
sen Kopf nimmt ... In ceremoniellem Marsch wälzt sich eine
glänzende Schar daher — der Hof des ersten Ministers des
Könige Pharao: zwei Treff-Asse in einen Triumphwagen, klafter-
lange Valets stehen auf dem Tritt und dalünter zieht sich ein
langer Schwanz, eine Sammlung von allerlei Lumpengesindel:
die barfussige Armuth ohne Mütze und in Lumpen, der schmu-
zige Fluch, die Verzweiflung mit gesenktem Bhck, die Rauf-
sucht mit verbundenem Kopfe und blauem Auge, Betrüger und
Spieler in seidenen Handschuhen. Eine geputzte Madame fahrt
auf den Ball mit einem gepuderten Abbe und unterhält sich
mit dem Herrn Chamäleon, der mit Gesinnung bandelt, wie
der Jude mit der Waare: gestern war er Monarchist, beute Re-
publikaner, schimpfte auf den Hof, was er nur konnte, und jetzt
lobt er ihn; in der Hoffnung, ein ehemaliges Gut der Jesuiten
zu erhalten, schreibt er einem Panegyrikus; erlangt er aber das
Gewünschte nicht, so wird er sagen: hier weiss man Verdienste
nicht zu schätzen, und geht davon ~ nach Italien.
„Der Heuchler, der, wenn er auf der Strasse einem Mönch
begegnet, ihn auf die Schulter küsst ; dieser Herr ist ein Wolf im
Schafskleide, er betet fortwährend mit den Fingern den Rosen-
kranz ab, er hat mit der Zunge den ganzen Lack auf den Hei-
ligenbildern abgeleckt, der Fussboden der Kirche ist durch seine
Verbeugungen schadhaft geworden. Dem Pöbel gilt er für einen
heiligen Gottesmann, weil er einen protestantischen Prediger ge-
prügelt, weil er zwei Hexen ertränkt hat und an Vampyre glaubt.
Dieser selbe Herr schliesst die Thür vor den Schuldnern, auf
einem und demselben Rosenkranz zählt er sowol Gebete wie Pro-
cente, betet zehn Vaterunser und nimmt fünfzehn vom Hundert,
schwärzt den Nächsten an gleich nach dem Gottesdienst und stellt
der Frau eines Andern nach. . . .
„Der hagere I^iterat hat nichts zu essen, nichts anzuziehen.
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Adam Naruszewicz. 163
Mein Freundt die Leute werden dich fast zu Tode quälen mit
Lobeserhebungen, sie preisen dich als eine Zierde des Volkes, als
eine Biene des Helikon, als eine Blume, ab eine Perle, als einen
Canarienvogel, als eine Sonne des polnischen Landes. Aber dei-
nem Aussehen nach zu schliessen wohnst du auf irgendeinem
Ditnger-Parnass, und dein Pegasus, der magere Gaul, den dir für
blutsaure Dienste Apollo zugetheilt hat, ist nur gewöhnt, dich zum
heiligen Lazarus zu fahren, um bei dem satt zu werden. Dagegen
welch ein Haufen von Kriechern und Parasiten umgibt den hoch-
geborenen Magnaten. Der eine sagt ihm: Excellenz, ich habe nie
im Leben etwas Aehnliches gesehen, wie Ihren glänzenden Hof;
ein anderer fügt hinzu: wer könnte sich mit einem berühmtem
Namen brüsten? Ihr Geschlecht mag Decaden von Castellanen, ein
Dutzend Wojewoden, gegen einen Centner Scepter, Schlüssel und
Siegel zählen ; vor tausend Jahren hatte ihr erster Vorfahre, nach-
dem er aus der Mongolei im Verein mit König Krak gekommen,
die Güte ein Pole zu werden. Ein dritter, ein wüthender
Raufbold in Fechthandschuhen, mit einer Narbe auf der Stirn,
mit einem mächtigen Kapier, versichert, er werde jeden mores
lehren, der seinem Herrn nicht die schuldige Ebre erweise.
Seine Worte haben viele andere aufgegriffen: befiehl uns, den
Landtag auseinander zu treiben — wir sind bereit; befiehl, ein
fremdes Haus zu überfallen, den Nachbar mit Knitteln zu prü-
geln — zu deinem Vergnügen sind wir gern bereit zu sterben.
Mag das ganze Land in Trümmer sinken , wenn nur deine Ehre
gewahrt bleibt! . . ." Naruszewicz kommt ausser sich beim An-
blick der Gesetzlosigkeiten und bricht auch zuweilen in Ver-
wünschungen aus: „Es ist besser, mit den Kosaken in der Se(
zu leben, als mit den erlauchten Panen, den Blutsaugern, weil
bei jenen Räubern das, was jemand in der Fremde geraubt,
weder der Hauptmann noch der Oberst nimmt. Savka kann im
Lager ruhig spazieren gehen mit der Pfeife im Munde, in den
Hosen des Mundschenken und im Amtskleid des Unterrichters,
und Mikita darf sich kühn auf dem Traber des adeligen Panzer-
reiters tummeln. Bei uns aber weiss niemand, für wen er säet
Dod drischt, jeder kann ihm Tenne und Landgut zerstören,
gedungene Banditen auf ihn hetzen, rauben, niedermähen, zer-
hauen, den Zaun niederreissen, verbrennen und wegschleppen.
Wo ist aber die Gerechtigkeit'.' Warte auf sie, bis die Ent-
schlafenen den Schall der Posaune des jüngsten Gerichts hören
11*
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164 Vierte« Kapitel. Die Polen.
werden.'" „Verrath, Erpressung, Ueberfälle heissen Tugenden,
weil die Herreu Räuber Geld, Wappen und Güter haben, und
du, armer Bauer, wirst für den DiebBtaU einer Garbe mit
deinem Leibe huDgrige Raben ßährea, weil in der goldenen
Freiheit Polens die Regeln gelten: den Bauer hänge an den
Galgen, dem Pan sieh durch die Finger und den Szlacbcic
stecke ins Gefängniss." ^
Das mächtige Talent, welches Maruszewicz in den Satiren an
Tag legte, glänzte noch heller in seiner „Geschichte des pol-
nischen YolkeE", einem Werke, das sowol dem Plan als der
Ausfuhrung nach bemerkenswerth ist, und ohne jeden Zweifel
das festeste Denkmal der Regierung des Königs Foniatowski bildet.
Der König wusste die grossen Fähigkeiten des frühern Jesuiten
zu würdigen, gab ihm eine Zuflucht, indem er ihm eine Pfarre
zu Niemienczyna erwirkte und später das Amt eines Coadjutors
des Bischofs von Smolensk, und bot ihm an, königlicher
Historiograph Polens zu werden; alle Kosten der Materialien-
sammlung, des Copirens der Handschriften, nahm der König
auf sich , viele Gelehrte wurden ins Ausland gesandt, um
Quellen zu sammeln im Yaticanischen Archiv, in den Kanzleien
in Schweden, Berlin und Wien; es wurden die Staatsprotokolle
durchwühlt und die Archive der vornehmen polnischen Ge-
schlechter. Naruszewicz gab sich ganz der grossen Sache hin,
verliesB Warschau und brachte sechs Jahre, 1774 — 79, in
stiller Einsamkeit mitten unter den Sümpfen Polesiens hinter
Ballen alter Papiere zu. Der König langweilte sich und rief
ihn unaufhörlich zu sich. Naruszewicz kehrte schliesslich nach
Warschau zurück mit den fertigen ersten Bänden seiner Ge-
, Schicht«. Der König gab ihm eine Wohnung im Schlosse und
verfolgte den Gang der Arbeiten, die rasch vorwärts gingen,
trotzdem der König Naruszewicz von der Arbeit abhielt, in-
dem er ihn nöthigte, ihn auf seinen Reisen zu begleiten,
und obgleich der Reichstag Naruszewicz 1793 zum Secretär des
Beständigen Raths erwählte. Von 1780 — 86 wurden alle sieben
Bände der Geschichte Polens von den ältesten Zeiten bis zur
Thronbesteigung des Hauses der Jagiellonen herausgegeben. Na-
ruszewicz durchforschte das umfangreiche Gebiet der Vergangen-
■ Fragment X.
• Salyra 2, S7l8chetno»<!.
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Adam KariiHiewicz. 165
heit Polens kritisch, beseitigte die sagenhaften Ueberlieferungen,
prüfte die Quellen. Seine nüchterne, inhaltreiche Darstellung
hatte für Polen ganz dieselbe Bedeutung, wie für die russische
Geschichte das Werk Karamsin's. Er stellte den Rahmen fUr
die künftigen Forschungen auf, legte den Grund zum Gebäude
der künftigen Wissenschaft und bot eine fertige Methode. Na-
raszewicz ahnte nicht, dass der von ihm herausgegebene sie-
bente Band der letzte sein werde — seine Pläne varen umfäng-
b'cb, Material gab es in Menge. Es näherte sich die politische
Verwirrung, es begann der grosse vierjährige Reichstag, der ent-
scheidende Moment, in welchem die junge, in fünfzehnjähriger
Ruhe erwachsene Generation unter Todesgefahr in einem Augen-
bUcke eine radicale Reform vornehmen oder untergehen musste.
KaruBzewicz sass in diesem Reichstag, zuerst als Bischof von
Smolensk, dann als solcher von £uck; er glaubte, dass der Ge-
danke, den er im Verein mit andern Anhängern der Reform
hegte, sich realisiren werde, allein die Wirklichkeit enttäuschte
den Patrioten. Die Schwäche der Anbänger der Reform, die In-
tr^en der Magnaten, die jahrhundertelange Anarchie, die sich
mit ihrer stumpfsinnigen Opposition erhob, brachten über Narusze-
wicz finstem Kummer, er fing an zu zweifeln, ob es möglich sei,
ein Gebäude aus Schmuz auf lockerm Sande aufzubauen, und in
nnem Anfall von herzzerreissender Verzweiflung schrieb er das be-
Töhmte Gedicht: „Stimme der Todten", worin er mit einem
Pathos, das eines Skarga würdig ist, der Gesellschaft den Tod ver-
kündet, den Grund davon aber nicht wie dieser in der reli-
giösen Spaltung sieht, sondern in der Schwächung der königlichen
Macht. Dieses Gedicht nennt Bartoszewicz * mit Recht eine Phi-
losophie der polnischen Reform zu Ende des 18. Jahrhunderts.
Folgendes sprechen zu den Nachkommen die grossen Todten,
welche in den Katakomben des Domes zu Krakau ruhen:
„Nachdem ihr die Bande des Friedens und der Eintracht,
welche in der obersten Gewalt enthalten waren, gesprengt, seid
ihr auseinandergelaufen wie eine Heerde ohne Führer, ohne Ziel,
ohne Eath und Schutz. Das Herz ist erkaltet für das Gemein-
wohl: ihr alle seid entweder Schmeichler oder Verleumder.
„In keinem einzigen Lande gab es einen Fortschritt von da
an, wo sich die Glieder vom Haupte trennten; der Bauer hörte
i mviuaiu I'olBi-y XVIII. wiiiku", I, 130.
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166 Viertes Kapitfl. Die Pulen.
auf betriebBam zu sein, die Gewerbe kamen in Verfall, — die
Themis steckte das scharfe Schwert in die Scheide, der Priester
wurde ein Schaffer und Raffer, der Pan ein Störer der Ordnung,
der König ein Scheinkönig, der Soldat ein Paradesoldat.
„Das heilige Erbe der Jagiellonen und Piasten dient zur Be-
friedigung gemeinen Hochmuths; an den müssigen Höfen uiästeu
sich Haufen von goldstrotzenden Parasiten, — das zusammenge-
raffte Gut der Könige wurde zerstreut, der Wind herrscht in
den Schlössern und wirft die Thürme um.
,, Zahllos waren die unter einem Scepter vereinten bewaffneten
Reihen kriegerischer Scharen. Vor ihnen imitierten die Küsten
zweier Meere, denen der Dnepr und die Weichsel ihre Erzeug-
nisse zuäössten. Heute gibt es weder Ritter noch Kriegsruhm,
wenn auch die Zahl der Hetmane grösser geworden ist.
„Arme Küchlein bergen sich unter die ausgebreiteten Flügel
der Mutter, wenn auf sie der Geier mit ächarfeu Krallen von
oben herab stösst; ihr habt dieser Mutter die Federn au^erupft,
— womit soll sie euch uun bedecken?
„Solange das Licht leuchtet, gibt es unter der Sonne keine
Regierung, in der grössere Wunder geschehen waren. Warum
soll die Majestät des Königs strahlen, wenn sie nur eine Maske
für die Unthätigkeit ist? Warum Könige um hohen Preis suchen,
wenn man überzeugt ist, dass sie unsere Feinde sind?
„Wenn der König Vater ist, warum vertrauen ihm denn die
Kinder nicht? Wenu der König Herr ist, womit bezeugen deun
die Unterthaneu ihre Ergebenheit? Wenn der König oberster
HeerTübrer ist, warum .ist er denn ohne Soldaten? Wenn der
König Richter ist, wo ist denn sein Schwert und Gesetzbuch?
Unverständiges, armes und wildes Land, wo die Gekrönten nur
dem Namen nach herrschen!
„Irrende Heerde adeliger armer Schluckerl Auf deine schlauen
Führer blickend, weisst du selbst nicht, wie sie dich, unter
Verspottung deiner Einfalt, nur zu ihrem eigenen Nutzen ge-
brauchen , indem sie käufliche Landtage zusammenscbweissen
oder zerbrechen. Du suchst Freiheit, Freiheit haben nur sie
allein.
„Du verkaufst das Palladium der ererbten Freiheiten für ein
Glas Wein, für ein höfliches Gompliment; du wählst erlauchte
Abgeordnete, nachdem du heiser geworden bist von den Auto-
fallen gegen die selbstherrliche Regierung ; nicht für dich angeln
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Die Periode PoniatowBkiV 167
sie mit deiner eigenen Äuget ; du ackeret mit dem Ptluge , gib
werden mit dir ackern."
Der strenge Moralist suchte Rettung in der Monarchie, horte
auf au das Volk zu glauben, und setzte seine ganze Hofihung
aaf den König. Dieser letzte Rettungsanker ging verloren.
Der, welcher Naruszewicz für einen Helden galt, hielt nicht
aas und verrieth kleinmüthig die Sache des Volkes. Zum
letzten mal hatte er eine Zusammenkunft mit dem König im
December 1793, als dei'selbe vom Reichstag zu Grodno zurück-
kehrte; der König rietb Naniszewicz, die begonnene historische
Arbeit fortzusetzen. Naruszewicz bemerkte mit Unwillen, er
«crde keine Feder mehr anrühren, er habe niemand, für den er
schreiben könne. Sein Herz brach, seelische Leiden beschleunig-
ten seinen Tod, der in ländlicher Einsamkeit zu Janöw am Bug
erfolgte; er überlebte den Untergang Polens nicht lauge. Unter
den Arbeiten von Naruszewicz verdienen noch Erwähnung die
l'ebersetzung des Tacitus und die Biographie des Chodkiewicz,
eine Tortreffliche Monographie, worin die Hauptmomente der
Regierung Sigismund's III. dargestellt sind, endlich „Taurica",
eine Geschichte and Beschreibung der Krim, welche Katha-
rina 11. zur Zeit ihrer Zusammenkunft in Kaniow mit Fonia-
towski, in dessen Gefolge sich Naruszewicz befand, gewidmet
wurde.
Gleichzeitjg mit den grossen Sternen der Literatur, wie es
Krasicki und Naruszewicz unbestreitbar waren, und denen zwei-
ten Ranges, wie Trembecki, traten einige kleine dritten Ranges
auf, deren einst ziemlich populäre Namen traditionell in den
Lehrbüchern wiederholt werden, während ihre Werke fast ganz
vei^essen sind ; dahin gehören die Dichter Karpiüski und Knia^-
nin, Franz Karpinski (geb. in Rothrussland, 1741 — 1825),
ein sentimenfaler Elegiker und Idjllendichter („Laura i Kilon"),
Toll fjgendünkels , der nur dadurch unter die Berühmtheiten
gelangte, dass er im geeigneten Moment auftrat, als die Czar-
toryskis und der König Talente suchten, und man sich be-
nibint machen konnte, wenn man zwei, drei gelungene Verse
geschrieben hatte. Mit ausgesuchter Zuvorkommenheit in War-
schau aufgenommen, brachte sich Karpii^ski durch eine Elegie in
Erinnerung: „Rückkehr aus Warschau aufs Land", deren Haupt-
inhalt ist, dass er arm abgereist, aber noch ärmer zurückge-
kehrt sei, weil ihn die Mäcene mit Gunstbezeugungen gefüttert,
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168 Viertes Kapitel. Die Polen.
aber mit niclits Kealerem bedacht hätten. „Der Sänger des
Herzens" erlangte zuletzt sein Ziel und erhielt eine Arende
im Gouvernement Grodno. Seine Lieder gingen von Hand zu
Hand, insbesondere in der Sphäre der kleinen Szlachta, und fes-
selten zarte Seelen nicht sehr wählerischer Leute durch die Ein-
fachheit eines von jeder Gelehrsamkeit gesäuberten, widerlich-
süBslichen Verses. Sie führten das französische pseudoclassische
galante Pastorale unter die Strohdächer ein, indem sie die Poesie
auf das Niveau des Verständnisses wenig gebildeter Leute er-
niedrigten. In seinen alten Tagen widmete Karpiäski, schon
nicht mehr armer Gutsbesitzer, dem Kaiser Alexander l. seine
UebersetzuDg der „Dialoge Plato's.'" Der Weissrusae Franz
Dionysius Knia^nin (geb. 1750) stammt aus demselben Geschlecht
der smolenskischen Szlachta, welches den russischen Dramen-
dichter Jakob Borisovi^ Knjaznin hervorbrachte, studirte bei den
Jesuiten, arbeitete in der Bibliothek bei Zaluski, ward dann Se-
cretär des Fürsten Adam Czartoryski und Hausbarde dieses
Geschlechts und seines Hofes zu Pulawy. Mehr an der alt-
griechischen als an der französischen Poesie genährt, besang
er die ländliche Natur, verfasste Dramen und Opern („The-
mistokles", „Hektor", „die Zigeuner"). Die patriotische Saite,
welche bei Karpidski fehlt, tönt kräftig bei Kniainin, ihren
Klang mit republikanischen Reminiscenzen des classischen Alter-
thums mischend (die Tragödie-. „Die spartanische Mutter").
Der Untergang Polens brachte ihn um den Verstand. Elf Jahre
(1796 — 1807) brachte er in dieser traurigen Lage zu und starb
in Koäska Wola bei Putawy * in den Armen seines nächsten Freun-
des, des Ortspfarrers, des frühern Literaten Franz Zablocki, der,
nicht weniger als Kniainin nach dem Verlust des Vaterlandes
von unheilbarem Gram niedergeschlagen , Beruhigung in den
Armen der Religion unter dem Priesterkleide suchte.
Das Schicksal Zablocki's (1754 — 1821) ist mit den Anfängen
der dramatischen Kunst und des Bühnenwesens in Polen unter der
Regierung Poniatowski's verbunden. Die Schöpfung einer stehen-
den Bühne gehörte zu den Plänen des Königs, der 1765 mit grosser
I Seine Werke herausgegeben von Dniocbowski inWartchau, 4 Bde.,
1806. Eine Biographie »ehneb Ä. Korntlowicz (Wilna 1827).
• Werke herausgegebeu von F. Dmochowaki in WarBL'hau (7 Bde.,
1828 — 20).
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Die FeL'iode Pouiatowski'fl. 169
Feierlichkeit ein solcheg erstes öffentliclies ständigee Theater zu
Warschau eröffnete, aber den Erfolgen desselben dadurch schadete,
dass er die Fortführung der Anstalt seioem Eammerdiener Bix zum
anggchliesslichen Privilegium gab, und sie somit einem Monopo-
listen aushändigte, der sich mehr seinen Geldbeutel als die Kunst
»ngelegen sein liess. Die Vorstellungen begannen mit einem Stück
Bielawski's (1739 — 1809): „Natrgci" („die Zudringlichen").
Für diese Bühne verfasste der Exjesuit Franz Bogomolec
(1720—90) Opern und Komödien. Von 1780—94 lieferte für
sie gegen 80 Stücke, meist übersetzt oder entlehnt, der Se-
cretär der Educationscommission, Zablocki, der sich jedoch mit
Uebersetzungen und Entlehnungen nicht begnügte, sondern auch
den Versuch machte, eine zeitgenössische Originalkomödie zu schaf-
fen; seine bekanntesten Originalstücke sind". „Der Abergläubische"
(,^abobonnik"), „Die Liebeshändel eines Gecken" („Fircyk w
zalotach"), „Sarmatismus". Die Absicht war sehr schön; es lag
wirklich ein überreiches Material für die Komödie vor, das Alte
mischte sich mit dem Neuen in der Gesellschaft wie auf einem
Maskenball; das Alte, Zurückgebliebene war carricaturenhaft,
die Nachahmung des Fremden ging in Aefferei über. Allein
das kleine Talent Zabtocki's entsprach der Aufgabe nicht, es
war nicht selbständig genug; er übertrug auf die polnische
bnhn« in Bausch und Bogen das Theater Moliere's mit dessen
Liebhabern, die gegen das Verbot der Aeltem Rendezvous
halten, mit den unvermeidlichen raisonnirenden Lakaien und
schelmischen Soubretten, ohne die es damals keine Posse gab,
in Costüm und Sprache lächerlichen Aerzten und Advocaten;
mit einer Menge freigebig ausgetheilter Prügel. Auf diesem
ganz und gar conventionellen und ausländischen Canevas sind
die vom Ver^ser beobachteten zeitgenössischen Typen ausge-
führt und eingeflochten, in ziemlich flachen Garricaturen, wie
der Modestutzer, der bald Karte spielt, bald den Damen den
Hof macht; der geizige Alte, der auf Prophezeihungen när-
risch ist und den man zum Narren hat; dumme Schnurr-
bartträger, Sarmaten alten Schlags, die sich mit den Nach-
barn herumfaauen (Guronos, Zegota), während sich ihre Frauen
betrinken (Byksa); in diese breitgetretenen Farcen, in diese
Mischung von Eigenem und Fremdem ist ziemlich viel Pfeffer
hineingestreut — Anspielungen auf zeitgenössische Personen und
Vorgänge- Das ist der Charakter der Komödie Zablocki's, die
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170 Viertes Kapitel. Die Polen.
ebrenwertb in der Teudenz, aber scliwach in der Ausführung
war.' — AI» wirklicher Schöpfer der polniechen Bühne trat ein
Mann auf, der keine königlichen Gnaden genoss, ein Schauspieler
von Beruf, Wojciech Boguslawski, dessen Uauptthätigkeit in
die Zeiten nach der Theiluiig fällt.
B. Di« politiaohe Literatur d«a vierjälirigen Beiohsta^.
Die dem Geist iiach französische Nachahmungsliteratur in
der mittlem Periode der Regierungszeit des Stanislaw Ponia-
towski diente fast ausschliesslich der Politik und kümmerte sich
wenig um die Regeln der Kunst. Sie hat nur das eine wichtige
Verdienst für sich, dass sie fast ausnahmslos mit allen Kräften
die Reform förderte und Oel ins Feuer goss, die Liebe zum
Vaterland entflammte und das Volk dazu aufrief, eine unverzüg-
liche, plötzliche, radicale Reform in Angriff zu nehmeu, die ohne
Schwanken oder Suheu vor irgendwelchen Opfern zu vollbringen
war, falls nicht ein unvermeidlicher Untergang eintreten sollte.
Der Einfluss dieser Literatur auf die Sitten der Gesellschaft und
in noch weit höherm Grade auf die Ideen war in Wahrheit ein
gewaltiger; man kann ihn nur würdigen durch Gegenüberstellung
der folgenden Ereignisse. Im Jahre 1775 wurde der Beständige
Rath errichtet, den die öffentliche Meinung mit dem Namen
des „Beständigen Verraths" (zdrada nieustaj^ca) brandmarkte,
eine oligarchische Regierung, die durch Stackelherg von Peters-
burg abhängig war, und bei welcher das Phantom eines Königs
bestand, der sich in 'Wirklichkeit in einen Statthalter der Kai-
serin umgewandelt hatte, — eine Regierung, welche gleichwol
einigen Nutzen brachte, weil sie, wenn auch eine schlechte, doch
immerhin eine Organisation nach völliger Unordnung und An-
archie war. Der Geist der Reaction war so stark, dass, als auf
Anordnung des Reichstags von 1775 die Codificirung der Gesetze
einem der aufgeklärtesten Männer jener Zeit, dem Exkanzler
.Andreas Zamojski, übertragen wurde, der auch (1778) einen
durchaus nicht radicalen Entwurf dieses Codex veröffentlichte,
an dessen Zusammenstellung der König, der Bischof Szembek,
' Seine Werke gab Dmochowski heraus, Warechau 1829— 30, Keuest«
Ausgabe, WarschHU 1877.
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tStanistaw Stasaic. 171
der Kanzler Chrebtowicz thätigen Antlieil genoiumeu hätten,
dieser Entwurf in einer für den Verfasser verletzenden Weise
verworfen und auf dem Reichstag 1780 begraben wurde, blos
deshalb, weil darin ein schüchterner Versuch enthalten war, den
Bauern ein gewisses Quantum persönlicher Freiheit zu geben.'
Fünf Jahre darauf erscheint das stärkste politische Pamphlet
jener Zeit, das wie ein elektrischer Schlag wirkte : „Die Betrach-
tungen" („Uwagi") von Staszic; und 1788 beginnt der vierjährige
ßeichstag, der einen vollständigen wohldurchdachten Plan einer
zwar nicht gelungenen, aber bis in die kleinsten Details conse-
quent und logisch durchgearbeiteten Reform schuf. Plötzlich,
mit Eröffnung des vierjährigen Reichstags, ward die Gesellschaft,
von einer unzähligen Menge von Büchern, Blättern, Broschüren
überschwemmt; diese politische Literatur bildete nach derAeus-
serung Pilat's („0 literaturze polit. sejmu czteroletniego", S. 5)
einen förmlichen zweiten Reichstag neben dem wirklicheu, einen
freien Reichstag, wo jeder, der da wollte, Stimmrecht hatte.
Wir müssen in diese Werkstatt der Reform eintreten, in der alle
Tagesfragen bearbeitet wurden, bevor sie auf dem Reichstag zur
Verhandlung kamen. In Bezug auf Tiefe der Gedanken, Stärke
der Begeisterung, Glanz des Talents hat die sogenannte „patrio-
tische" Partei das entschiedene Uebergewicht sowol auf dem
Ueichstag als in der Literatur, und es stehen hier zwei Personen
in erster Linie: zwei Priester, die als Sterne erster Grösse er-
scheinen, der eine nur Schriftsteller, obgleich er mit allen
£jgeDschaften eines Volkstribuns begabt war, der andere Schrift-
steller nnd Redner, aber mehr noch Staatsmann. Es sind Staszic
ond Eol}%taj.
Der Priester Stanidaw Staszic (1755—1826)', von bürger-
hcher Herkunft, Sohn des Bürgermeisters der Stadt Schneidc-
mühl (Pi)a) in Grosspolen, war durch den Zwang der Verhält-
nisse, nicht aus innerm Beruf Geistlicher, und hatte diesen Stand
nur gewählt, weil dem Nichtadligen alle Wege verschlossen waren.
' Zbiür praw a|dowyi;h przez Aodr. Ord. ZamoJHkiego, wydany przcz
W. Dntkiewiuzft (WarBubau 1Ö74).
' Jüsef Szujeki, „St. Staaziu jako piearz polityuzny*' (in Eoztrz%samä
i opuwiadania historyczne. Krakau 1876)- — Juetyn 'Wojewodzki, „Sta-
nistaw Wawrzyniet; Stasziu" (Warachau lfi79). — .,SI. Staszic" (im Journal
Niwa, 1875).
.....Gooj^lc
172 Viertes Kapitel. Die Polen.
Als junger Mann reiste er um zu studiren ins Ausland, nach
DeutBchland , alsdann nach Paris, befreundete Bicb mit den En-
cyklopädisten, erwarb sich grosse Kenntnisse in den Naturwissen-
scbafteii, besonders in der Geologie. Sein Aufenthalt im Auslände
fiel der Zeit nach mit der Bewegung der Confoderatjon von Bar
zusammen und als sich die Agenten der letztem an die be-
rühmten europäischen Philosophen und Publicisten wendeten um
Consultationen und Kecepte. Einer dieser Agenten, Wielhorshi,
wandte sich an den Verfasser des „Contrat social" (1768) und
an den Abbe Mably, und empfing von dem erstem die „Con-
sid^rations sor le gouvernement de la Pologne" und von dem
andern die Schrift „De la Situation politique de la Pologne",
1776- — Der damals fast vergötterte Verfasser der politischen
Bibel des 18. Jahrhunderts, Rousseau, behandelte die Aufgabe
von seinem französischen Standpunkte aus und stark doctrinär;
aus Hass gegen den Absolutismus schlug er Decentralisation vor,
rieth zu einer föderativen Regierungsform, Hess sogar die EÖnigs-
wahl besteben, konnte sich nicht dazu entschliessen, das liberum
Veto aufzuheben, sondern beschränkte es nur, predigte mit einem
Worte die Demokratie in solchen politischen Formen, die sich für
Polen nicht eigneten, und seine Ideen dienten später den unver-
hesserlichen Anarchisten der Szlachta, den künftigen Conioderirten
von Targowica, als theoretische Motive ihrer Politik. Mably sah
die Dinge veit praktischer und einfacher an, zweifelte an der Ret-
tung, rieth aber eine erbliche constitutionelle Monarchie. Der
junge Staszic war ein warmer Verehrer Bousseau's, durchdrungen
von den Ideen des „Contrat social", und behielt zeitlebens eine
gewisse Dosis republikanischen Doctrinarismus. Aber nach seiner
Bückkehr nach Polen kam er durch eine glückliche Fügung der
Verbältnisse (1772) in das Haus des Andreas Zamojski, der ihm
die Erziehung seiner Söhne und den Unterricht in der französi-
schen Literatur an der Akademie zu Zamoä6 übertrug. Bei dem
polnischen ,, Lykurg" heimisch geworden, und in fortwährendem
Verkehr mit den Mitarbeitern an dem Project des Codex, nahm
er von diesen die Ansichten über den Zustand Polens an, schöpfte
dabei aus dem reichen Archiv zu Zamog^ historische Daten und
schüttete alsdann alles das, was er so über das Schicksal des
Vaterlands gedacht hatte, in einem anonymen, ziemlich planlos
angelegten Pamphlet (1785 zu Warschau herausgegeben) aus,
das auf den ersten Blick einen zufälligen Titel trug, der
SUDiitaw StasKio. 173
mit dem Inhalt venig gemein hat: „Betrachtungen über dns
Leben des Johann Zamojski" („Uwagi oad 2yciem J. Zamoj-
skiego" u. 8. w.). > Das Pamphlet geht von der Psychologie
der Sensualisten aus, zerfallt ohne strengen Plan in meh-
rere Abhandlaugeu (die Erziehung, die Gesetzgebung, die
Tollziebende Gewalt u. s. w.), benutzt den Namen Zamoj-
std'g, über den der Autor überhaupt nur wenig genaue Nach-
richten hatte, nur dazu, um die Erniedrigung und den Ver-
fall seiner Zeit der ruhmvollen Grösse der Epoche Batory's
g^eoüberzustellen. Der Umstand, dass die groBse, freie Ver-
gangenheit der Republik als ein unaufhörlich im Auge zu br-
baltendes Ideal hingestellt wird, verlieh dem Pamphlet Zauber-
kraft; es hebt Staszic heraus aus der Zahl der gewöhnlichen
Rerolntionäre , die alles in der Vergangenheit mit Schmuz be-
warfen. Sein Buch rief 22 Entgegnungen hervor, erzeugte eine
ganze Literatur, Bald darauf begannen sich die Träume des
Patrioten zn verwirklichen, in Frankreich brach die Revolu-
tion aus, in Polen trat der vierjährige Reichstag zusammen.
Seine nichtadelige Herkunft brachte Staszic um die Möglichkeit,
direct an der Gesetzgebung theilzunehmen, und den Reichstag
nin den kräftigsten Redner, aber er diente dem Gemeinwohl mit
der Feder und gab 1790 seine „Warnungen lur Polen, wie sie
sich aus den jetzigen politiBchen Verwickelungen Europas und aus
den Rechten der Natur ergeben" („Przestrogi dla Polski etc.")*
heraus. Dieses Buch ist nur eine weitere Entwickelung und aus-
führlichere Darlegung dessen, was in den „Betrachtungen" ent-
halten war. Beide Werke waren ein fertiges Reformprogramm
and ihr gemeinsamer Gedanke ist der folgende. Staszic ist Republi-
kaner, aber mehr noch Patriot, Über alles stellt er die Existenz
seiner Nation: „erst das Volk — dann die Freiheit; erst das
Leben — dann die Bequemlichkeit". Der Existenz des Volkes
opfert er alles, sogar die Doctrin, rath von den Uebeln das klei-
nere zu wählen, entschliesst sich von der grossen Vergangen-
heit, die bei ihm in einem etwas nebelhaften, idealen Lichte er-
scheint, zu einer ebenfalls freien Zukunft zu gehen, und wäre es
' AosEüge daraus denUch in Steiner's Poluischer Bibliothek (9 Hefte,
WwMhan 1187-88).
* Deotach heran^egeben (Oliva 1794) und in KsuBCh'e Nachrichten über
Polen, n, 51—100 (Brealaa 1193).
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174 Viertes Kapitel. Die Wien.
durch deu Absolutismus-, ist nötbigenfalls bereit, selbst die Au-
tokratie herzustellen, wenn es nicht anders möglich wäre, sich
gegen die autokratischen Staaten um Polen herum zu schützen,
deren erster Grundsatz es sei, die Nachbarn auf alle Art zu
schwächen. Er räth, das Heer, die Abgaben zu vergrössem,
einen erblichen König, einen permanenten Reichstag einzuführen,
die Executivgewalt in Commissionen zu concentriren. Aber
ausser dicgen sehr verständigen Rathschlagen enthielten seine
Bücher auch noch etwas weit Neueres und WerÜiYolleres. Sie
hatten einen Mann zum Verfasser, der nicht auf dem Wege der
Abstraction zu der Ansicht gekommen war, es sei notbwendig,
das Volk zu heben, zu befreien und es mit der Szlachta in gleiche
Rechte zu setzen, sondern der ein wirklicher Demokrat war, der
alles das persönlich erprobt, was die Nichtadeligen von der jahr-
hundertelangen Ungerechtigkeit zu leiden hatten, und der für
die enterbten Elemente Raum zu Bchaffen suchte in rauher
aber stürmischer Rede, mit Worten, die unwiderleglich waren,
wie eine tiefe üeberzeugung, und brennend, wie glühende Lava.
Er legt sich keinen Zwaug an und nennt die Diuge beim
rechten Namen; die Schuld des VerfeUs wälzt er ohne Um-
schweife auf die Magnaten^; er hatte berechnet, dass die Hälfte
des F^chenraums Polens Monopolgüter waren (Starosteieu, geist-
liche Güter, Tafelgüter des Königs), dass von der übrigen Hälfte
nach Ausschluss des Bauei-nantheils nur 800 Quadratmeilen auf
10000 wirkliches Eigenthum war. 300000 Mann Truppen lassen
sich nicht ohne Steuern halten; man kann weder Truppen noch
Steuern haben ohne Aufhebung des Frohndienstes und ohne dass
man das Recht des Eigenthums auf das ganze Land ausdehnt.
„200 Millionen Morgen Land und 7 Millionen Menschen — das
ist das Material, aus dem die 300000 Soldaten und einige hun-
dert Millionen Steuern zu beschaffen sind. Die Erde wird ihre
Ertragsfähigkeit vergrössern, wenn sich die auf ihre Behauung ver-
wendete Arbeit mehrt; und nur diejenigen Leute werden mehr ar>
' „Wer lehrt auf Jen Landtagen Verratb, Gemeinheit, Gewoltthat? wer
betrügt die Szlauhta, besticht sie, macht sie trunken? die PaDe. — ^IVerpara-
lysirt die geaetzgobende Gewalt, sprengt die Reichstage? die Pane. — Wer
hat das Gerieht in einen Markt verwandelt? die Pane. — Wer hat die Krone
verkauft? die Pane. — Wer hat die Krone gekauft? die Pane. — Wer bat
fremde Truppen ins Laod gebracht? die Pane."
...., Google
Stttnistaw Staazic. 175
beiteu, welche in den Stand gesetzt werden, Ginindbeeitz zu er-
werben." Vom Verfasser wird das Wort hingeworfen, die Bauern
seien mit Land zu verseben in ferner Zukunft, zu der man durch
politische Reformen gelangen müsse, durch Gleichberechtigung, Auf-
hebung der Privilegien, durch Beseitigung des Schmarotzerthums
nnd derjenigen Classen, welche von fremder Arbeit leben, und durch
SoUiesEung der Noviziate der geistlichen Orden. Staszic erscheint
als erster Apostel der echten polnischen Demokratie. Er vereint
iwei neue nnd seltene Eigenschaften in sich: er erkennt, dass
der Schwerpunkt der Gesellschaft in den rechtlosen Massen
U^t, die man heben müsse; aber er ruft sie nicht zur That
durch Aufreizung ihrer thierischen Instinkte, sondern im Sinne
der Pflicht znr Arbeit und im Geiste einer strengen Bisciplin.
In seinen Plänen ist er radicaler als irgendjemand von seineu
Zeitgenossen; aber alle Neuerungen projiciren sich von oben nach
«Bten nnd haben die Aufgabe, die zu socialer Thätigkeit aufge-
mfeuen Massen moralisch zu erziehen. In literarischer Beziehung
brachte er nichts weiter hervor, was den „Betrachtungen" und
den „Warnungen" gleichgekommen wäre, aber in der zweiten
gleich fruchtbaren Hälfte seiner politischen Thätigkeit zeigte er,
wie ernstlich er um die Bauern und das Wohlergehen der Massen
besoi^ war. Mit einem durch Arbeit erworbenen und bei den
Zamojskis verdienten Kapital kaufte er 1801 die umfängliche
Herrschaft Hrubieszöw in der Wojewodschaft Lublin, brachte
hie in Stand und befreite die Bauern, indem er alle gutsberr-
hchen Grundstücke an die Gemeinde schenkte. Alle seine Mittel
verwendete er zu philanthropischen Zwecken, ging im Theater auf
den billigsten Platz und zahlte 70000 poln. GuMen an Thorwaldsen
für das Denkmal des Gopernikus in Warschau vor dem Hause der
Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften (jetzt dem ersten
GjmDasinm), deren Präsident er von 1808 an war; er schuf den
Beigbaa im Königreich Polen, war actives Mitglied der Com-
DÜssion für Unterricht und Cultus, Ebrenstaatsminister mit einem
Sitz im Staats- und Administrationsrath des Königreichs. Im
Jahre 1812 schützte er im Staatsrath des Herzogthums Warschau
den Educattonsfonds, der stark in Gefahr war geplündert zu
»erden infolge der Streitfrage, ob die Schulen ein Vorrecht
lütten, aus den ehemaligen Gütern der Jesuiten befriedigt zu
werden, oder ob sie diese Befriedigung erst nach Auseinander-
Ktzuug mit den andern Gläubigem der Inhaber dieser Güter
ü,g :.._.. ..Google
176 ViftTtCf Eapitel. Die Polen.
zu empfangen hätten. Die Stimmen gingen in dieser Frage
auseinander, aber die Vertheidiger der Gläubiger verBtummten,
als der alte Staszic aussprach: „unser Volk boffe nicht auf
Wiedergeburt; unsere Kinder werden es vemicbten, von ihren
Vätern zur Unwissenheit verurtheilt." In politischer Beziehung
war er ein Verehrer des Kaisers Alesander I., als des 'Wieder-
herstellers Polens, und Panslaviet, der das Heil des polnischen
Volkstbums in einem engen Anschluss an Bussland fand. ^
In Staszic hatte die Reformidee ihren Theoretiker, in KoH^-
taj erlangte sie ihre lebendige Verkörperung. Hugo Kotl^taj
(1750 — 1812), ein Nachkomme der Emigranten aus dem Smo-
lenskischen Adel, welche sich nach dem Andrusower Waffenstill-
stand im Sandomirskischen Gebiet niedergelassen hatten, trat in
den geistlichen Stand nur deshalb, weil dadurch die Carriere er-
leichtert wurde, und er einen unermesslichen Ehrgeiz besass,
begleitet von einem glänzenden Talent ersten Ranges and von
einer überwallenden Thatkraft. Alles gelang dem jungen Ge-
lehrten, was er nur mit seiner kundigen und gewandten Hand
anfasste. Die vermoderte Akademie zu Erakau war zu refor-
miren; Kott^taj wurde 1777 von der Educationscommiseion als
Visitator dahin gesandt, säuberte diese Augiasställe der Scho-
lastik trotz heftiger Opposition und war dort drei Jahre Rector
(1782 — 85). Darauf kehrte er nach Warschau zurück, ine eigent-
liche Centrum der politischen Bewegung und in eine Sphäre, in
der sich dieser gefügige Geist, diese mächtige Natur, dieses
revolutionäre Temperament, das direct oder auf Umwegen
seinem Ziel zustrebte, ohne sehr wählerisch in den Mitteln zu
sein, wie in seinem Element bewegte. Das bescheidene Amt
eines litauischen Referendars gab ihm keinen Zutritt zum Steuer-
ruder der Regierung, auch in den Reichstag war es nicht mög-
lich ohne Verbindungen zu gelangen; KoH^taj wählte die Fresse
als Stufe zur Macht, und gab heraus: „Briefe eines Anonymus
an Stanislaw Malachowski" („Do St. Malachowskiego o przy-
B^m seymie anonyma listöw kilka"), eine Broschüre, worin mit
' „Oatalnie da wspc'itrodaküw atowo" („Letztes Wort an meine Land«*
leute", Warschau 1814); „Mjbü o röwnowndze pulitycznej w Europie" („Ge-
danken über dag europäifli-he Gleichgewicht", Warschau 1815). Vergl. Per-
Wolf, „Slovanake hnuti mezi Poläky 1800—1830" (im fechiichen Journal
Otvita, 1879).
.._..., Google
Hugo Koll|t^. 177
uDgewöhulioher Genauigkeit und Klarheit, mit staunenerr^euder
Lopk, iD Toriiigliolier Sprache die Aufgaben der Iteform formu-
lirt wnrden.' 1d dieeer firosehure zeigte sich Kott^taj als ge-
«iJtiger Dialektiker und als der erste Prosaiker des ansgebenden
IS- JahrbimdertB. Er sammelte eine ganze Partei in der Litera-
tor lun sich, stand an der %itEe der äussersten ProgreBsisten;
eine Menge ßlätter nnd Pamphlete gingen nach einem damaligen
&QBdniek „ans der Schmiede KoU^taj's" hervor. Sein uner-
aüdlichster Mitarbeiter auf diesem Gebiet war ein bissiger Sa-
tiriker, der Priester F. S. Jezierski, Verfasser von „Go-
vorek" (1789), „Rzepioba" (1790), des „KatechiBmus von den
Geheimnissen in der polniBchen Regierang" (1790). Die Auto-
rität Koli^taj's, die er sich sozusagen im Kampfe erobert hatte,
war 80 Btark, daes man ihn, der Icein Mitglied des Reichstags
*u, 1790 in eine besondere Reichstagsdeputatioo zur Reform
iei Verwaltung wählte. Als er da« Gesetzesproject auf dem
Beichstag vertheidigte, zeichnete er sich als Redner aus; endlich
BBsste man, wenn man das Gesammtergebniss der Reichstags-
thstigkeit einer Person zuschreiben könnte, Koll^taj den Haupt-
nrhaber der Constitution vom 3. Mai nennen; alle Übrigen Per-
woen waren thatsächlioh nur seine Gehüifen; die Idee der
Iteform legte er selbst iBX in dem motivirten Plan der-
Belben, der 1790 unter dem Titel: „Das politische Recht des
polnischen Volkee" („Prawo polityczne naroda polskiego") her-
uigegeben wurde. Der Gulminationspunkt der Laufbahn K<4-
iqtaj's war der Moment, als ihn nach Publicining der Cousti-
tioD vom 3. Mai 1791 der ihm nicht gewogene König zur Beloh-
mrag fHr seine snzweifelbaften Verdienste zum Minister erhob,
iftdem er ihn z«m Unterkanzler machte. Jetzt kam aber die
Vtnachimg und es zeigte sich, dass der Charakter KcJl^taj's
s^er Genialität nieht entsprach, die Probe nicht bestand. Am
24. JiK 1792 in der Sitzung des Ministerraths aus Anlass der
' Wir fiUlren eine Probe an; „Was ist detm unser Land? £b ist
kedne Monarchie, da eine eolcbc mit dem ALIebeo des Haufe» der Ja^el-
Ionen aofgehört hat. Ea ist keioe Rcpiililik, weil diese nur alle Tiwei Jahre
laf sechs 'Wochen eintritt. Was ist es denn nun eigeutlicli? Es ist eine
MsUechl«, verdorbene Maschine, die Einer nicht im Stande ist eu bew^eo,
all« tniammen nicht bevegen wollen, aber jeder für sich allein zum Stocken
bringen kann."
FiTO, StoTlwh« LlisrtiureD. tl, 1. 1 j
...., Google
178 Viertea Kapit«!. Die Polen.
Forderung der Kaiserin, uttverznglidi von der Constitiition zarück-
zutreten nnd sich mit den der Conföderation von Tsrgovica
zu vereinigen, gab K<^taj seioe Stimme für den Eintritt in
die Conföderation ab und eohloss sich dereelben perBöolicb an,
indem er sich mit der unerfüllbaren Hoffnung schmeichelte, viel-
leicht auf die Conföderation einzuwirken, d. h. sich mit den Tod
feinden der Reform zu versöhnen nnd etwas von der Constitution
zu retten. Er reiste nach Schlesien, schrieb 1793 ein Pamphlet
über die Constitution in der Form eines historischen Werkes
(„Vom Entstehen und Untergänge der polnischen Constitution vom
3. Mai" — „0 nstanowieniu etc.")', worin er unter Verdrehung
der Wahrheit in rabulistischer Weise seine Partei weiss wusch
und alle Schuld auf den König wälzte, den er ebenso als Ver*
räther darstellte wie die Conföderation von Targowica; darauf
(1794) trat er wieder im Lager Eoäciuszko's und in Warschau als
enragirter Demagog auf, der mit der Bewegung des Pöbels sjm-
pathisirte, gegen den Volksrührer intriguirte, und sich den W^
zum Dictator bahnte.^ Später folgte seine lange Haft inOImUtz
und ein vagirendes Leben in Volynien und im Herzogthum War-
schau. Weder Genie noch Qeistesfrische noch Unternehmungs-
lust, noch die Freundschaft mit Czacki und Sniadecki vermochten
die Erinnerungen an die Ereignisse von 1793 und 1794 zu ver-
wischen , wo sich K(^%taj von so schwacher Seite gezeigt hatte.
Die Partei der Patrioten war gemäss den von Rousseau ent-
lehnten Lehren republikanisch; entschieden auf die Seite der
erblichen Monarchie und einer grössei'n Centralisirung überzu-
gehen, ward sie durch eine andere nicht weniger zahlreiche Gruppe
von Leuten veranlasst, die in einer gemässigtem Richtung wirkt^i,
den sogenannten Monarchisten oder Parteigängern des Königs; sie
hatte ihre Schriftsteller und Dichter in Namszewicz und Trem-
becki. Endtich antworteten und veiiheidigten sich in der Lite>
ratur die Conservativen, die Anarchisten, die künft^en Gooföde-
rirten von Targowica, die in zwei Abstufungen zerfielen, in die
einfach adelige und die magnatische.- Ein einflussreicher Schrift-
steller in diesem Lager war der Hetman Severin Rzewnski (1743
— 93), der auf Anordnung Repnin's nachKaluga verbannt wurde,
über die Schmälerung der Hetmansgcwalt erzürnt war, und damit
I Deutseh (von S. G. Linde, a. 1. 1793).
' Krftsi-i- wslt i. ..Pdlskn w czaeie 3 rozbioröw",
..., Google
J'ulian fiiemoewioz. 179
endete, dass er eioe Säule der Targowicer CoofoderatioD warde
(„Deber die Thronfolge in Polen" — „0 sukcessyi trouu w
P(rfsee", 1789). Unter den Pnblicisten venoerken wir einen sehr
oiigineUeii nnd zaweilen witzigen Sonderling, Jacek Jezierski,
Otetellan von Lnköw, welcher die Confiscation der Kircbengüter
forderte, aber mch der Freiheit der Städte und der Verleihung
von Rechten an die städtiachen Bürger widersetzte-, den wüthen-
de& Rerolntionär in der Art der franzöaiBchen Jakobiner Adalbert
(Wojciech) Tureki, dem der Monarchist Trembecki eine Eesse*
rnngsanstalt in Aussicht stellte, und eine Menge anderer. Diese
ganse dem umfang nach gewaltige Literatur fand ihre Verbrei-
toDg in fliegenden Blättern, Versen und Broachüreu, aber nicht
mittels der Zeitungen, die damals ganz ohne Werth waren und
nur die trockenen Thataachen ohne jede Benrtheilang ent-
hielten. Als nothwendige Ergänzung zu dieser rein politischen
Literatur des Tierjährigen Reichstags diente das Theater; es
gibt Stöcke, die von der Erinnerung an gewisse Momente des
grossen Todeskampfes untrennbar sind, und in bester Weise
die gegebene Situation in ihrer ganzen Vollständigkeit cbarakte-
areo. Dahin gehört „Die Rückkehr des Landboten"*, eine
dreiaetige hochpatriotische Komödie, die den livländischen
Reicbstagsabgeordueten Julian Ursin Niemcewicz, einen frucht-
baren Schriftsteller mit guten Intentionen aber sehr mittel-
mäßiger Begabung, zum Verfasser hatte (geb. 1754, Adjutant
Koäcioszko'B, dann dessen Genoase in der Gefangenschaft za St
Petersborg, dann Staatssecrettü:, letzter Präsident der Freunde
der Gesellschafi der Wissenschaften, gestorben 1841 als Emigrant
zu Paris). Dieses Stück, zum ersten mal 16. Januar 1791 in War-
schau aufgeführt, erlangte eine grosse Popularität, obgleich es dem
Inhalt nach sehr achwach ist. Es spielt auf dem Lande und stellt
dieFandlien zweier Gutsbesitzer dar: einen fortschrittlichen, pa-
tiiotjscben Unterkammerer and einen in adeligen VorurtheUen
Teiknöcherten Starosten, der mit Schmerz der sächsischen Könige
gedenkt, als „man ass, trank, nichts that nnd die Taschen yoll
hatte"; als „ein einziger Abgeordneter ohne Intrigue und ohne
den geringsten Verrath einen ReichstagsbeschlusH sistiren konnte;
all er die Wage des Vaterlandes in den Händen hielt, sagte: ich
)h (ron 9. 0. Linde. Strasaburg 17d2), eine andere AoBgube
I. Leipzig 1792).
.....Güot^lc
180 Vierten Kapil«]. Die Polen.
bewillige nicht, ja auf Praga losiog . . . «od für eein Vorgcfa^
Beförderung und bisweilen auch noch einige Dörfer enpfiog."
Der Sohn deB Unterkämmerers, landschaftlicher Abgeordneter aaf
dem Reichstag und ganz von den grossen politischen Fiagen
eingenommen, kommt nach Hause v&hrend einer Vertagung der
Sitzungen , Terliebt sich in die Tochter d«s Starosten, aber ihre
Stiefmutter, eine sentimentale Dame, vwlobt sie mit einem
neumodischen Stutzer, der es jedoch nur auf die Mit^ft ab-
gesehen hat und eich lossf^t, als er erfährt, dasa eine aolobe
nicht vorhanden, während sein imeigenntitziger Nebenbuhler die
Braut ohne Mitgift nimmt. Die patriotischen Stellen in diesem
Stück brachten das Publikum in EotzÜokm, der leichte und
spielende Wits traf sein Ziel; die ßeacüonäre fühltan sich belei-
digt, und im Jahre 1792 deutete in einem UniversaJe der.Targo-
wicer ConfÖderation Felix Potocki auf NiemoewicH mit den Wor-
ten hin: „bald werden sich die Hi^rionen auf den Theatern er^
frechen, die frühere Regierung und die jahrhundertealten Rechte
der Nation zu verspotten." Ein anderes Stuck unter dem Titel
„Das Wunder oder die Krakowiaken und Göralen" ist gleichfalls
eng mit dem Aufstände Koäciuszko's verbunden; es enthält niohtc
Politisches und ist eine Mischung von Schauspiel, Posse und Ballet
Indem e« in gelungener Weise die beliebtes Motive der künftiges
Romantik anticipirt, bringt es das lebendige volksthümliche Ele-
ment in seinen Gostümen, in seinen typischen Redensarten und
Hochz ei ts gebrauchen auf die Bühne; es geschah dies En derselben
Zeit, als der Bauer zur Waffe gerufen wurde, als sich AbtheUaa^
gen von Sensenmännern bildeten, und der Volk^ilhrer den weis-
sen Bauemrock anlegte. Verfasser dee Stückes war ein dam^s
sehr populärer Mann, dessen Name schon oben erwähnt wurde,
verabschiedeter Offizier , dann Schauspieler und dramatischer
Schriftatelier Adalbert (Wojciecb) Boguslawski (1760— 1829), der
nach dem Untergang des Reichs fast alle irühern Gebiete detnel-
ben mit seiner Truppe bereiste and 1811 eine dramatische Scknle
in Warschan errichtete und so zum virkllchon Begründer der
polnischen Bühne und ihrer Traditionen wurde.* Endlich ver-
zeichnen wir zum Schluss der XJebersioht der {polnischen Lita-
ratur im 18. Jahrhundert eine ungewäbnliche Fülle sehr inter-
> Eine Sanutüuiig der Werke fiogiuttiwHki'a, meirt Udbenettnngen,
Verlag von Glücksberg in Warschau (12 Bie., 1880—38).
...., Google
Der politinobi; Zusanimtüibrucli. Igl
essuiter Memoiren, von denen foTtwährend mehr aufgefunden
werden. Den ersten Rang unter ihnen in Bezag anf Reich-
thuin an Einzelheiten zur Charakteristik der Sitten nehmen die
AAeiteD des Andreas Kitowicz (1728—1804) ein, eines frühem
Conföderirten von Bar, dann Priesters, eines erfahrenen Hannes,
Hamoristen, Sonderlings, der, wenn er auch zuweilen mit Partei-
Hcbkeit und ohne Kritik klatscht nnd übertreibt, doch das leben-
digste Bild der polnischen Republik zeichnete.'
Nachdem die Kterariscfae Bewegung des 18. Jahrhunderts in
Polen in ihren Hanptinomenten bis zu der Terhängniss^oUen K&-
tutrophe dargestellt ist, velebe dem Staate ein Ende machte
Dod die geütige Entwickelong der Gesellschaft auf lange Zeit
nn Stillstand brachte, gebührt es sich, diese Katastrophe selbst
n berühreo, am dann zu bestimmen, inwiefern sie auf die weitern
(icschioke der polnischen Nation and besonders auf die polnische
Literatur als den Auedmok dee Selbstbewustseins, das fortfuhr,
n den noch nicht erschöpften Aufgaben des Volkslebens zu ar-
beiten, eingewirkt bat
Infolge der poUtiscb abhängigen Lage, in der sich Polen sei-
nen Naohbam gegenüber befand, war seine Restaurimng und
Beorganiairung nicht nur durch die innere Bereitschaft bedingt,
sondern aacb besonders durch günstige äussere Verhältnisse.
Dieser Zeitpunkt kam, als 1787 Russland auf langehin mit dem
Eriege gegen die Türiien besohäftigt war, wobei ihm Oesterreicb
half, als sieb gegen beide Staaten ein englisch -niederländisch-
jirmsaiscbee Bündniss bildete und der neue preussische König
Aiiediiob Wilhelm Polen seine Unterstützung gegen Kuesland an-
bot Alle sogenannten Patrioten waren dafür, von diesem Aner-
bieten Gebrauch zu machen. Die sich bietende Gelegenheit war so
verlockend, dass es der Patrioten-Partei gelang, wenn auch nicht
ohne Mühe und Schwankungen, die Partei der Monarchisten und
selbst den König anf ihre Seite zu bringen. Letzterm fehlte es
Teder an guten Absichten, noch an Consequenz, noch an dem
Wünsche, sich der öffentlichen Meinung zu acconimodiren, es
fcUte ihm nur an Heroismus im kritisohen Moment. Diese An-
näherung der beiden Parteien, die über die Zukunft der Reform
' Seine yertchiedenen Werke herausgegeben von Graf E. Rai
in Posen lSlO-15.
...., Google
\S2 Viertem Kapitel. Die Polen.
eatBcbied, ToUzog eich in der übermässig lange ftosgedebnien
SeasiODsperiode dee Reichstage, welcher im October 1788 in
der Absicht berufen wurde, die Uoterstübnmg Roeslands im
türkiscben Kriege gemäss der Confereuz su Kaniöw 1767 zu to-
tireo, aber mit der Aufbebnog des Beständigen Batbes begann
und zu einer Älliance mit Preussen schritt, zu welcher der
Bchlane Italiener und preussische Gesandte Lnoche&ini (von Kra-
sicki als Organist dargestellt) lockte. Auf der Seite Rnsslands
blieben nur wenige ConservatiTe mit den Oligarchen Xaver Bra-
nicki und Felix Fotocki an derSpitse. Diese Partei von Eiferern
für die Privilegien und für die „goldene Freiheit", die ohne äus-
sere Unterstützung nicht denkbar waren, konnte sich nicht direct
widersetzen, aber hemmte den Gang der Refonnen, unter Be-
nutzung aller constitutionellen Mittel za Verschleppungen. Der
Reichstag zog sich in die Länge und Hofamolz znsammen; um
seine Existenz zu verlängern, bescbloss er 1790 Neowahlen vor-
zunehmen, damit die neugewähltau Al^eordneten den frühem
Abgeordnetenbestand verstärkten und das Abgeordnetenhaus in
verdoppeltem Bestand tage. Die Grundpjincipien der Reform
waren schon fertig, der Plan der Constitution aosgearbeitet.
£e hob das liberum veto und die Conföderation auf, machte den
Thron nach dem Tode des kinderlosen Königs im Bächsiscben
Hause erblich, auf das dann der Thron übergeben sollte,
händigte dem Abgeorduetenhause die gesetzgebende Gewalt ein,
gab dem Senat nur das Recht, ein vom Abgeordnetenhanse an-
genommenes Gesetz, wenn er es nicht bestätigte, dem folgenden
Reichstag zur Revieion vorzulegen. Mit der vollziehenden Ge-
walt ward der König bekleidet im Verein mit dem Hinister-
rath. Die MiniBter waren verantwortlich; die Erlasse des Kö-
nige mussten von den Ministem bestätigt sein. Die Gerichte
wurden durch Wahlen ergänzt. Die Vertreter der Städte wur-
den in städtischen Angelegenheiten zum Reichstag zugelassen; die
Städte erhielten Selbstverwaltung, die städtischen Bürger das
Privilegium: neminem captivabimus, und das Recht adelige Güter
zu kaufen, womit ihnen ein weiter Zutritt zur Szlachta eröffnet
wurde. Den Bauern vrurde der Schutz der Gesetze versprochen
und für die Zukunft ein Uebergang aus dem Frohndienst in das
Verhältniss der Zinspöicbtigkeit und der persönlichen Freiheit in
Aussicht genommen. Die Umstände drängten zur Eile, dasBijnd-
nisR mit PreusGCn kam ins Schwanken, letzteres söhnte sich mit
ü,g :.._.. ..Google
Der politiaehe Zutammenbmoli. 183
Oesterreich aus, und forderte offen als Preis für die Alliance
die Abtretang von Danzig und Thorn. Damals wurde zwischen
dem König and dem Führer der Patrioten in grÖEster Heimlich-
keit derUmschwnng vom 3> Mai 1791 verabredet; in einer nenn-
rtöndigen Sitznng wurde das fertige Project der Constitution vor
den Beichstag gebracht, der Discnssion unterzogen, angenommen
UDd dnrch den Eid des Königs und der Mitglieder des Reichs-
tagg bestätigt. Dae Ereigniss überraschte durch seine Unver-
hofftheit, ond wurde mit einer so allgemeinen Sympathie auf-
genommen, dass die Opposition in der ersten Zeit ganz ver-
Rtommte nnd die polnische Regierung ein ganzes Jahr Freie Hand
behielt. In diesem Jahre bereitete sie sich nicht vor, sich zu
schützen, Tereah sich weder mit Truppen noch mit Geld-,
währenddes zogen drohende Wolken heran: am 6. Januar 1703
Bchlosfl Rassland mit der Türkei Frieden, es kamen Abmachun-
gen zwischen den Höfen von Petersburg, Berlin und Wien zu
Stande, im Mai desselben Jahres rückten russische Trappen
in Polen ein ond es bildete sich die Targovricer Conföderation
gegen die Constitution vom 3. Hai, welche eine Wiederherstellung
der alten Ordnung mit Hülfe Rnsslands forderte. Der Reichstag
bielt seine Angabe für beendet und ging auseinander, nach
Uebertragnng aller Vollmachten auf den König. Der König er-
gab räch auf die Anforderung Russlands und trat, nachdem er
och von der Constitution losgesagt, der Targowicer Confödera-
tion bei. Ende 1793 folgte die zweite Theilung Polens auf dem
Beidistag zu Grodno, alsdann 1794 der Aufstand Ko^ciuszko's,
die Einnahme WarBchau's und die dritte definitive Theilung
donsh die Verträge des Jahres 1795. Rnssl&nd empfing seine
jetdgen westlichen Landstriche, ausser dem Königreich Polen
ond dem Bit^jstoker Bezirk am Niemen und Bug; in das
jetzige Königreich Polen mit einem Theil des Gouvernements
Grodno theilten sich Oesterreich und Prenssen mit den Grenz-
flÖBseD Pilica und Bug; Warschau kam zum Antheil Preussens.
Mit der polnischen Gesellschaft ereignete sich das, was sich
dann bei jedem der folgenden Aufstände wiederholte, nämlich
diBs die obere Culturschicht, wenn auch nicht weggeschnitten, so
doch wenigstens tief durchpflügt wurde; die politischen Persönlich-
keiten fielen oder schmachteten in der Verbannung oder flohen ins
Ant^and and legten den Grund zur polnischen Emigration, die
einen beträchtlichen und nicht immer nützlichen Einfluss auf die
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184 Viertes Kapitel. Di« Polen.
Schicksale des Volke und der Lit«rator f(u«übte. i^a grosser
Theil der Magnaten ti«t bei den Höfen von Petersbarg, Wien
und Berlin in Dienste. Einer der veretiijidigst«n polnieclieB Pa-
trioten in der Zeit nach dir Theilung und ihr ejnflussreichatei!
Schriftsteller, Johann Sniadecki, brin^ in folgender Wwee
die Stimmang aller nüchtern denkenden, urtbeilsfähigen Zeit>>
genossen der eben zusammengebrochenen GesellBchaft ■Hkta
Ausdruck: „Nach dem Verlust des Vaterlandes, des höthsten
Gutes edler und den allgemoinen Interessen ei^ebener Seelen,
sind wir durch einen harten Spruch Ternrtheilt, in uns selbst
grade die Bewegungen zu Temichten und zu unterdrnofaeo,
welche in uns erzengt worden durch die Erziehung, Gewohn-
heit und durch die Sehnsucht nach dem Gemeinwohl, die alle
unsere geistigen Kräfte, Fähigkeiten und Talent« belebt habCfo.
Jetzt musg der Pole sich selbst überleben, in sich eine andere
Seele erzeugen und seine Gefühle in die engen Grenien des p^r-
aönlicben Seios einschliessen ; diese Bestimmung ist hArt, aber
sie ist ein Gesetz der durch nichts zu überwindenden Wii^ich-
keit, dem man sieb unterwerfen musg. Laest ans aber die Früchte
der Bildung benutzen, um das uns hart drückende Schicksal er-
träglich zu machen." ^ Die durch das Gefühl der Nationalität
verbundenen Mengchen verloren ihre gewohnte gesellschaftliche
Sphäre und fühlten sich in Elementen, die ihnen ganz fremd
waren; nickt gleich fanden sie sich in den neuen Verhält-
nissen und — gewohnt sich zu gruppiren — in den itenen
Verbindungen zurecht. In der ersten Zeit war gewisseimasBeR
ein Stillstand in den organischen Lebensfunctionen eingetreten,
sodass sich in der Geschichte der Literatur ein ziemlioh grosser
Riss, etwas in der Art eines grauen Streifens bildet, der den Mo-
ment des politischen Untergangs von dem B^nn der literarischeB
Wiederbelebung trennt. In dieser Zwischenperiode sind die Vor-
gänge in der Literatur wenig zahlreich nnd ärmliob, aber in ättr
europäischen Welt gehen gewaltige Umwälzungen vor, welche die
Epoche der Revolution und Napoleons bezeichneten. Das Leben
der polnischen Gesellschaft gestaltet sich in jedem der nach
1795 getrennten Theile der ehemaligen Republik anders. Eine
detaillirte Betrachtung dieser Verschiedenheiten gehört in die
' Briof vora 12. Jan. 1804 iu dem Buche: ,,l,Iaty Jaiia l^oiaaccTriepn-
1788— IKW i autogfaföw" (Posüq 1878).
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Die Zeitan na*h Jer ThsiluUg. 185
tiwfdiwhte der Staaten, w^lolie ttn der 'fheituDg partloipii-tei) ;
flerLittratorhiskoriktsr hatniir di« igem^iDsaiim ZügedeeLeliäiis
4er eiozelneoi Tbeäle an verzeickaeo , insoweit sie sich im' uuven-
sdiTton VolksbeTUsstsein uad ui dessto Organ , der Literatur,
reäectirteii.
0. Die TTebergangszeit nach der dritten Tbeilung.
Am tchiräoIiBteD sobiBiDiwtQ die Lenölite der Literatur in den
fiebieten, welt^e öBterreicbiat^ gencirdeB vaien- Für Gralimen
bc^aim eine fiut funfiagjäloige (Tom Jahre 1772 an giarecbnet)
Periode tiefen geistigen SeUafes, «ährend welcher der Versnch ge-
madt wurde, die BevolkeruDg dnrcfc eingewanderte Beamte «ad
joreh deutsche ünterrioht^praöhe in der Schale an germauisim).
Die 1784 zu Laaiberg errichtete UinTerBität war .der Bpradie nach
(bvtich. Die galisische Tomebme Wjelt Eeddbnete sich dureh -ihre
Eidfrandung tob äM Sprache lind den Sitten der Heimat ans nnd
M^ng eine frastsösiscibeSalöBarai^iing.* Weit coBaequeafr^r -und
Bjftem^iBc^r ward dawelbe STstem der GermaniBiruDg in den
Tlieilen, welche an PreuBseu kamen, durofagelubrt, iadem hser
Boeh eiae Beibe von Begienutgemassregeln dazu kam, die darauf
gericUet mreo, daa Land mit Deuteohen zu colonisireti und an
die Stelle der polnifichea Grundbesitzer deutsche zu setxen. Die
pcdräche Geeellsohaft mied den Staatsdienet. In 'Warsobaü wurde
em Ljoeum' errlt^tet, die Gesellscfaaft der Freunde der Wit-sen-
sehaftea bewilligt, die für müeaige Geister als eine unacbuldige
UHterhaltoiig dieoen sollte. Die benem Ueberreste der polm-
sdien GeeeilsehaftiieseeB sich in Warschau nieder, aber hier in
eiBcai Flügel des kdni^icheii SchltraseG, den Fürst JosephPooia-
toireki, eÖB Neffe dee ehemahgen Königs, innehatte, zechte die mü&-
^Jagend der eogenaimien wackeria Barschen {t^tyz&a), fortge^
nsBen dnrcb das Beispiel des tapfern Soldaten, der eich im Verein
Biit EoieioBsko aosgezeiebBei halte und zur Untbätigkeit veriirtheüt
nr, bis moh ihm die Möglichkeit eröfEiiete, zu Pferde zu steigen,
nd ä^ in den NapoleoniEchen Kriegui für die Ehre des Itationa"
\n NaraoM (bonor Polaköw) zu schlagen.- Weit weniger gcoae war
^ Verändern^, weLobe die polnische Gesellschaft inneiliailb der
Grenzen Kusslands, erfuhr. Es lag nicht in den Plänen der Re-
' Zawadzki, Literatura w Galk-ji (iu rmcwodu. nauk. i lit. 1»77).
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186 Vierte« K»piteL Die Polen.
gierung, das polniache Element za isoliren, das dem nusiedien
Element dem Blute nach verwandt war ond deshalb nahestand
trotz des Verlaufs der Geschichte. Nach Petersbo^ richteten
sich sogar die Blicke vieler Patrioten. Eine der Personen, welche
dem jnngen Kaiser Alezander I. nahestanden, war der Fürst
Adam Czartoryski, Mitglied des kaiserlichen Comites, 18(@ — 1806
Minister des. Answärtigen nnd Cnrator der Universität Wilna.*
Er setzte die traditionelle Politik seines Hanses offen fort nnd
tränoite von der WtederberBtellnng seines Vaterlandes unter
dem Schatten der russischen Macht. Der Kaiser verhielt sich
zu dieser Idee nicht ablehnend, aber ehe sich die Bedingnn-
gen ihrer Verwirklichung fanden, griff Napoleon sie anf und
brachte sie in Gang zur Erreichang seiner herrschsüchtigeD
Zwecke. Dieser war mit ihr dadurch bekannt geworden, dass
zuerst unter den Fahnen der französist^en Republik nnd alsdann
nnter seinen Adlern Emigranten kämpften, die ihre Hofhnngui
nicht anf den Osten, sondern anf den Westen setzten, and auf
eine Wiederherstellung Polens durch europäische Umwälnmgm
rechneten, welche von Frankreich ab dem Centrum der gesararat-
enropäischen revolutionären Bewegung ansgingen. Nachdem er
Prenssen bei Jena zertrümmert, schuf Napoleon nach dem Til-
siter Vertrag von 1807 die freie Stadt Danzig, gab Bussland daa
Gebiet von Bialystok nnd bildete aas den Theilen, die von Preus-
sen bei den zwei letzten Theilangen incorporirt worden waren,
das kleine Herzogthnm Warschau, das er seinem Bundeegenoesen,
dem Eön^[ von Sachsen, zntheilte. Die neue Schöpfung der Po-
litik empfing eine Scheinconstitution, eine Armee, eine Venral-
tang nach französischem Master, den Code Napoleon und die
persönliche Freiheit der Bauern; ihr Zweck war, dem Kaiser
der Franzosen soviel Geld und Soldaten als mißlich zu liefern.
Sie kitzelte das NationalgefiihI mit den onbeetimmteiten Ver-
sprechungen. Im Jahre 1809 ward das Herzogthnm der Schan-
platz des Krieges zwischen Frankreich and Oesterreich. War-
schau wurde von den österreichischen Trappen eingenommen,
während die polnischen unter Joseph Poniatowski Westgalizien,
Krakan, Lnhlin eroberten -~ Erwerbungen, die dem HerzogUiom
nach dem Wiener Frieden von 1809 einverleibt wurden. Wäh>
I „Alexander I ot le princc Czartoryski, correspondanoe et converaations,
BDeo QUO introdnctioa do Ch. do Uazade" (Paris 1665).
...., Google
Die Zeiten nach der Theilong. 187
nad dw Vorbeituii^ za dem denkwördigoi FetdzDg nach Roeslaad
(1812) wurde nach dem 'Willen Napoleon's za Warscbaa eine
polnisebe nnd litaoieche Generalconföderation gebildet, an deren
SptM Adam Czartorfslu, der Vater, gestellt wurde, der noch
TOT korzem öeterreichischer Generalfeldzei^meister gewesen war,
während gleichzeitig sein Sobn, Adam, in eine unbequeme Lage
geliracht, Alexander I. seine Demission einreichte, die jedoch
aidit angenommen wurde. Rassland siegte, die Betheil^ang der
Polen am Napoleoniscbeu Feldzag rief keine Repressalien her- '
vor, aber musste natürlich dem rassischen Volke feindselige Ge-
föUe einpflanzen. Der Kaiser Alexander warde in seiner Ab-
ndit, Polen wiederberzneteUen, nocb mehr bekr^gt, aber diese
Absieht stiees aaf HindemiBae, sowol bei der enropäischen Diplo-
matie auf dem Wiener Congrese, die es nicht gestattete, alle
Tbdie Polens unter rassischer Herrschaft zusammenzufassen, als
uoh in den Gefühlen der mesischen Patrioten, die nicht znliessen,
dtw die Wiederherstellung die 1795 in den Bestand Rasslands
äbogegangeneo Gebiete berühre („kein Fubb breit Landes weder
dem Feinde noch dexß Freunde", sind die Worte einer Denk-
tehiift Karamzin's vom 19. Oct. 1819). Das Resultat dieser ver-
wickelten Sitaation war: die Rückgabe eines Tbeils des Herzc^-
tlmiiu Warsdiaa an Prenssen, eines Tbeils Galiziens an Oester-
löch, die Errichtung der freien Stadt Krakau, die Bildung eines
Congreeskönigreichs Polen mit einem aus zwei Kammern be-
stehenden Reichstag, das durch die Lage der Dinge von seinem
Hertscher getrennt mit diesem durch einen Statthalter ver-
k^rte. Dieser ganze künstliche Bau war locker und schwan-
kend; er ruhte auf dem onaicbem Boden eines unversöhnlichen
0^ unklar empfundenen nationalen Gegensatzes und IHstraaens;
er förderte in den Gebtem die Erhaltung unbestimmter Hoff-
nnagen auf etwas grösseres in der Zukunft, vereinte in einer
Hand zweierlei Regime, dae autokraüsohe und constitutionelle,
foa welchen das letztere unvermeidlich dem erstem weichen
aosite bei einem Gonflict der nationalen Interessen and bei
den allgemeinen Hauche der Reaction, der in Eoropa nach
da Napoleonischen Kriegen wehte. Obgleich die Constitution
eine verhängnissvoUe Gabe war und ihr aller AYahrBcheinlicbkeit
nach, in Anbetracht der weitem Folgen, eine provinciale Au-
tonomie mit politischer Incorporirung des ehemaligen Herzog-
thums in Ruseland vorzuziehen gewesen wäre, so ward sie nichts-
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188 Viertes Kapitel. Die Polun.
destewenigw in der errsten Zeit mit aUgemeisem Jube) begrügat.
Er kun der HomeBt der Freude ali der Ctegenwirt^ de« 6e-
tinsses der Wohitbaten dee Friedens nach so -riol UiigeMaeh, es
Btellte sich daB Sti-elMn uach geistiger Eat#icke)uiig ein ; die
Schulen wurden reorganisirt, am 7. Nov. tSlÖ die Alexander-
UniTersitst inWarsobaa erriobtet. Noofa eiQ ^ug, der gans nen
ist, macht sich bemerklieb: die Bemilhiiiig um AnnaberuDg und
Gemeinschaft mit den östlichen Btuttmeegmossen a»{ iem
' Boden der slaTischen Idee. ^ Unerwartet erscheinen auf diesem
Gebiet bedeutende Arbeiten. Ein geborener Thoner, Dentsdier
von Herkunft, ßasonel G«ttlieb Linde -(l}71 — 1847). Directot
des Lyceums bu Warschau gab (1807—14) in »eebs Bänden ein
polnisches Wörterbuch heraus, worin er die polnische Sprache in
leiicaler Beziehung mit den andern elavlschen Sprachen Tergbofa
nnd die Wörter mit Beispielen aus den SiAriftstellern erläuterte.
Adam Czarnocki, bekannter nnter dem Kamen Zoryan Dot^ga
Chodakowski (1784—1825), unternahm seine Beiseo Jn die »la-
Tischen Länder in der Absicht, das vorhistorische Leben des
Stammes zu entdecken und aufzuklären. Ignaz Rakowieoki
iintersuchte die ,,Pr&TdaRus6lca" („Das russische Hecht", Wateten
18S0). Endlich bereitete sein umfangreiches Werk im Gebiete
der vergleichenden Geschichte der slavischen Gesetsgebungen der
letzte von den noch lebenden Slavjsten jener Zeit, Alexander
Wachiw Maciejowßki (geh. 1793) vor, die erste Ausgabe in
4 Bänden, 1^3—36*, die Eweite in 6 BändAi, l^—65.
Auf dem Gebiete der Poesie war der Vertreter dieser slkTÖphilen
Richtung, die nicht lange dauerte und fast spurlos Terschwanden
ist, eine in jeder Beziehung herrorragebde Person, die nach jetner
Seite hin noch nicht genug gewürdigt ist — Johann Paul Wo-
ronicz (1759—1829). Dieser, Volynier von Geburt, ^noniktiB
in Warschau, dann 1816 — 27 Bischof von Kntksu, suletst Ton
18S7 an Primas von Warschau, hatte eine Irinreissende Gftbe
des Wortes, die an Skarga erinnerte. Er hatte wie dieser Ge-
legenheit zu predigen, wenn auch nicht aus Anlass grosser J>eig-
nigse, so doch an den Gräbern grosser Männer: b^ O^egenlüeit
des feierlichen Leichenbegängnisses Joseph Poniatowski's 1817 und
'Deutsch voü l\ r. BuBs uuil M. Nswrocki (lüde, Stuttgart
1835-39).
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Eoadnsiko'B 1S18 in Krskaa, bei G^genheit des Todes von
Mam Gtattoiyski, dem Vater (1833), des Kaigers Alexandec.
Ab Didito: at^ilägt er den Weg ein, den niobt lange nadi ihm
£e roma&tisc^ Foctie betreten sollte, dem aber auch Johann
fiollär mit. seiner „Slavy Doera" („Der Sl&va Todiier") .1821
folgte. In seiner Poene läset sich leicht rerfolgcn, irie sich sein
warmer nationaler Patriotkmafl zu geoeralisiren und in d«Q Fani-
diriBnoB iiberzagehen socht. Der Donnev war erdröhnt, die Pro-
phaeiaDgen vom Untergang, wie ae von Sharga angefinDgen er-
töaten, waren in Erfülluhg gegangen, an die Stelle der boshaft
geifiulnden Satire traten Geföhle unbegrenzter Trauer, die Weh-
klage des Jerfflnias auf den Tiiimmera JenieaJem'a. Der Dichter
bnn die Ströme Bluts, die Leute nicht vergesaen, welche auf dem
Sdilachtfeld ron Maciejowice starben, nicht Axa Kämpfer, der si(^
mit don Bruchstück einer Sense vom Wawel auf die Feinde
itönte, noch den enttbronten König, „der hin- nnd berschwankte,
fOB macbiedenen Seitan ein Terst^iedenee Gesiebt hatte, allen
gat, «ir sioh selbst BchädHoh war, den man in die Fremde in
GefangtDscbaft föhrt und hinter ihm den gebandenen Troes."^
„Wo sollen wir bin, wir verirrten Waisen, wie Bienen ohne Wei-
sel, vertrieben a«8 dem Bienenstock, beraubt dsi' Bedeutung, des
Weseas, der Sprache, des Nfunens? Wo bist da, Land, das du
mich BeimatliOBen aufnehmen nnd mir den stiseen Namen dednee
Sohnes und Bürgers geben wirst? Vergebens wird jedes von
tjuii mich mit solchen Hofhungen täneohen -~ ich werde dir
«1 Sliefisobn sein nnd du mir eine Stieftautter. Stelle mich
mit« deine Satrapen, das ist mir nichts werth, wenn ich anf-
h^rea muss Pole zu sein. Der hat mobt im himmlischen Feuer
der Lidie zum Vaterlande geglüht, noch ist er von deesea
Snist, die Ueldenmaih einflösst, genährt worden, wer sich bereit-
«ilUg mit dem neuen Zustande aoasöhnt auf dem Grabe des
Vaterlandes. Was nätst mir die Luft, die ich in der Gefengen-
Bchaft atjiue? Und das Licht, welches mein elcatdeB Schicbeal
heknchtat?"^ Der Gram fuhrt mm Nachdenken, ee erbeben
«ich ethische Fragen,- welche die ganze folgeade Generation von
Siogem nsabläsng erregen: Wozu das Leid? aas walohem
Omode und dordh wessen Schuld? Weder Woronira noch die
' Sjbilla, 3. Gesang.
' Sfbilla, 4. Ge8BI^;.
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190 TiertM Kftpitet. Die Polen.
ihm folgeade Generation vermocliten diese Fragen xa lösen,
noch niemaDd hatte diese G«sefaidite Im iraf ihre- Wurwh er-
forscht, m&n kannte sie nur nach der letzten Katastrophe und
nach der grossartigen aber verspäteten Anstrengung, deren Krön«
die Arbeiten des vierjährigen Reichstags waren. Der Dichter
beschreibt mit Entbasiasmas, wie die „rostigen Thore des Inter-
regnums" geschlossen wurden, wie die mit Füssen getretenen
alten Gesetze wieder auferstehen und neue auftauchen, geschmie-
det mit dem Hammer einer seltenen Eintracht, wie sich die Kin-
der einer Mutter, die einander nicht kannten, Terhrüdem und
umarmen.* Bei der Unmöglichkeit die innere Ursache des Dnter-
ganga zu entdecken, leitet sie Woronicz aus der Vwlnn-
dung äusserer Umstände her; er schleudert donnernde FIfiohe
auf das „Drachengeschlecbt" der Verräther, auf die gedun-
genen Diener fremder Politik, er schmäht das egoistische Al-
bion seiner Herzlosigkeit halber, aber die Hauptschuld schiebt
er fast ganz auf die Deutschen, auf den Erben des Deutschen
Ordens — Prenssen. Er kann den Gimbem ond Teutonen die
Vernichtung der ruhmvollen Stammverwandten der Haveler,
Lnticer, Obotriten nicht vetgessen. Sigismund I. verzeiht er
nicht, dass er Preussen seinem NefFen zu Lehen gegeben bat;
am meisten beschuldigt er Prenssen wegen des hinterlistigen
Bündnisses, weil „es mit s;ÜB8er Miene die SchöpAing lobt, mit
deren Urhebern fratemisirt, mit der einen Hand die Alliance
unterzeichnet, mit der andern aber den verboi^enen Dolch
zückt und nach einem Druck auf die Feder das Herz trifft, stolz
auf die Gewandtheit, mit der es sich Vertrauen zu erwerben
gewusst hat."' Diese Erklärungen reichen nicht ans, die De-
ductioB ist nicht vollständig, die Thatsache des Unterganges
nicht motivirt; der Geist des Dichters beruhigt sich damit,
dass er diese unentschiedene Frage in Zusammenharg mit zwei
grossen Geheimnissen bringt: dem Geheimniss der Vergangen-
heit und dem der Zukunft; wie jene Vei^angenheit, so ist
auch die Zukunft eine gesammtslavisohe. Indem er die mythi-
sche Abkunft aller Slaven oder Sannaten von einem bibluofaen
Urahn, Simon Sarmoth oder AsBarmot (1. Mos. 10) , annimmt,
hatte Woronicz den Plan, die Schicksale des SlavMithnms und
» Sybilln, IT.
• Sybiii«, m.
.y Google
lobxan WoroBiob 191
det polniacheD Volkes in einem ganzen Gyclos epischer Sagen
dunstollen, die ein Buch Gedichte (pieänioksi^) bilden 80II-
tn. Dieser Plan kam nicht zur Auafühmng, nur Brnchstücke
and übriggeblieben: „ABsarmot", der Patriarch der sannati-
Kben Volker, der unter Prophezeinngen die kommenden 6e-
icUechter B^net (gesohriebeu 180&); „Lech" der mythiache Be-
grönder des polnischen Beicha (1807); drittens der „Reichstag
na Wiälica". In unmittelbarer Verbindung mit diesen Gedich-
ten steht die einzige von ihm zum Abschlusa gebrachte histori-
sch Dichtung: „Sjrhilla", in vier Gesäugen. Die Urväter er-
KbeÜMu in einem vranderbaren Gtanee. Schon im Lande Senaar
pbt ihnen Aasarmot unter Verheissung der nördÜcben Länder
das folgende Vermächtniss : „wenn ihr, Eahlloa wie die Sterne, und
ii Herzen und Sprache einig das Grenzland zweier Welten (Eu-
rqtss und Asiena) bilden «erdet, so betmchtet als eine Erbschaft
rm mir das folgende ewige Gesetz: euer Element sei die Tugend
utd ener Handwerk der Ruhm." Der Ankömmling Lech setzte
üch nnter die nördlichen Slaveu nicht als Eroberer, aondem ab
Bra^: „wir sind Bein vom Bein unserer Väter, wir sind ein
Beschlecht, überall athmen wir einen Geist." Wenn sich die
Slaven vereinigen wollten, ao würden sie die ganze Welt zer-
mahnen. Aber die Brüder haben sich gegen einander erhoben
oad leben in Zwist. Der Dichter ermahnt Sigismond III.: .andern
da das Mistranen mit dem Bande ewiger Eintracht ausgteiobat,
Tneinige die beiden blatsTerwaudten aUvischen Völker."
Der Rath iat nicht in Erfüllung gegangen, aber was sich
bnher nicht verwirklichte, wird in der Zukunft geschehen. Die
Gegenwart ist nur eine Zwischenstufe zu dieser Zukunft, eine
Zeit der Prüfung. Die Klage der Kleinmüthigen nnd das
Murren der Kleingläubigen wird durch die Donnerstimme dei'
Gottheit erstickt: „0 ihr bedauemswerthes Gemisch von Grösse
nnd Niditigkeit, wie lange werdet ihr, ohne eure Bestimmung
IQ kennen, ans derselben ein Spinngewebe von Klagen zusanuuen
qnnnen statt in den festen Grund eures Wesena einzudringen!
Wenn aof euem Vater und Lenker (Gott) die Schuld nicht fällt,
M> mnss nnter euch seibat die Quelle nnd Ursache von allem sein.
Du Uenechheit steht eine Verwandlung bevor; der neue Phönix
wird dch vielleicht aus eurer Asche erheben. Sobald ihr euch
iorch einen neuen Bund (mit Gott) vereinigen werdet and es ver-
dient, dass euer Ruhm wieder auferstehe, wird euer Geschlecht
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1^ Viertw Kapitel. Di« t>oleii.
:voii diesem Grabe niciit verBehlonge» verde«: Troja ging vntor,
tÜamitauB ihm Rom geboren werde." Diese ProphezeiVDgeD äb«r'
rasohen mit etwas ganz Neuen. Eau-gisobee Lebenebewusstsän
erwacht mitten im To4e in der eich seraetiMKieD Maeee, dabei
ist es mit «inem erstaunlich niiohterDen V«rsta»dniBS dafür tot-
bnnden, dass das neue Leben keine Forteetanng des alten, keine
Beetanriruog desaelben sei, sondern seine vollständige Metamor-
phoBe. „Theiloben des Vergangenen vinnelB' in den Trtlm-
luern und werden offenbar in anbekannten Gewächsen wieder-
geboren werden." - Aber dieses frische und neue Oeföhl EitJet
bei 'Woronicz keinen passenden Ansdmck; es'ergieset eich in
alten nnd abgenutzten Formen. Manches — und dabei doe Beste
~ hat er den alttestamenUiohen Propheten entlehnt; dieses re~
ligiös -biblische (}efühl war etwaS' senee nach den Philosophen
des 18. Jahrhunderte; ihm verdanken seine Werke, di6 er.zn
Le1t«eiten nicht herausgab, ihre schnelle Verbreitung in Hand-
schriften.' In allem übrigen ist er ein Pseudo-Gtassiker, der m
wie Narnszewicf liebt, gekünstelte Worte zu gebfauohen, Pbriea,
Najaden und alle Gottheiten dos Olymps 'voTEuführen.: äelbat
die Dichtung „Sybilla"' ist nichts weiter als eine nach ^em Matter
von Delille und Trembeeki ansgefüfarte Beschreibung des Paläates
und de« Gartens zu Futawy und des Tempels der Sybilla das^bs^
der nach Art des Tempels 2n Tivoli gebaut war, und anderer
Gebäude, wo, wie in einem Museum, die von den Ciartoryakit
gesammelten Denkmäler des polnischen Alterthums aufbewahrt
wurden.
Die zu einem unabänderlichen Katwn gewordenen f'onnen er-
drückten den Inhalt. Diese Formen waren die pBcudotJaesf Bofaen ;
die polnische Literatur ahmte der fVanzÖBiscben neich und dieftc
war ihrerseits wieder eine schwache Nat^alaioBg der antlkeu
Muster und erneuerte dieselben nicht durch anmittelbare An-
schauung und Studium, wie es Kochanowski und in aeuerer Zeit
Lessing, Goethe und Schiller in ihrer AusbiMuDg (orderte. Die
Schriftsteller jener Zeit — meist bedachtsame, systematische Leote,
dabei warme Patrioten, aber der Möglichkeit bM^ubt, einen
Staat zu errichten — wandten sich gänzlich der Gultivimag des
Reiches der Schönheit zu, das sie zu bearbeiten nod ia eines
' Erste Ausgabe in Krakaii 1833, 2 Bde. Beaondem ttuhm genoBs dii
„Hymne anf Gott".
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Die Zeiten noch der Theiloiig. ]93
Garten ainziiwandeln begannen nach der Art des Parkes vou
Versailles mit Blumenbeeten und Bosqnets, mit geraden Alleen,
mita fieobachtung des Gesetzes der Arbeitstheilnng und der
DiNnplin politischer Parteien, anter Einführung strenger poli-
leilicher Ordnnagen, die keine villkürliche Abweichung Ton den
Begehl der Kunst zoliesBen, wie sie ein fUr allemal von Aristo-
teles und Boiteaa, Horaz und Laharpe gelehrt waren. Die
Arbeit war coltectiT. Die Gesellschaft der Freunde der Wissen-
schaften, deren erster Präsident der compilirende Historiker,
Bischof Albertrandi (1731-1808), der zweite Staszic, der
dritte und letzte Niemcewicz war, stellte eich die Aufgabe, in
diesem Garten keinen einzigen Winkel brach liegen zu lassen,
und d&fnr zu sorgen, dass jede Gattung der Literatur ihren Ver-
treter habe: die einen compilirten Geschichte, die andern culti-
firten das Epos, das Drama oder den Roman. Niemcewicz ver-
fiksste historische Lieder („Spiewy historyczne", 1816), denen es
ah jeder Wahrheit und Talent mangelte-, Kajetan Koimian
(I7?l — 1856) reproducirte Virgil'e Georgica in der Dichtung
„Ziemiaüstwo poUkie" („Der polnische Ackerbau", Pulawy
1830), und schrieb eine Epopöe „Stephan Gzamiecki", die nicht
nnr nach dem Tode des Verfassers, sondern auch nach der
Epoche der Romantik im Druck erschien (Posen 1858). Es
wucherte von Romanen, sentimentalen und tendenziösen („Lejbc
i Siora", 1821 Ton Niemcewicz), pseudobistorischen und Walter-
Scott'schen („Pojata", 1826, von Bernartovdcz). Die Mehrzahl
der Versemacher versuchte sich in den schwierigsten Gattungen
der Dichtkunst und übte sich in der Anfertigung schwülstiger,
im Stile fein ausgearbeiteter Oden und Tragödien im Geiste
Radne's, die unter strenger Beobachtung der conrentionellen
Schiddichkeitsformen und der drei Einheiten (der Zeit, des Ortes
and der Handlung) alles historischen Colorits ermangelten, und
den Zweck hatten, nicht wirkliche Charaktere und lebendige
Personen darzustellen, sondern nur den Kampf der Gefühle
Bod den Conflict der einzelnen Leidenschaften im idealen Men-
schen, angeschaut ausserhalb der Zeit und des Raumes. In
dieser Gattung thaten sich hervor der General Ludwig Kro-
pinski (1767—1844; „Ludgarda" '). Franz W§2yk (1785—1862)
und besonders der Dlrector des Lycenms von Kremenec Aloi-
roD J. Maliseli (Krakun 1829).
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t9 1 Viertes Kapitel. Die Polen.
8iu8 FelinBki (1771 — 1820), der eine Tragödie „Barbara Radziiri}-
towna" ' Bchrieb, die bei ihrem Erscheinen mit unbeschreiblichem
Jubel aufgenommen wurde- Hißtorisch ist in diesem Werke gar
nichts ausser den Namen der handelnden Personen: Sigismnnd
August, Barbara, Bona Sforza, Tarnowski; auf die historischen
Charaktere ist keine Sorgfalt verwendet, es ist ein vollBtändiger
Mangel an Verstäiidniss für die Institutionen bemerkbar. Da-
gegen findet sich darin eine Ueberfülle von pathetischen Phrasen,
gelungenen Ausdrücken, die grossen Gedankenreicfathnm in weni-
gen Worten enthalten; es ist nach dem Muster Alfieri's mit einer
Menge von Anspielungen überschüttet, welche die innersten Ge-
danken der damaligen Gesellschaft über die Liebe zum Vater-
lande, über die Pflichten des Monarchen, über die Empörungen
und den Hochmuth der Magnaten berührten. Die Zeit^enosaen
waren nicht anspruchsvoll; durch wenige Verse mit rein äussern
Vorzügen konnte man unter die Genies gelangen, es kam nur
darauf an, die Regeln zu beachten, kein Neuerer zu sein.
Selbstverständlich befand sich die Poesie in einer gedruckten
Lage, nur mittelmässige Talente tauchten auf, und die hohem
Ehren besassen nicht wirkliche Dichter, sondern Kritiker und
Recensenten. Um zur Gilde der zünftigen Kunstkenner zu ge-
hören, bedurfte es keiner tiefen und vielseitigen Kenntnisse noch
Methoden der Wissenschaft, es war genug, wenn man nurAplomb
hatte, ein angenehmer Gesellschafter in den warschauer Salons
war, eine klang- und effectvolle Diction besass. Die Literatur bildete
eine Art Gesellschaft zu gegenseitiger Ehrenerweisung; in diesem
Bunde genoss fast die höchste Autorität der Professor der polni-
schen Literatur an der Universität Warschau, Schwiegersohn Bo-
guslawski's, und nach diesem von 1814 an Director des polnischen
Theaters, Ludwig Osifiski (1776—1838). Zur Vervollständigung
des Bildes fügen wir noch hinzu, dass die Leidenschaft zurSchrift-
stellerei sehr verbreitet war, dass die literarischen Verdienste mit
den bürgerlichen vermischt wurden; zuletzt, daäs bei dem Mangel
an kritischem Geiste und positiven Kenntnissen diese ganze war-
schauer Literatur äusserst schal wurde. Als ihr Mickiewicz 1828
den Handschuh hinwarf (im Artikel : ,,0 krytykach i recenzentaoh
vrarszawskich" — „Ueber die warschauer Kritiker und Recensen-
ten") hatte er vollen Grund unter Anführung Byron's zu s^en,
' Deutücli von Orion Julius n.il.T. „Fflrfitiii Radriwill" (Bpriin 1831).
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Jobann Soikdecki. JSS
im mit einem der anerkannten warschauer Kritiker (z. B. .Fr.
S. DmochowBki) zn rechten, dasselbe bedeute, wie in der flE^gift
Sc^hi« die Ungereimtheiten des Koran zu erörtern im Vertr^ue^
uf die Anflcläning und die Toleranz der Ulemas. |'..|[
Weit günstiger gestalteten eich die VerhältnisBe des geir
lägen Lebens in den russischen wcEtlicben nnd südwestlii^i«];^
TOD Polen entnommenen Gebieten des Reichs. Obgleich dio^uAfT
getragene Schicht französischer Cultur und Manieren hier-4$^
Anschein nach dänner war und die typischen Eigenschaften .^^
thadeligea polnischen Wesens nicht verwischt hatte, so g^qg
t» doch den bessern Leuten, welche nach dem Zusammeixbrj^f^
gtbbeben waren, in den Grenzen Rasslands die Schulea jq
ihre Hand zn bekommen, eine Universität und einen Uu,7«Er
ätitstirkel zn gründen, dem Unterrichtswesen alle orgifnisif
torisdien Ideen und Motive der Edncationscommission 'aufuL^
impfen und in die Schule sowie durch diese in die Gesellschaft
die Weite der Anecbannngen und den Geist wissenBchaftlicl^ef
FMBchong einzuführen, die der Gesellschaft im Köiö^f^cb
Polen f^ten. An der Spitze dieser Leute steht d^f^ rbfr
deotendste Mann der Uebergangsperiode, Johann Sniaid^ck;^,
drdbch berühmt, als Organisator, Professor und Scfariftf^ellep.
Bei dem gewichtigen Einfluss, den er auf die folgende Gwiera,?
tion ausübte, ist es nöthig bei ihm zu verweilen.' Die,Bi;i:f(i)er
Johann (17ö6— 1S30) und Andreas (1768—1838) Sniadecki, b^idf'
Profesfioren, beide Naturforscher, waren von Geburt Grmspoleo..
Johann war Astronom, empfing seine Erziehung in der, Liibc^Pr
iki'Bohen Schule so Posen, studirte auf der Universität Kralfau,
«0 er die Aufmerksamkeit des Visitators Koit^taj auf sich Ißnkt^
vonuif er von der Kdacationscommission zur weitern A^sbildnpg
(1778—81) nach Göttingen nnd Paris gesandt wurde. Mit defl
Deutschen harmonirte ^niadecki nicht, die sich vorb^^eiten^^
ptnse Bewegung in der Kunst und Philosophie bemerkte. er
licht', und trug die Ueberzeugung davon, man könne von, defi
■ H. Balinski, „Painietoiki o Janie l^aiadeckim" (2 6<ie„ Wiln«, ISC));
U. Straazewski, „Jan Saiadecki, jogn stanowUko w diiejach oswiaty i
'GloEofii w PolBce." '■ --^ ' ■ ■' -'■
' Leemag und Herder standen achon damala in voller Kraft und vollem
Kahm. Kant wirkte seit 1771 als Professor, Goethe gab 1773 drnO^tf und
1771 d«n Werther heraQs.
ü,g:.._.u., Google
196 Vieite« Kapitel. Die Polen.
Deutschen nichts entlehnen; aber er befreundete sich mit Laplace,
d'Alembert, Condorcet, rersenkte sich rollständig in die Prio-
cipien der empiristischen Philosophie, deren Stammväter die
Italiener und Baco, deren Forteetzer nach und darcfa Newton
und Locke, die französischen EncykloiÄdisten vareo, und eig-
nete sich deren Maximen an. „Wiesen", äusserte sich äoia-
decki 1781, „bedeutet in einer einheitlichen Anschauung die
feinsten und rerschiedenartigaten Beziehungen und EinzelnheiteD
umfassen, den verwickeltsten Wahrheiten nachgehen, um das
Ganze zu beherrschen und aus ihnen sichere und augeoscbeinliche
Principien hen^uleiten." ^niadecki war niemals reiner Sensn&liBt,
er gab zwar aprioristische, fertige Formen des Denkens nicht za,
meinte aber, dass, obgleich die Quelle dea Wissens durch die
Natur gegeben sei, doch der Verstand eine gewisse Eigenschaft
abstrahire, die in der ganzen Natur ausgegossen sei (s. B. die
Grösse), und indem er mit ihr operire, zu weitern Resultaten und
Combinationen gelange, deren Schöpfer er selbst sei. Im Besitze
eines lebhaften und in vollem Sinne des Wortes philosophischen
Geistes, der kräftig und schnell generalisirte, glaubte Sniadeckd an
die Erkenntniss; ihn interessirte die Methode des UntersacheiiB
fast ebenso sehr wie die Resultate; er strebte in der WissenEchaft
zu dem absolut Klaren und Sichern, aber fühlte sich bei weitem
mehr in seinem Element, wenn er seine Gedanken in die Weite der
Erscheinungen der grossen Natur versenkte, als wenn er vor der
unergründlichen Tiefe des Gebietes der Gesetze des menschlichen
Geistes verweilte. In dieser Hinsicht war Sniadecki nicht selbst-
ständig. Indem er sich vor dem Skepticismas und Materialis-
mus bewahrte, schtoss er sich der schottischen Philosophie des
gesunden Menschenverstandes von Reid an.' Ausser dieser gab
es noch eine zweite Stütze — die Religion, äniadecki war
selbst religiös und lebte in einer Epoche, wo sich nnter dem
grossen nationalen Zusammenbruch die Herzen jnstinctiv an das
hefteten, was am allerfestesten ist, an den Glauben an eine sitt-
liche Weltordnung, an die Religion, nicht von ihrer dogmati*
sehen Seite, die seine Aufmerksamkeit wenig fesselte, sondern
von der rein praktischen, als dem Anker, auf den sich der
ganze gesellschaftliche Bau und die sittliche Ordnung stützt.
■ Mit dieser Philoaopliie vrurde er 1787 bekannt, als er nacb England
gin^, UTn mit IlerHi^kel zu nrlieili^n.
...., Google
Johuin äDiadeoki. 197
Der eigentliche Beruf Sniadecki's war aber augeuecheinlich das
Katheder, das er auch in Krakau einnahm, aber die Ereignisse
ntriasen ihn fortTäbrand der WisBCnschaft. Die Angelegen-
beitan der Universität erforderten Bemühungen in Warschau.
£8 war der Reichstag za Grodno zu besuchen, mit der Gewandt-
beit des Diplomaten zu arbeiten, um das Vermögen und Kapital
der Universität vor Beraubung zu schützen , da sich die Führer
der ConfÖderation von Tai^owica in dieselben theilen wollten.' Als-
dsDD riss man den Aetronooien vom Observatorium, als KoScinszko
nKiakau einen Aufstand veranstaltete; er musste Truppen werben
lud sie verproviantiren. Sniadecki nahm seinen Abschied, be-
raste 1803 — 1805 Europa als Tourist, studirte die nicht schöne
Gesellschaft der Zeiten des Kaiserreichs, in welcher es, wie er
ugt, „Salons gibt, aber nnr Spielsalons; von den Umwälzun-
ga haben nnr die Bauern nnd die Gelehrten, die zu krie-
chenden Scbmeichlem geworden sind , einen Gewinn gehabt."
Säue Verehrer suchten ihn nach Wilna zu ziehen; indem
er Kott%tiu, Gzacki, Adam Czartoryski, dem Vater, nachgab,
nahm er den ihm mit Zustimmung des Ministers Zawadowski
von dem Curator von Wilna Adam Czartoryski, dem Sohn, ge-
muhten Vorschlag an, und trat contractmassig in die durch
Poczobnt vacant gewordene Stellung eines Astronomen ein. Gleich
nach seiner Ankunft in Wilna ward er zum Rector gewählt
(1807); dieses Amt bekleidete er bis 1815 unter den schwierig-
sten vsd plötzlichen Veränderungen unterworfenen Verhältnissen.
Iflt April 1812 hatte er sich mit der gelehrten Körperschaft dem
Kaiser Alexander vorznstellen , im Juni Napoleon ; musste , um
die Universität vor Beraubung zu schützen, an der provisori-
schen Regierung in den von den Franzosen occupirten Ge-
bieten theilnehmen, und bald d&rauf wieder den Kaiser Alexan-
der b^rüssen. Um seine Thätigkeit als Rector zu verstehen,
mnBB man in Betracht ziehen, was diese Universität in den ersten
Jahren des 19. Jahrhunderts war. Die jesuitische Akademie,
QDter Pouiatowski äicnlarisirt, und unter Leitung der Educa-
tionBcommission durch die unermüdlichen Bemühungen Poczo-
hnt'B reformirt, war unter Kaiser Paul der grossen Gefahr
ausgesetzt , vrieder in die Hände der Gesellschaft Jesu zu
' In diew Epoche fallen der Hauptseohe Dach die „Liaty" (Briefe)
'DB Sniideoki, 1878 zu Posen von KrasEcwski herttnsgegeben.
..., Google
196 Viert«H Kapit«!. Die Polen.
fkllen.* Der Ordensgenersl Graber verwaltete schon die A)n-
demie, aber nacli der Thronbesteigung Alexander's scheiterten
seine Pläne; der nach Petersburg berufene Bector, der PiariBt
Hieronymus Strojnowski, erreichte, dass der UniversitÄt nach
dem Statut vom 18. Mai 1803 ihre frühere Organisation rer-
hlieb, die auch den Statuten anderer Universitäten der Jahre
1803 und 1804 zum Muster diente. Die Universität war sowol
eine höhere Lehranstalt als das Gentrum der SchuWerwaltung -
des Kreises, sowie femer eine Corporation von Gelehrten in der
Art einer Akademie der Wissenschaften, welche der geistigen
Thätigkeit der Gesellscbafl die Richtung gab. Als Lehranstalt
rausste sie, da man damals auf Universitäten überhaupt nicht
russisch las, der Yortragssprache nach entweder deutsch oder
polnisch sein. Strojnowski zog Deutsche nach sich, Sniadeoki
(Pami^niki I, 358) sah voraus, dass diese deutsche Colonie, wenn
sie auch berühmte Leute enthielt, keinen Nutzen bringen werde:
sie weiden gelehrte Bücher schreiben, aber nicht solche, die
sich für das Land eignen, im Interesse des eigenen Ruhmes, aber
nicht der allgemeinen Bildung. Der Vortrag war sowol der Sprache
als dem Geiste nach polnisch, aber es mass bemerkt werden,
dass zwischen den Nationalitäten noch nicht die Zwietracht und
Verdächtigung bestand, die in den folgenden fünfzig Jahren er-
wachsen^, und dass zwischen den Gebildeten beider Nationen
ein Verkehr bestand, welcher bis zu den Zeiten dauerte, wo
Mickiewicz in Petersburg und Moskau verweilte. Der wilnaer
Bezirk war sehr gross, er umfasste die westlichen, südwestlichen
und weissrussischen Gouvernements. Die Universität ernannte
die Directoren der Schulen, inspicirte die Schuten durch Visita-
toren, und machte sich alle Schulen der geistlichen Orden untere
than, ausser denen der Jesuiten. Durch die Bemühungen des
Grafen Joseph de Maistre erwirkten sich die Jesuiten eine un-
abhängige Akademie in P<^ock. Einer dieser Universitiltavisita-
toren war der berühmte Gelehrte Felix Czacki (1765 — 1813),
' Mich. Moroikin, „Jezoity v HoaBÜ", I, 450 jöt. Petenba^ 1863).
' Pami^niki II, 258. Brief dea UnterrichUmiiuBterB Grafen Zaw«dow»ki
an !^niadecki 1607: „iuh, wie auch Sie, habe das Yergnägen, roioh in der
Mutterspracbe auszudrücken, die der polnischen so äbnlieh ist, daai es
dem Bussen nioht scliwer wird, den Puleii zn verstellen, noeh dieeeon den
Russen."
...., Google
Johann äuiadeokt . 199
«elclter aus freiwUligeD Beitragen des Adels der südwestlichen
GoQTeniements lif06 das rolynische Gymnasium zu Kremeoec
gründete, das später in das kremenecer Lyceum umgewandelt
vurde. Dieses Lycenm suchte Czacki mit der UniTersitat auf
einen Foss zu stellen — ein Beginneo, das seine alte Freund-
schaft mit äuiadecki, der mit dieser Idee nicht sympatbisirte,
einer schweren Prüfung unterwarf. Die Ereignisse des Jahres
1812 hatten, obgleich sie Sniadecki nicht um das Vertrauen des
Kaisers* brachten, doch auf seine Beziehungen zum Unter-
richtsminister Einflnss, bei dem die Feinde Sniadecki's, die deut-
«cheu Professoren, welche vor den Franzosen nach St. Petersburg
leSohen waren (Bojanus, Lobenwein), die Handlungsweise des-
selben verdiuihtigteD. Im Jahre 1815 gab er sein Bectorat auf,
nnd Terlebte nun die leteten hellen Tage seines Alters, nur mit
der Wissenschaft nnd der Literatur beschäftigt und bei festlichen
Gelegenheiten als berufener Redner auftretend, wobei er irgend-
wdche abstracte, aber allgemein wichtige Fragen der Zeit, wie
über die Methoden der Wissenschaft, über die Philosophie, über
die Religion zum Thema nahm. Jeder Satz dieser Reden ist ge-
feilt, der Stil gewichtig, ein wenig pomphaft; um sich von
dem Eindruck dieser Reden auf die Zuhörer einen Begriff zu
machen, mnss man bedenken, dass sie mit etwas theatralischer
AuBstattang, in der Aula gehalten wurden, die mit den Fresken
TOD Smuglewioz (jetzt im Museum in der Kirche des heiligen
Johannes) ausgemalt war; die Professoren sassen in rothem
Ornat, vor dem Bector lag ein silbernes Scepter , ein Oe-
Bchenk Batory's an die UniTersitat. In diesen Reden und in
seinen letzten Werken verhielt sich Sniadecki zu zwei grossen
Erscheinungen des geistigen Lebens, die er nicht zu schätzen
WHssto, verneinend: zum deutschen Ideatismus und zu der
eben entstehenden Romantik. Um dieser beiden Kämpfe wil-
len kam er bei der folgenden Generation nicht nur in den
Bnf eines Pedanten, sondern fast eines Obscuranteu, wäh-
rend ihn neuere positivistische Schriftsteller fast zu dem Vor-
lauter Auguste Comte's und des Positivismus erheben. Beide
Urtheile sind äusserst ungerecht. Es lässt sich leicht be-
greifen, dass sich Sniade^ zu jenen zwei neuen Richtungen
' Famifbiiki II. Bd. „J'ai du ploisir ä voub voir, M. Suieiducki", sind
üe Worte dos Kaisers Äloxandci-, als ihm dereelbo vurgestollt wurde.
:.., Google
200 • Vici-tea Kapitel. Die Polen.
darchaus nicht andere verhalten konnte, und ihnen bewasat
entgegentreten musBte, wenn auch nicht mit Gluck. Er als
Rationalist und experimentirender Naturforscher ' lleee sich
auf die Erforechung der Procosse im Geiste, vermöge deren
sich die Empfindungen in Begriffe umwandeln, nicht ein, bod-
dern es galten ihm sohliesslich diese Art Untersucbiingen ftir
eine ebenso vergebliche Arbeit, wie das für die Wissenschaft
unmögliche Begreifenwolleu der letzen Gründe. Und . indessen
war eine Philosophie aufgetreten, die ganz in der Erforschung
der Formen und der aprioristischen Principien des Denkens
aufging: die Vorlesungen Kant's zu Königsberg wurden von
Polen besucht, Fichte brachte einige Zeit in Warschau zu, und
unter den Gelehrten in Wilna übte Ernst Groddeck, Profeasor
der classiscben Philologie und Kantianer, einen starken Einäuss
aas. Die jungen Leute begannen von Metaphysik und zugleich
von Romantik zu schwatzen, weit zwischen beiden ErscheinuD-
gen eine so unzertrennliche Verbindung bestand, wie sie zwi-
schen dem empirischen Bationalismus und der pseudoclaBsisohen
Literatur der Perrükenzeit besteht. Das philosophische Denken
und die Kunst strebten nach dem Unergründeten, unklare grosse
Ideen suchten nach Formen. Suiadecki fühlte sich gekränkt
als Philosoph, der nur klare Begriffe liebte, war verwundert,
dass sich im 19. Jahrhundert Geister des 14. fanden, die das
einfach Klare mit Dunklem trübten ; die schwachen Seiten Kaofs
fand er geschickt heraus , aber das Wesen und die Origi-
nalität seiner Lehre verstand er nicht; ihm galt sie einfach
für einen übertünchten Aristotelismns. Sniadecki fühlte sich
auch verletzt als Aestbetiker und puristischer Schriftsteller;
er war ein Freund Delille's, Verehrer von Zirkel und Mass
in der Kunst, ein strenger Beobachter der Regeln des Horaz,
Boileau und Dmochowski. Endlich war noch ein Grund vor-
handen, der ihn veranlasste, besonders scharf gegen den neuen
Geist, die neuen Wege zu polemisiren; als Freund einer allmäh-
lichen Entwickelung, als Mann eines friedlichen und tadellos
legalen Fortschritts fühlte er instinctiv voraus, dass sich in den
von ihm bekämpften Erscheinungen Stürme bargen, dass darin
Elemente brodelten, welche die Dämme durchbrechen und wie
elementare Kräfte die für sie eingenommene Gesellschaft in un-
bekannte Wüsteneien mit fortreissen, ihr Ruinen und Leiden
schaffen würden. Aus Pflichtgefühl suchte er der gefährlichen
ü,g:.z:...,GOOglC
Alexftudor Fredro. 201
Krisis EU begegnen; sie kam wirklich in vulkamscbeui Glanz
wä Andrang. —
Aber ehe wir zur Darstellung dieser Krisle in der folgenden
Periode übergehen, müssen wir noch bei einer und zwar der
letiten Eracbeinung stehen bleiben, die vor der Romantik and
&st gleichzeitig mit den Anfängen derselben ins Leben trat,
aber ihrem Geiste nach su den Gewächsen des claseischen Bodens
geborte. Die echte, nicht nachgeahmte polnische Komödie ward
nimlich in dieser fröhlichen, sorglosen und relativ glücklichen
Epoche der kurzen Erholung in der Zwischenzeit zwischen der
!{apoleoniBchen Epopöe und dem Vagabandenthum der Emi-
^tion geboren. Ihr Schöpfer war ein Napoleonischer Soldat,
m Galizier aus Przemyäl, der Nachkomme eines der höchsten
AriBtokratengeschlechter, Graf Alexander Fredro (1793—1876).
Seiner fast gleichzeitig mit der Romantik erblühten Komödie
machte man den Vorwurf, dass sie salonmässig, dass sie
MoUere'scher Manier, nicht polnisch, nioht national sei; trotz-
dem bat sie alle ihre Tadler überlebt, hält sich nach einem
halben Jahrhundert noch auf der Bühne, übertrifft auch jetzt
alles, was nach ihr in diesem Genre geschrieben wurde; ihre
Formen sind etwas veraltet, aber der Inhalt fesselt noch jetzt
durch nnverwelkliche Jugendschönheit, durch scherzhaften, haim-
loien Witz. Nach den drei Koryphäen der Romantik gibt es
keinen Namen, der beim Volke so populär wäre wie der Fre-
dro's, und sich eines solchen Ansehens erfreute.* Die Ursachen
eines so nachhaltigen Erfolgs liegen in Folgendem.
Als sich im ersten Viertel des 19- Jahrhunderts die gebildete
Gesellschaft an die Pflege der Literatur' als an eine nationale
Anfgabe machte, wobei es mehr Eifer als Talent gab, drängten
sich zn dieser Arbeit Mittelmassigkeiten heran und machten sich in
ihr zn schaffen, und je mittelmässiger die Arbeiter waren , nach
desto hohem Gegenständen griffen sie, nach der Tragödie^ der
Epopöe oder der Ode, nur die Komödie blieb brach liegen. Die
pohtische Komödie konnte nach der Theilnng nicht existiren
end brach mit Niemcewicz's „Rückkehr des Landboten" ab, die
Genre-Komödie bot aber bei ihrem Maogel an Tendenz den pa-
triotischen Gefiiblen der' Schriftsteller offenbar keine Nahrung;
' Gr»I TftrDonski, „Komedye Alekaaudra hr. Fredry, trzy oduzyty
Pttbliüine" (Warschau 1876).
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
303 VierlM Kapitel. Di« Polen.
sie wurde veroachläBsigt, galt Tür etwae Gleichartiges mit der
Satire, für eine Art negativer Poesie. Indess war das neue
Leben überreich aa Erscheinaogen hoher Komik; neben den
Terfallenden Ueberresteu der Szla«hta prangte das Kriegertbum
der Napoleoniecben Zeiten mit eeibei- Ungebundenbeit und Lieder-
lichkeit; neben der Ritterliobkeit, Oalanterie und änsserUcheo
Vei^ötterung der Frau machte sich die Begierde und Eitelkeit
der zur Bedeutung und Herrschaft gelangten Bout^eoiaie geltend,
die Prosa des Lebens war jedoch mit einem leichten Wölkchen des
Strebens zum Idealen bedeckt; man fand Geschmack an runden,
glatten, schönen Formen und allem mischte sich die frische Fröh-
lichkeit des sanguinischen Yolkstemperaments bei, das geneigt
war, in ruhigen Augenblicken ohne Rückhalt zu leben, zu lieben
und zu gemessen.
Diese ganze Frische und Fülle des Lebens, von keinen Ten-
denzen getrübt, stellte Fredro wahrheitsgetreu wie in einem Spi^el
dar. Nichts hatte er systematisch studirt, von 1809 — 35 führte
er ein nomadisirendes Soldatenleben, war 1813 in rassischer
Gefangenschaft, besuchte alsdann Paris, faaste dort Vorliebe für
das Theater, aber ward erst gründlich mit Moliere bekannt,
als er nach seiner Rückkehr in die Heimat, nach Galizien, bei
einem hansirenden Antiquar die Werke des grossen französischen
Lnstspieldicbters kaufte. Von Moliere begeistert, begann dieser
ganz urwüchsige Dichter selbst Komödien zu schreiben, als Dilet-
tant, nicht nur fem von den politischen Ereignissen, sondern
auch von den literarischen Parteien, ohne irgendwie Antbeil an
dem Kampf der Glassicisten mit den Romantikem zu nehmen.
Im Jahre 1819 schrieb er die erste Komödie „Geldbab", die 1831
in Warschau aufgeführt wurde. Dann beschenkte er noch in der
Zeit von 1839 — 3ö die Bühne mit 17 Werken, die sehr gefielen,
aber 1835 verstummte der etwas zu sehr verimtschelte Ditditer
plötzlich und zog sich vollständig zurück, verletzt durch einen
kritischen, übrigens aber durchaus nicht scharfen Artikel im
Journal: „Pamigtnik naukowy Krakowski", der den Romantiker
Severib Goszczynski zum Verfasser hatte und den nationalen
Charakter der Werke Fredro's iu Zweifel zog.' In den darauf
folgenden 40 Jahren schrieb Fredro nur für sich und hinterliess
' Die bei Lebzeiten Fredio'e verÖffeDtUohten Komödien deBeelben siud
1 4. Auflage zu WftrEuhau gedruckt (5 Bde., 1871).
...., Google
Atezftuder Fredro. 203
in Beinen Papieren dMThierdrama „BrytanBiyä" * uud 15 noch
mclit gedruckte Komödien, die allmählich auf die Bühne gebracht
Verden und über deren AVerth sich noch keine festen Urtbeile
gebildet haben.* Es finden eich anier diesen postbumen Werken
einige, allem Anechein nach sehr talentvolle, z. B. „Wielki czlo-
viek do mi^ch interessöw" („Ein groeser Mann gegenüber
kleinen Interessen"), aber schon in diesem Stück ist die Ma-
nier eine andere, die Charaktere sind mehr indiridaaliairt , es
finden sich weit mehr iänBchiebsel und Episoden und weniger
Ton denjenigen Eigenschaften, welche die feste Herrschaft Fre-
dro's aof der Bühne gesichert haben. Ohne ans mit diesen post-
boiBen Komödien zu befassen, bleiben wir bei den 18 stehen,
die TOD ihm zn Lebzeiten Teröffentlicbt wurden. In einem von
diesen Stöcken („Pan Jowialski" — „Herr Jovialis", 2. Scene,
1. Aci) äassert sich IVedro so über die Komödie: „Für die Ko-
mödie Moliere's ist das Ende gekommen . . . jetzt haben sich alle
Ouuaktere abgesdüitfen, es gibt kein Relief mehr, jeder bedenkt,
was man Ton ihm spreche. In frühern Zeiten ging der Geis-
hsls in abgetragenem Mantel, mit den Händen in den Taschen.
JetEt ist der Geizhals nur im Winkel ein solcher, und er wird
SDch dem Bettler geben, nur dasa es alle wissen. Der Eifersüch-
tige beiest die Zähne zusammen, aber schweigt; der Feigling
kriecht in die Uniform, der Tyrann wird sanft, alles kleidet
ach in anständige Formen. Die Bühne sollte zwei Seiten haben,
wie die Medaillen." Eigentlich haben sich die Leute nicht geändert,
Eondem nur die Maximen der Kunst sind andere geworden. In
d» Hatnr gibt es keine Typen und jede Person ist eine unend-
hcb zusammengesetzte Erscheinung mit unzähligen Zügen und
Pi^ngen, die ihr durch ihre Umgebung aufgedruckt wurden.
Die jetzige realistische Komödie sucht diese leliendigen Per-
sonen zu photographiren im Zusammenhang mit der Sphäre
nnd dem Moment, die sie erzeugt haben. Ist der Moment ver*
gangen, hat die Sphäre sich geändert, dann rücken auch diese
ron der Kunst geschaffenen Personen in eine grössere Ferne,
«erden fremdartiger, eben weil in ihnen mehr vorübei^ehende
Züge einer besondem Gattung als gemeinsamer Grund der
' Gedruckt in „Biblioteka Wftrazawaka", 1878. 2. Bd.
' Vgl. ^ronika roarinna" für 1877 und 1878 die Artikel v
TtTDowgki, „0 poimiertnych komcd;»cli Fredi?."
.....Gooj^lc
201 Viertes Kapitel. Die Polen.
inenscblichen Natur eathalten ist. So war die classiadie Ko-
mödie mit ihren eiDheitlicbeu, abstracten Typ^i nicht beschaf-
fen: die änasera Umstände der Handlung werden nur leicht
angedeutet, die Handlang selbst ging in einer oonventionel-
len Sphäre vor sich unter Ausschluss aller Complicationen und
Episoden und es wurden möglichst ein&che und einheitliche
Charaktere TOrgefüfart, die in Lagen gebracht wurden, in denen
ihre scharfen typischen Züge am markantesten und teliefmässig-
sten hervortreten konnten. Die Komödien,' welche das zu Lebzei-
ten geschaffene Theater Fredro's bildeten, gehören sämmUich dem
classischen üenre an. Von den Stücken Bogustawski'a und deaeen
Nachfolgers, Johann Nepomuk Kamiäski (1778 — 1855, nach
1833 war er Director des Theaters zu Lemberg) unterscheiden
sie sich dadurch, dass sie nicht eilig zusammengeschrieben sind,
nur um das Publikum zu unterhalten, aondem vollen Kunstwerth
besitzen; von denen Zablocki's dadurch, dass sie keine Repro-
ductionen Moiiere'scher Typen sind mit Beimiscbnog von Selbst-
beachtetem und in Carricatur Dargestelltem. Sie sind vielmehr
nur im Geiste der Moliere'schen Komödie geschrieben und brin-
gen poetisch reproducirte Typen nnd Charaktere der eigenen
einheimischen Gesellschaft zur Darstellang, wie fast ed derselben
Zeit die im Stil und in den Motiven ebenfalls Moliere'sche Ko-
mödie Gribojedov's (eines Zeitgenossen Fredro's, da Gribojedor
1795 geboren wurde) das bojans(^e Moskau der zwanziger Jahre
reproduoirte. Fredro zog die Naebafamnng des Fremden ins
Lächerliche in der Komödie „Cndzoziemszczyzna" („Fremdthü-
melei"), stellte einen reich gewordenen Emporkömmling (Geld-
hab), einen Wucherer (DoJywocie) dar; der Liebe sind zwei
Stücke gewidmet: .,M%4 i Äona" („Mann und Frau") und
,,Slaby panieAski«" („Mädchengelübde"); endlich fand die ver-
gehende alte Welt der Szlachta eine vorzügliche Darstellung in
,,Fan Jowialski", dem lustigen Patron, dem Liebhaber von Schnar-
ren, Anekdoten und Sprichworten, und in „Zemsta £a mur gra-
niczny" („ßache um eine Grenzmauer") ist der Streit eines anf-
brausenden Handegens, des Herrn Mundschenk, mit einem ränke-
süchtigen Juristen nnd Notar dargestellt: der erstere von beiden
verheirathet, nm den andern zu äi^em, dessen Sohn mit seiner
Nichte, zum vollen Glück des liebenden Paares. In den Komö-
dien Fredro's ist so viel Witz, dass dadurch oftmals die Schwäche
der Handlung, die Unuatnrlichkeit der Lösung des Knotens und
ü,g :.._.. ..Google
Die Periode MioinewiaB*. 205
die Eiuschiebung Ton Sitteolehren und tt^endhaften Raisonne-
mentB, deBsen eich nicht wenig in seinen Komödien findet, aus-
geglichen wird.
In der Komödie „Odlndki i poeta" (,J)ie Misantbrope und der
Dichter") klagt Fredro folgendermaesen über die Lage der polni-
Echen Literatur: „Rahm, Bag&tdu, aber für nne iet seine Zeit vor-
über. Jetzt iet ganz Europa die Heimat eines Autore, die Werke
DeatBchlands, Italiens, Frankreichs finden Verbreitung, indem sie
eich kreuzen, aber die ansem bewegen sich in schrecklich engen
Grenzen. Zwei bis drei Theater und der BucbbaDdlerkarren —
du ist jetzt die Arena fnr den polnischen Schriftsteller." Diese
Worte hörten bald auf Wahrheit zu sein, als der geniale Dich-
ter ersten Ranges auftrat, der den Namen der polnischen Lite-
rstnr Terherrlichte nicht nur unter den Slaven, sondern auch in
Westeuropa, derjenige Schriftsteller, mit dessen Namen die ganze
fönende und noch bis heute fortdauernde Periode der polnischen
Literatur bezeichnet werden kann — Mickiewicz.
5. Die Periode Miokiewioz' (1822—1863).»
A. Dia Bomantik, IKe Vorgänger und Zeitganowen Xickittwicx'.
Bis ThUigkflit du Istetern.
Die literarische Bewegung, welche der polnischen Literatur
einen noch nicht dagewesenen Glanz und weite Verbreitung
Terlieh, mnss betrachtet werden erstens im Zusammenhang mit
der in An&ng des 19. Jahrhunderts eingetretenen Erneuerung
und Wiederbelebung aller slarischen Literaturen, darunter auch
der polnischen, sowie gleichzeitig auch der russischen (Mickie-
wicz war nur fünf Monate älter als Puskin — beide waren
die Stammväter einer neuen Poesie bei ihren Kationen); zwei-
tens hatte die polnische literarische Wiederbelebung in den zwan-
nger Jahren noch ihre eigenen speciell^n Ursachen. Es gingen
' 1822 iat Aab Jahr, in welchem der 1, Band der Gedichte Mickiewiez'
lierto^egeben wnrde („Poezye", Wiln»). Eb waren 3 Binde in Aussieht
Keaominen. Der 3. Wurde 1623 herausgegeben und der 3. erschien nicht.
...., Google
206 Viertem Kapitel. Die Polan.
ihr drei Bedingungen vorans, nntar denen stets an neues Auf-
blähen der Literatur stattfindet: eine radioale AeoderuDg in dem
Bestände der Geselkcbaft , eine Enveitemng des geistigen Hori-
zontB, indem nene Ideen ins Leben eisgefiihrt worden, endlich
die für das Aufkeimen nöthige Müsse und dahin gerichtete Sta-
dien. Die Gesellschaft unterlag in ihrer Znsammensetrang einer
tiefen und radicalen Aenderung ; die nichtigste Thatsache, welche
das 19. Jahrhundert sowol in Westeuropa als in der polni-
schen Gesellschaft nach dem Untei^nge des polnisdien Staats
kennzeichnet, ist ohne Zweifel der Sieg und das Vorherrschen
des demokratischeD Elements.- Die alten aristokratisohen Ein-
richtungen wurden zerstört, die Stände mischten sich, der König
mit dem glänzenden Hofe verschwand, die Tornehmen Geschledi-
ter starben aus oder wurden vernichtet oder begannen, gehrand-
markt mit dem Stempel des Verraths an der Sache des Volkes,
ihr Glück an fremden Höfen zn suchen, mssificirteu oder ger-
manisirten sich; die dichte Phalanx der mitÜem Szlachta war
ebenfalls in Stücke geschlagen, in die Lücken und Fugen, die
sich in ihrer berstenden Masse bildeten, begannen eich von allen
Seiten homines noTi einzudrängen ohne Wappen und Traditionen,
getrieben durch die Sucht nach Genuss und Wohlleben, und stark
in der Ueberzeugang, dass man durch Verstand and beharrliche
Arbeit alles auf der Welt erreichen und in die Reihe der bekann-
ten und einflussreichen Leute treten könne. In dieser neuen
(iesellschaft, die weder vor einem zum Christenthnm übei^etre-
tenen Juden, noch vor einer Person nichtchristlichen Bekennt-
nisses, noch vor dem ausgedienten Kanzleibeamten, noch vor
dem Kaufmann und Handwerker mehr Abscheu empfindet, ward
die Lage des Schriftstellers eine ganz andere. Gebildeter schrift-
stellerischer Dilettanten aus der Aristokratie, in der Art Kra-
sicki's, gab es immer weniger; dafür mehrte sich die Zahl der
Proletarier und Plebejer, die um eines Stückchen Brotes willen
schrieben, aber diese Plebejer wurden unvergleichlich selbstän-
diger, weil sie nicht mehr in den Vorsälen und Salons bei den
Magnaten zu kriechen brauchten. An die Stelle des Häcens
trat der Verlagsbuchhändler, zum Aristarch wurde der einCache
Joumalrecensent, und zum Spender des Ruhmes und der Erfolge
— das vielköpfige Collectivwesen, das lesende Publikum. Glei<Ä-
zeitig mit dem Demokratismus in den Sitten und mit der Ver-
änderung in der I^age des Schriftstellers erweiterte sich auch
Die Periode Micldewioi'. 207
der geiBÜge Horizont der Leute dee 19. Jahrhunderte. Das
Deatschtbrnn drang in das ehemalige Polen Ton Nord- und Süd-
retten ein mittels der Verwaltungssysteme , der Einrichtaagen
nnd der Gesetee Oeeterreichs and Preussens, und mittels der
Schnlen, in denen das Deutsche die TJnterrichtesprache bildete.
Di« Heersäulen Napoleons durchfurchten die ehemaligen polni-
Bdten Länder nach allen Seiton in ihren aahlreichen Feldzügen,
während andererseits die polnischen Legionen in Deutschland,
Franlcreich verweilten und sich mit dem heissen Himmel des
Sädens in Italien und Spanien bekannt machten. Durch den
ZnsammenstoBS so vieler Sprachen , Völkerschaften , Culturen
Tergröseerte sich die Masse der Kenntnisse; die grossen Sterne
der deutschen Poesie, Schiller und Goethe, wurden gradezu ein-
bomisch', Walter Scott ries alle mit sich fort in die romantischen
Bergschlachten Schottlands; das mächtige Genie Bjron's fand
eine unsählige Menge von Anbetern; in der Ferne schimmerten
Ossian und Petrarca, Shakespeare und Dante, und noch weiter
im Hintergrand — Rom und Griechenland und die Reiche des
fernen Orients. Alle diese neuen Welten beleuchtete mit ihrer
Fackel eine neue historische und ästhetische Kritik, welche lehrte,
sich in eine längst entschwundene Vergangenheit hineinzudenken
und in anschanlicber Form nicht nur die äussere Seite des Lebens,
Bondem auch die Gedanken und die Gefühle vergangener Ge-
Bcklechter zu reprodaciren. Wissbegierigeren GeiBtern, die in das
Wesen der Dinge selbst einzudringen suchten, bot die deutsche
tnuiscendeatate Philosophie ihre Dienste dar — die jüngere
Schwester der Religion, welche von aprioristischen Pnncipien im
Denken ausging, mittels der Reflexion arbeitete und von der
Möglichkeit überzeugt war, auf diesem Wege Wahrheiten zu ent-
decken, die ebenso unzweifelhaft seien, aber der Wirklichkeit
näher ständen, als diejenigen, welche die positive Religion in dev
Form sinnlicher Bilder darbot. — Die geistige Entwickelung ging
frei vor sich, ohne durch irgendwelche politische Gomplicationen
und Fragen abgelenkt zu werden. Der Gesellschaft, welche durch
die Beimischung einer Menge der verschiedenartigsten Elemente
fln buntes Aussehen, plebejische Sitten, einen wissbegierigen,
durch keine Autorität beengten Geist und eine bewegliche Phan-
taaebesase, fähig, sich in alle Jahrhunderte zu versetzen, konnte
die magere Satonliteratur der Zeiten des Königs Poniatowski
QDd des rierjährigen Reichstage — eine Literatur, die nicht
ü,g :.._.. ..Google
208 Vibrtes Kapitel. Die Polen.
selbständig war und dabei docb uicbt den besten bekannten
Mustern folgte — keine ausreicbende Nahrung bieten. Das Be-
dürfniss einer Erneuerung war so dringend, dasB sieb der Um-
Bcbwung augenblicklich vollzog, mit einer Schnelligkeit, wie im
Theater die Decorationen wechseln. Als Präludien sur Wieder-
belebung diente das Auftreten der Romantiker und ihr Kampf
mit den Glassicisten, die eich gemächlich auf dem polnischen Par-
nass niedergelassen hatten und jetzt aus ihren Positionen heran»-
gedrängt wurden; alsdann treten plötzlich und gleichzeitig auf
Zaleski, Goszczyäski, die ganze Schule der ukrainischen Dich-
ter, Mickiewicz mit seinen Litauern. Herrorgerufen durch die
allgemeinen Bedürfnisse der Zeit, tauchen sie auf and entwickeln
sich ohne jeden Einfluss aufeinander, während dessen Lelewel,
der Zeit nach älter, aber in der Richtung verwandt, der histo-
rischen Wissenschaft neue Wege bahnte.
Die ersten Früchte der Romantik waren kindliche Versuche,
Uebersetzungen aus fremden Sprachen, Nachahmungen: es er-
schien, eine Menge romantischer Balladen; die ganze Ausstat-
tung der Bühne änderte sich: statt der Götter des Olymps
und der Atriden wurden Hexen und Einsiedler, Rittertumiere,
Gespenstererscheinungen vorgeführt. Diesen Weg gingen in
Warschau Witwicki, in Wilna Zan, Odyniec und viele andere;
selbst Mickiewicz begann seine Thätigkeit mit idyllischen, senti-
mentalen Balladen, Romanzen und Märchen („Switezianka", ,,Kur-
hanek Maryli", „To lubi", „Tukaj"). Die Romantiker machten
viel Lärm und Skandal, sie revoltirten gegen die althergebrach-
ten Regeln und Ordnungen, und vermochten dabei doch selbst
nicht zu bestimmen, was sie denn eigentlich wollten und worin
das Wesen der Romantik bestehe.^ Der Gewinn aus der Neue-
rung wäre nicht gross gewesen, wenn das alles damit geendet
hätte, dass man, wie früher dem Französischen, so jetzt dem Mittel-
alterlichen und Deutschen nachahmte; aber die Romantik diente
nur als Schale für eine sich durcharbeitende neue Poesie, die ganz
eigenartig und dazu in höherm Grade national war als irgendeine
der ihr vorausgegangenen, sogar als die der goldenen Epoche des
' Die Abhandlungen und Vorlesatigen von Brodzinekl; die Einlcitang
zu den Gedichten Mickiewicz': lieber romantiacbe Poeiie; die Abhandlnng
^niiiilei-ki'i', 1818: 0 piimnoh klMB;rcxDycli i roiDantircznyob.
.....Gooj^lc
Die Romantik. 209
Zeitalters der Sigismunde. ' Es finden sich darin Züge, welche
die glänzenden Momente des grÖesten Aufblühens der Kunst cha-
nkterisiren: eine vorzügliche Technik des Verses, Reichthum an
MotiTen und — was am allerwichtigsten ist — eine kräftige In-
diTidaalität. Dem Reiche der pedantischen Kritiker wurde ein
Ende gemacht; die Herrschaft von Paris hörte auf, an der Spitze
der Bewegung standen wirkliche Dichter. Es brach sich die Er-
keautniss Bahn, dass man, um Dichter zu sein, den ganzen Vor-
rath von Kenntnissen hesitzen müsse, über den die Wissenschaft
der betreffenden Zeitperiode verfügt, dass man aus dem Salon
beranstreten und in die Volksmassen hinahsteigen, dass man, um
nationale Motive der Poesie zu finden, um die Vergangenheit
der Nation aufzudecken, die Kunst und den Blick des Histo-
rikers hesitzen müsse, sowie die Fähigkeit, sich an derselben
ta begeistern. Da sie sich bewusst die Aufgabe stellten, na-
lioDal in der Poesie zu sein, mussten die Romantiker der
zwanziger Jahre gleich von Anfang an auf zwei unerschöpfliche
Quellen stossen: den unberührten Schatz der naiven Volks-
poesie, zu der sie sich infolge ihrer Leidenschaft für das Ueher-
uatürliche, Wunderbare hingezogen fühlten, und die frischen
l'eberlieferungen der ehen ins Grab gesunkenen grossen Ver-
gSDgenheit, welche sie auch im Liede zu restauriren suchten mit
einer den Alterthumsforschem eigenen Genauigkeit, mit aller
Schärfe and Rauheit der mittelalterlichen Lebensformen. In
diesen beiden Richtungen war ihnen als Führer ein Mann mit
ongewöhnlich richtigem ästhetischem Gefühl vorausgegangen, der
selbst Dichter war, aber noch mehr als Professor der Literatur
und Kritik bekannt ist, Kazimir BrodziAski, den man mit
Recht nidit nur den Vorläufer von Mickiewicz, sondern aller
Kichtangen der polnischen Poesie des 19. Jahrhunderts nennt.'
Brodzü&ski war ein armer galizischer Szlachcic (geboren 1791 in
Krölöwka bei Bochnia, gestorben 1835 zu Dresden), hatte von
froher Kindheit an von einer bösen Stiefmutter, die ihn nicht liebte.
' Am b«Btea ist diese Seite der liternriaeben Bewegung in den zwan-
"i^T Jahren in dem talentvollsten Werke des l)c»t«D damaligen Kritikers,
Moritz MochDaoki, gewürdigt: „0 literaturzo polskiej w wieku XIX"
IWsrwhan 1830).
' Adun Betoikowski, „Kazimierz Brodzinaki, atudyum literackic"
lUmberg 1875).
fna, SUTiKbt UMntiuan. U, 1. 14
ü,g :.._.. ..Google
210 Viertes Kapitel. Die Polen.
von dem Dorfschullehrer, einem Deutschen, der mittels der Ruthe
in einer dem Polen unverständlichen Sprache unterrichtete, zur
Genüge zu leiden gehaht. Der zarte, schüchterne, empfindsame
Knahe lief vom Hause weg zu den Bauern, die ihn öfters in die
warme Stube nahmen und ihm zu essen gaben, und mit deren
Leben und Wesen er verwandt wurde von den ersten Tagen der
Jugend an. Sein bestes Werk, „Wie^aw", ist der Anlage nach eine
Nachahmung von Goethe's „Hermann und Dorothea", dem Inhalt
nach aber das lebendige Bild einer Dorfhochzeit nach der Sitte
der Bauern um Krakau. Dem fähigen Jüngling suchten deutsche
Lehrer in der Schule zu Tarnöw Liebe zur deutschen Literatur
einzuimpfen. Das Lesen polnischer Bücher ward verboten, ja
es war sogar sehr schwer, sie überhaupt zu erlangen: Bro-
dziüski hatte es nur einem Zufall zu verdanken, dass er mit Jo-
hann Kochanowski bekannt wurde; er fand ein Exemplar der
Gedichte desselben bei einer Marktfrau, welche die Blätter zum
Einwickeln benutzte. Als der nördliche Tb eil Galiziens zum
Grossherzogthum Warschau kam, trat der 18jährige Brodziiiski
(1809) in die polnische Armee, ging mit den Franzosen nach
Moskau 1812, erduldete alle Schrecken der Flucht der grossen
Armee aus Russland und kam 1813 in die Gefangenschaft der
Preussen bei Leipzig. Damit endete auch seine militärische
Laufbahn, seit 1815 Hess er sich in Warschau nieder, schrieb
Verse, gab Unterricht und erhielt zuletzt den Lehrstuhl für polni-
sche Literatur (1822—23) an der Universität Warschau. Ueber
diesen Gegenstand hielten hier gleichzeitig zwei Professoren Vor-
lesungen. Ludwig Osiöski, Dekan der philologischen Facultät,
herrschte in den Salons und lockte die vornehme Welt haufen-
weise in sein Auditorium, die von seiner klangvollen Diction
und Beredtsamkcit entzückt war. Kazimir Brodziiiski las mit
leiser Stimme nur wenigen Verehrern der Wissenschaft seine
gehaltvollen Vortrage, wo er die Hörer mit Shakespeare, Goethe,
Schiller, mit den neuesten liichtungcn der ästhetischen Kritik
bekannt machte. Mit dem Geist der Lelire Brodziiiski's und
seiner Methode können am besten die folgenden Abschnitte aus
seinen kritischen Abhandlungen bekannt machen:
„Wir waren ein mächtiges Volk, einzig in der Originalität
seiner Regierungsfonn , in der Raschheit seines Verfalls und in
der Schnelligkeit seiner Wiederbelebung. Indem wir Europa
zuvorkamen, sind wir durch alle Extreme seiner gegenwärtigen
ü,g :.._.. ..Google
Kazimir Brodziäski. 211
Efllirickelung hihdurchgegangeD. Die InstitutioDeo unserer Väter
waren erfreuliche Reminiscenzen an das Leben der freien alten
Völker und enthielten im Keime alle diejenigen Principien, auf
denen die neuem Staaten ihre Organisation zu begründen Buchen.
Nur Engel allein würden sich bei solchen Freiheiten, wie wir sie
geoossen, mit Erfolg regieren können; jedenfalls muss man uns
gote Menschen nennen, wenn bei uns unter solchen Freiheiten
nod solcher Anarchie so wenige Empörungen und Verbrechen
Torgekommen sind, im Verhältniss zu andern Vülkera, welche in
strengem Gehorsam gehalten werden. Wir fielen von einem
plötzlichen Donnerschlag getroffen und standen ebenso unverhofft
wieder auf, nachdem wir die Existenz und die von ihr untrenn-
bare Freiheit aus den Händen des grössten der Monarchen
(Alexander I.) empfangen hatten. Vom Feuer des Blitzes ge-
sengt, trieb der Stamm ein neues prophetisches Zweiglein; darin
birgt sich unsere Vergangenheit und unsere Zukunft. Wir stehen
jetzt in voller Kraft der Jugend und sind doch zugleich auch
gekrönt mit der grauen Erfahrung der Jahrhunderte. Unser
Ziel kann nur eins sein: ans in der Welt durch sittliche Bil-
dnng und nationale Würde zu bereichern. Der Schatz unserer
Mittel, diesen Weg einzuschlagen, ist nicht gross. Zur Zeit
haben wir nur Wünsche, Fähigkeiten und Hoffnungen, aber
nichts weiter. Politisch entartet, sind wir auch sittlich ver-
dorben. Politisch in Stücke zerschlagen, sind wir auch in
nnBem Meinungen und (Jeschmacksrichtungen ins Unendliche
auseinandergegangen. Drcissig Jahre dauerten unsere unstäten
Wanderungen in der Fremde im Dienst bei verschiedenen Völ-
kern. Ohne in dieser Zeit bei uns zu Hause etwas ausrichten
,zn können und zu passiver Betrachtung der grossen Ereignisse
in Kuropa, des stärksten Umschwungs in den Meinungen und
Geschmacksrichtungen verurtheilt, indem wir alle zehn Jahre
das System der Erziehung änderten, aus einer Hand in die an-
dere übergingen, — bilden wir jetzt kaum etwas Ganzes, dessen
ämmtliche Theile von einem Geiste gelenkt werden könnten,
bie Gesetze, die Gewohnheiten, der Geschmack, die Literatur —
alles ist bei uns fremdländisch. Wenn sich bei diesem baby-
lonischen Tharrobau die Merkmale unserer Nationalität nicht ver-
wischt haben, so ist dies ein Pfand, dass sie sich auch künftig
nifiht verwischen werden. Wir sprechen viel von der Nationa-
lität, aber diese Nationalität ist ein Geist, der sich bisher noch
1*"
ü,g :.._.. ..Google
212 Yiertea Kapitel, Die Polen.
nirgends in seiner eigentlichen Gestalt gezeigt ' bat. Das Alter-
thnm kann uns in der Literatur nicht retten, weil wir vorwärts
gehen müssen, Hand in Hand mit dem Geiste der Zeit. Die
Streitigkeiten der Classicisten mit den Romantikern sind unfrucht-
bar; der ClassiciBmus verlangt einen strengen Sinn, die Roman-
tik, oder besser gesagt die neuere Literatur, verlangt neue Ideen.
Wir müssen den Geist der Alten achten, aber wir können ihm
nicht das zum Opfer bringen, um vras die Bildung seit Quiuti-
lian reicher geworden ist. Der deutsche Mysticismus und Idea-
lismus können für uns keine ausreichende Nahrung sein, weil die
göttliche Wahrheit immer einfach ist nnd nicht in einem Gewirre
von Begriffen bestehen kann. Im Laufe der vielen Jahrhunderte
haben die Weisen irren und streiten müssen, um die Wahrheit
klarer und reiner zu machen; sie verwirren, heisst die Arbeit
von Jahrhunderten vernichten. Wir haben Böses und Gutes von
den Fremden entlehnt. Wie sollen wir mit diesen Metallen
verschiedenen Kalibers und verschiedenen Werths verfahren V
Wir haben die besten Stücke herauezusuchen , sie umzuprägen,
indem wir ihnen den nationalen Stempel aufdrücken; wir haben
auch unsere eigene alte Münze umzuschmelzen , indem wir ihr
einen Nominalwerth geben, welcher der jetzigen Zeit ent-
spricht; all dieses Kapital muss sorgsam auf die wirklichen Be-
dürfnisse des Landes verwendet werden. Nicht darauf kommt
es an, dass wir die Bibliotheken mit unsern Werken anfüllen,
sondern darauf, dass diese Werke einen schnellen Umlauf haben,
den Bedürfnissen der Masse entsprechen und bis zu dem letzten
Arbeiter gelangen können. Ich wünsche meinem Volke nicht
so viele Philosophen wie in Griechenland, noch so viele Ge-
lehrte wie in Deutschand, noch so viele Dichter wie in Paris.
Ich bin sogar überzeugt, dass sich einst die riesigen Bücher-
fabriken schliessen werden, welche wir jetzt sehen, und dass die
Menschen, zu praktischen Resultaten der Wissenschaft gelangt,
sich von jenem massigen rohen Material frei machen werden,
das eine Menge Hände von wirklicher Arbeit abzieht und die
Völker bald verweichlicht, bald fanatisirt. Alle diese Folian-
ten, Gommentare, philosophischen Speculationen und gelehrten
Streitigkeiten werden einstmals in Vergessenheit kommen, wie
die Ritterrüstungen, die jetzt als Curiositäten in alten Schlössern
gezeigt werden. Die gelehrten Arbeiten müssen den Haupt-
zweck haben, die politischen, religiösen und philosophischen
ü,g :.._.. ..Google
Kazimir BrodzMski. 213
Begriffe so eng wie möglich mit dem Interesse des Volkes zu
ferknüpfen." '
Die poetischen Werke Brodziiiski's werden ausser „Wieslaw"
gegenwärtig wenig gelesen; sie sind lieblich und graziös, aber
blass und süßslich im Vergleich zu den Werken seiner eigenen
Hörer und den Schöpfungen von Mickiewicz. Brodzinski war es
rei^ÖDut, Fortechritte in der Poesie zu erleben, welche seine
köhiistcn Erwartungen übertrafen, und die den bescheidenen
Vorläufer und Lehrer iu Vergesscnlieit brachten, aber er erlebte
auch den beklagenswerthen Aufstand des Jahres 1830, welcher
die feurige Ueberzeugung zerstörte, als oh es genüge, ein starkes
Gefühl seiner nationalen Individualität zu haben, um das Recht
einer politischen Individualität zu erlangen, als ob die erstere
Dicht nur die hauptsächlichste, sondern auch fast die einzige Be-
dingung der letztern wäre. Die Ereignisse des Jahres 1831 rissen
deu empfänglichen Brodzinski mit fort und gaben seinen Gedan-
teu ein seiner nüchternen Natur sonst durchaus nicht eigenes
(ieprilge von Exaltation, die in der Rede „Ueber die Nationa-
lität der Polen" ', gehalten am 3. Mai 1831 in der Gesellschaft
der Freunde der Wissenschaften, und in der nicht lange vor
seinem Tode in Krakau geschriebenen „Botschaft an die Brüder
in der Verbannung", herausgegeben von Bohdan Zaleski (1850),
zam Ausdruck kam. Hier erscheint Brodziüski schon als voll-
ständiger Messianist, der sich über die Zukunft des Volkes in
nifEÜscben Prophezeiungen ergeht. Brodzinski ging nicht in die
Verbannung, sondern reiste mit einem Pass ins Ausland. Er
starb zu Dresden 1835 in den Armen von A. E. Odyniec.
Zn derselben Zeit, wo Brodzinski iu Warschau durch seine
Vorlesungen und kritischen Artikel der Romantik den Weg bahnte.
' Vgl, die Werke BrodzJDBki's iu Tarowski'a Biblioteka poleka: Ueber
die Tendenz der polniaclien Literatur, S. 374—394; Ueber Classicität und
RomtHtik, S. 1—105. Heue AuBgabe der Werke von Brodzinski in 8 Bdn.,
Posen 1S72— 74, verbesaert von Kraszewaki; hiev haben auch die Uni-
ver<ität«vorle Bulben Brodziiiaki's nach einer von Dmochowski aufbewahrten
Handschrift Platz gefunden.
' „Das polnische Volk ist der Copernikus in der nioraliaeben Welt,
d. h. es hat das Gesetz der Oravitation aller Volker nach dem raoraliachen
Ceütmm — der Idee der Menschheit entdeckt. Ihm war es vergönnt,
die Eechk des Thrones und des Volkes ins Gleiebgewicht zu bringen auf
«Her Wt^, die am Himmel seibat bcfeatigt war."
.....Gooj^lc
214 Vi«rtus Kapitel. Die Polen.
entstand in derselben Stadt , theilweise unter seinem EinHuss,
theilweisc aber auch ohne jede Beziehung zu ihm, dem Geiste
der Zeit folgend, eine neue Dichterschule, die unter dem Kamen
der polnisch -ukrainigchen bekannt ist. Diese Sänger setzten
die einst schon von Klonowicz und Szymonowicz begonnene An-
eignung südrussischer Motive iur die polnische Poesie fort und
führten in diese letztere die kosakische Duma, die bald melan-
cholischen, bald kühnen Weisen der Volkslieder und das leben-
dige Gefühl der Berauschung an der unübersehbaren Weite der
ukrainischen Steppen ein.
Der früheste dieser polnisch -ukrainischen Dichter, Anton
Malczewski (1793—1826) lebte isolirt, starb fast in voll-
kommener Unbekanntheit und schrieb nur eine nicht grosse
Dichtung „Maria"', die bei ihrem Erscheinen (1825) gar keinen
Erfolg hatte, die Herstellungskosten nicht deckte, und erst
nach vielen Jahren, als der Verfasser schon langst im Grabe
lag, das populärste Dichterwerk in Polen wurde. Malczewski^
brachte die ersten Jahre seiner Jugend zu Duhno in Volynien
zu, empfing eine glänzende aristokratische Bildung in französi-
scbem Geiste im Aelternbause. Nachdem er das Lyceum zu
Kremenec besucht, trat er in den Militärdienst bei den Trup-
pen Napoleon's, ward schwer verwundet, wanderte dann fünf
Jahre im Auslande herum, liebte, schoss sich im Duell, brachte
sein ganzes Vermögen durch, leerte sozusagen die Schale der
Genüsse bis auf den Grund, machte sich aber auch mit allem
bekannt, was die westeuropäische Gesellschaft an Bestem be-
sass, mit Schriftstellern, Gelehrten, Künstlern. Darauf kehrte er
in die Heimat zurück, pachtete ein kleines Gut im Gouverne-
ment Volynien , schrieb in den Mussestunden seine Dichtung
in der Art und im Geschmack Byron's. In naher Nachbar-
schaft von Malczewski wohnte eine junge Cousine desselben,
welche nervenkrank und von den Aerzten als hoffnungslos
aufgegeben war; es zeigte sich, dass der Dichter eine grosse
Kraft zur Einwirkung auf die Nerven besass und die Dame be-
' Deutsch von C. R. Vogul (Leipzig 1845), A. WeiaB (Leipzig ISTII,
. Zipper (Hamburg 187») und in Nitsuhmaiin'a „ Polui»i.-facu Par-
iss", S. \m-Ui> (4. AuH., LeipziB 1875).
' Wöjcicki, Cmentnrz powijzkowgki, I, 41 (1855); Lucjan Sie-
ierteki, Poitrety literftckic, IV, 57.
...., Google
Anton Maluzcwski. SJIÖ
mbigeD konnte, iadem er sie wälirend der Paroxismea magnetisirte.
Ifie Heilung führte zur Liebe, eio verliess ibren Manu, er die Wirth-
scluft and beide fanden eich in Warschau ein, fast ohne Mittel, iu
einer Gesellschaft, welche an ihrem Thun Anstoss pahm. Den Dich-
ter hielt die Hoffnung auf de)i Erfolg seines Werkes aufrecht, aber
die Kritik verhielt sich unfreundlich dagegen ~ das Gedicht fand
keinen Absatz. Hunger und Kotb stellten sich am Lager des
knoken Dichters ein; als er starb, fehlte es an Mitteln, ihn zu
begraben. Malczewaki war, was man ein Weisshändchen nennt,
uri, schön wie ein Mädchen; in hohem Grade nervös und reiz-
bar, von jedem Miserfolg krankhaft mitgenommen, trug er sich
imiiier mit dem bittem Bodensatz unerfüllter Wünsche in der Seele,
Dam kommt seine nahe Bekanntschaft mit Byron. Sie lernten
Eich in Venedig kennen ; nach der Tradition soll Malczewski's
Enühlong von Mazeppa Byron begeistert und ihm als Thema für
seine Dichtung gedient haben. Andererseits erlag Malczewski dein
Zauber der dämonischen Natur Byron's und ward in der Kunst
sein Nachahmer. Bei Byron entlud sich der Lebensüberdruss
in Haas und Menscheuverachtung, sowie in einer giftigen Ver-
spottung alles dessen, was conventionell für heilig galt; bei
Malczewski kam ebendieselbe unheilbare Enttäuschung in einem
die Seele verzehrenden grenzen- nnd hoffnungslosen Kummer
zum Ausdruck. „Ich habe viele bittere, vergiftete Brote ge-
flossen", sagt der Dichter, „mein verwelktes Gesicht ist blass
geworden, aus meiner verbitterten Seele ist die Freude mit der
Wurzel herausgerissen" . . . Von Byron entlehnte er die Form
seiner poetischen Erzählung, und den Stoff nahm er aus einem
io der Ukraine sehr bekannten Crimiualprocess , dessen Haupt-
I>eraonen Felix Fotocki, der finstere, öde und beschränkte
Held der Confoderation von Targowica und dessen Vater, der
Wojewodc von Kiew, waren. Felix Fotocki hatte in der Jugend
gegen den Willen dcrAeltern eine junge Adelige nichtvornehmer
Herkunft, Gertrud Komorowska, geheiratbet. Seine' Aeltern, mit
dieser Misheirath unzufrieden, brachten die Frau in verrätherischer
Wdse um. Felix verwandelte sich bei Malczewski in deu schö-
nen Waclaw (was er freilich durchaus nicht verdiente), Gertrud
in Maria. Der herzlose und unbeugsame Wojewodc, schlimme
.\bsichteu in der Seele bergend, sendet einen Kosaken mit einem
Briefe an den alten Kron-Schwertträger (miecznik), den Vater der
Maria, den er unter Schmeicheleien um Versöhnung bittet nnd
D,9:.z.a., Google
216 Viertes Kapitel. Ke Polen.
dem er zugleich das Obercommando in eiuer Expedition gegen die
Tatareo anträgt, an welcher auch Wactaw thellnehmeii soll. Die
Expedition war nur ein Vorwand, um Waclaw und den Schwert-
träger auB dem Uauge zu entferneu. Während sich letztere beide
tapfer mit den krim&chen Räubern schlagen, wälzt sich auf den
Hof des Schwertträgers ein lärmender Haufe -von Faschings-
gästen in Masken und Costuinen. Vergebens weist der alte
Diener die ungebetenen Gäste vom Hause weg, ihm selbst flim-
mert es vor den Augen, als vor ihm Zigeuner, Hexen, Harlekine
und Teufel zu tanzen beginnen. Alle diese Masken sind nichts
anderes als die von dem Wojewoden abgesandten Mörder: sie
ersäufen Maria im Teiche. Der siegreiche Waclaw, durch eine
sonderbare Ahnung beunruhigt, fliegt dem Schwertträger voraus,
zu seiner Frau, galoppirt des Nachts in den Hof des letztem,
klopft am Hause an, steigt zum Fenster bineiu und findet den
kalten, geschwoUeuen Leichnam des geliebten Weibes. Ein ge-
heim nissvoller Page, eine phantastische Persuu, — ob der gute
oder böse Geist Waclaw's, bleibt unentschieden — berichtet ihm
über die an dem Tode seiner Frau Schuldigen; Waclaw's Herz
ward in einem Augenblick vergiftet; von allen Qualen der Hölle
verfolgt, verschwindet er mit dem Durst nach Blut und Rache,
dem Gedanken an Vatermord in der Seele. Das Gedicht schliesst
mit der Darstellung des ergrauten Schwertträgers, der still ohne
Thränen und Murren auf dem Grabe seiner Tochter verscheidet.
Die Hauptaufgabe, welche sich Malczewski stellte, war allerdings
eine psychologische; er wollte dieEntwickeluug der Leidenschaft
darstellen, die Verderbniss und Entartung einer edlen Seele,
welche in den eisernen Klammern eines unglücklichen Verhäng-
nisses vor Gram vergeht. Wie Byron ist er vorwiegend Lyriker,
sein Gedicht ist sozusagen ein ausgerissenes Blatt aus seiner
eigenen Selbstbiographie, eine Wiedergabe des von ihm selbst
Empfundenen; seine eigene Persönlichkeit führt er überall auf
die Scene, bald in der Gestalt des vertrauensvollen Wat^aw, bald
in der des geheimnissvoltcn Engels oder Dämons — des jungen und
doch dabei untröstlich bekümmerten Pagen, bald in der herr-
lichen Gestalt der bleichen und taubenreinen Mana.* Wie Byron
' Es zeigt
Kein Naea das Auge, keim; S(;hmcrzcuaregung ;
l)a sieht tnau uichts von Kämpfen, längst vergangen.
.:.., Google
Antou Malczewaki. 217
terfällt er zuweilen in EfFecthasclierei und misbruucbt die Alle-
gorie, indem er absUacte Begriffe, LeideoBchaftco und GefUlile
[lersonificirt. ' Aber trotz dieser Mängel und trotz des ungünstigen
Imstandes, dasE das Ergcheineii dieses Uedichts gerade iu die
Zeit fiel, wo die grossartigsteii Werko der ersten Epoche der
polDischeD Romantik ansLiclit traten, ward „Maria, eine ukrai-
DiEche Erzählung" docli das beliebteste und populärste Werk,
<las durcb die Tiefe und die Aufrichtigkeit des Gefühls einer
scbmerzlicb leidenden und enttäuschten Seele anzog. Dabei hat
Malczewski, obgleich die Reproduction der Vergangenheit ein sehr
secuodäres Element im Plane des Gedichts bildete, es doch als
grosser Künstler verstanden, diese Vergangenheit mit zwar nur
wenigen, aber sehr typischen >{ügeu darzustellen. Das Habicht-
profil des Wojewoden erregt Schrecken, die Riesengestalt des
alten Schwertträgers scheint in Stein gehauen zu sein und wirkt
episch. Uebrigens hat Malczewski nur einige Seiten dieser Ver-
gangenheit herausgegriffen; seine Ukraine ist die Ukraine der
Magnaten und der Szlachta. Das Volk erscheint bei ihm nur
als malerische Zuthat zur Landschaft in Gestalt des wojewodi-
schen Kosaken und Couriers, der mit dem Briefe zum Schwert-
triger galoppirt:
Er grUBset kurz, in seiner aulilichttin Art,
Zwar üoterlhan, gleicht er dem Diener nicht,
Vom Vater erbt' er freien Denkens Licht
Und, wie er stolzen Blicks zum Herrn begehrt,
Wird er vom Führei'schwarm als Herr geehrt. . , . ^
Malczewski war seiner Erziehung nach dem ukrainischen Volke
ß^M fremd, er sab es vor dem Adel nicht, aber er fasBte mit
Den NachktaDg nur der Hoffnung, die cntauhwand,
Den Blick, vom Licht des Glückes einet entbrannt,
VoD) Qualm des nun erloschenen umfangen.
UebfinetiuDEf voa H. NLUchuauD a- l O.
b8 Gcien zur Charakteristik der Manier Malczeski die folgenden vier
^ '"Reführt, welche den Kummer der Maria nach dem Weggang Wa-
' '"■ " «larBtellen; hier ist jedes Wort Allegorie :
it '** ^*'' ^^ *** ^^"^ allein sitzt traurig sie und bleich,
Jnr Seofzen stört die Ruhe nur im einsamen Bereich;
^cr Baum des Glückes ist verdorrt, an dem der Gram verzagt
"•■ Beine Domenzweige treibt, der Wurm des Schmerzes n^t.
i Ij UtbenatiiiDg von H. Nluohiuiui ». «. O.
*">eraetzung von H. Nitschmaon a. a. 0.
ü,g :.._.. .,GOOg[f
218 Viüi-tüs Kapitd. Dio Poka.
dem Herzen des KünBtlers die Schöuheiteii der ukraiiiiscbeD
Natur auf und gibt die weiten gradlinigen Contouren derSteppen-
landscliaft in uunacbahmlicber Weise wieder:
Woliia das Auge blickt In weiter Flur,
Kann es kein Leben, keinen Itastpunkt finden;
Die Sonne scheint auf grenzenlose Leeren,
Der Dohle Ruf allein durchbricLt die Stille,
Und hier und da zirpt im Gestrüpp die Grille,
Sonst alles durapf, die LiiFL nur scheint zu gären.
Doch wie? darf alter Zeiten Angedenken
Auf keinem Monument der Väter rasten,
Sich seiner schweren Aengste zu cu.tlBstenV
Nein, nein, es wolle denn hinab sich senken
In tiefe Erde dort, wo Waffen liegen,
Gebeine, niemand weiss, wem sie gehört;
Die Asche birgt den Keim zu neuen Siegen,
Doch auch den Wurm, der an den Leichen zebrt;
Und haltlos irrt der alte Geist umher,
Verzweifelnd in dem Räume, weit und leer. '
Gleichzeitig mit Malczewski entdeckten einige junge Ukrainer,
bei weitem jünger als er, gemeinsam von ilirem künstlerischeu
Gefühle geleitet, den reichen, von allen vernachlässigten und,
wie es schien ^, vergessenen Schatz der kosakischen Poesie. Dies
waren Padura, M. Grabowski, B. Zaieski und S. Goszczyäski.
Sie ulle betrachten das Kosakentbum als einen Bestandtheil des
polnischen Volks und derpolnischenGescbichte. Von ihnen plante
Padura {1801 — 72), Zögling des Lyceums zu Kremenec, ein
kühnes Untci-ncbmcn: er wollte ein Volkssänger, ein wandernder
Uhapsode werden, indem er Lieder in volksthümlicher, d.i. süd-
russischcr Sprache dichtete. Er durchwanderte das Land kreuz
und quer, besuchte die Orte, wo die SeC gewesen war; schloss
sich einem der extremsten Sonderlinge jener Zeit, Waclaw Rze-
wuski (dem Sohn des aus der Conföderation von Targowica be-
kannten Severin Itzewuski) an, der lange im Orient gelebt, sich
wahrend der Zeit mit den Arabern verschwägert, deren Sitten
' Uclici-eotzung von IL Nitsuhmann a. a. ü.
' Vor den ersten Auf^^aben der Dunicu; vor den Werken Kvilka'a u. a.
iu den dreissiger Jahren, und vor dem Auftreten Scvteuko'a während der
vierziger Jahre.
...., Google
T. Pailura. M. Giabowski. 219
imtl Kleidung angenommen liatte und zeitlebens Emir 'i'adz ul
Fahr' blieb, sogar nachdem er auf sein Familieugut Sawraii
i\^'S>) zurückgekehrt war. Hier ward Padura einheimisch und
dichtete. Seine Lieder fänden dann durch den Tlieorbenspieler
Witorot und andere mittels mündlicher Ueherlieferung Verbrei-
tung, wurden aber lange nicht gedruckt, weshalb Padura selbst
für eine Art mythischen Wesens galt, bis er 1844 in Warschau
die „Ukrainky s uutoju Tymka Padurry" („Ukrainische Lieder
mit Melodien von Tjmok Padura"; der Vorname ist verändert:
er biess Thomas und nicht Timotheus) herausgab. Später ward
l'adnra last ganz vergessen, starb za Kozjatyn und ward zu
Machnöwka im Gouvernement Kiew begraben.* Die im Ganzen
sdir wenig zahlreichen Versuche Padura's sind in folgender Be-
ziebuDg interessant. Die Gefühle und Gedanken waren bei ihm
rein polnisch und nur die Sprache, die Formen und die artisti-
sclien Mittel ukrainisch - volksthümlicb. In seiner Thätigkeit
scliiraniorte auch eine Tendenz durch — ganz dieselbe, welche
das Kosakenheer K. Kö^ycki's im Jahre 1831 erzeugte. Das ist
der Grund, weshalb Padura die Lyrik um der Dumka willen
TerUess und in der letzern (z. B. in der über Roman Koszyrski,
d. i. Sanguszko) die Helden aus der Chronik derjenigen Epoche
<les Kosakenthums besaug, als es sich noch unter den Fittigen
des weissen polnischen Adlers barg, d. i. vor Chmelnickij.
Die übrigen drei von uns genannten Ukrainer begaben sich
um 1820 nach Warschau, um zu studiren, hörten genieinschaft-
Ücli die Vorlesungen Brodzinski's und lebten in engster Freund-
«haft. Der eine von ihnen, Michael Grubowski (1805 — 63),
Wkannter als Verfasser von Erzählungen in der Art Walter
Scotfs und als Kritiker („Literatura i krytyka", Wilua 1837 —
40; die Artikel in Aksakov's moskauer „Deii" u. s. w.), lebte
ia Kiew, hatte Einfluss auf Kulis und beschloss sein Leben in
Warschau als Director der Commission für Unterricht und Cul-
tas unter Wielopolski. Joseph Bohdan Zalcski (geb. 1802; bat
stbon lange aufgehört zu schreiben) und Severin Goszczynski
(gest. 1876) machten sich als dichterische Talente ersten Kanges
' äicmicnski, Portitty litcraekio, 4. Bd.: Emir Taili ol Fabr. Ein
ror Hämo, unter dem ihn Padura vei'horrlicLtc, war „Goldbart".
' Der Arlikcl Pr/yborowski's über Padura im Tyguduik illuslro-
.V 1873, Nr. a21>, und in Biblioti;k8 Warazawsk« 1S72.
...., Google
220 Viertes Kapitel. Die Polen.
berühmt, gingen aber infolge der Eigeuthiimlichkeit ihrer Tem-
peramente in ganz entgegengesetzten Richtungen auseinander.
Zaleski' ist vor allem und fast ausschliesslich Künstler, in der
Poesie nur Lyriker und zwar einer der subjectivsten , dabei von
solcher Art, dass er am besten fröhliche, zarte Gefühle, nur die
graziöse Seite der darzustellenden Gegenstände mit unnachahm-
licher Schärfe der Farben und Lebhaftigkeit wiedergibt. Der
Inhalt dieser der äussern Form nach ausserordentlich schönen
Poesie zeichnet sich weder durch Mannichfaltigkeit noch durch
Tiefe der Ideen und Aufgaben aus. — Zaleski besingt nur sein
Diieprland. „Mich, ihr Schosskind", schreibt er, „hat die Mutter
Ukraine mit dem Liede gross gezogen . . . und zur Rusalka ge-
sagt: pflege mein Kind, nähre es mit der Milch der Dumen
und dem Saft der Blumen, lass ihn die schönen Bilder meines
alten Ruhmes träumen, dass um ihn herum alle Sagen meines
Volkes erblühe», geschrieben mit Gold undLazur. 0, klangvoll
wie ein Liedchen, haben die Küsse meiner Amme, der Rusalka,
mein Blut auf immer entflammt.'^ . . . („Duch od stepu" —
„Geist der Steppe"). Wir führen noch eine Stelle an, in welcher
Zaleski die Quellen seiner Begeisterung und Poesie aus Beinern
eigenen Leben darlegt: „Mit der Theorhe aufgewachsen, sehe
ich den Dnepr, Ivangöra, die Hütte im Hain, den greisen Traum-
deuter, als wenn ich mich gestern von ihm verabschiedet hätte.
Es sangen dort die Vögel fast den ganzen Tag und die Mäd-
chen sangen auf dem Platze, dann ertönte die männliche Stimme
des Kriegsruhms der Atamana — alles Hoss zusammen in ein
lebendiges Lied, und ich trank dieses Lied in vollen Zügen^' . . .
(„2jwa pie^ü" — „Das lebendige Lied")-
Ans diesem /auberkreis von Ideen, die er sich von Jugend
auf angeeignet, vermag Zaleski auf keine Weise herauszukommen.
Mitten in den Alpen denkt er an die Ros und Tjaämina, in der
römischen Campagna sehnt er sich nach den Steppen, als echter
Barbar schreitet er auf dem Capitol einher, aber es kocht ihm
das Blut beim Anblick eines slavischen Bruders — des sterben-
den Fechters (,,Przechadzki po za Rzymcm" — ,,Spaziergä.nge
ausserhalb Roms"). Als dann später Zaleski in der „Heiligen
' P. Chmiulowski, „Poezye J. B. Zaieakiego" {iu Kiwa 1877, Nr. 65,
66). — Letzte Auegabe der ticdiehte Zaleeki'« (3 Bde., Lemberg 1877). Vgl.
Przegl%d Tygoduiowy I«78, Nr. 18—21.
...., Google
Bohdw^ZiileBki. 221
Familie" („Przenajäwigtsza Rodzina") ^ den Versuch machte, die
Jngend Ghrieti darzustellen, trug er auch in dieses biblische
Werk seine Heimat hinein,' sodass sich darin wenig von Galiläa
ud dem Jordan findet, sondern die nach Jerusalem zum Feste
eilenden Volkshaufen aufs Haar den südrussischen öumaken (Salz-
fahrleute) gleichen, die ihr Nachtlager aufgeschlagen haben,
oder Pilgern, die zu den heiligen Orten wandern, nach Foöajev
oder in die Peöerskaja Lavra (das Höhlenkloster) zu Kiew.
Das „^nmakische" Leben des Emigranten — Zaleski begab
sich 1831 ins Ausland — trug noch mehr zur Entwickelung die-
KT einseitigen Ausschliesslichkeit in dem von seinem Boden los-
gerissenen Dichter bei. Der Kreis der Stoffe seiner Poesie war
nnd blieb beschränkt. Das Verfaältniss derselben zur Phantasie
des Dichters ist so, dass alle Strahlen der Wirklichkeit, welche
durch diese Phantasie hindurchgehen, ungewöhnlich stark ge-
brochen werden, chromatische Bilder geben. Jeder Strahl ver-
vandelt sich in einen Regenbogen, unter diesen Regenbogen, Tril-
lern und Coloraturen, unter dem Niederschlag der subjectiTSten
Ejnpfindungen verschwindet, durch sie verdeckt, das ursprüng-
liche Motiv, und es gibt ganze Diebtungen, deren Inhalt nur mit
Uflhe erklärt werden kann. Dabin gehört z. B. das erste Werk
des Dichters, welches seinen Namen am meisten berühmt gemacht
hat, „ßusaiki" (um 1830), worin er sich selbst in der Gestalt
des Kosaken Ci^aw Zorja darstellt und alle Peripetien seiner
Jagendliebe zu der bezaubernden und launenhaften Zorina, seine
Zirigte und Versöhnungen mit ihr erzählt; von den spätem
Werken ist dahin zu rechnen „Kaliuowy most", Phantasie über
die Jugend des Dichters, der schon graue Haare hat. Da die
Bildung Zaleski's nur eine künstlerische, aber keine philoso-
phische war, so erklärt sich dadurch auch, warum er kein
einziges grosses, einheitliches Werk geschaffen hat, wozu eben
eine philosophische Idee als Kitt nöthig ist. In der Fremde,
nnter dem Eindruck bitterer Verluste und der Sehnsucht nach
der Heimat, verfiel Zaleski, wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen
unter den Dichtem der Emigration, in den Mysticismus und
ward auf kurze Zeit zugleich mit seinem Freunde Mickiewicz
ein Anhänger der religiösen Sekte Towialiski's , kehrte aber
bald zum strengen kirchlichen Katholicismus zurück. In dieser
' Deutsch von A. Zipper (2. Aufl., Leipzig 1
.,GüOJ^Ic
222 Viertes KBpitel. Die Polen.
zweiten mystischen Periode seiner dichterischen Thätigkeit ver-
suchte er mit der Dichtung ,,Der Geist der Steppe" („Duch od
stepu") in einem zusammenhängenden Epos die Geschichte der
Menschheit darzustellen, aber trotz schöner Einzelheiten mislaDg
das Gedicht doch wegen der Armuth an Inhalt und an manchen
Stellen überrascht es durch seinen Gegensatz gegen den Fort-
schritt der Zeiten, durch das negative Verhalten des Verfassers
zu den grossen Entdeckungen und Ereignissen der letzten Jahr-
hunderte: der Reformation, der UeTolution des 18. Jahrhunderts.
Der Dichter erzählt die Geschichte seiner Seele vor der Geburt:
die Mutter Ukraine hat diese Seele den ßusalken zur Erziehung
gegeben; auf einen Wink Gottes lässt sich das luftige Flatter-
wesen herab, wird Fleisch, sehnt sich nach ihrer Heimat jen-
seits der Wolken und durchlebt in Gedanken alle Momente der
Entwickelung der Menschheit, wobei als Urheber aller Uehel
der hochmUthige Verstand erscheint, der sich gegen den Glau-
ben empört , und die fleischlichen Lüste — als wenn mau
das fiekenntuiss eines mönchischen Asceten aus dem Mittel-
alter hörte. An manchen -^teilen belebt sich die Erzählung und
glänzt durch Schönheiten, z. B. wo der Dichter die Völkerwande-
rung und Attila darstellt, aber auch dies nur aus dem Grunde,
aus dem er sich dem sterbenden Fechter gegenüber nicht gleich-
gültig verhalten kann, d. i. weil er auf einen Barbaren und
auf Scharen gestossen ist, die sich gewissermassen als Froto-
type der künftigen Kosaken darstellen.' Besondere Beachtung
verdienen wegen ihrer Vorzüge und Mängel die epischen Rhap-
sodien Zaleski's. Das kleinrussischc Volk hatte zweierlei Epen,
die volkstbümlichen Bylinen des Vladiniir-Cyclus, die vom Volke
' „l>er in Stahl geschmietlpto iletTfiilirer i-citct, führt auf wegelosen
Sti'cukeu — di(! R(>itci'atatuR Atliuiiriuhs (ilen Kimiga aller Hunuen), rauh
wif ein Bür, nelmig;, niaffcr, iinr aus Kniiulieii liente)i(^nil , (iiittesgeiaBpl.
das (iesieht drohen«! nnil wilil, ilus Antrc ntemnlo siwh HelilipREPml, weit ilie
Augenlider aD die Stirn gcwacliBfo iind. Wie ein Fluss, der sieh zwischen
Bteiien Felsen den Weg bi-iuht, lärmen die hinter ihm herstrüinenden Haufen:
Rom, Rom, wo iat Rom?
„Diu Reiteratatue — der nnKUgänglielic Heerführer, tau!) und slumni,
i-eitet, führt auf wegelosen Strcekcn, pliit/lich hloilit er stehen; Hier ist ein
Halt. Sollen wir nach dieser oder jener Seite gehen in den Steppen? I>aH
wird unH der Komet in der Naeht sagen. Rom, Rum itt nicht weit, hinter
sieben Bergen, hinter neun Klüaseul"
...., Google
Bohdan ZaleBki. 223
selbst fast vergessen sind und sich nur in fragmentarischer
üeberlieferung erhalten haben, nod die in späterer Zeit an
ihre Stelle getretenen kosakischen Dumen, ein neues historisches
Volksepos, das sich bis zur Gegenwart lebendig erhalten hat,
aber von einem Geiste durchdrungen, der für Polen durchaus
nicht freundlich ist. Zaleski waren die kosakischen Dumen am
meisten bekannt. Das Kosakenthum war unter den Fittigen Po-
lens entstanden und zur Entwickelung gelangt; erst vom 17- Jahr-
handert an wendete es die Waffen des Bürgerkrieges gegen Polen.
Diese letzte, mit Blut bespritzte Seite des Kosakenthums, ist Za-
leski zuwider, sowol wegen seiner heitern und weichen Natur als
wegen seiner Nationalität, als Polen. Kr sah sich also genöthigt,
weiter zurückzugreifen, ins 16. Jahrhundert, und Ereignisse und
Leute zu besingen, über die er dies und jenes in den alten polni-
schen Chroniken gelesen, die aber dem ukrainischen Volk seit Bog-
daii Chmelnickij schon aus dem Gedächtniss geschwunden waren,
z. B. die Züge der Zaporoger über das Schwarze Meer, des
Enstatbius Daäkovic, des Predslav Lanckoronskij , des Hetmans
Kosinskij und des tapfem Sahajda6nyj , der seine Heerscharen
vor Chotin unter dem Oberbefehl des Königsohnes WJadyslaw
führte. Alle vorgeführten Personen bewegen sich regelrecht,
leicht, schön, malerisch und hannonisch, aber darin eben liegt
die Unwahrheit, dass sie keine echten, sondern Balletkosaken
sind, dass sie glatte Frisuren tragen, dass sie nach Parfüm und
nicbt nach Theer duften, und dass unter ihrem Stahl das Blut
in schönen himheerrothen Strömen spritzt. Es sind alles kühne
Burschen, flotte Wagehälse, die an nichts Anderes, Ernsteres den-
ken, als an verwegene Streiche. Ausserdem sind ihnen zum offen-
baren Nachtheil der historischen Wahrheit Gefühle beigelegt, die
ihnen durchaus nicht eigen sind. Es ist zweifellos, dass sowol Ko-
sinskij (zu Ende des IG. Jahrhunderts) als Sahajdacnyj (m Anfang
des 17. Jahrh.) sich der Dienstpflicht gemäss treu und ehrlich mit
den Tataren und Türken unter den polnischen Fahnen geschlagen
haben, aber ein jeder von diesen Heerführern des Kosakenthums
hatte seine eigenen Standes- und Stammesinteressen und -Berech-
nnngen, infolge deren er seine Beziehungen zu Polen nicht vom
Standpunkt des polnischen Szlachcic und Patrioten betrachten
konnte. Kosinskij konnte zu seiner „Schwarzbrauigen" nicht sagen :
„was kann es helfen die Hände zu ringen, wenn uns der Wille des
Reichstags und des Königs befiehlt, in die Schlacht zu gehen"
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234 VierteB KapiteL Die Polen.
(„Dumka hetmana Kosinskiego"). Die falsche Note, welche in den
Dutnen Zaleski's klingt, hat dieselben nicht nur nicht zu Fall ge-
bracht, sondern war die Ui-sache ihrer übermässigen Popularität,
als das dem Geist der Zeit entsprechende Streben, das Eosaken-
thum ästhetisch zu polonisiren. M. Grabowski hat das Verhältniss
der ukrainischen Dichter zur Ukraine 80 formulirt, dass Malczewski
die adelige, Zaleski die kosakiscbe, Goszczynski die hajdatnaki-
Bche Ukraine gezeichnet habe. Auf dem gebahnten Wege folgten
eine Menge Nachahmer, die Zaleski's Manier in's Carricaturen-
hafte verzerrten und 1838 die folgende Bemerkung in einem Briefe
Mickiewicz' hervorriefen (Korr. 1, 124): „Die Ukrainer haben sich
auf Bohdan gesetzt, und reiten auf ihm: hopp, hopp, hoppl Sie
machen mich rasend. Man muss diese Scribenten von ihrem
ukrainischen Pferde herunterreissen." Alle Personen, die in den
Dumen Zaleski's vorgeführt werden, sind lieblich, aber miniaturen-
haft, wie durch ein VerkleinerungsglaB gesehen. In dieser Mi-
niaturmalerei kann man den „kundigen Bojan" nicht von Wemy-
hora, die Fürsten und Bojaren von Kiew nicht von Chmelnickij
und Mazeppa unterscheiden. Diese Fähigkeit, die Gegensätze
auszusöhnen und die Dissonanzen auszugleichen, macht aus Boh-
dan Zaleski einen echten Pauslavistea. „Ich liebe slavisches Ge-
tön", ruft er aus, „ich klatsche in die Hände, wenn ich auf
einem ukrainischen Grabhügel stehe. Held Safarik! herrlich,
Kopitar! Immer mehr Lieder Vuk Karadiidl Das Uebrige wer-
den wir Gusljare hinzufügen" („Gwar slowiaöski"). Insbeson-
dere tritt uns aber diese Fähigkeit in den religiös-mythologischen
Werken Zaleski's entgegen. Er hat sich so in den kleinrussiscben
Volksglauben eingelebt, dass man zuweilen nicht unterscheiden
kann, was er ist, ob römischer Katholik oder griechisch Ortho-
doxer, und hinter den christlichen Bildern und Vorstellungen
schimmert bei ihm eine alte slavisch-heidnische Grundlage aus
alten, dunkeln, vorhistorischen Zeiten durch („Ksig^na Hanka";
„Podzwonne ku ojcom").
Der letzte der Schrifteteller aus der ukrainischen Gruppe,
Severin Goszczyäski, ist ein physisch kräftiger Mann, von
starken Ueberzeugungen , energisch. Sein Lehen ist im Ein-
zelnen wenig bekannt. Er gehörte mit zu denen, welche den
Aufstand im Jahre 1830 anstifteten, indem sie durch den Ueber-
fall des Belvedere- Palastes in der Nacht vom 29. November
das Signal zu der Volksbewegung gaben. Er nahm an dieser
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Severiu Goazcz;Aski. 226
BewegoDg theil als Soldat und Sänger, lebte alsdann einige Zeit
in Galizien und endete damit, dass er ein Mystiker, ein Anhänger
Towianski's wurde und zu Anfang der vierziger Jahre fast ganz
»afliörte zuschreiben. Goszczynski repräsentirt in seiner Person
denjenigen Moment der Entwickelung der Romantik, wo es galt,
die y&tur und ihr Leben im Geiste der nationalen Weltanschauung
trea, ernst, realistisch und objectiv zu reproduciren. Die Eigen-
tbümhchkeiten seines persönlichen Temperaments sprechen sich
nar darin aus, dass er aus der Natur und der Volksphantasic
nur kräftige und dunkle Farben entlehnt, nur das Wilde, Schreck-
liche, Tragische, Dämonische nimmt: die Unglück verkündenden
Rufe der Eulen, das Knarren des Leichnams, der vom Winde
am Galgen geschvrenkt wird, und die schwarze Nacht, während
»elcher der Fersenlose (d. i, der Teufel) den Menschen schlimme
Streiche spielt. Im Colorit ist er unvergleichlich und hat den
Pinsel eines Rembrandt für die Darstellung von Feuerschein in der
Finsterniss der Nacht. Unter den Linden am Dnepr sind Bur-
schen und Mädchen zur Abendunterhaltung zusammengekommen,
singen, tanzen und küssen sich um den flammenden Scheiter-
baufen, und etwas weiter davon hat sich eine andere stillere Ge-
sellitchafl Tersammelt: dort unterhalten sich ein armer Sünder,
vom bösen Wirbelwind getragen; ein rother Vampyr, der um
Mitternacht aus dem Körper das Blut schlafender Kinder saugt;
eine Hexe, welche mit dem Thau der Blumen die Sahne be-
sprengt; eine nngetaufte Seele, die auf den Höhen stöhnt; der feu-
rige Drache, der die Weiber dürre macht („Zamek Kaniowski"
— „Das Schloss von Kaniöw").
Aber indem er unter das Volk ging, um dessen Sagen und
Aberglauben zu studiren, erfüllte sich Goszczyäski als echter
Romantiker so mit dem Erforschten, dass er sich, wenn auch
nicht alles, so doch das Wesentlichste aus dieser Weltanschauung
^eignete, welcher der Antbropomorphismus eigen ist und welche
alle Naturkräfte beseelt und personiticirt. In seinem eigenen
Geiste fanden sich unzweifelhaft die Grundtagen eines Mysticis-
mos, der mit dem volkstbümlicben verwandt war: er glaubte
selbst au die Existenz jener geheimnissvollen lebendigen, dem
JlatarforBcher unbekannten Kräfte in der Natur, denen das
Volk bei aller Roheit seiner Begriffe näher steht als der Ge-
lehrte, weil das alte Band mit der Natur für den civiliairten
Menschen zerrissen ist, während es für den gemeinen Mann noch
Pwn, BUtIkIu LtlanlDTMi. n, 1. 15
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226 VierteH Kapitel. Die Polen.
besteht. Mit einem Wort, Goszczyäski erging es so, wie vielen
Humanisten des 16. Jahrhunderts, welche durch die Erforschung
des Alterthums soweit fortgerissen wurden , dass sie sich sogar
die antiken religiösen Glaubensvorstellungen aneigneten. „Uralte
Erdel" sagt der Dichter, „zu jener Zeit war das, was heute ein
Wunder ist, kein solches; unsichtbare Kräfte spielten sichtbar und
bewachten den Menschen wie ein Kind. In der Luft^ in den Bäu-
men, im Stein, unter dem Wasser fanden die Leute blutsverwandte
Sympathie; weil sie die Natur nicht verachteten, kannten sie
dieselbe und liebten sie wie eine Mutter." (Sobötka — Johannis-
feier). „Die Natur", sagt Chmielowski', „beschenkte Goszczyiiski
zur Belohnung für seine Liebe mit kiihnen Gedanken und origi-
nellen Ideen. Die Phantasie, durch nichts zurückgehalten, lebte
auf, erstarkte und Sog hoch hinauf, diejenigen ins Zauberland
mit fortreissend, welche sich ihrer Führung überliessen." Un-
regelmässigkeit und Zügellosigkeit , aber damit zugleich Frische,
Wahrheit und Kraft, das sind die Eigenschaften dieser Poesie.
Ihre Motive sind andere als bei allen Vorgängern GoszczyAski's,
die Fabel ist künstlicher und verwickelter, die Ereignisse verflech-
ten sich unerwartet, aber verknüpften sich zu festen Knoten, auf
die Scene werden wirkliche, psychologisch motivirte Charaktere
gebracht, nicht in der Art von Schattenspielen oder Silhouetten,
wie der Wojewode und der Schwertträger bei Maiczewski, noch
in Email-Miniaturen wie bei Zaleski, sondern in lebendiger Be-
wegung, in Kampf und Conäict. In dieser Darstellung der Cha-
raktere bekundete Goszczynski ein gewaltiges dramatisches Talent,
wozu sich weder bei Maiczewski noch bei Zaleski auch nur die
Grundlagen finden. Blut schreckt ihn nicht, seine Hände zittern
nicht, wenn er die lebendige Brust öffnet mit künstlerischer, fast
Shakespeare'scher Ruhe, mit der Gleichgültigkeit eines Anatomen.
Goszczyäski hat nicht viel geschrieben ; er ist ukrainischer Dich-
ter nur nach dem ersten und hauptsäclilichsten seiner Werke,
dem jjSchloses von Kaniöw" („Zamek Kaniowski", 1828), das
einem blutigen Ereigniss, dem Bauernaufstand, bekannt unter dem
Namen der Koliiwszczyzna (1768) entlehnt ist, welcher niederge-
worfen wurde und die schärfsten Repressalien seitens der polni-
' Sobötka. Zeetawienie dwoch wieköw etc. (in „Tygodn. üluetr." 1875,
Nr. 367—375).
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Severin Goszczynaki. 227
Ecficn Regierung und der Gutsbesitzer hervorrief. Der Inhalt der
Dichtung ist folgender:
In der Gegend von Smila ward gehören nnd vuchs auf der
Kosak Nebaba, ein stattlicher, kühner, gewandter Bursche, der
m Mädchen, Xenia, aus demselben Dorfe bethörte. Xenia wurde
tjariiber ganz wirr und pflegte jede Nacht einen feurigen Dra-
clieii — den Geliebten — zu erwarten. Nebaba gab sich aus
Spass für einen solchen Drachen aus; allein als sich Xenia wirk-
lich an ihn hängte und ihn mit ihrer zudringlichen Liebe zu ver-
folgen begann, warf sie Nebaha in den Dnepr und er selbst ent-
floh: dies hatte sich vor Beginn der Dichtung ereignet. Xenia
hatte sich irgendwie aus dem Wasser gerettet, war vollends
irrsinnig geworden und lief von Dorf zu Dorf, zerzaust, wild,
wie ein Unglücksgespenst, das schlimme Ereignisse verkündet.
Schreckliche Dinge bereiteten sich wirklich vor: die Bauern
»etzten die Messer gegen die Pane, der Ausbruch des Gemetzels
stand bevor. Xenia erscheint in der Umgegend von Kaniow,
einem Schlosse, das dem durch seine Grausamkeit berüchtigten
Starosten Nikolaus Potocki gehört. Das Schloss liegt auf einer
Anhöhe am Dnepr und beherrscht ein Städtchen gleichen Namens.
Im Schlosse wohnt auch der ehemalige Geliebte der Xenia, Ne-
baba, der, nachdem er in den Dienst des Starosten getreten,
für seine Umsicht, Tapferkeit und Gewandtheit zum Anführer
der Schlosskosaken des Starosten ernannt ist. Er ist leiden-
schaftlich in das Kosakenmädchen Orlika verliebt, welche das
Unglück hatte, die Aufmerksamkeit des Schlossverwalters auf sich
iQ lenken. Der Schlossverwalter will sie heirathen und erfindet
folgende List, um ihre Zustimmung zu dieser Heirath zu erpres-
sen. Der Bruder der Orlika, ein Kosak, wird des Nachts bei einem
Galgen auf Wache gestellt; der Verwalter lockt ihn von seinem
Posten weg, und lässt während seiner Abwesenheit den Leichnam
vom Galgen nehmen. Die Schnld des fahrlässigen Wachtpostens ist
so gross, dass er seihst gehenkt werden soll. Der Verwalter stellt
Orlika die Alternative: entweder den Tod des Bruders zu wählen
oder die Ehe mit ihm. Sie entscheidet sich für das letztere. Die
Ehe kommt zustande, Nebaba ist ausser sich vor Wuth; er schwört,
sich an der Verrätherin und ihrem Lechen zu rächen, und die Haj-
damaken gegen das Schloss zu fuhren, aber auf Schritt und Tritt
hindert ihn die aufdringliche Xenia, von der er auf keine Weise
Imkommen kann. Er schlug sie in die Schläfe und verunstaltete
15*
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228 Viertes Kapitel. Die Polen.
sie; er verwundete sie mit dem Messer, allein die Unglückliche
Hebt ihn nur noch mehr als früher. Nebaba begibt sich heimlich
in das Lager des Bäubers Szwaczka, aber dieser, ein Greis, schwer
in Bewegung zu bringen und ein Trunkenbold, gebt auf das von
Nebaba vorgeschlagene Unternehmen nicht ein ; während Szwaczks,
vom Branntwein berauscht, ohne Besinnung daliegt, fuhrt Ne-
baba dessen ganze Bande mit eich fort, zerstreut die Hajda-
maken in den Schluchten und Gebüschen um Kaniöw, um in
der folgenden Nacht einen Angriff zu machen — das Schloss zu
nehmen. Als sich Szwaczka, nachdem er nüchtern geworden,
von allen verlassen sah, durchschaute der schlaue Alte gleich
den Sachverhalt und beschloss, Nebaba zuvorzukommen; er eilt
nach Kaniöw und alarmirt die Bürger. Weder Szwaczka noch
Nebaba wissen, dass sich die polnische reguläre Armee Kaniöw
nähert, sie von allen Seiten umzüngelt, und eben daran ist, sie
einzuBchlieseen. Zu derselben Zeit fasst Orlika, der das Ehebett
unerträglich ist, den Entschluss, ihren Mann des Nachts zu er-
morden. Am frühesten beginnen Orlika und Szwaczka ihreThä-
tigkeit. Letzterer dringt mit den Bürgern ins Schloss, zündet
es an, bricht in die Gemächer des Verwalters ein, und findet
dort einen Leichnam und eine wahnsinnige Frau, mit Blut be-
sudelt. Orlika flieht, man verfolgt sie, die tolle Jagd dauert
lange, die Verfolger erbrechen eine Thür nach der andern, und
erkennen, wohin die Unglückliche geflohen ist, an dem blutigen
Abdruck ihrer Hand an den Wänden, Der letzte Zufluchtsort
Orlika'e ist der Hauptthurm des Schlosses; die Mörder sind eben
daran, dort einzudringen, aber in demselben Moment stürzen
die Sparren des brennenden Gebäudes ein, und unter seinen
Trümmern kommen sowol die Verfolgte als der Pöbel, wie auch
Szwaczka selbst am. Inzwischen rückt Nebaba, nachdem er
seine Bande gesammelt, gegen das Schloss Kaniöw vor, stösst
aber auf die reguläre Armee. Ein schreckliches Gemetzel ent-
steht, das vom Brande des Schlosses beleuchtet wird und damit
endet, dass die Polen den verwundeten Nebaba gefangen nehmen.
Das Schloss existirt nicht mehr, aber auf seiner rauchenden
Brandstätte foltern die Sieger die Gefangenen und vollziehen
die Strafen. Den Nebaba spiesst man auf einen Pfahl, und wäh-
rend er in Todeszuckungen auf dem Holze steckt, kommt Xenia
zu ihm gelaufen, und drückt, durch nichts mehr zurückgehal-
ten, auf die sterbenden Lippen einen leidenschaftlichen Kuss.
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Severin GoGzuzynski. 229
Der Dichter endet seine erschütternde Erzählung mit dem
grossärtigen Schluss: „Als mein Geist die Ufer des Diiepr be-
suchte und auf den Buinen von Eaniöw verweilte, fand er noch
Spuren von dem schrecklichen Tage des Untergangs und der Zer-
sföniDg. An den Wänden war noch Blut zu sehen an den Stellen,
welche die Frau mit ihren vom Blute des Mannes gerötheten
Händen berührt hatte, als sie vor den sie verfolgenden Mör-
dern floh; nichts auf der Welt vermochte dieses Blut wegzu-
waschen, an der Stelle der weggewaschenen traten neue Flecke
bervor, aber der Körper der unglücklichen Verbrecherin selbst
hatte sich in Asche verwandelt und war von den Winden ver-
weht. In einem einsamen Winkel, bedeckt mit leichtem Grase,
fand mein Geist Haare der zerzausten Locken der Kenia, in
denen sich ein Vögleiu sein Nest gebaut hatte. Hier lag auch
Stahl von der Waffe des Nebaba, verbrannt und geschwärzt vom
Feuer; zuletzt grub mein Geist, zwischen den nackten Schädeln
herumirrend, unter den Bruchstücken des Gebäudes eine Theorbe
aas und auf ihr nur eine Saite. Weder die Jahre noch die Un-
bilden des Wetters hatten den goldigen Glanz dieser Saite zu
verdunkeln vermocht, und ihr Liebhaber, der Wind aus dem be-
nachbarten Hain, wiederholte jede Nacht mit ihr die alte Ge-
schichte. Mir gefielen ihre heisern Töne."
Die künstlerischen Vorzüge des „Schlosses von Kaniöw" sind
gross, aber noch grösser ist seine nationale und sociale Bedeu-
tung. Zum Gegenstand der Dichtung ist ein historischer Vor-
gang genommen, nicht fernen Datums, äusserst betrübend für
den Polen, und dargestellt mit einer erstaunlichen Unpartei-
lichkeit und mit einem tiefen und ruhigen Verständuiss des ver-
hängnissvollen Charakters des blutigen Gemetzels, das einen
Historiker neidisch machen könnte. — Einige Jahre später ward
dasselbe Ereigniss von einem Nachkommen eben jener Helden,
SevÖenko, poetisch bearbeitet, aber seine Erzählung vom Ruhme
der Kosaken, „wie die Hajdamaken mit heiligen Messern gingen",
und wie Honta vor dem Volke seine eigenen Kinder von einer
Katholikin tödtete, nur weil „sie katholisch waren" (Honta
'tt Human), widert an wegen der Roheit und Unmenschlichkeit
dessen, was für Heldenthum ausgegeben wird. Wenn nicht die
Sprache wäre, so wäre es unmöglich zu erkennen, auf welcher
Seite die Sympathien Goszczyhski's sind. Für ihn sind dietiegen-
^tze schon ausgeglichen; die Szlacbta und das Kosakenthum
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
230 Viertes Kapitel. Die Polen.
haben Bich im Reiche der Schatten versöhnt, „mit dem letzten
Kauche' der erloschenen Flamme sind die Dämonen der Ver-
wüstung in die Hölle zurückgekehrt, über Siegern und Besiegten
liegt ein grasbewachsener Grabhügel aufgeschüttet" (UI, 29),
und auf dem Grabhügel spielt der Dichter auf den ehernen
Saiten seiner Leier, eine humanere Zukunft verkündend. — Ein
zweijähriger Aufenthalt unter den Bergbewohnern der Tatra
gab Goszczynski das Material zu einem vorzügUcheu Fragment:
„Sobötka" (Johannisfeier) , eines Theils der unvollendeten Dich-
tung „Koäcielisko" („Die verfallene Kirche", 1834). Er ver-
fas^te noch in Versen die Erzählung „Anna z Nadbrzeto", in
Prosa die phantasiiscbe Erzählung „Kröl zaniczjska" („Der
König der Schlossruine", 1842) und das mystisch - religiöse
,, Sendschreiben" an Polen (1856, herausgegeben 1869).
So gross auch die Talente der Schriftsteller der ukrainischen
Gruppe waren, so fiel doch nicht auf ihren Tlieil, sondern aaf
Mickiewicz und die Litauer der Ruhm des vollen und defiuittTen
Sieges über die engen Kegeln, über die Nacfaabmungssucht in der
Poesie und über die alte Routine der Classicisteu. Mickiewicz
bildete sich in Wilna unter dem Eiufluss der Universitäts vor-
trage und der Gesammtbestrebungen eines ganzen Kreises von
jungen Leuten, aus dem uocli sehr viele andere mehr oder we-
niger talentvolle Schriftsteller hcrvorgingeu. Von den Profes-
soren ist er vor allen Ernst Groddeck, dem deutschen Philologeu ',
und Leo Borowski vcrptlicbtet; nicht ohne Einfluss auf ihn
blieb der Begründer der neuen historischen Schule in Polen, der
Historiker Lelewel. Wir haben uns nun in Gedanken in die
Wälder Litauens und in das Jagictlonische Wilna zu versetzen,
die Bediugungcn zu untersuchen, unter denen sich die poetische
Erziehung des litauischen Sängers vollzog, und bei dieser Ge-
legenheit auch die Persönlichkeit Lelewel's zu skizziren, welcher
eben bei der in Wilna studirenden Jugend eine grosse Autorität
gewann.
Die im Jahre 1803 reorganisirte Universität Wilna gelangte
zu einer hohem Blüte nach dem Untergange Kapoleon's und
nach dem Wiener Gongress, unter der Herrschaft einer
liberalen Regierung, unter dem Curatorium de» Fürsten
■ Zyg. Wcclcwski, „Wiftdorouäü o ijcia i iiismauh Godfr. £rn.
tirodka" (Biographii! üroddock'a. Krakau 1876).
ü,g:..c., Google
Joachim Leiewel. 231
Ädara Czartoryski, unter den Rectoren Johann Sniadecki and
Simon Maleweki. Die alten Jesuiten -Professoren waren aus-
gestorben, zur Vervollständigung des Personals wurden aus
dem Auslande in den ersten Jahren des 10. Jahrhunderts viele
gelehrte Deutsche und Italiener berufen (Bojanus, Groddeck,
Langdorf, Frank, Teronghi, Capelli; der Orientalist Münnich).
Die Vorlesungen wurden polnisch , lateinisch und französisch
gehaltfin. Die beiden Brüder Sniadecki zeichneten sich durch
Keinheit der Sprache und Klarheit der Begriffe aus; die Literatur
tmgen zwei Classicisten vor, Eusebius ^owacki, der Vater von
Julius, und LeoBorowski; später, von 1822 an, fand die deutsche
Iranscendentale Philosophie einen begabten Vertheidiger in dem
Schellingianer Joseph Gohichowski. An Mannichfaltigkeit war
somit kein Mangel. Auf dieser, wenn man so sagen darf, bunt-
scheckigen UniversitÄt bestieg zuerst 1814—18, dann zum zwei-
ten mal (nach einem kurzen Aufenthalt in Warschau von 1820 —
24) das Katheder der allgemeinen Geschichte Joachim Leiewel,
eio ehemaliger Zögling eben dieser Universität, geboren zu War-
schau 1786 ' Der ursprüngliche Name dieser Familie ist Loel-
beffel und Loewenspning, und sie stammt aus Preussen; der
Grossväter Joachim 's war königlicher Leibarzt, der Vater poloni-
sirte sich schon ganz, erhielt 1777 das polnische Indigenat und
warCassirer bei der Educationscommission; der Sohn unterschrieb
sirh schon nicht anders als „Mazure". Joachim wurde sozusagen
als Literat geboren; die Leidenschaft zum Schriftstellern und zu
originellem Wesen trat bei ihm fast von Jugend auf zu Tage.
Der zehnjährige Euabe fertigte schon Compilationen an, machte
AnsEÜgc und Tabellen aus seinen Schulbüchern, und setzte es
sich in den Kopf, trotz der Ruthe, dem Sonnabend fortwährend
den seiner Ansicht nach richtigem Namen „Sechster" (szestek,
gebildet wie pi^tek = fünfter Tag, Freitag) zu geben. Seine
ersten Arbeiten begann er herauszugeben , als er noch Stu-
dent in Wilna war („Historyka" ; „Edda Skandinawska";
' Die Selbstbiographic Lelewel's: „Przygody w pogzokiwaniaoh i ba-
äitiin rzeczy narodowycb polskiub, pvzez Joachima Lelewela" (Poaeo 1858,
^panski). Seine Briefe an Groddeuk in „Przew. uauk i Üter.", 1876. Die
Ueraiugabe Beiner Briefe wurde von ^upanski zu PoBen 1878 begonnen.
Stino Correapondonz mit Sienkiewicz (Poeen 1872), mit Th. Bulgarin in
i3iljUoteka Warszawaka", 1877.
...., Google
232 Viertes Kapitel. Die Polen.
„Rzut oka na Herule" — „Ein Blick auf die Heruler", 1807,
1808). Alle seine Kräfte und Fälligkeiten gingen in dieBer
Blicberwelt auf, sodass fürs wirkliche Leben nichtE übrig
blieb. Im praktiBchen Leben war er der unbeholfenste Mensch
und ein Sonderling; aber sein Geist, ungewöhnlich lebhaft
und thätig, arbeitete unaufhörlich, indem er alles combinirte
und gruppirte, was er gelesen und sich durch sein umfassendes
Gedäcbtniss angeeignet hatte, sowie eine zahllose Menge küh-
ner und neuer Hypothesen aufstellte. Sonach waren in dieser
in wissenschaftlicher Beziehung glücklichen psychischen Orga-
nisation fast in gleichem Grade zwei seltene Bedingungen ver-
treten, die sich gewöhnlich nur getrennt finden; ein ungewöhn-
licher Fleiss bei Aneignung des umfangreichsten und schniack-
losesten Materials, der trockensten Einzelheiten — und der
inductivste Geist, fähig nach einigen gegebenen Strichen einen
Charakter oder ein Ereigniss zu reconstruiren. Dabei machte
sich auch noch ein vollständiger Mangel an Kunstsinn bemerk-
bar und eine vollständige Unfähigkeit, die erschlossenen und
vorzüglich begriffenen Vorgänge historisch zu zeichnen. Lele-
wel spielte eine sonderbare Rolle in allen berathenden Versamm-
lungen, z. B. auf dem Reichstag im Königreich Polen und bei
der revolutionären Regierung im Jahre 1831, wo er als Blitz-
ableiter für die übrigen Mitglieder dieser Regierung diente ;
dem Publikum galt er für einen Radicaleu, während er, ohne
im Geiste mit seineu Collegen zu harmonireu und unter Achsel-
zucken, mit der Autorität seines Namens Massregeln und Mei-
nungen sauctionirte, für die er zuweilen durchaus keine Sym-
pathie hegte. Aber auf dem Katheder war er wie in seinem
Element; als Stubengelehrter, der die Welt nur aus Büchern
und mittels der Bücher kannte, musstc er, um sich zu begeistern,
das Bruchstück einer Chronik, ein altes Pergament oder eine
alte Münze zur Hand haben. Er hatte stets mehr Gedanken
als Worte ; um das Aeussere seines Vortrags bekümmerte er sich
gar nicht, sodass er es nie lernte, mit seinem Stile zurecht zu
kommen, der bei ihm ganz barbarisch und verworren, aber da-
bei zugleich lakonisch und originell war. Die Abneigung vor
der Routine und vor ausgetretenen Wegen veranlasste ihn sogar,
sich seine eigene Rechtschreibung zu erfinden. Vollständiger
ÄBcet, ledig, ohne Familie, stets isolirt wirkend, den Nutzen der
Collectivarbeit und der gelehrten Gesellschaften leugnend, arbei-
...., Google
Joachim Lelewel. 233
t«te Lelewel mit dem Fleisse eines Bolluiidisteii , sowie zugleich
überaus schnell, und producirte erstaunlich viel, schrieh über
die Terscbiedenartigtiteo Gegenstände — über das Schicksal des
aiten Indiens und über die Regierung Stanislaw August's, über
die Handelspolitik der Karthager, über die alten Sluveu, über
kafieche Münzen und über polnische Chronisten; arbeitete alte
Lehrbücher um („Teodor Waga przerobiony" — ,.Der umge-
iirheitele Theodor Waga") und verfasste neue („Dzieje pow-
szechne" — „Allgemeine Geschichte"); gab eine Anleitung zur
Bibliographie („Bihliograücznych Ksi^g dwoje") und alte Denk-
mäler der polnischen Gesetzgebung („Ksi§gi ustaw potskich i
mazowieckich" — „Bücher polnischer und niazurischer Gesetze")
heraus. Jede nationale Einseitigkeit lag ihm fern, mit der-
*lbeii Liebe behandelt er die chersonische Tbür der Sophien-
kircbe in Nowgorod, wie das Heiligthum in Gnesen, Russland
«ie Polen.' In der polnischen Geschichte bat er am meisten
über die Piastenzeit gearbeitet. Seine Collegen an der Uni-
»ereität Wilns verstanden ihn nicht gehörig zu würdigen *, was
ihn auch 1818 veranlasste, Wilna zu verlassen und sein Glück
in Warschau zu suchen; aber die Herzen der Jugend blieben
dem Forscher zugethan. Die Gesellschaft bedauerte seinen
Verlust, sodass, als Lelewel zum zweiten mal im Jahre 1821
anf dasselbe Katheder berufen wurde, sich seine Rückkehr
m einem förmlichen Triumphzuge gestaltete. Sie ist unter
anderm auch durch die Verse bemerkcuswerth , die Mickiewicz
zu seiner Ehre noch im classischen Stil verfasste.^ Uebrigens
' Agf die Bitlc BulgarJD's üchrieb er 1821 für dns „SJ^vernyj Archiv"
«ine Kritik der Geschichte Kai-amzin'B. InteresBant sind die Briefe Bul-
nnu's: ;,T)ie ganze im MiniBterium herrsuhendo Parlai wÜDscht Knramzin
m demüthigen wegen seiner Gei'ingsehätzung gegen Griechenland, Rom.
Thnkjdides und Tacitus. — Der Anfang der Kritik hat SeuBation gemacht;
ffheut haben sich über sie Olenin, Speranakij, Golicyn. Alle sagen: was
macht ihr Lelewel, warum ist er verstummt?" u. s. w.
' Johann Sniadecki schrieb Aber Lelewel an Czartoryski: „Ea ist ein
üOfh nicht dnrchbildeter Mann, etwas Pedant in deutschem GcBchmack."
' .,0, der du lange unser Abgott warst, von neuem kommst du zu uns
gekrwni, u Lelewel." In der folgenden Stelle ist die Richtung der Yor-
irige Lelewera dargestclll: .,Die Sonne der Wahrheit kennt weder Aufgang
noch Untergang, gleich geueigt, den Stänimen eines jeden Volkes und willig
finem jeden Vaterlande den Tag zu spenden und hält alle Länder und
...., Google
234 Viertes Kapitel. Die Polen.
war es Lelewel nicht lange vergönnt, Professor za bleiben.
Der Senator Novosilcov wurde zum Curator in Wilua ernannt:
es begannnen strenge Verfolgungen der studentischen Gesell-
schnftan ; Lelewel ward seines Amtes enthoben nebbt Gohi-
chowski und vielen andern Collegen. Er kehrte nach Warschau
Kurück, ward im Jahre 1829 zum Abgeordneten gewählt, nahm
an allen Arbeiten des Landtags theil und war bis zum Ende
des Aufstandes Mitglied der Revolutionsregierung und Präsident
des Clubs der Radicalen. Er rausste ins Ausland ftüchten, und
das bittere Leben eines Heimatslosen führen ohne Geld, ohne
Bücher, ohne die Notizen und Auszüge, auf die er so viel Ar-
beit verwendet hatte. Aus Frankreich vertrieben, Hess er sich
1832 in Brüssel nieder, wo er 29 Jahre in trauriger, aber frei-
williger Armutb verbrachte, indem er seine alten Werke um-
arbeitete und vervollständigte („Polska, dzieje jej i rzeczj" — , , Po-
len und seine Geschichte", 12Bde.,'1851 — 64), neueArbeiten her-
ausgab auf dem Gebiete der Numismatik („La numismatique du
moyen äge", 1835) und Geographie („Pytheas de Marseille",
,, Geographie du moyen äge"), und sich von den kümmerlichen
Honoraren zu einigen zehn oder hundert Francs für den Band
nährte, sich manchmal Brennmaterial uud warmes Essen ver-
sagte, um sich irgendein Buch oder einen Atlas zu beschaffen.
Er starb, 76 Jahr alt, im Jahre 1861 zu Paria, wohin er kurz
vor seinem Tode von seinen Freunden gebracht worden war.
Dieser Stubengelehrte und menschenscheue Mann gründete
eine ganze historische Schule, deren Ideen bis in die letzte Zeit
herrschten; erst vor kurzem hat man angefangen, sie zu bestrei-
ten und zu verwerfen. Die historische Theorie Lelewel's be-
wegte sich im Geiste der Zeit und stellte sieb, nur in einer an-
dern Sphäre, als eine Aeusserung jenes Strebens dar, in das
eigene Volksthum einzudringen und den Inhalt desselben zu be-
greifen, welches auf dem Gebiete der Kunst die Romantik und
die literarische Renaissance hervorbrachte. — Das Postulat war,
in der Vergangenheit so besondere und eigenartige Charakter-
züge zu ermitteln, die in der Geschichte keines andern Volkes
zu finden wären, die Wurzel dieser Besonderheiten im vorhisto-
rischen slavischen Alterthum zu suchen, das Wachsthum und
Völlccr fürNachatc. Daher rauss, wur eich iu ihr heiligstes Antlitz vertiefen
will, den reinen Kern des Menschen bownbrcn."
...., Google
Joachim Lelewel. 235
die Fortschritte des Volkes von der grösetea Treue desselben
legen seinen Beruf, seine urBprÜDglicheD I'i-iucipieu abhängig
^ zu lassen , sowie andererseits seinen Verfall aus dem Abfall
lon diesen Principien, aus der Unterwerfung unter von auswärts
Angewehtes, Fremdes herzuleiten. Dieses Streben ist auch der
rassischen Gesellschaft sehr wohl bekaunt; iu der Historiographie
brachte es Karamziu's „Geschichte", S. Solovjev's Epos der Zu-
sunmenTiiguug Kusslauds in der Form der Autokratie, die An-
üehten der moskauischen Slavopbilen hervor. Ber Unterschied
zvischen diesen und den Uistorikern der Schule Lelewel's ist
der, dass jene aus der gesammtslavischeu Quelle ihr siiecihsch
KoEsisches ableiteten und verherrlichten, die letztern aber —
ihr specifisch Polnisches. Als ein solches specifisch slavisch-pol-
nisches Prinvip erscheint bei Lelewel die Volksversammlung, die
ilavische Gemeinde, das Volksrecht. Als Demokrat war er sehr
betrübt über die Knechtung der Bauern im 11. Jahrhundert,
fiihlte eine besondere Zuneigung zu den grossen Vereinigern des
pobiscben Landes, Boleslaw Chrubry und Lokietek; Republikaner
io der Seele sab er im Landtag nur eine Umformung der alt-
slkTifichen Volksversammlung und nahm von diesem Staudpuukt
aus eine verächtliche und kritische Stellung zu allen im Umlauf
befindlichen Reformtheorien des 18. Jahrhunderts ein, die dar-
nach strebten, Polen nach fremdem Typus umzuformen, mit Be-
schränkung der Freiheit des Individuums und unter Einführung
der Central Lsatiou ; — das durch die Aristrokratie eingeschränkte
Volksrecht habe man, seiner Meinung nach, nur zu erweitern,
am die Verwirklichung des Ideals zu erreichen, das schon von
dem ehemaligen Polen in seinen glücklichen Epochen erkannt
worden sei. Das unschätzbare Verdienst dieser Schule war die
Erwerbung geistiger Selbständigkeit in den Ansichten über die
eigene Vergangenheit; ihr positives Uebel die Idealisirung aller
eigenartigen Besonderheiten in der Vergangenheit, ja sogar der
Ungeheuerlichkeiten, und ihren unzweifelhaften Irrthum bildete
die Annahme gewisser aprioristischer Principien, die einer Nation
gevbsermassen von ihrem Ursprung au innewohnen und ihren
Benif bilden sollten. Solche Principien gibt es weder in irgend-
einer slavischen Nationalität, einzeln genommen, noch im Ge-
saniintslaventbum der vorhistorischen Zeit überhaupt.
Im geistigen Leben der litauischen Gouvernements, das sich
in Wilna concentrirto, hatten nicht nur die Universitätsvortrage
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236 Viertes Eapitel. Die Polen.
eine wichtige Bedeutung, sondern auch die mannichfachen dor-
tigen Gesellschaften, zu deren Errichtung im ersten Viertel des
19, Jährhunderts eine allgemeine Neigung bestand, die noch nicht
durch die spätem strengen gesetzlichen Verbote beengt wurde.
Die aller Orten verbreitete Freimaurerei war auch dort vertreten;
es bildeten sich Vereine zur Unterhaltung, zur Erholung, zur Ver-
vollkommnung in den Wissenschaften, in der Literatur, die ihre
ernsten oder scherzhaften Statuten hatten. Ein solcher Verein
hatte der im Jahre 1817 von dem Adjuncten, Secretar und
Bibliothekar der wilnaer Universität Kazimir Kontrym (gest,
1836) herausgegebenen Wochenschrift ,,Brukowe wiadomoäci" seine
Entstehung zu verdanken. Kontrym bildete eine Redaction, ein
Bedactionscomite dieser Pubtication und stiftete die Gesellschaft
der „Schelme" (szubrawcy), welche von 1817 — 22 bestand, seit
1818 anter dem Vorsitz des berühmten Chemikers und Physio-
logen Andreas Sniadecki, des Bruders von Johann.' In vielen
Beziehungen dem „Arzamas"^ ähnlich, hatte diese Gesellschaft
ihre Sitzungen und Protokolle, ihre Würdenträger, ihre symbo-
lischen Zeichen: einen Krug Wasser, aqua fontis, vor dem Prä-
sidenten und eine Schaufel, mit welcher der Wächter klopfte zur
Herstellung der Ordnung. Allein unter dem Scherz bargen sich
ernstere Absichten, mit der Peitsche der Satire verfolgte man
die Fehler der Gesellschaft, die Trägheit, die Unwissenheit. Die
„Schelme" waren die Fortsetzer der satirischen Richtung des Kra-
sicki und Naruszewicz und Verbesserer der Sitten , und unter-
zogen sich selbst einer bestimmten Discipliu; sie waren verpflich-
tet, sich der Trunkenheit, des Spiels zu enthalten, zu lesen, an den
,,Brukowe wiadomosci" mitzuwirken. Temer trugen sie mytho-
logische Namen der litauischen Gottheiten; der talentvollste von
ihnen, Andreas Sniadecki (Sotwaros), entlehnte von Swift's Gul-
liver die Form , welche später in der russischen Literatur mehr-
mals der wilnaer Senkovskij nachahmte, in den Erzählungen des
' P. ChmielowBki, „Towarzystwo Szubrawixiw i J^rzej Sniftdecki
(in Tygodnik illustrowany, 1878, Nr. KW— 114). In „Rusakij Archiv", 1874
ist eine officiellea Quellen entnommene, aber kritiklos und ohne jede Kennt-
niss der Saube ^usainmcDgeH teilte Skizze der wilnaer GeBellschaften von
Baruliatcev abgedraukt: „Iz iBtorii vileiiskago utebnago okruga".
' Die Artikel von J. Domcjku, „List o Filaret4icb i Filomatach" (in
Roüznik towarz. biet. lit. w Paryzn, 1870—72).
...., Google
Die Fhilomathen und Philareten. 337
Barons Brambeus. Die „Schelme" ergänzten sich aus Leuten rei-
feien Alters, waren Puristen, Rationalisten und Classicisten. Fast
gleidizeitig mit der Bildung des fröhlichen Kreises der bejahrtem
„Schelme" constituirte sich 1817 in der Jüngern Generation, untei'
den Studenten, ein geselliger Kreis aus einigen Personen (zuerst 5,
daon bis 14), der sich von allen politischen Zwecken fernhielt und
sich nur die geistige und moralische Vervollkommnung und Eiit~
Wickelung zur Aufgabe stellte. Dieser enge Kreis, der fest zusam-
menhielt, aber nicht in die Oeffentlichkeit trat, diePhilomathen.
diente als Leiter und Kern für eine zweite, umfangreichere und
gani öffentliche Organisation, die der sogenannten- Philareten.
Kinige hundert Studenten zeichneten sich bei den letztern ein ; die
Statuten dieser Verbindung wurden im Mai 1820 von demRector
S. Malewski bestätigt, worin sie ,,eino Brüderschaft nützlicher
Unterhaltung" (bracia po2ytecznej zabawy) genannt werden. Die
Mitglieder waren nach den wissenschaftlichen Disciplinen, denen
sie oblagen, in Abtheilungen eingetheilt. Die Gruppen arbeiteten
eiDzdn, es gab auch allgemeine Versammlungen und Spaziergänge
aauerhalb der Stadt. Die Seele sowol der öffentlichen Gesellschaft
der Philareten als auch der leitenden der Philomathen war Tho-
mas Zan. Der Bund der Philareten war ganz derselben Art wie
die studentischen Tugendbünde in Deutschland; die Zeit seiner
Bildung fiel mit den Jahren der stärksten Reaction gegen Bünde
solcher Art in Europa und gegen alle Arten von Gesellschaften
überhaupt in Rnssland zusammen. Im Jahre 1822 erfolgte eine
Anordnung des Garators Czartoryski, welche die Schliessung der
Gesellschaft der Philareten zur Folge hatte, was jedoch 1823
eine Untersuchung gegen die Theilnehmer an derselben, welche
dem Senator Novosilcov übertragen ward, nicht verhinderte. Czar-
torjski nahm seinen Abschied (1824), an seine Stelle trat sein
poUtischer Gegner Novosilcov', abgesetzt wurden die Professo-
ren Lelewe), G<^chowski, Dani}owicz — die glänzende Epoche
der wilnaer Universität war zu Ende. Von so kurzer Dauer
■Dch die Thättgkeit der Brüderschaft der Philomathen war, ihr
£inflnss erwies sich auf ihre Mitglieder als ausserordentlich
gross und überaus wohlthätig: er bestand nicht nur in einem
' Vgl, die ChsrakteriBtik Novosiloov'a im Artikel von CyprinuB
i.I'neclftWBki): »Eia Kaleidoskop voa RemiDiscenzen" (in „Rueskij Archiv"
1872, Nr. 9).
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238 Vierten Kapitel. Die Polen.
literarischen, sondern nuch in einem allseitigen moralischen Aub-
tauRch; das Volksthum stellte sich infolge seiner oben gezeigten
Wiederbelebung in der Romantik von einer ganz neuen Seite
dar, als etwas Neues, noch nicht scharf Bestimmtes, aber un-
säglich Hohes; um es sich ganz anzueignen, musste man sowol
geistig als sittlich wiedergeboren werden, und sich gänzlich dem
Dienste der Wahrheit und des Guten weihen. In der Strenge
ihrer Moral waren die Philomathen noch grössere Puritaner, als
die „Schelme", aber nicht Satiriker, sondern Enthusiasten, nicht
Classicisten, sondern Lente, die nach neuen ästhetischen Formen
für die Wiedergabe des sie begeisternden Inhalts suchten. Dir
Gesellschaft der Philareten hatte Zan organisirt, aber gleich von
der ersten Zeit an ward der beliebteste der Genossen, der allen
am Herzen lag und auf den alle ihre Hoffnung setzten, Mickie-
wicz, zu dessen Biographie in den letzten 15 Jahren sehr viel
Material gesammelt worden ist. Diese Daten legen bis ins
Einzelne das Leben und die Wirksamkeit des eigenthiimlichen
Msnnes klar, der bis heute den Culminationspunkt in der
polnischen Literatur bildet.' Mickiewicz gehört zu der Zahl
der seltenen Dichter, die als ToUständig fertig auftreten, in der
Gesammtrüstung eines vollständig entwickelten und sehr viel-
seitigen Talents, und deshalb auch nur eine verhältnissmässig
kurze Dauer ihrer poetischen ThÜtigkeit haben. Für Mickiewicz
reichte diese Zeit von der Ausgabe seiner ersten Gedichtsamm-
lung, 1822, bis zur Beendigung des „Pan Tadeusz" im Jahre 1834,
aber sie kann in zwei Theüe verschiedenen Charakters getheilt
* „KorreBpondencya Adama Mickiewioza" (2 Bde., Paris 1870—72). —
„Wspötudxiat A. Mickiewicza w aprawie Towianskiego " (die TheJInabnie
Mickiewicz' an der Sftcbe Towiaüski'», 2 Bde., Paris 1877). - A. E. Ody-
niec, „Liüty z podrözy" („Briefe von der fieiae". 4 Bde. Warschau
1875—78). — Der Artikel von A. Typrinua über Mickie\¥ica in Rueük.
Arohiv, 1872, Nr. 10. Der Artikel der Frau DuohiÄska im 1. Bde. der
„Biblioteka WarMawska", 1871, in der Abtheiluiig „Chronik des Aue-
lande«". — Bemerkungen und Ergänzungen in M^lauges poBthumes d' A. M..
herauagegeben von dessen Sohne in Paris: 1. Serie 1872, 2. Serie 1879.
„Epiaode ana den Memoiren M. Malinowski's über den Aufenthalt von
A. M. in Paria" (in Kronika rndzinna, 1875, S. 359, 377). — W. Koro-
tynski, „Kilka szczegölüw o rodzinie, iniejscu urodzenia i mtodofioiA. M"
(Wilna 1861). — Alb. 0%siorowski, „Ad. Mickiewicz od wyjazdu z Pe(«n-
l>urga i Pan Tadeusz" (Wadowice 1874).
...., Google
Adftm Mitikiewiez. 239
werden durch den Aufstand im Jahre 1830 — 31. Die Haupt-
momente im Leben und in der Wirkeawkeit des Dichters waren
folgende.
Adam Mickiewicz wurde im Dorfe Zaosie hei Nowogrödek
im GonTemement Minsk ' gehören am Weihnachtsabend, 24- De-
cember 1798 (also fünf Monate früher als Puäkin, der am
2& Juni 1799 geboren ist), und stammte aas dem alten litaui-
schen Geschlecht der Rymwid- Mickiewicz, welche das Wappen
Poraj und den Fürstenbut darin führten. Dem Vermögen nach
gehörte dieses Geschlecht dem Kleinadel an; der Vater Adam's
nr anbegutert, besass nur ein Häuschen in Nowogrödek und
betrieb die Advocatur, womit er eine zahlreiche Familie von
fünf Söhnen zu erhalten hatte, von denen der eine, Alexan-
der, später Professor des römischen Rechts an der Universität
Charkow war. Adam war von den Brüdern der Zweitälteste.
Den kränklichen und schwachen Knaben liess die Amme un-
Torüchtiger Weise zum Fenster hinausfallen, seine wunder-
bare Rettang schrieb die Familie dem Beistand der Mutter
Gottes der Ostrabrama (des „Spitzen Thores" in WÜna) zu.*
Im zehnten Jahre gab man Adam in die Schule, zu den Do-
minikanermönchen in Nowogrödek. Im Jahre 1812 war er als
Tierzehnjähriger Knabe Zeuge des grössten Ereignisses im ersten
Viertel des 19. Jahrhunderts — des Feldzugs Napoleon's nach
Rnssland, der sich unter den regen patriotischen Hoffnungen
vollzog, welche von der Mehrzahl der Polen auf Napoleon
gesetzt wurden, während eine bei weitem geringere Zahl von
ihnen auf Alexander hoffte. Dieses Ereigniss blendete den feu-
rigen Jüi^ling wie eine Lichterscheinung und prägte sich sei-
nem Gedächtniss auf ewig ein. Das Haus seiner Aeltern wurde
nun Hauptquartier des Königs von Westfalen genommen (Od.
III, 54). Mit Napoleon gingen polnische Legionäre, die weissen
Adler zogen vereint mit den goldenen Adlern des ersten Kaiser-
reichs. Beide Vorstellungen verbanden sich untrennbar in
' Eorreap. AiJanii Mick. I, 328. Brief von Alex. Mickiewicz'.
* „PftD TodeuBz", 1. Gesang, Ueberaetzung von S. Lipiner:
„Wie mich ala Kind dein Wunder einst gesund gemacht,
Als von der weiDenden Mutter in deinen Schntz gegeben
leb du eretorb'ne Auge erhob zu neuem Leben."
Vgl Odyniec, „Liety z podrö/y", III, 69.
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2^ Viertes Kapitel. Die Polen.
Mickiewicz' Seele ' , der sich an dem Anblick der eclinurrbär-
tigen Heiden berauschte, indem er versteckt hinter dem Zaune
des Aelternhauses auf sie guckte, und der von da an Napoleonist
wurde, in Rom 1829 (Od. III, 4) die Rückkehr der Dynastie
auf den Thron prophezeite und für den Gefangenen von St. He-
lena eine Art von Gultus hegte, der gegen das Ende seines
Lebens immer mystischer wurde. Mickiewicz lernte gut, und da
sein Onkel zu Wilna, der Priester Joseph Mickiewicz, das Amt
des Dekans der naturwissenschaftlichen Facultät bekleidete, ko
schickte man ihn 1815 zu diesem Onkel, in der Hoffnung, er
werde an der Universität ein Staatsstipendium erhalten. Es
war nur eine Vacanz vorhanden, aber zwei Bewerber: Adaoi,
voi^escblagen vom Dekan, und Thomas Zan, vorgeschlagen von
Kontrym. Beide Bewerber befreundeten sich gleich hier, bei der
ersten Begegnung in der Prüfung ; das Stipendium empfing Mickie-
wicz und Zan wurde von Kontrym aufgenommen (Od. I, 309).
Beide traten in die philologische Facultät ein, beide schrieben
Verse, beide gingen durch die strenge Schule des cla^Bischen
Geschmacks in den Vorlesungen und Uebungen hei Leo Bo-
rowski. Mickiewicz las sich in die Uebersetzung Tasso's von
Peter Kocbanowski und in Trembecki stark ein, machte sich
mit den alten Römern und Griechen durch Groddeck, mit der
allgemeinen Geschichte durch Lelewel bekannt, aber seine
ersten Versuche in der Poesie versprachen nicht« Besonderes
— es waren Versuche im didaktischen Genre. Dabin gehört
die „Zyma miejska" („Der Stadtwinter", gedruckt 1818 in
Tygodnik Wilenski), eine Darstellung der Winterunterhaltungen
und -Vergnügungen in der Stadt. In demselben classiscben
Stil sind später die Verse an Joachim Lelewel, an Doctor S-,
die Dichtung „Das Damenspiel" geschrieben. Der Dichter trug
■ 0 Frühlingl Wer dich bei aaa geseh'ii in jener ZeitI
Denkwürdiger Frühling; des Krieges, Frühling der Fruchtbarkeit!
0 Frühling, wer dich geaeheo, voll üppiger Blüten hangend,
Voll Garben und Grün — und hell von Menschenscharen prangend,
Reich an Begebenheiten, voll Hoffnungen im Schost
Du etehst vor mir noch heut, du Traumbild schön und gross!
In Kneehtiohaft geboren, als Säugling schon in Ketten gebannt
Hab' ich im Leben nur Einen solchen Frühling gekannt.
(Fu Tid. XI. Q«., Uabtn. Lipiaar^)
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Adam Mickiewici^. 241
sich lange mit dem Plane eines grossen, halb epischen, halb be-
ec^ibenden Wertes: „Die Kartoffel"-, er wollte im heroischen
Theil die Entdeckung Amerikas darstellen, und im didaktischen
einen Umriss der Landwirthechaft und des Landlebens geben.
Aber diese classischen Uebungen wurden bald bei Seite gelegt;
die Welle der Romantik unterwühlte den Boden, der Anstoss zum
Streben nach etwas Neuem ging von Zan aus ; eine der Elegien
des letztem überraschte Mickiewicz durch die Unmittelbarkeit des
tiefnhls bei Einfachheit des Inhalts und brachte ihn auf den Ge-
danken, dass man die Poesie in der „Wahrheit" des Lebens suchen
müsse, und nicht umgekehrt (Od- I, 356). Sie wohnten im
Jshre 1818 im Universitätsgebäude , auf demselben Gorridor
hatte auch der Professor der russischen Literatur Cemjavskij sein
Quartier; den letztern Sohn, ein von jenen beiden geliebter Knabe,
declamirte ihnen einstmals mit Entzücken, däs auch die Hörer
theilten, eine von ihm gelernte eben erschienene Ballade Zukov-
skij's vor — „Ludmila", eine Bearbeitung von Bürger'« „Lenore".
Beide begannen Balladen zu schreiben, zuerst Zan, dann Mickie-
wicz. ■ Die erste Ballade des letztern, „Die Lilien", ist nach einer
Tolksthömlichen Erzählung geschrieben, mit Beimischung der un-
vermeidlichen Leichname und Gespenster. Nach „Den Lilien"
■ Mickiewicz' Sohn, Wlndyslaw, hat id der 2. Serie (1879) der „Ue-
langes poBthumes i\' A. M." zwei anonyme Erzählungen in Prosa abge-
druckt, entnommen auH dem Tygodnik Wileiieki für das Jahr 1819, „2y wi)a"
aod „Karylä", als von »einem Vater verfaest, whb er vcin einem (nicht ge-
oaDnMD) Freunde desselben erfahren haben will. Die eiazigen Beweise,
duE diese Erzählungen Hickiewioz angehören, beruhen nebeo jeuer sehr
unbeetioimteD Tradition auf dem Umstände, dass in „Karyla" ein Ritter
Paraj aU handelnde Person auftritt, und dies der Name des Mickiewicz'-
'theL Wippens und eine von deo Personen ist, welche in dt^n Fragmenten
des l.Theils der „Ddady" vorgeführt werden. I'ieHo Beweise seheinen uns
nicht genügend und übenteugend zu sein. Beide Erzählungen verrathen
weder in ihrem ärmlichen Inhalt nouh in ihrem cuorueen Stil auch nur
dnrch einen einzigen Zug Talent, man gewahrt darin weder etwas von der
Plastik, die Hickiewicz' ersten Versuchen im classischen Genre eigen ist,
noch jenes Wehen eines neueu Geistes, das Vei-standuiss und die Aneig-
DDDg der Volk stbüni lieben Poesie, wovon alle seine romantischen Werke
»Ht 1618 durchdrungen sind. Es ist unmöglich , dasN Mickiewicz , der
Odjniec alle Umstände, die das Entstehen seiner Poesie begleif«ten, mit-
tbeQte, lowol ihm als allen andern gegenüber von diesen Erzählungen ge-
Khwiegen haben sollte, wenn sie wirklich von ihm verfasst wäien.
?ini, SUilich* Lltarktonn. II, I. i ii
...., Google
242 Viorteg Kapitel, Die Polen.
folgten andere Balladen. Als er sich von diesem romantischen
Zubehör schon beträchtlich freigemacht hatte, theilte Mickie-
wicz 1829 und 1830 in einer Unterredung Odyniec seinen
Standpunkt in der Poesie mit, einen Standpunkt, der einerseits
vollständig realistisch, andererseits religiös war. Die Quel-
len der Poesie sind ihm Wirklichkeit und Wahrheit. Die Poesie
wird geboren, wenn der Dichter sein Eigenes (d. i. das Volks-
thümliche) empfunden und liebgewonnen hat. Gegenstände
und Empfindungen, aus Büchern entnommen, sind dasselbe,
was getrocknete oder künstliche Blumen (1, 343). Mickiewicz
hatte die ungünstigste Meinung von der „Renaissance", die den
Geist der KünBtler in ein ganzes Meer der Nachahmung versenkt
habe (Od. III, 22). Die Renaissance bat, seiner Ansicht nach,
durch jenes Nachahmen des Heidnischen die christliche Poesie,
die sich schon in der Wahrheit des mittelalterlichen Gefühls
entwickelt hatte, getödtet (I, 139), doch vergöttei-te er auch
die Volkspoesie nicht. Diese sei nicht die Quelle der Poesie; sie
schöpfe unmittelbar und zwar mit blosser Hand, wie das Dorf-
mädchen das Quellwasser, das alsdann mittels der Wasser-
leitungen nach der Stadt in die Springbrunnen geführt werde
(I, 343). Das Wesen der Romantik bestehe darin, dass die Bo-
mantiker schrieben, indem sie die nackte Wahrheit, wie einen
lebendigen Körper vor sich hätten , die Classicisten aber sich
mit Puppen begnügten (IV, 301). Die Classicisten verstünden
unter Form nur die Architektonik des Gedankens und die Rhe-
torik des Stils-, Mickiewicz aber verstand darunter die Harmonie,
den Ton und das Colorit des Wortes, die sogar schon unabhängig
vom Inhalt einen poetischen Eindruck machten. Aber er trennte
in der Poesie nie das Aesthetische vom Ethischen. Die Eigenthüm-
liebkeit sowol der Zeit, in derem Geiste das Streben zu allseitiger
Wiederbelebung lag, als des Kreises von Jünglingen, in welchem
sich Mickiewicz entwickelte, bestand darin, dass die poetische
Wahrheit nur als eins von den Mitteln zur sittlichen Wahrheit
angesehen wurde, nach der die Welt dürste, und zu der sie
sich den Weg durch die Kunst bahne, aber nicht durch die
abgelebte, höfische, manirirte, nachäifende Kunst, sondern da-
durch, dass aus der Wirklichkeit neue ästhetische Formen ab-
geleitet würden. Formen, die in der Volkspoesie zu suchen seien,
in welcher die Natur immer über die Kunst vorherrsche (1, 138).
Allein auch die Volkspoesie konnte für Mickiewicz nicht das sein,
ü,g :.._.. ..Google
Adam Mickiewicü. 24'j
vi£ nie fiir Goszczyöski war: das Alpha und Omega; sie hat
einen zu eDgen geistigen Horizont und ist zu elementar. Die
Hanptquelle, aus welcher die höhere, poetische Begeisterung
strümt, ist die Religiosität, die Offenbarung der Wahrheit für
die Seele, die von Demutb durchdrungen und geneigt ist, jene
anfjnnehmen. Von Anfang bis zu Ende seiner geistigen Thätig-
keit war und blieb Mickiewicz der tiefsinnigste Dichter, in reli-
giöser Beziehung. Zu dieser Religiös! tut disponirten ihn sowol die
enten, stärksten Eindrücke derKindheit, die Verehrung der Gesund-
heit spendenden Mutter Gottes, die Erinnerung an die erste Com-
nrnuion ', als das eigene Temperament, die Neigung zu ekstatischen
Zuständen der Seele, zu plötzlicher poetischer Thätigkeit, nach
eiDer plötzlich eingetretenen Begeisterung. Er war ImproTisator,
konnte Stunden lang in Versen reden, sein Gesicht glühte, die
Aageu glänzten, zuweilen vermochte er sogar nicht den Sinn
alles dessen zu erklären, was er im Augenblick gesagt hatte,
wenn, nach dem Ausdruck Puskin's, „der schnelle Schauer der
Begeisterung die Haare auf der Stirn aufrichtete." Die Kameraden
kannten und achteten diesen mystischen Winkel, dieses Heiligthum
persöalicher Empfindungen und religiöser Gefühle, über die Mickie-
wicz nicht einmal zu sprechen liebte, geschweige denn zu dispu-
tiren. Die damalige Gesellschaft zeichnete sich durchaus nicht
«lareh Frömmigkeit aus, sie stand in lebendiger und naher Be-
rühnmg mit den Lehren der Encyklopädisten und den Ideen
der französischen Revolution, allein zu gleicher Zeit sprach sich
Khon damals in ganz Kuropa eine lieaction gegen die materia-
lifttiachen Lehren des 18, Jahrhunderts aus: in der polnischen
Gesellschaft veranlasste diese Reaction die Menschen, sich in
ilie conserrativsten Principien des ^'olksgeistes zu versenken —
in seine Vergangenheit, in seine Glaubensvorstellungen. Wenn
der eingefleischte Rationalist Johann ^niadecki infolge dieses
Dranges aufrichtig religiös wird, wobei er vernunftgeraäss die
' Gustav iu Dziady, IV, aacli der L<^Bart der iiRriHer Ausgabe viiu Mitikie-
"ira' Werkeo, ISGO, llt, IST; „Weiset iln noch, wie du ueun oder zehn
Jibre alt warst und zum ersten mal iu Vf rzückunft des (ieistes am (ieländ.'r
Mt den Knieen la^xt, zerkntrscbt .... uud sich plnlzlbh auf dem Altar der
Vorhang öffnete, der Kelch erglänzte, die lilöeke.hen ertönten und der
Priester in deinen Muud den Leih Uotlea legte? ... — Ach, duinala schien
w mir, daBs sich meine Seele von mir trenue."
16*
...., Google
244 Tiertea Kapitel. Die Polen.
äu8sersteD Gegeneätze zu versöhnen suchte, so liessen umgekehrt
neben der vollen Freisinnigkeit, welche die TTniversitätsvorträge
in Wilna auszeichtiete, und der Indifferenz der Jugend gegenüber
der Erfüllung religiöser Ceremonien, die jungen Leute, welche als
Romantiker und Antirationalisten auftraten, mit einem male die
reale Existenz von Dingen zu, von denen sich nach den Worten
Hamlet^B unsere Philosophen nichts träumen lassen, hielten es
für durchaas möglich, sowol mit dem persönlichen Gott als mit
der unsichtbaren Welt der Geister unmittelbar zu verkehren.
Zwischen den beiden Generationen, von denen die eine von den
Sniadecki geleitet wurde (der Rationalismus and die positive Re-
ligion), während die andere von jungen Leuten gebildet wurde,
welche für die neue Weltanschauung einen Ausdruck suchten,
trat ein Zwiespalt und Conflict ein. Diese Spaltung formulirte
Mickiewicz, indem er das Kriegsprogramm der neuen Richtung in
seiner Ballade „Die Romantik" („RomantycznoS^") aufstellte,
wo ein Mädchen vorgeführt wird, welches sich einbildet, mit ihrem
verstorbenen Geliebten zu reden, ferner ein Volkshäufe, der fiir
die Seele des Verstorbenen betet, in dem Glauben, dass diese
ii^endwo in der Nähe der Geliebten weile, und ein Weiser
mit einem Stückchen Glas (obgleich er nicht genannt ist,
so hat dem Dichter doch offenbar die Gestalt des Johann
äniadecki vorgeschwebt), der mit Selbstvertrauen verkündet:
glaubt meinem Auge und Glase, ich sehe nichts; Geister sind
eine Frucht des Kneipenpöbels, sind gehämmei't in der Schmiede
der Dummheit, das Mädchen schwatzt Unsinn und der Pobel
beschimpft den Verstand. Der Dichter antwortet dem Weisen:
„Das Mädchen fühlt und der Pöbel glaubt tief, Gefühl und
Glaube sind für mich stärker als die Augen und die Gläser des
Weisen. Dir sind nur todte Wahrheiten bekannt, fremd dem
Volke, du siehst sie im Pflänzchen, in jedem Stemenfunken, aber
kennst nicht die lebendige Wahrheit, siehst nicht das Wunder:
habe ein Herz und schaue ins Herz!'" In diesem Appell
an das Gefühl birgt sich sowol die grosse Kraft als die ganze
Einseitigkeit der polnischen Romantik im allgemeinen und der
Richtung von Mickiewicz im besondern. Es war nöthig, die Rou-
tine und die trockene mathematische Deduction zu überwinden.
' Dzittdy, IV;
den Himmel. . . ."
:.., Google
Adam Mickiewicz. 245
sie waren auch nirklich durch eine neue Art der Poesie, durch
iieae Methoden der Untersuchung und durch Vertiefung des For-
schungsgebiets überholt; aber die jungen Kämpfer hatten das
Bewusstsein der Kraft ohne den BegrifT, worin sie bestehe, und
die oene Kicbtung wurde definirt im Sinne einer Verneinung der
Reflexion, im Sinne einer Befestigung der Herrschaft des Gefühls
über den Verstand, dessen Rolle nur eine untergeordnete sein
sollte. Nach Mickiewicz's Meinung wäre es nicht genug, die wirk-
liche Wahrheit zu kennen, man müsse sich auch von ihrem
Licht und ihrer Wärme durchdringen lassen, dann erst werde
man wirken wie die Sonne und nicht wie ein Spiegel, der die
Strahlen reflectirt und Lichtflecke an die Wand wirft (III, 283).
Bftllade folgte auf Ballade'; die stärkste Froductivität begann,
als Mickiewicz nach Absolvirung der Universität Wilna ver-
lies« und zum Lehrer der lateinischen Sprache in Kowno er-
imnot wurde. Zwischen dem Lehrer in Kowno und seinen
Freunden zu Wilna bestand die engste Verbindung; sie besuch-
teD ihn, sangen seine Lieder, dachten an die Beschaffung von
Mitteln, ihn zur weitern Ausbildung ins Ausland zu senden und
die erste Sammlung seiner Gedichte zum Druck zu befördern. Er
kmn selbst nach Wilna, um die „Ode an die Jugend" und „Gra-
^na" zu lesen. In ihrem Kreise wurde es zur zweifellosen That-
sache, dass ein grosser Dichter geboren sei, als von den altern
Leuten noch niemand etwas von ihm wusste. Während seiner
Lehrtbätigkeit in Kowno, welche von 1820 — 23 dauerte, ward
die Seele des Dichters von der ersten starken Leidenschaft er-
regt, welche nach den Worten von Freunden (Korr. II, 6) Spuren
hiuterliess, wie ein Waldbrand. Dieser erste Roman ist äusseret
schlicht und einfach. Im Jahre 1818, zur Zeit der Hundstags-
ferien, brachte Zan seinen Freund Mickiewicz zu der bekann-
ten reichen Gutsbesitzerfamilie Wereszczak im Kreise Nowo-
grödek, im Dorfe PluSany, auf dem Gute Tuganowice, am
Ufer des Sees Öwitei. Hier verliebte sich Mickiewicz in eine
schöne Blondine, Marie, ein gefühlvolles, aber entschiedenes
Uädchen, das gern mit ihm las, Dame spielte und schwärmte, aber
ohne Schwanken und, wie es scheint, ohne jeden innem Kampf
Hand und Herz einem sich ihr nähernden Bewerber, dem jungen,
' Deutsoll u. d. T.: „Balladen nud Romaiizea von A. M. Aub dem
Poh. von A. WeiBB" (Leipzig 1874).
ü,g :.._.. ..Google
246 Vk-rluB Kapitul. Diu PoIcd.
wohlhabenden und sehr gebildeten Gutebesitzer Laurentius Putt-
kammer gab, der noch dazu ein grosser Verehrer von Mickie-
wicz' poetischem Talent war. Letzterer befand sich in derselbeu
Lage wie Goethe zwischen Lotte und Kästner, wollte sich mit
dem glücklichen Nebenbuhler schiessen, litt Höllenqualen, die
um Bo schrecklicher waren, als das gutherzige und tadellose
Verhalten des glücklichen Paares gegen ihn, das ihm aufrich-
tige Freundschaft entgegenbrachte, keine Möglichkeit bot, auf
„Maryla" Ansprüche zu erbeben und sich über sie zu beklagen,
da sie nach seinem eigenen Geständtiiss seine Liebe nicht her-
ausgefordert, noch ihm jemals mit einem Worte Hoffnung ge-
macht hatte. ' Vor der Verheirathung sprach sie sich mit ihm
aus und nahm ihm das Versprechen ab, wenn er sie auch nicht
vergessen könne, so doch seine Gefühle zu beineistern. Wie
bei Goethe blitzte auch bei Mickiewicz der Gedanke an Selbst-
mord auf. Er war auch fernerhin zeitweilig bei Puttkammer
(Korr. I, 4), kränkelte, mied die Menschen, suchte die Ein-
samkeit an den entlegensten Stelleu des Kowuoer Thaies am
Niemen, in Gram und Zerknirschung, und hielt eich nur durch
Übermässigen Uenuss von Kaffee und Tabak aufrecht. Ueber
die Stärke des Gefühls, das ihn zur Vei'zweiäung, zum Wahn-
sinn brachte, kann man sich ein Urtheil bilden aus der langen
Dauer desselben. Im Herbst 1823, als ihn Odyniec in Kowno
besuchte, kam Mickiewicz beim Lesen seiuer Uebersetzung
von Childe Harold's Abschied bei den Worten, „warum soll
ich weinen, nach wem und um wen, wenn niemand um mich
weint", in eine solche Erregung, dass er todteublass in
Ohnmacht üel. Seine nächsten Freunde durften ihn nicht an
Maryla erinnern. Viele Juhrc nach diesen Leiden, nachdem
er „seiuer Suliwester Maryla" den zweiten, 1823 erschienenen
Band Gedichte gewidmet hatte, worin er sie bittet, die Er-
innerungen des Geliebten aus der Hand des Bruders zu em-
pfangen, öffnete sich die Wunde des Herzeus abermals im Jahre
' „Hat sie mich durch ein zweideutigeB Wörtuhcn gelockt? Hat s
mit einem heraanriirdemdeD Lächeln xn fangen gesutht? Wo -in
ihre Suhwürc, welchou ihre Vtrspreehungen ? Hat wo mu , »tnn um
nur im Tmam, Hoffnung gemacht? Nein, nein, nm n.h Belbet habe Hir:
guBpinustc geuabrt; iub Belbel habe mir dae Gift bereitet, das DUth in
den Verstand braohte. . . ." (Üziadj, IV.)
GooqIl
Adam Mickicwicz. 247
1829. Als er über den Splügen fuhr, tauchte vor dem Dich-
ter Msryla'a Gestalt auf und er ucbrieb: „Also kann ich mich
nicht von dir trennen, nieinale, niemals^ du schwimmst mir
auf (lern Meere nach und folgst mir auf dem Lande; ich sehe
auf dem Gletscher deine glänzenden Spuren und höre deine
Stimme im Getöse des Wasserfalls auf den Alpen." Die er-
littene tiefe Erschiitterung entfiammte und beäUgelte sein Ta-
teot. Sobald sich nur die ersten Zuckungen des gereizten Ge-
fühls gelegt hatten, trat die charakteristische Eigentbümlich-
keit von MickiewiCz' psychischer Organisation zu Tage, eine
auBsergewöhnliche , männliche Empfindsamkeit , die ihn fähig
machte, unvergleichlich stärker als andere sowo! Freude als
Leid zu fühlen und sie auch gleich in Kunstwerke umzugicssen
~ nicht unter Vermittelung der refiectireuden Phantasie, wie
es Goethe machte, sondern mit aller Unmittelbai'keit und Wärme
der ersten Empfindungen. Dieser Fähigkeit war er sich be-
«usst und stellte sie in dem Erim'schen Sonett „Ajudah" dar,
worin er das von dem Dichter Durchlebte mit einer Meeres-
welle verglich, die nach der Strandung Muscheln und Perlen
am Ufer zurücklässt:
So, junger iJiuliter, steht es um dein Herz:
Uie Leidenschaft bedroht diel) oft mit Kämpfen —
Du greifst zur Leier, ihre Macht zu dämpfen;
Der sÜHH Klang, er endet allen Schmerz,
Und horch, unsterbliche Gesänge tönen,
Die dich mit ewig grünem Lorber krönen.
Sein Enthusiasmus für jede grosse Idee war feurig, activ,
alle Nerven erschütternd, alle Muskeln des Willens anspan-
nend, weit entfernt von der idealen Schwärmerei Schiller's,
der niemals die Unrealisirbarkeit des absolut Guten vergass,
niemals vergass, dass „das Dort ist nimmer Hier". Seine Liebe
lam Guten war nicht platonisch, trennte nicht das Wort von
der That, und war im Glauben sogar auf die Erreichung des
NicbterTüllbaren und Unmöglichen gerichtet. Das ist der Sinn
seiner bekannten „Ode an die Jugend" (zuerst gedruckt 1828,
aber viel früher geschrieben) , die zu einer Marseillaise der
jungen Generation wurde:
Wer als Kind schon die Hydra bezwang.
Wird als JUngling Centauren bezwingen
., Google
248 Viertes Kapitel Die Polen.
Und der Hölle iiir Opfer entringen,
Im Himmel wird ihm der Lorberdank.
0 strebe Dach dee Himmels Licht,
Zerbrich, was kein Verstand zerbricht!
Jugend, du steigst zn des Adlers Stätte,
Stark ist dein Arm wie des Donners Gewalten,
Läse Arm in Arm uns mit festen Ketten
Das Erdeorond umfangen halten
Und glutentfadiend unser Denken
Auf einen Heerd des Geistes lenken.
Damit durch uns der Klumpen Erde
In neue Balin geleitet werde,
Dass sie Verderbtes von sich streife
Und grünend neue Früchte reife!*
In der ersten Zeit nach jenem Vorgang, der, wenn auch
kein Verratli seitens der Maryla, doch das Leben des Dichters
vergiftete, widerten ihn die Bücher an, ea fsEselte ihn nur Byron,
den er wegen seines, nach Mickiewicz' AuEicht wahren Bcalis-
muE vergötterte, und in welchem er später viel Aehnliches mit
seinem zweiten Liebling, Napoleon, fand (Korr. I, 5; Melanges,
1,269). Darauf suchte er, wie Goethe, darin Heilung, dass er sich
von seiner Liebe durch ein eigenes Werk befreite. Er stellte
den Roman dieser Liebe im 4. Theil der weitangelegten, aber
niemals vollendeten Tetralogie „Dziady" dar, deren Plan und
Stoff infolge der Nichtvollendung des üauzeu immer räthselhaft
bleiben werden; Bedeutung haben nur die einzelnen Theile,
von denen 1823 im 2. Bändcheu der Gedichte der zweite und
vierte herausgegeben wurden.- Der Titel der Dichtung ist ein
zufälliger und erklärt ihren Inhalt nicht. In der römisch-katho-
lischen Kirche ist der 2. November (der Allerseelentag) dem An-
denken der Verstorbenen gewidmet. Nach einem Gebrauch, der
in die heidnischen Zeiten zurückgeht und sich trotz der Gegen-
wirkung der Geistlichkeit hält, versammelt sich das Volk an
diesem Tage auf dem Kirchhofe, stellt Speisen und Getränke
' UebcrsetBung von H. Nitschmann, „Poln. Pam."
' St. Tarnowski, „Lekcye o Diiadach" (in Biblioteka War
1877,11,1^1; F. Ohroielowski, „Kobicly Mickicwioza, Slowackiego i Kra-
sinskiego" (Warschau 1873|; W. Cyliulski, „Üiiady Mickiewicza" (Posen
1863); L. Sicniioiitiki, ..Religijnui'i i mystika w iiyoia i poezy ach Mickie-
wicza" (Krakau 1871).
D,9:.zec.yGüOJ^Ic
Adam Miokiewicz. 240
auf die Grabhügel nud bewirthet damit die Todten. Der poeti-
schen Verherrlichung dieses Gebrauchs, der wegen seiner Ver-
bindung mit der Welt der Geister und um seiner Volkathiimlich-
keit willen ganz den Anforderungen der Romantik entsprach, die
an eine Erneuerung der Poesie durch Einführung des Elements
der Tolksthömlichen Sagen in dieeelbe glaubte, ist der 2. Theil
der „Dziadf " gewidmet. In einer einsamen Kapelle auf dem
Kirchhof haben sich die Bauern versammelt, bei deren Darstel-
luig sich der Dichter noch nicht von den Ueberlieferungeu des
dusbchen Idylls losgemacht hat. Der Ton ist volkstbümlich,
der Stil blühend, und die handelnden Personen sind Hirten, Hir-
tinnen, der Chor, und die Hauptperson ist ein Geiger, Traum-
deuter and Zauberer, der durch Anfachen eines Feuers in der
rin«tcmis8 und durch Beschvörungen die in der Holle leidenden
oder im Fegefeuer irrenden Geibter citirt, um sie zu tränken,
za Bpeisen oder davonzujagen, wenn ihnen schon mit nichts
nehr zu helfen ist. Es tritt nach und nach eine Reihe von Ei-
Echeinungen auf, bald lichter, bald schrecklicher; verzärtelte
Kinder, die ein Senfkörnehen erflehen, weil niemand in den
Himmel kommt, der gar keine Bitterkeit erfahren habe; ein
«treoger Herr Gutsbesitzer, an dem Krähen und Eulen — von
ihm gemarterte Bauern — hacken; eine herzlose Schöne, die nur
mit der Liebe anderer gespielt bat. Als Uebergang zu den
folgenden Theilen dient das Erscheinen des Geistes eines Selbst-
' norders aus Liebe, der sich den Beschwörungen nicht unter-
wirft, und erst dann verschwindet, als man aus der Kapelle die
Frau herausführt, um deren Willen er Hand an sich gelegt hat.
Diese Reihe schöner und anmuthiger Scenen, halbphantastisch,
aber mit einer Phantastik, die gemacht, bis zu einem gewissen
tirade maschinenhaft ist, dient nur als Präludium und hat die
Bedeutung eines einfachen Beiwerks, eines Hintergrundes, eines
Kahmens für das Folgende. Die gleiche Bedeutung eines Bei-
werks, einer romantischen Hülle, die mau als unwesentlich weg-
werfen kann, haben die nach dem Tode des Verfassers heraus-
^ebenen Kownoer Fragmente des ersten Theils der ,,Dziady".
Kn Mädchen, das sich an dem Moderoman „Valerie" der Frau
'on Krüdener überlesen hat, phautasirt über die Verwandtschaft
der Seelen und über die Atome, die prädestinirt sind, sich zu
'ereinigen und die sich gegenseitig suchen; auch ein Gustav ist
'orhanden, dessen Name jenem Roman der Frau von Krüdener
Dig :..:.., Google
250 Viertes Kapitel. Die Polon.
eiitletiiit ist. Der vom Geiger geführte Chor des Volkes begibt
sieb auf dea Kirchhof. Der einzige individuelle Zug ist nur iu
der eingeschobenen Legende von Poraj (dem Ahnherrn des Ge-
schlechtes Mickiewicz) zu bemerken, dem Liebhaber der Maryla,
der bis zum Gürtel versteinert ist, aber gerettet werden kann,
wenn er einen Zauberspiegel zerschlägt^ Poraj hat sich so iu
sein Leiden eingelebt, dass er statt den Spiegel zu zerschlagen,
ihn küsst, wodurch er ganz zu Stein wird. Einen dritten Theil
der „Dziady" gibt es überhaupt nicht, sondern, was diesen Titel
tragt, ist später geschrieben, zu Dresden, und stellt die Unter-
suchung Novosilcov's gegen die Philareten dar, die Ereignisse
des Jahres 1824, die Umwandlung eines unschuldigen Phantasten
in einen Sänger und politischen Agitator. Der eigentliche Kern
des im Jahre 1823 unter dem nichts bezeichnenden Namen
,, Dziady" herausgegebenen Werks ist im vierten Bande eut-
lialten, und auch hier liegt das Interessante durchaus nicht iu
der Fabel, welche die Eigenschaften einer noch jungen Hand
verrätb, die nicht gewöhnt ist, die Idee vollkommen zu be-
herrschen, das Werk völlig verständlich, den Plan durch Voll-
ständigkeit durchsichtig zu machen. Am AUerseelentag setzt
sich ein alter Witwer, Priester, zum Abendbrot mit seinen Kin-
dern. Es tritt ein Pilger berein, in Blätter, Blumen und Lumpen
gekleidet, mit einem Dolch im Gürtel, mit wilden Geberden.
Man nimmt ihn aus Mitleid auf und hewirthet ihn. In diesem
dem Anschein nach irrsinnigen Menschen erkennt der Priestei'
allmählich seinen geliebten Schüler Gustav. Iu dem auf Guetav's
Lippen wechselnden Lachen und Stöhnen, beissender Ironie und
grenzenlosem Kummer ist jedoch Zusammenhang und Logik, aber
die Logik der Leidenschaft. Der Jüngling hatte seine Phantasie
durch Romanbücber entzündet und suchte nach einer idealen
Geliebten, die es unter der Sonne nicht gibt; er fand sie je-
doch und kostete alle Glückseligkeit der Liebe (während die-
ser Erzählung ist die erste Stunde der Liebe vergangen und
ein Licht im Zimmer des Priesters erlischt). Aber das geliebte
Weib verlässt den Jüngling, nimmt ihm das Versprechen ah, sie
zu vergessen, gibt ihre Hand einem andern. Mit zerrissenem Her-
zen besucht Gustav die Laube der letzten Begegnung, schleicht
sich heimlich unter die zechenden Hocbzeitsgäste und fällt besin-
nungslos wie todt hin; alsdann will er sich aufmachen, das ent-
artete Wesen zu erschlagfin, dann wird er wieder weicher, indem
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Adam Mickicwiüz, JJöl
er itifL-r Gate gedeukt, uud daran, dasE sie ihm durch oicLts
iloffnniig gemacht habe. Der Stolz des Mannes gewinnt Ober-
haod über das Leiden, er bittet den Priester, ihr mitzutheilen,
dass er fröhlich sei, daes er sie vergessen habe, dass er beim
Tanz ge&llen sei, sich verletzt habe und gestorbeu sei — aber
in demselben Moment ersticht er sich selbst mit dem Dolche. lu
diesem Augenblick löscht das zweite Licht aus, die Stunde der
Verzweiflung war zu Ende, die Erscheinung sollte verschwinden,
aber sie bleibt da, noch eine ganze dritte Stunde, die der War-
nung. Gustav ist keilt Mensch, sondern ein Gespenst, sein
Oeist ist dazu venirtheilt, alljährlich am Allerseelentag das,
was ihn zum Selbstmord gebracht, noch einmal zu durchleiden.
Den Priester sucht er zu überreden, dass or das Volk nicht hiu-
dere, die „Dziady" zu feiern. Alles rund herum ist mit solchen
leidenden Geistern erfüllt, in einem Kasten hüsst der Geist eines
Geldgierigen in Gestalt eines bohrenden Wurmes, auf ein Licht
ZD fliegt ein dunkler Schwärm von Nachtfaltern: Ceusoren und
Finsterlinge. Unverständlich bleibt in dieser Fabel, wer Gustav
ist, ob ein wahusinuiges oder nicht wahnsinniges, sondern nur
heftig leidendes Wesen, uud dabei ist auch nicht klar, ob er
ein Gespenst oder ein lebendiger Mensch ist. Etwas Gespenster-
haftes gibt es an ihm nicht, alle seine Gefühle sind in hohem
Grade real. Er, ein unglücklicher Dulder, hat eigentlich
keinen Grund, zu bussen und Hand an sich zu legen; die
Dichtung fusst überhaupt nicht auf der theologischen Idee von
der Sündhaftigkeit des Selbstmordes, die Aufgabe besteht in der
Motivirung der Unvermeidtichkeit eines verbängn issvollen Aus-
ganges, und das poetische Ziel ist erreicht: das stärkste Mitleid
für den Unglücklichen erweckt. Das phantjistische Element ist
vorbanden, aber es ist nicht wesentlich, — entfernen wir es, stel-
len wir uns vor, dass es ein lebendiger Mensch sei, der seine Lei-
den tnittheilt — und im Resultat werden wir ein Werk erhalten,
das farbenreicher ist als die Leiden Werther's und noch stärker
erschüttert. Die Gespenster und das Phantastische ist nach dem
Beispiel von Goethe's „Faust" eingeschoben und noch mehr un-
ter dem Einäusse von Byron's „Manfred". Auf Byron beschränkte
sich damals Mickiewicz, nachdem er sogar Shakespeare hatte
liegen gelassen, durch den er sich vorher hindurch gearbeitet
hatte mit dem Le.xikon in der Hand, wie der Reiche im Evan-
gelium durch das Nadelöhr {Korr. I, 7). Wie Goethe, ist sich
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252 Vierte« Kapitel. Uie Polen.
auch Mickiewicz volletäDdig der krankbafteo Gebrochenheit seineB
„Ich" in der Vergangenheit bewusst, und Dimmt dem unwieder-
bringlich Durchlebten gegenüber die St«llung eines Genesenen
ein, bei dem sich nur die Erinnerung erhalten bat Zur unglück-
lichen Liebe hatte den Jüngling die Sentimentalität der Lite*
ralur geneigt gemacht — „meiner Jugend ÜÖlle und Folter;
ebendiese Bücher, haben meine Flügel au^erenkt und mich
unfähig gemacht, abwärts zu fliegen, sondern nur aufwärts."
Diese Bücher biessen : Bousseau's „ Neue Heloise " , Schiller's
Gedichte, Wertber. „Es gibt nur einen einzigen Funken im
Menschen, der sieb nur einmal, in der Jugend, entzündet; hat
ihn der Hauch der Minerva angefacht , so geht ein Weiser
hervor und wird mit dem Sterne Plato's den Weltweg erleuch-
ten; entflammte der Stolz diesen Funken mit seiner Fackel,
dann ersteht ein Held, macht aus dem Hirtenstabe ein Scepter
und stürzt die alten Throne um; wenn den Funken der Blick
eincB Weibes entzündet, so wii-d er in sich selbst verglimmen,
wie die Lampe in einem römischen Grabe." — In der ersteu
Zeit bat der Dichter wahrscheinlich auch wirklich geglaubt, dass
in ihm alles zu Eude sei, dass die unglückliche Leidenschaft in
ihm alle Grundlagen der Zukunft vernichtet habe, dass infolge
derselben in ihm sowol „Gottfried von Bouillon" als „Johann
Sobieski" gestorben sei; wahrscheinlich bat auch er den Freun-
den geantwortet, wie Gustav auf die Frage des Priesters: und
kennst du das Evangelium? mit denWorteu: and kennst du das
Unglück? Aber diese Geistesverfassung bestand schon nicht mehr,
als er die wunderbare, poetisch wahrste und beste Dichtung des
Liebesleids schrieb, die es in der polnischen Literatur gibt. Zur
Heilung bedurfte es überhaupt keines Anstosses von aussen, die
Mittel fanden sich in der Kunst selbst. — Zu derselben Zeit, als die
Freunde fürchteten, der Dichter sei auf Abwege geratben, und auf-
geregt „den nicht schmeichelhaften Eindruck der unzeitgemässen
Veröffentlichung sei nerLiebesgefäble" (Korr. II, 6) verfolgten, wurde
eine zweite Dichtung verfaast, die im höchsten Grade objectiv ist,
das einen altlitauischen Stoff behandelnde Epos „Graiyna" ', ein
der Formvollendung, der grossartigen Ruhe und Einfachheit nach
so classiscbes Stück, dass, wenn die polnischen Glassicistcn nur
' lleutsvh vou A. WcJBS (in „Bibliutliek slavischer Poesien", 2 Bde.,
Pr»g 1875), von II. Nitsehmann (in dessen „Iris", I^eipzig 1880).
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Adam Mickiewioz. 253
etwas in der Kunst Terstanden hatten, sie sieb vor diesem Werke
hätten tief verneigen müssen, das tadellos ist in Anbetracht der
„Regeln", aber nicht nach den „Regeln" geplant und ausgeführt
ist Goethe war zu einer solchen Art der Poesie fähig, aber
ent Dach seiner italienischen Reise; bei Goethe trat bekanntlich
eiDe Richtung langsam an die Stelle einer andern, hei Mickiewicz
sind sie schon in früher Jugend nebeneinander vorhanden: der
sDbjectivBte Lyriker ist zugleich ein Epiker ersten Ranges, der
ganz hinter seinem Werke zurücktritt, das, ohne dem Inhalt
nach etwas mit den Fragen und Interessen der Gegenwart ge-
mein zu haben , nur durch seine ästhetischen Schönheiten an-
zieht Die Handlung findet im heidnischen Litauen statt, im
SchloBs zu Nowogrödek und seiner Umgehung. Fürst Litawor,
nnzofrieden mit Witold, hat die deutschen Ritter zu Hülfe ge-
rafeu; seine Frau, Graiyna, als sie nicht vermag, ihn von die-
sem Verrath an seinem eigenen Stamm abzubringen , ordnet
selbst an, den Deutschen die Aufnahme zu verweigern, und
als die erzürnten Bundesgenossen ihren Schlag gegen die Resi-
denz des Fürsten richten, statt gegen Wttold zu ziehen, legt
liraiyua die Rüstung ihres Mannes an, gibt sich für diesen
aas, zieht in den Kampf mit den Deutschen, in welchem,
obgleich der Sieg auf der Seite der Litauer bleibt, dank dem
ZD rechter Zeit herbeigeeilten Litawor, doch die Fürstin durch
den Schusa einer deutschen Büchse tödtlich verwundet wird.
Indem man ihr ein Begräbntss nach heidnischem Gebrauch
Teranstaltet, verbrennt man zugleich mit ihrem Körper den ge-
fangenen Befehlshaber des Ordens -- ihren Mörder, aber in die
Flamme des Scheiterhaufens stürzt sich, den Tod suchend, auch
Litawor seihst.
„Graäyna" schloss den Cyclns der ersten Jugendwerke ab, mit
deren Erscheinen sich nicht ohne Kampf und nicht ohne äus-
serste Fjbitterung der Parteien die Krisis in der Gesellschaft zu
Gunsten der Romantik vollzog. Die Gereiztheit ging bis zu Per-
sönlichkeiten über. Nach Erscheinen des ersten Bändchens Ge-
dichte, 1822, traf der greise Johann Sniadecki , der in dem Ge-
dichte „Romantycznoät" in der wenig schmeichelhaften Gestalt
des Weisen mit dem Stückchen Glas vorgeführt war, bei einem
t^ollegen mit Mickiewicz zusammen, that als ob er diesen nicht
kenne, und spottete schonungslos über Werke, die er nicht
veretand, schonte auch den Verfasser nicht, wobei ihm sogar
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254 Viertes Kapitel. Die Polen.
der Hausherr , ebenfalls ein Classicist , secundirte und half.
Für Mickiewicz war es nicht leicht zu antworten, er war
Bchüchtern, stand dabei als Lehrer zu Kowao in dein Ver-
hältniss eines Untergebenen zum Vorgesetzten. Er schwieg,
aber vergass die Sache nicht, und in seiner leideuscbaftlicben
Seele verwandelten sich die Sniadecki und die Classicisten aus
einer literarischen Partei in abgethane Leute, in Gegner der-
jenigen Sache, welche die Bestimmung der jungen Generation
war, und dieser selbst. '
Zu Ende des Jahres 1 823 schloss sich der studentische Freundes-
kreis noch fester zusammen und belebte sich noch kräftiger als
sich die wilnaer Klöster, die in Gefängnisse umgewandelt waren,
mit Pbilareten anfüllten, wobei sich der Geist der Gesellschaft
selbst umformte; es kam ein neues Princip hinzu, das ätzende Fer-
ment der Politik. Dieser Umschwung, der später im dritten Theil
der „Dziady" dargestellt ist, wurde von Mickiewicz so bezeichnet:
calendis Novembris MDCCCXXIIl ohiit Gustavus. Natus est Coa-
radus. Die Haft war nicht sonderlich streng, die Gefangenen
besuchten einander in den Zellen, tausehten ihre Meinungen aus,
um sich die ermüdende Langeweile des Wartens zu vertreiben.
Die Sache verlief ohne Urtbeilsspruch gemäss dem am U.August
1824 bestätigten Bericht des Novosilcov'schen Comites: einige
Personen wurden verbannt; stärker als die andern hatte Zan
zu leiden, der alle mögliche Schuld auf sich genommen hatte.
Mickiewicz und sein Freund, der Sohn des frühem Rectors,
Franz Malewski, die zum Dienst in den innem Gouvernements
bestimmt wurden, wählten Odessa, wo Mickievricz eine Stelle
im Richelieu -Lyceum zu erhalten hoffte. Sie begaben sich
nach Petersburg und kamen dort im November 1824 an, gleich
nacli der Ueberschwemmung. In Odessa erhielt Mickiewicz die
Stelle nicht; er benutzte aber die Gelegenheit und besuchte (im
Herbst 1825) das südliche Ufer der Krim, in Gesellschaft des talent-
vollen Erzählers, der das alte Polen von Grund aus kannte, Grafen
Heinrich Rzewuski. Ks öffnete sich ihm der Orient, wenn aufb
nicht in seiner ganzen Weite, so doch immerhin ein Theil, der
durch die Lebhaftigkeit der Farben überraschte; er begann die
orientalischen Dichter im Original zu studiren und gab in Moskau
' A. Malf pki, „Jdüubz Slowncki, jego iycie i dziela", I, 57 (Lemberg
I-
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Adam Mickiewioz. ^ 255
ein KndcheD Sonette heraus, worunter sich Nachahmungen Pe-
tnrca's finden, aber prächtiger als die andern sind die im bunten
Stil des Orients geschriebenen „Krim'schen Sonette". — Hier
in Moskau, wo Mickiewioz dem Personal der Kanzlei des General-
gonvemeurs zugetheilt wurde, ward 1827 ,,Konrad Wallenrod"
Terfasst und nach Petersburg zum Druck (1828 bei K. Kraj) ge-
eandt. Diese Dichtung (wie auch die Sonette) wurde mehrmals ins
Russische übersetzt ' und ward gleich damals in beiden Literaturen
löhmlicb bekannt. Es ist das tiefsinnigste von seinen Werken
der ersten Periode und vielleicht das charakteristiBchste fiir die
Bestimmung der Beziehungen zwischen ßussland und Polen in den
dreissiger Jahren. Zum Yerständniss der Dichtung muss man
Folgendes in Betracht ziehen. Die Untersuchung Novosilcov's
«är keine örtliche Erscheinung, sie fiel mit der Thätigkeit eines
Snniä, Magnickij, des Ärchimandnten Photius, mit der allgemeinen
BeactioD zusammen; sie complicirte sich nur durch die nationale
Frage, die jedoch nicht auf die Spitze getrieben wurde, nicht aus
der Reihe der innern Fragen des russischen Lebens hinausging.
Die «ilnaer Studenten waren tief betrübt darüber, dass die
Vorlesungen verfolgt wurden und dass der Pflanzstätte des
geistigen Lebens, der Universität, ein schrecklicher Schlag ver-
setzt worden war; wahrscheinlich that jeder in seinem Innern
das Gelübde, nicht zuzulassen, dass das in Wilna angezündete
Licht der Bildung verlösche, doch ging man nachher nicht Ubor
diesen Entschluss hinaus und ging nicht zur Agitation über. Ein
beträchtlicher Theil der ehemaligen Philareten erlangte später
einflnssreiche Stellungen, ehrenvolle Aemter und stand in dem
Rufe von wohlgesinnten und ruhigen Leuten. Einige von denen,
die im Gefangniss gewesen waren, gaben sich den Anschein von
Märtyrern und Einsiedlern, aber Mickiewicz machte sich über
sie hstjg; nach seinen Worten' war es möglich, in der Gescll-
schafl 7u bleiben, zu tanzen, zu singen , sogar Karte zu spielen,
ohne die andere neue Geliebte (das Vaterland) zu beleidigen, die
überhaupt nicht verlange, dass ihr Ritter, wie Don Quichote, die
Vorbeireisenden auf der Landstrasse zum Kampfe herausfordere
'„Die Sonette", deatach von Peter CoroeliuB (Reulam's Univere.-
Bibliothek, Kr. 76, Leipzig s. a.). „Koniad Walleurod", ileutsch von E.
L. KBDDfgieiier (Leipzig 1831), von A. Weis» (Bremen 1871).
' Korr. I, IB. Brief an Czeczut und Zan vom 5. Januar 1827.
..., Google
256 VierteB Kapitel. Die Polen,
oder sich in die Wüste zurückziehe; er bekennt, dass er sich
nicht scheue , daa Trüffelbeefsteak der Moahiter zu essen und
sich TOm Fleisch der Altäre Dagon's und Baal's zu nähren. Der
Dichter behauptet, daas er bei den Basilianern (im GefängniBs)
heiter geweeen, dase er in Moskau ein ruhiger and sogar ver-
ständiger Mensch geworden; doss seine Muse träge geworden
sei. Er war beständig sehr aufgeräumt, weil ihn ansser seiner
polnischen Gesellschaft die russische nehr bereitwillig au&ishin
und fast verzog. Polevoj bot ihm die Mitwirkung am „Tele-
graf" an; der Fürst P. A. Vjazemskij war Bein Freand; der
Kreis der Schriftsteller — darunter die Bruder Kir^jevskij, Bara-
tynskij, Polevoj, Sevyrev, S. Sobolevskij — überreichten ihm
beim Abschied einen Pokal mit eingravirten Versen von J. Ki-
rejevskij*; persönlich herzliche Beziehungen zu Russen bewahrte
Mickiewicz auch später noch, als jeder ruhige Disput über
Nationales zwischen Polen und Küssen unmöglich geworden war.
Er widmete auch den dritten Tlieil der „Dziady" den moskauer
Freunden, „deren bekannte Gesichter das Bürgerrecht in seinen
Phantasien haben", und denen gegenüber er stets „die Rein-
heit der Taube bewahrt habe". Aber gemasB seinem exclnsiv
nationalem Standpunkte trennte Mickiewicz Volk und Staat;
ihm, der in den Traditionen der Selbstbestimmung des Indivi-
duums aufgewachsen war, blieb eine dieser entgegengesetzte
Formel der Entwickelnng unzugänglich und unverständlich.
Die Eindrücke, die pr aus Russland mitgebracht, stellte er
später in dem bekannten Fragmente dar, das eine Beilage
zu den „Dziady" bildet: „Dieses Land ist leer, weiss und
ott'en , wie ein Blatt Schreibpapier. Wird Gott mit seinem
Finger darauf schreiben? Wird er mit Buchstaben — mit guten
Menschen — die heilige Wahrheit darauf schreiben, dass das
Menschengeschlecht durch Liebe regiert wird und dass die Tro-
phäen des Friedens Opfer sind? .... Diese Leute des Nor-
dens sind gesund und stark, aber drücken nichts durch ihre
Gesichtszüge aus, weil sich das Feuer ihrer Herzen wie in nnt«r-
irdischen Vulkanen birgt, nicht in die Gesichter gestiegen ist,
nicht auf den entbrannten Lippen spielt, nicht in den Runzeln
der Stirn erstarrt, wie auf den Gesichtszügen der andern Völker
des Ostens und des Westens, über die so viele Ueberlieferungen
' Ruasliij Ari-hiv 1874, Nr. 7.
Diglzec.yGOOgle
Adam Mickiewicz. 257
Oll Ereignisso, Trübeale und Hoffnungen hingegangen sind, dass
jedes Antlitz zn einem Denkmal des ganzen Volks geworden ist."
Mau trenn« den Staat von der Nationalität, bilde sich ein, dass
jener etwas fiir eich sei, und dase das Volk ebenfalls etwas für
neb selbst sei, dann wird sich jene hundertarmige Maschine als
etwas zeigen, das mit der Ueberlegenheit der materiellen Kraft,
aber die sie verfugt, die Individualität erdrückt. Die Ungleich-
heit der Kräfte ruft die Frage nach den Kampfmitteln hervor.
Mickiewicz, der im Jahre 1827 den Freunden schrieb (Korr. 1, 17),
dass er Scbiller's Fiesco und und den Macchiavelli läse, betrat in
Gedanken den abschüssigen Weg, den auch der italieniBche Patriot
genhlt hatte, von dem er auch das Motto lär seinen Wallenrod
mtlehnte: dovete adunque sapere come sono due generazioni da
combattere .... bisogna essere volpe e leone.* Die brennende
ZeitErage wurde von Mickiewicz ganz abstract hingestellt, als eine
eingebe, noch von niemand als ihm zu ahnende Möglichkeit in der
Znknnit, nnd tauchte bei der Bearbeitung eines Gegenstandes
Ulf, der dem Anschein nach nichts mit der Gegenwart gemein
hatte. Ea war dies ein zweites Bruchstück aus der Geschichte des
heidnischen Litauens, welcher Mickiewicz schon die „Graiyna" ent-
Dommen hatte: auf der einen Seite bildete die Scenerie der Or-
den, auf der andern das durch die Brandung der Welle, welche
Schichten fremden Sandes aufgetragen hatte, verschüttete Litauen ;
and mitten in diesem Kampfe steht eine in der historischen
Deberliefemng räthselhafte Person — der grosse Ordensmeüter
Wallenrod, ein Trunkenbold, fast Ketzer, der durch seine schlechte
Verwaltung zum Verfall des Ordens beitrug. Mickiewicz erklärte
diese Person, indem er sie in einen verkappten Litauer um-
wandelte. Dieses vom Orden aufgefütterte und geschulte Wolfs-
JBiige flieht bei erster Gelegenheit in den Wald zu den Seinigen,
heirathet die Tochter Kejstut's, aber verlasst sie und die Heimat
ood verschwindet, um später, wo das Andenken an ihn verloren
gegangen, als Ordensritter aufzutreten, die Gewalt an sich zn
reiasen und dem Orden die Wurzeln abzuschneiden, indem er ihn
erschöpft und in feindlicher Weise absichtlich rninirt. Die Person
Wallenrod's war im Geiste der damals herrschenden Poesie ge-
dadit — in Byron'scher Manier; es ist dies ein verbitterter und
' Vgl. die Worte des Waideloten in Wallenrod: „Du Itist ein Skluve,
— Jie einzige Waffe des Sklaven ist der Verrath,"
Poa, BUiUci» UMrMutn. JI, 1. 17
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258 Viertes Kapitel. Die Polen.
verdorbtcr Mensch von gewaltigen VerhältnieBen , dessen grosse«
Herz oinem grossen Bienenstock zu Tergleichen ist: „wenn ihn
nicht Bienen mit Honig füHen, so wird er ein Nest für Eidechsen."
In den Gcfülilen Wallenrod'e gegen den Orden und die Deut-
schen war viel Analogos mit den Gefühlen Mickiewicz' seihst
und seiner Zeitgenossen. Indem er sich mehr und mehr mit sei-
nem Helden identificlrte , hat Mickiewicz durch die BeimischoDg
jenes suhjectiven Elements in künstlerischer Hinsicht seinem Epos
geschadet. Im Jahre 1829 erkannte er selbst, dass der Wallen-
rod im Ganzen ein mislungenes Werk sei (Odyniec I, 128). Die
Handlang gebt sprungweise yor sich, vieles Interessante ist nur
angedeutet, z. B. die Hauptaufgabe Wallenrod's — der Feldzng
nach Litauen. Der alte Alf (Wallenrod), ein Mann des Blutes
und der That, in welchem alle Gefühle erstorben sind ausser
einem unTersöhnlichen Hass gegen den Orden, sentimentali&irt mit
der nicht weniger bejahrten Aldona, einer Einsiedlerin, die sich
in einem bemoosten Thurme in der Nähe der Stadt niedergelassen
hat. Er zögert mit dem Feldzuge, um nicht die Möglichkeit zu
verlieren, sich mit ihr während der Nächte zu unterhalten; vom
Feldzug zurückgekehrt, in welchem er Tausende von Deutschen
vernichtet hat, erzählt er ihr von den Weiden und Blümchen
des geliebten kownoer Thaies. Aldona weigert sich, den Thurm
zu verlassen und mit Alf zu fliehen, aus Furcht, er werde sehen,
dass sie alt und hässlich sei. Alle diese Anachronismen vergisst
man beim Anblick der Riesenfigur Wallenrod's in dem Augenblick,
als er mit stolzer Verachtung die Maske der Heuchelei abnimmt,
das Kreuz des Grossmeisters mit Füssen tritt und in das höllische
Lachen befriedigter Schadenfreude ausbricht: „Das sind die Sünden
meines Lebens. Ich bin bereit zu sterben, was wollt ihr mehr?
Verlangt ihr Rechenschaft über mein Amt? Schaut auf die tau-
send Gefallenen , auf die ausgebrannten Besitzungen .... Hört
den Sturm, er treibt Scbneewolken — dort erfrieren die Reste
eures Heeres! Hört, es heulen Heerden hungriger Hunde — sie
beissen sich um die Reste des Mahles I .... Alles habe ich ge-
tban; ich bin stolz darauf und rühme mich dessen: wie viel Kopfe
ich der Hydra mit einem Schlage abgehauen habe; wie Simson
habe ich durch die blosse Erschütterung einer Säule das ganze
Gebäude zerstört und gehe unter ihm unterl" . . . „Wallenrod"
war nach der Ansicht des Verfassers niemals ein politisches Pro-
gramm, ja er stellte ihn nicht einmal als Ideal hin, aber er
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Adam Mickievricz. 2&9
liebte die toh ihm geschaffene Gestalt, trug sich lange mit den
Ideen Walleiirod's, und in ilinen ist eine DosiB Gift, eine gefähr-
liche, schädliche Lehio enthalten, die nach der einen Seite volles
Mistrauen einflösst, und nach der andern jedem Renegaten die
Ui^lichkeit gibt, sein Thun zu bemänteln, sich als Wallenrod auf-
zuspielen.' Weder die eigenen Landsleute noch die Fremden ver-
standen die praktischen Consequeuzen der Idee, die tief auf dem
Boden des Werks verborgen lag. Die Sonette und „Wallenrod"
landen in zahlreichen russischen Uebersetzungen Verbreitung fast
gleichzeitig mit dem Original.^ Mickiewicz galt für einen Byro-
uiEten. E. Baratynskij schrieb an ihn:
Seh' ich, Mickiewicz, dich zu BjTon'e Füssen
Begeistert liegen, mahnt mich das Gebot:
Steh' auf, Btch' anf, erniedrigter Verehrer,
Erhebe dich, denn du bist selbst ein Gott!
(KuBBk. Archiv 1872, Hr. lü, S. 1906.)
Mickiewicz öffneten sich die Salons der Aristokratie, unter
andern auch das gastliche Haus der Schriftstellerin Fürstin
Zeneidc Yolhonskaja; bald darauf erhielt er die Frlaubniss,
nach Petersburg zu kommen (Ende 1827), und siedelte als-
dann ganz dahin über. Die Zeit vom April 1828 bis Mai
1829 wurde in dem geräuschvollen Wirbel der verschieden-
artigsten Vergnügungen in der gewählten und intelligenten Ge-
seQschaft der nordischen Residenz verbracht. Mickiewicz befand
uch wie zu Hause bei einer europäischen Berühmtheit, der Pia-
nistin Maria Szymanowska, geborenen Wolowska (1831 an der
Cholera gestorben), deren Töchter später Malewski und Mickie-
wicz heiratheten. Es umgaben ihn ergebene Freunde, Genossen
der Verbannung und enthusiastische Verehrer, für welche er
am Weihnachtsabend 1827 nach einem von Nikolaus Mali-
nowski gestellten Thema in zwei Stunden ein ganzes ^histori-
' Julius 3IowEtcki, „Bieniowski", S. 11: „Daa Wallenrodenthnm oder
'ier Wallen roüism US haben viel Gutoa gestiftet— sehr viel! Sie haben eine
(fewisso Methode in den Verratli gebracht, haben statt eines Eelmtanflend
\erräthcr geschaffen".
'Die beste Ueheraetzang ist von SerSeneviC, 18&8, im „Sovremen-
iiit''; ea gibt Uebersetzungen von Bevyrey, VronCenko, änigoukij,
ll*nc4iktov. Die Sonette übersetzten Fürst Vjazemskij, Dmitriev,
Koilov, die Füi-stin Zeneide Volkonskaja.
17*
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260 VierteB Kapitel. Die Polen."
Bches Drama inVerBen improrisirte : ,^Samuel Zboroweki".^ Drei
Tage darauf, während eines Diners bei Thaddäos Bulgarin *, fiel
Mickiewicz stArk über Senkovskij ber wegen tendenziöser läit-
Stellungen der Wahrbeit in deBsen „CoUectanea" in Bezug auf
Details der polniscben Oescbicbte.* Er liebte Seokovekij nicht,
hielt ihn für einen Renegaten und gefährlichen Menschen (Kor-
resp. I, 33). Herzlich scbloss sich Mickiewicz dem Maler Joseph
Oleeztiewicz an, einem Theoeophen und Mystiker, einem Men-
schen Ton evangelischer Einfalt und Herzensgute (er starb 1830),
der bis zur Schliessung der geheimen Gesellschaften die Frei-
maurerloge des Weissen Adlers leitete. Mickiewicz ward von
dem ruBsiscben Dichter ^ukovskij freundlich aufgenommen und
besuchte den mit einer Polin Terheiiatheten Unterrichtsminister
Siäkov. Die Schwester Heinrich Rzewuski's, Frau Sobaäska (jetzt
Frau Lacroix, Gemahlin von Jules Lacroix) veranlasste ihn, sich
mit Puskin näher bekannt zu machen, der sich schon im Ver-
gleich zu seiner Entwickelungsperiode in der Zeit Alezander's
beträcbtUcb in seinen Ansichten geändert hatte*, aber gutherzig
offen gegen Leute war, zu denen er in nähere Beziehungen
trat. Nach den 'Worten Frzecdawski's ^ erkannte Pugkin in Mickie-
wicz die Ueberlegenheit der Belesenheit und grösserer systemati-
scher Kenntnisse in der Literartur offen an; in den Aeusserungen
über Mickiewicz ist eine unveränderlich tiefe Hochachtung und
Sympathie zu hören. ^ Auch Mickiewicz bezeugte, dass er sich
' UbI^P z pami^ikön M. Mblinowskiego (in Kroailca rodzinna 1875,
Nr. 23-24).
* Id den Briefen an Lelewet apricbt sich Bulgarin dahin tuia, das« er
Polen liebe, aber oomme un etre metapbyBique qui n'exiate qne dana la
rtüaou, aber er fürchtet, man könne ihn der Polenfreundlichkeit verdäch-
tigen, was soviel zu bedeuten habe, als dem Vertrauen des Publikums ent-
sagen (Biblioteka Warazawska 1877, 1, 222).
> Echo, Jahrgang 1848.
< MiokiewicE's Artikel überPnlkin im Qlobe, 25. Mai 1837, und in sei-
nen „Vorlesungen über slavische Literatur" — beide in M^langes I, 277.
' Cyprinus, in Russk. Arohiv, 1872, Nr. 10.
* In Mitte eines Stamme«, der ihm fremd,
Hat er nioht Bosheit gegen uns genährt;
Wir liebten ihn ... . Mit ihm
Wir tauschten reine Phantasien sowol
AU Lieder aus (von Gott begeistert ja
.yCüOJ^Ic
Adam MiokiewicK. 261
im Herzen mit dem grossen Zeitgenossen verbrüdert habe.^
Beide tauschten ihre Gedanken nicht über die Gegenstände
der Knnst allein aus; beide standen einst im Regen, bedeckt
mit Mickiewicz' Mantel, vor dem ehernen Reiter Falconet's*.
and es ist sogar eine Spur ihrer Unterhaltung geblieben einer-
seits in dem Fragment „Pomnik Piotra Wielkiego" („Das Denk-
mal Peter'B des Grossen"), anderseits in dem posthumen Werke
Pnäkin's „Der eherne Reiter" („Mednyj vsadnik"). Allerdings
ist in den Worten, welche yon Mickiewicz Puäkin in den Mund
gel^ werden, Wahrheit mit poetischer Fiction durchflochteu.
Es war für Puäkin, der nie im Ausland gewesen war, Qnmög>
lieh, die Reiterstatne des Marc Auret mit der Peter's zu ver-
glichen; Mickiewicz konnte den eherneu Marc Aurel auf dem
C&pitol erst im Jahre 1829 bewundem, sogar der Vergleich von
den Zwillingen — den beiden AlpenhöheD — stellte sich wahr-
Kheinlich erst nach der Reise im Ausland ein und nachdem die
Ereignisse der Jahre 1830 zwischen den beiden grössten Dichtem
des Slaventhums schon einen bodenlosen, nicht einmal in Gedanken
za äberbrückcnden Abgrund gerissen hatten ', aber in Wirklich-
keit bekennt auch Puskin in seinem spatem „Ehernen Reiter",
daes die Idee von dem Giganten, der „mit eisernem Zügel Rassland
War CT, Av.h Leben schant' er vou der Höh').
Hitibt saltea sprach er dann von kflniVgeii Zeiten,
Wo sich die Völker, allen Zwist vergesBend,
Zu einem grosaen Bund vereinen werden. (tO. Aug. 183{.)
' Nicht nahe waren üe bekannt, doch eng,
Und wenige Tage erst währt ihre Freundeobaft,
Der Erde Schranken überragt ihr Herz,
Gleich tweien Alpenhöhen nebeneinander,
Die, ewig zwar dnrob einen Strom getrennt.
Doch kaom daa Rauschen ihres Feinds vemebmen,
Die hohen Qipfel zueinander neigend.
(Ponalk Ploln Wltlklcga.)
' Der spaniscbe hell zimmtfarbige Mantel von Hiokiewioz, den er spä-
ter Odjnieo schenkte (Od. II, 177).
* Der 8(d>lnsB des oben angeführten Gedichts PnSkin's:
Einst Gast ans friedlich ward er uns zum Feind,
0 Gott, gib ihm zorilcfc
Den Frieden dein in «ein erbittert Herzt
Kozlov schrieb Odjuieo über Miakiewicz: „Vous nous l'avei donne
fort et nous vous le reudoDS puissant" (Od. I, 66).
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262 Viertes Kapitel. Die Poleo.
in die Höhe riss", von MicltiewJcz herrühre, eine Idee, welche
der Rede PuSkin'K zu Grunde liegt, die er in der Unterhaltung
am Denkmal in Mickiewiez' Fragment hält.
Der (unQährige Aufenthalt in Russland wirkte auf Mickiewiez
in doppelter Beziehung ein; er lieferte ihm eine groBSC Masse
neuer Eindrücke, machte ihn mit einer Menge von Leuten und
Verhältnissen bekannt, machte ihn universeller. Aus einem be-
fangenen Provinzialen wandelte er ihn in einen Weltmann um.
der bei den Damen beliebt war. Aber diese Zerstreuungen nah-
men Zeit weg, Mickiewiez producirte wenig (auf das ganze Jalir
seines Aufenthalts in Petersburg kam nur der„Farys", eine Dich-
tung in orientalischem Geschmack), die poetische Thätigkeit ging
im Ephemeren, in der Improvisation auf; er stand in Gefahr,
träge zu werden , im Epicuräerthum der grossen Welt zu ver-
seicbten. Der Dichter sehnte sich nach dem Auslande, nach einer
Kunstreise, die seine poetische Bildung vt>rvol]ständigen sollte;
mit Hülfe einflussreichcr Freunde und Protectoren gelang es ihm,
wenn auch nicht ohne Mühe, einen Fass ins Ausland zu erlangen^,
mit welchem er am 13. Mai von Kronstadt aus in See ging,
nachdem er seinem wilnaer Freunde, dem Vollblutromantiker A.
E. Odyniec, versprochen, mit ihm in Dresden zusammenzutreffen
und dann gemeinschaftlich die Reise in das classischc Land der
Kunst, nach Italien, fortzusetzen. Fünf Jahre jünger als Mickie-
wiez verhielt sich Odyniec zu diesem wie der Schüler zu seinem
Lehrer und verzeichnete Tag für Tag in seinen Reisebriefen
(4 Bände) alle Abenteuer der Reisenden in den Jahren 18'<i!>— 30.
Sie begaben sich zu allererst mit Empfehlungsschreiben nach
Weimar zum greisen Goethe, um ihm ihre Verehrung zu be-
zeugen, und verblieben zwei ganze Wochen in seiner Gesellschaft.
Trotz der Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit des Wirthes
und seiner reichen Geschenke zum Andenken kann man kaum
sagen, dass zvrischen Goethe und Mickiewiez eine Annäherung
stattfand. Der 80jährige Greis kannte die Mickicwicz'sche Muse
nur nach den Fragmenten, die aus dem „Wallenrod" von
einer Bekannten des letztern zu Moskau, Carolina Jänisch, nber-
' Miekicwicz ward um seines Wallenrod willen, der schun eine zu
gi'oHsu Verbreitung in der i-usHischen Gesellsclial't gefunden halte, nicht ver-
folgt, aber der Censor Änastasevif , der das Werk hatte durchgehen lassen,
ward auf einen üerieht NovobiIcov'b hin abgesetzt. {Cyiirinue, a. a. O.)
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Adam Miukiemicx. 263
setzt wordca waren. lu tlem jungen byronisircndeu Roman*
tiker mochte ibm daa Phantom seiner eigenen Jugendjahre
und unwiederbringlich dahingegangenen Ideen und Gefühle ans
der Stürm- und Drangperiode vor Augen treten.' Andererseits
ghch Mickiewicz fast in nichts dem grossen Heiden, nicht nur
weil er bei all seiner Freisinnigkeit doch eine religiöse Weltan-
schauung besass, sondern auch weil sie in ihren Ansichten über
die Methode der Poesie und der Erfoi'schung der Wahrheit aus-
einandergingen. Der bejahi-te Goethe war ein Koloss an posi-
tivem Wissen, gleich gross in der Philosophie, Natui'wissen-
Grhaft, Kunst; es gab keinen Gegenstand, den sein nüchternes,
allumfassendes Verständniss Ternachlässigt hätte. Im Vergleich
zu ihm erschien Mickiewicz als ein junger Mann, noch nicht
endgültig durchbildet, noch dazu auf falschem Wege, der ihn
auch später in einen extremen Mysticismus führte; er negirte
alles todte, trockene, systematische Wissen und wollte nur den
Eingebungen eines naiven Gefühls bedingungslos gehorchen.
Seine Kenntnisse, wenn auch bedeutend im Vergleich mit denen
pDskiu's, waren doch nichts im Vergleich zu denen Goethe's;
in Kowno hatte er Kaut und Schelling gelesen, aber sich die
Resultate der transcendentalen Philosophie nicht angeeignet;
er war Pbilolog, aber ohne Kritik, liebte Niebubr nicht (Od.
IV, 61) um seines Kriticismus willen, glaubte, der echte Histo-
riker sei nicht der Chronist, sondern der Dichter, dem sich die
Wahrheit offenbare nicht durch die Anstrengungen des analysi-
renden Verstandes, sondern im glücklichen Moment der Begeiste-
rung (Od. I, 137). Es ist begreiflich, dass bei einer solchen Dis-
IHisition selbst das Studium der Kunst in ihrer Heimat, in Italien,
kein systematisches sein konnte, wie es seinerzeit bei Goethe
war, und insbesondere konnte es nicht fruchtbar seiu. Mitten
unter den Schätzen der Kunst ergötzte er sich mehr an den
Formen und Manieren oder „gedachte seines Litauens". Der
Gegenstaud, an welchem neben der Philologie und Kunst sein
lieist arbeitete, war die Politik, aber auch hierin phantasirte er
nnr, nachdem er schon in Petersburg in französischer Sprache
auf 30 Bogen eine phantastische „Geschichte der Zukunft",
die mit dem Jahre 2000 beginnt, geschrieben und in diesem nie
Eur Veröffentlichung gelangten Werke den Triumph des rein
' r. Chmieluwaki, „Listy Odyi'ica" (iu Ateucuiu 107«, Kr. 0).
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264 Viertes Kapitel. Dio Polen,
«goistiBchen VerEtandce, der mit alleu ErrungenscLaften der Ci-
vilisatiou bewaffnet ist, über Glaube, Gefühl und Geist als die
wabi-Echeiiilicfae Zukunft Europas biugestellt hatte (Od. I, 57).
In Italien erklärte Mickiewicz seinem Freunde Odyniec (IV, 149):
es gibt eine gewöhnliche Vernunft, die Vernunft des Bauern —
der gesunde Sinn, ausreichend für diejenigen, welche in den
Souterrains wohnen; es gibt eine weise, von oben erleuchtete
Vernunft, eigen den Bewohnern der obern Etagen; aber im
Entrcsol hat die Schulvernunft ihr Unterkommen, welche die
Gasaruie anzündete, und Fabriken, Läden und Auditorien er-
richtete. Der Lärm und däs Gerassel im Entresol gestattet
den Bewohnern der Souterrains nicht, die Stimmen aus der
obern Etage zu hören, es gei denn, daSB ein Gewitter oder
Erdbeben eintritt, da laufen die Werkleute auseinander und
verstummen, und die Bewohner der Souterrains machen sich
daran, die Fundameute des Gebäudes nach den Anweisungen
der Leute aus der obern Etage zu festigen. — Beide Reisende
empfanden während ihres Aufenthalts bei Goethe einen eisigen
Eindruck bei ihrer Berührung mit diesem klaren Geiste, bei
dem sie nicht die von ihnen in Wahrheit gesuchte Wärme
fanden, mit dieser ruhigen Selbstbeherrschung, in der sie eine
für sie unbegreifliche Abtödtung des religiösen Gefühls ge-
wahrten (Od. I, 153—240). Die Reisenden fuhren den Rhein
entlang, stiegen über den Splügen nach Italien hinab, be-
suchten Mailand, Venedig, Florenz, und fanden sich in Rom
ein, unter Bekannten, in der aiisgewähltesten kosmopolitischen
Gesellschaft von Gelehrten, Künstlern, Aristokraten und Damen
aus allen Nationen. Die Gesellschaft hatte drei Gentren: das
Haus der Fürstin Z. Volkonskaja, deren Sohn von Sevyrev unter-
richtet wurde, wo Brülow und Bruni zu verkehren pflegten, das
Haus der Familie Chljustin (die Freundin von Mickicvricz, Thor-
waldsen und Bonstetten, eine der geistreichsten Frauen, Nastasja
Chljustina, verheirathcte sich bald nachher mit dem französischen
Grafen deSurcours); endlich auf der ViaMercede das Haus des
polnischen Magnaten Graf Ankwicz-Skarbek, der sich zur Wieder-
herstellung seiner kränklichen Tochter Henriette Eva in Italien
niedergelassen hatte. Henriette hatte eine Freundin, Marcellina
l^empicka, die sich anschickte, ins Kloster zu gehen. Hier unter
Routs, Spaziergängen in und ausserhalb Roms mit Archäologen
und Kunstkennern erlebte Mickiewicz den letzten Liebesroman
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Adam MiokiewIcE. 265
icines Lebens, der zwei Jahre, 1829 — 31, dauerte. Die Tochter
des Grafen, eine zarte Jungfrau, die in vielem an Mar;1a er-
innerte, hatte ihn durch seine Gedichte liebgewonnen, ohne
itin noch zo kennen, und liebte ihn noch mehr, als sie in
ihm Dicht einen Riesen in der Art von Michel Angelo's MoseK,
vie sie sich ihn vorgestellt, Bondem einen melancbolisclien,
reuig sprechenden jungeu Mann kennen lernte, in dessen
Bhcken sich das heilige Feuer der Genialität entzündete, wenn
eilebhan, wurde und in Begeisterung kam. Beide Freundinnen
waren religiös, sie berührte unangenehm das harte Lächeln
des byron'schen Sarkasmus und die zuweilen anehrerbietigen
Aensserungen des Dichters über heilige Gegenstände. Sie bete-
teo Dud fasteten für die Bekehrung des in ihren Augen Klein-
gläubigen. Die Motter war Mickiewicz günstig gestimmt, aber
der stolze Mi^nat wollte von Mickiewicz als Bräutigam nichts
hören, da er ihn für eine ganz unpassende Partie für Beine
bochgebome und reiche Tochter hielt. Bald trennten Bich
Aokwicz und Mickiewicz (Ankwicz reiste mit seiner Tochter
aas Rom fort, und Mickiewicz besuchte Neapel und Sicilien),
bald kam Ankwicz aus Besorgniss um die Gesundheit seiner
Tochter wieder mit Mickiewicz zusammen, — so wurde der
Herbst 1830 gemeinsam in der Schweiz verbracht, in der Gesell-
schaft der Familien Ankwicz und Chljustin. Hier ward mit
Mickiewicz der Sohn des Generals Vincenz Krasii'iski, Sigismund,
bekannt, der schon damals Hoffnungen als Dichter gab. Auf
dem Rückwege nach Kom, zu Mailand, brach die Krisis aus;
der Vater fuhr auf und erklärte, er wolle die Tochter lieber
im Grabe sehen, denn als Mickiewicz' Frau. Letztem trieb es,
in den Orient zo reisen, aber in Ancona brachte ihn Heinrich
Rzewnski von diesem Vorhaben ab und brachte ihn nach Born,
*o die Famüie Ankwicz den Winter verlebte, und wo der Graf
Mickiewicz wieder bei sich empfing, indem er that, als ob
er von den gegenseitigen Gefühlen seiner Tochter und des
Oicbt«rs nichts wisse. Im Laufe dieses römischen Winters, den
er in häufigem Umgang mit Heinrich Rzewuski^ dem Priester
Choloniewski , Montalembert, Lameunats verbrachte, brach der
in seinen Folgen verhängnissvolle Aufstand vom 29. November
1830 aus, welcher das constitutionelle Regime im* Königreich
Polen und die polnische Sprache in Schule und Gericht in
den westlichen Grenzmarken Busslands sowie die Universitäten
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266 Viertes KBpitel. Die Polen.
Wiliia und Warschau mit fortschwemmte. Der Dichter folgte
den KreigniBScn von ferne, fühlte keinen Deruf, sich in den
Wirbel derselben zu stürzen, da er in sich weder die Fähig-
keiten eines Soldaten noch die eines StaatsinaunB verspürt«.
Dabei ward Mickiewicz jetzt religiöser. Die heissen Wünsche
der Fräulein Ankwicz und l'^empicka gingen in Erfüllung, es ver-
schwand die philosophische Freigeisterei, die sich niemals auf
das Wesen des Glaubens bezogen hatte, sondern nur auf die Ce-
remonien, die Liebe selbst bekam einen Anstrich religiöser MjBÜk.
Nachdem er viele Jahre nicht zur Beichte gewesen, genoss Mickie-
wicz das Abendmahl, ohne jemand etwas davon zu sagen; an
demselben Tage theilte ihm Frau Ankwicz mit, ihrer Tochter sei
Mickiewicz im Traum erschienen in einem weissen Kleide und
mit einem Lamm auf den Armen. Mickiewicz, der an Ahnungen
glaubte, Erscheinungen hatte und schon mehrmals sich und an-
dern die Zukunft prophezeit hatte, war wie vom Donner ge-
troffen. Auf einmal trat im Frühling l8'i\ eine plötzliche und
ganz unerwartete Losung ein. Gerade zu der Zeit, wo Henriet-
ten'» Vater dem Anschein nach in seinem Widerspruch gegen die
Neigung der Tochter nachzulassen begann, reiste Mickiewicz am
19. April 1831 plötzlich von Rom ah, und traf Zeit seines Lebens
nicht mehr mit der Familie Ankwicz zusammen, sondern schickte
an Henriette nur ein Exemplar des „Fan Tadeusz", worin die
Seiten mit Bleistift bezeichnet waren, auf welchen die Liebe des
Jacek Soplica zu der Tochter des stolzen Tnicbsess dargestellt
wird. '
Mickiewicz verliess den Gegenstand seiner Liebe ohne ge-
nügenden Grund. Einige Jahre später, als derselbe schon ver-
hoiratliet war, sagte der alte Ankwicz zu Odyniec: „Herr Adam
hat in dem Truchsess mich dargestellt; aber ein Vater hat doch
das Kecht zu fordern, dass man um seine Tochter bei ihm bitte"
(aby si^ o cörkg klanialo). Der Stolz des Dichters gestattete
ihm, dem armen Manne, der keine andern Mittel hatte, als die
bescheidenen Honorare von seinen Werken, nicht, für sich zu
' Der vuu Frau Duuhinakn mitgetlieUte eigcue Bericht der vor kor-
KCm voi'Ktorbcneii Heuricttu Eva, vcrwitwctcu S/cnibck nauli dem cratcn, noil
Kuezkuwska naeh dem üwciten Maunc, iu Ifibiiulcka Wnitiziiwska, 1871, 1.
445. Ebenda im 2. Bde. der Ai-tikd von Odyuief. Des IctzlerD Brief an
Kiemici'iski, iu due^en „Rcligijuoeii i mjstyka".
...., Google
Adam Miokiewicz. 267
reden und uro die Hand der Tochter des Aiikwicz zu bitten.
Mit Mickiowicz' Abreise aus Rom beginnt die zweite Epodie
seines Lebens, Bctiwer und voller Kntbehrungen und Leiden: der
Weltmann verschwindet, es bleibt nur der warme Patriot und
freiwillige Verbannte; sogar seine Genialitiit unterliegt einer
Verdunkelung in dem dichten Nebel des Mysticismus, zu dem er
loD Kindheit an neigte, vor dem ihn aber in der Jugend andere
f;inÖü3se bewahrten. In diesem Niedergang seiner Tage schreibt
er noch zwei gewaltige Werke: den dritten Thcil der „Dziady"
niid „Pan Tadeusz". Wir wollen nun den Hauptmoroenten
dieser trüben, leidensvoUcn Periode im Leben des Dichters
DAcbgeheu.
Mickiewicz, den Nastasja Chljustina im August 1830 ah Pro-
pheten feierte', weil er die Julirevcdution vorausgesagt hatte,
und der damals auch die Rückkehr der Napoleonide» prophe-
zeite, hatte nicht das geringste Vorgefühl von der Katastrophe
zo Warschau, dem Anschein nach wünschte er sie nicht und
hfgte keine Hoffnung auf ihren Erfolg; er beeilte sich nicht, in
die Heimat zu reisen, wohin Mich von seinen römischen Freunden
Stephan Garczynski, früher Student zu Berlin und Hegelianer,
begab, tim am Kampfe theilzunehmen. Die Nachrichten aus der
Heimat regten Mickiewicz stark auf: „das nasse Blatt einer deut-
schen scbniuzigen Zeitung", schrieb er an den Maler Stattler,
als er sich zur Reise rüstete, „entzückte mich mehr als alle
Vincis und Rafaels." ^ Die Bewegung griff um sich und hatte
im April 1831 sogar einigen Erfolg. Aus Gewissenspflicbt fühlte
seil Mickiewicz dabin gezogen, aber so lange er noch über Paris
reiste', war im Grossfürstentbum Posen der Aufstand schon zu
Ende, ward Warschau am 8. September an Paskevic über-
geben, und am 5. October hatten die Ueberreste des polni-
schen Heeres mit den beiden Landtagskammern, den Stäben,
den Clubs und dem gesammten Personal der Constitution ei-
len Revolutionsregierung die preussische Grenze überschritten.
' Gloire au propheto. Odyniec IV, 257.
' Korr. I, 50,
' Kacli einer handscbiiftlichcD Kotiz von S. Sobolcii-ski reisten sie nm
19. April von Rom ob und trennten sicli nach einer zweiwiielieDtlichcn
Rei»e, nachdetn eie in Florenz, Bologiia und nn nndem Oi-ten verweilt, am
2. Mai zu Fanna,
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268 Viertes Kapitel. Die Polen.
Mickiewicz, der sich vom Atifetaud ferngehalten, solaoge der-
selbe dauerte ', identiGcii'te eich ganz bewusst mit der schon ver-
lorenen Sache der Polen, als alle Chancen und Hoffnungen in
der Gegenwart verloren waren, und trat als Publicist, Redner
und Politiker der polnischen Emigration auf, die auch ferner-
liin eine hartnäckige Ideenpropaganda gegen die unvermeid-
lichen Folgen deB Aufstandes, gegen die RepressivmasBregeln
und gegen die Entnationalisirung führte. Diese in den Wolken
schwebende Politik rechnete mehr auf den lieben Gott, als anf
irdische Mittel, wodurch sich auch die schon in Bom vollbrachte
allmähliche Kräftigung der Religiosität bei Mickiewicz erklart ^
der nun Demonstration mit seinem Katbolicismus machte, sich
freute, wenn man ihn deshalb tadelte, und sich balcl darauf, 1834
am 19. December, an der Gründung einer besondern polnischeD
religiösen Gesellschaft zu Paris, der Gesellschaft der „Vereinigten
Brüder" betheiligte (Korr. 1, 1 15). Diese Politik Hess sich nicht
durch die Verhältnisse der Zeit beengen, construirte e^n selbst-
ständiges Polen in alterthümlicher Gestalt mit den nationalen
Zügen der Vergangenheit vor der Theilung, und sah das Mittel
zur Herbeiführung der Restauration in der Erhebung Westeuropas
durch eine in der Zukunft zu erwartende Revolution, die ihre
Spitze gegen Russland richten sollte. Die Uebertragung der pol-
nischen Frage auf den Boden der äussern Politik zerriss aof ein-
mal die Verbindungen, welche sich zwischen Mickiewicz und der
russischen Gesellschaft geknüpft hatten. Persönliche Freunde und
Gönner behielt Mickiewicz auch fernerhin unter den Russen',
aber das Nationalgefübl fing auf beiden Seiten an zu sprechen,
und die beiden Älpenhöhen trennte schon keiu blosser Gebirgs-
bach mehr; vorher neigten sie sieb einander zu, jetzt aber wen-
■ Korr. II, 83. Der Brief an die Fürgtin Z. Volkouekaja, 20. Mars 183S:
,VouB avez de la religioQ. ... Voyez te oiel: il u'y a lä. oi diviaioo ni
irontierea."
' Hierin liegt die Erkläruug und eicht in dem Umgang mit kaüioli-
Bohen Theologen in Rom. Vgl. in Korr. I, 120: Lamenniis gründete alles
auf Polemik uud Intriguen. Kb ist dies ein trockener rationalistischer
Theolüge.
> Der Brief an seinen Bruder, 29. April 1833. Korr. I, 69. — Ich
kann nichts vum Comite erlangen, da ich nicht iu die jetzige Revolulion
verwickelt bin. ... Ich werde niemfüe unter die rassische R^snuig
zurückkehren, niemals, niemals.
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Adsm MickiewioE. 269
deten sie sich Toneinander ab, nnd hörten auf, einander zu ver-
stehen. So schrieb z. B. Pnlkin:
Einst Gast niu frenudlicb, ward er unser Feind.
Und jetzt, dem UngeBtUm des Pöbels schmeichelnd,
Singt er in seinen Uedem Hsss. . . . '
Diese Verse enthalten nicht die Wahrheit. Mickievicz war
nisaals ein Schmeichler und Liebediener des ungeBtümen Pöbels ;
er fand sich nach der Katastrophe im Herzogthume Posen ein
und dann in Dresden anter den kleinmüthig gewordenen er-
bitterten Emigranten, die fortfuhren, sich gegenseitig die Ver-
antwortung für das Misgeschick zuzuschieben. Der Gram über
das Geschehene erzeugte eine verstärkte Erregung des patrioti-
schen Gefühls und beflügelte die poetische Thätigkeit des Dich-
ters. Seine Produotivitat war nach „Wallenrod" überhaupt er-
schlafft in der bunten Gesellschaft der grossen Welt, in der
er sich in Rom bewegte. Zu ihrer Erweckung hatte auch
die Betrachtung der Schätze der westeuropäischen Kunst wenig
beigetragen, aber jetzt tauchte er in der nationalen Strömung
nnter und erkannte, dass ihm die Begeisterung mit noch nicht
dagewesener Kraft zurückkehre. In Dresden ging er auf Ody-
niec' Rath daran, Byron's „Giaur" zu tibersetzten, stellte aber
diese Arbeit ein, als er während des Gebets in der Kirche em-
pfanden, dass sich über ihn eine Schale mit Poesie förmlich ent-
laden and ergossen habe.' Er arbeitete schnell, and las das Ge-
schriebene abends seinen Freunden in Dresden vor: Odyniec, Gar-
Cijliski, Domejko. Dies und jenes entlehnte er den Erzählungen
lon Augenzeugen über die letzten Ereignisse, z. B. den Worten Gar-
c^ski's die Erzählung des Adjutanten, „von der Ordon'-
schen Redoute", welche von den sich darin vertbeidigenden pol-
nischen Truppen selbst während des letzten Sturmes auf die
Befestigung von Warschau in die Luft gesprengt wurde. Aber
seine Uauptsoi^e bestand darin, die polnische Frage, wie sie
danials lag, in der Form eines phantastischen Dramas aaf-
mtellen, in welchem lebendige PerBonen, körperlose Geister,
Gott selbst, irgendwo hinter den Wolken versteckt, auftreten,
and auch der Dichter aus dem Geschlechte der aufständischen
■ Datselbe Gedicht 10. Aagust 1834 in der AuBgabe 1874, I, 470.
' Der Brief an Odyniec bei SiemieÖBki, „KeligijnoSö i mistjka", S. 146,
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270 Vierfos Kapitel Die Polen.
Titanen, der im Gedanken sogar zum Himmel emporsteigt und
I)oi Gott im Namen des verletzten Gefühls Rechenschaft fordert
für die offenbaren Unvollkommenheiten der Schöpfung, für die
zugelassenen Ungerechtigkeiten, für die Leiden der Unschul-
digen. Was die Grundidee der Herausforderung zum Kampfe
und der Ablehnung der Anerkennung hetrifft, so hatte Mickic-
Vicz sehr berühmte Vorgänger — den unbekannten Verfasser des
Buches Hiob, Aeschylus im „Prometheus", den er sorgtältig in
Rom studirt hatte (Odyniec, HI, 82), Goethe im „Faust" und
besonders Byron in „Manfred" und ,,Kain". Der Einfluss Byron's
auf Mickiewicz war noch von 1822 her lebendig und kräftig: er
herrscht im „Wallenrod " , er ist auch noch in dem Drama be-
merkbar, welches Mickiewicz ausserlich mit seinem wilnaer und
kownoer Werken verband und den dritten Theil der „Dziady"
nannte. Er selbst theilte Odyniec mit (S. 148 bei Sicmiei'iski),
dass er die Hauptscene, die der Improvisation, in diesem Theil
der „Dziady" für den Wendepunkt der Byron'schen Richtung
. in der Poesie halte. Sie war, wie wir sehen werden, auch
die definitive Lossage vom Byronismus in der Thätigkeit des
Dichters. Die Scenerie des Dramas ist real, seine Grundlage
dem wirklich Erlebten entnommen , das aber schon in ge-
vrisser Feme lag, den Zeiten des Studentenlebens, den Um-
ständen der Untersuchung und jener Haft bei den Basiliancr-
mönchen, in welcher sich der Dichter nach einem seiner
frühem Briefe geistig gestärkt und erheitert hatte. Der Haupt-
grundlage sind eingeschobene Scenen beigefügt, dargestellt ist
ein Bauernhaus in der Gegend von Lemberg, wo für den
Dichter, ohne ihn zu kennen, zwei Mädchen, Eva und Mar-
cellina (Änkwicz und tempicka) beten, ferner die Salons von
Warschau mit ihren classicistischcn Gewohnheiten, mit ihrer
Oede und Fäniniss. Die Grundlage selbst besteht aus einer
Reihe von Scenen, welche in Wilna vorgehen, bald im Gefäng-
niss, wo die Genossen, lauter bekannte Personen, des Nachts,
mit Unterstützung eines alten Soldaten, eines guten katholischen
Corporals, zur Unterhaltung beim Thee solange zusammen-
kommen, bis sie sich auf ein Zeichen, dass die Patrouille naht,
in die Zellen zerstreuen; bald in den Salons und im Schlaf-
gemach eines Senators, eines alten Wüstlings, der unter aus-
getrunkenen Weinpokalcn in den Pausen zwischen den Figuren
des Tfmzes, unter den Tönen des Menuets aus „Don Juan" über
Adam Miokiewicz. 271
l'DtersuchungBDiassregebi und Verhöre Anordnungen trifft. Mickie-
«icz wandte, der dichterischen Freiheit gemäss, die kräftigsten
Farben zur Darstellung dieser Leiden und Qualen an. Wie
Hiiite Bcfaent er sich nicht, in den untersten Raum dieser Hölle
bekannte Leute zu setzen, denen er ohne Gewissensscrupel den
ätempel ewiger Verdammniss aufprägt. Vor dem Senator spie-
len zwei Personen, die einander ein Bein stellen, ihre Bolle zu
Rode: der Bector der Universität und ein Doctor, den plötzlich
am Ende des Stücks in seinem Quartier in der Universität der
Blitz erschlägt; beide sind wirkliche Personen. Sowol die per-
^nlichen Charäkterzüge als die Art des Todes weisen darauf hin,
dasB der Dichter auf jenen Professor Beku anspielte, in dessen
IUdbc er von ^niadecki um seiner Poesie willen so abgefertigt
wurde. Beku war Conservativcr und ClasBicist, über Um waren Lcle-
wel und die Professoren, welche die Universität verlassen hatten,
ergrimmt, weil er sich mit einer Gruppe alter Herren den neuen
Ton Novosilcov eingeführten Begulativen unterworfen hatte, aber
er blieb bis an sein Lebensende ein rechtschaffener Mann, wofür ■
als Büt^schafl die unveränderte Freundschaft der beiden Snia-
decki mit ihm dienen konnte. Wilna, die Orgien und die Unter-
BQchung — das ist nur die Scenerie für das Monodrama, als
dessen Held ein Mann auftritt, der einst Gustav hiess, aber sich
jetzt in Konrad umgetauft hat (der Name ist entweder Byron's
„Korsar" entlehnt, oder weisst auf eine Ideenverbindung mit
..Vr'allenroä" hin, auf die Identität des Gefangenen mit dem gros-
»n Ordensmeister und dem Dichter selbst, der wie Alf-Wallenrod
»za Hause kein Glück fand, weil es keins im Vaterlande gab").
Der Dichter ist schrecklicli unglücklich, sein Gram erschüttert
alle, weil er die ganze Kraft eines persönlichen Grames hat und
ntgleicU einen von allen getheilteii Grund: „Mein Name ist Million,
■eil ich für Millionen liebe und leide. Ich liebe das ganze Volk,
ich habe seine vergaugenen und künftigen Geschlechter umarmt
and sie alle an die Brust gedrückt als Freund, Liebhaber, Mann,
Vater. . . ." Die Atmosphäre, von welcher der Gefangene umgeben
ist, ist nicht die wilnaer der zwanziger Jahre, sondern eine spä-
tere, durch die Folgen des Aufstandes geschaffene, schwer, er-
stickend, voll finsterer Verzweiflung and Zähneknirschen. In der
Seele des Gefangenen tobt ein ganzer Sturm, ein Kampf guter
und böser Gedanken, personificirt in den Schwärmen guter und
.....Gooj^lc
272 Viertes Kapitel. Die Polen.
böser Geister, die ihn umscbwebeD.' Die EmpÖrang der Ge-
danken ist ausgebrochen, in Wirklichkeit ist das eigentliche
Feld aller Entscheidungsschlachten nor die Seele: „0 wÜBateBt
du, Mensch, wie gross deine Macht ist, wenn der Gedanke im
Kopfe auiblitzt, wie ein Funke in der Gewitterwolke. . . . 'Wüss-
test da, dass du kaum einen Gedanken gefaest hast und auf ihn
schon wie die Elemente, wenn sie des Donners harren, Satan
und Engel warten, ob dn in die Holle einschlagen oder am
Himmel erglänzen wirst. ... 0 Menschenl jeder Ton euch könnte
ganz allein, in Fesseln geschmiedet, Throne stürzen und aufrich-
ten durch den Gedanken und durch den Glauben I" Der grosse
Unterschied zwischen Mickiewicz einerseits und Goethe und By-
ron andererseits, welche dasselbe Thema eines innern Kampfes
mit der Gottheit bearbeiteten, ist der, dass bei den letztem
beiden der um den Glauben gekommene forschende (Faust)
oder erbitterte Geist (Manfred) sich dem Gegner gegenüber skep-
tisch verhält, das hinter der Vorstellung Verborgene zu erfor-
schen Bucht und eine Art bodenloser Leere vermuthet Im
Gegensatz dazu steht Mickiewicz auf vollkommen religiösem
Boden, ihm stehen, wie hei Dante, der persönliche Gott und die
Unsterblichkeit der Seele anschaulich vor Augen; er ist voller Ka-
tholik und sogar in einem höhern Grade als die Kirche, in ihm
lebt etwas von dem Geiste, welcher die Propheten und die Häre-
siarchen beseelte, einem Geiste, der unmittelbar und ausserhalb
der Synagoge und Kirche die Gemeinschaft mit Gott sucht.
Er ist in Wirklichkeit in den „Dziady" ganz derselbe, wie in
einem Briefe an Goszczyüski vom Jahre 1843 (Korr. I, 200): „wir
sind kein Zweig der Kirche; wir wachsen aus ihrem Stamme
empor durch ganz dasselbe Mark; wir sind kein Arm und
keine Bucht, sondern das eigentliche Strombett des Lebens der
Kirche." Konrad wendet sich an Gott, ausgerüstet mit der gan-
zen Kraft des Gedankens, der die Geheimnisse des Weltalls ent-
' In dem Fragment „Widzenie" („die Eracheinong") 1, 253 legt Micbie-
wicz seine Aneiehten über dieie körperlose Welt lo dar:
i^nnd herum standen schwarze Geister, weiMO Engel, Feinde nndVer-
theidiger der Seelen, mit den Flügeln das Feuer kühlend oder anfaohend,
lachend, weinend, aber immer dem gehorsam, den sie in den Annen halten,
wie die Würterin dem Kinde gehorsam zu sein pflegt, daa ihr der Vater dea-
Belbeu, ein vornehmer Herr, anvertraut."
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Adam Mioklewioz, §73
deckte, aasgerüstet mit einer Eenntniss von Gott, welche die der
Ereengel übertrifft, aber er besitzt noch ein stärkeree Werkzeug
— die unbegrenzte Macht des Gefühls, das sich selbet nährt wie
m Vulkan, die Worte sind nur sein Rauch. „Diese Macht", sagt er,
„habe ich nicht von den Früchten des Banmes im Paradiese her-
gmommen, ich habe sie nicht aus Büchern, ans Erzählungen, aus
der Lösung von Aufgaben erworben ; ich ward als Schöpfer ge-
boren". Getren dem Ausgangspunkte der Romantik, zweifelt der
Dichter nicht, dass dieses Gefiihl allmächtig und wnnderthätig,
dass es nicht entlehnt, sondern von ihm selbst erarbeitet sei —
dass, wenn er mit der ganzen Kraft der Seele auf eine vorüber-
fliegende Schar Vögel oder einen Kometen blicke, er sie zum
Stillstand bringen werde. Diese Macht kennen aber die Menschen
nicht, sie kennen uns beide nicht, Ö> der Gefangene: an ihnen
sucht er Genugthuung und erbittet sich, dasa ihm verliehen werde,
so über die Seelen der Menschen zu heri'schen, wie er über die
Xatur herrsche, nicht dnrch Waffen, nicht durch Wissenschaft,
nicht durch Lieder und nicht durch Wunder, sondern durch das
liefnhl, das in ihm lebt; zu herrschen, wie man sagt, dass Du herr-
schest, beständig und verborgen. „Dass die Menschen für mich
wären, wie Gedanken und Worte, aus denen sich, wenn es mir be-
liebte, der Bau eines Liedes zusammenfüge. Ich würde mein Volk
schaffen, wie ein lebendiges Lied, und würde ein grösseres Wun-
der vollbringen als Du, ich würde das Lied des Glückes anstim-
Een. Ein kleiner Theil dieser Macht genügt; gib mir den, wel-
chen der Hochmuth besass, wie viel Glückseligkeit würde ich mit
diesem einzigen Theilchen hervorbringen." — Eine Antwort er-
folgt nicht, dem Gefangenen scheint es, dass er das Geheimniss
erfasst habe: „Ein Lügner ist, wer Dich die Liebe nannte, Du
bist nur die Weisheit; nur wer sich in Bücher, in Metall, in die
Zahl, in den Leichnam vergraben hat, wird vermögen, sich einen
Thal Deiner Macht anzueignen; nur dem Denken hast Du be-
stimmt, die Welt zu geniessen, das Herz hast Du zu ewiger
Busse verurtheilt. Warum hast Du mir das kürzeste Leben
und das kräftigste GefUhl gegeben?" Es folgen schmerzliche
Bitten: „Antworte, wenn es wahr ist, dass Du liebst, wie ich
es gehört habe mit dem Glauben eines Sohnes; wenn ein füh-
lendes Herz unter den Thieren war, die in der Arche aus der
Sündflnt gerettet wnrden, wenn Du auf eine Million nach Bet-
tnng Schreiender nicht schaust, wie auf eine verwickelte Glei-
^ra, SUTlHh« LlleritDisiL U, 1. lg
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274 VierteB Kaphel. Die Polen.
chung". . . . Auf die Bitten folgt Drohung; „Das Gefühl wird
verbrennen, was der Gedanke nicht zerbricht; dieses Gefühl werde
ich zusammeDpreseen, mit ihm die eiserne Waffe meines Willens
laden und sie abschiessen gegen Deine Natur-, wenn ich de nicht
zerschmettere, so werde ich doch Dein Reich erschüttern, weil
ich in alle Gebiete der Schöpfung schreien werde, mit einer
Stimme, die von Geschlecht zu Geschlecht dringen wird, dass
Du nicht der Vater der Wetten, sondern nur ein Despot bist."
Der Gefangene ist in Ohnmacht gesunken, ohne das letzte dieser
Worte vollendet zu haben, das statt seiner schon von den
Teufeln gesprochen wird. Ein Corporal führt, um dem bewusst-
losen Gefangenen Hülfe zu bringen, den Priestermönch Peter
herbei; es folgt alsdann eine Scene des Ezorcismus, die in scherz-
hafter Weise erdacht ist, wie bei Dante oder in den mittel-
alterhchen Mysterien. Der die kopfüber hinstürzenden Teufel
austreibende Mönch Feter, ein Prophet und Geisterseher, ist
vielleicht von Oleszkiewicz copirt, oder stellt einen zweiten Zwil-
lingsbruder des Dichters dar (der erste war Konrad), d. i. den
Zustand seines Geistes, der einen neuen Messias schon voraus-
schaute, und dem Schicksal ergeben auf die Ankunft des-
selben hofEt. Dieser ganze Theil ist äusserlich mit den frühem '
„Dziady" durch eine Scene verbunden, worin eine Frau auftritt,
welche den Geist des Geliebten vergebens durch Vermittelung
eines Zauberers citirt, aber ihn in einem der Verbannten er-
kennt, die auf der Strasse anweit einer Kapelle fortgeführt
werden. Von solcher Beschaffenheit ist das verwickelte und nicht
ganz organische Aeussere des Werkes, in welchem die haupt-
sächlichste Bedeutung und zwar eine solche ersten Ranges nnr
die stark hei-vortretende und erschütternde Scene der „Impro-
visation" des Gefangenen hat. Sie ist ganz in einem Sitz ge-
schrieben, in einer Nacht, nach der Odyniee den Dichter bleich,
halb bekleidet, in Ohnmacht auf dem Fussboden schlafend fand
(Relig. i mistyka, S. 148). In ihr hat sich Mickiewicz ganz aasge-
sprochen mit der stolzen Verachtung eines Adlers, welcher auf
deu Fittigen des Gefühls dahin schwebt und die Fährten und
Pfade des inductiv-analytischen Verstandes verschmäht, der nur
mit Anstrengung und Vorsicht die Bergeshöhen zu erklimmen sucht.
Die „Improvisation" steht in engster Verbindung mit den ersten
lyrischen Versuchen in Wilna, aber der glückliche Instinkt, der
in Wilna half, die Forderungen der Routine zu zerbrechen, ist
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Adam Mickiewicz. 275
aim Princip der Allmacht des Gefühk erhoben, und auf diesem
ungezügelten Roebb Siegt der Reiter dahin und zerschelU an dei'
ehernen Wand des Unmöglichen. Eine unmittelbare Macht über
die That«n der Menschen erbat sich der Dichter nicht, aber üIjcu
ibre Gefühle erlangte er sie unbeschränkt und voll. Sein stürmi-
scher Enthusiasmus hielt den Geist aufrecht, bewahrte vor Vcr-
iteiflung, gab den Gefühlen einiger Generationen ihre Richtung,
die wie rasend hinter ihm herflogen und ganz ebenso an der
ehernen Wand zerschellten, indem sie dem Nutzlosen nach-
jagten und in der revolutionären Propaganda untergingen, bis
ach das verachtete Reptil — der analytische Verstand — zu
der Wand hinanschleppte, an der die Phantasten zerschell-
ten, und zeigte, wie man sie zu umgehen, wie man sich den
nenen, unvermeidlichen Lebensbedingungen zn accomodiren und
sie mit den alten Verpflichtungen und Erinnerungen in Ein-
klang zu bringen habe. Die Wand ist jetzt umgangen, der
dritte Theil der „Dziady" selbst, sammt dem mit ihm zusammen
herausgegebenen Fragment „Petersburg", das den „Freunden in
Moskau" gewidmet ist (Paris 1833) ', erscheint gegenwärtig als ein
überwundener Standpunkt, als ein historisches Denkmal, als ein
poetischer Ausdruck der Stimmung, in der sich eine gewisse Gc-
sellBchaft in dem kritischsten Moment ihrer Esi&tenz befand, aber
auch als eins von den wenigen grossen Werken, deren sich nicht
jede Literatur rühmen kann (wie ,, Prometheus", „Faust", „Man-
fred"), in denen die tiefsten und schwierigsten Probleme des
Seins und des Gewissens gestellt, wenn auch nicht gelöst wer-
den. Im dritten Tbeil der „Dziady" sagt sich Mickiewicz definitiv
vom ßyronismus los, sogar die begonnene Uebei-setzung des
„Oianr" ward ihm zum Ueberdruss und kam nur mit Muhe zu
Ende. Wie gleichzeitig mit dem vierten Theil der „Dziady"
die mit diesem nicht zusammenhängende „Gra2yna" geschrieben
wnrde, so entstand gleich nach der Vollendung des dritten
Theils aus längst vorhandenen Materialien und Motiven ein
anderes Werk, das vollendetste, reifste, das jetzt über alle
andern Werke des Dichters gestellt wird, ein Werk, das die
neoere Kritik unmittelbar der lüas an die Seite setzt ^, ein
' DentBch von A. Zipper (2. Aufl., Hamburg 1878).
' Hugo Zatbey, „Uwagi nad Poiicm Tndeuazem" (Posen 1873); W.
*l""ing, „Pan TftdeuBz MickiewicKa" (im Ateneum 1877, Nr. 11), Dio
.._..., Google
27G Vierten Kapitel. Die Polen.
ruhiges, klares Szlachta-Epos in 12 Gesängen — der „Pan
Tadeusz" („Herr Thaddäus"). Es seien zunächst die äussern
Umstände dargelegt, welche die Entstehung dieser Dichtung
hegleiteten. Mickiewicz befand sich zu Dresden und dann Ton
Mitte des Jahres 1832 an zu Paris in einer sehr gedrückten Lage;
anter seinen Leiden hildete den kleinsten Theil die Noth, die
bei ihm eingekehrt war, und seine unablässige Begleiterin bis
ans Ende des Lebens wurde. Der Markt für den Absatz seiner
VTerke beschränkte sich jetzt auf die verarmte Emigration und
das Grossherzogthum Posen, und auch dieses ärmliche Stückchen
Brot nahm noch der dresdner Nachdruck weg (Korr. I, 84).
Der Dichter bemühte sich, das Eigenthurasrecht auf alle
Werke für eine lebenslängliche Pension von 1000 poln. Gulden
(500 Mark) zu verkaufen, um sie seinem Bruder Franz, einem
Emigranten, zu geben: „und ich selbst", schrieb er, „werde
mich schon irgendwie durchschlagen" (Korr. I, 71); „hast du
mich je um den morgenden Tag sorgen sehen?" (I, 66). Rund
umher waren lauter Leidende und Bettler, die sieb noch oben-
drein um dag Vergangene, um Schlagwöi-ter, wie Aristokratie und
Demokratie, Conservativismus oder Revolution, Katholicismus
oder vollständige Glaubenslosigkeit zankten. Er, der Pole, der
sein eigenes nationales Princip in sich trug, das allen andern
Parteien und Strömungen des westeuropäischen Lebens fern-
lag, empfand einen tiefen Widerwillen gegen Intriguen, Zän-
kereien , Klatschereien , ja sogar gegen das eitle, „verfluchte"
Paris mit seinen Barrikaden. („Wovon soll man hier singen
- mitten unter der ewigen Eitelkeit des pariser Pflasters, oder
dem Schmuz und den Flüchen, den unstillbaren Thranen und
Wehklagen der Genossen"). Zu diesen täglichen Erbitterun-
gen gesellte sich noch die Erkrankung an der Schwindsucht
und der Tod eines poetischen Zöglings von Mickiewicz, des
jungen Dichters Stephan Garczyiiski (geb. 1805, gest. 1833).
Garczyrtski, ein Schüler Hegel's, hatte zweifellos poetisches
nicht pnblioirten Öffentlichen Vorlesungen über Pan TadeuBz von St Tar-
nowaki, gehnUeu im Jahr 1878 in Wai-sohan. Ales. Pechnik, „Goethe'i
Hermann und Doi-otbea und Herr Thadd&us, eiue Parallele" (Leipzig 1879).
UeberBetznngen ; deutsch von R. 0. Spazier (2 Thle., Leipzig 1836), von
A. Weis» (Leipzig 1882), von S. Lipiner (1. Bd. der Poetischen Werke
des Ä. M'ft., Leipzig 1883); rnssiBeh Ton N. Berg (Warsohan 1875).
...., Google
Adam MickiewicB. 277
Tftleot, das in ihm bei der Lecture von Mickiewicz' Wer-
ken eiTi-achte; er reiste nach Kom und scbloss sich Mickiewicz
an, trotz der nnaufhörlichen Streitigkeiten, die zwischen ihm,
Mickiewicz und Odyniec um seines philosophischen Pantheis-
mus willen statt&nden. In Dresden kamen sie 1833 wieder zu-
sammen; Mickiewicz bedauerte es von Henen, dass er nicht wie
(iarczyüski in die aufständische Armee getreten war; Anfang
Mü 1833 schickte Oarczynski das Manuscript der Dichtung
„Waclaw" nach Paris zum Druck, die Mickiewicz in unbe-
sclireiblicbes Entzücken versetzte.' Mickiewicz war überhaupt
Dicht immer ein guter Beurtheiler von Kunstwerken: im vor-
Ü^eoden Falle hatte er sich stark getäuscht, weil „Waclaw"
nicbts weiter als eine verwässerte Paraphrase seiner Ode an die
Jugend und des „Wallenrod", hauptsächlich aber des dritten Theils
deT„Dziad7" ist.^ Mickiewicz hat sich offenbar durch seine eige-
nen ans der Dichtung wiedertöneuden Motive bestechen lassen,
ohne auf das Geschraubte und Garricaturenhafte zu achten.
Wacta« ist ein&ch ein Phantast mit zerrütteten Nerven; er
stürDit am Cbarfreitag in die Kirche und fordert den Priester
nun Streit heraus, indem er die Religion eine Charlatanerie nennt,
dann wird er durch den Patriotismus zu einem neuen Leben ge-
boren, als er die Burschen singen hört: „Jeszcze Polska nie-
Jiginjla" (Noch ist Polen nicht verloren), endlich verwandelt er
sich in einen Verschwörer. Mitte 1832 wurde Garczyüski schon
ganz hinfallig; Mickiewicz brachte ihn zugleich mit der barm-
herzigen Protectoriu der Emigranten, Clandia Potocka, aus der
Schweiz nach Avignon, wo Garczyüski am HO- September in
seinen Annen starb, womach Mickiewicz schrieb: „ich bin wie
ein Franzose auf dem Bückzug von 1812, demoralisirt, schwach,
abgerissen, fast ohne Stiefel" (Korr. I, 94). Versauert, finster,
gealtert, sogar nachlässig geworden, lebte Mickiewicz nur in einem
kleinen Kreise engerer Freunde und Verehrer, verschloss seine
Ohren für das, was um ihn herum vorging, und floh vor der
bittem Gegenwart und vor der Unruhe Europas in Gedanken
' Sorr. I, 6: „NiuhtB he.i mich seit der Zeit, nU ich Schiller und By-
ron goleaeo, eo eingenommen. Wenn der nWactaw» nicht dein Werk wäre,
» würde ich vielleicbt den Autor beneiden."
' SL Tarnoweki, „Stefana Garczjnskiego Waclaw i drobne puezye"
(uk Pneglfd PoUki 1872, März).
...., Google
278 Vierles Kapitel. Die Polen.
in das Land, „wo es inif leichter ist, meinen Kummer zu ver-
gessen, wo wenigstens ein kleiner Trost für den Polen vorhanden,
in das Land der Kinderjabre; .... wo ich einstmals so fröblicli
Biiiclte, wo ich gelten betrübt war und sehr wenig weinte" ....
(die Einleitung). Je düsterer alles um ihn herum wurde, desto
häufiger zog sich der Dichter dahiu zurück und desto länger
weilte er dort: die in kleinen Verhältnissen angelegte Dich-
tung wuchs gewaltig an. Die erste Nachriclit über dieselbe fin-
den wir' in einem Briefe vom 8. December 1832 (Korr. I, 66):
„ich schreibe eine ländliche Dichtung in der Art von Hermann
und Dorothea, habe schon über 1000 Verse zusammeugesloppelt."
Er schrieb sie, warf sie beiseite uiid kehrte wieder zu ihr zurück,
weil „es mir, wenn ich schrieb, so war, als wenn ich in Litauen
süsse" ; „das Schreiben machte mir unaussprechliches Vergnügen,
indem es mich in die geliebte Heimat versetzte" (Korr. 1, 74, 100).
In dem Moment, wo Garczyüski starb, waren schon vier Gesänge
geschrieheu, und dem Verfasser schien es, dass die Dichtung
schon zu drei Vierteln fertig sei; endlich wird in einem Briefe
an Odyuiec im Februar 1834 geschrieben: „Gestern beendigte
ich den Tadeusz — zwölf grosse Gesäuge ; viel Oedes, aber auch
viel Gutes. . . . das Beste, was darin ist, siud die Bilder aus der
Natur, aus uuseriu Lande und aus unseru heimischen Gebräuchen.
— Meine Feder werde ich, wie es scheint, nie mehr auf Narrens-
possen richten, — fügt er hinzu — vielleicht hätte ich auch den
Tadeusz beiseite geworfen, aber er war schon dem Ende nahe.
Ich bin mit Mühe zu Ende gekommen, weil mich der Geist nach
einer andern Seite riss, zu weitern oDziady«, aus denen ich mein
einziges lesenswerthes Werk zu machen beabsichtige."' lu Be-
treff des „Tadeusz" hat sich Mickiewicz gründlich getäuscht: die
„Dziady" sind bald veraltet, und das, was ihm für Narrens-
possen und Tändelei galt, glänzt in unverwelklichcr Jugend, weil
in dieser Dichtung die ganze krystallisirte vergangene Cultur
eines wirklichen historischen Volkes, nach allen Seiten lebendig,
vollständig, rcliefartig, malerisch niedergelegt ist, angefangen
von den Speisen, dem Getränk und der Kleidung, der Jagd,
' Eb bi^sleht tliu Auualimu, Mickiewicz habe sie schon in I^uköw iin
tiroasherzogthum ToBen zu schreiben bcgoiiuuu, in der ersicu Häirtc Üi"
Jaht'CB 1832, aber diese Kachi-ichlen sind zweifelhaft.
' Korr. I, 86, 88, f9.
...., Google
Adam Mickiewioz. 279
der Schlägerei, dem Landban, dem häuBlicben Heerd, der Fa-
mOie, bis zum Gebet, bis zu den nnvertilgbaren Erinnerungeu
and intimsten WünBcben und Hoffnungen. Der Teppich ist
Faden für Faden mit peinlicher Sorgfalt gewoben, grell und
bnnt, an handelnden Personen sind viele Dutzende vorgeführt;
die Farben sind harmonisch gewählt und aneinander gepasst;
kein einziges Muster, keine einzige Person läast sich herausneh-
meo, ohne das Ganze zu verderben; Pathetisches verschmilzt mit
HamoristiBcbem ; nicht nur das Aeussere des Lebens ist in der
reaUstiBcheten Weise gemalt, sondern auch seine innerste Seele
ist fixirt. KrasiAski äusserte sich 1840 über „Fan TadeuBz"
D folgender Weise (Dodatek do Czasu, 1859): „Don Quicliote
st mit der Iliade verschmolzen. Der Dichter stand auf der
(irenzscheide zwischen einer verschwindenden Generation und
uns, er sab sie noch vor ihrem Tode, aber jetzt sind sie nicht
mehr da, das ist gerade der epische Standpunkt; er hat das
todtc Geschlecht verewigt; es wird nicht sterben." Das Haupt-
und Gmndmotiv und die Achse, um die sich das ganze Werk
dreht, ist die jahrhundertelange nationale Feindschaft der Po-
len und Bussen, die so objectiv dargestellt ist, dass man die
^te, tapfere und biedere Natur des Kapitäns Rykov liebt und
acbtet; man begreift, dass an dem alten Streit nicht Men-
schen schuld sind, sondern die verhängnissvoUe Vergangenheit
niid die Verschiedenheit der politischen Ordnung. Dag Herz
des Dichters bleibt freilich bei seinen politisch todten, aber
Dicht entmnthigtenLandsleuten; vermerkt sind ihre guten Eigen-
schaften, nicht übergangen ihre schlechten: Bürgerkriege, Pro-
cesse, Zwiste um privater Interessen und persönlicher Parteiun-
ijeii willen. An der Seite der wohlhabenden Gutsbesitzer mittlem
Schlags verbringt ihre letzten Lebenstage das Volk der Szlacbta
— die vrilde Armee der Anarchie vor der Theilung, bereit, sich
mit jedermann zu schlagen, wenn nur die Aufforderung mit dem
Vorwand geschmückt ist, dass es pro publico bono geschähe,
uDd eine Verehrung für die Brüder Szlachcicen damit verbunden
ist Es werden die Ursachen des Verfalls berührt, aber es gibt
auch eine Arznei für das Uebel, die polnischen Ereignisse werden
in die gesammteuropäischeu verflochten, — dieselben, welche
anch Goethe zum Hintergrunde seines bürgerlichen Epos ge-
nommen hatte. Hinter der Scene steht jener „ wunderbare
Führer, dar Gott des Krieges, der kühne Genius.... gol-
ü,g :.._.. ..Google
280 Viorte» Kapitel. Die Polen,
(Icnc neben den silbernen Adlern in den Siogeswagcn gti-
bpannt , und mit der drohenden Recliteu gegen den Norden
aaslioleud" (1. Gesang). Seiner Ankunft harrt man, wie einer
ErlöauDg, bei seinem Erscheinen küssen sich in einem Augen-
blick im Feuer patriotischen Enthusiasmas' die Soplicas und
die IIoreszkoB, umarmen sich die Szlachciceu und der deutscliu
Ductriuär Buchmann und der patriotische Jude Jankiel, dem
Gemeinwohl sollen alle Privilegien zum Opfer gebracht, auch
die Bauern sollen befreit werden, aber zur Bewahrung der Tra-
dition verleiht mau auch ihnen adelige Wappen (12. Gesang).
Napoleon wird als die Verkörperung des grössten Welteieignisses,
der französischen Revolution, und ah ein Manu aufgefasst, der
den Beruf empfangen, die veraltete Gesellschaft zu zcrtrüni-
niern und zu erneuernj unter seiner Vcrmittclung vollzieht bich
die Vermäldung in der allgemeinen Verschmelzung der neuen
grossen Weltideen mit der nationalen Ueberlieferung. — Pro-
fessor Nehring hat die bei der Schöpfung des Epos angewende-
ten Methoden und Motive rocht gut dargestellt. Mlckiewicz war
nach der Natur seines Talents ebenso sehr Epiker wie Lyriker;
von den frühesten Jugendjahren au verschmähte seine Muse die
Gegenstände alttäglichston Inhalts nicht („Warcaby", der Plau
einer Dichtung über die Kartoffel); schon in Wilua studirte er
die Iliade eingehend; von den damaligen Kritikern achtete er
A. W. Schlegel sehr (der eine ganze Theorie des Epos in der
Jenaer Allgem. Literatur- Zeitung, 1797, gegeben hatte, aus
Aulass von Goethe^s Hermann und Dorothea). Mickiewicz selbst
schrieb, dass er anfangs die Absicht gehabt habe, etwas in der
Art von Hermann und Dorothea zu schi-eiben; in beiden Dich-
tungen tritt als entscheideuder Factor eine geistliche Person
auf; in beiden ist, nach der richtigen Bemerkung Schlegel's, das
Alltägliche dadurch gehoben, dass es auf die Unterlage gros-
ser Weltereignisse gestellt wird. In Uebereinstimmung mit deu
Batbschlägen Schlegel's ist aus der Ilias nur der Geist, nicht
aber die Form entnommen; der Dichter hatte sie durchgelesen,
und geradezu vergessen, nachdem er sich nur die Objectivität,
die Ruhe und den gemessenen Gang der sich atlmäblich ent-
faltenden Erzählung angeeignet. Endlich gelang dem Dichter
die organische Regelroässigkeit dieses vollständig classischeu
Werkes zum Theil wol auch infolge seines unmittelbaren Ver-
kehrq mit dem classischen Italien und mit den Werken der an-
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Adam Miokiewicz. 281
tikeo KuDBt. Unzweifelhaft ist aucb, das» Mickicwicz dicü und
jeoes entlehut bat, nicht sowol im Stoffe ais in der Manier,
(OD dem begabtesten £i'zäh]er , den die polnische Literatur
besitzt und der etvaä später weit berühmt wurde, dem Grafen
Heinrich Rzevnski. Sie traten in der Krim einander näher, hu-
sucht«u einander in Petersburg, verlebten den ganzen Winter 1830
in Rom. Rzewuski begann auf Miokiewicz' Andrängen seine Er-
zihltiDgen „Pamigtuiki Seweryna Sophcy" (,,Mcmoiren den Scveriu
SopHca", 1839) zu schreiben, in denen Rejtan, Wofodkowicz und
andere Personen auftreten, die im „Pan Tadeusz" erwähnt wer-
den, der denselben Familiennamen Soplica tragt. Man sieht nicht,
dws Mickiewicz die Fabel von I^cwucki entlehnt habe, aber
CT var von der Manier und der äussern Form derselben eiit-
iückt, and hielt Rzewuski, iils [lumoristeu, für den letzten
und cigenthUmlichsten Nachfolger des Rej von Naglowice (Odyu.
11, Ä)). S^ wenig ist von Mickiewicz aus Gelesenem oder Ge-
liürtem entnommen, doch gehört zu solchen Entlehnungen die
Episode, die der Dichtung den zweiten Titel gegeben hat („Pan
Tadeusz albo Ostatui Zajazd na Litwie" — „Herr Thaddäus oder
der letzte Kiuritt in Litauen"); „Zajazd" (Einritt) ist nämlich
eine eigenmächtige Geltendmachung seines Hechts oder der Voll-
nig einer gerichtlichen Eutecheidung durch Privatpersonen, ohne
Mitwh-kuDg des Gerichts. In Mickiewicz' Jugendzeit gehörten
«tlcbe Zajazdy schon der Geschichte an. Der grös^te Theil dua
Stoffes war durch unmittelbare persönliche Erinnerungen gegeben ;
die ganze Dichtung ist aus Bekannten des Dichters zusammen-
ge«etzt, ans wirklichen Porträts: Assessor und Notar, Gervasius
uoil ProtasiuB, Ulanen and schnurrbärtige Szlachcicen; der ro-
mantische und wunderliche Graf und der Cymbalspieler Jankiel.
Die demoralisirte und französisirte Kokette aus der Hauptstadt,
Telimene, stellt eine von den Schönheiten der grossen Welt zu
Odessa oder Petersburg dar; in Sophien, obgleich sie im allge-
meinea schwach gezeichnet ist, finden sich einige Züge von Ma-
rjla, mit den Zusatz ländlicher Einfachheit und Naivetät. Ueber-
kanpt gelang die Darstellung weiblicher Charaktere und Typen
veder Mickiewicz noch seinen andern grossen Zeitgenossen, und
in der Poesie nimmt die polnische Frau nicht die entsprechende
Stellung ein, die ihr wegen ihrer Verdienste im Leben ge-
bührte. Eine kräftige, selbständige Frau, die Frau als Staats-
bürgerin, haben sie nicht dargestellt. Bei weitem reicher sind
ü,g :.._.. .,(^iÜOglC
282 Viertes Kapitel. Die Polen.
die männlichen Typen, aber auch unter ihuen ist am wenigsteii
typisch Tudeusz selbst, ein guter, gerader, aber etwas unbedeu-
tender Bursche:
Jung war er, flink und stattlich . . .
Er hiess Soplica — und alle die Soplica's sind
Bekunntliuli gut bei Luibü und voll gesunder Kraft,
Zum Waffoubaudwct'k uüizig, nicbt so zur Wissenscbalt.
(I. Ges., Uebers. Lipiner's.)
Er ist nebst Sophie nur als ein äusseres Band hingestellt, das
die feindlichen UäuEcr der Iloresüko und Soplica verbindet. Der
Held der Dichtung ist nicht er, sondern sein Vater, ein büsscn-
dcr Sünder, der unter der Müncbskutte und unter der Kapuze
des Priesters Robak seinen frühern Namen Jacek Soplica ver-
birgt, der einst mit einem wohlgezielten Schuss den vornehmen
Herrn Stoluik (Truchsess) Horeszko getödtet hat, «ur Zeit als
dieser eben die russischen Truppen abwehiie, und deshalb in
den Ruf eines Büttels der Russen, eines Verräthers und Targowica-
ners gekommen war. Als Priester Robak sühnte er die Schuld su
viel er nur konnte, tiess die Enkelin des Truchsess erziehen, in
der Hoffnung, seinen Sohn mit ihr zu verheirathen , diente der
Sache Polens als napoleonischer Agent, bereitete einen umfang-
reichen Aufstand vor; aber seine eigene Vergangenheit vereitelt
seine Plane, seine Winke werden falsch gedeutet, ein alter Die-
ner des Hauses Horeszko, Gervaeius, benutzt die Erregung der
Szlachta, um sie gegen die Soplicae zu hetzen und einen „Za-
jazd" gegen das Haus dieses Gescblechtshauptes, des Richter So-
plica, des Bruders von Robak, zu veranlassen. Der Triumph der
Horeszko'schen Partei dauert nicht lange, es kommen rassische
Soldaten und binden die betrunkenen schlafenden Szlachcicen
wie Widder. Da befreit Robak die Gefangenen aus der N'oth,
die Parteigänger der Soplica fallen im Verein mit denen- der
Horeszko über die Soldaten her und hauen nach heftigem Kampfe
die Russen nieder, worauf jeder, der kann, über den Kiemen
unter die Fahnen Napoleon's flieht. Im Kampfe wird Robak
tödtlich verwundet, und seiner Beichte vor dem Tode ist der
ganze zehnte Gesang gewidmet. Der stolze Truchsess hatte die
Dienste des gewandten Jacek auf den Landtagen und Tribunalen
benutzt, aber als sich Jacek in die Tochter desselben leiden-
schaftlich verliebte, und diese seine Liebe erwiederte, gab sich
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Adam Mioliiewice. «283
der vornehme Herr doii Anschein, als ob er gar nichts bemerke,
s|»ter jedoch wies er Jacek ab, und verheirathete seine unglück-
liche Tochter an einen Wojewoden. Dieee kalte Grausamkeit
trieb Jacek zu dem Verbrechen, das er dann durch Thaten pa-
triotischer Aufopferung zu verwischen suchte. Bei der Beichte
Jaeck's briclit eigentlich auch die Handlung ab; alles Uebrige:
die Legionäre, das Jahr 1812, das Kreuz der Ehrenlegion, das auf
Jacek's Grab geheftet wird, das Gastmahl und Jankiel's Spiel auf
^em Cymhal — ist nur ein prachtiger Epilog mit den letzten
Accorden. Aber eben diese Figur Jacek's, welche den Mittel-
punkt im Werke einnimmt, ist eine Dissonanz im ganzen: so
»ehr ist sie ihrem Charakter nach anepisch und so wenig passt
äe in Tou und Rhythmus zu allem übrigen. In Jacek sind zwei
Persönlichkeiten gemischt: die alte zügellose und eine neue,
die jene mit übernatürlicher Kraft bekämpft. Die zwei Per-
sönticbkeiten vertrugen sich nicht , ihr Gonflict ist ein hoch
dramatischer, aber kein epischer, weil sowol die fieberhafte
Heiligkeit der einen, als die übernatürliche Kraft der andern,
iu gleicher Weise aus der einfachen Norm , aus den das Epos
charakterisii'enden Eigenschaften der Einfachheit, Menschlichkeit,
Fasslichkeit hinausgehen. Itobak ist die letzte Metamorphose des
frühem Ideals des Dichters, ein reumüthiger Byronist und Ro-
mantiker, der Busse thut und mit unbegrenzter Selbstverleugnung
and praktischen Werken die früheren Ausbrüche seines Gefühls,
seinen sündhaften Stolz und seine Eigenliebe sühnt. Aber Jacek
Soplica ist in der Dichtung nicht nur das verwandelte ursprüng-
liche Ideal des Dichters, er ist auch noch ein Theil seiner eigenen
Seele: seine Beichte ist die eigene Selbstbiographie des Mickiewicz.
Diese Eigenthümlichkeit wurde lange geheim gehalten, sogar noch
nach dem Tode des Dichters, bis zu Anfang der siebziger Jahre
einerseits die Briefe des Odyniec, andererseits die von der Frau
Duchinska mitgetheilte Erzählung der Henriette Eva Ankwicz-
Skarbek (verwitweten Szembek, in zweiter Ehe Kuczkowska) an
den Tag brachten, dass Jacek — Mickiewicz selbst, dass Eva
— Henriette und der Truchsess — Graf Änkwicz ist, der mit
tödtlicher, unerschütterlicher Höflichkeit den selbstbewussten
Bewerber abweist. . . . Den Eindruck, den „Pan Tadeusz"
auf die polnische Gesellschaft ausübte, war ein überaus ge-
waltiger und von sehr langer Dauer; die Vorzüge wurden
anfs vollste anerkannt. Zu jener Zeit schon fühlte sich der
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2g4 Viertes Kapitel. Die Polen.
Dicbter im Geiste zu etwas Andenn, Höherni gedräagt, es
lag in Heiner Xatur, dass er die ethischen Ideale unendlich
hülier stellte als die ästhetiechen. An Odyniec schrieb er in
dem schon angeführten Briefe vom Jahre 1834 (Korr. I, 99):
„Mein Grundsatz ist, mich nach niemand zu richten, nur auf
mich selbst zu sehen, ohne mich gross um die Welt und um
die Leute eu bekümmcru. . . . Ich komme zu der Ueberzeugung,
dass viel zu viel für diese Welt, für eitlen Kuhm und kleine
Zwecke gelebt und gearbeitet worden ist. Nur das zu schreiben
ist werth, vermöge dessen sich der Mensch bessern und Weisheit
lernen kann." — Aber das Geplante verwirklichte sich nicht und
sogar die „Dziady" blieben unvollendet, weil Mickiewicz nur
dann schöpferisch thätig war, wenn die Begeisterung über ihn
kam, und das geschah immer seltener und seltener. Zum letzten
mal wurde er, so viel man weiss, von ihr heimgesucht 1840, als
ihm seine Freunde am Weihnachtsfest ein Gastmahl gaben, und
er, von Slowacki zu einer Improvisation aufgefordert, mit einem
Feuer antwortete, wie er es seit dem Verfassen des dritten
Tbeils der „Dziady" nicht empfunden hatte (Korr. I, 174). In
Mickiewicz' häuslichem Leben ging eine Aenderung vor. Mitte
des Jalires 1834 verheirathete er sich {Korr. 1, 103). Als er ein-
mal hörte, wie man in lobender Weise von Seiina Szymanowska,
der Tochter der Pianistin sprach, die er als muntres, capriciöses,
aber liebenswürdiges Mädchen in Petersbui^ gekannt hatte, äus-
serte sich Mickiewicz vor seinen Freunden dahin, dass er sie gern
heirathen würde. Diese nahmen die Sache in die Hand, luden
Seiina nach Paris ein — die Ehe kam zu Stande, und obgleich sie
nicht aus Liebe vollzogen wurde, so war Mickiewicz doch einige
Zeit vollkommen glücklich mit seiner Frau, die heiter, mit dem
Geringsten zufrieden war (Korr. 103). Es kamen Kinder, die
Sorben um das tägliche Brot wuchsen ; die Frau wai-d vom Jahre
1839 an bis zu ihrem Tode im Jahre 1855 dreimal irrsinnig. —
Im Jahre 1837 versuchte Mickiewicz seine Kräfte an einer ganz
neuen Gattung der Dichtkunst, er gab zur Au^hruug auf dem
Theater Porte Saint Martin ein Drama in französischer Sprache '
„Les coufederes de Bar", welches von George Sand kräftig unter-
stützt wurde. Das Drama wurde trotzdem nicht angenommen,
' „M^lBDgcs poslhumcs d' Ad. M. par Ladislaa Mickiewicz." L Serie
is 1872).
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Adam Miokiewioz. 285
als Dicht bühnengerecht; es ist ein schwaches Product; seine drei
letiten Acte sind, Ton Hand zu Hand gehend, irgendwo verloren
gingen, nur die ersten zwei haben sich erhalten. Im Jahre 1839
oidnetw sich Mickiewicz' Verhältnisse, als er trotz seines reli-
giösen Bekenntnisses den Lehrstuhl der lateinischen Literatur
in der sehr protestantischen Universität in Lausanne erhielt;
bsld darauf, zu Ende des Jahres 1840, eröifnete sich ihm ein
"iel weiterer Wirkungskreis; die französische Regierung Über-
trag ihm den Vortrag über die slavischen Literaturen iu franzö-
dscher Sprache auf dem neu errichteten Lehrstuhl am College
de France. Die Stellung war in hohem Grade ehreiiToll, das
Publikum seiner Bildung nach ohne Gleichen, die Landsleute
hegten sehr grosse Erwartungen von dem unstreitig ersten Dich-
ter Polens und des Slaventhums (Pu§kin war 1^37 gestorben),
allein die an bestimmte Stunden gebundene, systematische, ver-
driesslicbe Arbeit eines Lehrers passtc für sein Naturell nicht;
sie erschöpfte, aber befriedigte ihn nicht. Zu einem Gelehrten
eignete er sich nicht, aber von den slavischen Literaturen kannte
er genau die zwei hauptsächlichsten, die russische bis zu den
dieissiger Jahren und die polnische. Er konnte, wenn auch
nicht seinen Gegenstand vollständig beherrschen, doch auf
jeden Fall die Hörer begeistern , indem er ihnen zwar nicht
aber das Slaventhum, aber über Polen viele tiefe und poetische
Gedanken mittheilte. Allein gerade zu der Zeit, als er den zwei-
ten Theil seiner Vorlesungen (im Juli 1841) begann, kam er geistig
Mf Abwege, verlor sich in den Mysticisnius , wozu sich reich-
liche Kmme in seiner psychichen Organisation fanden; statt der
Wissenschaft fing er an Religionslehre und Politik vorzutragen,
nnd zog sich die Absetzung vom Katheder zu (die letzte Vor-
lesung fand 28. Mai 1844 statt) infolge offener Abweichung von
seinen Vortragspflichten. Dieser beklagenswerthe Umschwung
ward durch das Erscheinen des Theosophen Andreas Towiaüski
in Paris und durch die Stiftung einer besondem Dissidenten-
kirche im Schosse des Katholicismus oder des sogenannten „To-
wianismos" hervorgerufen. Mickiewicz' Betheiligung an dieser
Sache' ist mehr in pathologischer Beziehung von Interesse, sie
beeinllusate aber auch den Inhalt der Vorlesungen über die sla-
' Waputudzii^ A. Mlukieuicza w üprawie Andrzejii Towiannkiego, Linty
i preemowenia (2 Bde., Paris 1877).
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286 Vierte» Kapitel. Die Polen.
Tischen Literaturen. ' Sie lasst «ich nur erklären durch eine Zu-
sammenstellung dessen, was Mickiewicz nach 1841 geschaffen bat,
mit den Ideen, die in seinen Artikeln im Journal „Fielgrzym"
zerstreut sind, und mit der Schrift, die er schon in Dresden und
Paris schrieb und hier 1832 herausgab: „Kaiggi uarodu pol-
skiego i pielgrsymstwa polskiego" („Die Bücher des pol-
nischen Volks und der polnischen Filgerachaft").
Diese Schrift scheute er sich zu verkaufen und yertheilte sie
gratis (Korr. I, 173): sie ist im biblischen Stile geschrieben, in
Prosa, ward fast gleichzeitig in viele europäische Sprachen über-
setzt^ und diente als Muster für die evangelisch -socialistischen
Betrachtungen Lamennais' in den „Parolea d'nu croyant". Sie
— GenestB, Exodus und Katechismus des polnischen Pilgers
— schildert, wie schön es die christlichen Völker nach den
Kreuzzügen hatten, „als sich die Freiheit langsam ausbrei-
tete, aber bestandig und massvoll, vom König auf die grossen
Herren, von diesen auf den kleineren Adel, vom Adel auf die
Städte; bald sollte sie auf das ganze Volk herabsteigen, und
mit ihr die Gleichheit." Aber die Könige haben alles ver-
dorben und errichteten Götzenbilder, das letzte und hässlichste
von diesen war das „Interesae". Der Untergang Polens wird
dadurch erklärt, dass sich dieses Volk vor dem Götzen des
Interesses nicht gebeugt und uneigennützig Gutea geatiftet habe;
wird Polen wiederhergestellt, so wird ea keine Kriege mehr
geben. In Erwartung dieser Wiederherstellung sollen die
Pilger zusammenhalten, sich nicht streiten, den Streit nicht
aus dem Hause tragen, nicht Schutz bei den Füraten dieser
Welt suchen, nicht bei den Weisen lernen wollen (hei den fal-
schen Lehrern Voltaire und Hegel, bei den Schwätzern Guizot
und Cousin). Mickiewicz sowol als seine Landsleute sahen nur
die eine Seite der Sache, nur die Tugenden der Vergangenheit
ohne ihre Mängel, ohne die innem Ursachen der beiden Kata-
strophen von 1795 und 1830. Sie hatten kein richtiges Ver-
ständoiss, um so weniger waren sie im Stande, sich praktische
' Auszuge daraus in „Politique du XIX n^cle p&r Adam MickiewioE"
(Paria 1870). Die Vorlerengen Bind io französischer Sprache gedruckt (5 Bde.,
Paris 1849; neue Ausg. 4 Bde., 18&'i) und ins Deatsohc QberBetzt (4 Bde.,
Leipzig 184(1); pulniseh von K. AVr.itnowski (4 Bde., Posen ISWi).
» Deutsch „im Jahre der Gnade 1883" (Paris, Heideloff).
Adam Mickiewicx. 287
Auswege aus einer zweifellos schwierigen Lage auszudenken,
äe gaben auch keinen andern zu ausser der ReEtauration,
d. b. der Aufhebung einer vollendeten Thatsachc, auf der sich
schon, wie auf einem Fundament von Stein, das politische System
der Staaten jener Zeit befestigt und eingerichtet hatte. Das
energische Bewusstsein der Lebensfähigkeit des Volkes, welches
m nährten, und die vollständige Machtlosigkeit, die Erregung der
Geföhlsnerven und die Lähmung der Bewegungsnerven führte in
TeihängniBsvoller V'^eise zu dem mystischen Glauben an eine Bet-
famg auf unbekannte Weise, durch Wunder. Die Leiden der
Gegenwart wurden durch die herrlichsten Phantasien über das
Eeich des Ruhmes in der Zukunft entschädigt, wenn das Volk,
das seinen Beruf noch nicht ereilt hat, wieder als Verwirk-
ticher der christlichen Ideen in den bürgerlichen und inter-
utionalen Verhältnissen auftreten werde. Wie kann ein Hau-
fen von Menschen, schwach, unverträglich, wenig befähigt zur
Aosfuhrung der einfachsten Unternehmungen, dazu gebracht
Kerden, ganz Europa zu reformiren? Als Antwort auf diese
Frage diente einerseits der Hinweis auf die Erschütterung des
europäischen Bodens, auf die Vorboten des Jahres 1848 (die Um-
nlznng hat das monarchische Princip nicht geschwächt, sondern
gestärkt, aber zu jener Zeit nahm man an, seine Tage seien ge-
äUt, und Aihrte die Worte Napoleon's an: dans cinquante ans
l'EuTope sera republicaine ou cosaque); zweitens die zu einer
Ceberzengung gewordene Hypothese von dem bevorstehenden
Auftreten eines grossen Mannes, eines „lebendigen Gesetzes",
mt» neuen Moses, Christus, Napoleon, in welchem die Idee der
Zukunft ihre entsprechende Incarnatiou finden, und darauf ihrer
Bealisation entgegengeben werde. Zufällig trat auch eine Per-
son auf, die sich für einen solchen von Gott gesandten „Mann
des Schicksals" ausgab, und vor der sich Mickiewicz sofort
beugte, indem er in die Stellung eines gehorsamen Jüngere
wa „Meister" trat, worauf er dann durch sein Wort und durch
»ein Beispiel viele andere Genossen unter den Emigranten mit
forbiss. Diese Person war ein gewisser Andreas Towiaüski
(geb. 17d8, gest. 13. Mai 1878), ein ehemaliger Richter am
litauischen Obergericbt (in Wilna), ein in sich concentrirter
Phantast, der wenig gelesen hatte, wenig gebildet war, a'ber
TOD frühen Jahren an über eine religiöse Reform nachgedacht
Mte, und zu einer solchen Vollendung im religiösen Lel)Gn
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288 Viertes Kapitel. Die Polen.
gelangt war, dass es ihm schien, als erhalte er für alles Be-
fehle Ton Oben.^ Wie viele seiner damaligen Landsleute var
Towiaiiski Napoleonist, ein abergläubischer Verehrer des Geistes
Napoleon's; er forschte nach den und jenen Resultaten der Ent-
deckungen in den Naturwissenschaften, besonders nach dem
Hellsehen und dem Magnetisiren , und bildete sich besondere
Begriffe über die Kraft des "Willens und über die onsicM-
bare Welt, welche die sichtbare umgibt — etwas in der Art,
wie die Lehre von der Seeleawanderung. Er war zu der Ueber-
zeugung gekommen, dass die Zeit da sei, die Principien des
Christenthums zu verwirklichen, indem man sie in die Praxis
des privaten und gesellschaftlichen Lebens einführe, womit
auch die Zukunft Polens verbunden sei. Mit diesem Beiiife
begab er sich ins Ausland (Juni 1840)- Da er durchaus nicht
beredt war, nicht die Gewandtheit besass, in grossen Versamm-
lungen aufzutreten, ja sich sogar in der Schrift unklar und mit
grosser Mühe ausdrückte, so konnte die einzige Art, das Beab-
sichtigte auszuführen, nur darin bestehen, dass er zu seiser
Lehre einen oder einige fähige und einfinssreicbe Leute bekehrte,
durch die er dann die Bewegung leitete, selbst sozusagen hinter
den Wolken stehend. Towiaiiski behauptete stets aufs beharr-
lichste, er sei rechtgläubiger römischer Katholik, nur verstand
er dieee Religion auf etwas eigene Art; in der Auswahl der
Adepten und in der Einwirkung auf dieselben bewiess er un-
gewöhnlichen Scharfblick, Ausdauer und Gewandheit. Er suchte
fiie nur unter den Gläubigen. Die ersten Versuche mialangen:
der Erzbischof Dunin von Posen und der frühere Hauptcom-
niandant des Aufstandes Skrzynecki in Brüssel hörten ihn an,
aber traten zurück, als sie Ketzerei witterten. Daraufmachte
sich im Juli 1841 Towiatiski auf einmal den Mickiewicz unter-
than, nachdem er ihm einige Umstände seines vergangenen Le-
bens offenbart, die, wie Mickiewicz annahm, niemand bekannt
' „Manchmal dachte ich ganze Tage lang nach, wie Stiefel genibt
werden müBien; mehrere Stunden betete ich, wie Nagel eu kaufen seien
rur BefettiguDg des DaohcB für den Vater, damit das alles lu Wahrheit
■ei." — „Als ich Richter war, pflegte ich in den Morgenstunden in der
Eii'che zu sitzen, worauf ex mir schwer nard, muh von einem Resultat ah-
Kubringcu, das ich mir in irgcu deiner ßoelilniache im Geliel gehildi>t linttc''
{Wbi>ö1u<1z. I, 196).
GooqIc
Adam Miokiswioz. 3g9
taren, and zur Heilung der damals in einer IrreuiingtaU be-
findliclien Fran des Mickiewicz dadurch beigetragen hatte, daas
er ihr einige kräftige Worte sagte , die auf sie sofort eine Wir-
knng ausübten.* Das Rüthselhafte in den Mitteln der Bekehrung
erklärt flieh sehr einfach: Towianski hatte in Wilna viele Ein-
zelheiten über Mickiewicz gehört, von den dortigen Freunden
desselben, von Maryla, Puttkammer, von dem Maler Waiikowicz;
aosBerdem stellt es sich heraus, dass er zwei Winter, 1835 und
1S36, in Dresden verbracht hat, wo er täglich mit Odyniec zu-
sammenkam und .endlose Gespräche über Mickiewicz führte (Sie-
mienski, Beligijnos^, S. 149). Der Same fiel auf vollständig vorbe-
rateten Boden. Die sehnsüchtigen Erwartungen des Emigranten
eilten der Zeit voraus, veranlassten ihn das Wunderbare zu glau-
ben; die Wirkung der unmittelbaren Gewalt über die Seelen, die
er im dritten Theil der „Dziady" von Gott verlangte, erfuhr er
in sich in der neuen Offenbarung. ... Da er sich niemals
Ton der oföciellen Kirche gängeln Hess, so beseitigte er alle
Einwände von dieser Seite mit den Worten: „wenn eich das
Volk im Grabe bewegt, weit ein höherer Geist den Stein ab-
gewälzt hat, 80 fragt ihr diesen Geist, ob er ein Mechaniker-
pitent habe und die formelle Erlaubnis», den Kirchhof zu be-
breten."' Mickiewicz berief seinen Freund, den Professor Do-
mejko, im October 1842 aus Chili nach Europa: „bis du nach
Europa kommst, werden schon die Ereignisse beginnen, und unsere
Fahne wird im Feldzug nach Polon flattern" (1, 44). Der Schüler
ging eifrig ans Werk und riss den Lehrer mit sich fort. Selbst
Towi^ski wäre geneigter gewesen zum Warten, seine Ideen waren:
ein Sendschreiben an den Kaiser Nikolaus zu richten (I, 189),
sich nach Rom zu begeben, um auf den Papst zu wirken, zu
Tersuchen Rothschild zu bekehren, aber wahrscheinlich auf
Mickiewicz' Andrängen begannen Gottesdienste in den Kirchen
«tt Paris mit Reden von Mickiewicz und Towiai'iski, die Skandal
hervorriefen und zum Änlass dienten, dass Towiai'iski aus Frank-
reich ausgewiesen wurde (Juli 1842), worauf Mickiewicz der
hauptsächlichste Vertreter des Towianismus in Paris blieb, in dem
doppelten C3iarakter eines „Führers der heiligen Sache", eines
' Vgl. den Artikel: Z powodu wapomnieniB o Mickiew. (im Journal
Kiwa 1819, Nr. 118).
' Wspötudz. I, 22: Der Brief an Skrzynecki, 7. April 1843.
Pim, SUilHbo LIWnttntBD. U,I. 19
..., Google
290 Tierteg Kapitel. Die Polen.
Organisators der neuen Religionegemeinde zu Gruppen von je
sieben Mann, und eines Professors am College de France, der die
Principien des neuen GlaubensbelienntniBses in seine VorieBnngen
hin«ntrug. Die Erfolge des Towianismus waren nicht sonderlieh
glänzend, nicht einmal unter der Emigration. Ooszczyfiski und
Slowacki echloBsen sich der Bewegung an, B. Zaleski hielt sich fern,
Witwicki und die polnischen Priester (Hieronymus Kajsiewicz)
traten als scharfe Gegner der neuen Lehre auf; die Propoganda
ward weiter ausgebreitet und ausser den Polen auch unter den
Juden und Franzosen betrieben. Um so eifriger wurden Unter-
redungen, Predigten, Gebete abgehalten; das Ziel der geist-
lichen Hebungen bestand darin, sich auf den richtigen „Ton"
zu stimmen, der durch keine Merkmale bestimmbar, nur durch
das Gefiihl erkennbar war, und die ganze Kraft und das ganze
Verdienst des Bekenners bildete. Die letzten Yorlesungnn über
die slarischen Literaturen am Collage de France bildeten eine
äusserste Idealisirung der Eigentbümlichkeiten des altpolnischen
Lebens, sogar solcher, wie das Wahlkönigthum und das libe-
rum veto; die Geschichte Polens wird als eine Ordnung dar^
gestellt, die durch einen fortwährenden Enthusiasmus aufrecht-
erhalten wurde; der slavische Stamm wird als etwas Einziges
geschildert, in dessen Entwick«lung zwei einander diametral
entgegengesetzte und sich gegenseitig ausschliessende Ideen
wirken : die russische und die polnische (Oesterreich wurde
als eine vollsfändige Anomalie ganz ausser Betracht gelassen).
Der polnischen Idee ward der Sieg prophezeit bei einer bewaff-
neten Erhebung des europäischen Westens, d. i. eigentlich nur
Frankreichs, das im christlich-napoleonischen Tone und Geiste
wirke, gegen den nordischen Kolose. Die herben Worte vom
Katheder herab gegen die Seellosigkeit und den Mangel an That-
kraft bei der officiellen Kirche brachten einen Riss zwischen
Mjckiewicz und der Mehrzahl der Emigraten hervor, welcher
zur Folge hatte, dass er das Amt eines Präsidenten der polni-
schen historisch -literarischen Gesellschaft in Paris niederlegte
(April 1B44). Der Lehrstuhl selbst ward ihm entzogen, als er
anfing, sich ans Publikum mit der Frage zu wenden, ob die
Hörer schon die Fleisch gewordene Offenbarung gesehen hätten,
und den Geist Napoleon's anzurufen, um mit ihm in geistigen
Verkehr zu treten. Von da an dauerten Mickiewicz' Beziehun-
gen zu seinem in der Schweiz lebenden Lehrer noch drei
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Adain Mickiewicz. 291
Jahre (bis zum Mai 1847), nach und nach erkaltend and
inmer gespannter werdend. Mickiewicz' Lage war wahrhaft
tragisch. Trotz der in seiner Natur wurzelnden Hinneigung
zDm Mysticismus war er berühmt und atark durch aein Wis-
sen; wenn er sich nicht fortreissen liese, erkannten seitie
Landsleute zuweilen bei Ihm einen scharfen Blick und eine
liditige Schätzang der VerhältoiBse an. Analyse und Mysticis-
mus hielten eich in dieser Natur die Wage, und alle seine
poetischen Werke waren tief durchdacht. Jetzt galt es, sich
Ton diesem Verstände und vom Willen loszusagen, nach derjeni-
gen „Yerdummung um Christi willen" (Wspöludz. I, 235) zu stre-
ben, welche der Lehrer empfahl, Visionen zu suchen, diese Vi-
sionen and Vorzeichen zu erwarten. Zu Anfang waren in der-
Sede des Dichters nur Klagen gegen sich selbst: ,,Üu gabst mir
dis Stöhnen zum Herrn, aber die Kraft beschattet mich nicht,
ich habe keinen Aufschwung". . . . (Wspöl. I, 39, 40: der Brief
tom 11. Sept. 1840). Alsdann verlor er alles Vertrauen zn dem
Ldrer, der von den beiden Aufgaben, der praktischen Realisirung
ia polnischen Frage und der geistigen Uebungen, die erstere ganz
bUen gelassen hatte und sich auf die ruhigere zweite beschränkte,
w^irend Mickiewicz nur die erstere theuer war, und er gegen
die zweite erkaltete, ja sogar Widerwillen empfand: „mit dem
Erbeben des Geistes haben wir geprahlt", schrieb er, „in-
dem wir es zur Schau stellten. . . .; jeden, der nicht unser
Echo sein wollte, schrien wir als Rebellen aus. Wir nahmen
den Brüdern die letzte Freiheit, die sogar in Despotien ge-
achtet wird: die Freiheit des Schweigens. Alle Misbraucbe
der alten Synagoge, und alle, welche von der kirchlichen Ge-
w^t getrieben wurden, fassten unter uns Wurzel und brachten
Früchte" (Wspöl. II, 88). Nach diesem Brief vom 12. Mai 1847
brach die Correspondenz ab, der Lehrer hörte nicht auf, den
Schäler bei passender Gelegenheit zu tadeln, dass er „nicht genug
das Kreuz trage". Zum Wortführer und Stellvertreter des Leh-
rers in Paria ward Karl Roiycki gemacht. Mickiewicz ward wieder
selbständig, und begab sich bei den ersten Bewegungen der Februar-
revolution nach Italien in der Absiebt, eine polnische Legion zu bil-
den'; dann kehrte er wieder nach Paris zurück, wo sich die Rtlck-
' „Memorial de la l%ioii poirmaite d& 1848." , (Heransgegeben von La-
lUsL MickiewiM, Paris 1877.)
19*
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292 Vierte« EApitel. Die Polen.
kehr der Napoleoniden znr Herrechaft vorbereitete, und eich in-
folge dessen die HoflFmingen für ihn belebten. Hier gründete er die
Zeitung „Tribüne des peuplee", die nacb einjährigem Beeteben
im Juni 1849 verboten ward. Anf jene Zeit beziebt sieb das wohl-
getroffene Portrait des Miclciewicz, das Iskander (Alexander Her-
zen), der an dem Diner bei Gelegenheit der Gründung der Zeitnog
tbeilnahm, in wenig Worten binvrarf. Der unverbesserlicbe Träu-
mer Mickiewicz liese von seinen Napoleoniscben Ideen sogar auch
nacb jenem Blutbad nicht ab, in welches der neue Küser der
Franzosen trat, als er aicb des Thrones bemächtigte. Er konnte
nicht begreifen, dass die seiner Meinung nach einzige Regie-
rung, der ein Pole, ohne sich zu erniedrigen, dienen konnte',
die Polen nur zu Handlangerdiensten benutzte und mit ihnen
nur wie mit Schachfiguren spielte, um sie nach dem Gebrauch
bei Seite zu werfen. Sobald der Krimkrieg entbrannte, gab der
inzwischen verwitwete Mickiewicz das bescheidene Amt eines
Bibliothekars am Arsenal, das er unter Napoleon erhalten hatte,
auf und begab sich nach Konstantinopel , mit dem Auftrag der
französischen Regierung, an der Bildung von polnischen Legio-
nen in der Türkei theilzunehmen. Die Mühen und Beschwerden
der Heise und des Aufenthalts im Orient beschleunigten seinen
Tod. Er starb am 28. November 1856 zu Konstantinopel und
ist zu Montmorency bei Paris begraben.
Das waren die sonderbaren Schicksale des genialen Mannes,
der, so lange er lebte, unstreitig für den ersten Dichter der Polen
galt, obgleich schon zu seinen Lebzeiten andere selbständige Ta-
tente auftraten, die in ganz neuen Richtungen gingen. Von sei-
nen Irrthümem und von dem Einfiuss, den seine Poesie sowol in
gutem als in schlechtem Sinne auf seine Zeitgenossen und die
folgenden Generationen ausübte, wird weiter unten die Bede sein,
hier vermerken wir nur das hauptsächlichste und ihm unge-
theilt zukommende Verdienst, dass er die polnische Poesie natio-
naler machte und sie von der vasallenbaften Abhängigkeit von
fremdem Literaturen befreite. Schön hat dieses Verdienst der
russische Kritiker Ivan Kireevskij ' in folgenden Worten gevQr-
digt; „die polnische Literatur, wie auch die mssiscbe, war
• Korr. II, 27y, Brief vom 11. Sept. 186B.
• Obeor russkoj Blovegnosti s:a 1829 g. |in KirSerskij, SQvioenija I,
42. Motlutu laei).
...., Google
Die Emigration. 293
nicht Dar ein Abglanz anderer Literaturen, sondern bestand
eiDzig und allein durch die Kraft des fremden Einflusses.
Damit beide in eine unmittelbare Beziehung tniten und einen
festen Bund scblÖSBen, musste wenigstens eine von ihnen einen
BeTollmächtigt«» in dem Keicbstag der Männer ersten Ran-
ge» haben, welche die Geister in Europa leiten, denn nur das
iD Europa herrschende kanu einen Einäuss auf die ihm bot-
■üsngen Literaturen haben. Mickiewicz, der den Geist des
polnischen Volkes in eich concentrirte, gab zuerst der polni-
schen Poesie das Recht, ihre Stimme unter den geistigen Depu-
tirten Europas zu haben, und gab ihr zugleich damit auch die
M^chkeit auf die russische Poesie einzuwirken." Wir unserer-
seits bemerken noch, dass Mickiewicz' Rolle in der polnischen
der Rolle Fulkin's in der mssischen Literatur entspricht und
dagB eine künftige Kritik wahrscheinlich noch mehr die Aehn-
liehkeit dieser beiden Vertreter verwandter Stämme — wenn
neb nicht dem Charakter, der bei Mickiewicz fester und reiner
nr, so doch dem Talent nach — mit zwei benachbarten, sich
lanander zuneigenden Berggipfeln bestätigen wird.
B. Di» SpaltoDf der Uteratnr in eine Bmigrantenliteratux
und in eine einheiinisdie. <1880— 48.)
Die Uebersiedelung des intelligentesten Theile der Gesellschaft
niich dem Aufstände vom Jahre 1830 ins Aueland, besonders
nach Frankreich, wohin sich auch solche Schriftsteller begaben,
die nicht in die Bewegung verwickelt waren, sich aber von den
Bedrückungen eingeengt fühlten und die Freiheit des Worts vor-
zogen, brachte die anomale und unnatürliche Erscheinung hervor,
dasB ach die Literatur in eine solche der Emigration und in eine
einheimische spaltete, und dass die erstere als die glänzende, be-
wegnngBYotle und freie, vor der letzteren, welken, farblosen, furcht-
sunen, in blinder Anhänglichkeit an der altnationalen Ueberliefe-
rang erstarrenden und jede Neuerung abwehrenden den Vorrang
hatte. Mit Ausnahme des Grossfaerzogthums Posen durfte man in
den andern Gebieten, wo es Polen gab, keine Fragen des prak-
tischen Lebens, z. B. die der Bauernbefreiung berühren; sogar
tine Neuerung in der Wissenschaft oder Kunst zog von einer Seite
die Verdächtigung der Freigeieterei nach sich, und stiess nach
der andern als ein Verrath am Altnationalen an. Der Schrift-
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294 Viertes Kapitel. Die Polen.
steiler lUusBtc Bta,rk mit dem KatechiBmas rechnen, sicli vor jeder
unehrerbietigeu Aeusseniug über die alte Zeit hUten, um nicht
das Heiligthum der Dationalen Geechicbte zu verletzen. Die Ge-
sellechaft suchte sieb gegen Entnationalisirung zu schätzen, in-
dem sie sich kritiklos an das nationale Alterthum heftete; aus
Furcht vor PansläTismuB mied sie jede Blarische Gegenseitigkeit,
Bei solchen Verhältnissen eines dauernden Stillstandes konnten die
Früchte des heimatlichen Bodens weder nahrhaft noch schmack-
haft sein; die heranwachsenden Generationen bildeten sich nickt
an ihnen heran, sondern an den verbotenen Werken, welche a.h
Coutrebande vom Auslande eindrangen. Es verbreiteten sich so-
nach erstens die intellectuellen Froducte der faulen europäischen
Bewegung, welche dem Jahre 184S vorausging, die Theorien des
Socialismus und Gommunismus, die Ideen der materialistischen
Philosophie, Werke äusserst negativer Tendenz; aber es verbrei-
ten sich zweitens auch die „Dziady" sowol als „Pan Tadeusz"
und die poetischen Schöpfungen der Emigration. Diese letztere
befand sich im Auslände in dem Zustande einer von ihrem Fun-
dament losgerissenen Regierung, die aus Leuten aller Parteien
und ScLattirungen bestand und fortfuhr, sich als die Nation
zu geriren und zu wirken , als wenn sie die Macht hätte , in-
dem sie bald durch Hinterthüren an die europäischen Hofe
zu gelangen suchte, bald in die Heimat EmisBäre sandte, um
einen Aufstand anzustiften, bald sich an allen möglichen revo-
lutionären Bewegungen in Europa betheiligte, in der Erwartung
eines allgemeinen europäischen Umschwungs. Es war dies eine
politische Romantik eigener Art, die statt reale Politik zu trei-
ben einem poetischen Phantom derselben nachjagte; das Pro-
gramm war allerdings sehr weit: eine Restaurirung in den Gren-
zen von 1772, man stritt nur um die Mittel, indem man bald
diplomatische, bald revolutionäre wählte; am Ende der einen so-
wol als der andern dämmerte ein neuer Aufstand. Die wirklichen
Steuermänner des Emigrantepscbiffes waren nicht die frühem
Generäle, und MiniBter, ja nicht einmal die Publicisten, sondern
Dichter, Leute der Phantasie und des Gefühls, die in ihrer
Begeisterung die allgemein menschlichen und nationalen Fragen
lösten, die gordischen Knoten der Politik zerhieben, keine
Bücksicht kannten und nicht mit den Bedingungen der Zeit,
des Ortes und den Kräfteverhältnissen rechneten. Diese in
pädagogischer Beziehung ganz untaugliche Schule, die mehrere
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Die Emigration. 295
Generationen nacheinander in revolationären Ideen und GefiihleD
erzog, diente als directe Vorbereitung zu dem viele Jahre später
folgenden Terderblicben letzten Aufstände im Jabre 1863. Wenn
io der Folgezeit auch die Poesie uacb dem Tode ihrer grossen
Vertreter Terflachte, so blieben doch Geiat und Kichtung in
ihr dieselben. Die angenommenen Gewohnheiten des Denkens
Qod Empfindens mussten, sobald sie Raum fanden sich zu be-
Uüitigen, bei dem Uangel an Elementen, die innerhalb der pol-
nischen Gesellscbaft selbst kräftig genug entgegengewirkt hatten,
und bei dem thatsäcblich unverändert gebliebenen System der
Beziehungen der Slttven zueinander, zu einem verhängnissvollen
Be&nltat führen. Aber wenn die Schule der Emigration nicht gut
var als Schule der Erziehung, indem sie einzelne seelische An-
lagen zum Nachtheil der andern entwickelte, so erwies sie sich
doch als ungewöhnlich fruchtbar und bereicherte die Literatur
mit Kimstschätzen ersten Ranges. Mickiewicz spielt unzweifel-
haft die erste Rolle, mit ihm hängen fast alle Schriftsteller
jener Zeit zusammen nicht nur in der Emigration, sondern
luch in der Heimat, nnd zu ihm verhalten sie sich entweder
wie Nebenflüsse oder wie Nebenarme mnes einzigen gewaltigen
Stromes. Aber gleich nach Mickiewicz traten zwei mächtige
Talente auf, die sich in eine Reibe mit ihm stellen und mit
ihm Thron und Scepter der Poesie theilen, sodass erst diese
drei Männer zusammengenommen, da sie einander ergänzen,
iils vollständigster Ausdruck des Geistes der polnischen Poesie
im Momente ihrer höchsten Entwickelung, den sie in dem Zeit-
raum von 1830 — 48 erreichte, angesehen werden können. Diese
ääuger, die schon oben in der Biographie von Mickiewicz er-
wähnt wurden, waren Julius Slowacki und Sigismund Krasiüski.
Als der Professor der Literatur, Eusebius Slowacki, 1809 aus
Kremenec anf das Katheder zu Wilna übersiedelte, hatte er
«chon einen Sohn Julins (geb. 23. Aug. 1809) aus der Ehe mit
Salome, geborenen Januszewska. * Bald darauf, im Jahre 1814,
' Die Hauptmateri&l zur Würdigung Slowaoki^e bildet bi^jetzt iIab Werk
dn Professors A. Matecki, „Juliaez Stowacki, jego iyoic i ilziela" (2 Bde.,
Lemberg 1866 — C7). Vor kuriom wurden autobiographisühc Bemerknogcn
Stowacki'a ans Beiner frühem Jugend veröffentliübt (Przeglqd polski 1879),
•lic aich in den Händen von B. Gasztawt fanden.
Die zu Lebzeiten herausgegebenen Werke Sluwacki'a sind in der leip-
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'^96 Viertes Kapitel. Die Polen.
starb Eusubius Slowacki; seine Witwe — welclie von deaen, die
sie gekannt babeu, als eine überaus sympathische und interes-
sante Frau geschildert wird, trotz ihres Mangels an Schönheit,
wegen ihrer Güte und wegen ihrer lebendigen, poetischen, schil-
lernden Phantasie (Odyniec I, 150), — kehrte nach Kreroenec
zurück, aber nicht auf lange, da sie sich im Jahre 1817 ent-
sclilos». hauptsächlich in der Absicht, ihrem Sohne eine bessere
Erziehung zu verschaffen, eine zweite Ehe mit dem Professor
August Baku in Wilna, einem Witwer, einzugehen. Der über-
aus ftuhreife Knabe ward von den altern Töchtern Beku's aus.
ci-ster Ehe, Alexandra und Hersilia, sehr verzogen; er artet«
ganz nach der Mutter,' die er vergötterte, mit der er sein
ganzes Leben lang in höchster Eintracht lebte, der er alle
seine Gedanken und Phantasien mittheilte und in der er zuweilen
eineu strengen Kritiker seiner Werke hatte. Von der frühesten
Jugend an trat bei ihm ein Charakterzug hervor, eine masslose,
krankhafte Selbstliebe, die jedoch eine ganz eigenartige Richtung
empfing. Dieser Knabe setzte sich den sonderbaren Wunsch in
den Kopf, ein grosser Dichter zu werden. Im neunten Lebens-
jahre bittet er Gott im Dom zu Wilna, er möge ihm ein noch
so leidensvolles Leben geben, wenn nur ein poetisches, „möge ich
mein ganzes Leben lang verachtet bleiben, wenn ich nur unsterb-
lichen Ruhm nach dem Todo erlange" (Brief vom 25. Januar
1845); „während des Lebens werde ich nichts für mich zu er-
reichen streben, aber nach dem Tode fordre ich von Dir, o Gott,
alles" (Mal. I, 7). Später, als er fast noch nichts hatte drucken
lassen, schreibt er überaus naiv an die Mutter: „Glaubst du,
dass ich dachte, als ich von dem Tode Goethe's (22. März
1832) hörte: Gott muss ibu zu sich genommen haben, um mir,
dem Anfänger, den Platz zu räumen" (Mal. I, 52). Diese den
Jahren nicht entsprechenden Pnitensionen machten bei ihrer
Unnatürlichkeit die Bekannten sehr stutzig, weil sie von einem
zigei- Ausgabe von ¥. A. BruirkhauB (-1 Bdu. 18t>t)) gesammelt, die oauh-
ffclasseneD von Matüt^ki hersuBg^ebcn (3 Bdo-, Lemlierg 18H6). — „Liaty
J. SJijwackiego .1o matki" (l«»— 49; 2 Bdo., I.emberg 1876); „Genezis t.
datha J. Stowftckiogo" (Lembirg 1874); V. Cbmielowski, „Ostatnie lata
Sfowackiego" {in Ateuuum 1877, Nr. »); l'rzyborowBki, „Serce pocly"
(in Miwa, Nr. ;17— 39); St. Taiuowski's Aufsata über Stowauki (iu Prae-
glqd polski 18(i7).
...., Google
JnHuB Stowaokl. 297
»Iteneii angeborenen Tftlent unterstützt wurden. Alle seine an-
dern geistigen Fähigkeiten übertraf eine überaus lebhafte , feu-
rige Qud Bchöpferische Phantasie. Das Nützliche, Zweckmässige
schien für ihn nicht zu existireu, aber für alles Schöne hatte
er eine ungewöhnliche Empfänglichkeit. Es gibt nichts Beizen-
deres als seine Correspondenz mit der Mutter, wo sich in vollcr
Knfl die Gabe zeigt, welche von seinem Biographen Malecki die
tjabe einer poetiscLen Weltanschauung genannt wird, d, i,
die Fähigkeit zu beobachten, wahrhaft typische Züge des Beob-
■chteten wiederzugeben, und dabei nur solche, welche geeignet
and, ästhetische Empfindungen in den Lesern zu wecken. Die
SammluDg dieser Briefe ist eine der besten Selbstbiographien küust-
leriscli er Naturen, die nur in der Kunst und für die Kunst leben.
Diese Phantasie arbeitete und befand sieb in dem Zustand fort-
währender höchster Erregung; kaum waren die Vorstellungen auf-
getaucht, 60 gruppirten und fonnirten sie sich auch schon zu gan-
UD Reihen idealer Bilder, mit denen er sich trug und mehr lebte
^ mit lebendigen Menschen und die für ihn wirklieber waren als
die lebendige Wirklichkeit. Alle Leidenschaften waren bei Slo-
■Mki BOzuBagen im Kopfe, d. h. hatten ihre Quelle in der Phan-
tasie. Tausendmal schwänute er in der Verbannung von einem
Leben mit der vergötterten Mutter, unter den Verwandten, aber
«enn ihn das Schicksal mit diesen im Auslände zusammenbrachte,
M floh er vor ihnen in die Einsamkeit, die seinen gewöhnlichen
Zustand bildete. Das Schicksal führte ihn mit schönen Frauen
zusammen, die sich in ihn verliebten, aber von dem Augenblick
an, wo sie sich an ihn banden, wurden sie für ihn uninteressant; '
lor Leidenschaft von seiner Seite war die Ueberwindung eines
Hindernisses nothwendig, das ihn reizte und so auf seine Phan-
tasie einwirkte. Die Eigenthüralichkeit seines Talents bestimmte
inch die Gattung der dichterischen Tbätigkeit. Die Form war bei
äowacki von den frühesten Jahren an glänzend und stellte ihn
den grössten Meistern des Worts an die Seite. Der Reichthum an
Vergleicbangen und Figuren, in welche sich jeder Gedanke goss,
ist nnermesslich ; ein solcher Bilderluxus findet sich nur noch
bei Shakespeare und Hugo, nur sind diese Bilder zarter, die ganze
änssere Welt ist in diesen barmonischeu Versen abgegossen. Der
Keiebthum an Phantasie, die starke Brechung der Lichtstrahlen
in ihrem Prisma, schadeten sogar der Vollkommenheit der
Werke, der Hauptgedanke trat nicht klar hervor; dabei be-
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298 Vierte» Kapitel. Die Polen.
kümmerte eich der Dichter, oachdem er die Hauptstelle beleucli-
tet, wenig um die Zwischenglieder und rernachlässigte die Aos-
arbeituQg der Details, was iUBbeeondere in seinen Dramen
auffällt. Die Hauptrollen sind hingestellt und die Haupt-
situationen gezeichnet wie in Marmor gehauene Gruppen, aber
dann sind die Uebergange von einer Situation zur andern un-
genügend motivirt, und die Handlung schreitet in launenhaften
Sprüngen fort, statt sich nach den Gesetzen strenger NoÜiveii-
digkeit zu entwickeln, wie sie sich gerade für diese anspruchs-
vollste Gattung der Poesie geziemt, ^owacki haltet noch ein
anderer wesentlicher Mangel an. Es gab Dichter, z. B. Sha-
kespeare, welche stets die Fabel von aussen entlehnten, aber in
dieselbe ihr eigenes ästhetisches Hauptmotiv legten, das ihnen
diu:cb Geschichte, durch philosophische Weltanschauung und
durch ihr eigenes Leben gegeben war. Slowacki lebte mehr
mit dem Kopfe, d. h. mit Ideen, mit der Phantasie, und des-
halb lebte er sich oft in die Ideen der Vorgänger ein, ent-
nahm fertige Motive den Zeitgenossen, oder Shakespeare, oder
Galderon und verarbeitete sie selbständig, indem er sie mit
einem unerschöpflichen Büderreicbthum aus seiner eigenen Phan-
tasie bekleidete. Nach der richtigen Bemerkung des Profes-
sors Tarnowski war in ihm etwas, was an Epbeu oder Jeläager-
jelieber erinnert, was das Bedürfniss hat, eich um mächtige
Stämme zu winden. Dies sind die durch die vorherrschende An-
lage bestimmten Hauptzüge seines Talents; das andere erklärt
sich durch die Bedingungen der Sphäre, in welcher Slowacki
lebte, durch sein persönliches Temperament, durch seine stoUe
Selbstliebe, die sidi leicht auf den Ton der Melancholie stimmte,
endlich auch durch die Zufälligkeiten des Lebens. Seine Uni-
versitätsjahre fielen in eine Periode, wo sich die Vorlesungen
schon in einem starken Verfall befanden infolge der IMtigkeit
Novosilcov's, aber die Romantik in voller Blüte stand. Slo-
wacki hatte schon als Knabe Mickiewicz im Hause der Mutter
gesehen. Die polnische Romantik war von einer Hebung des
Nationalgefühls begleitet; Slowacki wuchs in dieser Sphäre auf
und ward mit einer unbegrenzten Liebe zu dem eigenartigen
Einbeimischen erfüllt. Zum Romantiker ward er fiir sein gan-
zes Leben lang in einem weit hohem Grade als Mickiewicz, der
Theoretiker war und von dessen Werken viele, gerade die besten
und reifsten, aus dem Rahmen der Romantik heraustreteo, wäb-
ü,g :.._.. ..Google
JnliuB SIowEwki. 299
reod ^owacki's Muse immer launenhaft blieb, alle Regeln acbeute
DDd eich auf wildem Rosse ohne Sattel und Zügel tummelte.
SJDwacki hat sich in seinen Memoiren dariiber auegesprocbeu,
wie er die Romantik verstand: „Die Romantik, die aus der Seele
kommt, bat die Eigenschaft, daae der Funke der Poesie im Meu-
ücbeu erlischt, sobald er die Selbstachtung verloren. Das Leben
eioeB romantischen Dichters muss selbst romantisch sein; wenn
es auch nicht viele Ereignisse braucht, so fordert es doch , dass
diese Ereignisse rein seien und die Seele heben."
Die Forderung, poetisch zu sein im Leben, nicht blos in den
Gedichten erfüllte damals, als das höhere Muster eines solchen
Lebens, Lord Byron, der 1824 zu Miseolunghi starb und unend-
lich viel durch seinen poetischen Tod gewann. Seine Lieder er-
tönten, als schon die grossen Sänger der Deutschen (Schiller,
Goethe) verstummt oder im Verstummen waren ; als Byron's
Lieder verklangen, wurden die letzten Klänge derselben von den
neuen Grössen der europäischen Poesie slavischen Stammes,
Kickiewicz and Puskin, aufgefangen. Auf Slowacki hatte die
Poesie und die Person Byron's selbst einen unüberwindlichen
Einflnss. Die Bekannten fühlten sich unangenehm berührt durch
den hittem Sarkasmus Byron's auf den Lippen des Knaben, der
noch nichts erfahren hatte, und durch die Wahl der von ihm vor-
geführten Helden — finsterer, geheimnissvoller Bösewichter, Rene-
gaten. Die finstere Stimmung verstärkte sich noch durch den Mis-
erfolg des ersten Romans im Lehen. Slowacki verliebte sich in die
Tochter des Andreas Sniadecki, Ludovica, die spätere Frau Czaj-
kowska. Das Mädchen, das älter war als er, eine vorzügliche Bil-
dung besass, viel gelesen hatte und sogar Verse machte, beban-
delte die Liebe des jungen Studenten als eine Kinderei. In den
Memoiren Slowacki's findet sich eine Beschreibung jenes „Höllen-
tags", eines der letzten in Wilna, als die schliesslicbe Begegnung
and Auseinandersetzung stattfand. Das Mädchen redete ihm
zu, die Leidenschaft werde schon vergehen, der Stolz zwang ihn,
sosHerlich alle Gefühle zu verbergen, obgleich er von dem Schlage
auf den Füssen schwankte; sogar die Hand gab er ihr nicht, als
sie abreiste; gleich darauf berichteten ihm seine Freunde, dass
man ihn mit einer Belohnung für Fortschritte in den Wissen-
Echaften, auf die er bestimmt gerechnet, übergangen habe.
Ganz in Feuer und Flammen streifte er in der Stadt herum,
Bchloss sich dann ein, weinte und schwur, Wilna nicht mehr
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
300 Viertes Kapitel. Die Polen.
ZU sehen.' So bchlosBen seine UniTereitätsjabre (1824 — 28) ab,
welche er in Wilna, schon nach dem Tode seines Stiefvaters, ver-
brachte und die nur durch eine kurze Reise (1826) nach Kreme-
uec und Odessa unterbrochen wurden, wobei er auf dem Rückwege
Tulczyn, die berühmte Besitzung der Potocki, besuchte. Was
sollte er werden, was thun? Die Mutter verliess Wilna definitiv
und siedelte nach ihrer Heimat Kremenec über, schwärmte von
einer mit geringen Mitteln zu unternehmenden Reise ins Ausland
mit dem Sohne, aber diesem behagte eine solche Begleitung
durchaus nicht, da sie der Reise alles Unerwartete, Romantische ge-
nommen hätte; er langweilte sich, rang nach Freiheit und Einsam-
keit. Es wurde entschieden, dass er zu Warschau in den Staats-
dienst treten sollte, wo er auch Anfang 1829 als ausseretatmäs-
siger Beamter im Finanzministerium angestellt wurde, das unter
der Leitung des Fürsten Lubecki stand. Zwei Jahre vergingen
ziemlich farblos, da brach der Aufstand aus (November 1830):
Slowacki machte sich dem Publikum zum ersten mal durch einige
lyrische Gedichte bekannt, voll nationalen und revolutionären
Enthusiasmus, aber diese Glut begann bald abzunehmen, sein
feiner Geschmack musste durch das Komische und Unharmoni-
sche, das einer jeden Volksbewegung neben dem Grossen an-
haftet und insbesondere der Bewegung des Jahres 1830, ver-
letzt werden. Mitten in der Glut des Au&tandes, in den hosten
Tagen desselben, reiste ^owacki plötzlich, ohne der Mutter
geschrieben zu haben, im März 1831 ins Ausland mit einem
Fass der aufständischen Regierung. Diese Reise war für sein
Schicksal entscheidend , er schied definitiv von der Heimat, die
folgenden Ereignisse verschlossen ihm die Möglichkeit einer
Rückkehr; er widmete sich einem unsteten Leben — verwan-
delte sich in einen heimatlosen Pilger, der von den beschei-
denen Mitteln, die ihm von der Mutter geschickt wurden, lebte
und seine Werke druckte, während er nicht einmal den Versuch
machte, eine Beschäftigungsart zu wählen, die ihm die Mittel
geboten hätte, sich selbst sein Brod zu verdienen, und seine
ganze Sorge nur darauf richtete, unsterblichen Rohm zu erlan-
' Diese Gefühle sind suhuu etwas umgearbeitet und verändert in dem
Gedieht „Uodzina mysli": „Das Kiud fiel mit bleiehem Antlitz nieder, xit-
ternd vor atoher Sebam, weil CB den Stolz eines groeeen Mannea beaasB.
der durch das Vorgefühl genährt wurde."
...., Google
Julius Stavaclci. 301
gen.' Die Abreise ine Aaslaod var durch nichts motivirt. Die
Grande eines solchen entscheidenden Schritts bleiben räthselhaft;
bduumt igt nur, dass sie einen rein persönlichen Charakter hat-
ten. In Dresden empfing Slowacki den Auftrag, Depeschen der
aofetändiBchen Regierung nach London zu bringen, was ihm Ge-
l^enheit gab, sich mit London bekannt zu machen; darauf liess
er rieh in Paris nieder, wo er zwei Kndchen seiner ersten Ge-
dichte druckte (April 1832) und mit beklommenem Herzen er-
wartete, was die Recensenten sagen wüi-den. Während dessen
war auch schon das dritte Mndchen fertig (Lambro), welches
in folgenden Jahr, 1833, erschien. Wir wollen bei diesen
Jogendverken verweilen, unter denen sich talentvolle Sachen
finden, aber auch solche, die den Namen von Jugendsünden des
Verfassers verdienen. Darunter sind zwei Dramen „Mindowe"
und „Maria Stuart" und sechs poetische Erzählungen (Hugo,
Zmija, Bielecki, der Mönch, der Araber und Lambro). ^o-
«dd liebte diese durch Byron verbreitete Art der Poesie, welche
Üe freieste ist, willkürlich in die epische Grundl^e eine un-
äUiche Menge von lyrischen Ergüssen einäicbt. In allen diesen
Dichtnngen, mag die Handlung im heidnischen Litauen spielen,
das nach Mickiewicz beschrieben ist (Hugo), oder an den Niede-
nugen des Dnepr, welche der Verfasser nicht kennt, aber nach
GoBzczynski schildert, oder im fernen Orient, der im Lichte der
Poesie Byron's und Moore's betrachtet wird, steht im Vordergrund
ein bestimmter fluchbeladener, finsterer Held , welcher bewusst
und kühn gegen alle Gewohnheiten und Einrichtungen der Ge-
sellschaft kämpft und in diesem Kampfe untergeht; das künst-
lerische Ziel des Verfassers ist, für seinen Helden möglichst
fiel Mitleid, oder Bewunderung, jedenfalls Sympathie zu er-
vecken. Solche Naturen hatte Byron in Mode gebracht, aber
die beharrliche Reproduction und Wiederholung derselben bei S!o-
vacki weist noch auf etwas grösseres hin als einfache Nachahmung ;
sie stehen mit seiner ganzen Weltanschauung in Verbindung, die
in semen spätem, reifern Werken Ausdruck fand, und diese Welt-
' Brief vom 26. April 1833: „Oft denke iot gramvoll an «liejenigeQ,
«eiche mit einem kleinen Talent ganze Familien unterhalten , und ich bin
■nmülz, wie ein Uakraat, auch dir, Mutter, bin ich zur Last. -— Vergib,
dug ich einen solchen W^ gewählt, aber umkehren bann ich nicht"
OUi I, 165).
ü,g :.._.. ..Google
302 Viertes 'Kapitel. Die Polen.
anschauuiig stand wieder in engstem Zusammenhang mit seiner
psychischen Organisation und mit der ihn umgehenden Atmo-
sphäre der Romantik. Sein Verhältmss zu der Weltordnung und
^MD gewöhnlichen Gang der Dinge war ganz negativ. Ale öli-
ger und Verehrer des Ungewöhnlichen allein, bemühte er sich
auch gar mcht, die Atome und Bestandfbeile des Welt- und
Gesellschaftsoi^anismus zu etudiren, die Wurzeln des Bestehen-
den in der Vergangenheit, die Verkettung der Theile in der Ge-
genwart, die Unvermeidlichkeit und Beharrlichkeit des Kleinen,
Alltäglichen zu erforschen. Er, der sich seihst „etwas Pantheist
und Romantiker" nannte ( „ Beniowski " , 3. Gesang), sonderte
sich ironisch von den zum ,, heiligen Abendmahl" versammelten
polnischen Dichtem in Paris ab (Vorwort zum 3. Bande der
Gedichte, 1833) und, obgleich er kein Atheist war, ja nicht
einmal sein Christenthum aufgab, so hatte er doch von Gott
eine Vorstellung, vor der es einem strengen Katholiken grauen
würde.
„Ich sehe, dass er nicht der Gott der Würmer ist, noch der
Creatur, die da kriecht. Er liebt den rauschenden Fing gigan-
tischer Vögel und zügelt die stürmenden Rosse nicht. Er ist
die feurige Feder auf stolzen Helmen, eine grosse That rührt
ihn, aber nicht die müssige Thräne, vergossen an der Schwelle
der Kirche. Vor ihm &lle ich nieder — er ist mein Gott"
(„Beniowski", 5. Gesang).
In der Gesellschaft verhielt sich Stowacki aus ebendenselben
Gründen mit einer grenzenlosen Verachtung dem Durchschnitts-
menschen, dem Pöbel, der Menge gegenüber und vergötterte nur
die starken und mächtigen Naturen, die alle göttlichen und
menschlichen Satzungen mit Füssen treten, mit einem Wort —
die dämonischen Naturen, die mit der ganzen, sie umgebenden
Welt im Kampfe stehen. Ein solcher Mensch ist selbst unend-
lich unglücklich, ebenso quält und tyrannisirt er auch andere,
aber gerade von ihnen wird auch alles das geschaffen, was iu
der Menschheit Grosses geschieht, durch ihre Härte und Tyran-
nei lassen sie die andern Menschen nicht in einen unerweckbaren
Schlaf verfallen. Diese Philosophie der Geschichte führte ^o-
wacki später in einer seiner letzten Dichtungen „König Geist"
(„Kröl Duch", 1847) aus:
„Ich erblickte damals das schreckliche Geheimniss, dass die
Geister alle dabin fliegen, wo Kampf ist, wo Herzen und.Schil-
ü,g :.._.. ..Google
Jölins Slowacki. 303
der brechen, aber die Orte flieheD, wo eine Schlafetätte des
Geistes ist. Was ist für ein Unterschied zwischen jenen GcBtor-
benen und zwischen den Lebenden , die von ewiger Ruhe träu-
men und wünschen, dass die Menschen stark und gesund seien.
... 0 Irrthom, nicht begriffen von den Leuten im Fleisch! 0
Iraner, die du die friedlichen Könige beweinest! Wisse, dasa der-
jenige besser ist, der nach Blut durstet und dem Adler gleicht,
der ein Volk an dem andern zerschmettert. . . ."
Diese Strophen bekunden ein revolutionäres Temperament
and eine rCToIutionäre Richtung. Es gab in der Geschichte
groBse Männer, welche Revolutionäre, folglich gewaitthätige Leute
waren, aber daraus folgt nicht das Umgekehrte, nämlich dass jeder
zügellose und gewaitthätige Mensch durchaus ein Held sein müsse,
—in den drei ersten Dichtungen Slowacki's ist es aber so, dass
jeder Held ein harter, leidenschaftlicher und blutiger Mensch ist,
den oft sogar nicht einmal ein hohes Ziel seines Strebens ziert,
nnd der nicht einmal durch den Einfluss der Umgebung, durch
& Macht der Verhältnisse, die ihn vom geraden Wege ablenk-
la, gerechtfertigt wird. 2mija ist ein Tartar, der aus per-
sönUcher Rache zu einem Ataman der Zaporogischen Kosaken
*ird; der Araber ist ein verkörperter Dämon; Johann Bielecki
ein beleidigter Renegat, der aus Rache die Tataren gegen seine
Hdmat fuhrt; noch schlimmer ist der Korsar Lambro, ein Füh-
rer der Griechen im Aufstande gegen die Türken (18. Jahrhun-
dert), der den von den Türken gehenkten Sänger Bhigas rächt,
herzlos, langweilig und betrunken ist. Besser als die andern ist
nnr der Mönch vom Sinai, der sich aus Ueberzeugung taufen
liess, aber in verhängniasvoUer Weise, infolge dieses Glaubens-
«echsels, zu einem mörderischen Kampfe mit seinen Landsleuten,
den Arabern der Wüste, verurtheilt ist. Als eben solche ver-
törperte Dämonen erscheinen Mindowe und Bothwell in „Maria
Staart", zwei der Bösartigkeit nach verwandte Charaktere in
den ersten beiden dramatischen Versuchen, die einen sehr un-
^eichen Werth haben. — Der Fürst von Litauen, der sich
ntm Schein taufen liess, um die Krone vom Papst and Schutz
Tom Orden zu bekommen, geht unter dem Fluch der Mut-
ter und durch die Hände des Volks unter, das ihm seinen
poUüschen Abfall vom Gtaubeu der Vater und von den Sitten
nicht verzeiht Er könnte wirklich ein tragischer Held sein,
aber die Handlung ist überhaupt nicht auf diesen Motiven auf-
ü,g :.._.. ..Google
20i Tiefte? Kapitel. Die Polen.
gebaut; der Mörder Mindowe's, Dowmunt, rächt sich für eine per-
sönliche Beleidigung, für den Raub seiner Frau Aldona. Trojnat
besteigt den Thron nach Mindowe unter der Mitwirkung eben-
derselben Ordensritter, — Weit reifer und schöner ist „Maria
Stuart" ', die Erfolg hatte und sich noch jetzt auf der Bühne hält.
Stowachi'B „Maria Stuart" ist sogar dramatischer als Schiller'B
„königliche Gefangene", die in Wirklichkeit eine leidende Person
ist, welche schuldlos untergeht, weil sie die Verkörperung zweier
verhasster Principien ist: einer unpopulären dynastischen Politik
und einer unpopulären Religion. Das Drama Slowacki's ist
kein historisches Gemälde, in ihm ist nur die psychologische
Frage erhoben und nur die junge bezaubernde Frau hell beleuch-
tet, die dem Volke verhasst ist, aber in allem, die sich ihr nahen,
das Feuer der Liebe entzündet, und sich leichtsinnig dem Ver-
gnügen hingibt, das ihr durch diese Kraft bereitet wird. Diese
verhängnissTolle Liebe kostet dem sich vergessendeu Harfen-
spieler Rizzio das Leben, den vor den Augen der Königin die
stolzen Barone unter Mitwirkung ihres Gemahls Damley ermor-
den. Tödtlich beleidigt wirft sie sich in die Arme BothwellX
Damley wird in die Luft gesprengt, worauf Bothwell das ihn
durch die Gemeinsamkeit des Verbrechens angeschmiedete Opfer
in eine unrühmliche Flucht mit fortreisst unter Nachrufen des
sie verfolgenden ergrimmten Volkes. In das Drama ist eine präch-
tige Person eingeschoben, der Narr Darnley's Nick; es würde
unendlich gewonnen haben, wenn auf die Motivirung des Vor-
gehens der handelnden Personen, ihren geplanten Charakteren
gemäss, soviel Sorge verwandt worden wäre, wie auf starke
scenische Effecte verwandt ist. Der Eindruck, den die Werke
Slowacki's machten, entsprach bei weitem nicht dessen Erwar-
tungen. Die äussere Form und der Vers waren entzückend,
glänzend; es fanden sich enthusiastische, übrigens nur wenige
Verehrer, die Slowacki hetzten, ihn gegen Mickievicz aufreizten
und ihm die Palme des Vorrangs zuerkannten, was der Eitelkeit
^owacki's unsäglich schmeichelte. Aber populär wurde der
Name des Dichters in weiten Kreisen nicht, was er auch selbst
im Vorwort zum dritten Bande in den Worten bekannte: „nicht
ermuthigt durch Lobeserhebungen, nicht getödtet durch die
Kritik, werfe ich den dritten Band in den lautlosen Abgrund.
' Deutaoli von Lndomit Uerman (Leipzig lüTD).
ü,g:z_u., Google
Jnliun fliowachi. 305
reicher die erBten beiden verttchluiigen hat". Der Menge war
^JDe Qnbegränzte Negation nicht nach ihrem Geschmack, sie ver-
lud Uinweiee auf positive Lebensziele und auf Ideale, nn
bnd solche hei ^owacki freilich nicht. Mehr als auf die Mei-
mng aller andern Beurtheiler brannte Slowacki vor Ungeduld auf
Mickiewicz' Urtheil, der Mitte 1832 nach Paris gekommen war,
aber der Stolz hinderte ihn, den ei'sten Schritt zu thun. „Ich
verde nicht zu ihm gehen", schrieb er an die Mutter, „es sei
denn, dass er wünscht, mit mir bekannt zu werden." Mickiewicz
«ollte sich mit ihm bekannt machen, seine Freunde veranstalte-
ten eine Zusammenkunft am dritten Ort beim Mittagsessen. Der
PTsle Schritt war von Mickiewicz gethan, es erfolgte ein gegen-
seitiger Austausch von Höflichkeiten und Elogen, bald darauf
nrde Stowacki Mitglied des Comites der polnischen literarischen
liesellschaft (zu Paris), deren Präsident Mickiewicz war. Aber
die angebahnten guten Beziehungen trübten sich bald. Freunde
^richteten dem ^owacki die Aeusserung, welche Mickiewicz über
s«iie Werke gethan hatte: „es ist dies eine herrliche Poesie, ähn-
lich einem wunderbaren Tempel, aber in diesem Tempel ist Gott
nickt." — Diese Worte enthielten keine Beschuldigung des Atheia-
nms, sie bezeichneten nur, dass Mickiewicz im Vergleich zu Slo-
wachi Realist war, dass er von der Poesie einen veredelnden Ein-
Hgss auf den Menschen forderte, einen Anreiz zum Guten, dass
itin aber die dämonischen, phantastischen Helden Slowacki's mit
ihren unklaren Strebungen, durch ihre Dissonanzen verletzten.
Von da an wurde Slowacki alles an Mickiewicz widerwärtig,
^wol sein „zerknittertes Hemd und sein schmuziger Frack", als
f«in Papismus (die Briefe vom 4. October und 9, November
1832), mit einem Worte Mickiewicz wird als ein Mann dar-
gestellt, der ganz für die Poesie erkaltet sei. Wie leichtfertig
solche Urtheile waren, bewies das Erscheinen des dritten Theils
der „Dziady", aber gerade dies brachte die Misstimmung der
beiden Dichter zu einer scharfen Krisis. Die ganze Schuld
an diesem Conflict liegt auf Mickiewicz' Seite, der in seiner
Dichtung in durchaas nicht zweideutigen Zügen und sozusagen
mit Händen greifbar Stowacki's Stiefvater, einen ihm und sei-
ner vergötterten Mutter theuem Mann, den Professor Beku, als
einen der gemeinsten Spiessgesellen des Senators und Gurators
dargestellt hatte. In der ersten Hitze des Zornes wollte sich Slo-
vacki mit Mickiewicz schiesseu: „ich hasse ihn", schrieb er an
t. -jo
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306 VierteB Kapitel. Die Polen.
die Mutter (Brief vom 30. November 1838). Die Freunde hielten
ihn mit Mühe von einer Heransforderung zurück, aber in FariK
zu bleiben und den Anblick des verhasBten Menschen 7.a ertra-
gen, ging über seine Kräfte. „0 Mutter", schrieb er, „jetzt
bleibt mir nur übrig, dich mit solchen Ruhmesstrablen zu be-
decken, dass dich die Pfeile anderer Leute gar nicht berühren
können. Gott hat mich begeistert .... das wird ein ebenbür-
tigerer Kampf mit Adam sein." Der stille Winkel, aus dem
diese Zeilen geschrieben sind, ist Genf, die Zeit ein Jahr nacli
der Abreise von Paris, und das Werk, auf -welches Slonracln
hinweist, ist wirklich in einem neuen Geiste geschrieben un^
trägt den Titel „Kordjan". Es mag hier einiges über das
genfer Leben bemerkt werden, dann über die in dieser Einsam-
keit entstandenen Werke der zweiten Manier Slowacki's. j
Die fruchtbare genfer Periode begann Ende 1832 und dauert*
his zur italienischen Reise in den ersten Monaten des Jahre«
183G, also reichlich drei Jahre. Frühling und Sommer gingen
auf Reisen in der Schweiz, auf Vergnügungen, Unterhaltungen.
Sachen von Eindrucken hin, im Herbst öffneten sich die Quellen
der Begeisterung und die Arbeit ging rasch vor sich. Im Früh-
ling umgab den Dichter eine wunderbare Natur, fesselte den
BHck der Mont Blanc, wie eine „gemeiselte Statue Sibiriens'',
in der Pension der Madame Patteg, in der er wohnte, fand ein
lebhafter Zu- und AbBuss der verschiedenartigsten Personen
statt, Engländer, Franzosen, Rassen, Polen. Slowacki war hei
den Damen sehr beliebt, die sich zu ihm durch eine Art mag-
netischer Kraft hingezogen fühlten (Mal. I, 163); er war witzig,
elegant gekleidet, der beste Tänzer. In ihn verliebte sich die
Tochter der Pensionsinhaberin, ein schon nicht mehr junges
sentimentales Mädchen, E^lantine Patteg. Das Leben war be-
haglich, mannicbfaltig , gab ihm viel Müsse zur Arbeit und
wurde nur durch den Gedanken an die Mutter verdüstert; „Der
Sohn streckt nach dir aus der Ferne die Arme aus und bittet
um Verzeihung, dass er dich allein auf der Welt gelassen hnt
ohne Lebensfreuden unter den sich mehrenden Gräbern der Fa-
milie" (Mat. I, 212). Ueber alle Freuden breitet sich ein leich-
ter Nebel von Melancholie. Das Werk, in dem er sich mit Mickie-
wicz messen wollte: „Kordjan, der erste Theil einer Trilogie:
Die Krimungsverschwörung", erschien anonym zu Paris, g^l
sehr und ward von vielen dem Mickiewicz zugeschrieben. Darin
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Juliua StowBcki. 307
hatte sich Slowacki tbatsäcblich von Byroniamus losgemacht, wand
i'kh aber, wie Kpheu um einen Banm, um eine fremde Idee. Sein
.Kordjan" ist der fortgesetzte Konrad des dritteu Theils der
„Dziady" oder der WatJaw des Garczynski, wiedergeboren dnrch
den Patriotismus, der sich ein bestimmtes Lebensziel steckt und
K mit grosser Aufopferung des eigenen und andrer Leben ver-
nilhcht — mit einem Wort der Typus eines polnischen Revolu-
tinnärs der dreissiger Jahre. Das gegenwärtige Zeitalter ist grau
and farblos, wie der' siebente Schöpfungetag, der Sabbath (am
sechsten Tag bildete Gott Napoleon; jetzt ist der siebente — Gott
legt die Hände in den Schos, ruht, schuf niemand). Um so rub-
riger arbeiten die Teufel und machen sich am Vorabend des ersten
Tages des 19. .Tahrhunderts daran, für dieses ganze Jahrhundert,
das „dera Satan Freude macht", Menschen zu formen, die alleR
vemoBtalten und verderben werden. Dem Kessel des Teufels
entsteigen dcrBeihe nach Chlopicki, Czartoryski, Lelewel, Nieni-
tfmicz (Feba, Eunuch von neun Sultaninnen), Knikowiecki, mit
M»em Wort — alle, die im Aufstand von 1830 eine leitende
Me spielten. Die Idee ist ganz verfehlt: nicht die genannten
Personen brachten den Aufstand hervor, er wurde von wahn-
witzigen Phantasten hervorgerufen — die Suppe, welche seiner-
uit die Rothen eingebrockt hatten, mussten die daran uube-
[heiUgten Weissen ausessen, die wider Willen zur ßegierung
kftnen. — In diesem kraftlosen Zeitalter erwächst ein Ge-
schlecht, das fast alle Charakterzüge desjenigen hat, welches
.''Päter Müsset im Anfang seiner „Confesaions d'un enfant du
si«le" darstellte — nervös, entzündbar wie Pulver, zügellos in
den Begierden. Kin solcher Sohn der Zeit ist auch Kordjan.
Sdion das heranwachsende Kind trägt sieb mit dem Gedanken
an Selbstmord-, in seine Liebe zu Laura sind die eigenen Remi-
niscenzen des Verfassers an Ludovica äniadecka eingeflochten.
Im zweiten Act (1838) hat Kordjan alle Freuden durchkostet,
Hlösst die käufliche Liebe ab, empfiiugt statt des Segens des
I'apstes im Va,tikBn die Ermahnung, sich der bestehenden Obrig-
keit zu fügen, worauf er sich natürlich von der Religion lossagt,
und, man weiss nicht weshalb, den Gipfel des Mont Blanc besteigt,
biese beiden vorbereitenden Acte könnte man weglassen, das
Hgeatliche Drama beginnt erst mit dem dritten, mit der soge-
naonten „Krönungsverschwörung" (1829); aus der achwachen Hin-
deatung auf eine verbrecherische Absicht, die bei Mochnacki
20*
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308 Vierte« Kapitel. Die Polen.
rermerkt ist, erwuchs eine ganze organisirte Verschvörung, in
«len Katakomben des St. Johannis-Doms mit fingirten Theilneh-
mern, yon denen eine der hai^tsächlichsten ist: der grauhaarige
Präsident, der von einem Versuch zu politischem Morde abmahnt,
und der mit dem Mantel eines Zöglings der Schule der Unter-
fähnriche bekleidete Kordjan, der mit allen Kräften nach diesem
Versuch strebt. Der Vorsitzende ist nicht mit Namen genannt,
aber es ist Niemcewicz gemeint, wobei es begreiflich wird,
warum ihn der Antor zu Anfang des Stückes als eine von den Teu-
feln geformte Ausgeburt der Hölle dargeet«llt hat. Von seinem
rerolutionäreu Standpunkte aus suchte er den Alten zu brand-
marken, der den Mord als einen Flecken der Nation verab-
flcheut; aber das Resultat ist nicht der Eindruck, den der Autor
erwartete, weil in Wirklichkeit der Alte voltkommen recht hat.
und im Unrecht der Thor ist, dem es sogar an Kraft ge-
brach, das Beabsichtigte zu vollbringen, weil ihm im entschei-
denden Moment die Nerven versagten; ihn überwanden die Ge-
spenster seiner eigenen entzündeten Phantasie. Trotz dieses
Fehlers gehören die letzten drei Acte des Dramas (die Scene in
den Katakomben, die Gefangenschaft und die Hinrichtung Koi^
djan*s) 2U den besten Erzeugnissen der dramatisclien Literatur
der Polen.
Nach „Kordjan" hat ^owacki, obgleich er viel in Genf schrieb,
doch bis zum Jahre 1848 nichts drucken lassen, weil es gänzlich
an Mitteln fehlte. Der Dichter lebte auf Kosten der Mutter, be-
scheiden, aber comfortable. Kaum dürfte sich ein Zweiter finden,
der so viel Aufmerksamkeit auf Aeusserlicbkeiten verwendet hätte,
sogar auf den modischen Schnitt seines Anzugs, auf die Farbe der
Handschuhe. Da ihm seine Werke kaum hier und da einmal zehn
Francs einbrachten, so musste unter dem Zwange des „rasenden
Productionsdranges" (Brief vom 21. Mai 1836), geschrieben und
das Geschriebene auf bessere Zeiten zurückgelegt werden. Sein
Talent stand in vollem Glanz und voller Reife, die ProductivitSt
war gross. Damals, in jenen genfer Jahren (1833 bis Anfang 1836),
wurden entworfen und geschrieben „Mazepa", „Balladyna", „In der
Schweiz", ,,Wallace", „Gorsztynski", aber von allen Werken ^o-
wacki's ist nur wenig mehr als die Hälfte von ihm bei Lebzeiten
veröffentlicht worden, es wurden ausserdem noch drei Bände posf-
humer Werke gesammelt, die von Maleoki nach den Concepten
herausgegeben wurden („Pisma poämiertne", Lemberg 1866); einige
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Julius Stowoeki 309
Werke aber sind abhanden gekommen und verloren (z. B. die
Tragödie „Wallace" aus der schottischen Geschichte, 1834), oder
gelaugten auf uns nur in Frugmeiiten, obgleich sie wahrscheinlich
fertig waren (». B. das Drama „Gorsztyi'iski", 1835, aus den
letzten Tagen Polens), oder wurden vom Autor selbst den Flam-
men übergeben (wie die erste Bearbeitung des „Mazepa" vom
Jabr 1834)- Slowacki's Papiere, jetzt in der Bibliothek des
Osgolinskischen Instituts in Lemberg, dienen und werden auch
küoftig alü das reichste Material für Ausarbeitungen der Vei'ehrer
des Dichters dienen, die seinen Fusstapfen folgen und versuchen
anEznmachen , was tod ihm nicht vollendet wurde, oder was
durch Zeit und Zufall von den vollständigen Werken vernichtet
worden ist. Wir werden nun nach den Jahren ihres Erscheinens
alle diese Werke analysiren, ausser einem, der Dichtung „In der
Schweiz'', die nebst der seine Kindheit darBtellenden „Godzina
nfüU" („Die Stunde des Gedankens") zu (len autobiographi-
ichen Werken gehört, d. h. von ihm wirklich Erlebtes, aber
«4on zu einer Perle der Poesie Umgearbeitetes, darstellt, wie
(ioethe seine Lebenserfahrungen in „Wahrheit und Dichtung"
rerarbeitet hat. — Von Ende 1833 an lebte in Genf die polni-
sche Familie W(odziii8ki). Die ältere Tochter Maria gefiel Slo-
vacki nicht („sie ist nicht schön, eine Schülerin Fields, eine gute
Pianistin"). Im Sommer 1834 kam in grösserer Geseilschaft, zu
der auch Slowacki gehörte, ein Ausflug auf die Berge zustande,
auf den St. Bernhard, über die Gemmi, den Thuner und Brienzer
See, nach Grindelwald und nach dem Vierwaldstädter See; da-
mals unter diesen wunderbaren Naturhildem knüpfte sich die Be-
kanntschaft, die dann in ein Liebesidyll überging, als sich im
Herbst 1835 die Familie W. auf kurze Zeit in der Pension Pat-
leg niederliess, wo Slowacki wie zu Hause war. „Eine Atmo-
sphäre der Phantasie, ein Land der Vergangenheit, eine Insel des
Ideals, bethaut von einem Tliränenstrom" . . . schreibt er an die
Mutter (30. Juni 1835). Die Leidenschaft war ~ vielleicht das
riniige mal im Leben Slowacki's ^ auf beiden Seiten gleich
stark; dabei war es eine Leidenschaft ohne morgenden Tag,
ganz in der Gegenwart, mit den sentimentalsten Schwärmereien
aber ein Leben in einer herrlichen Schlucht, die aber durch
die Voraussicht getrübt wurden, dass dem Dichter diese „Lilien-
seele'' irgend „ein Kammerherrensohn aus dem Lande der Lechen,
M^wtattet mit junkerlicher Ungenirtheit, mit Schnurrbart und
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310 Viertes Kapitel. Die Polen.
Sporen abspenstig maclieo werde." Den Dichter quälte der Gedanke
an die bevorstehende Abreise der Familie W,; er fasste den Vor-
satz, sich darnach in die Einsamkeit zurückzuziehen und in den
Bergen niederzulassen. Aber unerwartete Umstände beBchleuoigteii
die Losung des Knotens und nöthigteu den Dichter, viel früher in
die Berge zu fliehen, als die Familie W. aus Genf abreiste; 1^-
lantiite Patteg ertrug es nicht, dass sich Slowacki für ein anderes
weihliches Wesen interessirte, und ward krank, ihre Mutter trat
fUr sie ein, es kam zu Auftritten, infolge deren Slowacki auf das
andere Ufer des Sees (Veytaux, Meillerie gegenüber) hinüberging
und das Gedicht „Die Verfluchte" schrieb; „Sei verflucht, Du
hast die letzten Minuten meines Glücke auf der Erde zerstört.
Du hast mich in die Einsamkeit getrieben! ... Sei ewig ver-
flucht, jeder meiner Seufzer kennt Dich, und jede Thränc wird
Dein gedenken" .. . Man darf nicht meinen, dass durch die«;
Verse Slowacki's Beziehungen zu der Verfluchten endgültig be-
stimmt waren. Lctzere begleitete die abgereiste Familie W. und
war bei dem Dichter, weinte und bat ihn, in die Pension zurück-
zukehren. Die guten Beziehungen wurden zum Tbeil wiederhev-
gestellt, Slowacki hatte immer eine gewisse Schwäche denen gegen-
über, die er seine Stützen nannte (Brief vom 30. Juli ISSG), es
war ihm ein Bedürfniss, eine zarte weibliche Seele nebeu sich zu
haben, die ganz von ihm eingenommen war, mit der er seine poe-
tischen Phantasien tbeilcn konnte. Aber die Pension selbst wur
ihm vorleidet, er kam nicht so bald in dieselbe zurück, und schrieb
zu Veytaux seine Schwei:ierdichtung. Die wirkliche Marie W. ibl
darin durchaus nicht zu linden, aber im Mittelpunkt der Dichtuug
steht ein geliebtes Weib in phantastischer Sceuerie. Sic erscheint
dem Dichter zueret beim Wasserfall der Aar: „Dort erblickte
ich sie, und mich plötzlich verliebend, glaubte ich und glaube
ich noch, dass sie aus dem Regenbogen oder aus dem Schaume
des IilusscB kam. . . . Als meine Augen sie umfassten von den
Sohlen bis zu den Locken, da verliebten sich in sie die Au-
gen, und darnach mit dem Gefühl, das zu liehen zwingt, folgte
das Ilerz, und nach dem Herzen die Seele. So bildete sich der
Koman, dass ich zu ihr fliegen wollte über den Wasserfall, weil
ich fürchtete" ... sie werde wie eine Erscheinung verschwinden.
... Es folgt eine Reihe von Scenen an der Quelle der Rhone
und vor dem Glockenthurme Tell's am See, in einer Stalftk-
titengrotte und in dem Häuschen eines Einsiedlers. Gewisse
...., Google
Julius Stowacki. 311
Ifindernisse tauchen auf, das Herz ist vom Vorgefühl der Treu-
uoDg beschwert, dann folgt eine grenzenlose Klage über die ge-
itcfaeliene Trennung. Bücksicbtlich der Form und dem die
.Upeanatar schildernden Theil ist diese Dichtung, ohne posi-
ÜTBü Inhalt, der Gipfelpunkt der Vollendung. ... Als Kra-
sinski sie gelesen, schrieb er (Malecki II, 68): „ich kenne in
keiner einzigen Sprache etwas Aehnliches in Liebesphantasien
— nach diesem Vorgang ist es nicht mehr möglich Verse zu
schreiben; nur ein unverschämter Mensch wird ea iintemehmen,
Verse zu machen nach Juliuu". . . . Das Gedicht zeigte die
ToUe Reife des Talents, dem ohne Zweifel die Einsamkeit forder-
lich war und der Aufenthalt unter den Schönheiten der Natur,
die von dem Dichter mit allen Nerven seines Organismus em-
pfimden wurden. „Diese drei Monate" schrieb er (20. October
1835), „haben mich vieles gelehrt. Ich habe die Harmonie be-
obachtet, die alles vereint und mit einem Oolorit übergiesst;
ich bin in die Bäume eingedrungen, in die Blumen, in das Bruu-
9(a und in die Laute der Natur." ... Er erklärte auch die Art
ud Weise des poetischen Schaffens iu Bezug auf die Landschaft.
Es retlectirtcn sich bei ihm im Gedächtnis» zwei Bilder: das
eine der Gegend, wie nie sich der Dichter in der Phantasie vor-
gestellt hatte — schöner als die Wirklichkeit; das andere —
wie sie wirklich war; aus diesen beiden Bildern entsteht nach
ihrer Verschmelzung schliesslich das dritte, das schönste, „ge-
webt ans Phantasie und traumhafter Erinnerung" (Mal. I, 240).
Die letzten Spuren des liyronismus verschwanden , Slowacki
mie ruhiger, als hätte er ganz die Ziele vergessen , die
er sich gesteckt hatte, aU er aus Paris tloh. Schätze der
Poesie häuften sich iu seinem Portefeuille, er hörte nicht auf zu
klagen, dass sie nicht gedruckt würden, und begnügte sich da-
mit, sie einigen ihm sympathischen Personen mitzutheilen. Noch
mehr, er hatte sich sogar mit Mickiewicz im Geiste ausgesöhnt;
<liescs Wunder in seiner Art war eine Folge des Erscheinens des
~P&n Tadeusz". Es ist bekannt, dass Slowacki sehr bissig gegen
Leute war, die er aus irgendeinem Grunde nicht liebte, gegen
Ulewel, gegen Chopin, dem Slowactd besonders ähnlich ge-
wesen sein soll. Mickiewicz hatte er Gründe nicht zu schonen
and noch am 13. Juli IHM schrieb er nach blossem Hören-
ia^en sarkastisch, dass Adam ein Gedicht über einen Szlachcic
veriagst habe, der zwischen den Jahren 1811 — 12 abenteuerte.
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3X3 TierteB Espitel. Die Poleo.
Aber, als er die Dichtung gelcBen, streckte er die Waffe, söhnte
sich auB, verzieh allcB Vergangene und folgte seitdem in Gedan-
ken dem grossen Sänger, über dessen bedrängte Lage, die an Ar-
muth grenzte, er betrübt war. Zu Ende desselben Jahres ward
er durch eine Nachriebt in tieberhafte Aufregung vei-setzt;
sein Onkel mütterlicherseits, Theoplul Januszowski, begab sich
mit seiner Frau nach Italien, und lud ^owacki dahin ein, der
sehnlichst wünschte dieses Land zu besuchen; der ganze Winter
verging in Bemühungen um einen Pass; im Februar begab sich
Slowacki über Marseille nach Civita - Vecchia und fand sich
in Rom bei den Verwandten ein, nach denen er sich in der
Fremde so gesehnt hatte, mit denen er aber in Wirklichkeit
»ach einem Zusammenleben von drei Monaten nicht sonder-
lich harmonirte, weil sie keinen Geschmack an seinen Werken
fanden, da sie Sinn und Bedeutung derselben nicht verstanden
und anspruchsvoll waren, er es aber nicht liebte, sich Zwang
anzuthun und die Gesellschaft junger Altersgenossen (Golynski.
Brzozowski), Freunde der Kunst und Enthusiasten vorzog, bei
denen er sich das Herz erleichtern, mit Gefühlen und Bichtungeu
austauschen konnte. Unter diesen neuen Bekannten war ein
Mann mit grosBartigen Kenntnissen für seine Zeit ausgerüstet und
von poetischer Begabung, Sigismund Krasinski, dessen Verhältnisse
so gestaltet waren, dass er sich uicht öffentlich als Verfasser sei-
ner Werke bekennen konnte und sich damit begnügte, sie ano-
nym herauszugeben, dessen Talent nur einem engen Kreise ihm
nahestehender Leute bekannt war. Auch Slowacki war damals
uoch sehr wenig bekannt und sein Ruf entsprach nicht seiner
poetischen Kraft. Die beiden Dichter kamen zusammen und tra-
ten einander nahe in der engsten Freundschaft, die für beide
gleich nützlich war, weil beide viel voneinander entlehnten.
Diese Freundschaft, welche sieben Jahre dauerte, endete zwar
im neunten ein jäher Bruch infolge der Verschiedenheit der
Ueberzeugungen , aber da sie auf ihre Poesie stark gewirkt hat,
Bo muss man, wie man die beiden deutschen Dioskuren, Schiller
und Goethe, nicht getrennt betrachten kann, auch die polni-
schen nebeneinander stellen. Indem wir also die Biographie
Slowacki s unterbrechen, werden wir zu bestimmen suchen, wer
diese neue Persönlichkeit war, die zu ihm in so aussci^ewöbn-
liche Beziehungen trat.
.y Google
SigtBiniiiid Krasiiiski. 313
Die Erforscbaog derselben bietet zur Zeit grosse Schwierig-
keiten: das Leben von Mickiewicz und Slowacki kanii tnan
nach Jahren und Monaten verfolgen, nach ihrer eigenen Cor-
recpondens; noch reichere Materialien bat Krasiiiski hinter-
Usüen — mehr als 8000 von ihm geschriebene Briefe, aber
mir ein kleiner Theil davon ist herausgegeben, mehrere Briefe
werden wahrscbeinlicli iiie zur Verüffentliebung gelange», von den
Terüffentlichtcn sind einige (z. B. die an Jaroszyiiski) eine biblio-
graphische Seltenheit geworden, weil die Familie des Dichtei-B sie
Hafgekauft hat.'
Sigismund Krasii'iski, geboren 19. Februar 181*? in Paris,
gehörte eeiner Herkunft nach zu demjenigen Theil des frühem
l'olens, welcher unter die Herrscha,ft Russlands gekonmien war
iiud der sowol Mickiewio; als Slowacki hervorgebracht hatte.
Die letztern beiden, obgleich durchaus keine Plebejer, waren doch
der gesellschaftlichen Stellung nach unbedeutend im Vergleich zu
ihm, einem VoIIblutaristokraten, der sehr reich, vornehm war, uu<l
eiaem Geschlecht angehörte, das mit regierenden Häasern (dem
Tou Sachsen und Savoyen) in verwandtschaftlichen Beziehungen
stand und eine angesehene Stellung bei Hofe einnahm. Der
Grossvater Krasinski's, Johann, Abgeordneter auf dem vierjähri-
gen Reichstag, war mit einer Czacka (der Schwester des Thad-
tlaens Czacki) verheirathet. Aus dieser Ehe wurde 1782 Vincenz
Kraaii'iaki' geboren, vom Wappen Korwin, ein schöner, tapferer,
elirgeiziger Mann, der mit dem Fürsten Joseph l'oniatowski in
Gelagen und Erfolgen in der damaligen müssigen schonen Welt
Warschans während der preuasischen Herrschaft rivalisirte. Die-
ser V. Krasii'iski lieirathete (1805) aus Berechnung die Fürstin
Maria Radziwill, aus der Berdyczewer Linie dieses Geschlechts,
die Stieftochter des bekannten Patrioten, ehemaligen Marschalls
' Die beste Würdigung der Poesie Krasinaki'a licfci-te Tarnowak i in
derVon^e tn derAuBgabe der Werke deseolben: „l'iBma Z. Krasinekiego"
lUmberg 1875). — „Wyj%tki z liatöw Z. KrasinskicKo" |Pari8 18(>1). ~
~Hoja Beatrice Zygmunta EraBiDakiego " (Krakau 1H78). - ,,I<)8ty Z. KrB'
»inikiego 1835 — M do Edward» Jaroszynakicgo, op;(osiJ Marius Gorzkowaki"
(Krakan 1871).— Tarnowski'a Abhandlung über die Briefe KrasiÜBki'a an
^aa (iD Przegl^d Folski, Januar 1877).
* J. FalkowBki, „Obraiy z äycia kilka ostatniob pokolen w Polsce"
(Poieu 1877).
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314 Vierte» Kapitel. Die Polen.
des rierjülirigen ßeichetagfi, Stanislaw Malaclioweki, welcher der
polnificfae Aiistides genannt wurde; alsdann trat er, noch vor
roniatowski, in die Napoleonische Armee, zeichnete sich aus, ward
zum kaiserlichen Adjutanten ernannt, und blieb Napoleon treu
bis zu dessen Abdankung in Fontaioebleau, worauf er den Be-
fohl erhielt, die polnischen Regimenter in die Heimat zu fuhren,
welche dann der Keim einer besondem polnischen Armee unter der
Itogierung Alexander's I. wurden. General Krasii'iski erlangte die
hohen Stellungen eines Senators, eines Wojewoden, zu den Soireen
im Salou seines i'alastes in der krakauer Voretadt Tersammelten sich
Gelehrte und Schriftsteller, meist Classicisten; hier herrschte ohne
Nebenbuhler als ein zweiter Aristarch Ludwig Osinski. Der Haus-
herr, selbst Classicist, war eine der stärksten Säulen der russischen
Partei in Polen. Seine Popularität begann stark zu sinken in dem
Verbältuisä, als sieh die guten Beziehungen zwischen den beiden
Völkerschaften trübten und die B«volution näherrückte, beson-
ders seit dem Reichstagsgericht über die politischen Verschwörer
(1828), wo Krasii'iski allein für eine strenge Verurtheilung der
Angeklagten eintrat.* Nach Ausbruch des Aufstandes verliess
Ueneral Krasiiiski Warschau und begab sich nach Peterbburg.
Im Jahre 1856, nach dem Tode Paskeviö's versah er sogar zeit-
weilig die Obliegenheiten eines Statthalters. Der junge Sigis-
mund wurde zum Theil inDunajewce im Gouvernement P^dolieu
bei der Urossmutter väterlicherseits, der Starostin Opinogörska,
zum Xheil in Warschau erzogen. Als er 8 Jahr alt war, bekam
er zum Hauslehrer den später berühmten Schriftsteller Korze-
niowski, der jedoch mit der Generalin, einer launischen uud
hochfahrenden Dame nicht auskommen konnte.^ Der EiuHuss
der Mutter, die übrigens frühzeitig (1822) starb, auf den Sohn
war ein ganz unbedeutender; dafür lastete auf ihm sein gan-
■ma Leben lang die mächtige Hand des Vaters. Nie hat der
Sohn die Pflicht kindlicher Ergebenheit uud Liebe ausser Acht
gelassen; er liebte auch den Vater in seiner Art, vertraute ihm
KUgar seine Herzensgeheimnisse , Hess sich von ihm in wich-
tigen Angelegenheiten leiten, z. B. in der Heirath; aber es gab
' Eiu uiclit Hubnieiuhulhai'tuü l'urträl di:siielbi;u butiitKca wir iu ileu
Itriofun dc8 Fiii-atcu P. A. Vjazcmalcij (Rusukij Aruhiv, 1879, Nr. ö, 8. Hd).
' KlumuDB Kautuüki, „Dwttj KrieuiiensucEaiiie. II. J. Kurzcniuwgki"
S. 1«9 (Lenilurg lö'T).
...., Google
SigUniuod Ki'aeinski. 315
tili Gebiet beatimmter Gefühle, wo er UDZugänglicb , ätumiii
und taub gegen die Anforderungen und Bitten des Vaters
blieb. Sie ähnelten sich in nichts, weder im Gewhmack noch
iu den Ideen. Gerade die hohe Üifcntliche Stellung des Vateis
war die Ursache, welche in verhängnissvoUer Weise darauf ein-
wirkte, dass sich der Sohn zu gänzlicher Unthätigbeit im öffent'
iiilien Leben und einer ebenso vollständigen Anonymität in der
l.itcratnr verschwor. Das Schicksal verhängte ihm, als er noch
ein heranwachsender Jüngling war, die schwei'ste Beleidigung,
die ein Mensch empfangen kann, wegen der Unpopularität seines
Vaters zu erdulden. Im Jahre 1829 beim Begräbniss des l'räsi-
dunten des ßeichstagsgerichts , des Wojcwoden Biclii'iski, fanden
bicb nach gegenseitiger A'erabredung alle Studenten der Uni-
rersität in Masse ein, indem sie die Auditorien leerliessen; dem
Beispiel der Kameraden folgte nur Sigismund Krasinski nicht,
der sich auf Befehl des Vaters iu die Vorlesung begiib, wofür
ihn am folgenden Tage die Mitschüler (Leo £ubieiiski) schtu-
ScQ und hinauswarfen. Uer Eindruck dieser Minute blieb ein
sürker; er reflectirt sich in den folgenden Worten dea letK-
teu Werks von Krasinski „Kiedokonczony poemat" („Das un-
vuUeudete Gedicht"): „Ich sehe das alte Gebäude, in dessen
äleu tausend Altersgenossen sitzen, und die Lehrer lesen von
deu Kathedern. Ich sehe die wie eine Schlange sich windende
Treppe. Nicht wahr, ich war ein kühner Bursche, obgleich
nuch nicht erwachsen und schwach an Kräften. Ich kam vom
Hause, ging au ihnen allen vorüber mit stolzer Stiru, wohl
wissend, dass sie mich hasseu, aber nicht, weshalb. Sie um-
ringteu mich , drängen von allen Seiten , schreien : » Fanicz,
Famcz n (Junker 1 Junker ! ), als wenn es ein Schimpf wäre,
dass ich zeigen kann, wo viele meiner Väter das Haupt hin-
gelegt und in welcher Kirche sie begraben liegen. 0 Gott! -
In der kindlichen Brust keimte zum ersten mal die Hölle —
ich ei'griff dos eiElemeGriänder, und sie ziehen mich au den
Hüjiden, an den Füssen, an den Falten des Mantels. Ich war«
ihiien vielleicht zu Küssen gefallen, aber du erschienst .... mein
guter Genius, und sagtest: nsie sind im Unrecht; sei mehr als
gerecht, verzeihe ihnen in der Seele und gewinne sie lieb.u" . . .
IHese Stelle charakterisirt sowol den Menschen als seine ganze
folgende Thätigkeit. £r ist bis ins innerste Mark Kitter, Aristokrat,
wn bewusster Kämpfer für das Vergangene, bereit sich dafür kreu-
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316 Tiert«s Kapitel. Die Polen.
zigen zu laBeen, dass er der Träger der ererbten Ideen einer groE-
ueti, aber untergehenden Civilisation ist. Sein persönliches Erleb-
niHti generalisirt er bis zur äussersten Grenze der Verallgemeine-
rung, indem er aas ilim die Welt&age der Arietokratie und des
Demo» macht, und ihr mit mildem Herzen und mit dem cliriat-
liclien Gebot der Vergebung und des freiwilligen Leidens entgegen-
gebt. Die Natur selbst hatt« ihn zum Dulder geweiht, da sie ihu
kränklich machte, Nervenzufällen unterwarf, schwach auf den Au-
gen werden Hess und fortwährend mit dem Verlust des Augenlichts
bedrohte. Fortwährend zur Kur in Bädern oder in einem warmen
Klima, fand er nur Erquickung in der Freundschaft mit sehr we-
nigen intimen Geuossen und Bekannten, mit denen er seine Ge-
danken austauschte (Konstantin Gaszyi'iski, mit dem er seine
ersten Jugendwerke verfasste und der allein ihn 1829 gegen die
Mitschülern vertheidigt hatte; Danielewicz, Philosoph und Musi-
ker, der 1841 zu Freiburg in seinen Armen starb; Adam Sttou,
Eduard Jaroszynski), und mit denen er die eifrigste Correspon-
denz führte. Grosse Bedeutung hatt«n in seinem ganzen Lehen
Frauenbekanntschafteu und Herzensbande. Nach der Eigen-
thümlichkeit seiner alles verallgemeinemdeD Natur regte Kra-
siüski mit Bewusstsein die Frauenfrage an und foimulirte sie
theoretisch als eine der Aufgaben der Zukunft. Der Vorfall
im Jahre 1829 veranlasste den General Krasinski, seinen 17jäh-
rigen Sohn, der den Lehrcursus auf der Universität noch nicht
beendet hatte, ins Ausland zu senden, begleitet von einem Hof-
meister Jakubowski. In die ersten Zeiten seines Aufentlialts
im Auslände, in Genf, fällt sein Brief an Bonstetten, der in der
Bibliotheque universelle de Geneve, 1830, abgedruckt ist, und
eiuo für Ausländer geschriebene kurze Geschichte der polni-
schen Literatur enthält, worin Krasiäski ohne die Verdienste
■ der Classicisteu zu leugnen, als Romantiker und warmer Verehrer
von Mickiewicz auftritt.' Bald darauf kam Mickiewlcz nach
Genf, im Sommer 1830, mit Odjniec, der beim General Kra-
sinski auf dessen Soireen in Warschau gewesen war und den
jungen Mann Mickiewicz vorstellte. Es ward ein Ausflug in die
Berge veranstaltet, Krasinski lernte den grossen ^uger näher
keunen. der anfangs verschlossen und wenig gesprächig war.
„Ich habe von ihm gelernt", schreibt Krasinski, ., kaltblütiger.
' Krouika Rmliiuutt ISTü, Kr. 15.
Digzec, Google
SiKinniind Kruiniki. 317
schöner, unparteiischer die Dinge zu betrachten, habe mich von
riefen Vorurtheilen freigemacht.' Er hat mich überzeugt, dass
aller FlitterBtoat in den Handlungen, im Reden und im Schrei-
hea Thorbeit ist, das(t nur die Wahrheit schön ist, dass alle
Zierrathen und Blumen des Stils nichts sind, wenn der Ge-
danke fehlt. . . . Die Begegnung mit ihm hat mir viel Gutes ge-
braclit" (Brief vom 5. September und 22. October 1830). Ody-
niec schildert Krasinski als einen frischen , fröhlichen jungen
Mann, sterblich verliebt in ein englisches Mädchen (Mies Hen-
riette). KrasiAski wurde mit der Familie Ankwicz bekannt, be-
gab sich nach Italien und brachte zwei Winter 1830 — 31 und
1831 — 32 in Rom zn, den erstem in der Gesellschaft von Uickie-
«icz, den andern in der von H. Rzewuski und der Familie Ank-
wicz. Die polnischen Ereignisse des Jahres 1830 — 31 übten auf
Krasinski einen erschütternden Eindruck aus. Das Lehen seines
Vaters mochte gefährdet sein, als offenen Gegners des Auf-
"itandes, der sich zur Partei des Carevic hielt. Vincenz Kra-
Bseki war eine der unpopulärsten Persönlichkeiten; ihm blieb
niir der eine Ausweg übrig, nach Petersburg zu geben. Als der
Aufstand eine tratsche Lösung gefunden, forderte der Vater den
i^hn auf, nach Warschau zu kommen, von hier brachte er ihn auf
eine Einladung nach Petersburg, wo Sigi&mand hätte in den Staats-
<lienst treten sollen, wenn ihn von dieser dem Anschein nach
nnvermeidlichen , aber seinen Wünschen nicht entsprechenden
hanfbahn nicht seine Nervenzerrüttung und Augenkrankheit —
Folgen der psychischen Erschüttening durch die Ereignisse des
Jahres 1830 — 31 — befreit hätten.* Während seines Aufent-
halts in Petersburg verliees Krasiüski nur zweimal sein Zimmer,
als er herumfuhr, um sich vorzustellen, ward zum Gebrauch
einer Cur entlassen und reiste 1833 mit seinem Freunde Danie-
lewicz nach Wien, von da nach Rom, von wo er 21. Novem-
ber 1833 (Kronika Rodz., 1874, S. 309) seinem Freunde Gaszyiiski
' üeber die genitr Reue vergl. die Briefe von Odynieo, 4. Bd., an dee-
un Ende Kruinaki'B Briefe an seinen Tater abgedruckt sind.
' Brief 1832 aus Genf: „Meinen Augen dmlit Blindheit, der ga,D?.e
Körper iat zerrüttet, vielleiclit gehe ioh bald dortliin, wohin schon riele ge-
gangen sind, gehe hin ohne Ruhm, ohne Liehe uud ohne Mitleid der Men-
■ehen. Aber es hat kein gemeinen Herz in dieser Brust ^etchlagen; ich
bitte gingen und kämpfen können." Liat; Z. Kraa. 7.
...., Google
318 VierteR Kapitel. Die Polen.
im Vertrauen eine Mittheiluug über das erste von ihm verfasete
reife und bedeutsame Werk „Nieboska komedya" („Ungöttliche
Komödie") machte, der er damals noch einen andern Namen
„Der Mann" gab. Obgleich das Drama schon im 21. Jahre ge-
schiieben war, so war es doch nicht das erste Werk; ihm waren
schon einige andere, aber ganz jugendliche Versuche voranB-
gegangen. Schon als Student in Warschau hatte Krasii'iflki,
Itegeistert von Walter Scott, begonnen mit seinen Mitschülcri<
(XnaHi-historischo Bomane zu schreiben, — mit Gaszyiiski: „Grob
rodziny Reichsthalöw " („Das Grabmal des Geschlechts der
Kfiichsthal", 1828, im Korrespondent Warszawski) und mit
diesem sowie mit Dominicus Magnuszewski : „Wladyslaw Her-
mann i dwör jego" („Wfadysiaw Hermann und sein Hof-', War-
schau 1829). Von diesen Mitarbeitern hat Gaszyi'iski (geb. 1809.
seit 1831 Emigrant, gest. 18Ö6) in der Folge Einiges geschrieben
und noch nicht TCröfFentlichte Memoiren über seine Beziehungen
zu Krasiiiski hinterlassen. Ein bei weitem kräftigeres Talent ist
Magnuszewski (1810—47), Verfasser der „Polnischen Frau in
drei Epochen", der „Rache der Ureula", der nicht publicirten
Dramen „Radziejowski" und „WJadysJaw Bialy"'; er liebte A^
chaismen, ahmte einen alterthümlichen Stil nach, suchte Volks-
tbümlichkeit in der Poesie, war aber, ohne es selbst zu mer-
ken, ein Nacliahmcr der wüsten Schule der französischen Ro-
mantiker (Victor Hugo u. a.). Ohne Mitwirkung anderer hat
Krasiiiski noch Erzählungen geschrieben, die verloren gegangen
sind, alle in Prosa: „Zawisza", „Der Starost Wilczek", „Theodor,
der König der Wälder", endlich den 1834 in Breslau herausge-
gebene Roman „Agaj Han".^ Dieser Roman erinnert kaum an
Walter Scott, sondern eher an d'Ärlencourt, und wenn darin
ein Verdienst ist, so ist es nur das des Stils, nicht aber
des Inhalts. Die Heldin des Romans ist vom Tode des Dieb
TuBzynski an Maria Mniszek, für welche der Kozak Zarucki
und der l'atar Agaj Hau in unsinniger Leidenschaft ent-
brennen. Die Personen wie die Verhältnisse sind fingirte, in
der Zeichnung des Locals und in der Beschreibung der Ereig-
nisse ist die Neigung zu übermässiger Uebertreibung, zum
' In I.embei'g cracliieu 1877 der ernte ßnitA einer volIntÄndigeii Saumi-
Iddji «einer Werke („Dziela Dominikn MaguiiKzewskie^o").
> Deutlich vou £. ßraolivogel (Leipzig 1840).
..., Google
Si^HnQDd Kra»in8ki. 319
Unqatürlichen big zur Carricatur bemerkbar. Der Hauptfehler
dieger poetischen Jugendsünden ist ein vollBtändiger Mangel an
Wahrheit. Danielewicz schrieb über Krasiil&ki (Krön. rodz. 1834.
^■309): „er schreibt unermüdlich. Es muss in ihm die furi-
htinda vena des Dichters, eine dämonische Unennüdlichkeit
man. Wahrscheinlich wird er sich einstmals yon dem lossagen.
TOS er jetzt schreibt; die Epoche des Schreibens ist für ihn noch
nicht gekommen." Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Be-
kanntschaft mit Mickiewicz dem Neuling half, die Rhetorik ab-
znEcbntteln, zur Wahrheit zu gelangen, das übrige kam durch
die Betrachtung der polnischen und europäischen Ereignisse des
J. 1830. Der Schriftsteller ward plötzlich zum Manne und ward
m anderer. Die 1833 zu Rom geschriebene „Kieboska Korne-
tt;a" („UngötÜicbe Komödie"), herausgegeben zu Paris 1835,
ist ein ganz reifes Werk, besiegelt mit all den individuellen
charakteristischen Merkmalen der Dichtungsweise , die in allen
fnlgenden Werken herrschen. Seine Originalität ist gross und
^teht darin, dass Krasiliski im Gebiete der Kunst Mctaphysiker
ijt, der mit den Mitteln der Kunst die abstractesten Ideen
personificirt. Jede seiner Dichtungen ist eine philosophische
Theorie, in Büdei-n gedacht, welche in Bezug auf die Grund-
ideen derselben symbolische Bedeutung haben. Diese Theorien
werden manchmal den Werken in den Vorreden vorausgeschickt
(„Przed.4wit" — „Morgendämmerung"), manchmal in den Text
der Dichtung selbst eingeschoben („Psalm Wiary" — „Der Psalm
des Glaubens"). In der Correspondenz mit den Freunden wer-
den schon weit früher die socialen und politischen Fragen Tor-
tnolirt, die dann die Grundlagen des einen oder andern Dra-
mas oder Epos bilden; aber gerade infolge davon, dass das All-
gemeine, Kosmopolitische in erster Linie steht, nimmt das rein
Personliche einen relativ kleinen Baum darin ein, sodass sich
der Schlüssel zu den Werken Kiusii'iski's nicht so sehr in dem
findet, was er selbst erfahren hat, als in dem allgemeinen '/.u-
•itand.der Geister in Europa, von der Jutirerolution an bis zu
dem Kriege, der mit der Belagerang von Sebastopol endete."
' All 1841 aaa Anlasa der „Sommemacbt" Stowacki in einem Briefe an
Knuinaki nach den peraönücben Grucdl^en dieses Werken forachte, em-
pW er nur folgende Antwort (Brief vom lli. Man: IBU, Rom. — Mal. II,
116): „Rühre nicht an tüdtlieho Wundan, Huchc nicbt zn sehr unerKründliithf
...., Google
390 Viertes Kapitel. Die Polen.
Durch diese Eigenschaft erklärt sich auch der von Klaczko '. be-
merkte „absteigende" Gang der poetischen Entwickelung Kra-
äliski's, im Gegensatz zu dem „aufsteigenden" anderer Dichter,
die von ihrem eigenen nationalen Wesen ausgingen und sich dann
zu kosmopolitischen Ideen erhoben, während bei Krasii'iski diese
letztem den Ausgangspunkt bilden und das Kationale uls die
Krone und der Schluss der Entwickelung erscheint. Dieses me-
taphysische Element in der Poesie Krasiiiski's hat zur Folge,
dass er bei der Masse nie so populär werden kann, wie Mickie-
wicz oder sogar ^owacki. Seine Poesie ist weniger zugänglich,
Rio ist immer gewichtig, ernst, erhebt ihre Stimme immer um einige
Töne höher als gewöhnlich, sie meidet alles Vul^re, athmet
bisweilen Zorn und Unwillen, hatte aber nicht die geringste
Beimischung von Humor. Er selbst begriff das Nichtvulgäre
seiner Muse vorzüglich. „Mische", schrieb er aus Born 1840 an
Slowacki, „deiner Lasur nur etwas Galle bei, und du wirst
sehen, wie dieses irdische chemische Element alles Irdische zu
dir zieht. Auf Erden gibt es mehr Lebern als Herzen. 0 wie
werden dich dann die Lebern vei-stehen. . .. Versuche es, sie
fordern es, sie werden erst dann deine Hand fühlen, wenn du
mit aller Gewalt einhaust, wenn sie schwer und knöchern auf
die Schläfe fällt. So lange sie zum Himmel, zu den Sternen
erhoben ist ... ., so lange meinen sie, es sei eine weisse Lilie,
die unschuldig auf der Wiese wächst." Indem er immer auf
den höchsten Hohen der Ideen und des Gefühls lebte, war Kra-
siüski als vollster Idealist ein wahrer Antipode des gegenwär-
tigen Realismus; aber als Idealist stand er den alten Griechen
der Periklei'schen Zeit nahe, welche marmorne Olympier von
wunderbarer Schönheit schufen, aber von einer Schönheit, welcbe
nicht von lebendigen Modellen copirt war. Die Kunstmittel
Iler/en zu erforsclieii. Wenn dn den Anker ins Meer wirfst, weitat du nicht,
wohin er ßillt, weil die Tiefe finster hl. Kannxt du nagen, dass dein Einen
nicht auf ein lebendiges Wesen gefallen ist, und es durobliohrt oder verwundet
hat. ... Sei dem Engi>l des Lichtes und des Schalles ähnlioli, oWr die Ex-
perimente ubei'lasn dem alten William (d. i. Shakespeare) und den Anatomen.
Breite einen stillen nnd strahlenden RefcenliORen fiber den ans, dem das
Lehen bitter war."
' Revue de dem Mondes, 1862, Jnnuar: Le poete anonyme de 1*
Pol»^c.
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Sigiemund Knuinski. 321
selbst seiner Dichtung Bind eher die eines Bildhauers als eines
Malers. Die von ihm geschaffenen Personen sind plastisch,
aber blutlos, es ist darin kein Colorit, sondern hlosse Zeichnung,
aber die Vollendung der letztern ist so gross, wie in der Plastik
der Alten, in der man nach einem hlossen Kopfe oder Torso ohne
jegUche Attrihnte mit einem mal errathen kann, was die Statue
darstellt, den oder jenen Gott oder Helden. Von den Aufgaben
der Poesie hatte er originelle und ziemlich sonderbare Vor-
stellungen. „Die Poesie", schrieb er, „ist das Schauen voll-
endeter Formen, in die sich irgendeinmal auf der Erde oder im
Himmel das reale Leben kleiden wird" (1840, Krasinski's Briefe,
ä. 181). Darch die Eigenheiten der Phantasie Krasiüski's lässt
^ich auch sein literarischer Geschmack leicht erklären. Er ist
entzückt tos „Le vicomte de Bragelone" und der ganzen Trilogie
der „Musketiere": „Dumas gelangt zu homerischen Situationen
und Beschreibungen, die dem Herzen der Menschheit entnommen
und, wahr, poetisch, ganz nach der Regel Cicero's: fac Ima-
ges, quibus pulsentur animae. Hätte er sich nicht durch die
.tgd nach Geld veiführen lassen, so würde er Shakespeare
gleichkommen" (Briefe, S. 172). Shakespeare wird von Krasinski
bemmdert, aber er hat keine Sympathie füi' ihn. „Shakespeare
«leht, obgleich er breit ist wie das Nordlicht, doch niedriger als
Byron, der nur als Blitz im Gewittersturm aufleuchtete" (1837;
Briete, S. 26). „Ich sehe lieber eine Tragödie von Schiller auf
der Bühne , als alle von Skakespeare. Schiller schreitet ein-
her wie ein Halbgott, wie ein Apollo von Belvedere, mit ge-
hobener Stirn. Frühling ist um ihn her, und bis zum Grabe
siod in den Herzen der Helden und nach dem Tode auf ihren
liriibeni lauter Blumen und Sterne" (S. 31). „Shakespeare ist
ein grosser Meister der Dissonanzen, der an den Charakteren
Experimente macht, wie der Physiker und Chemiker an den
Körpern. Er weiss, wie sich die Menschen quälen, wie Thrii-
nen und Blut äiessen, aber er weiss nicht, wofür. Sein Stand-
punkt ist noch ein kindlicher" (Briefe, S. 177 — 180). „Er ist
vie ein Diplomat, der erzählt, dass alle Kriege und Bevolu-
tioaen aus irgendeiner kleinen Intrigue hervorgegangen sind.
Die Intrigue war vorbanden, aber es war auch noch etwas Grös-
seres da — der Finger Gottes: hier hört Shakespeare auf und
fängt Schiller an" (S. 32). Diese sonderbare Ansicht über Sha-
kespeare hängt nicht vom Geschmack allein ab, sondern auch
'vna, BUTlHhi laMtiliUfB. 11,1. 2t / ' I
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322 Viertes Kapitel.' Die Polen.
von einer besondern Auffassang der Ziele des LebeoB und der
Kunflt. KrnßiAski ist einerseits der grösste Gegner einer Theorie
der Kunst um der Kunst willen; er dehnt seine Negation so weit
aus, dass nach seinen Ansichten derjenige alle andern überragt,
welcher Dichter im Leben ist, und dass der schon sittlich ver-
kiimmert ist, der sich von der Poesie durch die Kluft des Wor-
tes losgemacht hat, ihrer unwürdig aber derjenige, der äch
nur mit ihr unterhält, mit ihr spielt, sie den Menschen zu leerem
Genuss bietet (Einleitung zur „Ungöttlichen Komödie"). Ande^e^
seits glaubt er, dass die wahre Poesie die Wahrheit sei, aber nicht
die der Gegenwart, sondern- die der Zukunft; alles das, wovon sie
träumt, werde eich irgendeinmal verwirklichen; sie sei die Blüte
des Gefühls, deren Frucht die Religion sei, die Mutter der Phi-
losophie, und alle drei zusammen seien untrennbar. Sie sei das
unfehlbare Schauen der Zukunft und die Wahrsagung von der-
selben (Briefe, S. 69), hervorgerufen durch die Unvollkommen-
heiten der Gegenwart. Von seinem metaphysiR'heii Standpunkt
aus ist alles Greifbare und Sichtbare nicht real, und eine wirk-
liche Realität haben nur seine Phantasien über das, was sein
mufls und sein wird.' Sonach verdienen bei Krasii'tski seine
Kritik der Gegenwart und sein Ideal der Zukunft Beach-
tung. "Wie verstand er aber diese GegenwartV Er fasBte sie
in anderer Weise auf als seine Zeitgenossen, als selbst Mickie-
wicz. Für alle steht in erster Linie die nationale Frage, sie
wird gelöst durch eine Restauration und diese ist die Sache
einer nicht sehr fernen Zeit.' Für Krasiliski bestehen solche Illu-
sionen nicht. Die ganze westeuropäische Civilisation der Gegen-
wart, mit Einschluss der polnischen, mit ihren Idealen, mit
ihrer Ritterlichkeit, ja selbst mit ihrem innersten Mark — dem
Christenthum, sei im Aussterben begriffen, Leicbenflecke seien
sichtbar geworden und breiteten sich immer mehr aus; der Dichter
forscht nach den Merkmalen des Todes, senkt die Sonde in die
Wunden und schreibt an Gaszyüski (1834, Rom; Briefe, S. 9):
„Ich weiss, dass unsere Civilisation ku Ende geht, dass eine Zeit
naht, wo sich neue Missethaten zeigen werden, um für die ver-
' „Die aiphtliare Real tut Int ilir die unsichthnre, LciliKe, ewige
WahrlH-it ül.prwättigt: lu 1 t v rlor nl" (PokuBft).
' Die „(icscl lichte de /ukuntt on Mii:kiewicx war nur eine Phaotarie.
mit der er sich unterhielt hue k e ut- ernst« Bedeutung zu geben.
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SigisTnand Krasinnki. 323
gsngenen zu strafen und sich selbst vor Gott zu ricbten, aber
ich weiss auch, dass diese Missethaten nichts schaffeD, nichts
aofbanen werden, daes sie wie das Ross Attila's rorübergehen
and selbst versinken werden. Darnach wird das, was weder du
noch irgendjemand weiss noch begreift, kommen, sich aus dem
Cbaos ausscheiden und eine neue Welt schaffen, aber zu jener
Zeit werden sowol deine wie meine Gebeine schon längst ver-
west sein." In diesen Worten ist schon die ganze „Uagöttliche
Komödie" enthalten; sie läuft in ihren HauptzUgen auf das
Folgende hinaus.
Vor uns liegt die Fläche einer vollständig todten, seel-
loscn, abgelebten officiellen Gesellschaft, in der es keine Bestre-
bungen, keine Ideale and keine Aufgaben mehr gibt, und nur
die Conventionelle Lüge herrscht, nur die conventionetlen Phra-
sen gesprochen und die Conventionellen Goremonien verrichtet
werden. Es gibt einzelne Personen, die es in diesem Grabe
ucht ruhig aushalten können: dahin gehört der „Mann", Graf
Htiurich, in welchem sich aller Stolz, alle Ritterlichkeit dor
Vei^&ngenheit verkörpert hat; aber sie können sich nirgendR
entfalten. Aus der Sphäre des Gemeinen, von der Ehefrau
Btebt Heinrich, nm nicht „den Schlaf der Erstarrten, den
Schlaf des Schlemmers , deu Schlaf des deutschen Spiessbürgers
bei der deutschen Frau" zu schlafen, und jagt den Phantomen
der Liebe der jungen Jahre, des Ruhmes, des fabelhaften Para-
dieses nach — auf diese Wanderungen hat er den besten Theil
seines Lebens verschwendet, ohne den Menschen irgendwelchen
Tatzeit zu bringen, weil er in Wirklichkeit nur sich und seine
Phantasien schätzt and liebt. Als er von diesen Wanderungen
nrückkehrt, seigt es sieb, dass sein Haus leer ist, ihm ein
^hn geboren, aber die Frau wahnsinnig geworden ist, da sie
es sich zu Herzen genommen, dass in ihr keine Poesie sei, dass
«e dem Manne kein Glück bieten könne; bei der Taufe gab
sie dem Knaben statt eines Taufnamens den Namen Dichter.
GroBsartig ist die Scene im Irrenliause, wo sie in den Armen
ibres Mannes stirbt, und von allen Seiten die Stimmen der Irr-
wnnigen gehört worden, welche alle Schlagworte, Losungen,
Fonoeln der Parteien und Theorien jener Zeit wiederholen.
Das Kind wächst auf, krank, hinfällig, frühreif, von der Natur
IQ früher Blindheit geweiht; dos Denken hat seinen Körper
untört. Der Fluch der Mutter hat gewirkt. Orcio ist ein
334 TierteR Kapitel. Die Polen.
Dichter, und wenn man ihn zu beten zwingt, so schiebt er in-
folge eines anüherwindlichen Triebes in die Worte des Ge-
betes Bilder ein, die sich in seine Phantasie drängen. „Ge-
grüsset seist dn, Mutter Gottes Maria, Königin des HimmelB,
Beherrscherin von allem, was auf Erden blühet, auf den Fel-
dern, an den Bächen" . . . Krasiüski hat eich selbst, sein Leiden
und sein Seelenleben in diesem Orcio dargestellt. Inzwischen
vergehen Jahre und es nähert sich für die alte Gesellschaft
der Tag des Gerichts und der Abrechnung, im Leichnam
haben sich Würmer eingenistet, das Banner der blutigen socia-
len Revolution ist erhoben. Dass das zeitweise Erscheinen des
rothen Gespenstes zu den nicht unbedingt beseitigten Möglich-
keiten in dem Entwickelnngsgang unserer Civilisation gehört,
unterliegt kaum einem Zweifel im Hinblick auf den Convent,
auf die Utopien des Jahres 1848, auf die Internationale und anf
die Erdbeben, welche von Zeit zu Zeit den Boden Russlands er-
schätteni. Die Gefahr ist vorhanden, aber man begegnet ihr da-
durch, dass man zur rechten Zeit geeignete Massr^eln ei^eift
KrasiAski als gebomer Gegner entfesselter Elementarkraft«, fühlt«
(He Gefahr voraus und übertrieb sie sogar. „Aue was für Leoten
willst dn die französische Republik zusammenstellen", schrieb er,
„aus den herrschenden Kaufleuten, oder aus den Arbeitern?
Ausser ihnen sehe ich keine" (1834, Briefe, S. 9). In dem
„Unvollendeten Gedicht", das eine spätere Bearbeitung der Idee
der „üngöttlichen Komödie" bildet, legt Ktasifiski Dante fol-
gende Worte in den Mund : „Als ich lebte, gab es Arbeiter and
die Banner ihrer Zünfte wehten auf den Zinnen der Thürme:
sie handelten mit Purpur und Edelsteinen auf den Märkten,
aber sie trugen Schwerter im Gürtel und Rosenkränze, ilwe
Hand wusste auf hohen Wellen das Steuer zu lenken, auf dem
Festlande uneinnehmbare Festungen zu bauen. Sie nahmen
Silber, aber wuschen den Schmuz davon durch das Blut der
Schlachten ab. Was werdet ihr mit Fingern machen, weich wie
Wachs, mit Lippen, die nie ein Gebet gesprochen haben, ohne
irdische Kraft und ohne HofFnung auf Gott, ihr, die ihr nur nach
Geld dürstet?" An der Spitze des siegreichen Pöbels steht Pan-
cratius, ein mächtiger Dictator, mit kaltem Sinn, eisernem Wil-
len, grosser Verachtung gegen die ihm blind folgenden Menschen.
Auf der andern Seite haben die Verhältnisse den Grafen Hein-
rich in den Vordergrund gestellt, und ihm als kräftigen and
ü,g :.._.. ..Google
Sigismund EresiDskt. 32Ö
eoergiiicheu Mauu die Herrschaft aud deu Oberbetebl über die
letzten Kämpfer der alten Ordnung gegeben, — die Ueberrestc
der Adelükaate, der Geistlichkeit, der an der alten Iteit Längen-
lieu Bauern, welche in ihrer letzten VcrBchaiizung uingeHchloä-
sen üiod, dem Fort der Heiligen Dreieinigkeit.' So stark I'an-
iTatios auch in materieller Beziehung ist, so mochte er doch
über den Uegner einen moralischen Sieg erlangen, ihn zu einer
ehrenTollen Capitulatiou bewegen. Er sendet zu Heinrich, um
eine Zosiunmenkunft zu erbitten, andererseits besucht Graf Hein*
nch im Geheimen das Lager des Pancratius, die Versammlungen
verschiedener Gubs, wohnt den Ceremonien der neuen Religion
bei, die von dem Seide des Pancratius, dem Saint-Just desselben,
Leoßhard erfunden worden ist. Es erfolgt nun in dem Fort
der Heiligen Dreieinigkeit die Zusammeukunft der Vertreter der
iwei Principien, Menschen, die gleich herrschsüchtig sind, in
lleicher Weise diejenigen verachten, denen sie befehlen, und
^eicb wenig wählerisch iu deu Mitteln sind. Die Situation
ist die , wie in Hugo 's „Quatre-Vingt-Treize" zwischen Cimour-
dtin und Lantenac, wenn man sie zusammenführte und strei-
ten Hesse, aber diese letztem sind Fanatiker der Idee, während
weder Pancratius in Wirklichkeit an seine Utopie glaubt^,
noch Heinrich an die abgelebten Ideale seiner ßasse und Kaste.
Gt»f Heinrich schwankt sogar, als Pancratius, den Finger unter
das Herz desselben legend und den Nerv der Poesie berührend,
m ihm sagt: „Wenn du die Wahrheit aufrichtig liebst und sie
gesacht hast, wenn du ein Mensch nach dem Bilde der Mensch-
heit bist, und nicht nach der Art der Ammenlieder, so wirf
alles hin und folge mir nach." Aber eine Uebereinstimmuiig
ist nicht möghch. Beim Weggehen stosst Pancratius auf der
Schwelle einen Fluch aus, der allem Abgelebten gilt. In der
letzten Schlacht befiehlt Heinrich, die Füi-sten und Grafen, die
ihn bitten, Verhandlungen über die üebergabe einzuleiten, mit
' Das Kurt uxigti|-t wirklich aiti ÜnSsti- bei Chuliu. llici' schlug Kazi-
mir PulawRki mit den Confoderirteu von Bar die ruseisuhen Ti'uppen zurück.
Wir bemerken, ilus Krasiiiaki sciue JugeiKljahi'o iu der Nabe dieser Orte,
M Ddnajewue, vurbracbtc.
' „Sage mir, woiiin du glaabal, — du kannst leiiibtur dax Leben aul-
gelKD, als einen neuen Glauben erfinden" (Einleitung in die „Uugöttlicbe
KotnOdie").
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326 Viertes Kapitel. Die Polen.
Bajonetten auf die Mauern und Schanzen zu treiben; en ver-
fluchen ihn, sterbend, sogar seine treuen Diener wegen seiner
Halsetarrigkeitj neben ihm fällt, von einer Kugel getroffen, sein
blinder Sohn, er selbst stürzt sich von der obem Terrasse des
Schlosses in den Abgrund, nachdem alles untergegangen itst. Auf
die verödete Terrassu steigen Pancratius und Leonhard. Pan-
cratius fühlt, dass er nur die eine Hälfte der Arbeit vollbracht
habe, dass man diese Bäume bevölkern, ein irdisches Paradies
schaffen, dahin wirken müsse, dass irisches Leben pulsire, wo
nur Buinen und Leichen sind. Aber in diesem Moment er-
schreckt ihn ein drohendes Zeichen : eine auf den Wolken Bchwe-
bende Erscheinung, eine schneeweisse Gestalt, die sich auf ein
Kreuz stützt, mit einer Domenkrone aus geflochtenen Blitzen.
Von den auf ihn gerichteten Blicken dieser Erscheinung siukt
Pancratius todt in die Arme Leouhard's mit den Worten des
Julian Apostata: Galilaec, vicistit Die Erscheinung, die Fancratiuii
deu Tod bringt, ist die in der Gestalt Christi erscheiueude Wahr-
heit der Zukunft ', von welcher sowol der thierische Utilitarisnius
der Lehre des Paucratius als die Kasten vorurtheile, fiir welche
Graf Heinrich in Kampf und Tod geht, gleich weit entfernt sind.
Das Herz des Dichters neigt sich freilich Heinrich zu; obgleich
er ihn vemrtbeilte, so drückt er sich doch in dem Briefe an
GaszyAski, worin er diesen bittet, die „TJngöttliche Komödie"
herauszugeben und sie einer ängirten Person Firlej zuschreibt
(21. November 1833), in folgender Weise aus: „Es ist ein«
Vertheidiguug dessen, wogegen viele Habeuichtse ihre Hand aus-
strecken, nämlich der Beligion und des Buhms der Vergangenheit."
Danielewicz hat dazu die Bandbemerkung gemacht: „Das Werk
wird keiner einzigen Partei gefallen, kaum jemand wird es
verstehen, vielleicht werden es alle schelten" (Kr. rodz. 1874,
S. 309). In Born lebend, erwartete KrasiViski mit Ungeduld,
welchen Eindruck seine in der Herausgabe verspätete, nach Paris
gesandte „Komödie" machen werde; inzwischen beschäftigten ihn
schon andere Ideen, und er schrieb in Prosa, wie auch alles Vorber-
1 S. Kronika rodr.. 1875, S. :t6. lirief vum 1. fulu-uw 18:17; „Im Re-
publikenismus ist nicht der ganüe Geist der Mcnachheit unthaltcu, über dem
Sturme ragt etwM Vollkonmneres empor, äitUiohkeit, Ordnnng, Uannonie.
Alles das, wofür, falls man ein Symbol verlangt, es Eur Zeit kein aaderec
gibt, ab du Chriatenthum."
...., Google
Sigismund EraBinski. 327
gehende, eine gemieclite Dichtung — halb Epos, balb Drama aus
der Geschichte der römiscben Kaiserzeit: „Iridion" („Irydion",
beransgegeben zu Paris 1836) S die trotz de& antiken Costüms
der handelnden Fersouen iu nüchEter Venvandtschaft zu Mickie-
wicz's „Wallenrod" steht und in der Anwenduug auf das Natio-
nale eine vollständig entgegengesetzte Lösung der von Mickiewicz
gestellten Aufgabe enthält: ob für die Restauration, in der alle
Vorhaben des Patriotismus aufgingen, das Gefühl der lUcbc,
deren ideale Verkörperung „Wallenrod" und deren praktische
die Arbeiten der Emigration waren, ein geeignetes Mittel sein
könne.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass in der alten Welt die
ewige Stadt das Beispiel eines schonungslosen Aussaugens der
Lebenskräfte einer zahllosen Menge von Culturen und Völker-
äUmmen bietet, unter andern auch der hohen grieclüscben
Callur. Üa» Gefühl des Hasses und der Rache, weichet; Haa-
libal und Mitbridates beseelte, konnte »owot bei den Darbaren
fe Nordens wie bei den Griechen vorhanden sein. Ein solcher
mmebmer Grieche, ein geschworener Feind Roms, Amphilochus
flermes, ward auf der Kimmerischen Halbinsel mit einem
der nonnannischeu Meereskönige, Sigurd , verwandt, indem
er sich mit der weissagenden Priesterin Odiu's Krimhild ver-
mählte, und erzog im Geiste des Hasses seinen Sohn Iridion
und seine Tochter Elsinoe, bei denen sieb, in der Eigenschaft
ihres Lehrers, eine geheimnissvolle Person, der greise Numidier
Massinissa aufhält. Das gastliche Haus des Iridion steht
nicht nur den römischen Würdenträgern und Magnaten, sondern
auch Griechen und Barbaren offen. Die Gelegenheit zur Aus-
führong langgehegter schlimmer Pläne war dem Anschein nach
gekommen , da zum Beherrscher der Welt der böse , aus-
schweifende, wahnsinnige Heliogabal geworden war, auf den ein
nobedingtcr Eiu&uss zu gewinnen war. Iridion bringt die
Schwester der Sache zum Opfer, indem er sie dazu bestimmt,
das Schicksal und das Bett des Kaisers zu tbeilen. In dem Kai-
ser weckt sie Verdacht gegen alles, was ihn umgibt, veranlasst
' UeutHch vou A. Mauritius (= Dr. JuuhiiiuB), Luriiii 1»46; von Tu-
lunns GermanuB {— Dr. JuuhmuH], Leipzig 1817 (Ülosau Titulausgabc
dea vorigen; s. L. Kui'tzmanu, „Die poln. Literatur iu Duutsulilanil." Posen
1881.)
.....Gooj^lc
328 Viertes Kapitel. Die Polen.
ihn, sich dreist ihrem Bruder anzuvertrauen. Vollständig über
deu Kaiser verfügend, Gucbt Iridion diesem Syrer, dem Mitra-
Priester, begreiflich zu machen, dase sein schlimmster Feind
jener altrömische Geist sei, der solange besteben werde, wie
die Siebenbügektadt , dass es also nothig sei, diese Stadt m
vci-nicbtcn und in die Heimat Heliogabars, den Orient, ku
ziehen. Alles ist zum Cmsturz' vorbereitet, ganze Scharen von
Barbaren, ganze Trupps von Gladiatoren, unter denen sich die
enterbten Nachkommen der adeligen Familien der Scipioncn
und Vcrres bergen, warten nur auf das Signal. Ein Widerstand
liisst sich von den Prätorianeru und vom Heere, von den Be-
wohnern Borns und dem niedem Volke, und von dem kleinen
Häuflein von Leuten, den Vertbeidigern der altrömiscbeu, noch
aus den Zeiten der Republik stammenden Politik und Traditiuii
erwarten, welche sich um den Neffen des Kaisers, Alexander Sc-
verus, scharen, und an deren Spitze die Verköi-perung der alt-
römischen Tapferkeit, Ausschliesslichkeit und Würde — Ulpiuu
steht. Aber die entscheidende Bedeutung in diesem Attentat auf
Rom bat nicht der Kaiser noch die Haufen der Söldner, ja nicht
einmal die Cohorten der Prütorianer, sondern die Katakomben, d. i.
die christliche Welt, welche dort den Nazarener verehrt. Alexan-
der Scverus und seine Mutter Mammaea sind heimliche Christen-,
aber Ulpian ist anderer Meinung: er glaubt, dass sich die Stadt
nur durch das halten könne, wodurch sie erwachsen sei, — durch
die unerschütterliche Mannhaftigkeit und durch die geheinmiss-
vollen Ceremonien der Ahnen. Geführt von MassinissH, dringt In-
dien in die Katakomben ein, empfängt die Taufe und den Namen
Hieronymua, bringt eine Spaltung in der Kirche hervor, und
reisst durch seine leidenschaftliche Rede die Neubekehrten unter
den Christen, h itzige junge Leute, Sklaven, Barbaren, Fremdlinge
aus dem ägyptischen Theben mit sich fort. Als seine hauptaich-
lichen Genossen erscheinen Simeon von Korinth und die um
ihrer Heiligkeit willen gefeierte edle Römerin Cornelia NetelU
(„um das überirdische Reich in menschliche Leidenschaften hin-
ein zu verkörpern — dazu ist ein Weib nöthig"), die er ab*
sichtlich betbort und veranlasst, als wäre es eine Eingebung von
Oben, die christlichen Brüder zu den Waffen zu rufen, zur hei-
ligen Rache. Unter den Flammen des Aufruhrs, die in den
Katakomben ausbrechen, erscheint auch Massinissa, der immer
räthselhafter wird und sich jetzt nicht mehr über den beTor_
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Sigistnund Krnsiiiaki. 32!*
»ttbeudeu Momeut von Roms Untergang freut, tiundci'H darüLer,
<JiU)S iu den Hcrzeu der Christen Glaube , Hoffuung, Liebu
getrübt sind; dass „von da an kein Tag vei^eheu wird, ohne
ilaüs sich die Menschen über die Eigenschaften und die Na-
ineu Gottc» streiten, ohne dass sie in seinem Namen sich Belhst
uDil einander verbrennen und morden, ohne dass sie Chiistus
iuifi neue kreuzigen durch ihre Weissheit und ihre Thorhcit,
Jurch ihre Vernunft und Unvernunft, durch die Denmth ihre^
(iebets und durch die Lästerungen ihrer Einbildung." Im ent-
^hcidenden Moment scheint es, als ob Massinissa dem Iiidion
sogar untreu würde: „0 Rom, ich segne dich, du bist gerettet
Bju deiner Gemeinheit und Grausamkeit willen."
Die Katastrophe tritt ein: während der Kaiser die ganze Ge-
walt IridioD übergeben hat, dessen Gladiatoren und tiöldliiige
Bom an allen Enden anzünden , stellt der Bischof Victor in den
Katakomben seine erschütterte Macht wieder her, schleudert den
Hoch gegen Simcon und Iridion. Metella stirbt reuevoll. Iridiou
«irft das Kreuz von sich und reisst die Barbaren mit sicli
fcrt, welche rufen: „wir sind dir treu, hernach möge uns Jesus
richten". Der Bischof Victor befiehlt für Alexander Severus zu
beten. Unterdessen dringen die Pratcrianer in den Palast des
Kaisers ein, iudcm sie den Severus zum Kaiser ausrufen; He-
liogabal wird in Stücke gehauen, Elsinoe ersticht sich selbst.
Severus sendet ihre Leiche dem Bruder, mit dem Versprechen
der Verzeihung, wenn er sich unterwürfe. Statt einer Antwort
an den mit dem Antrag gesandten Ulpian wirft Iridion einen
geweihten, mit dem geheimnissvollen Namen Roms versehenen
Ring, — einen ihm vom Kaiser anvertrauten Talisman, ins Feuer.
Ulpian geht fort, indem er den Uebelthater zur aquae et ignis
interdictio vcrurtheilt. In der letzten Minute erscheint auf
dem Scheiterhaufen der Elsinoe neben Iridion der während der
Peripetie der Handlung verschwundene Massinissa und will ihn
retten. „Wer bist du?" — „Ich bin unsterblich, ich bin ein
tiott", antwortet der Greis und verschwindet mit Iridion. Nach
Krasinski'a eigener Erklärung (Brief 1837, in Krou. rodz. 1875,
S. 98) ist Massinissa eine Art antiken Mephistophcles — eine
^mbolischo I'ersonification des Princips des Bösen, des Piincips
dw Negation, jene Finsterniss, ohne die es kein Licht gibt, jenes
unbegreifliche satanische Unbekannte, das uns ewig mit dem Ge-
beimoissdecUaendlichkeit schreckt, bis wir es erkannt haben,
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330 Viertes Kiipilel. l>ie Polen.
aber 8ic)i jeden Augeublick in etwas änderet) verwandelt und als
nothwcndigGr Factor in die Welt und in die Harmonie gehört.
Massinissa. trägt Iridion weit von Rom weg, in destien Herzeu
der Scbmei';! der mislungenen Rache zurückgeblieben ist und in
dessen Ohreu die Stimme der sterbenden Metella als Vorwurf
tönt. Iridion würde gern den Gott der Metella verehren, aber
Maseini&sa ist ein grösserer Teind des Kazareners als Rom», weil
jener den alten Himmel und die hinfällig gewordene Erde iu
Beiiitz genommen bat, doch gibt es nocli Räume, wo sein Name
nicht existirt; weil er den kaiserlichen Purpur anlegt; weil die
Menschen deu Nordens ihm zu Füseeu fallen und in einen kin-
dischen Zustand kommen werden, und „Rom" zum zweiten mal
vergöttert werden wird. Iridion versenkt er in einen vielhun-
dei-tjährigen Schlaf und gibt ihm das Wort, ihn zu wecken
und die Erfüllung seiner innigen Wünsche zu zeigen, wenn auf
(lern Forum nur Staub, im Circns nur Schutt und auf dem Ca-
jiitol nur Schande sein werde. Massinissa hält Wort, führt den
wiedererweckten (kriechen auf der Via sacra ins päpstliche Rom
der dreissiger Jahre des 19. Jalirhunderts. Am Porticus der
Peterskirche setzen sich zwei Greise mit grauen Haaren und iu
rotheu Mänteln, von den Mönchen mit dem Namen von Kirchen-
fürsten geehrt, aber geistesarm, in einen Wagen, gezogen
von dürren Gäulen, hinter ihnen ein Diener mit einer Laterne,
wie sie eine Witwe über ihren vor Hunger sterbenden Sohn
hält, auf den Rahmen der Wagenfenster sind Spuren von Ver-
goldung — das sind die Erben des Kaisers, das ist der Wagen
der Fortuna des Capitols. Auf dem Forum schlafen zwei Bett-
ler unter den Lumpen eines Mantels — das sind die Rest«
des römischen Volkes. Auf der Arena des Goloeeeums er-
scheint der Geist der Metella, und es beginnt ein Kampf um
Iridion zwischen Massinissa, der sein Itecht auf ihn geltend
macht, weil er Rom hasste, und Metella, welche diese Seele
wegen ihrer Liebe zu Hellas vertheidigt. Iridion ist gerettet und
wird veranlasst, noch einmal zu leben, unter den Menschen
zu leiden, indem er sie liebt und niemand hasst. Das Land
der Gräber und der Kreuze, wohin Iridion gesandt wird, ist
nicht genannt, aber der Dichter versteht darunter sein eigenes
Vaterland. Sozusagen in der letzten Zeile liegt der patriotische
Grundgedanke des Werks versteckt, ahstract, theoretisch ausge-
führt, wenig verständlich für die Zeitgenossen, denen ausserdem
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Sigismiind KrasiiiHki. 331
der Xarae KroeiAski's Lei der Anonymität seiner Wei'kc voll-
ätändig unbekannt war.
Iridion ist das Hauptwerk der ersten Manier Krasiiiski's, der
^mbolisirenden, die in seinen Werken durchgängig Lis zum Jähre
1040 herrscht, und zu der auseer der „Ungüttlicheu Komüdie"
DDi] „Iridion" noch die folgenden Prosadichtungen gehüren:
„Urci Gedanken des Ligenza" (herausgegeben 1B40), „Die Sommer-
nsclit" (herausgegeben 1841), „Die Versuchung" und ein grosser
Tbeil des „Unvollendeten Gedichts",
Ehe wir den Inhalt dieser Werke angeben, sei bemerkt, dass
fiudie Weltanschauung Krasiüski's wiederspiegeln, aber nicht sein
persönliches Seelenleben. — Ip diesen Jaliren hatte er viel gelitten.
l'i hatte sich in eine verlieirathete Frau mit Kindern verliebt; die
(orreepondenz liel in die Hände von Leuten, die sie veröffentlichten ;
die von ihm geliebte Frau beschloss zu ihrem Manne zurück-
lokehren, den sie seihst über ihre Beziehungen zu dem Dichter
benachrichtigte (Spätherbst 1835). Nach Ablauf des in Wien ver-
Inuhten Winters traf KrasiAski mit ihr noch zweimal wieder in
Ödem (1837 und 1838) zusammen. Krasiüski's Vater, der mit
dieser Neigung unzufrieden war und den Sohn vornehm und
Ttädi zu verheirathen suchte, rief ihn ins Königi'cicli Polen, aber
ik er ihn weder durch Bitten noch durch Zwang zu einer Los-
sage zu bestimmen vermochte, fuhr er zu der Frau, von der er
den Sohn losreissen wollte, und erlangte von ihr einen Brief, durch
Teichen sie selbst die Verbindung mit Sigismuiid aufhob. Von
it an bat Sigismund Krasinski keine directen Beziehungen mehr
ni ihr, und forscht nach ihr durch seinen Freund Jaroszynski. '
Seine Beziehungen zum Vater erka,Iteteu; er bittet bei Jaroszynski
nm ein Gelddarlehen, um sich nicht an den Vater zu wenden.
Sein Gefühl zu der Frau, die er fortfährt zu lieben, gleicht mehr
einer Liebe aus Gewissensptliclit, verbunden mit Mitleid und mit
einer nicht von Bitterkeit freien Erinnerung, dass er zur Ver-
ichlinunerung ihrer ungliicklichen Lage beigetragen habe. —
Krasinski grämte sich sehr; sein Herz litt sowol von persönlichou
Unannehmlichkeiten als von der Bemoralisimng im ganzen Volke,
dwan, daMJ „alles um ihn henun flach, verkäuflich, gemein ge-
worden war", dass „wir mehr und mehr den Juden älinlich
' Ijsty Z. Kruidekiego do Kdw. Jarüszynekiegu, S. 30. 31.
ü,g:..a., Google
332 Viertes Kapitel. Die Polen.
werdeil", die Leicbentlocke immer dunkler und duukler bervor-
trtiten (Przegl^d Polski 1877, Jau. 86). Er war auch pliysiscli
krauk: iu den Augen Wimmerten schwarze Hecke, die Kerreji
waren zerrüttet, zuweileu zog ihn etwas zum Selbstmord hin, an
den er mit einer gewissen Wollust denkt. „Die materielle Welt
vordoppelt sich in meinen Augen, die sittliche Welt birst udiI
bricht in meinem Geiste und in meinen Herzen in hundert Stücke
(94). Die einzige, wenn auch nur zeitweilige Freude machte
ihm der Genuss von Werken der Kunst, das Leben in einer
Welt, völlig verschieden von der, die ihn umgab. „Dann fühle
ich, dass ich noch nicht ganz vei*&ult hin, dass noch ein Funke
iu meiner Brust glimmt; es ist nicht meine Schuld, wenn daraus
keine Hamme bei'voi^eht. 0 Gott! Ich danke dir, dass du auf
der Erde die Gemeinheit durch die Poesie ausgeglichen hast" (93)-
Im Jahre 1839 eilt Krasiiiski nach Italien, das mit seinen Ruinen
und Reminiscenzeti immer belebend auf seine Schöpfungskraft
wirkte. Diesmal ervdes sich auch dieses Mittel als schwächer.
„Ich habe in einem Monat ganz Italien durchreist", schreibt
er an Jaroszyäski 16. Juli 1839, „von Venedig bis Neapel, und
habe seine Schönheit verstanden, aber nicht empfunden; ganz
entgegengesetzt war es in frühem Jahren." In Neapel aber
erwartete ihn eine neue Bekanntschaft und eine neue Verbin-
dung, die ihu dazu brachte, die frühere zu vergessen und sicli
einer neuen Geliebten anzuschliessen , leidenschaftlich und tiir
immer. „Du weisst", schrieb er an Soitan, „dass, wenn ich einem
Wesen begegne, das keinen Trost bedarf, ich auf den Sieges-
lauf desselben sehe, wie auf ein Schauspiel, aber mich ihm
nicht nähere, mir genügt, es zu betrachten wie die Mediceische
Venus. Das ist der Grund, weshalb ich Mädchen Siehe: so biu
ich nun einmal geschaffen. Etwas anderes ist es, wenn ich auf
einer Stirn die Trauerspur des Lebensgleises gewahre." * Iu
den ersten Briefen aus Neapel gedenkt er im Vorübei^eheii
ausser andern Damen auch der von ihrem Manne geschiedenen
Frau Delphine P., und zwar ziemlich geringschätzig. ^ Dann zeigt
es sich, dass sie sich einander genähert haben: er schaute in sie
wie in einen Spiegel, der zuweilen die Züge der frühern Haria
i'cilectirte; sie sagte sich, wenn sie mit ihm sprach, vom Pariser
' Przefil^il pobki 1877, Januar Ü. 101.
' Liüiy ilu Jaruez., ä. 21 ; Uiiuf vom 20. Jau. 1
..., Google
Sigümund Krasinski. ^^33
T(H) los, und theilte ihm betrübt ihr Schicksal mit, wobei sie sich
als eine stolze Fran zeigte, die nicht um Mitleid bittet. Alsdann
Tnrde KrasiAski vom Typhus befallen, seine neue Bekannte
fSegte ihn mit der zartesten Fürsoi^e. Am 16. März 1839 schreibt
Krasinski aji SoHan, d&ss er sie aufrichtig liebe nnd „auf immer".
So mittheilsam er über Maria gewesen war, so wenig wird er
ee jetzt, alle Ergüsse an Freunde über die neue Leidenschaft
hören auf. Dagegen zeugen von dieser Leidenschaft die nach
dem Tode des Dichters herausgegebenen lyrischen Bruchstücke,
die gewissermassen das Präludium zur „Morgendämmerung"
fnPrzedäwit"), zu einer neuen Manier Krasinski's bilden, und an
diejenige gerichtet sind, welche er, im Hinblick auf die Geliebte
DsDte's, seine Beatrice nannte. ' Wenn man jene Fr^mente bei-
säte lässt und nur bei dem stehen bleibt, was herausgegeben ist,
so enthält es nicht Erlebtes, sondern ist nur von derselben allge-
memen Stimmung des Grams durchdrungen, ist voll der finster-
en Voi^efiihle über die Zukunft, aber nicht der eigenen, son-
ktn der der gesammten Welt, voll der unbestimmtesten Hofl-
nmgen auf eine nnermesslich ferne Zukunft. — Der Nebel der
Sfnbolik wird immer dichter und dichter. In den „Drei Ge-
danken Ligenza's" („Trzy myäli"; Ligenza ist ein Pseudonym,
mr Verdeckung des eigentlichen Namens) gehört die Einleitung :
.,Der Sohn der Schatten" („Syn cieniöw") schon zu der Gat-
'oDg derjenigen metaphysischen Gedichte, an denen die spätere
Poesie Krasinski's so reich ist, und welche die Menschheit in
der Gestalt eines Titanen darstellt. Der „Traum Cezara's"
(„Sen Cezary") stellt den Todeamarscb seines eigenen Volkes dar
and dessen vom Schicksal verhängtes Verschwinden im Grabe.
'Ans ,JUeme Beatrice", eio Gedicht, bezciuhnet mit Nenpel 1839:
„Wieder fühle ich, wie sich eine Scblnuge um mich windet.
Wieder fühle ich einen mich hinreiHSenden Gott,
Der Traum des Todes verschwindet, und in den Räumen des WeltnlU
Ertönt von allen Seiten ein Hjmiins der himmlischen Höhen.
Wieder schlägt das Herz, wieder ist es Frühling, ich rieche den Dufl
Der Rote, höre den Gesang der Vögel .... Mein Segel wird wi'ins
Wie ein Banner, unter mir ist dan lasiirno Meer ....
München 1840, iu Krou. rodi. 1873, S. llit :
„Beide sind für mich eine einige, heilige, weisne Erscheinung, nur
nriger bin ich in der Liebe geworden und an die Ewigkeit meines Ideals
gUnbe ich."
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334 Viertea Kapitel. Die Polen.
Im dritten „Gedanken", unter dem Titel: »Die Legende"
(„Legenda") ist sogar das Ende des römischen KathoIiciBmus
l)ropliezett. — Der Ort der Handlang ist die römische Campagns.
Am Ufer des Meeres ist ein Damp&chiff gelandet, auf ihm eine
Schar von Pilgern in rothen Mützen und weissen Mänteln; die
Pilger fragen, als sie aussteigen: „Wo ist Rom? wir ränd die
Ueberreste der polnischen Szlachta, uns ist befohlen worden, in
die Kirche des heiligen Petrus zu kommen, weil heute der
letzte Weihnachtsabend ist." — Ganz Rom steht in Feuer, un-
zählige Volkshaufen strömen zu der Kirche des heiligen Petroe.
jenen letzten Heroen der Erde den "Weg versperrend, aber auf
einen Wink des heiligen Apostels JohanneB, der in der Gestalt
eines jungen Cardinais erscheint, werden sie durchgelassen.
Es beginnt die grosse Messe des Papstes, der junge Cardinal
assistirt, und verkündet, dass Christus geboren sei. „Ist es
wahr, dass es das letzte mal ist?" fragen die Pilger. — Mitten
unter der unbeendeten Messe erklärt der junge Cardinal, das«
sich die Zeiten erfüllt haben, ruft den heiligen Petrus aus dem
Grabe, verkündet ihm, dass es von nun an ihm, dem Johannefi,
gegeben sei, die ganze Welt in seine Arme zu schliessen, dar-
nach räth er den Andächtigen, sich zu entfernen, weil die Ge-
wölbe der Kirche zu bersten begönnen. Die Volkehanfen äiehen
voll Schrecken dem jungen Cardinal nach; in der Kirche bleiben
uur der Papst und die Phalanx der polnischen Pilger, die da
sagen: „es geziemt sich nicht für uns den Greis zu verlassen",
und die Schwerter mit der Schneide nach oben über dem Haupt*
des Papstes erheben. — Die ganze Kirche verwandelte sich in
einen Ruinenhaufen, auf den sich der junge Cardinal, der sich in
einen lichtstrahlenden Jüngling verwandelt hat, mit einem Buche
in der Hand setzt. Den ihn fragenden Dichter beruhigte der
heilige Johannes damit, dass von nun an Christus weder geboren
werde noch sterben werde, und den Todten werde es der Herr ver-
gelten, dass sie dem Greise die letzte Pflicht erwiesen hätten. —
In der „Versuchung" („Pokusa") schimmern trotz der syraboh-
Bfhen Form gewisse peteraburger Rcminiscenzen durch. Am myste-
riÖBesten ist die „Sommernacht" („Noc letnia", Paris 1841)',
eimt räthselhafte allegorische Prosadicbtung , auf die er durch
' Deutsch von H. BlumenBtock(Dio8kuren, Wien 1881; PreuBs. Volks-
freund 1844, Nr. 133 fg.).
...., Google
fÜHlismaiid EraBinBlci. JalinB Slowaolci. ;-135
die Zwangeheimtb einiger vornehmer Polinnen mit Ausländern,
nsd dnrcb das tragische Schicksal der Opfer solcher gemiscbter
Eben gekommen war.
Nachdem wir sowol die hauptsächlichsten Lebeneschicksale
als die Werke Krasi^ski's in der ersten Periode seiner dichte-
rischen Tbätigkeit analjsirt haben, wenden wir uns etwas zurück,
ZQm Frühling des Jahres 1836, als er nach der unlängst erfolgten
Trennung von seiner firübem Geliebten aus Wien in das geliebte
Aom übersiedelte, und mit Julius Slowacki bekannt wurde. Ihre
Begegnungen waren nicht von langer Dauer und nicht häufig,
doch aber übten beide einen gewaltigen Einfluss aufeinander
ans; er war von Seiten Krasiüski's auf Slowacki weit stärker als
umgekehrt.
Beide waren junge, lebhafte Leute; am Tage streiften sie in
der Umgegend herum, liebten es auf dem Palatin in den Gärten
der Villa Mills spazieren zu gehen, des nachts führten sie end-
lose und leidenschaftliche Dispute. In Bezug trat die Kraft des
jwetischen Talents stand Slowacki mit seiner feurigen Phantasie
nnd seiner wunderbaren FormTollendung unvergleichlich höher
ak sein um drei Jahre jüngerer Genosse; aber in der Vielseitig-
keit der Entwickelung , der Tiefe und der Concentration des
Deobens hatte Krasinski ein gewaltiges Uebergewicht. Er schätzte
auch den Genossen treffend ': „Hier befindet sich Slowacki, ein
lieher Mensch, begabt mit einer unermesslicben Fülle von Poesie ;
wenn diese Poesie ins Gleichgewicht kommt, wenn er die Disso-
nansen ausgleicht, wird er ein grosser Manu werden. Garczyi'iski,
der von Mickiewicz in den Himmel erhoben wurde, hatte nicht den
dritten Theil seines Talents." Später, als sie sich noch mehr
•»freundeten und als Kowacki's Talent zu voller Entwickelung
(gelangt war, schrieb Krasifiski in einem Briefe vom 23. Fe-
hmar 1840 (Mal. II, 45), dass er nur drei lebende grosse Män-
ner kenne, die bezeugen, dass nicht alles todt sei, was für
todt gelte. Der eine von ihnen ist der Philosoph Cieazkowski,
der andere Mickiewicz — ein granitner Obelisk in der Wüste;
der dritte besitzt alles, was Mickiewicz fehlt, und hat sich
alle Horizonte der Phantasie untertlmn gemacht. Das, was bei
Kickiewicz eine harte, granitne Concentration war, hat sich bei
' Brief vom 22. Mai 1836, Rom ; in Krou. rortz. S. 372 (1874).
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336 ViertcB Kapitel. " Die Polen.
dem letztem in das feine Fluidum der Luft, in ein Spiel von
Regenbage» , in Wellen von Musik verwandelt: es ist ein ge-
wisser Pantheismus in diesem alles reäectirenden Zauberer,
der noch dazu über die polnische Sprache wie über eine gehor-
same und zuvorkommende Sklavin verfügt, die ihm auf Leben
und Tod ergeben ist. Dieser Dritte ist SlowackL „Bisher be-
greift dich nur der grosse Künstler", schrieb Krasinski an Slo-
wacki, „aber du wirst hinabsteigen und durchsickern in die
Herzen der Kinder. Nur das Eine möchte ich dir ratheo: lege
Granit unter deine Regenbogen." Krasiüeki erquickte sich, wie
aus diesem Briefe zu ersehen, an Stowacki, war begeistert von
dessen Talent. Vielleicht haben ihn ^owacki's Beispiel und
Bath dazu vermocht, die Prosa mit dem Vers zu vertauschen,
den er in der zweiten Periode seiner Wirksamkeit in Voll-
kommenheit beherrscht. Darüber hinaus dürfte der Eiufluss
Slowacki's kaum gereicht haben. Was diesen letztem betrifft,
so schreibt er 22. Juli 1838 (Slowacki's Briefe an die Mutter.
1836 — 1848, S. 58): „Schade, dass Sigismund Krasinski nicht da
ist, dessen Gesellschaft in Rom für mich in geistiger Beziehung
einen arzneilichen, heilenden EinfluBS ausübte." Krasinski darf
für den einzigen Menschen in jener Zeit gelten, der im Stande
war, die dichterischen Ideen Slowacki's zu begreifen, ihm einen
Rath zu ertheilen und endlich neue, nichts Bekanntem gleichende
Muster einer ganz eigenartigen, symbolischen Poesie vor Augen
zu stellen. Wie bekannt, lag in der Natur Slowacki's die Ten-
denz, sich wie Epheu um fremde Genialität zu winden. Diese
Hingabe kam nicht sofort zum Ausdruck; von 1834 bis 1838
ist eine Lücke in seinen Publicationen : der Einflass konnte erst
in den Werken zum Ausdruck kommen, welche 1838 und 1830
herausgegeben wurden, während die Freunde schon im Juli 1836
schieden, und für Slowacki eine Episode eintrat, vielleicht die
glänzendste und schönste, die poetischste, die ihn mit der grössten
Masse frischer maunichfaltiger Gefühlseindrücke bereicherte —
seine Reise in den Orient.
Diese Reise ward in Neapel ins Werk gesetzt. Die Familie
Golyfiski bestimmte Slowacki dazu, indem sie die pecuniären Hinder-
nisse beseitigte; den Zweifel loste die Bibel, sie öffnete sich unter
der Iland des Dichters bei dem Vers: „Es grüssen Euch die G^
mciudcn in Asien" (I. Korinther XVI, 19). Die Reise fand znr See
statt mit einem Aufenthalt in Griechenland, mit Ausflügen nach
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Sigismand Kraaii'iaki. Joliua Stowacki. 337
Patras, in die Umgebung voa Athen, mit dem Besuch von Aga- <
memnon's Grabmal zu Mykenä. Griechenland entzückte Slowacki
mehr als Kom, aber aneh jenes verblaaste vor Aegypten. Er bestieg
die Pyramiden, verweilte an den Katarakten des Niis in Nubien,
in den Kuinen auf der Ineel PhilÜ und in Theben. Auf dem Wege
nach Syrien ward er zu El Arish, in einer nackten Sandwüstc in
Quarantäne gehalten, verbrachte eine schlaflose Nacht am lici-
ligeD Grabe, war auf dem See Tiberias und in Damaskus, ritt
■nf Kamelen, war auf dem Libanon und Antilibanon, auf den
Rainen von Balbek, schloss sich freiwillig auf sechs Wochen im
Kloster Belcheschban auf dem Libanon ein, und kehrte aus Beirut
im Juni 1837 über Cypern nach Livorno zurück. Ucber diese
zelinmonatliche Heise schreibt er Folgendes: „Ich habe so viel
gesehen, dass ich nicht begreife, wie meine Augen alles ertragen
konnten, was mein Gesichtssinn aufgenommen hat; viel habe ich
empfunden, habe mich gefreut, bin entzückt gewesen, habe ge-
weint." Er Uesfi sich in Florenz nieder, reich an Erinnerungen,
Iir ihn interessirten sich Herren und Damen der Gesellschaft
infolge seiner Erlebnisse an wenig bekannten Orten; er brachte
hier anderthalb Jahre zu und reiste erst 1838 nach Paris einer
dahingeschickten Dichtung nach, mit einer Menge anderer im
Portefeuille. ,4ch gehe", schreibt er, „mich vor meinem König,
Jem Ruhm, zu verneigen, nachdem ich mich für seinen bis zum
Tode treuen Narren erklärt habe" (Listy Slow. II, 44; .1837,
3. October). Natürlich wurde in diesen anderthalb Jahren vieles
geschrieben, was im Orient vermerkt war, aber es wurden auch
alte, znrückgelegte Sachen durchgenommen und verbessert, Ar-
beiten, die zu Genf oder Rom oder Sorrent, wohin Slowaelci
auf einen Monat von seinen Verwandten floh, begonnen waren.
In den letzten Monaten seines Aufenthalts in Florenz intcrcH-
Birtc sich fiir ihn die schöne, verwohnte Tochter des sehr reichen
(intebesitzers M., Angela, aber trotz des Entgegenkommens der
Aelteru, die sich zu der Neigung ihrer Tochter anscheinend wohl-
wollend verhielten, und vielleicht gerade wegen dieser Avancen
wies Slowacki den Antrag zurück, aus Furcht, in den Verdacht
eigennütziger Absichten zu kommen. Unterdessen hatten sich seine
Familienverhältnisse sehr zerrüttet. Krasiöskl brachte ihm Ende
lU^ die traurige Nachricht, dasa Theophil Januszowski nach
seiner Rückkehr in die Heimat nach Perm verbannt worden sei,
und dass sich Slowacki's Mutter vor der Untersuchungscommissiou
rini, siBTUsha Lltentaieo. U, 1. ^
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338 Viertes Kapitel. Die Polen.
in Kiew habe Terantworten miissen, Bowie jeder Möglichkeit be-
raubt sei, mit dem Sohne zu correspoDdiren und ihm die be-
scheidenen Mittel zu senden, mit denen er sieb unterhielt. In
dem für ihn verhängnissvollen Jahre 1838 selbst physisch v'te
moralisch leidend, suchte Krasifiski doch den Freund nach Mög-
lichkeit zu trösten, der seinen Dank in den Versen: „An Sigis-
mund" aussprach. Slowacki siedelt nach Paris über und be-
ginnt seine originellsten und glänzendsten Werke herauszugeben,
die einen bessern Absatz finden als die frühem. — Es waren
die folgenden.
Vor allem die aus Florenz gesandte Prosadichtung „Änhelli"
(Paris 1838). Stünde nicht auf dem Titel der Name des Ver-
fosserR, so könnte man geradezu sagen, Krasinski habe dies«!
Dichtung geschrieben, so sehr ist sie im Gegensatz zu der
ganzen Manier Slowacki's, der überhaupt grelle Farben und
starke Leidenschaften liebte, voll Nebel, Symbolik, Allegorie
und einem grenzenlosen stillen, die Seele beklemmenden Kum-
mer, der niemals in einen Schrei der Verzweiflung übergeht,
aber auch keinen einzigen Strahl der Hoffnung auf persönliches
Glück durchläsat. Malecki setzte diese Dichtung in die genfer
Zeit (1835), doch thut er dies auf blosse Vermnthungen bin,
ohne positive Beweise. Wenn man erwägt, dass sich in Sio-
wacki's Correspondenz keine einzige directe Andeutung findet,
wann die Dichtung verfasst ist; dass er nach der Zasammen-
kunft mit Krasinski vieles, nicht einmal dem Titel nach bekannte,
in Sorrent, Belcheschban, Beirut und Florenz geschrieben hat ; dass
die Dichtung in Prosa verfas&t ist, in einem Stil, der allerdings an
die Bibel erinnert, aber auch an die „Uugöttliche Komödie" ond
an „Iridion", mit Bildern, die denen Dante's ähnlich sind, aber
auch die Manier Krasli'iski's in den zwei genannten Werken des-
selben reproduciren ; dass die Grundlage der Dichtung oin breites
philosophisches Schema bildet, wie Slowacki es früher nickt
hatte, wie es aber die stehende Grundlage aller Werke Kra-
sinski's bildet; dass Krasinski schreibt, Slowacki habe ihm
„Balladyna" in Rom gezeigt (Kra«iä&ki's Brief 23. Februar
1840; Mal. II, 46), aber nichts von „Anhelli" erwähnt, während,
wenn das Stuck damals fertig gewesen wäre (1837), Stowacki es
ihm gewiss vor allen vorgelegt haben würde; dass die Allegorie,
welclie das ganze Wesen des „Anhelli" bildet, als Element der
Poesie Slowacki's in den folgenden Werken desselben schwächer
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Julian Stowacki. S.IO
wird,— 80 musa man zugeben, dass „Anhelli" eine Entlehnung
nnd Nachahmung ist, aber eine so talentvolle, dass sie die Zeit-
genoasen überraschte und fesselte trotz ihrer Unklarheit. Kra-
mski war davon entzückt und schlug nach dem Tode Slowacki's
Tor, auf dessen Grabmal nur die folgenden Worte zu setzen:
.,Dem Verfasser des «Anhelli»".
Unter der Gestalt einer Phantasniagorie bei Mondschein-
Menchtung enthält die Dichtung eine Art Philosophie des pol-
nisrhen Leidens und der Emigration im zweiten Viertel des
19. Jahrhunderte. Der Dichter meidet absichtlich das Reale und
sjmbolisirt seine Gedanken, indem er sich nach Sibirien ver-
setzt, das übrigens mit dem wirklichen Sibirien so wenig gemein
hat, wie dieses mit dem Montblanc gemeinsam hatte, mit dem,
wie wir gesehen haben , die Phantasie des Dichters beide Vor-
stellungen verband. „Und die Verbannten kamen ins sibi-
rische Land , bauten ein Hans, um zusammen zu wohnen . . . -
md die Regierung gab ihnen Frauen, damit sie heiratheten,
nil im Urtheilsspruch gesagt war, dass sie zur Ansiedelung
geschickt seien" ... In diesem phantastischen Sibirien gibt cn
EisHächen und Nordlichter, grausige Finsterniss der Bergwerke,
Renthiere und ein Volk der Oatjaken, welches die Unglück-
lichen freundlich aufnimmt, aber in die Beschreibung sind
i^chtlich Züge eingeflochten, die durchaus nicht speciell
sibirischer Natur sind i ein Erziehungssystem , Gefängnisse,
Spiessnithenlaufen, endlich Scenen, die sichtlich aus der Ge-
schichte der Emigration genommen sind:' „die Verbannten be-
gannen zu arbeiten, ausser denen, welche in dem Rufe von
Weisen stehen wollten, nnd in Unthätigkeit blieben, indem sie
sprachen: wir denken an die Rettung des Vaterlandes." Und
CS theilten sich die Verbannten in drei Parteien, von denen jede
über die Rettung des Vaterlandes nachdachte. Die eine hatte
ann Führer den Grafen Skir, der die Partei derjenigen hielt,
die eich in Kontusche kleideten und sich Szlacbta nannten,
als wenn sie mit Lech neu in das leere Land gekommen wären.
1*16 zweite hatte zum Führer den bagem Soldaten Scartahello,
der das Land theilen und die Freiheit der Bauern und die Gleicb-
t^Uung der Szlacbta mit Juden und Zigeunern proclamiren
wollte. Und die dritte hatte zum Führer den Priester Bonifacins,
der sein Heil im Gebet suchte und rieth , vorwärts zu schreiten
nnd unterzugehen ohne sich zu vertheidigen, als Märtyrer. Im
22* , . .
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340 ViPrtes Kupitel. Die Pf-Icn.
Streit nm die Principien griffen die Parteien schliesslicli m den
Beilen, endlich heachloBS man ein Gottesgericht zu veranstalten
nnd einen aus jeder Partei ariK Krenz zu nageln, und wer
länger als die andern lebe, solle Sieger sein. Und es wurden
drei gekreuzigt, der eine schrie: Gleichheit, der andere: Blut,
und der dritte: Glaube. Aber es erschien ein Nordlicht, er-
Bcbreckta den Haufen und veranlasHte ihn auseinanderznlaufen.
ohne 7.U bemerken, dass alle Gekreuzigten todt waren. Es liegt
auf der Hand, dass Sibirien nur der phantastische Rahmen ist,
in den das ganze damalige Polen, verstreut von der Seine his
Kamschatka, gefasst wird, mit absichtlicher Nuancining der
Sinnlosigkeit und praktischen Unfähigkeit seiner Vertreter: „bip
wären gute Menschen gewesen im Gluck, aber das Unglück hnl
sie in böse und schädliche Leute verwandelt." Ebenso conven-
tionell und unreal ist auch eine der auftretenden Hauptpersonen,
der Fürst der Ostjaken, Schamane, Prophet und Zauberer, der
schon die Väter dieser Verhannten gekannt hat, und dieselbeTi
wohlwollend begrüsst. ihnen Worte der Wahrheit sagt, wofür
er später durch ihre Hand umkommt. Per Schamane perso-
nificirt ein höheres Princip, jene Wahrheit, die den Verbanntpn
fehlt; er wählt aus ihrer Mitte einen aus, nm ans ihm den
Erlöser zu machen, und verleiht ihm durch Handauflegen Liebf
zu den Menschen und Barmherzigkeit. Dieser Erwählte des
Schamanen, Anhelli, ist nichts anderes als die ideale Daratellanp
des eigenen Geistes des Dichters, als dieser selbst, der von
Zweifeln gequält und "von Fragen verfolgt wird, weshalb er ge-
Rchaffen sei, was er zu thun habe, und wie er da« Los des
armen haltlosen Geschlochts der Verbannten verbessern könne.
Es ist ein anderer „Kordjan", der alter die Iicidenschaften und
das feurige Temperament abgelegt hat, das ihn mit Konrad ver-
wandt machte, der still, sanft, arglos geworden ist, wie ein
Lamm. Wie Virgil den Dante, so fiihrt der Schamane AnheUi
in allen Verhältnissen des jammervollen Daseins umher, wie in
den Kreisen der Dante 'sehen Hölle, unterhält sich mit auferstan-
denen Todten und mit zähneknirschenden Lebenden, die in Ver-
zweiflung einander auffressen und den Schamanen erschlagen, der
sie zur Vernunft zu bringen sucht. Mit dem Tode des Schamanen
wird die Dichtung noch allegorischer, Anhelli wird mit den Ben-
thieren des Schamanen in die Polargegenden versetzt, zugleich mit
einer verbannten Verbrecherin, die sich ihm angeschlossen bat;
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Julius Stowacki, 341
diese stirbt, es stirbt auch AiilielU Belbst während der halb-
jährigVD Polarnacht iu voller Unkeniitnibs einer beHsevu Zukuuft;
lu der Leiche sitzt, sich über diebclbe ueigeud, der Engel EIüü,
(tie gebeinuiititivolläte der aullretendeu l'erüoueu, aller Wahi-Bchciii-
üchkeit iiach die PerEünification den „Ruhme»", aber nicht eines
solchen, von dem Slowacki iu der Kindheit träumte, solidem eines
stillen Buhmeü, der die üräber beschützt. Hufschlag ertönt, durch
die Feuer des Nordlichts stüiiut ein Reiter mit dem Kufe; „liier
VAT ein Krieger, er stehe auf, die Völker sollen aufstehen, für
starke Meuscheu ist die Zeit daa Lehens gekommen." Eloe lässt
das gestorbene Opfer nicht aufwachen, und freut sich, als der
feurige Reiter davou galopirt, ohne den Entschlafenen erweckt
m haben. AVorin bestand aber die „Erlösung", um derenwillen
Anbelli ausgewählt und geweiht wardV Es ist nur ein fühlender
Ueosch, aber ganz unfähig, seine Zeitgenossen zur That zu be-
wegen; in seinem (jrame sagt er zu den Engeln: „Saget Gott,
dasd, weuu meine Seele tauglich 'znm Opfer ist, ich sie hingebe,
Diige sie sterben; mein Kummer ist so gross, dass für mich die
Ewigkeit gleichgültig ist." Es wird ihm die AntwoH zutheil:
nWeisst du denn, ob du nicht zu eiuem stillen Opfer erwählt
bist, während du in einen gewaltsamen Blitz verwandelt und in
die Fiusterniss geschleudert werden möchtest, um den Pohel
m schrecken." Statt eine bestimmte Antwort zu erhalten, ver-
sinken wir iu die bodenlose Tiefe des Mysticismus. Ein Manu,
onendlich und hoffnungslos leidend, ertleht dadurch allein, dass
er leidet, Rettung für sein Volk. Eine andere Antwort gab es
XU jener Zeit nicht: viele Zeitgenossen älowacki's, Emigrauten,
hielten sich an demselben Anker fest; wie sie, wurde auch Slo-
wacki ein Opfer des Towianismus, weil sie eine Sucht nach
Mysticismus hatten, der bei ihnen wie ein Mittel wirkte, das
«ie eine Dosis Chloroform nicht nur den Schmerz, sondern
auch das Bewusstsein einschläferte. Nach „Anhelh" folgte ein
ganzer Strom iast gleichzeitig veröftentlicbter, ueugeschriebener
oder Engst fertiger Dichtungen ungleichen Werthes: „Die Dich-
tung des Piast Dautyszek vom Wappen Leliew über die
Hölle" („Poema Piasta Dantyszka herba Leliewa o Piekle",
1839); „Drei Dichtungen: Der Vater der Pestkranken —
In der Schweiz — Waclaw" („Trzy poemata — Ojciec zadzu-
mionych — \V Szwejcaryi — Waclaw», 1839). „Balladyna" (1839),
„Lilk Weneda" (lj340), „M^zepa" (1840). Piast Dautyszek
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
342 Viertes Kapitel Die Polen.
und Wuclaw lassen wir beiseite; crsteres ist eine schwache Nach-
ahDiuug Dantu's und däs andere ist ebenfalls eine mislungeue Be-
arbeitung des von Malczew&ki behandelten Thema«, nämlich der
Legende von Felix Potocki, aber nur von einer andern Seite aus:
AVaclaw, abgelebt und alt, mit dem Kainazeicheu des Verräthers
auf der Stirn, wird von einer Griechin betrogen, und kommt im
Verein mit seinem einzigen ihm ergebeneu Sohne von der ersteu
ertränkten Frau um (es sei bemerkt, dass diese Person voll-
ständig erfunden ist, die erste Frau hinterliess keine Nach-
kommenschaft). Trotz der Aufhäufung von schrecklichen Einzeln-
heiten in der Umgebung des Atriden von Tulcza ist der Stoff
verdorben. Koch niemand hat bisher alles das herausgezogen,
was sich aus dem wirklich tragischen Scliicksal des Magnatcu
von Tulcza in seinen letzten Tagen entnehmen lässt; es dürfte
in diesem Fall die sich hei der Erforschung offenbarende eiu-
fache Wirklichkeit leicht die Fictionen der Dichter übertreffen. '
Von der reizenden Idylle: „In der Schweiz" war schon oben die
Uede. Ihr zur Seite steht die durch ihre Wahrheit erschüt-
ternde, vom Geiste der Bibel und den Eindrücken der Wüste
durchdrungene Erzählung: „Der Vater der Pestkranken in El-
Arish." ^ Es lässt sich schwer etwas Realeres vorstellen. Die
Grundlage der Dichtung bildet der Eindruck der Quarantäne in
einer vollständigen Einöde zwischen dem Mittelländischen Meere
und dem Flugsand der Arabischen Wüste, unter einem einsamen
Zelt, in der Nachbarschaft des auf einem Grabhügel am Meere
erbauten Grabmals Schech's, in dessen Gewölbe die Leichen
der Pestkranken gelegt wurden. Ein schreckliches Gewitt«r
hatte sich am Weihnachtsabend über diesem Zelte entladen, und
„Anbelli meinte schon, dass ihn der Sturm mit fortreissen und in
das stille Land tragen werde". Einige Tage darauf „beugten
die Kamele wieder die Knie, und nachdem sie den melancho-
lischen Pilger auf sich genommen, streckten sie ihre langen,
schlangenähnlichen Hälse aus nach der Seite des heiligen Grabes".
In diese Localität versetzt der Dichter einen Araber mit seiner
Frau und sieben Kindern, dem alle Kinder der Reihe nach an der
Pest sterben, endlich auch die Frau, sodass er zuletzt ganz ver-
' S. D, Antoni J. (Rolle), „Opowiadania historyczne" (Lemberg 1876;
V. Der aof von Tnloza).
'Deutsch von Th. Stahiberger (Krakau 1872).
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JuliuB Slowsuki. 343
lasseu daEtekt. Dieser unglückliche Araber, deseeu Leiden mit
einer Krart gezeichnet sind, die derjenigen gleichkommt, mit
«elcher die Gmppen des Laokoon und der Niobe gemeisselt oder
die Leiden des Gefangenen TonChillon oder Ugoliuo's beschrieben
siod, bleibt im Ertragen dessen, was dem Anschein nach die Kräfte
eines Menschen übersteigt, bis anti Ende dem Geiste seines Stamme»
treo und ruft aus: „Gelobt seist du, Allah, im Tosen des Bran-
des, der Städte vei-nichtet, im Beben der Erde, das Burgen zer-
trümmert, in der Pest, die meine Kinder dahinrafft und sie aus
dem Schosse der Mutter reisstl 0 Allah, Allah Akbar, du bist
gross!"
Während die Dichtungen „In der Schweiz" und „Der Vater der
Pestkranken" durch die Wahrheit dei- unmittelbaren Eindrücke
ergreifend wirken, beginnt mit „Balladyna"' eine Reihe von
Dicbtuugeu, die reine Fictionen enthalten, von der feurigsten und
nngezähmtesten Phantasie erzeugt sind, welche „über den grossen
Häufen und über die gewöhnliche Art und Ordnung spottet"
ili'orwort zu „Balladyna"). Die Begeisterung flüsterte Slowacki
nie gehörte Worte ein, stellte ihm Bilder vor Äugen, wie sie
nicht einmal im Traume gesehen worden waren: Schatten fabel-
hafter Wesen, aus dem Urweltsnebel hervortretend, umgaben ihn
in voUen Haufen, und das, was erzeugt wurde, bildete sich, „im
Widerspruch mit Vernunft und Geschichte, nur nach dem Gesetze
liOttes". Schon zu Genf 1834 — 35 trug sich Stowacki mit einem
höhnen Plan, der nur wenigen genialen Leuten gelang — die
altüberlieferten Fabeln des vorhistorischen Volkslebens vor Piast,
von den Lechen, von Krakus, von den Popieliden zu dramatisiren,
nach dem Muster Shakespeare's, welcher den Legenden und
Uythen seiner Heimat den Macbeth, Lear, Hamlet entlehnte.
Es war ein ganzer Cyclus solcher mythischer Dramen ins Auge
gebsst, fünf oder sechs Stücke, aber bei der Ausarbeitung wich
der Verfasser von der chronologischen Reihenfolge ab, und fing
fiid von hinten an, d. i. mit dem letzten Stück, dae einer
näherliegendeu Zeit entspricht — der Epoche, welche Fiaefs
Thronbesteigung unmittelbar vorausgeht. Die polnische TJeber-
lieferung bietet nur ein äusserst dürftiges historisches Material;
in ihren ärmlichen Inhalt sind Ereignisse und Personen aus
Volkssagen und Märchen eingeäocfaten , Menschen und Geister,
'DeuUdi von Ludomit Geruiau (Kiakuu lüSi).
.yGüOJ^If
544 Vierte« Kapitel Die Polen.
Läcberliclies wechselt mit Blutigem und Schrccklicliem ab.
Allen wunderlichen Fictioneii, die zuweilen so unterhaltend und
Bonderhar sind, dass es schien, sie könnten nur im Traume je-
mand ciurallen, sind doch allgemein menschlicbo Ideen unter-
gelegt, von der Art, wie sie besondere Shakespeare Hebte: über
die Eitelkeit dee menschlichen Strebene, über die Ironie des
Schicksals, welche unvermuthete Früchte auf künstlich gepfropften
Bäumen zeitigt. Die Menschen berechnen und handeln, die
Spinnweben ihrer Absichten verwirrt und zerreisst in jeder Mi-
nute der Zu< haben sie einmal einen Fehltritt begangen, so
treibt sie die Logik der Thatsachen, die verhängnissvollen Folgen
ihrer eigenen schUmmen Handlungen immer tiefer iu den Ab-
grund; fügen wir noch das Dämonentbum hinzu, und zeitweise die
Einmischung des Fingers Gottes in die Geschichte, und wir «er-
den eine Summe von einander kreuzenden Factoren erbalten,
deren gegenseitige Einwirkung in einer von niemand vermutbeten,
das Verständnies des Menschen übei'schreitenden Weise zur Kriüs
kommt. Das ist die Grundidee des Dramas („Balladyna"), wie sie
Malecki nicht mit Unrecht formulirte. Wir wollen in ganz kurzen
Zügen zeigen , wie die Factoren personifich-t und wie die leitende
Idee durchgeführt ist.
In Gnesen sitzt auf dem Fürstenthron der letzte Popicl, der IV..
der seinen Bruder Popiel III. gestürzt hat, ein grausamer, blot-
dürstiger Wütherich. Die Schwere der Herrschaft wird noch
durch sich wiederholende, das ganze Volk treffende Unglücks-
falle verstärkt ; diese kommen daher, dass auch die Fürstenkrone
unecht, und die echte wnnderthätige Krone des Urahns Lech
von Popiel III. weggenommen und versteckt worden ist, der sich
in den Wald begeben hat und dort das Leben eines Einsiedlers
führt. An diesen Einsiedler, der an Shakespeare's Prospero er-
innert, wendet sich der reiche, tapfere, aufrichtige, aber nicht
sonderlich intelligente Ritter Graf Kirkor um Bath, wo er sich
eine Frau suchen solle. Der Einsiedler offenhart ihm seinen
wirklichen Namen und Stand, und was die Wahl einer Frau
betrifft, so räth er, sie nicht in prächtigen Palästen, sondern
iu den einfachsten Lebonsverhältnisscn zu suchen. Dies sind die
guten Absichten; sie beginnt nun der Zufall zu verwirren, der
in den phantastischen Gestalten der Seenymphe Goplana und
den ihr dienenden Geistern Skierka und Chochlik verkörpert
ist. Wie sich Titania in Bottom's Esel verliebte, so verliebt
ü,g :.._.. ..Google
Jnline Stowaoki. 345
tich Goplana iu den dummen vierscbrötigmi Bauer Grabiec, der
sich um eine der Töchter einer armen Witwe bewirbt. Die
Witwe hat zwei Töchter; die gute und zarte ist Alina, die böse
uiid buhlerische Balladyua. Um die näcbtlicbeu Zusammen-
kUnftc des Grabiec mit Balladyna xu vereiteln, lässt Goiilana
ihre Geiiieu gegen Kirkor los. Der Wagen desselben zerbricht
bei der Hütte; in dieselbe eintretend ist Kirkor tod beiden
Töchtern gleicbmässig bezaubert; die Witwe schlägt vor, die
äcbwierigheit durch den Zufall entscheiden za lassen, und /.war
denselben, der schon in der von Alexander Chod^lco verfassteii
Ballade „Maliny" („Die Himbeeren") vorkommt. Diejenige, welche
inerst einen Krug Himbeeren päiicken werde, solle die Braut sein.
Natürbch ist Aliaa schneller fertig, aber die erboste Balladyna
ermordet sie im Walde in der Nähe der Zelle des Einsiedlers
und wird nun selbst Kirkor's Tran, nachdem sie von der Schwester
ausgesagt, sie müsse wol geflohen sein. Balladyna erreicht ihr
Ziel, sie braucht nur ihr Glück zu geniessen, aber das sind wieder
nur &omme Wünsche, über welche das Verhängniss der Ereignisse
ipottet Während Kirkor abgereist ist, um Popiel IV. zu stürzen,
ihn auch wirklich stürzt und dem erfreuten Volk in Gnesen vor-
schlägt, denjenigen zum König auszurufen, bei dem sich die
Krone Lecb's finden werde, d, i. nach seiner Ueberzeugung. dem
Ansiedler Popiel III., herrscht in seinem eigenen Schlosse die
böse Balladyna, geplagt durch die Furcht vor Entdeckung des
Mordes und dadurch gequält, dass vom Morde ein unabwasch-
barer blutiger Fleck an ihrer Schläfe geblieben ist. Sie ver-
band sich mit einem abenteuernden Deutschen, von Kostryn, der,
nachdem er ihre Lage errathen, ihr seine Dienste anbietet; ge-
meinsam vertreiben sie aus dem Schlosse die verwitwete Mutter,
die nnn in Sturm und Wetter im Walde herumirrt, wie König
Lear. Sie ermorden auch den Einsiedler, welcher bei einer Be-
rathnug mit Balladyna, die ihn wegen des Fleckens um Rath
&>,)an den Tag legt, dass er von der Ermordung der
Schwester wisse. Die Krone Lech's gelangt durch das Spiel
des Zufalls in die Hände des Grabiec, der sich unter Mitwirkung
der Genien in einen Schellen-König umwandelt und in dieser
(ieEtalt im Schlosse Kirkor's aufgenommen und bewirthet wird.
Darauf gibt sich Balladyua ganz dem Koetryn hin, von ihm
genöthigt und mit ihm gemeinsam ermordet sie des nachts den
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346 Viertes Kapitel. Die Polen.
Schclleo-EÜnig, um in den Besitz seiner Krone zu gelangen,
unter Umstanden, die stark an den 2. Act des „Macbeth" er-
innern; von ihnen wird auch noch der Bote Kirkor'e ermordet,
mit dem nun alle Bande zerris&eu sind und es jetzt zu einem
offenen Kriege anter den Mauern Gnesens kommt. Das Bäsu
tiiumpbirt natürlicb, der edle Kirkor fällt im Treffen. Der
Itegana gleicb, tragen Balladyna und ihr Geliebter Kostryn, der
an Edmund erinnert, beide in eiserne Rüstungen gekleidet, den
Sieg davon, Balladyna wird zur Königin ausgerufen, sie ftihlt
die Nothwendigkeit, sich von ihrem bösen Dämon, Kostryn, los-
zumachen, um dann in Gerechtigkeit zu herrschen. Sie ver-
schafft sich ein Messer, dessen eine Seite der Schneide mit Gift
getränkt, die andere aber uiwchädlich war, und indem »ie bei
einem Mahle einen Äpfel zerschneidet und mit dem Geliebteu
theilt, reicht sie ihm das vergiftete Stück. Jetzt ist sie am
Ziel: „die Krone bat ein Leben voller Arbeit in zwei Hälften
zertheilt. Das Vergangene ist dahin, wie die schwarz gewordene
Hälfte des Apfels, welche der Stahl mit der giftgetränkten Seite
abtrennte." Aber auch das ist wiederum nur guter Vorsatz;
vor dem Krönungsschmause muss noch eine Ceremonie verrichtet
werden, es müssen nach alter Sitte die Verbrecher gerichtet werden.
„Das ist mein erstes Gericht", sagt die Fürstin, „wenn ich falsch
richte, so werde aus mir ein Nest der Würmer, so möge mich Feuer
vernichten ! " Vor der Fürstin liegt das Gesetzbuch und ein Kreuz,
der Kanzler ruft die Ankläger auf; es treten Leute auf, welche die
Vergiftung zur Anzeige bringen, die, man weiss nicht von wem.
an Kostryn begangen worden ist. Die Fürstin spricht die Todes-
strafe aus. Es kommt der Mord der Alina zur Verhandlung;
das Urtheil lautet abermals auf Todesstrafe. Zuletzt klagt eine
blinde Witwe über ihre Tochter, die sich von ihr losgesagt
habe. Nach einem alten Gesetz steht auf Undankbarkeit der
Kinder die Todesstrafe, und aus Furcht vor derselben will die
Alte den Namen der Tochter nicht nennen; man foltert sie, um ilir
den Namen auszupressen, sie stirbt unter der Folter, lieber der
fürstlichen Burg steht während dem eine Gewitterwolke, und als
die Fürstin nothgedrungen das dritte Todesurtheil ausspricht,
erschlägt sie Gottes Donner, worauf der Kanzler statt zur Krö-
nung zum Begräbniss läuten lässt. Die schwachen Seiten des
Dramas liegen auf der Hand; es Hst im Geiste Shakespeare's ge-
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Julius Stowaoki. 347
plaiit, aber es siud in dasselbe Dicht nur die Psychologie Sbake-
speare'ij, sunderii iiuch dcBseii Situationen und Motive aus dem
^Süumeruaclitstraum", „Lear", „Macbeth" übergegangen , und
uoch dazu ohne Nothweudigkeit, weil der Bcichthum der echÜ-
pferiscben Phantasie bei Stowacki erstaunlich gioss, die von ihm
erdachten Personen wahrer als die realen sind, und vorgeführt
werdea in Conäicten , in einer gewattigen Entwickeluug der
Haudlong, die, bis zu den aussersten Grenzen des Schrecklichen
);eheud, in künstlerischen Steigerungen den Leser keine Minute zu
Atbem kommen laset, bis zur Katastrophe selbst. Das pbanta-
stiscbe Element wird misbraucbt, Geister und Feen mischen sich
so oft in die menschlichen Angelegenheiten, bei jeder Beleuchtung
des Tages wie der Nacht, dass diese beiden Welten, der Menschen
und der Geister, sieb nicht scharf genug voneinander abgrenzen.
„Balladjna" ist als Drama nicht bübnenmässig, es ist zu lang;
trotzdem nimmt es in der polnischen dramatischen Poesie den
ersten Rang ein, aber seine Schönheiten sind der Art, dass sie
nur von sehr wenigen gleich begriffen und gewürdigt werden
lionnten. In der Vorrede zu „Balladyna" verglich sich Slowacki
mit dem blinden Homer, der, das Rauseben des Meeres für das
Gemurmel menschlicher Stimmen haltend, sich wundert, dass
dieses Gemurmel nicht verstummt, als er zu singen beginnt, und
nicht in Beifallsdonnem ausbricht, als er aufhört, weshalb er
imwillig die Harfe wegwirft, ohne zu bemerken, dass seine Rhap-
sodie uicht in die Herzen von Menschen, sondern in die Wellen
de« Aegäischen Meeres versunken ist. In diesem Vergleich lag viel
Wahres. Die Zeit war noch sehr weit, wo seine Lieder, nach der
Prophezeiung Krasiiiski's, „in die Her/en der Kinder durchsickern
würden". Er kümmerte sich auch wenig um diese Zukunft, als er
gewissermassen nur für Krasinski allein das der Chronologie nach
erste seiner mythischen Dramen schrieb: „Lilla Weneda,"
„Nur Du triff mich nicht mit der Kälte, welche von andern
Leuten weht", schrieb er in der Widmung an den Verfasser
des „Iridion", „als ich mit Dir zusammen war, kam es mir vor,
als hätten alle Menschen die Augen Raphael's, als genüge es,
mit einem Wort eine schöne geistige Gestalt zu zeichnen ....
als hätten alle Menscben ein Platonisches und attisches Ver-
ständniss. Meine Flügel sinken, wenn ich mit den wirklichen
Dingen in Berührung komme, und ich werde traurig wie vor dem
Tode, oder zornig wie in meinem Gedicht über die Tbermo-
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348 Viertes Kapitel. Die Polen.
pylen. ^ Ich äclitneiubult« mir mit der Uoffnuiig, daes Du mich,
wenu ich todt bin, an dür Bruöt hulten und Worte der Hoff-
nung und Auferstehung sprechen werdest, die ich zu Lebzeiten
nur von Dir alleiu gehört babe." Weun uns auch in der „Bal-
iudyiiu" dos Unvermögen des Verfassers auffällt, die wirkliche
Idee mit deu Mitteln der dramatischen Kunst zu realisirun,
wen» zuweilen beim Einkleiden der Ideen in die Formen etwas
Ungeheuerlicbes, UnwahrBcbeinliches und Wildes herauskam, so
siud diese Mängel in der ,^illa Weneda" doppelt bemerkbar,
wo man die unzweifelliaft geniale Grundidee and die Form uu-
teiijcheiden muss, die in vielen Beziehungen mislungen, ja sogar
einfach unmöglich ist.
Was den Inhalt betrifft, so entfernen wir uns ungeheuer
weit von der Psychologie Shakespeare'» , von der feinen Zer-
gliederung der Personen und der Charaktere, und haben vor
uns nicht eine Studie aus dem Gebiete der Psychologie von 1d-
dividuen, sondern von ganzen Völkern, eine derjenigen Auf-
gaben, die der speculative Geist Krasiiiski's zu stellen geneigt
war, dessen Einlluss auf „Lilla Weneda" keinem Zweifel unter-
liegt. Woran sterben dieVÖlkerV Diese brennende Frage seiner
Zeit und seines Volkes suchte Slowacki in „Anhelli" allegoriscli
zu lösen, in den Bedingungen der Gegenwart; aber man kann
sie auch so stelleu, wie es Krasinski im „Iridion" that, d.i. in-
dem er sich in die Vergangenheit versetzte, und die „kolostiftlen
Persönlichkeiten derselben durch die vulkanische Seele unsers
Zeitalters" belebte (VoiTede zu „Balladyna"). Slowacki wählt eine
sehr weit zurückliegende Vergangenheit, geht noch viel weiter
Zurück als die Zeiten der Popiels, zu der Ankunft Lech's selbst
und seiner Heerscharen, die nach einer dunklen Ueberlieferung
der Szlachta den Ursprung gegeben haben und die obere Schiebt
der Bevölkerung bildeten. Jetzt verwirft man allgemein die Er-
klärung des Ursprungs eines Staates durch die Ankunft eines
fremden Elements von auswärts, aber man kann auch die Hypo-
tbe»e aufstellen, dass die Lecbiten in Polen oder die Warager iu
Uussland gewaltsam eingedi-uugen, und dass das eine Volk durch
das andere gewaltsam unterworfen worden sei, und letzteres,
nachdem es die Besiegten mit eiserner Ferse niedergetreten, auf
1 Sliiwauki hat liiur huIu wuuderbai- «uhüuus Uediuht im £>iune: n^**
UruL> ÄgameiuuuuB'" („Urüb Ägamcmuoua").
...., Google
■Tnlms Stowneki. 349
Thränen und Leichon seine schwere Herrschaft 1>egriiDdet Iiaho.
In solcher Gostnlt nämlich stellte mch Stowacki die Ankunft der
Lcrhiten in das von den Weneden bewohnte Land dar. Die letz-
lem sind ein gutes Volk von weichem Charakter, feurigem und
poetinchem Temperament, an ihrer Spitze stehen Barden; ihr
Heiligthnm, eine Harfe, befindet sich in den Händen ihres be-
jahrten Königs Derwid — sie sind unverletzlich, solange die
Harfe nicht in die Hände der Feinde fiel. Und ihre Sache ist
offenbar beilig: sie vertheidigen ihre Heimnt vor räuberischen
Eindringlingen. Der Sieg dieser -letztem erklärt sich über-
haupt nicht durch eine moralische Ueberlegenheit derselben. Der
Föhrer der Lechiten, Lech, sagt zu seiner Frau, der grimmen
Skandinavierin Gwinona: „Siehe, was für ein stattliches Volk das
ist, ich bin eine MUcke and habe ihm das Blut ausgesogen," Die
Lechiten sind ein träges Volk, leichtgläubig, tapfer, aber schwach
im Denken; Lech selbst ist so dargestellt, dass «r der Urahn So-
bieski's sein könnte, mit ebenderselben Löwenkühnheit im Felde
»ad Moliere'scher Schwäche vor der Frau zu Hause. Die komi-
«he Person in dem Drama, Ölaz, der den Weneden für einen
Leeben gilt, sagt, indem er dies leugnet: „Seht ihr an mir
Rohheit, Trunkenheit, Gefrässigkeit, Frechheit, Vorliebe für
saure Gurken, für Wappen, die Gewohnheit in verba magistri
7.M schwören, Schafscharakter (owczarstwo)" u. s. w-, lauter
groHse Fehler des S/lachta-Volkes. Obgleich die Lechiten wenig
»blreich, einzeln genommen unbedeutend, wild und unsympa-
thisch sind, 80 erlangen sie doch eben deshalb, weil sie Heerden-
gcfuhl, Glauben an sich selbst und den Willen haben, vereint zu
handeln, den Sieg über ihre Gegner, die an ihrer Zukunft zweifel-
haft geworden sind, nur wahrsagen und die Harfe spielen können,
und diejenige Frische nnd das Vertrauen 7u sich selbst verloren
haben, ohne welches der Bestand eines ('oUectivweseus undenk-
bar ist. Derwid bat zwei Töchter: die eine, Lilla Weneda, ist
gut, zart, schon Christin; die andere, einer WalkjTe ähnlich, ist
die Prophetin Rosa Weneda, welche an den Leichen der We-
neden weissagt und bei dem einen ein blutloses nnd wie Espen-
laub zitterndes Herz fand; bei einem andern statt des Her-
zens ein Nest von Würmern; bei einem dritten aber gar kein
Herz, sondern nur eine leere Stelle. In die Handlung wird
ffln Prediger des Christenthums eingefiihrt, der heilige Gual-
bertus, dessen Bemühungen, die einander aufzehrenden Stämme
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350 Viertes Kupitel. Die Polen.
zur Religion des Friedens und der Brüderlichkeit zu bekehren,
in komischer Weise dargestellt sind. Die königliche Harfe der
Weneden wird von den Lechiten genommen. Derwid ersticht
Rieh, das ganze Volk geht unter mit dem hoflfhungslosen Glan-
hen an eine künftige Rache. Aus den rathsclhaften „Lei und
Polel " , zwei Gottheiten der Blavischen Mythologie , hat der
Dichter lebendige Personen gemacht , ZwillingsbrUder , Söhne
Derwid's, die durch eine eiserne Kette an den Händen so
verbunden sind, dass sie zusammen gewissennassen ein zwei-
köpfiges Wesen bilden, der eine hält den Schild, der andere
das Schwert. Besiegt in der letzten Schlacht, sterben sie
auf einem Scheiterhaufen. „Weist du, Iridion", schrieb Slo-
wacki, „dass ich mich bei der Schaffung dieses Mythus der
Einheit und der Freundschaft von der süssen Hoffnung hin-
rcissen Hess, dass man auch uns beide in der Erinnerung fo
verbinden und auf einen Scheiterhaufen legen wird." Von
dem ganzen Geschlecht Derwid's bleibt nur die Wahrsagerin
RosaWeneda übrig, gemäss ihrer Prophezeiung im Prolog: „Iclt
werde allein am Lehen bleiben, allein mit einer rothen Fackel,
und werde mich in den Staub der Ritter verlieben, und der
Staub wird mich befruchten. Wer im Sterben an mich glaubt,
wird ruhig sterben, ich werde ihn besser rächen als Feuer und
WasKcr, besser als hunderttausend Feinde, besser als Gott."
Diese Worte dienten als Ausgangspunkt für ein zweites späteres
Werk Slowacfci's, den „König Geist" („Kröl-Duch"). Die traurigen
Schicksale der Weneden, worunter die Geschicke eines dem Dichter
näherstehenden Volkes zu verstehen sind, gedachte er, wie
er sagt, in die Formen einer Euripideiscben Tragödie zu giessen.
Die Aehnlichkeit ist gering und ganz aussertich, auf die Bühne
wird eiu selten auftretender Chor gebracht; in Wirklichkeit ist
das Drama ein Shakespeare'sches, das sich durch ebendieselbe
Unordnung einer von einem Ort zum andern springenden Hand-
lung, durch ebendieselbe Aufhäufung von Schrecken auszeichnet,
mit Hinzufügung von Ereignissen, die physisch unmöglich sind,
und nur in einem Traumgesicht oder in einem Märchen am
Platze wären, sich aber fürs Drama nicht eignen. Von solcher
Art sind alle Scenen, in denen Lilla Weneda dreimal mit Wunder-
mitteln ihren Vater Derwid rettet, der sich in Gefangenschaß
bei den Lechiten befindet.
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JdHub Slowiicki. 351
Das dritte Drama „Mazepa"' unterscheidet sich von den
Toriiei^ehcnden durch ganz entgegengesetzte Eigenschaften sowol
des Planes als der Ansfiihrung. Die Sage von dem wegen sei-
ner liiebesabenteuer auf ein wildes Pferd gebundenen Kosaken
nr in Polen bekannt; aus den Memoiren PaseU 's ist zu ersehen,
dass dieser Kosak, der später Hetman von Kleinrussland wurde,
Page des Königs Jobann Kazimir war. Es war möglich, den
König und den Pagen sich in ein und dasselbe Weib ver-
lieben zu lassen, neben dieses Weib die finstere Figur eines
eifersüchtigen Ehemanns zu stellen; auf diesen Leidenschaften,
einerseits der Liebe des Königs und des Pagen, andererseits der
Eifeisncht, war es möglich ein efTectvolIes Drama aufzubauen.
Stowacki führte es nach spanischem Muster aus: schon 1837 lernte
er spanisch, um Calderon zu lesen, und kurze Zeit darauf, nach
»einer Reise in den Orient, übersetzte er in schönen Versen
an Werk Calderon's „El principe constante" („Ksii|2e nie-
domny"). In Calderon's Drama „Der Arzt seiner Ehre" rettet
Don Gattierrez seine Gattenehre , die durch den Infanten
Ddd Enrique bedroht wird, dadurch, dasn er aus den Adern
sdner Frau, Donna Mencia, alles Blnt ausströmen lässt und
■br alsdann ein feierliches Begiäbniss veranstaltet, was König
Peter der Grausame ganz natürlich findet, und was sogar
der Autor als echter Spanier rechtfertigt. Stowacki legte die
erfinderische Grausamkeit des Spaniers, aber auch die ganze
Bohheit eines Halbwilden und den ganzen Stolz eines polni>
Beben Magnaten in die Person des greisen Wojewoden, der auf
die junge Frau sowol w^en des Königs wie wegen des Pagen
eifersüchtig ist, während sich die Frau durch eine wirkliche
Herzensneigung zu ihrem Stiefsohn, dem Sohn des Wojewoden
ans erster Ehe, Zbiguiew, hingezogen fühlt. In dem ursprüng-
lichen Plane des Dramas, in der Gestalt, in welcher es 1835
Terbrannt wurde, stand wahrscheinlich der kühne, lustige, wol-
lüstige, aber ritterlich edle Kosak, der Page, im Vordergrund.
Bei der spatem Umdichtung des Dramas traten nach den
noch vorhandenen Erinnerungen und Fragmenten in den Vorder-
grund die Stiefmutter Amalie nnd der Stiefsohn Zbigniew, die
' Stowacki'e Mazepa, ein Aufsatz voa Tarnoweki in Kronikn roitz,
1ST4, S. 164, 179. — Deutsche Ueberaetzang des „Mazepa" vnn A. v. Drnk««
(in BoUi'b Bühnen-Repertoir, Bd. XIV, Nr. 111).
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3!"i2 VierteB Kapitel, Dip Polen.
hoffnungnlos und ohne gegenseitiges Geständniss nicht in sinn-
licher, aber unüberwindlicher und verhängnissvoller Liebe ein-
ander zugethan sind. Nach der Gewohnheit Slowacki's ist die
IntriguG verwickelt und mit den unwahrscheinlichsten Aben-
teuern angefüllt. Der König wird ohne jede Rücksicht auf hi-
storische Wahrheit als ein Heuchler nsd Wüstling dargestellt,
der zwischen zwei Ave Marias zu Liebesrendezvous schleickt;
den Pagen, der sich in die Zimmer der Wojewodin gerettet
hat , mauert man lebend^ ein. Ein Zufall befreit ihn ; rs
wird eine Art von Gottesurtheil durch Zweikampf zwischen
Zhigniew und Ma^epa veranstaltet. Zbigniew, dessen Her*
zensgeheimniss Mazepa errathen hat, und der aufklärt, welche
Geföhle er für seine Stiefmutter hege, — tödtet sich selbst
durch einen Pistolenschuss und stirbt in den Armen Mazepa's.
Die Wojewodin hat sich vergiftet, der König öiebt aus dem
Schloss des ergrimmten Wojewoden, worauf er mit einem
Heere zurückkommt und das Schloss mit Gewalt nimmt, aber
vor diesem Moment hat der Wojewode befohlen, an Ma-
zepa die Strafe der Sage zu vollziehen. Das Drama ist
schlecht zusammengestöppelt, voll unnatürlicher, gespreizter
Situationen, unmotivirter Handlungen, melodramatischer EfTccte.
die an die schlechtesten Erzeugnisse der französischen roman-
tischen Schule erinnern, dem Zufall ist zu viel Platz ein-
geräumt, der König ist lächerlich und niedrig, der Wojewode
widerwärtig grausam , roh , wild , jedes menschlichen GefiihlK
bar; das Unglück, welches die Liebenden trifft, entbehrt drs
tragischen Elements, es ist durch keine Schuld von ihrer Seite
bedingt. Diese Mängel sind so gross, dass daa Stück seiner-
zeit nicht gefiel, Krasii'iski lobte es nicht, aber trotzdem kam
es 1874 auf der warschauer Bühne mit grossem Erfolg zur Auf-
führung, und vor kurzem wurde es mit ebensolchem Erfolg auf
der prager Bühne in Üechiscber Uebersetzung gegeben. Ausser
der glänzenden Plastik des Stils and der Kühnheit der Hand-
lung, die sich in unerwarteter Weise mit überraschender Schnel-
ligkeit entfaltet, was dem Stück eine ungewöhliche Bühnen-
fähigkeit gibt, enthält es drei wunderbar schöne Charaktere:
Zbigniew, die Wojewodin und der Page, und zwei Verhältnisse
voller Poesie: die Liebe zwischen Stiefmutter und Stiefsohn,
und die Freundschaft des kühnen, aber durch und durch von
ritterlichem lOhi^efübl beseelten Kosaken zu Zbigniew. Diese
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Julina SInwftoki. 358
VerhältniBse nnd Charaktere üben auf die Seele den erbeben-
den Eindruck aus, den eben die Romantik als die Aafgabe äor
Poesie hinstellte; Slowacki gewann dadurch in der- polniBcheii
Literatur die Bedeutung eines ersten Dramatikere und Erzroman-
tikere. Der Kraft seines Talents entsprach eine erstaunliche
Productivität , wie sie sich selten mit einer solchen Kraft ver-
einigt findet; es entstanden Werke, die bei Lebzeiten des Ver-
raxRers nicht berau^egeben wurden : die Tragödie „ Beatrire
Cenci", das Fragment „Der goldene Schädel" und eine Menge
Anderer. Die Werke Slowacki's fanden Absatz und Verbreitung,
»ran Name brach sich jedoch nicht ohne Mühe Bahn, und bei
«eitern nicht in dem Grade , der seinem hohen Talent ge-
bührte. Mit Rrasiüski dauert die engste Freiindschaft fort,
noch verstärkt durch eine Gel^enbeit, die den Freunden die
Möglichkeit gab, auf der Arena der Literatur für einander
anzotreteo und sich fiir einander zu schlagen und so in ihrer
Person das Bild jenes zweiköpfigen Wesens, Lei nnd Polel,
Zuzustellen, mit einem Schild und mit einem Schwert, da»
^on Slowacki in „Lilla Weneda" erdacht worden war. Diese
Gelegenheit kam so.
Als zu Weibnachten 1840 die polnische Emigration bei einem
Diner zu Ehren Mickiewicz' zusammenkam , das von Eustathtus
Jumszkiewicz drei Tage nach Eröffnung des Lehrcurses der sla-
Tiachen Literaturen veranstaltet wurde, befand sich unter den
Oästen auch ^owacki , gegen den sich Mickiewicz fast immer
Haaserst leidenschaftlich und ungerecht erwiesen hatte, nicht
nur bei Beginn seiner Laufbahn, sondern auch in der Folge-
»it. Während er in seinen Vorlesungen sogar Sternen zwei-
ten Ranges in der polnischen Literatur viel Zeit widmete,
überging er Slowacki absichtlich mit eisigem und äusserst un-
verdientem Schweigen. Slowacki, der um des „Pan Tadeusz"
Villen Mickieiricz alles Vergangene verzieh, hatte sich mit ihm
innerlidi so aragesöhnt, dass er beim Glase Wein zu Ehren des
zweifellos ersten Sängers der Heimat eine Improvisation vor-
Irog, Allen lyrischen Ergüssen Stowacki's mischte sich stets
Tiel Snbjectives bei; in der Improvisation brach etwas von der
Bitterkeit persönlicher Erinnerungen durch, etwas auch von sei-
nen eigenen ich, von seinem Blut und seinen Thranen und von
seinen Rechten im Reiche der Phantasie, in welchem auch er so viel
Verdienste habe, dass das Vaterland auch ihn liebgewonnen habe.
Prm, SUilMhe LllerMnTen. H, t. 23
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354 Viertes Kapitel. Die Polen.
Die ImprovisatioQ wurde ohn« Gereiztheit, herslich gesprocheo;
Mickiewice, dadurch angeregt, antwortete in demselben Tone, wo-
bei er, vielleicht zum letzten male in seinem Leben, den ihn be-
schattenden Geist der Poesie empfand. „Leute verschiedener Par-
teien", schreibt Mickiewicz (Korresp. I, 175), „brachen in Thrä-
nen aus, küsat^n uns (d. i. mich und Slowacki) und wurden
voll Liebe." Er gab Slowacki den Ratfa, in eich den Geist des
Eigendünkels zu zahmen, erkannte aber sein Talent an und er-
wähnte sogar, wie er der Mutter in Wilna Julius' künfl^eii
Kuhm prophezeit habe. „Damit bestach er mich vollständig",
schreibt Slowacki (Briefe an die Mutter, S. 9), „wir waren
wie Brüder, umarmten uur und gingen xufuimmeu, indem wir
uns über die vei^ngenen Misstimmnugen unterhielten". . . ■
Aber eine Lappalie genügte, um diese eben hergestellten gut^n
Beziehungen 7U zerstören, ^um Andenken an den Abend be-
schlossen die Anwesenden, Mickiewicz einen silbernen Pokal
zu überreichen und Slowacki mit der Ueberreichung zu be-
trauen. Er fuhr auf. sein Argwohn und seine Selbstliebe
liegannen zu sprechen, er fasste den Antrf^ so auf, als wenn
man ihn hätte zwingen wollen, Mickiewicz gegenüber öffent-
lich sein Vaaallenthum zu bekennen. Die Feinde Slowacki's
bauschten den Vorfall auf, es entstanden Klatschereien, in dem
Journal „Tygodnik literacki Poznaiiski" wurde ein giftiger Ar-
tikel abgediiickt, voller Uebertreibungen und Entstellungen der
Wahrheit, worin Mickiewicz zugeschrieben wurde, er habe in
seiner Improvisation direot gesagt, Slowacki sei kein Dich-
ter. Mickiewicz, der die Sache mit einem Worte hätte richtig
stellen Und klarlegen können, spielte ^owacki g^enüber eine
Itolle, die diesen vorher wie nadiher am meisten aufbrachte
— die Rolle »tolzen Schweigens. Ehe sich Slowacki zu einer
Antwort aufraffte, trat für ihn Krasifiski ein, der nicht lange
vorher von Slowacki einen sympathischen Brief anlässlich der
„Sommernacht" empfangen hatte. Er bescbloes, die erste ernste
kritische Würdigung der Muse Slowacki's zu geben. Freund-
schaft hatte diese Abhandlung eingegeben: „Bedenke", schrieb
er (Malecki II, 117), „daaa auf der Rosenvilla (villa Mills)
einst zwei I^eute waren, die eich das Versprechen der Freund-
Kchaft galten und ot, hielten", aber es war auch das GefUfal der
(ieiechtigkeit, dns ihn veranlasste. Der Artikel über Slowacki
in Tyg. lit. pozn. (IH4I, Nr. 21— 2iJ) war nicJit unterschrie-
ü,g :.._.. ..Google
Joliua Stowsaki. 355
kn, aher meisterhaft abgefasst. Er stellt Slowacki als einen
anTergleichlichen Zauberer des Worts dar, ah eiiien Correggio
und Beethoven der Form, während Mickiewicz mehr einem Michel
Angelo derselben gleiche. Aber auch in Bezug auf den Inhalt
der Poesie seien beide son gleichem Wuchs — Biesen: Mickie-
wicz repräsentire die centripetale Kraft der Coogregation und
Affirmation; der andere, Stowacki, die centrifugale der Ne-
gAtioD; es sei dies diejenige Kraft, welche das Flüssige vom
Festen scheide, das Luftformige vom Flüssigen, und in republi-
kanischer Ironie mit Blitzen auf die Spitzen der Granitberge
schreibe: „morituri". Der Artikel suchte zu beweiseu, dass
sich Mickiewicz und Slowacki gegenseitig ergänzen, — was bei
dem einen fehle, sei hei dem andern im Ueberfluss vorhanden.
Während Krasiliski für den misachteten Freund eintrat, ver-
fertigte ^owacki gegen seine Tadler und Verkleinerer eine
Geissel eigner Arbeit, fein, schvruppig, welche Wunden und
rothe Striemen auf den vielen Leuten hinterlassen musste,
Hif die sie geschwungen werden sollte. Schon zur Zeit der
orientalischen Beise versuchte er sie in Byron'scher Manier
n schreiben, in Octaven in der Art des „Childe Harold";
ferner besass er schon vor dem Diner zu Ehren Mickiewicz'
Skizzen eines andern Gedichts ebenfalls in Octaven nach dem
Tjpus, welcher von Byron im „Don Juan" geschafTen war, und
den sich Fuskin in seinem, Slowacki allerdings unbekannten „Eu-
gen Onegin" so glänzend zu eigen gemacht hatte. Dieses Werk,
welches der Verfasser „seinen kleinen Bösewicht" nannte (Slo-
wacki's Briefe 1836—48. S. 197), trägt den Titel „Beniowski"
(1841). lo Werken solcher Art kommt es auf die Fabel am
wenigsten an, und es wird eine gewählt, die sich ins Unendliche
ausdehnen lässt, um auf ihi- die phantastischsten Muster zeich-
neu zu können. Dieses Thema gaben die Conföderirten von Bar
in ihren Streitigkeiten mit den königlichen und russischen Trup-
pen und in ihren Plänkeleien mit der Türkei und dem Chan
der Krim. Es haben sich die Memoiren eines solchen Conföde-
rirten, Mauritios Beniowski (1741 — 86), erhalten, der, von den
Küssen gefangen und nach Kamtschatka verbannt, dort einen
Aufruhr verursachte , aufs Meer Hob und, nach Madagaskar
gekommen , von den dortigen Wilden zum König dieser Insel
proclamirt wurde. Der Dichter lässt sich Beniowski in die
Tochter eines wunderlichen Starosten, Angela, verlieben, und
23*
ü,g:.z.u ..Google
35fi Viprtps Kapitel. Die Polen.
hat dieser Namen und Züge des eigenwilligen Fräuleins bei-
gelegt, die sein Herz in Florenz zu fesseln und zu unterwerfen
suchte. Der Vater will die Tochter an Dzieduszycki verheirs-
then, eine widerwärtige Persönlichkeit, die innerlich den Fein-
den des Vaterlandes ergeben ist. Die Conföderirten mit Pulawski.
dem Pater Markus und dem Kosaken Sawa an der Spitze, nehmen
das Schloss und erschlagen Dzieduszycki. Beniowski schlägt sich
unterdessen mit dem der Confoderation angehörenden Kosaken
ftawa, auf den er wegen einer Steppenschönheit, der halb zigeu-
nerischen Swentyna, eifersüchtig ist, und als die Raufenden durch
Pater Markus auseinandergebracht sind, empfängt er von diesem
den Auftrag, in die Krim zum Chan, dem Bundesgenossen der
C-onfoderirten, zu gehen. Das ist der Inhalt der ersten fünf Ge-
sänge, die herausgegeben sind, einige nicht publicirte über die
Abenteuer Beniowski's in der Krim sind Manuscript geblieben.
In dieser Dichtung ist nicht nur keine Einheitlichkeit, sondern
diese ist nicht einmal angedeutet; nur Einzelnheiten bleiben
übrig , lebendige Personen : der Priester Markus, der Kosak
Sawa, Swentyna, Angela, die mit erstaunlicher Schärfe und
Farbenfrische gezeichnet sind , aber am meisten Raum ist frei-
lich dem Erzähler selbst eingeräumt, der eich in LebensgrÖsse
flarin abgebildet hat, mit allen bezaubernden Seiten wie mit den
Fehlem seiner genialen Natur. Man darf sagen, derjenige kennt
Slowacki, sein Zeitalter und seine Sphäre nicht, wer ihn nicht
gerade im „Beniowski" studirt hat. Die Trä,ume der Jugend
haben sich yerwirklicbt, Slowacki hat sich ein Leben geschaffen,
wie er davon geschwärmt hatte, poetisch und mit der Aureole
künstlerischen Ruhmes umgeben, der für ihn alles auf der Welt
war und io welchem er einen Ersatz för die Einsamkeit wie für
die Entfremdung von der leidenschaftlich vergötterten Heimat
fand. „Wehe dem, der dem Vaterlande nur die eine Hälfte der
Seele gibt, und die andere für das Glück aufhebt" (3. Gesang).
Den Ruhm hatte er sich erobert, um diejenigen, die seine Herr-
schaft noch nicht anerkannten, kümmerte er sich nicht, er fiihlte,
dass er durchaus nicht niedriger stehe als Mickiewicz und
scbliesst „Beniowski" mit einer grossartigen Herausforderung an
i\on grossen litauischen Sänger: „Wir sind zwei Götter auf zwei
(Jegonsonnen. . , . Ich werde nicht mit Ihnen auf Ihrem falschen
Wo^o gellen, ich werde auf einem andern Wege gehen, und
(Ins Volk wird mir folgen; will es lieben, so werde ich ihm
Dig:.... ..Google
Jahns Stow&vfci. 357
Scbwaueiiklätige geben; wül es äcbwürtiu, ao wird es bei mir
schwöreu; will es erglübeu, so werde ich es enttlamuien ; werde
es hiDführeii, wu üott ist — iu die Uuendlicbkeit" (ü. üesaug).
la seiuer WeltaiiscliauuDg ist i^owacki uinfasbuiider , kübucr,
unabhängiger uls Mickiewicz, ur liebt iiii;lit deii Kiitechisiuuä,
dus Officielle, deu Klerikalismus, iüt nicht einmal Katholik;
er hat seine eigene Religion, ist thatsächlicb Pantheist und
uocb dazu ein eigenartiger: „Wer dich (Gott) nicht gefühlt hat
im Krbebun der Natur, iu der Breite der Steppe oder auf
(Jolgatha; wer nicht erkannt hat, du8B du bist im Dufte der
JugeudempfiDdungeii ; wer dich nicht fand beim Pflücken der
Blumen, in Maihlümcben und Vergissmeiunlcht, sondern dich
io Gebeten und guten Werken sucht, zu dem sage ich, dass
er dich tinden wird, allerdings finden wird, und ich wünsche
iten Leuten von kleinem Herzen und demüthigom Glauben,
ilasfi sie ruhig sterben können. Das btitztragende Antlitz Je-
hoTahs ist gewaltig. Wenn ich die Schichten der geöffneten
Erde zähle, so sehe ich, dass unter den Bergrücken Gebeine
ii^en, wie Standarten untergegangener Heere, die Zeugniss von
dir ablegen, o Gott, durch ihre Skelette" (5. Gesang). Seiner
Kraft ist er sich vollkommen bewusst, sowol wenn er die äusser-
sten Höhen lyrischer Ekstase erreicht, als weim er die GeiHsel
Jer Satire schwingt, deren Schläge ohne Wahl auf alle Parteien
regnen, auf die Aristokraten und die Frömmler, auf die Deniu-
kraten der Emigration, auf die Clubs und die Generale und Uf-
fiiiere der Uevolutiou, auf die „Dziady' und auf „Wallenrud",
anf alle Literaten und Kritiker der damaligen Zeit: „Es wird
die Zeit kommen, wo ich diese Herodese, die meine Kinder ge-
mordet haben, in der Holle fressen werde wie Ugolino." Sein
Spott ist ätzend, er dringt durch und durch, Slowacki schont
auch sich selbst nicht und scherzt über sich, indem er sicli
i. B. über die wilde Gier nach der Todtcnklage , die scbuur-
stracks in die psychiatrische Klinik führe, lustig macht, aber
seine Scherze haben mit denen Heiue's uichts gemein. Heine
so««] als Slowacki waren echte Hellenen in der Auffassung
<ler Kunst, iu der Meisterschalt der Form — aber Heine ist
im Herzen ein Clown und liebt es, das Publikum zu be-
lustigen , indem er sich krümmt und Purzelbäume schiesst,
während Slowacki in der Hinsicht ein Noli me längere ist.
ausgestattet nicht nur mit dein Gefühl des Ekels gegen alles,
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358 VieituH Ktipitel. Bie Polen.
Unwürdige, Niedrigu und Hässliclie, »undern uuuli mit einer
unTergleicliIicL stolzen Unabhängigkeit, kraft deren er, wie
ein einsamer Felsen über das kleinliche Ocwoge des MetiHcbeu-
getriebes emporragt. Dieser stolze Geist, der aus jeder Zeile
weht, wirkt noch heute ermutbigend ; kein einziger Dichter bat
so entschieden, wie Slowacki, auf die Stimmung der letzten
Jüngern Generationen der polnischen Gesellschaft eingewirkt,
— kein eineiiger hat ihr eine solche Selbstachtung eingeöösst,
die den Menseben hobt, auch wenn er enterbt und entniuthigt
wäre, in Armuth und in Lumpen, ohne Boden unter den Füssen
und ohne Vaterland. „ 0 dass doch nur eine Brust, zuge-
schnitten wäre", schreibt der Dichter, „nicht nach dem Masse
des Schneiders, sondern nach dem Masse des Phidias, o dass
doch nur eine töne, wie die Säule Memnonsl Aber es gibt keine
solche, das ist es, was mich schreckt; Kosciusuko bat euch vor-
aus gefühlt, als er ausrief: finis. . . . Jetzt, wo mich die Donner
Gottes von den Gipfeln der Pyramiden, von den vulkauischeu
Höhen horabgeschleudert haben, leide ich — aber fahre fort zu
verachten, und dieser ätzende Vers beisst euch ins Innerste hin-
ein. Er schwimmt, wie rasende Schiffe, von den Wellen ge-
schleudert in die Bläue des Himmels, von wo er eutstrointe und
wohin er zurückkehrt, wenn sich der Tod auf die Segel des
Schiffes setzen wird" (4. Gesang).
„Beniowski" machte einen grossen Eindruck: man scbiuijtne
auf den Verfasser, aber las und durchwühlte das Buch ; in Frank-
furt wurde Slowacki 80g:ir zu eiueni Duell gefordert, er stellte
sich, aber sein Gegner wurde feig und entschuldigte sich.
Dieser Erfolg verdrehte ihm jedoch den Kopf nicht. Dieser
Erguss der Galle, diese Entladung der subjectivsten GefUhie,
was den ganzen Heiz des ,, Beniowski" bildet, war nicht der nor-
male Zustand Slowacki's und wurde es auch nicht. In den Briefen
un die Mutter (Ende 1841; Slowacki's Briefe, 1836—48, S. y?)
entschuldigte er sich fast wegen des „kleinen Bösewichts", der
'notliwendig gewesen wäre, um „die Augen aller auf mich zu
lenken, und diejenigen zu nöthigen sich zu beugen, die sieh nie
vor mir beugten". „Ich hörte ganz auf nach Deiner Weise ein
Kugel zu sein, aber bedenke, dass in meinem Muude Feuer ist
und ich Ungerechtigkeit nicht ertrage. Es betrübt mich, dass
man bekannte, ich stehe auf meinem Boden, als ich denselben
gerade verliess. Sei versichert, dass meine Biographie ganz
ü,g:.._.u., Google
würdig uusfatleii wird, obgleich ioh jetzt, wo ich von Stufe zu
ätofe cmporisteige, mir manchmal nicht ähnlich ucin muss."
- Diese letztere Frophezeihuiig hat sich nicht erfüllt; niemand
könnt« (tenken, dttSE sich dieser glänzende Künstkr ohne jegliche
äussere Ursachen and Veränderungen in den Bedingungen Beineri
physischen Organismus schon damalu am Vorabend des Tages
befand, wo er nicht zu steigen begann, sondern zu sinken, dass
nT, indem er sich ganz in sich selbst zurückzog, gegen die Kunst
erkalten, aich sogar Von derHchönheit abwenden werde; dass er,
der unzähmbare, der nicht einmal die Zügel des kirchlichen
Ceremoniells ertrug, »ich vom selbsVllndigcn Denken lossagen und
linem fast niünchischen Gehorsam unterwerfen werde. Dieser
ImuchwuDg fand dennoch statt; er wurde durch die Lehre
Towiaüski's herbeigeführt, die auch auf Slowacki einwirkte, aber
sich ihn natürlich aus andern Gründen unterthan machte als
Mickiewicz. Wir haben nun diese Gründe zu erörtern.
Ans den angeführten Stellen der Briefe an die Mutter ist
versehen, das» trotz vieles Kleinlichen in ihm, wie Eitelkeit.
Leidenschaft für schöne äussere Formen, einer fast kntukhaften
Ruhm- und Selbstliebe, die Seele Slowacki's doch voll hoher
BestrebäDgen , unerfüllter und unerfüllbarer Wünsche war, dass
seine Weltaus cliauung, wie von einem schwarzen Flor, vom Gram
über die traurigen Schicksale seine» Vaterlandes umzogen war,
nnd dass er, trotz seines Pantheismus, doch mit allen grossen
Repräsentanten seiner Generation auf religiösem Boden stand
und ihn von der römischen Kirehe nur „die Engherzigkeit der
.Anschauungen der « Pharisäer » abstiess, die ihm Widerwillen
gegen die Schwelle der Kirche einHössten, da sie einen kleinlichen
und falschen Weg zu Gott zeigen, auf dem nur Wünner kriechen
können" (Briefe II, 108).' Die officielle Kirche konnte zum
Tröste nur Gemeinplätze über die unerforechlicben Wege der
Vorsehung bieten, aber für ein so unruhiges Temperament reich-
ten solche Tröstungen nicht aus; als daher ein Reformator und
Prophet auftrat, der die polnische Emigration mit fortriss, und
erklärte, dass er eine Offenbarung von oben habe, der es unter-
nahm, auf wunderbaren Wegen und mit wunderbaren Mitteln die
Zukunft Bowol seines Volkes als der Menschheit aufzubauen, und
' P. Chiiiiülowski, Üstatniu liita Stowackiegu {iu Atun^um, 18T7,
ü,g :.._.. ..Google
360 Viertes Kapit«!. Die Polen.
titiißin jedeii rieiiier Scliüler rietb, damit zu begiuiieii, das» er
(leu alten Mcotichen ausziehe, durch den Geist wicdeigebereii
werde, da war Slowacki, der sich nie durch eiueti durchdriu-
geudeii Verijtaud auezeichnete, und eher dem Herzen, dem
lustinkt und der Phantasie folgte, eiuer der orsten, der sieb
Towiaüüki auscbluuä und an eine uumittolbaiu Gemoinscbaft mit
Gott durch denselben glaubte. Es kam ihm vor, als habe er
das erworben, worin ihn sein vergaugeueb Leben nicht befriedi-
ge» konnte, und dass er aus eiueni leeren Phantasten ein wirk-
licher Mann der Tbat gewprden sei. Er war nicht Dur über-
zeugt, dass infolge der neueu Wiedergeburt durch den Geist in
sehr kurzer Zeit eine ßestauratiou durch die Thätigkcit der
Gläubigen, welche die neue Offenbarung aufgeiiouimeu hatten,
vor sich gehen werde, sondern auch davon, dasu sich eiue Art
Metern jisychose volliiielien werde, dass uns von allen Seiten My-
riaden körperloser Seelen umgeben, die sich beständig iu ueueii
Leibern verkörpern (Briefe II, 114—177). In seiner Correspon-
denz mit der Mutter geht plötztich die schroffste Aenderoug vor;
statt herzlicher Ergüsse stellen sich ErniaJmuugen ein, er wird
vollständig iiiystiscli. — »Ich, einst ein uubändigos Kiud, ein
fliegendes Feuer, lebe jetzt, abi wenn in mir kein Blut, keine
Begierde, keine Wallung uud kein Aufbrausen wäre" (181). ¥x
meidet nicht nur Handschuhe und Parquets und jede leere Me-
lancholie (104, 10!)), jedeu Byronismus (13G), sondern es sind
ihm sogar die Lubsprüclie anderer widerwärtig (141), und Leben
und Tod gelten ihm gleichviel. Jeder Wunsch persünlidieii
Glücks ibt geschwunden, aber die Liehe zu deuMeuscbeu durch-
dringt ihn ganz und gar; er wurde schlicht uud gutmütkig,
versöhnte und verbündete sich im Towiauismus detiuitiv mit
Mickiewicz (lUü); in seiner Seele ward ein Gefühl sliller Freude
vorherrschend (141). — Er lebte als Einsiedler und Ascet iu
Paris, oder reiste im Sommer in wenig besuchte französische
Seebäder an den Küeten des Atlantischen Oceans. Der alte
Meusch blieb jedoch auch in dem neuen, nur in einet' stark ver-
änderten Form. Der colussale Eigendünkel, der ihm durch sein
Talent eingeflösst wurde, verwandelte sieh iu die Emphiidungü-
weisc des Fanatikers, der sich zu den ihn erleuchtenden Ideen
wie zu eiuer göttlichen Eingebung verhält und diejenigen tief ver-
achtet, welche nicht Ueberzeugungen theilen, die iu seinen Äugen
augenscheinliche Evidenz haben. Der Umschwung, welcher SI07
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
JuliuB Sto-nsoki. 361
Tacki weicher und bcüKer inaclite, ausäurte eich in seiucr pue-
tischeu Thätigkeit in der uugiin&tigfjten Wöitie; er horte auf
seine Werke durclizudenkeu und zu verbesbern, weil er auf-
büite dahin zu dringen, „wolier die Gedanken koniuien und
wohin sie gehen" (148), er Hcxs sie in dor Gestalt ausgehen,
wiu sie ihm aus der Foder flössen. In jener Zeit unter-
lag er mehr dem Einflüsse des katholischen und zum Thoil
mystiticben Cnlderon, als dem irgendwelcher audei-n Dichter.
Die zwei Dratneu: „Der Priester Mai'ek" („Ksi^dz Marek",
1841) und „Sen srehruy Salomei" (1844) schrieb er mit einer
solchen Vernachlässigung der Form, dass sie gar nicht Kunst-
werken ähnlich sind, sondern vielmehr den wüsten Irrgängeu
eiQcr Phantasie, die lauter Seluecken träumt: die Kuliiwszcicyzna
uud die Conföderirten , lebendig verbrannte Ilajdamaken, Poltc-
niDgen, Notfaziichtiguugen und allerhand Qualen. Der Iteich-
thun au Bildern ist, wie bei ihm immer, uueräcliÖpflich , aber
die Phantasie Itiegt ungezügelt dahin, ohne dem Vei'stande zu
piliorchcii. Nach diesen tollen Schöpfungen trat eine Periode
nhigereu Schaffens ein, worin Slowacki die neue mystisc)ie
Lehre, die Theorie der ,, Verkörperungen" im Wort darzustellen
«lebte: eine solche Bedeutung haben die zu seinen Lebieiten
nicht herausgegebenen Werke „Genesis aus dem Geiste"'
und „Köjiig Geist", dessen erste Rhapsodie 1847 in Paris ano-
ujrni gedruckt wui'dcj eine ganze Reihe weiterer nicht lieraus-
g^ebeucr Rhapsodien in herrlichen OcUiveu gibt <<eugniss davon,
wie angestrengt und lauge Slowacki an dem Plane gearbeitet
hat, welcher der nichtbeendeten, dem Umfang nach bedeuten-
den Dichtung zu Grunde liegt. Seine „Genesis" schätzte Slo-
«ucki sehr hoch, doch ze%t es sich, duss er nur das schon
entdeckte Amerika wieder entdeckt hatte, und ohue mit den
„Naturphiloeophen" bekannt zu sein, die von diesen erarbeite-
ten, Kchon in Umlauf beflndlichcu Ideen reproducirte. Sein
„Geist" ist dasselbe, was Hegcl's Idee, die an der Schöpfung der
Foim arbeitet auf der riesigen Stufenleiter der Geschöpfe vom
Stein und Krystall aji bis zur Pflanze, von der Pflanze bis zum
Oi^anismns, und vom einfachen Organismus bis zum Menidchen.
Die Träume der Naturphilosophie sind mit der Anamnesis
Plato's vermischt, jede Form ist die Erinnerung an eine ver-
' Gentnie z ducha. Modiitwu. Leuiljeig und l'oBua IB12.
.yGoOgIf
302 Vierte» Kapitel. Diu Polea.
gaiigtiHG und die Offenbarang uiner zukünftigen. In der Dich-
tung „König Geist" („Kröl-Duch") kehrte Slowacki xu sei-
nem beliebten Thema zuröck, zu den halbinythischeii Eniih-
lungen aus der Urzeit tisines Volkes; id früherer Zeit benutzte
er diese Sagen, um pgychologische Probleme („Balladyna")
oder Lebeutifragen der Gegenwart („Lilla Weneda") aufzustellen
— jetzt benutzt er sie zum Beweise seiner mystischen Theorie
der Verkörperungen', zur Realisirung der Lehre Towiafiski's in
der Poesie und zur Erklärung aller Geheimnisse und Räthsel
der Nationalgeschichte mit dem Schlüssel dieser Lehre. Wir
haben schon auf einen besondern Zug in der geistigen Oi^ani-
sation SJowacki's hingewiesen, auf seinen HeroescultUE , seinen
Glauben an grosse Milnner, welche mit ungewöhnlichen Mit-
teln wirken. Für ihn. der sich nicht mit der Analyse befasstc
und gleich die abstractesten Ideen personificirte , lief die ganzu
Geschichte auf eine Geschichte der Heroen hinaus, und. diese
selbst sind die stufenweise Verkörperung eines und desselben
Geistes, der sich nach einander in mehreren Körpern niedertässt,
eine unendliche Reihe von Leben durchlebt, wobei er das Volk
zu immer höhern Stufen der Entwickelung leitet oder mit Gewalt
stösst. So erscheint als Leiter des Lebens der Nation immer
ein und derselbe König Geist, der die Geschichte seines Du-
seins, seiner Einwirkungen auf das Volk, seiner Tode und Meta-
morphose» selbst erzählt. Es treten nacheinander grosse Ge-
waltmenschen auf, welche wie Schmiede den weichen Stoff —
ihr Volk — auf dem Ambos schmieden durch kräftige Scbwert-
und Hammerschläge, mit Herzlosigkeit, Grausamkeit, Tyran-
nei, sodass durch die Thätigkeit dieser Gottesgeisseln das blut-
triefende Volk gehärtet, in bestimmte Richtung gebracht und
auf den Stufen der Entwickelung vorwärts gelehrt wird. Ori-
ginell ist in diesem Versuch nicht so sehr die Verherrlichung
und Apotheose der Tyrannei, als der Umstand, dass diese Apo-
logie der Tyrannen von dem unabhängigsten Dichter des frei-
heitsliebendsten Volkes geschrieben wurde, das deshalb unter-
ging, weil es der Staatsgewalt nicht die geringsten Conccssionen
dem Individualismus gegenüber einräumte. Stowacki fuhrt Tyran-
nen vor, die Ivan dem Schrecklichen nicht nachstehen, und sogar
I Asiiyk, Kn.l-Diicli Htuwiiiltiiigo (iu Pruugl^d nauki i liU-raturj 1879,
ü,g :.._.. ..Google
JiilinB Stowftuki. 363
diesem entluhntu Churakteridüge erhalten habe». Die fiiisterts Tiefe
dieser Idee ist überraücIieDd ; mit Recht bemerkt Asiiyk, das» sie
ancli iiar in der Seele eines polnischen Bichteris geboren werden
kuiititc, der alle Schmerzen der Demiithignng und des Verfalls
«'rduldet hatte nnd nach einer Existenz dürstete, sei sie auch er-
kauft mit den Folterqualen ganzer Generationen. Wir wollen in
kurzen Worten darlegen, wie Stowacki diese Idee in dem letzten
seiner grossen Werke verwirklicht hat.
Am Schlosse seiner Kepnblik führt Plato, zur Erläntorung sei-
ner Lehre von den angeborenen Ideen, den Er (Hör), Solm des
Armenios, vor, der, in einer Schlacht gefallen, wieder auflebte
und erzählte, wie die Seelen nach dem Tode gerichtet werden,
miil wie sie die Körper und Formen wählen, die sie annehmen
wollen, worauf sie erst aus dem Lethe Vergessenheit tränken.
Wo Plato aufliört, setzt Slowacki ein; noch hat Er das Wasser
des licthe nicht gekostet, sondern nur seine Wunden gewaschen,
Js ihm ein wunderbares „Gesicht" erschien, die Tochter des
Slowo (Wort), eine mystische Person, worin der Dichter die
Mce dos Vaterlandes darstellen wollte, wie sie die bessern
Leute im Volke verstanden.' Er war von der Schönheit der
Erscheinung so entzückt, dass er auf ewig sich in sie verliebt,
das Verlangen zu leben empfindet, einen Körper annimmt und
sich auf einmal in einer Wüste befindet , als Kind einer Zau-
heriu. aus deren Worten zu ersehen, dass sie Rosa Weneda
ist, welche ihr untergegaugenes Volk beweint und ein Kind
geboren hat, nachdem sie durch den Staub und diu Asche der
Erschlagenen befruchtet worden war, weshalb sie auch das Kind
einen Sohn der Asche oder Popiel nuiinte. Popiel wächst anf,
kommt als Knabe an den Hof Lech's, erlangt durch Tai)fer-
heit und Unerschrockenhcit den Kting des ei'sten Wojewoden.
Sein Rahm weckte Neid, man wirft ihn ins Gefangniss, aus
dem ihn die Tochter Loch'a, Wanda, errettet. Der Flüchtling
begegnet einer Gefolgschaft von Germanen, die von einem
Römerzng zurUckkebren . setzt sie in Ei-staunen durch seine
Kraft, and von ihnen zum Kaiser ausgerufen, zieht er gegen
das Land Lech^s, wo nach dem Tode des letztem Wanda als
' „Der Kntfltchung eine» jciliiii Vulkos giug Uic Suliu|ifutig dw Idee
vuraun, Tür wulube daiiD die McueuhiMi wirktnu, die eben iu die Üii^sur
IJec cotsprecheade Form kryaiallieirt waren." Stowaeki, bei Uateuki II, 273.
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3R4 Viertes KapiUl. Die Polen.
Fürutiii regiert. Der stolze Sieger fordert, Wauda solle koiii-
uieii, ihn zu bedienen und den Wein zu credenzeu. Wanda ent-
zieht sich dieser Kroiediigung , indem aic sieb in die Weichsel
stürzt. Da beginut die volle und unbestiitteue Hermcliaft Po-
pier», die allmühlicb rauher und schwerer wird uud zu den letz-
ten Grenzen zügelloser Grausamkeit gelangt, welche nicht durch
Widerstand oder Empörungen der Beherrschten, sondern durch
ihre stumpfe Apathie und Trägheit, durch den langsamen Verlauf
der Dinge im Volke, der dem Gang der Schildkröte gleicht, durch
eine l'iusterniss und Stille, wie in den Stunden vor TagesaubnicL,
hervorgerufen wird. Popiel beschüeset, das Volk in Bewegung zu
bringen, die Gottheit selbst zur Verantwortung zu ziehen, falb
es eine solche gäbe: „Und ich heschloss, die Himmel zu allar-
miren, auf den Himmel wie auf einen eherneu Schild zu schlagen,
durch eine l'reveltbat den blauen Himmel auseinanderzureisseu
und zu öffnen, uud die Säulen der Gesetze in den Grundfesten
zu ei'scbüttern, auf denen der Engel des Lehens sitzt, damit sich
mir Gott selbst zeige — erbleichend." Obno Antwort bleibt ein
Versuch nach dem andern, eine Herausforderung nach der an-
dern, Opfer ohne Zahl werden gebracht; Popiel ist von höllischer
Krtinduug^abe in der Auswahl von Qualen, wodurch er nicht
nur nicht Buhe und Schlaf verliert, sondern sogar Popularität er-
langt: „Am sonderbarsten ist es, dass man mich liebgowonueu
hat wegen der Krait und wegen des Schreckens und um der
Qualen willen, sodass, wenn ich mich zeigte, das Volk vor mir
auf die Knie fiel." Die Straflosigkeit reizt den Blutsauger zu
ungeheuerlichen Thaton, zu Attentaten gegen den Geist selbst
Seine Mutter lüsst er verbrennen und den Wojewoden Swityu
hiiiricbteB, dem er für die Ausbreitung seines Reichs von «ineiu
Meere zum andern verpflichtet war. Der Hinrichtung Swityn's
geht eine Episode voraus, die ganz und gar dem Lehen Ivan 's
dos Schrecklichen entnommen ist , welcher beim Lesen eines
Briefes von Kurbskij seineu Stock in den Fuss des Vaäka Sibauov
sticss. Swityn sendet eine Botschaft an Popiel durch seinen Sän-
ger Zorjan, den Popiel mit dem Schwert an den Boden nagelt und
dann hinrichten lässt. Die Familie Swityn's wird ermordet, in
dem blutbefleckten Palast desselben schmaust der König, indem
er verkündet: „l-^ ist nichts im Himmel, ich werde mich selbst
als Hot Gott riclitfui." Da neigt sich am Himmel ein Komet:
Popiel siclit de« Tod nahen. In den letzten Worten des abtre-
ü,g :.._.. ..Google
.Tnliu« SInwaoki. 365
teoden Popiel ist der ganze Sinn der Dichtung entimiten: „Ueber
mir war eine Ronnige, goldene Idee; zu ihr führten mich auf die
Schwelle hoher Ziele endlose mit Blut befleckte Stufen. Ich
fdiritt, wie ein Ritter, auf blutigem Wege, aber ohne Zittern.
Leben ertönte in jeder Saite meines Geistes, Kraft war in jedem
meiner Schritte. , . . Durch mich ist dieses Vaterland gewachsen,
TOn mir empfing es den Namen und schreitet vorwärts durch
lien Schlag meines Ruders. Mehrmals führte es die Sturmflut
Tom Wege ab und aus seinem Geiste erwuchsen todte Blumen
ohne Duft, aber, was ich in blutiger Weise erstickt, dadurch
hat immer dieser Geist gesiegt, wenn er Gelegenheit hatte 7.n
erglänzen. . . . Gehet. Ihr seid nicht mehr die Diener meiner
Raserei, sondern starke Ritter. Ich habe das Volk mit Blut
getanft und über die Ströme desselben habe ich den Geist er-
hoben, der den Tod verachtet. Mancher Bauer wird durch
das I.ied den langen Abend versüssen nnd sich dadurch anf-
mnntem, dass er seiner Väter gedenkt, wie sie kühn in den
Tod gingen, wenn sie der König hinschlachtete."
Die eigenartige Philosophie des „König Geist" konnte zu der
Zeit, wo die Dichtung erschien, nicht gefallen nnd kann kaum
jemals Erfolg haben, weil ihre sittlichen Grundlagen verkehrt sind,
und niemand dieses Lob der Blntsaugerei überzeugen kann, dass
sie das Mittel sei, den Geist aus der todten Masse wie den Funken
ans dem Stein zu schlagen. Diese Verkehning der sittlichen
Gefähle und Begriffe interessirt nur als psychologisches Räthsel.
Die neue Richtung Slowacüi's rousste die guten Beziehungen
zn seinen au&ichtigen Freunden, deren er sehr wenige hatte,
und insbesondere zu Krasiiiski abkühlen und zerstören. Mit
der eifrigen Begeisterung, mit der er der neuen Lehre bei-
trat, begann er Krasii'iski brieflich zu seinem Glauben 7u be-
kehren, indem er erklärte (14. December 1842), dass sich mit
ihm vollzogen habe, was er schon im „Anhelli" vorausgeRihlt,
nnd dass er „besiegt von den DonnerotTenbarungen des Geistes
da» Heidenthom verflocht habe , obgleich er nicht vergessen
könne, dass es ihm ein gnädiger Herr, die Dianen desselben
seine (^owacki's) Geliebten gewesen seien, und die Dauer
desselben &Bt eine Ewigkeit geschienen habe". Krasifiski, der
sich gleich von Anfang bis zu Ende skeptisch gegen den To-
wianismus verhielt, schrieb (27. October 1841) sehr vernünftig;
„Lieber Julius 1 An Wunder glaube ich, überall und immer, an
ü,g :.._.. ..Google
■a6ß Vievtea Kapitel. Die Polen.
Wunderthäter fast niemala; ich kenne keine pralilerisdiere Hof-
fahrt als diejenige, welche sieb fdr den Leiter eines Stro-
mes von Wundem hält .... Dtis Wunder iet etwas in der Art
einer Arbeitseinstellung in der Natur, etwas wie eine Erwar-
tung, dasB die gebratene Taube selbst in den Mund fliegen
werde. Hege nicht den wilden Glauben in Dir, dass es mög-
lich sei, Jahrhunderte durch eine Strophe umzukebren." Je ein-
dringlicher die Briefe Slowacki's waren, desto diplomatischer
und ausweichender wurden die Antworten und Widerlegungen
Krasiüski's, die aber auf die wunde Stelle des neuen Adepten
gerichtet waren, auf die äusserste Beschränktheit und Intoleranz
des TowianismuE. Die Correspondirenden brachte einst die Kunst
einander nahe, jetzt trennte sie der Glaube, die Beziehungen
erkalteten und brachen mit 1843 ganz ab; zuletet, als es äch
zeigte, dass sie in den politischen Ueberzeugungen einander
diametral entgegengesetzt waren, da kam es zu einem offenen
Bruch und zu einem poetischen Kampfe der ehemaligen Freunde.
Beror wir diese Peripetie berühi-en, mügsen wir zu Kraeifiski
zurückkehren und ihn von der Zeit an verfolgen, als seine Hnse
zu Anfang der vierziger Jahre eine neue Richtung empfing und
sich sogar die Gattung seiner Poesie änderte.
Diese neue Bichtung wurde durch zwei Ereignisse bedingt:
erstens durch die Verbindung mit Delpbina P., die Krasiüski in
seinen Gedichten bald seine Schwester bald seine Beatrice nennt,
zweitens durcli ein sehr eifriges Studium und durch die Aneignung
der Hegel'schen Philosophie. Was das jedenfalls nicht gewöhn-
liehe Weib betrifft, das zu seiner Huse wurde, so war diese (vor
kurzem verstorbene) alleinstehende, von einem unwürdigen Mann
geschiedene Frau' schön, witzig, künstlerisch begabt, liebte es
aber, sich in Positur zu setzen, und zog den Dichter mehr durch
das Bild der Leiden ihres verfehlten Lebens an, dann aber
fesselte sie ihn wahrscheinlich dadurch an sich, dass sie ihm
»eine eigenen GedaiJten und Ideen im Betlex wiedergab. Sie
bereiste mit Krasiüski die italienischen Seen, folgte ihm nach
Deutschland, pflegte aufs zärtlichste den todtkranken Danielewicz,
der in den Armen Krasiüski's starb, und begleitete den letz-
tern auf den Spaziergängen in der Umgegend von Nizza in dem
' Eb war (liea <lei- äuliii einer Griecbiu, eiD<> Pei'ion, die in der polni-
schen Poesie mehrmals uuter dem Namen Waolaw auftritt.
...., Google
Sigiunund Kraaii^ski. '^&^
denkwürdigen Jahre 1843, als die „Dämmerung" („I'rzediwit")
geschrieben wurde. Gleich darauf ging im Leben Krasi/iski's
eine weßaotlicbe Aendenmg vor, deren Ureachen noch nicht
ganz in allen £inzelnheiten klargelegt dnd. Dem Willen det>
Yitlerg nachgebend und dieBen erfüllend, entschlo&s er sich,
die Gräfin Elisabeth Branicka zu heiratben. Vor der lleirath
TerabBchiedete er sich von der, welche er nicht aufhörte zu
heben, und schrieb ihr den berzzerreisseuden „AbBchied,"'
Aber auch nach der Heiratii dauerte die Anhänglichkeit und
Correspondenz fort, und erst in den letzten Jahren, auf dem
SterbebettCj erkaltete Krasiiiski für den Gegenstand seiner letz-
ten LeideuBchaft, sali sie ungern wieder und liess ihre Briefe
anbeantwortet , . . ' — Was die deutsche Philosophie betrifft, so
b^nn nach den Worten Krasinski's, als 1831 ihr Lehrer starb,
der „sich zwischen Plato und Christus gestellt hatte" (Briefe an
Jaroszyiiaki, S. 36), eine Zersetzung smner Schule; es tauchten
Streitigkeiten über Fragen auf, die er diplomatisch umgangen
ktte, indem er sich nicht voll über dieselben aussprach; am
sKrksten machte sich die linke Seite der Hegelianer geltend,
velcfae die Philosophie ihres Meisters als das darstellte, was
sie auch in Wirklichkeit war — als reinen Pantheismus, der
in der absoluten Idee sowot die Persönlichkeit Gottes als die
Persönlichkeit des Menschen zersetzte, der den Vorliang zer-
ris« und zeigte, dass hinter den religiösen Vorstellungen nichts
sei, als eine grenzenlose Leere. Ein solcher Pantheismus, dem
Atheismus gleichwerthig, konnte durchaus nicht der Stimmung
eines Volkes entsprechen, in welchem fenrige llof&mngen auf
die Zukunft und Leiden in der Gegenwart das religiöse Gefühl
nicht abstumpften , sondern weckten und es nöthigten , seine
Stutze in der Gottheit zu suchen. Schou im Jahre 1836
schrieb Krasinski (Kronika rodz. 1875, S. 35): „Der Pantheis-
mus Sptnoza's ist identisch mit Atheismus: die Seele des In-
dividuums wird zu einer Art Elektricität. Ks gibt nur eine
Kwigkeit der Kraft, keine Ewigkeit der Idee. Indien ist schon
fiUOO Jahre vor dem Juden Spinoza im Denken zu solchen ver-
' „6«te für mich, dasg miob nicht dai ewige Leid um Dioh in die
UÖUe reiaae. Bete, dtiiB icb bei Gott im Himmel nach Aeonen ii^eitd
«inmal Dir b^^ne."
' Job. Gnatüwalti, Moja Beatrice (in Miwa 1879, Nr. 119 u. 120).
...., Google
3fi8 Vierten Kapitel. Dia Polen.
zweifelten Extremen gelangt." Die logischen Conseqnenzen Spi-
iinza's nnd die Prämisse der Hegerschen Philosophie schreckten
sowol Kmsii'ieki als dessen Landslcute ab, sie schraken vor Atm
l'antheistmns zurück, sei es dem strengen Spinozas, sei es dem
goldverhrämten Schelling's und Hegel's {Briefe an Jaroszji'iski,
S. 30). Diejenigen, -welche sich auf den Fusstapfen Hegel's in
die Schluchten der Metaphysik versenkten, beunruhigte der Ge-
danke, dass das Leben voller und breiter sei, als die philosn-
pliische Idee, dass die Seele kein blosser philosophirender Ver-
Htand sei, dass die Einseitigkeit der Deutschen, welche die
Philosophie zur reinen Negation führten , aus dern ProteBtnn-
tismuR derselben hervorgehe; sie meinten, es könne eine beson-
dere Philosophie geschaffen werden — eine slavische, welrhe
den romanischen Empirismus mit dem germanischen Idealismus
versöhnen, und, indem sie Hegel und dessen dialektische Mo-
thode der dreistufigen Evolution des Gedankens zum Ausgangs-
punkt nähme, die Persönlichkeit Gottes, die Unsterblichkeit der
Seele beweisen, den Willen hervortreten lassen und ihm die oberste
Bedeutung geben werde, indem sie ihn zwischen Gefühl und Ge-
danken stellte; sie meinten, dass wir einer neuen Periode des
Seins entgegengehen, in welcher die slavischen Völker mit Polen
an der Spitze die Hauptrolle spielen würden, dem Reiche des hei-
ligen Geistes, des Parakleten. Diese Ideen wurden mit beson-
derm Talent und Kraft ausgesprochen von einem Jugendfreunde
KraeiAski's, August Cieszkowski (geboren 1814), in dem Buche
„Prolegomena zur Historiosophie" (Berlin 1838), das einen ge-
waltigen Eindruck auf Krasinski machte (Briefe an Jaroszyüski,
S, 47), und sich unzweifelhaft in den Visionen von der in Trüm-
mer fallenden Kirche des heiligen Petrus im dritten Gedanken
des „Ligenza" wiederspiegelt. Die Ausbildung der Hegerschen
Philosophie in dieser Sichtung lag damals im Geiste der Zeit.
Ausser Cieszkowski gingen auf demselben Wege drei Denker
von nicht geringer Befähigung: Karl Liebelt (1807—1875).
Bronistaw Trentowski (1807—1869) und Josef Kremer (180G
— 1875).^ Neben Cieszkowski übte auf Krasiliski noch einen
' Uinittäiiil liehe Nurhrinhlen iiher tlie Si-hiukgale der Ilegersi-hpii Philo-
Hi>|)hin iu Polen knnn man mis ilm- Ah)inn<llunf; F. KrupiiiHki'H xchüpfeii
„t'iloziiria w l'iilscc". Bin Rciln^ü zu der 18l!2 lu WarBcha« heniuBiieiEeWiM'ii
IJelirriiptzuntf *'"" Süliwejtler'R „Gedchichtc ilpr Pliilofinpliir".
...., Google
SiKismund EraainBki. 369
KnflnsB ans sein Freund, der Musiker Constantin Danielewicz,
tor dessen „bronzenem Verstände" sich Erasii'iski beugte, und
den er, nachdem er ihn in München begraben (er starb 27. März
lfH2), bitter beweinte', indem er ihm das Beste zuschrieb, was
sich in seinen Werken findet. Der Dichter der Zukunft ging
natoTgemäss Hand in Hand mit den Philosophen der Zukunft,
die diese mittels Formeln von der Schärfe geometrischer Lehr-
sätze deducirten. Nachdem er nicht lange vorher begonnen
in Versen zu schreiben, fing Krasiüski jetzt an philosophische
Theorien in Verse zu kleiden^, was freilich den Werth seiner
Werke nicht erhöhen konnte, da die philosophische Idee
besser und genauer durch die ti-ockene Formel, als durch die
dichterische Phrase oder den Vers wiedergegeben wird. Er
war Denker, aber zugleich auch Dichter. Von seinem persön-
lichen Standpunkt aus ist das Philosophiren die Blüte, die
dem Herzen entwächst: „ohne diesen belebenden Thau (des
Herzens), verdorrt es" .... „Wenn mich irgendetwas ret-
W, schrieb er, „so ist es vielleicht der Umstand, dass das
Cefühl der Schönheit unauslöschlich in der Tiefe meiner Seele
wohnt. Ich verstehe auch das G^te nur in ästhetischer Form"
(Briefe an Jaroszyiiski, S. 19, 29). Diese seltene Vereinigung
zweier Eigenschaften in einer Person gab Krasinski die Möglich-
Iceit, eine besondere Stellung zur nationalen Frage einzuneh-
men und sie mit einem so hohen Verständniss der Geschichte
der Menschheit wie der Schicksale seines eigenen Volkes zu
lösen, dass ihn das begeisterte Lied, welches er anstimmte, auf
' Kronika rodz., S. M (Freibarg 1874). „Er war ffir micli die Kraft,
dk mir Verstand gali, weil er tnioh mit der Ueisaet der ewigen Wahrheit
trieb. Er verstand ea, mein Herz weit höher ala das Leiden auf die
Sl^eslöue der Martern zu stiramen." . , , Danielewicz kannte die Syateme
SehelliDg'B und Hegel's vorzüglich. Im „Unvollendeten Gedicht" ist er
nuter dem Namen Alighieri, d. i. Dante, vorgeführt.
' Dahin gehört „Der Sohn der Schatten", — der erste GeUanlte „Li-
KPUiaVnndderPaalm „DerQlauhe", der folgendermassen beginnt: „Körper
■■»i ßeist «ind zwei Flügel, mit denen mein Geist in aeinem fortaohreiten-
den Finge die Schranken der Zeit und des Raumes zertheilt; wenn sie
auth Handerle von Momenten und Versueheu abgenutzt werden, so fallen
■>« ab, »her jener stirbt nicht, obgleich dies bei den Menschen Tod genannt
wiri.'- Die drei Hypostasen der Dreieinigkeit werden weiter unten als die
'"*' Kategorien des Seins, des Denkens und des Lebens prklärt.
370 Viartes Kapitel. Die Polen.
einmal beliebt, bekannt und einäussreich macbte, ihn Mickie-
wicz und Siovacki ebenbürtig an die Seite stellte. Wenn er
Urnen an Kraft de& poetiaehen Talents nachstand, so übertraf
er sie dadurch, dass er wie eine schneebedeckte Alpenhöhe
erscheint, geröthet von den ersten Strahlen der aufgehenden
MoTgenröthe, während noch rundumher alles mit der dichtesten
Finstemiss der Nacht bedeckt ist. Auf alle seine Zeitgenossen
wirkte der für sie TerhängnissTolle Zwang zur Unthätigkeit
niederdrückend; in Gram darüber versunken, stifteten die bes-
sern Leute entweder wahnsinnige Unternehmungen an oder
verfielen in den Myatioismus und folgten den Irrlichtem dei
wildesten Pfaantaaian, in der Meinung, darin das Heil zu
finden. Die Beziehung Krasinski'fi zu den unterirdischen Ar-
beiten der Rerolutionäre konnte nur eine negirende sein. Was
die betrübenden Erscheinungen des Mysticismus betrifft, so war
er der Meinung, dass dies ein gefährlicher Seelenzustand so,
aus dem sich im allgemeinen Charlatanerie, in der Religion
Heuchelei, in der Poesie Uebertreibung und Geisteaverfinst«-
rung, im praktischen Leben Gemeinheit und Verbrechen ent-
wickeln. Den Erfolg Towiaüski's erklärt er als das Erschei-
nea eines Seegangs vor dem Sturme, und die selige Za-
friedenheit seiner Adepten, die weder auf einem gründlichen
VernunftfichluBs noch auf irgendeiner ezacten Kenntnies be-
ruhe, galt ihm für eine Art Gefiihlstrunkenheit, in welche sie
durch den Magnetieeur Towiafiski versetzt wären (Krasifiski'E
Briefe, 135, 136). Allein die Tbatsache der Bildung der „Sekte''
konnte auch auf Erasiiiski unmöglich ohne Wirkung bleiben,
da sie ihn nöthigte, sich in sich selbst zu vertiefen, and die
Grundlagen jenes vernünftigen Glaubens in die Zukunft zu fin-
den, der als Unterpfand der Erlösung des Volkes dienen sollte.
Mit diesen Gedanken trägt er aich in den Jahren 1841 und 1842.
Er berichtet im Januar 1842 (Frzegl^d polski 1877, Januar,
S. 107), dass sein Glaube positiver werde. Im December 1841
schreibt er (ebenda, S. 106): „Glaube nicht, dass auf mich
Mickiewicz oder Towiafiski eingewirkt haben: das ist die vollen-
detste Narrheit. Nein, die Analogie unserer Welt mit der rö-
mischen vor Christus, mein eigenes Gefühl, die gegenvrärtige
Lage der Dinge nötbigen mich zu glauben und zu hoffen."
Im Frühling 1842 zu Nizza schreibt er acbnell in einem Auf-
schwung starker Begeisterung die lyrische Dichtung „Pned-
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Sigiflmnnd KrasiAski. 371
iwit", die dann im März 1843 nach Rom an Konstantin Ga-
iiynski gesandt wurde, um unter dessen Namen gedruckt zu
werden. Es lässt eich nicht verkennen, dass der Zahn der
Zeit schon an dieser Dichtung genagt hat, in ihr erscheint
jetzt vieles als unzeitgemäse , überlebt. Das Schicksal ver-
senkte Krasiiiski, obgleich er kein Emigrant war, doch in den
Strom derjenigen Bewegung des polnischen Lebens, die sich
ima.h nach dem Westen Europas richtete, und deren Vertreterin
die Emigration war. Krasii'iski ist noch Tollständig Messianist,
entwickelt, ohne es selbst zu wissen, die Ideen Vespasian
Kochowski's und anderer mit Einschluss von Brodziäski und
Uickiewicz, die ihr leidendes Volk zu der Würde eines Mes-
sitB erhohen und diesem Volke die Hauptrolle und die Führer-
sehaft unter allen übrigen Nationen verliehen. Die wahren Ur-
^en von Polens Untergang empfindet Krasiiiski noch nicht,
nnd so erscheint ihm die Vergangenheit mit ihren aristokrati-
Kfaen Traditionen der persünlicben Würde und Freiheit in der
Verklärung. Als echter Aristokrat siebt er nur das Gute in
iet ruhmvollen Vorfahren, welche die Leuchte idealer Bestre-
bangen hochhielten, die sich in der Vergangenheit nicht reali-
ärten, aber in der Zukunft realisirt werden; endlich stellte
er als Ziel seines Strebens die Restauration hin. Der ge-
waltige Unterschied zwischen ihm und seinen Zeitgenossen be-
steht aber darin, dass er die Bedingungen der Möglichkeit und
der Unmöglichkeit in Rechnung zog, dass er die Restauration
ia eine unermessliche und unbestimmte Ferne rückte, dass
ir forderte, diesem in unermesslicher Ferne in überirdischem
(ilanze prangenden reinen Ziele müssten auch anbedingt reine
Mittel entsprechen, seine Landsleute müssten, im Fortschrei-
ten auf den endlosen Stufen der riesigen Leiter, sich von
allen Gefühlen losmachen, die unchristlich zu nennen wären,
von Hass, Eigennutz, Bosheit.' Das Vorwort, welches dem
Oedicbt vorausgeschickt ist, dient ihm als Gommentar; es ba-
äirt auf der Aualogie unserer Welt mit der römischen: die-
' Siehe Krasiiuki'a Briefe, S. 19&, Brief ans München 1841 : „Wir muBsen
edel, aristokratiach in den Himmel (in die Zukunft) eingehen, indem
■ir den Wappenstempel der Geschichte dps menschlichen Geschlechts, die
Spar ewig denkwürdiger Leiden und Mühen wer weiss wie vieler Zehn-
twuende von Jahren oder Jahrhunderten auf uns tragen."
24*
ü,g:.z_.u., Google
372 Viertes Eapit«!. Die Polen.
selbe Selbstsucht der MenBchen, die an nichts mebr glauben,
dieselbe bobe Vollendung der Formen der CivilisatioD , die-
selbe mäcbtige Vereinigung der materielleD Interessen in der
Form von Kolosaalstaaten, zu eben derselben Zeit, wo auf
dem Gebiete der GlaubensTorstellungen alles zerbröckelt and
in Staub zerrieben ist; dort wie hier sind zwei riesige In-
camationen der materiellen Kraft: die eine in der Gestalt
Cäsar's, die andere in der Person Napoleon's. Cäsar war nur
der Vorläufer, der Petrus und Paulus ' den Weg bahnte, die
Ausbreitung des Cbristenthoms erleichterte. Napoleon ist ein
ebensolcher Vorläufer einer neuen Offenbarung, und zwar, in
dem Sinne, dass er durch seine Kriege, durch seine Umgestal-
tungen der Karte Europas das nationale BewusstBein in den
europäischen Völkerschaften weckte. Die künstlichen Staatsge-
bäude werden stürzen, die Menschheit wird in einer neuen Ge-
stalt erscheinen als eine Gesammtheit miteinander Terhundeno
Nationalitäten. Das Christenthum hat die Mission, nachdem es
die einzelnen Seelen christlich gemacht, das Gebiet der Politik ttnd
der internationalen Beziehungen zu reformiren. Es Tereinigten
sich sonach die religiös-philosophischen Ideen mit der Theorie
der Nationalitäten, deren Kolle eine grosse war in den heran-
nahenden Wirren des Jahres 1848, in der Einigung Italiens,
Deutschlands, und in andern Bewegungen der Zukunft. Mit der
Erwartung eines Aufechwungs der Nationalitäten verknüpllen
sich die Hoffnungen des Patrioten, „der wie Dante bei Leb-
zeiten durch die Hölle ging". Es begleitet ihn auf Schritt
und Tritt die „Schwester", seine Beatrice, welche mit ihm die
Domenkrone theilt. Sie verbringen zu zweien in einem Kahn,
auf einem der Seen des nördlichen Italiens, die Nacht in Er-
wartung der Dämmerung. In dunkeln Wolken schweben die
Geister der Vater vorüber. Der Nachkomme fleht sie anf
den Knien an, d&ss sie ihm erklären, warum sie so unsinnig
ihr Leben vergeudet und den Kindern zum Erbe nur ein ge-
waltiges Grab hinterlassen hätten. Zur Antwort schickt sich der
Hetman Czarniecki an; sie lautet ziemlich sonderbar: „Suche
die Schuld nicht bei den Vorfahren, verspotte sie nicht — wenn
sie auf den Wegen der andern Völker gegangen wären, so wäret
ihr ebenso selbstsuchtig wie die Völker, die ftir kräftig nnd
ruhmvoll gelten." Die Vorfahren hätten Polen nicht vernich-
tet, sie hätten nur ein Ideal in sich getragen, das damals nicht
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SigiBmund Erasineki. 373
reftÜEirbar war, aber die Aufgabe der Zukunft bilde. Die
Sdiatten Terechwindeii, es wird Tag, in der ganzen feurigen
Schönheit der aufgebenden Sonne erscheint die Vision der
Zukauft, begrüsst durcb Hymnen der erhabensten Lyrik. Diese
Zukonft ist eine freie, unblutige, sie bringt die Erhebung der
todten Massen des Volks zu den Höhen des Bewusstseins,
Dke Strafen und Hinrichtungen nöthig zu haben, die'Gleich-
Etellang des Weibes mit dem Manne in Würde nnd Rechten.
Der Dichter bekennt, dass nur dasjenige Gebet gut sei, das
mit einem Hymnus beginne, aber mit der That und mit der
Schaffung einer Wirklichkeit um sich her Echliesse, die an
Sdionheit dem Ideal gleiche. Er überlässt es unschuldigen
Kindern, nach ihm zu singen; er selbst aber nimmt Abschied
Ton dem Worte, und indem er die Harfe wegstösst, um sie nie
wieder in die Hand zu nehmen, schliesst er: „Gehet unter meine
Lieder, stehet auf meine Thatenl"
Das Verdict, mit dem Krasidski seine Poesie belegte, konnte
in ihm nicht streng gehalten werden. Die Nothwendigkeit
mug ihn, an den praktischen Fragen des Tages theilzunehmen
und zu suchen, auf die Zeitgenossen einzuwirken — durch das
«inzige Werkzeug, das ihm zur Verfügung stand, durch das
Ijedicbt, aber durch ein Gedicht, das nicht der Schönheit
gewidmet war, sondern dem directen Ziel, seine Landsleute
ZQ warnen und von dem unvernünftigsten Beginnen zurückzu-
halten, das sie jemals unternommen hatten. Die TJnthätigkeit
var der Emigration unerträglich geworden; sie stürzte in eine
Katastrophe, indem sie der revolutionären Bewegung von Ge-
i^ammteuropa zi^vorkam, deren Anzeichen mit jedem Tag be-
merklicher wurden. Selbst der Towianismus war ein Symp-
tom des ausbrechenden Gewitterstarmes, auf die Mystik warfen
sich die einen, auf Wühlereien und Verschwörungen die andern ;
nnter der grossen Menge der Parteien in der Emigration erlangte
ein entschiedenes Uebergewioht die revolutionär-demokratische^
oder die sogenannte Centralisation (die Centren der Organi-
sation waren Poitiers und Versailles), die sich (1844 — 1845) einen
Aufstand in allen Gebieten des ehemaligen Polens, von seinen
österreichischen und preussischen Thoilen angefangen, zur Auf-
gabe machte. Das Volk hoffte mau mit dem Köder der Land-
vertheilung zu insurgiren; der politische Umschwung sollte mittels
des socialen verwirklicht werden, d. i. durch Abhauen der obern
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374 ■ Viertes Kapitel. Die Polen.
Culturscbicht der GeselUcIiaft , aller GutEbesitzer , der ganzen
Szlachta — so ganz hatteo eich die Propagandisten in die
Beden des Pancratius der „ Ungöttliehen Komödie" eingeleGeo.
Die Propaganda hatte ihre eigene Presse, in der sich durch
Bissigkeit und durch Besudelung alles Vergangenen durchweg
die Broschüren unter dem Namen Prawdowski auszeicbneten
(„Prawdy Äywotne" — „Lebenswahrheiten", Brüssel 1844; „Ka-
techism demokratyczny" — „Demokratischer EatechiBmus",
Paris 1845), deren wirklicher Verfasser Heinrich Kamienski
war. Die typhösen Miasmen dieser Propaganda inficirten die
Luft, sie wirkten sogar anf Leute, welche durchaus nicht
an den Wühlereien der ,,Centra)isation" theilnahmen, aber
wenig politische Bildung besassen, z. B. Slowacki, dem bei
seiner lebhaften Phantasie und seinem revolutionären Tempe-
rament der Process der Revolution schon an sich gefiel, wie
die schöne Glut einer Feuersbrunst, und der nichts Wunde-
bares darin fand, dass Sensen, auf Schäfte gesteckt, erscheinen
nnd der Klang des Liedes ertöne, am die Jerichomauern der
gegenwärtigen Staaten zu stürzen. — Eine ganz entgegengesetzte
Wirkung musste dieselbe Propaganda auf Krasiäski ausüben,
der den Herbst 1844 in Warschau zubrachte, und bei dem
sich irgendein Apostel oder Emissär einfand, mit der Anforde-
rung, in eine geheime Gesellschaft einzutreten, die eine Re-
volution mit der Vernichtung der Szlachta zum Zweck hatte.
Der Charakter der politischen Ueberzeugungen Krasiüski's war
schon seit lange her vollkommen bestimmt. Seine Sinnesart
blieb in dieser Hinsicht unverändert. Folgendes schrieb er schon
im Jahre 1837 (Krasinski's Briefe, S. 37): „Dem Adel ist Kraft
eigen, Stahlhärte, das, was das ritterliche Element im Volke
ausmacht. — Heldenmutb findest du nicht bei Juristen, Kauf-
leuten und Arbeitern, sondern nur beim Adel und dem niedern
Volk (den Bauern) — das ist der Grund, warum zu allen Zeiten
der Adel vom Pfluge und vom Acker herkam, aber nicht vom
Strassenpflaster und vom Biemen. Im einfachen Bäuerlein liegt
der Keim alles Grossen. Dieser Keim wird, wenn er von den
erdigen Bestandtheilen gesäubert ist, aber die Härte und den
Glanz des Eisens bewahrt bat, Adel gesannt. In ihm ist
Poesie. Ist es möglich eine Dichtung über den Kramet zu schrei-
ben? nein, nur etwa eine Komödie oder eine Posse." KrasiAski
begriff sofort, dass man ihm einen Anschlag auf nationalen Selbst*
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Julius Stowsoki. SigiBmund KntBiüeki. 375
fflord Torscblug. Eben damals wurden von ihm die ),Drei Fsal-
men" (des GlaubenB, der HofToung, der Liebe) geschrieben, welche
1845 zu Paris unter dem Feeadonym Spiridion Frawdxicki
erschienen, und von denen der letzte, d. i. der „Psalm der
Liebe", eine besondere wichtige Bedeutung hatte. Krasifiski
stellte die Frage weniger scharf als im „Frzedswit", leugnete
die biBtorischen Sunden nicht, die auf seinem Volke lagen, aber
behauptete, BlutvergieBsen sei Kinderei und Unverstand, und
rietb die „Hajdamaken- Messer" wegzuwerfen.
Als sich somit der eine der prophetischen Sänger im Geiste
Christi als GouserratiTer der Strömung entgegenwarf, die ihm
Dicht ohne Grund für TerderbUcb und Terhängnissvoll galt, ging
dem andern, der, ebenfalls im Geiste Christi, ein Mystiker and
BeTolutionär war, die Geduld aus, und er setzte ein Gedicht
in Umlauf, dazu bestimmt, die Leidenschaften zu entflam-
men und jede Zuriickbaltang, jede Verständigkeit zu verspotten.
Slowacki hatte sich nie Menschen, sondern nur Phantasien
hiiigegeben, mit Krasinski brachte ihn der Towianiemus aus-
anander. Bald darauf erkaltete er noch mehr gegen den Freund,
infolge der aristokratischen HeiraÜi Krasiäski's auf Andringen
seines Vaters und gegen die Herzemneigung zu einem Weibe,
das er im „Przedöwit" so hoch erhoben hatte. Im „Przedäwit"
selbst gab es unzweifelhaft Stellen voll Ehrfurcht gegen die
Ahnen, welche Slowacki durchaus reizen mnssten. Ein inter-
essantes Beispiel des aufgehäuften Mismuths hat sich in dem
poBthumen Drama Siowacki's „Niepoprawni" („Die Unverbes-
serUchen", III, 97 — 193) erhalten, einem sehr sonderbaren Werke,
in welchem ein russischer Major tscherkessischer Herkunft,
Vladimir Gavrilovic, eine glänzende Rolle spielt, eine unan-
sehnliche die podolischen Gutsbesitzer, in deren Häusern der
reiche Graf Pbantasius Dafiiicki eine Partie zu machen sucht,
dem wie ein Schatten die von ihrem Manne geschiedene sentimen-
tale Gräfin Idalia folgt. Da&icki spricht in hohem Stil, jedes
Wort ist eine poetische Figur oder Keminiscenz an Italien, aA Rom,
ui das Colosseum, er nennt sogar auch die Gräfin Idalia — seine
Beatrice. Das ganze Drmna ist nichts weiter als die in Carri-
catnr dai^estellte Beziehung der beiden nahen Bekannten zu-
einander. Aber nicht dies brachte den Zwiespalt hervor und
gab Anläse zu einem poetischen Zweikampf. Abgebrochen wur-
den die frühern Beziehungen erst durch die Verbreitung des
376 YierteB Kapitel. Die Polen.
Gedichts: ,„Aa den Verfasser der drei Psalmen."^ Auf
die zärtliche Freundschaft der vergangenen Jahre ward ein
Kreuz gesetzt, von den giftigen Pfeilen des Sarkasmus der
tliatenscbeue „Sohn des Adels" durchhohrt, „der prophetische
Verse wie ein Gespann in ehenmässigem Trahe ausgehen liess,
und Christus in seinen Wagen setzte, wie Ovid den Phaeton"
.... „Wer hat dich mit dem Messer hedroht? Sind Dir viel-
leicht die Zaporoger im Traume erschienen? Vielleicht ist Licht
durch die rothen Gardinen Deiner Fenster gedrungen, und
Dir ist es Torgekommen, wie Blut, sodass Du ausriefst: mordet
die Szlachta nicht. Ich hatte die Bescheidenheit, keine einzige
Bewegung zu rerfluchen. Glauhe nicht, dass die Idee Gottes
nur in Begleitung von Engeln erscheine; manchmal läest sie
Gott in Blut gehören werden, and manchmal schickt er sie
durch die Mongolen." Stowacki verkündete dem hochgebornen
Herrn, der Verse schrieh wie Perlen, dass es keine Szlachta
gäbe, dass sie längst {dahin sei, dass er Krasidski für einen
tichädlichen Hemmschuh, für eine drückende Form halte, die
mau zerbrechen müsse. .^ — Eher, als man erwarten konnte,
entschied das Schicksal, welcher von den beiden Gegnern
recht, und welcher sich schwer geirrt hatte ... Im Februar
1846 ward die Verschwörung durch die preussische Regierung
durchkreuzt, ehe es noch zum Ausbruch kam; in Galizien
führte ein Ausbruch nur dazu, dass die von den Aufständi-
schen entfesselte elementare Kraft — der Bauer — der Re-
gierung half, den Aufstand zu unterdrücken: die dortigen Guts-
besitzer wurden ermordet; das Blutbad, das sogar nicht einmal
in russinischen Ortschaften stattfand, sondern in dem dfirchaus
von Polen bewohnten Tarnow'schen Kreise, war eine drohende,
wenn auch ganz fruchtlose Warnung für die polnische InteUi-
genz, dass sie sich auf falscher Fährte bewege. Auch die ge-
sammteuropäischen Unruhen im Jahre I84S fielen nicht zum
Vortheil dieser Intelligenz aus. Von beiden harten Miserfolgeo
liess sich niemand zurückhalten und betehren. Durch die vis
inertiae waren von jener Zeit an bis zur definitiven Katastrophe
im Jahre 1863 alle praktischen Anstrengungen der Nation
' Ee wurde gegen den WitlcD dos VerfasBCrs und mit den grölisUn
Entstellungen im Jahi'c 1848 abgedruckt, als Stowacki Bcbou scbr bcrcui
bfttte, es verfiuBt zu haben.
...., Google
JnliaB Sownoki. Sigismuntl Kraiinski. 377
juif die Restauration gerichtet, die mit jedem Jahr unmög-
licher wnrde, wobei dieser Bewegung die scliarf revolutionäre
Literatur der Emigration der dreissiger und vieringer Jahre als
Arsen&I diente. Aber die Koryphäen dieser Literatur wurden
nach den Ereignissen von 1846 und 1848 hart, unmittelbar ins
Herz getroffen, verloren das Vertrauen, wurden melancholisch,
ond stiegen, mehr den Schatten der Vergangenheit als Menschen
der Gegenwart gleichend, wenig bemerkt ins Grab hinab. Wir
kennen das Ende Mickiewicz', es erübrigt noch einiges über 31o-
wacki und Krasiüski zu sagen.
Nach den Ereignissen des Jahres 1846 ward ^owacki sehr
kleinmütbig, empfand Reue und schrieb an Erasii'iski einen Brief,
worin er sich zwar nicht direct entschuldigt, aber doch seine
Handlungsweise erklärt, indem er sich auf die zarten Gefühle
der Liebe beruft und zum wenigsten Ächtung vor seiner Person
fordert (Malecki II, 312). Der Brief athmete Mysticismus, wie
»Ites, was seit 1842 aus der Feder Slowacki's hervorging. Die
Correspondeoz mit Krasiiiski wurde erneuert, aber die Beziehun-
gen waren kalt, nicht herzlich, wie in den frühem Jahren. Im
stärksten Getümmel der Revolution kam ^owacki auf eine Woche
mit seiner Mutter in Breslau zusammen (im Juni 1849), kehrte
nach Frankreich zurück, ward Anfang 1849 schwer krank und
verschied zu Paris am 3. April desselben Jahres in den Armen
eines Freundes seiner letzten Tage, Felix Felinski (Sohn von
iloysius F.; damals noch Student), der später Erzbischof von
Warschau wurde. In seiner letzten Zeit war Slowacki fast nicht
wieder zu erkennen: die frühere Eigenliebe und der Stolz hatten
ihn verlassen, er ward ausserordentlich still und bescheiden,
der hohe Flug der Gedanken wich andern Phantasien, die
einen dem Dichter bisher ft-emdeu Stempel eines praktischen
Realismus, der Sorge um die Armen und die Bauern, um deren
Befreiung und um die Aufhebung des Frohndienstes trugen.
Er schämte sich seiner jugendlichen „byrou'schen Melancholie".
In seineu Papieren ist ein poetisches Testament hinterblieben,
das beste Portrait seines Lebens und seines Charakters. Wir
entnehmen daraus die folgenden Stellen :
„Ich habe mit Euch gelebt, gelitten und geweint; niemals
war ich gegen das Edle gleichgültig. Jetzt verlasse ich Euch
nnd gehe in die Finsterniss mit den Geistern, gehe betrübt fort,
als wenn ee hier auf Erden überhaupt ein Glück gäbe.
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378 Viertes Kapitel. Die Polen.
„Ich habe keinen Erben hinterlassen weder meines Namens
noch meiner Laute. Mein Name ist wie ein Blitz vergangen
und wird als leerer Schall durch die Geschlechter gehen.
„Aher ihr, die ihr mich gekannt habt, berichtet, dass ich
dem Vaterlande meine jungen Jahre gewidmet habe, dass icb,
bis das Schiff zerschellte, auf dem Mäste sass, und als es sank,
auch ich im Wasser untei^ng mit dem Schiffe.
„Einst wird jeder edle Mensch, wenn er über das traurige
Schicksal meines Vaterlandes nachdenkt, bekennen müssen, dass
der Mantel, den mein Geist trug, nicht angemalt war, sondern
in der Schönheit meiner frähen Vorfahren gUinzte.
„Ich beschwöre Euch, dass die Lebenden nicht die Hoffnung
verlieren, dass sie vor dem Volke die Fackel der Aufklärung
tragen und, wenn nöthig, in den Tod gehen der Reihe nacb,
wie Steine, die von Gott zum Aufbau einer Festung hingeworfen
werden.
„Was mich betrifft, so hinterlasse ich ein kleines Häuflein
von Menschen, die mein stolzes Herz liebten, tind wussten, dass
ich in einem schweren, strengen Dienste Gottes stand und mich
dazu entschlossen habe, ein unbeweintes Grab zu haben.
„Welcher andere hätte eingewilligt, so ohne Beifall zu wan-
deln, meine Gleichgültigkeit gegen die Welt zu haben, der
Steuermann eines Bootes voller Geister zu sein, und still abzu-
treten, wie ein entfliegender Geist?
„Aber nach mir wird die verhängnissvolle Kraft bleiben,
die mir bei Lebzeiten zu nichts taugte, sondern mich nur
BchmUckte; aber nach meinem Tode wird sie Each ansichtbar
drücken, bis sie Euch, ihr fruges consnmere nati, in Engel ver-
wandelt."
Noch trauriger, länger und qualvoller vrar das Lebens-
ende von StowBcki's aristokratischem Zeitgenossen, Krasinski.
Sein schwacher und kranker Organismus hing bedingungslos
von seelischen Zustanden ab; — nach 1848 entwickelten sich in
ihm alle möglichen Krankheiten: Aneurismus, Nervenzerrüttung,
Augenleiden, er ergraute und war schon im 34. Lebensjahre fast
ein hinfälliger Greis. Die letzten Jahre waren die hat ununter-
brochene Agonie eines schwer sterbenden Menschen. Seine auf-
regenden Befürchtungen, die ihn wie ein Alp verfolgten, vnirden
von der Wirklichkeit übertroffen. Es konnte ihn niemand mehr
beschuldigen, als habe er mit seinem süaslichen, jenseits der
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SigiBmund Kruinaki. 379
Wolken schwebenden Idealismus nur den Fharieäern geholfen
und dag Volk im Momente des Handelns entkräftet, indem er es
m einem märtyrerhaften, ergebenen, unbeweglichen Quietismus
ermahnte. Der Sturm der Ereignisse trug alle Ideale mit fort,
die nationalen Bewegungen verwickelten sich mit den socialen,
alles Dazwischenliegende wurde verwischt, und es stiessen in
einem wüthenden Kampfe zwei bedjngungS' und schonungslose
Kräfte aufeinander: die weisse Beaction und die rothe Revo-
lution; die letztere war KrasiAski weit verhasster als die erstere.
Das glänzende Gewand des künftigen Vaterlandes bescbmazten
durch TJnthaten die unsaubem Hände der Anarchisten. Im Lärm
der Ereignisse veraahm der Dichter Töne eines satanischen Lie-
des, die er im „Heutigen Tage" folgendermassen wiedergibt:
„Deine Mutter ist das Gespenst der gefallenen Willkür und deine
Brüder der Staub, der im Grabe modert. Dein Leben verlief
damit, stolz mit dem Tode zu ringen, oder leere Thränen
auf dem Acker des Nichts zu vergiessen. Dein Volk ist einem
andern zur Speise und Erneuerung des Blutes gegeben worden.
Das Erbe deiner Vorfahren hat der Feind in Tod und Moder
Terwandelt; er wird mit diesem Tode sein Leben erneuem, weil
er es unternimmt, die Aufgabe der Zukunft zu lösen, deren Lo-
sung Euch nicht vergönnt war. Er wird sie zerhauen, indem er
enre Gebeine mit Füssen tritt. Schlafet auf ewig: für euch ist
die Nacht da, für ihn der Morgen." — „Es hat sich auf lange um-
wölkt", schrieb er 1848 (Frzeg^d Polski, 1877. Januar, S. 112),
„wir werden das Ende nicht sehen; es ist nnbekannt, wie und
durch wessen Hände wir untergehen werden." Nur das eine ist
für ihn klar, dass in solchen Stürmen, wie der gegenwärtige,
kein einziger Sophismus bestehen, und der Edelste schliesslich
den Sieg davontragen wird. Ohne diesen Glauben, sagt er, würde
ich den Geist aufgeben (S. 110). Sich selbst charakterisirt er
mit den Worten: speravit contra spem. Zu der Februarrevolu-
tion hatte er von Anfang bis zu Ende kein Vertrauen, und als
Mickiewicz im Jahre 1848 nach Rom kam, um Legionen zu bilden,
schrieb Erasiäski : „unser frühere Liebling hat mir das Herz zer-
schnitten und die Nerven zerrüttet während zweier Monate";
aber als Mickiewicz starb, da beweint ihn Krasifiski: „Er war
für meine Generation Milch und Honig, Galle und Blut. Wir
^d alle von ihm. Er hat uns auf der hohen Welle der Be-
geisterung fortgerissen und in die Welt geworfen. Er ist ein«
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
380 Tiertoa Kapitel. Die Folon.
gevaltige Säule, wenn anch erschüttert" (S. 113). Obgleich mit
Stowacki eine Versöhnung zu Stande gekommen war, erschien doch
im Jahre 1848 der „Psalm der Wehmuth" („Psalm 2a1u") mit
einer strengen Widerlegung der Sophismen, die in dem Gedicht
„An den Verfasser der drei Psalmen" enthalten waren. Wie tief
das Herz Erasinski's durch Stowacki verletzt war, ist daraus zu
ersehen, dass jener nach dem Tode des letztern, als er 1850 — 51
zu Rom das „Unvollendete Gedicht" verfasste, diesen darin unter
dem Namen Julinicz aufführt, in der Gestalt eines Propheten der
Demagogie, im Dienst und in Missionen bei dem ausgesprochenen
Revolutionär und Gleichmacher Pancratius. Die poetische Kraft
erschlaffte in Krasiiiski — und hörte nach 1851 fast ganz
auf. Auf den ganzen Rest seines Lebens von 1846 bis 1859
kommen fünf „ Psalmen" ( Psalm der Wehmuth ; „ Der heu-
tige Tag" — „Dzien dzisiejszj"; „Die Letzten" — „Ostatni";
„Resurrecturis"; „Der Psalm des guten Willens" — „Psalm
dobrej woli"). Tarnowski gilt der „Psalm dobrej woli" (1848)
Jur die Krone von Krasiüski's Poesie, nicht nur für sein
bestes Werk, dem sogar „Przedäwit" nachstehe, sondern auch für
das letzte Wort der grossen Poesie der Polen in der Periode
ihrer vollen Blute, die 1822 mit „Gra2yna" und den „Dziady"
begann und 1848 würdig mit dem „Psalm dobrej woli"
endete, nach 26 Jahren, von denen fast jedes durch Werke von
hervorragender Schönheit bezeichnet ist. Krasifiski kam selten
und nur bei dringender Nothwendigkeit nach Warschau oder
lebte auf den Gütern seines Vaters als Gast, gegen seine Frau war
er ziemlich gleichgültig, die Kinder liebte er zärtlich. Im No-
vember 18Ö8 starb sein Vater, Vincenz, dem er fast in nichts
ähnelte, weder in den Ideen noch in den Gefühlen, und im
Jahre 1869, am 23. Februar, starb zu Paris auch Sigismund Kra-
sinski selbst, der jüngste und letzte der drei grossen Sterne
der grossen Periode. Die Trias der Dichter war von einer
Menge Trabanten und kleinen Sternen der Emigration umgeben,
die vorher zu verzeichnen sind, ehe wir zu der unverfälscliten
einheimischen Literatur der dreissiger and vierziger Jahre über-
gehen.
Die Haupttrabanten der drei Heroen der polnischen Literatur
wurden schon genannt, aber noch nicht alle, sodass es uöÜäf
ist, jenes Verzeichniss zu vervollständigen.
., Google
Sigismimd Eraiifiiki. 381
Anton Gorecki (1787 — 1861), Napoleonischer Soldat und
einer toh den mlnaer „Szubrawcen", Emigrant seit 1831, schrieb
Fsbeln, Epigramme, kleine Gedichte, gehörte mit Mickiewicz eine
Zeit lang dem Towianiemus an, kehrte aber bald in den Schos der
Kirche zurück Der Towianismus war die Ursache eines Zvistes
zirischen Mickiewicz' und noch einem andern seiner Genossen in
der Emigration, Stephan Witwicki (1801 — 1847), dem Verfasser
der „Abende des Pilgers" („Wieczory pielgrzyma", 1837 nnd 1842)
und andrer Erzählungen und Gedichte in romantischem Geiste. —
Von dem noch lebenden fast letztem Jugendfreunde Mickiewicz',
Eduard Anton Odyniec, war schon oben die Rede. Er war aechs
Jahre jünger als Mickiewicz (geb. 1804), übersetzte eine Menge
classischer Werke der westeuropäischen Literaturen, gab Zeitun-
gen heraus, versuchte origin9,le Dramen zu schreiben („Felicita",
1849; „Barbara RadziwiH", 1858, und „Georg Lubomirski", 1861),
ftber mit geringem Erfolg; dagegen machte er sich durch die
Heransgabe seiner „Reieebriefe" („Listy z podroÄy", Warschau
1875 — 78) sehr verdient, welche über die geringsten Umstände
seines Verkehrs mit Mickiewicz in Wilna, Petersburg und im Aus-
lände bis zum Novemberaufstand 1830 berichten. Leider lässt
sich in diesen Briefen dasjenige, was zur Zeit der Reise ge-
schrieben wurde, nicht von spätem Einschiebungen und Zusätzen
scheiden. Odyniec gab von 1840 bis Ende 1859 zu Wilna den
ofGciellen „Kuryer wileüski" heraus und liess sich seit 1865 in
Warschau nieder. Als Verehrer von Mickiewicz stand Odyniec
gldchzeitig in den engsten freundschaftlichen und liteiariHcben
Beziehungen zu dem Romantiker Julian Koraak (1807 — 1855)
und zu Ignaz Chod^ko (1794—1861), der von 1840 an einige
Serien „Litauischer Bilder" aus der alten Zeit Litauens heraus-
gab und darin die Vergangenheit im Geiste derjenigen Schule
Ton Romanschreibem idealisirte, deren Koryphäe damals Hein-
rich Rzewnski war. Zu der Zahl der Freunde und Nachahmer
voD Mickiewicz gehörte auch Alexander Chodiko (geb. 1804),
der seit 1859 den Lehrstuhl der slavischen Literaturen am
College de France (nach Cyprien Robert) inne hat. Mit dem
Nsmen Sigismund Exasiüski's ist der Dichter und Novellist Con-
stantin Gas^yüski unzertrennlich verbunden. Von den ukrai-
nischen Dichtem lebten in der Emigration, ausser Bohdnn
Zaleski, zwei: der eine, ein talentvoller Lyriker und Epiker,
Thomas Olizarowski (1811 — 79), Verfasser der „Zawierucha"
382 Viertes Kapitel. Die Polen.
(„Der SchneeBtnrm") und anderer Werke, von denen ein Theil
1852 herausgegeben wurde (in Breslau, in 3 Bänden), die übrigen
aber in Handschrift blieben; der andere Michael Czajkowski
(geb. 1808), der später den Islam und den Namen Sadyk-Paacha
annahm, Verfasser von ziemlich dürftigen ukrainischen Erzäh-
lungen, die sich jedoch seinerzeit eines grossen Rufes erfreaten. '
Wir haben gesehen, wie die literarische Wiederbelebung Po-
lens im nationalen Geiste, auf breiter religiöser Basis, zu einer
Krisis gelangte, indem sie sich auf mehr oder weniger falschen
Bahnen bewegte. Je stärker die scharfe Krisis der Krankheit
wurde, desto mehr Blüten schössen empor, die, wenn auch
schön, doch schädlich und giftig waren. Es konnte nicht anders
kommen, als dase der Boden der Gesellschaft nach der grossen
Katastrophe geneigt wurde, alle Fäulniss der Vei^angenheit frei
an die Oberfläche treten zu lassen: das Magnatenthum, das sein
verlorenes Paradies beweinte, den Klerikalismus, der die Ver-
nunft, die Kechte derselben und jede Freiheit des Denkeos ne-
girte. Das nächste Mittel der offen reactionären Propaganda
konnte das altadelige Epos sein, eine künstlerische Beproduction
der heiligen Vergangenheit nicht nur in deren löblichen Zügen,
wie es Mickiewicz im „Fan Tadeusz" gethan, sondern auch in
den gröbsten Verirrungen und Lastern. Alle Elemente der
Herrschaft der Finstemiss vereinte ein talentvoller Manu in sieb,
der Verbindungen mit der Emigration hatte, aber dessen eigent-
liche Wurzeln in den früher polnischen, jetzt russischen Gebieten
lagen, Graf Heinrich Bzewuski, der in den vierziger Jahren
eine gewaltige und fast unbestrittene Herrschaft über die Geister
der Zeitgenossen erlangte. Sein Xame ist schon auf den vor-
stehenden Seiten erwähnt worden: er war Mickiewicz' Begleiter
auf dessen Reise in der Krim und sein Bekannter in Petersburg
und Rom während der zwei Winter 1829 — 31.
Heinrich Rzewuski^ ward zu Slawuta im Gouvernement Vo-
lynien geboren, gerade am Tage der Proclamirung der Consti-
tution vom 3. Mai 1791, was zu der witzigen Bemerkung Anlass
gab, dass am Geburtstag der Constitution auch ihr schlimm-
ster Gegner geboren sei. Das Geschlecht der Bzewuski war in
'Vieles ins Deutsche übersetzt, siehe bei L. Knrtzmann s. a. 0.
' T. Chmielowski, „Henryk Rzewusiti, Btudyum literackie" (ioHiw»
1877, Nr. 68-72; 187», Nr. 73-78).
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Heinrich Kzewaeki. 383
ToIIem Sinne des Wortes ein magnatisches; sein Vater, Adam Lau-
rentios, in jungen Jahren der Conföderation von Bar angehörend,
daim Castelan von Witebsk und Targowicaner, ward nach dem
Untei^og Polens russischer Senator und Adelsmarschall des Gou-
Temements. Der junge Heinrich brachte die ersten Jahre bei der
Grossmatter zu, im Gouvernement Minsk, und gab sich infolge
dessen immer fiir einen echten Litauer aus. Schon damals waren
als Lehranstalten die Universität Wilna und das Lyceum in Kreme-
ncc berühmt, aber in sehr aristokratischen Kreisen galten beide
Pflanzstätten der Bildung fnr angesteckt von Voltairianismus
und Freimaurerei; als leitende Sterne wurden Bonald und de
Haistre anerkannt. Heinrich Rzewuski brachte eine ganz kurze
Zeit in der Carmeliterschule zu Berdyczew zu, empfing seinen
Unterricht zu Hause von Abbe Granier, alsdann in Petersbnrg
in der Pension des Jesuiten Nicoli; im 17. Jahre war er schon
fertig, verbrachte ein Jahr hei den polnischen Ulanen (1809)
Dod trat mit dem Rang eines Unterlieutenants aus; wo er im
Jahre 1812 gewesen und was er gemacht hat, ist unbekannt,
wahrscheinlich befand er sich in Petersburg; in jene Zeit fällt
seine persönliche Bekanntschaft mit Joseph de Maistre. Mit dem
Jahre 1817 begannen seine müssigen, ziellosen Wanderungen im
Auslände, in ganz Westeuropa, die von häufigen Rückreisen nach
RuBsland unterbrochen vmrden. Im Jahre 1822 hörte er zu Paris
die Vorlesungen von Cousin und Villemain, die seine Kenntnisse
bereicherten und seine dialektische Fertigkeit entwickelten, aber
seine Sinnesart nicht änderten, welche auf eine unbedingte Unter-
werfung anter die Autorität gegründet war. Kzewuski fühlte sich
besonders durch Theologen und Mystiker angezogen, mit denen er
in dem lebhaftesten Verkehr stand i Grabianka, PoBzman, Olesz-
kiewicz. Im Jahre 1826 verheirathete er sich und brachte fast
Tier Jahre (1829 — 32) in Italien zu, darunter zwei Winter
in Rom, in der Gesellschaft von Mickiewicz, dem er aach dio
Weckung seines literarischen Talents verdankt. Bzevmski war
stark im Disputiren und ein unschätzbarer Erzähler. Mickie-
wicz gab ihm einstmals den Bath zu schreiben und prophezeite
ihm, er «erde ein grosser Schriftsteller werden. Rzewuski selbst
erzählt den Beginn seiner literarischen Versuche etwas anders
nnd sagt, dass er, als er auf der vatikanischen Bibliothek arbei-
tete, zum Spass einige Erzählungen in dem alterthümlichen Stile
eines Menschen aus dem vorigen Jahrl^undert, eines altpolni-
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384 Viertes Kapitel. Die Polen.
fichen Liebhabers der alten Zeit, verfasBt habe. — Der Erzähler
war eine fingirte Person — Severin Soplica, Mundschenk von Per-
nau, einstmals einer der Contoderirten von Bar, der auch in rus-
sischen Gefängnissen gewesen war, ein Diener und Anhänger
Karl Radziwill's, des „Panie kochanku". Die Erzählungen
folgen auf einander ohne Einheit und Verbindung, wie rich-
tige Memoiren , ihr Centrum ist die Confoderation von Bar
und der Abgott Litauens, als das typischeste, zum Ideal er-
hobene Abbild der alten Zeit. Rzewuski war ein grosser
Herr, der an literarische Lorbem gar nicht dachte; dadurch
erklärt sich auch, dass sein Manuscript von 1832 bis 1839
unveröffentlicht liegen blieb und mit einem Vorwort von Wit-
wicki fast gegen den Willen des Verfassers in Paris gedruckt
wurde, nach der aus Rom gebrachten Handschrift, während der
Verfesser nach seiner Rückkehr in die Heimat das Wahlamt eines
Adelsmarschalls im Kreise ^itomir yerwaltete. ' Das unbeschreib-
liche Entzucken, mit dem diese Federzeichnungen aufgenommen
■wurden, wird später erklärt werden. Im Geiste der damaligen Zeit
lag die künstlerische Beproduction des noch nicht lange entschwun-
denen Alterthums. „Die Denkwürdigkeiten Soplica's" fanden einen
reissenden Absatz, wurden ohne Kritik gelesen, als ein Werk, das
die reinste Wahrheit darstelle, als echte Memoiren. Die Ge-
nauigkeit der Daten bestreiten, Flecken in der Vergangenheit
aufsuchen, bedeutete in jener Zeit unpatriotisch sein, fast ein Ver-
räther an der nationalen Sache werden. Hs muss zugegeben wer-
den, dass die „Denkwürdigkeiten" den Leser dadurch bestachen,
dass der Mundschenk von Pernau fiir das Vaterland im Gefäng-
niss zu Smolensk litt (XI), dass er auch von nationaler Selbst-
ständigkeit schwärmt (XVII), sogar bereit ist, für die Consti-
tution vom 3. Mai zu sterben (XIX), dass er sogar die GrÖssf
der kommenden Generation (Stanislaw Rzewuski) und die Not-
wendigkeit neuer Bedingungen für das Leben der Gesellschaft
(König Stanislaw) prophezeit. Allerdings spricht der Mundschenk,
indem er diese Concessionen macht, in allen politischen Fra-
gen die reactionärsten Urtheilc aus, aber so musste es offen-
' Pnmi^tki P, Seweryuft Soplicy, 4 Bde., damelbe nacli den Anforde-
i'anKeii der ruBBischcii Censur umgearbeitet: „Pamiqtki slarego szlschcica
Htewakiegti" (Wilnn 1844- 4ri); deutsch u. d. T. „ Denkwürdigkeileo d«
PBn Severin Sopliea" von Philipp LöbenstS^in (Leipzig 1876).
lu.A'OOglc
neiiirich B^ewuski. ^65
bar sein: ein Mann der Vergangenheit konnte gar nichts an-
ders ab ein Resctionär innerhalb der Gegenwart sein. Die Ver-
gangenheit stellte er nicht vollständig dar, sondern nur ihre
raDEchende, kühne, geföllige Seite, aber mit einer so staunens-
verthen Wahrheit, dass dank der Kunst das Leben der Ver-
gangenheit gefiel und fesselte, sogar in seiner groben, wenn
auch naiven Demoralisation: der Stock, der den Rücken einen
jeden traf, und wäre es des erwachsenen Sohnes, die Ver-
heirathung der Töchter ohne ihre Zustimmung, die Religion,
die sich auf sinnlos gesprochene Gebete und sinnlos verrich-
tete Ceremonien reducirt, der Servilismtis in der Beziehung zu
den Magnaten, trotz der bocbgerühmten angeblichen Gleich-
heit der Szlachcicen mit den Wojewoden. Soplica rechnet es
dch zum Verdienst an, dass er die ungerechte Sache seinem
Herrn, des Fürsten Radziwill, vertheidigt habe mit dem Opfer
«einer eigenen Ueberzeugung. Allem Hang zur Selbständigkeit
machte die Bemerkung ein Ende: „Man bezahlt dich, du isst
das Brod des Fürsten, und noch dazu ein schmackhaftes" (IV
lad XV). Die Kritik war verdutzt und einer ihrer Koryphäen,
Grabowski, verkündete, die „Denkwürdigkeiten" seien geradezu
ein geniales Buch, welches uns das gäbe, was uns weder der
Classicismus noch die Romantik gegeben hätten — es sei näm-
lich die lebendige und wahrhaft nationale Ueherliefemng.
Der grosse und die Verdienste des Werkes übersteigende Er-
folg der „Denwürdigkeiten" verdrehte Rzewuski den Kopf und gab
ihm einen verkehrten Begriff von seinem Talent. In ihm lebten
sozusagen zwei Personen gemischt: ein grosser Epiker, dessen
Kaust auf einen engen Bereich eingeschränkt war, der nur Leute
des 18. Jahrhunderts malte, und zwar Conservative, Feinde der Re-
form, und ein verbissener, raisonirender Moralist, der nicht nur
die ganze Gegenwart, alle Anschläge und Hoffnungen derselben
»erurtheilte, sondern auch ein besonderes Vergnügen in der Ver-
spottung alles dessen fand, was fiir fortschrittlich galt, mit seiner
absolut rückschrittlichen Gesinnung tokettirend. Das künstlerische
Element seiner Werke stellte er dem sittlich Belehrenden nach,
nnd hielt sich weit mehr für einen Philosophen als für einen No-
vellisten. Gleich nach Erscheinen der „Denkwürdigkeiten" hatte
er ein Manuscript über die Geschichte der Civilisation fertig
(1840), dessen leitender Gedanke war, dass ein Volk nicht zu glei-
eher Zeit snwol innerlich (in den politischen Handlungen, Ge-
Pm>, SUdieh* Lltttttnrea. II, 1. 25
386 Viertes Kapitel. Die Polen.
wobaheiten, Geeetzen) als äaaserlich (in der Literatur) die Poeüe
TerkÖrpern kÖQoe; dass das plötzliche ErscheineD einer inbalte-
reichen Literatur das Symptom vom Tode des Volkes oder doch
derjenigen politiBchen Form sei, -welche die poetische Lebens-
änssemng dieses Volkes bedingte. Die Literatur sei erwachsen,
wie die Gypresge auf dem Grabe; dieses Grab habe das Volk
verschlungen, nachdem es selbst mittels der Beform Hand an
sich gelegt, seine altadelige Daseinsform zerbrochen habe. Eine
Zeit lang werde diese Gypresse in Schönheit prangen, dann
werde auch der Tod der Literatur selbst folgen; sie werde za
ner Mahrang für andere Literaturen werden. Zuletzt wurde
ine fatalisÜBche Lossage von den geringsten Hoffnungen auf
ine künftige nationale Existenz gepredigt. Diese Schlussfolge-
rungen liess Rzewuski bei Lebzeiten nicht drucken (nach dem
Tode erschienen Fragmente: „Historische Proben" — „Pröbki
historyczne", 1868, mit einem Vorwort von Boleslawita, d. i.
Kraszewski). Aber, getrieben von seiner Moralisirungsaucht, lies»
Rzewuski seiner satirischen Stimmung freien Lauf und veröffent-
lichte zu Wilna 1841 — 43 in zwei Bänden: „Moralische Miscellen
von Jarosz Bejla" („Mieszaniny obyczajowe przez Jarosza Bejlf"),
wo er in den schwärzesten Farben die polnische Gesellschaft
nach deren volynischen Repräsentanten malt, d. h. die Guts-
besitzer, deren Unwissenheit, Jagd nach Gewinn, Mangel an Be-
ständigkeit in den Ueberzeugungen, Verschwendung u. s. w. dar-
stellte. Weder dieses Buch noch die spätem satirischen Versuche,
7.. B. ,J)er goldhaarige Page" („Pa2 ztotowlosy"), wo er in dem)
fingirten Reiche „Skotostan" unter dem Namen Babakan's den
Generalgouvemeur Bibikov und dessen Beziehungen zum Adel
dargestellt, haben solide Vorzüge, die ihnen ein langes An-
denken sichern können. Bzewuaki stand ausserhalb der Ge-
sellschaft, die er beschrieb, stimmte mit ihr in nichts Uberein,
und deshalb gingen aus seiner Feder Carricaturen hervor, aber
keine lebendigen Personen. Jarosz Bejla belehrte niemand, son-
dern reizte nur auf durch eine Menge von Behauptungen be-
leidigender Art, worunter auch solche ögnrirten: „Die Hel-
den der Koliiwszczyzna waren echte Demokraten. Ein echter
Demokrat ist der, welcher eine gleichmässige Vertheilung des
Eigenthums fordert, und zwar eine, die in einigen Jahren immer
zu wiederholen ist. Eine gemässigte Demokratie ist ein Ab-
surdum" und ähnliches. Bald daraufbrachte ihn der Versuch,
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Heinrich Rzewnaki. 387
einen leichten Gewinn zu erzielen, die Verpfändung seines Gutes
vegfin Lieferungsgeschäften in eine sehr schwierige Lage und
Dötbigte ihn 1849 nach Petersburg überzusiedeln, tro er gleich
in den literarischen Kreis von passender Färbung, d. b. von
loRserst reactionärem Charakter eintrat, der weit, ungehindert
und bei Verstummung der Gesellschaft in den vierziger Jahren,
fast ohne Widerspruch seine klerikal-feudalen Ideen ausbreitete.
Die polnische Journalistik lag noch in den Windeln. Mit Anfang
des Jahres 1841 begann in Warschau die älteste Monatsschrift, die
.,Biblioteka Warszanska" zu erscheinen, die noch jetzt be-
steht; in demselben Jahre begann der jnnge, hofinnngsvolle Schrift-
steller Joseph Ignaz Kraszewski, im Gouvernement Volynien
lebend, ein Journal von 6 Heften jährlich unter dem Titel
.,Ateneum" herauszugeben, das er ganze II Jahre sozusagen
itUeiD auf seinen Schultern trug, indem er die Obliegenheiten eines
Vnternehmers, Secretärs, Correspondenten, Mitarbeiters und sogar
Intfmehmers und Verlegers verrichtete. Seit 1830 gab es auch in
Vtlersbui^ ein selbständiges polnisches Organ, den „Tygodnik
fetersbnrgski", die officielle Zeitung des Königreichs Polen,
»eiche zweimal wöchentlich unter der Rcdaction von Joseph Prze-
rlawski erschien. Ihn unterstützte kräftig ein einflussreicher
Mann, der durch Willenskraft und Verstand aus ärmlichen Ver-
hältnissen zu Ansehn gelangt war, Ignaz Holowiiiski (1807 —
^), Kektor der geistlichen Akademie, und seit 1851 Metropolit
der römisch-katholischen Kirche in Russland, der — eine übrigens
uemhch mislungene Arbeit — Shakespeare übersetzte unter dem
Namen Kefaliüski und unter dem Namen 2egota von Kostrowiec
L>ramen, Legenden, Memoiren zu schreiben versuchte. Ihnen stand
■:iii Novellist mittlem Ranges zur Seite, der Oberst Ludwig
liityrrner; Kraszewski und Grabowski lieferten Artikel. Als
Hzewagki in diesen Areopag eintrat, ward er bald zur Haupt-
person, und trug in den Kreis die ganze Intoleranz und die ganze
^cbtlich AnstOBs erregende Schärfe seiner äusserst reactionären
Ansichten hinein. Er wurde der hauptsächlichste Schriftsteller
^^ iJygodnik" und veröffentlichte darin vor allem seinen besten
Roman „November" („Listopad", 1845 und 1846)', eine Geschichte
^eier Bruder StrawiAski, von denen der eine in französischer
' Deutsch n. d. T. „Der Fürat «Mein Liebchen« und Beine Parteigänger"
n W. Bachmann (pticud. für Jezieraki). '2 Bde. Berlin 1656.
*'„„, Google
388 Viertee Kapitel. Die PoleD.
Weise erzogen war und zu der Umgebung des Königs Ponia-
towski gehörte, der andere ein Mann alten Schlags und Diener
des Hauses Radziwi}} war. Der eretere entführt die Braut des
Bmders und endet durch Selbstmord. Der andere tritt der
Gonföderation von Bar bei, nimmt an den Anschlägen zur
Entführung dee Könige theil, wofür er standrechtlich erschossen
wird. Die beiden Gesellschaften sind nicht in der Form frag-
mentarischer Skizzen einander gegenübergestellt und gezeichnet,
eondem einheitlich, planvoll und ziemlich unparteiisch; aber das
Publikum war schon gegen Jarosz Bejla aufgebracht; die un-
glücklichen Bemerkungen verletzender und herausfordernder Natur
unter dem Text, mit denen Rzewuski sein Werk verziert hatte,
erzürnten es noch mehr, die Kritik war durchaus nicht nachsichtig
gegen ihn. Noch geringem Erfolg hatten die spätem Erzählun-
gen Rzewuski'fi „Das krakauer Schloss" („Zamek Krakowski")',
„Adam ämigielski"^, „Ritter Lizdejko" u.a., die eine Wiederholung
schon früher vorgeführter Typen enthalten und eine geringe Be
kanntschaft mit der alten Zeit über die Grenzen des 18. Jahr-
hunderts hinaus bekunden. Der grosse Stolz der hochmüthi-
gen Geister, die sich im „Tygodnik" festgesetzt hatten, wirkte
abstoseend. Kraszewski wandte sich ab. Mit Rzewuski pole-
misirten sogar so eifrige und aufrichtige Katholiken, wie der
Priester Stanislaw Chotoniewski, sein entfernter Verwandter
und Bekannter von Rom her (1792—1846), talentvoller Verfasser
philosophischer Erzählungen, gerichtet gegen die übertriebenen
Phantasien der Romantik („Sen w Podhorcach", 1842). Inzwiecheii
rüsteten sich, als die bekanntem Leute sich abwandten, gegen
den Kreis des „Tygodnik" und seine Angriffe auf den Verstand
junge ganz unbekannte Leute, welche in Petersburg das Jonr-
nal „Gwiazda" (1846) gründeten, das später nach Kiew ver-
legt wurde (in den Jahren 1847 — 49): es waren dies grössten-
theils Hegelianer und Anhänger Trentowski's, die das Christen-
thum freisinniger nach ihrer Weise auffassen wollten (Zeno Fisch,
Albert Marcin kowski, Anton Nowosielski; ihre Psendo'
nyme sind: Padalica, Gryf und Dol^ga). Der Ton der Polemik
war anmassend und grob; sie zeichnete äch durch Aufrichtigkeit
aus, aber die Polemiker hatten keine klaren Begriffe, nocb
■ Deutsch von W. BaobmaDD (2 Bde. Berlin 1857).
' Deuteob u. d. T. „Kerkerwoune" von W. Bachmaon (Berlin ISßSI
.....Gooj^lc
Heinrich Rzewneki. 389
genügende Festigkeit der Ueberzeugungen. Mit dem petersbui^er
Kreise war es nicht ungefährlich zu streiten; die Herausgabe
der „Gwiazda" ward ihnen zu Gefallen auf Anordnung derCensur
dstirt. Ks traten die EreignieBe des Jahres 1S48 ein, welche
auf die Literatur innerhalb Russlands in der verlüiugnissvolleteii
Weise einwirkten. Nicht nur die Strenge der CeuBur ward grös-
ser, und das Interesee des Publikums an der Literatur geringer,
»odass die „Biblioteka Warszawska" ins Schwanken kam, und
Kraszewski nach 1851 das „Ateneum" wegen Mangels an Abon-
nenten einstellen musste, sondern, was noch wichtiger ist, die
Fortschrittsleute Hessen die Hände sinken, weil bei ihnen (wie
auch bei den russischen „Westlern" [Zapadniki] in der Art Gra-
noTskij's) der Glaube an die Kräfte der europäischen Civilisation
erschüttert war, aus welcher der Hauptsache nach die geistige
Speise für das Volk geschöpft wurde. Es gab noch einen em-
pfindlichen Verlust: die zarte, erst in der Knospe Hegende Blüte
der polnischen Philosophie verkümmerte und damit verschwand
agleich die Hoffnung, dem alten Stamme des Katholicismus
den Geist des Fortschritts aufzupfropfen. Scharfe Gegensätze
standen einander gegenüber: Katholicismus oder Unglaube; ganz
ebenso verwischten sich auch auf dem Gebiet der Politik die
Mittelparteieu, die extremen traten miteinander in Kampf, das
Ende war der Sieg des weissen Terrorismus über das rotbe
Gespenst. Obgleich der Wirrwarr den Osten Europas über-
haupt nicht berührte, so reflectirte sich sein Einflnss doch, erstens
in einer solchen Verstärkung der Massregeln zur Beaufsichtigung
des Gedankens, dass dabei sogar diejenigen, welche an eine
Befreiung der Bauern in legaler Weise dachten, für Aufwiegler
gelten konnten, zweitens in einem zeitweiligen Verschwinden
jeglicher Fortschritteideen, die in den Geistern der Zeitgenossen
den Boden verloreu hatten. Es entstand eine Periode tiefen
Schlafes auf übrigens alten Idealen, welche Rzewuski am ge-
eignetsten zur Verbreitung von ganz und gar reactionären
Ideen schien, zur Negirung jeglichen Fortschritts, zur Gleich-
stellui^ jeglicher Reform mit Ketzerei, zur unbedingten Unter-
werfung im Gebiete der Ideen unter die Kirche, im prakti-
schen Leben unter die Wahrerin der Ueberlieferungen , die
Aristokratie. Rzewuski betrat den für ihn neuen Wirkungs-
kreis eines Journalisten; der in seinen Vermögensverbältnissen
aorattete Magnat wurde Beamter für besondere Aufträge beim
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390 Viertes Kapitel. Die Polen.
Fürsten Paskevic in Warschau, hohe Stellen erlangte er der
Hauptsache nach nicht durch tüchtige Leifitungen, sondem
weil er ein unterhaltender nnd witziger Gesellschafter war. Mit
1851 ward er der Herausgeber der Zeitung „Dziennik War-
szawski", die eine grosse Staatssubvention genoss, und worin er
auch gleich einen Kreuzzug gegen die Vernunft begann in den
Artikeln: „Civilisation und Religion". Aber es zeigte sich, dass
er sich bei einem solchen Vorgehen doch arg verrechnet hatte.
Kine sonderlich starke Opposition fand er bei den Schriftstellern
nicht; sogar Leute, wie der Humorist August Wilkoäeki („Bu-
moty i ramotki", 4 Bde.; geb. 1805 im Grossherzogthum Posen,
gcst, 1852) und der Historiker Julian Bartoszewicz (1821 — 71)
und viele andere nahmen an dem Oi^an theil, dessen Erscheinen
den Grund für die Zeitungspresse in Warschau legen sollte. Der
Ausbruch des Unwillens erfolgte im Lesepublikum selbst, das
den Pubhcisten auf einmul wegen seiner Tendenz vcrurtheilte,
zu abouniren aufhörte; einige hundert Abonnenten schickten die
Zeitungsnummcru zuriick. Das Publikum bewies, dass es coii-
servativ war, aber ohne der Demokratie gewogen zu sein, war es i
doch fern von einer nie feiernden Reaction. Rzewuski erzeugte !
eine noch grössere Abneigung gegen sich, als er 1856 — 57 in '
8 Bänden die Memoiren des Bartholomäus Michalowski druckte,
eines Parasiten, Targowicanors , wo er in Randbemerkungen die
Conröderation von Targowica verherrlichte, die Schopfer der
Constitution vom 3. Mai anschwärzte und mit Schmuz bewarf.
Nachdem er sich 1857 aufgemacht, um inLemberg seine Satire:
„Der goldhaarige Page" zu drucken, „da Galizien das gebil-
detste der ehemaligen polnischen Lande sei", verliess er War-
schau ganz, zog sich auf sein Gut Czuduowo am Teterev bei
Zitomir zurück, erlebte die ihm äusserst widerwärtige Bauem-
reform und starb, fast zum Idioten geworden, im Jahre 1866.
Rzewuski hat bei all seinem unzweifelhaften Talent am meisten
Interesse als eine pathologische Erscheinung im Leben der pol-
nischen Gesellschaft innerhalb der Grenzen Russlands in den vier-
ziger Jahren, da sie am besten den starren Stillstand erläutert,
zu dem er seinerseits selbst sehr viel beigetragen hatte. Es voll-
zog sich jedoch auch eine fortschrittliche Bewegung, aber schüch-
tern, sehr unbestimmt und langsam. Im Süden lebten einige
talentvolle Leute, die in der Literatur feste Spuren hinterliesseu.
In Kiew wirkte der „Primas" Grabowski, wie ihn Slovacki
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Die einheimiBche Litei-Btor. 391
iroDiEch Dannte, ein Mann, der trotz seiner Hinneigung zu Amto-
kratie und Klerikalismas die nationalen Fragen vernünftig und
Döcbtem betrachtete und geneigt war, die Spaltung zwischen den
Polen und den SüdmsBen nicht als ein Produkt politischer und
religiÖBer, sondern socialer Ursachen anzusehen; aber im Jahre
1843 verbeitete sich die Nachricht, dass er sich bei der Regie-
mng um die Erlaubniss bemühe, ein Journal „Siowianin" heraus-
zageben, in einem Geist, den wir jetzt einen versöhnlichen und
gesammtslavischeu nennen würden. Das Gerücht hatte zur Folge,
dsEB sein Ansehen stark sank, weil er in den Verdacht des Verratbs
iD der Sache der Nation kam. Ein Freund Grabowski'B, Alexan-
der Groza (1807 — 75), Romantiker ukrainischer Schule, ging
in den Fnsstapfen Zaleski's und Goszczynski's, indem er sich der
Tolksthümlichen Poesie der Ukraine als seiner Hauptquelle zu-
wendete („StarostaEaniowski"; ,^assyr Batowski"). In Kiew und
siüter in Charkow schrieb Joseph Korzeniowski dramatische
Werke, den vir in der folgenden Periode in Warschau finden
Verden. Der volynische Gutsbesitzer und spätere Ehrencurator
des votynischen Gymnasiums, Joseph Ignaz Kraszewski (geb.
1813 in Warschau, ein Zögling der wilnaer Universität) legte
«eben damals eine unerschöpfliche Fruchtbarkeit, Vielseitigkeit
und Ausdauer in der Arbeit an den Tag; er arbeitete allein für
»hn, schrieb historische Bücher („Wilno", 4 Bde., I83S — 40),
Reisen, Compilationen philosophischer Werke, verfasste sogar
ein umfangreiches Epos aus den Traditionen und der Geschichte
des heidnischen Litauens, dessen Vei^angenheit der Historiker
Theodor Narbutt (1784—1864) stückweise gesammelt und
fleissig, aber kritiklos restaurirt hatte („Dzieje staro2ytne na-
rodu litewskiego", — „Alte Geschichte des Litauischen Volkes",
9 Bde. Wilna 1835—41). Kraszewski's Epos „Anafielas"
(„Der Berg der Ewigkeit", der litauische Olymp) zerfällt in drei
Theile: „Das Lied von Witol" (Witolorauda), „Mindows" und
„Witold's Schlachten". Mit mythischen Sagen beginnend, führt
er seine Erzählung bis zur Verschmelzung des getauften Litauens
mit Polen. Der eigentliche Beruf Kraszewski's waren übrigens
nicht der Vers, sondern die Erzählung, und zwar nicht so
wol die historische — obgleich er auch vorzügliche historische
Erzählungen geschrieben hat (z. B. „Die letzten Augenblicke des
Fürsten Wojewoden" — „Ostatnie chwile Ksigcia Wojewody",
1875) — als die Zeitnovelle, die Reproduction lebendiger Typen,
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392 Viertes Kapitel. IHe Polen.
gegeuwärtiger Ideale, die Anregung brenneadet Fragen des Tages
und seiner Aufgaben. Kraszewski selbst hat die Bedeutung der
Gattung, die er vorzugsweise cultivirte, in seiner Jubelrede,
3- October 1879, mit folgenden Worten defiitirt: „Ich habe die
älteste Form gewählt, welche die Amme der Völker des Orients
war, die Form, welche den Lesern die für sie verdaulichste Kost
bietet, welche den grössten Leserkreis schafft und als Propädeu-
tik zum Nachdenken und zu geistigen Beschälligungen dient."
Kraszewski war Idealist, liebte es über die Disharmonie der
Ideale mit der Wirklichkeit zu schreiben, welche dem Dichter eine
Dorneukrone tiicht („Poeta i äwiat" — „Der Dichter und die
Welt", 1839; „Sfinks", 1847; „Powieöd bez tytulu" — „Erzäh-
lung ohne Titel", 1855), empfand eine gewisse Schwäche für das
abtretende alte Magnatenthum („Dwa swiaty" — „Zwei Wel-
ten", 1836), trat aber zugleich besonders warm für die Sauern
ein, schalt im Namen des beschimpften menschlichen Gefühls
auf die Leibeigenschaft und stellte die Schwere des bäuerlichen
LebeuH in einer langen ßeihe von Erzählungen voller Dramatik
dar (die Goscliichtc Sawko's in ,,Latarnia czarnoksigzka" —
„Zauberlaterne", 1843; „Ulana", 1843; „Ostap Bondarczuk ",
1857; „Jaryna", 1850; „Cbata za wsi^" — „Die Hütte hinter
dem Dorfe", 1854; „Jermola", 1857), unterhielt sich zuweilen auch
mit dem Aufbau von Utopien („Dziwadla" — „Theater", 1853)'-
Im Gouvernement Witebsk gründete Karl Bujnicki (1788 —
1878) ein Organ „Rubon" (der alte Name der westlichen Dwina)
für die provinziale weissrussische Literatur als einen Bestandlbeil
der allgemein polnischen. In Warschau schienen sich zu Anfang
der vierziger Jahre die Anfänge einer neuen Dichterschule be-
merklich zu machen, die theils von Byron, theils von dett
Koryphäen der polnischen Poesie der Emigration ausgehend,
t<ich durch stürmisches Vorwärtsstrebea in sehr unbestimmter
Form auszeichnete: Boman Zmorski, Wladimir Wolski, die
Brüder Lucian und Cyprian Norwid, Anton Gzajkowski
(geb. 1816 in Krakau, gest. 1873 als emeritirter Professor
der Petersburger Universität). Die talentvollste der polniscken
Schriftstellerinnen jener Zeit, Narcissa ^micbowska (1825— 76)
lenkte durch eine Sammlung schöner Gedichte „Wolne cbwile
Gabrielli" („Freie Stunden üabriela's", Posen 1844) die Anf-
1 Deotache Ueberaetzungea von Knwzewaki'B Werken, >. S. 428.
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Ende der romantischen Schule. 393
merksamkeit auf sich. Der glückliche Sammler alter MärcbeD,
Fabeln und Redensarten, Alterthumsforscher und Compilator,
ein Manu von sehr geringen Fähigkeiten, Kazimir Wladyslaw
Wöjcicki (1807 — 79) erlangte einen sehr weiten Ruf. Der
Gutsbesitzer des Gouvernements Wilna, Eduard Zeligowski
(geb. 1820, gest. in Genf 1864) gab 1846 eine dramatische
Phantasie „Jordan" heraus, eine beiüsende Satire auf die da-
mahge GesellBchaft, die auf dem weicbeu Tfühle der Leib-
eigenschaft den Pharisäer spiele. Dies war der Charakter der
wichtigsten Erscheinungen der polnischen Literatur innerhalb der
Grenzen Russlands. Es erübrigt noch, einige Worte über ihre
Schickeale innerhalb Preussens und Oesterreichs zu sagen.
Das Grossherzogthum Posen, welches das grösste Contingent
für Hegel stellte, hatte einen mittelmässigen Dichter, Genoral der
Xapoleonischen Armee, Franz Morawski (1785 — 18G1), einen
ehemaligen Classicisten , der zur Romantik überging, und den
Ilistoriker Andreas Moraczewski, aus der Schule Lelewel'a
(1804 — 55), der seine im republikanischen Geitste geschriebene
Geschichte Polens in ö Bünden (1842 — 55) bis zu Jobann Ka-
rimir führte.
In der kleinen, dem Namen nach freien Stadt Krakau trug
sich der Gelehrte Michael Wiazniewski (1794 — 1865) mit dem
Gedanken, unter dem Namen einer Geschichte der polnischen
Literatur eine vollständige Geschichte der Civilisation Polens zu
schaffen, führte seine Arbeit (in sieben Bänden, 1840 — 45 ; später
wurden noch drei herausgegeben) bis ins 17. Jahrhundert, und
bot eher eine Sammlung roher Materialien als ein organisches
Ganze. Durch reizende poetische Werke machte sich der Ly-
riter Edmund Wasilewski (1814 — 46) berühmt, Verfasser der
Dichtung „Der Dom auf dem Wawel" („Katedra na Wawelu")
und einer Menge von Krakowiaken, die volksthümlich gewor-
den sind.
Galizien wurde Germanisirungsversuchen unterworfen. Der
Personalbestand der Verwaltung füllte sich mit Deutschen und
germanisirten Cechen, in den Schulen war der Unterricht
dentscb, deutsch war die Universität, die 1784 zu Leroberg von
Joseph II. gegründet worden war. Das Jahr 1817 ist dadurch
denkwürdig, dass durch eine Spende des gelehrten Grafen Maxi-
milian Ossoliäski das „Ossoliäski'scbe Institut" in Lemherg ge-
gründet wurde, mit einer grossen Bibliothek, einem Museum und
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394 Vierte« Kapitel. Die Polen.
eioer periodischen Pubticatioc hiBtorisch- literarischen Inhalts.
Im Jahre 1830 ward zu Lemherg ein Journal g^riindet, welches
das geistige Leben weckte, der „Galiczanin" („Galizier") von
Chtgdowßki. Unter den lemberger Dichtem zeichneten sich
durch Talent aus: Joseph Borkow&ki, Alexander oderLeszek
Borkowski („Parafiaüszczyzna") und August Bielowski (1806
— 76), der mit epischen Werken in archaistischer Art, mit einer
Uebersetzung des Liedes vom Heereszug Igors begann, und sich
später durch eine wahrhaft kritische Puhlication, die „Histo-
rica Poloniae Monumenta" berühmt machte, und Lucian Sie-
mieüski (1809' — 70), Uebersetzer der Königinhofer Handecbrift
und der Odyssee, Dichter, Novellist und Kritiker.
0. Sie letzten Aueläufer der polnisclisn Bomantik auf dem lieimat
UcheD Bodsn 0.64S~OS).
Die Rolle der polnischen Emigration endete mit dem Jahre
1848: es trat der volle Bankerott ihrer Anschläge zu Tage;
wenn die nationalen Bestrebungen, nach denen man Europa um-
zuformen gedachte, auch zum Durchbruch kamen, so orwuchE
doch kein einziger neuer Staat auf rein nationaler Grundlage;
im Gegentheil, alte Staaten, wie Oesterreich, die längst zum
Zusammenbruch verurtheilt waren, restaurirten sich und lebten
frischer und gesünder wieder auf als zuvor. Die galizigchen Er-
eignisse im Jahre 1846 und der Sieg der Reactiou nach I84i:<
gingen als fruchtlose Warnungen vorüber. Die Ueberzengnng von
der Zweckmässigkeit der angewendeten Mittel war allerdings er-
schüttert; von dem europäischen Wirrwarr des Jahres 1848 war
nur ErmiiduDg übrig geblieben und der Wunsch, die G^enwart
ruhig zu geniessen, — aber die Ziele und Ideale selbst blieben die-
selben, wie sie die Literatur der Emigration zu Anfang der vier-
ziger Jahre aufgestellt hatte, mit dem Phantom der alten Grenzen
und mit HofTnungen auf eine künftige Restauratiop ii^endeinmal
unter günstigem Verhältnissen. Es waren ganz dieselben alt«n,
sich wiederholenden Ideen; sie wurden feiner, aber dabei nicht
positiver; der hohe Flug der Romantik in ihren ersten Jahren
fehlt; Titane», welche die ganze Welt und Gott zum Kampf
herausfordern, gibt es nicht mehr; dafür erhob sich aus allen
Elementen der polnischen Romantik und erlangte eine vorwie-
gende Bedeutung zum Nachtheil der übrigen dasjenige, welches
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Eode der romantiscben Sobule. 395
in der ursprünglichen Romantik bei weitem nicht die Haupt&teUe
einnahm ( „ Pan Tadeuez" , die ,, Memoiren Soplica's " ) , näm-
lich das altadelige EpoB, eine unermüdliche, sehr grelle and
talentvolle Restaurirung und sozusagen abermaliges Wieder-
kanen der Erinnerungen einer ins Grab gesunkenen alten Zeit.
Ueberall, auch in Westeuropa, trat die Vorliebe fnr den
historischen Roman ein (Walter Scott), aber nirgendB nahm
er einen solchen Raum ein, nirgends herrschte er so aus-
Gchliesslich und so lange, nirgends äusserte sich seine Herr-
schaft in 80 scbveren Folgen, wie ein Weohseläeber , gegen
dae man auch jetzt noch zuweilen Dosen von Chinin nehmen
muss. Andererseits gibt es nichts Natürlicheres und Einfache-
res als diese Erscheinung. Nach der grossen Katastrophe zu
Ende des 18. Jahrhunderts fanden sich die Polen in Lebens-
verhältnissen, welche den frühem diametral entgegengesetzt
waren, wie in einem neuen, ihnen nicht homogenen Culturele-
ment. Jeder Organismus, und also auch die Nation, muss sich
bei Veränderungen ihrer Sphäre entweder dieser accommodiren,
indem sie in sich neue Formen des Handelns entwickelt, und
sich der alten entwöhnt, die den neuen Lebensverhältnissen
nicht entsprechen, oder sie muss untergehen. Die Accomodirung
an die neue Sphäre vollzieht sich nicht plötzlich, sie ist für den,
der dieses Experiment durchmacht, von schmerzlichen Empfin-
dungen begleitet, und nimmt eine längere oder kürzere Zeit ein,
je nachdem sich die Sphäre, welche die Nationalität umschliesst,
zu derselben verhält, ob sie dazu beiträgt, dass sich das Volks-
thum auflöst, oder dass es sich noch kräftiger in seinen ursprüng-
lichen Krystallisirungsformen festsetzt; mit andern Worten: ob
sich diese Sphäre vornimmt, das Volk zu assimiliren, indem sie es
vorher entnationalisirt, oder es nur, ohne überhaupt zu entnatio-
nalisiren, politisch an sich klammert. In Preusscn wurde das System
der Entnationalisirung consequent durchgeführt, aber durch le-
gale Mittel und auf dem Boden einer formellen Gleichberechti-
gung der Polen mit den angestammten Unterthanen. In Oester-
reicb herrschte bis 1848 das System der Germanisirung und erst
im Jahre 1859 wurde ein ganz entgegengesetztes System gewählt.
In Russland war bis 1830 der Entwickelung der Nationalität
freier Spielraum gelassen, aber nach 1830 trat ein natürlicher
Umschwung in entgegengesetzter Richtung ein, wobei nicht den
neaen, frischen Elementen der Demokratie der Vorzug gegebeu
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396 Viertes Kapitel. Die Polen.
wurde, sondern den alten Parteien, der Aristokratie und dem
Kterikalismus (vgl. Rzewuski), die ihre Wurzel nur in der Ver-
gangenheit hatten, und dem Process einer Assimilirung an die
neue Sphäre, sowie selbstvei-gtändlich der Befreiung der Bauern
am meisten entgegen waren. Man vemrtheile Leute, die iu
eine neue Sphäre versetzt sind, zu praktischer Unthätigkeit —
und ihre Gedanken werdßn sich unaufhaltsam in das ver-
lorene Paradies, ins vei^angene Glück zurückversetzen, und
die Menschen der Vergangenheit werden ihnen als Heroen der
Kraft und der Tugend erscheinen im Vergleich zu der klein-
lich und zwerghaft gewordenen Nachkommenschaft — als eine
I^sse mit ühernatürlicbem Wuchs, mit epischen Dimensionen;
sogar das Schlechte wird als gut erscheinen, wenn es nur cha-
rakteristisch ist. Julius Slowacki, dem es selbst nicht fernlag,
sich iu die Vergangenheit zu versetzen, errieth mit genialem
Seherblick die schädlichen Folgen einer Apotheose der Vergangen-
heit, uud gab in dem „Grabmal Agamemnou's" den Rath,
dieses brennende Hemd der Dejanira, den rothen Kontusch und
den goldenen Gürtel der alten Szlachta, wegzuwerfen und sich
lieber am allgemein Menschlichen zu begeistern, als am Altade-
ligen. Er fand kein Gehör, mit Vorliebe wurden Kontusch und
Konföderatka, die starken Trinkgelage und die lärmenden Land-
tage besungen. An der Spitze der Männer, die sich die Ver-
ehrung der grossen und heiligen Vergangenheit zur Aufgabe
machten, stehen zwei begabte Dichter: Vincenz Pol' und
Ludwig Kondratowicz, von denen nur der erstere seiner
Aufgabe treu bleibt, während die Lyrik des andern, obno es
selbst zu merken, auf andere, ganz neue, zeitgenössische Motive
Antwort gibt. Der historische Roman fand einen bedeutenden
Vertreter in Sigmund Kaczkowski; den Zeitroman bearbeiten
mit Erfolg Joseph Korzeniowski und Kraszewski. Wenn
wir diesen fünf Namen noch einen sechsten hinzufügen, den
künstlerischen Historiker Karl Szajnocha, so repräsentiren
diese sechs das ganze Wesen der geistigen Bewegung im Be-
reich der Poesie während der von uns darzustellenden lieber-
gangsperiode der verblühenden Romantik, während welcher
' W.D. SpaBowioz'a Vorlesmigen über Pol im Ateneum 1678, April;
W. Pol, „Dziela" (Werke. 8 Bde^ Lemberg 1875—77).
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ViDoen* Toi. 397
sieb das leise Wehen einer andern poaitiTern Richtung bemerk-
fich machte.
Der Vater Vincenz Pol's war von Gehurt ein Ermeländer,
der seine Studien an der krakauer Akademie zum AhschlusB
brachte und dann österreichisclier Beamter in Galizien wurde.
Er nnterzeichnete sich Foll, heirathete eine lemhei^er Bürgerin,
Eleonore Longchamp, diente in der Justiz und ward 1815 wegen
Beiner Verdienste in den Adelstand erhoben mit dem Titel Ton
PoUenburg. Vincenz Pol ward 20. April 1807 in Lublin ge-
boren, zu Lembei^ in dem halbdentschen Hause seiner Aeltem
erzogen, und brachte aus dieser Erzdehung eine gründliche Kennt-
nisH der deutschen und polnischen Literatur mit, sodass, als 1K25
der Vater starb und eine Zerrüttung der Vermögensverhältnisse
eintrat, sich der junge Pol 1830 nach Wilna begab, um einen
Lehrstuhl der deutschen Literatur zu erlangen, und an derUni-
TersitÄt zum Stellvertreter des Lectors für dieses Katheder er-
nannt wurde, das er übrigens nicht lange innehatte, da wir ihn
schon Anfang 1831 in den Reihen der Insurgenten, später als
Emigranten in Dresden sehen. In Wilna, welches der Heerd
der polnischen Romantik war, erfüllte sich Pol mit dem Geiste
dieser Richtung; im Jahre 1832 traf er mit Adam Mickiewirz
nnd Claudia Potocka zusammen. In seinen Notizen ist unter
dem Jahre 1832 vermerkt: „Ich begann Gedichte zu schreiben
auf Veranlassung von Adam Micktewicz und auf Eingebung von
Clandia Potocka." Diese Gedichte, welche Mickiewicz' Beifall
fanden und 1833 in Paris unter dem Titel „Pieäni Janusza"
(„Lieder des Janusz") erschienen, brachten dem Sänger gleich
mit einem mal lauten Rubm; sie gefielen allen durch ihre
Kühnheit, ihr flottes Wesen und ihre vorzügliche Plastik. Sie
sind sozusagen vom Pulverdampf der Schlachten geschwärzt.
Janusz ist kein bedächtiger Philosoph, er haut frisch drauf
los-, alles Unglück besteht nach seiner Meinung darin, dass
man zu wenig dreingeschlagen habe , dass sich die Herren
Generalstäbler gütlich gethan, sich im Lager mit Gastronomie
beschäftigt (Gawfda Dorosza), dass die vornehmen Leute Ver-
handlungen gefuhrt hätten; er ist vollständig revolutionär, ihm
sind alle Mittel recht, sogar auch die blutigen, er würde mit den
Magnaten kurzen Frocess machen, träumt nur von dem künftigen
grossen Mann, „der mit dem Schwert des heiligen Henkers ein gan-
zes Meer von Blut ausströmen lassen wird"; das Lied Selbst tauge
.u.,Gooj^lc
398 Vierteo Kapitel. Die Polen.
Bur etvas, weil es ebenfalls eine Kriegswaffe sei und manchmal
Pfeile ersetze. Zu Ende des Jahres 1832 schlug sich Pol nach
Galizien durch, 1834 besuchte er zum ersten mal Krakan, im
Jahre 1835 erforschte er (nach Goszczy^ski) die Tatra und
den schönen Stamm der polniBchen Goralen und fand einen
Freund und Protector in der Person des Xaverius Krasicki, der
ihn, um ihn vor den Verfolgungen der österreichischen Polizei
zu schützen, auf einem seiner Bei^güter, Kalenica, unterbracht«
(1837). Nicht lange vorher war Pol, nachdem er mit dem Pro-
fessor Joseph Kremer während dessen Aufenthalt in den Bergen
bekannt geworden war, von diesem in das Labyrinth der Hegel'-
schen Philosophie eingeführt worden („seit der Bekanntechaft mit
Kremer ist es in meinem Kopfe wieder etwas in Ordnung gekom-
men", sagt er) und verheirathete sich 1837 mit Cornelia Olszewska,
mit der er schon vor der Abreise nach Wilna im Jahre 1827
verlobt war. Er begann mit einer echt deutschen Ausdauer sich
mit der Geographie zu beschäftigen. In diese Periode fallen seine
formvollendeten „Bilder aus dem Leben und von der Reise"
(„Obrazy z äycia i podröÄy"), die übrigens erst 1847 gedruckt
wurden, vielleicht von allem, was er geschrieben hat, das beste.
Der Insurgent fand sich auf den Bergen in einer wilden, gross-
artigen Natur, die aufs beste seinem eigenen strengen, wenig
'beweglichen Naturell entspricht, welches das Hohe, Grandiose
liebt, und wenn auch mit den Kleinen sympathisirend , die ihre
Kraft durch die Zahl haben, weil ihrer viele sind und sie sich
mit wenig begnügen, doch in Wirklichkeit die Leiden und die
Einsamkeit auf den Höhen des Daseins vorzieht, wo es sich
freier athmet. Er verliebte sich in die Wildheit des Gebildes,
erwarb sich die Gunst der biedern Wirthe und fraternisirte
mit den Juhäszen (Schafhirten), die ihm schöne Bergmärchen
erzählten, aber bleiben konnte er unter diesem schönen Berg-
volke nicht. Ihn ziehen die Reminiscenzen in die von der
Sonne übergosseneu Ebenen zurück, ihm winken die Thürme der
Marienkirche zu Krakau und die unermessliche Weite des Lan-
des, mit einem Volke, das sich einstmals selbst verwaltete und
richtete, lieber dieses weite Land goldener Aecker und dunkler
Wälder, das sich wie ein Tischtuch vom Baltischen bis zum
Schwarzen Meer ausbreitet, kann man etwas noch Bedeutenderes
schreiben als über die Höhen der Tatra. So ist der Anfang des
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VinoenB Pol. 399
Jiiedes von unserm Lande" (1843)', des populärsten von allen
Werken PoI'b, und was am Bonderbarsten ist, dasjenige, welches
am wenigsten eine ästhetiBche Kritik Terträgt, weil es nichts
veiter ist, als eine geographische Abhandlung in zwölfbundert
Versen, also eine Sache, die schon ihrem Entwurf nach äusserst
■npoetisch ist. Pol konnte kein grosser Dichter werden, weil
Unn die Breite der poetischen Intentionen fehlte; wenn er
etwas Complicirteres unternahm , als eine einfache Erzählung
oder einen lyrischen Ei^ss des Gefühls, so stellten sich die
festen Verschlage irgendeines trockenen, logischen Schemas
ein (wie bei Klonowicz), zu dessen Beschreibung er dann
schritt, gesclürftig eine Abtheilung nach der andern ausfüllend,
nach allen Regeln des altmodischen Kunstgeschmacks, den mit
Recht schon Lessing im „Laokoon" verurtheilt hat. Trotz des
ämndfehlers im Entwurf sind die Bilder hübsch und zwar
nicht so sehr die Bilder der Natur, als die der manichfaltigen
Eigenthümlichkeiten der Stämme, welche diese Räume bewoh*
Kn: sie sind kühn und mit Schwung gezeichnet, mit Hindeu-
liDgen auf die Zukunft, mit patriotischen Phantasien über die
in diesen Massen verborgenen Kräfte, die zu Tage treten wer-
den, wenn die Zeit ihrer historischen Thätigkeit kommt. Und
diese Wahrsagungen und Phantasien wirkten um so stärker, weil
Qe die rosigsten, unbestimmtesten und billigsten waren. Der
Dichter befand sich in dem einsamen Winkel Kalenica sehr wohl,
vo er dank dem Xaverius Krasicki ein Leben führen konnte,
ähnlich dem Johann Kochanowski's in Czarnolas. Er sucht die
Gegensätze des Lebens zu versöhnen, ohne sie auCculösen, ja sogar
ohne zu fühlen, dass sie bestehen, er ist auch Demokrat, überzeugt
davon, dass die Zukunft aus dem Boden des Volks entspriessen
nad sich durch Bauernkraft und -Geist erhalten werde, aber
auch die Szlachta verehrt und lobpreist er, und obgleich zuweilen
scharfe Verurtheilungen der hochmüthigen Pane von Voljnien,
der Sklavenhalter, der Halbpane von Podolien durchbrechen, so
erscheinen sie doch nur als iocale Ausnahmen, als Schatten auf
dem idyllischen Bilde des paradiesischen Glücks, an denen sich
die Regierung, ja sogar die Leibeigenen entzücken könnten, so
wenig praktisch, so platonisch war seine Liebe zum Volk. Ebenso
■ Deatech von L. EnrtziDanii (Poaeu 1870), von W. Kflrzyiiski
ffbend. 1870).
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400 Tiertes Kapitel. Die Polen.
idyllisch-liarmoniscb gestaltet sich auch das Bild des Geeammt-
slaventhums bei Pol, dem einzigen der zeitgenÖBaiechen Dich-
ter der vierziger Jahre, der sich ausser der Dationalpoluischen
auch für die gesammtslaviscbe Idee als empfänglich erwies.
Beide Idyllen waren ohne Boden und zerflogen bei der ersten
strengen Lection, die von der Wirklichkeit ertheilt wurde: die
politisch - sociale durch die Ereignisse in Galizien im Jahre
1846, die slaviscbe durch das gewaltsame Auseinandertreiben des
Slaven-Congresses zu Prag 1848, auf Anordnung von Windisch-
grätz. Beide Schläge waren hart, besondei-s der erstere verletzte
den Dichter in der Tiefe der Seele. Im Februar 1846 hatte Pol,
der mit allen Kräften den Anstiftungen der polnischen Revolu-
tionäre entgegenwirkte, und mit seiner Familie eben auf dem
Wege nach Lemberg war, im Dorfe Polänka einen Angriff von
Bauern zu erdulden, die auf Gebeiss der Österreichischen Regie-
rung zu den Waffen gegriffen hatten. Man folterte ihn, nach-
dem man ihn an einen Baum gebunden , verwundete seine Frau
mit einem Beile, brachte dann beide unter BedeckTung nach
Lembei^, wo sich Pol einer langen Gefangnisshaft zu unterziehen
hatte; sein ganzes Vermögen wurde zen'Uttet. Die Revolution
von 1848 blitzte wieder mit einem Hoffnungsstrahl auf, Pol
begrüsste den gesammtslavischen Congress zu Prag mit einem
Gedicht „^owo i slawa" (Wort und Ruhm), das damals nidit
gedruckt wurde und ein interessantes und in der polnischen Lite-
ratur seltenes Denkmal einer Phantasie über das Thema der Ein-
heit des Slaventhums bildet. Darin findet sieb, wie bei den mos-
kauischen Slavophilen, ganz dieselbe Ueherzeugung von der Fäol-
niss des Westens, von seiner Afterweisheit, aber die Vereinigung
vollzieht sich doch auf römisch-katholischer Grundlage, in den
utopischen Formen einer Art patriarchalischer Verfassung mit
Tbeilnahme der Volksgemeinde, wie sie nach den Ueberliefe-
rungen dem Slaventhum eigen gewesen sein soll, schon in seinem
vorhistorischen Leben, so lange die Slaven von der knechtenden
Waffe des deutschen Kaiserthums noch nicht berührt waren.
Im Jahre 1849 erhielt Fol die Professur der Geographie an der
Universität Krakau, die er nicht lange innehatte, er erhielt
den Abschied unter dem Unterricbtsminister Thun mit drei an-
dern Professoren der Universität zu Neujahr 1853, worauf 1854
an derselben das Deutsche als Vortragssprscbe eingeführt wurde.
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Vinoeiw Pol. 401
Als er (lie krakauer Universität verliess, war er 8chon sehr po-
pulär nnd durch eeiue neneu Werke berühmt, die sich tief von
allem dem unterscbeiden , was er früher geschrieben hatte, und
eine neue Tendenz der Gesellschaft nach rückwärts, zu den alten
Idealen abspiegelten. Auch mit ihm selbst ging eine tiefe Ver-
iojening vor; sie bestand in Folgendem.
Pol war ein Gemütbsmenscli, der sich für den Führer der
Gesellschaft hielt, während stets ihn die Woge der Ereignisse
trug. Dem Volk, das mit ihm in Polanka roh umgegangen war,
Teigass er das zeitlebens nicht; sein ganzer Demokratismus war
auf einmal dahin. Er ward ein enragirter Conserrativer , dem
Ton da an nur der für vernünftig gelten sollte, „der das thut und
sicli am das bemüht, was auf ihn vom Vater und Grossvater ge-
kommen ist, und auf bekanntem Wege sein Pferd führt; und dort
atzt, wo sie sassen" (V, 35)- Die volksthümlichen Typen, an denen
die Lieder des Janusz, „Von unserm Lande" und die Lieder aus
der Tatra so reich waren, verschwanden fast ganz und finden in
winen Augen nur dann Gnade, wenn sie in der Form ganz zafa-
ner und an Gehorsam gewöhnter Menschen auftreten. Die Saite
der Lyrik waj* wie zerrissen und schwieg, Pol wird fast aus-
schliesslich Epiker, erfindet eine neue Art der poetischen Erzäh-
lung, „Gawfda (eigentlich Plauderei) szlachecka" (deren In-
halt das Leben und Wesen der Szlachta bildet) in alterthüm-
licfaem Stil mit einer Moral, die darauf hinausläuft, dass heilig
sei, was alt ist, und dass man sich vor der Autorität beugen
and durch die Erhaltung des volksthümlichen Glaubens und
der Ueberliefemng dem zerstörenden Eiufiuss der negativen
Ideen nnsers Jahrhunderts entgegenwirken müsse, — von diesen
hatte er die finsterste Vorstellung, und sah darin Züge, die
nach der Prophezeihung den herannahenden Zeiten des Anti-
christ eigen sein sollen. Bei solcher Stimmung wird die Re-
production der alten Zeit tendenziös,, sie kann nicht wahrheits-
getreu sein, der Künstler tritt voll Pietät an sie heran, unter
Bekrenzigung und mit Gebet, und man mochte annehmen, dass
ein Theil dieses andächtigen Gefühls auf die Leser übergehe.
Uende das Gegentheil findet statt: wenn das Dargestellte auch
wahr ist, so ist es doch wild und zuweilen widrig, noch mehr
— die hohe Moral, die gepredigt wird, steht fast immer in
offenem Gegensatz zu den Illustrationen, d. i. zu den einzelnen
Bildern der Erzählung. Die Reihe dieser Erzählungen beginnt
Viru, BbilMh« LIUntDitn. II, 1. 26
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402 Viertes Kapitel. Die Polen.
mit einer Trilogie unter dem Titel: „Memoiren Benedikt
Winnicki'a" („Fami^tniki Benedykta Winnickiego" ; Winnicki ist
ein alter erfahrener Mann, dem Pol zugehört hatte, als er
noch Knabe war und die Schule zu Tamopol heenchte). Der
erste Theil „Die Abenteuer der Jugend" („Przygody mlodoeci")
iat früher geschrieben und 1840 zu Lemberg gedruckt; er ent-
hält eine Lobrede der Lederpeitsche, mit welcher ein Szlach-
cic, ein armer Kleingrundbesitzer, seinen schon erwachsenen
Sohn, der von dem Dienst an ausschweifenden Höfen hoher
H rren zurückkehrt, züchtigte, weil er vor einem Kreuz auf
dem Felde nicht die Mütze abnahm und sich vor dem Vater
nicht tief genug verbeugte. Der zweite Theil, „Der Vertrag des
Senators" („Senatorska zgoda" 1352), sucht die Festigkeit der
geeellsohattlichen Ordnung in Polen dadurch zu beweisen, daes,
als im Sanoker Lande ein Zwist um Lappalien ausbrach, weil
zwei Stutzen des Landes, Bai und Mniszek, in Streit gerathen
waren, der Bischof von Ermeland, der bekannte Ignaz Kra-
sicki, zugleich Senator, die Feinde durch einen witzigen Einfall
versöhnte, welcher sie veranlasst, sich nach einem kräftigen
Ti-unk zu küssen. Der dritte Theil, „Der Landtag zu S^dowa
Wisznia" („Sejmik w S^dpwej Wiszni", 1853), stellt ein schreck-
liches Bild der parlamentarischen Sitten in Polen am Vor-
abend seines Untergangs dar, betrunkene Szlachtahaufen, die
sich vor den Wahlen durch BewirtVung seitens der Stellen-
jäger bestechen lassen; man sieht nur Gaunereien und Intri-
guen, schliesslich greift man in der Kirche, wo die Versamm-
lung stattfindet, zum Säbel; die Sache würde mit einem Ge-
metzel geendet haben, wenn nicht die Geistlichkeit auf den Ge-
danken gekommen wäre, mit den heiligen Sacramenten in der
schon blutbefleckten Kirche zu erscheinen und den Kampf zum
Stillstand zu bringen, was von Pol als ein für die Gegenwart
erbauliches Beispiel davon hingestellt wird, wie die Leute der
Vergangenheit zuweilen von der Religion gezähmt und besänf-
tigt wurden. Trotz der damals herrschenden Modesucht nach
„Gaw^a's", sank das Ansehen Pol's nach der TrUogie etwas io
der Meinung der verstandigeren Leute. Er suchte es vrieder
herzustellen, indem er 1855 den schon früher fertigen „Mohort"
herausgab, das beste von seinen Werken in epischem Genre.
Wir versetzen uns in die Zeiten des Königs Poniatovreki. Wäh-
rend sich im Innern des Staats alles zersetzt, halten sich die
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Vineenz Pol. 403
letzten Ueberliefernngen soldatischer Disciplin in den Grenzregi-
mentern oder in den Fähnlein der ukrainischen Grenze, die am
Sinjacb und Roä vom Bug bis zum Dnepr aufgestellt sind, und
dnen schweren und gefährlichen Dienet haben bei den kleinen
Mitteln, welche ihnen die Republik geben konnte. Mohort, ein
Litauer und Unirter, ist Lieutenant bei einer solchen Com-
pflgnie, ein Mann alten Schlags, Haut und Knochen, tapfer
Dod rechtschaffen , wie die Paladine Karr» des Grossen oder
die lUtter der Tafelrunde, vor Alter fast versteinert, mit der
Steppe verwachsen, aber sich mit der automatischen Begel-
mässigkeit einer Uhr bewegend. Zu ihm sendet der König zur
Vorbereitung für die Front seinen Neffen, den später berühm-
ten Fürsten Joseph Poniatowski, und verleiht ihm alsdann das
Kreuz, den Rang eines Rottmeisters und ein Dorf, aber Mohort
lebnt diese Gaben ab: das Kreuz habe er hei der Taufe empfan-
gen, seine Compagnie wolle er nicht verlassen, und was den Land-
besitz beträfe, so sei nur wenig davon zu einem Grabe nöthig.
Eb naht das Ende der Republik. Die Truppen unter dem
Commando Joseph Poniatowski's (1792) weichen vor den Küssen
nrück, die Avantgarde wird von Koäciuszko geführt, in der Ar-
rieregarde schützt Mohort bei Boryszkowce die Abziehenden beim
Debergang über einen Damnn , kommt aber selbst dabei ums
Leben in der Erfüllung seiner Kriegerpflicht. Die schönsten
Erinnerungen der Vergangenheit sind in die Erzählung von
Mohort eingeflochten; aber er ist an und für sich keine epische
Person; er ist eine Art fossiler Mensch, der sich wie eine Ma-
schine nach einer eingeführten Ordnung bew^t. Pol legt ein
grosses Talent im Malen der Steppennatur an den Tag, eine
genaue Kenntniss der Details, aber diese Beschreibungen und
Episoden wachsen so sehr ins Breite, drangen so sehr die
Hanptgrundlage der Erzählung in den Hintergrund, dass diese
letztere selbst nur als ein Netz erscheint, dazu erfunden, um
in seine Maschen die Einzelheiten zu vertheilen, und dass sich
der Erzähler aus einem Dichter in einen Alterthumsforscher
und Antiquar umwandelt, der in seinem Werke, wie in einem
Museum, allerlei Seltenheiten und Curlositäten ausgestellt hat
und bei einer jeden derselben mit zärtlicher Liebe verweilt.
Ganz denselben Charakter eines Kunstmuseums der mittel-
alterlichen Architektur und Sculptur hat die Dichtung „Wit
Stwosz" (geschrieben im Jahre 1H53), die einen Bildhauer aus
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404 Viertes Kapitel. Die Polen.
dem Ende des 15- und Anfang des 16. Jahrbonderte behandelt,
den Bicb die Deutschen unter dem Mamen Veit Stoss aneignen,
und um den noch jetzt Krakau mit Nürnberg streitet, weil
er eich in beiden Städten durch grosse Kunstwerke in einem
mittelalterlichen Stil berühmt machte, den die Strahlen der
Kenaissance noch nicht berührt hatten. Nachdem er den Dom
auf dem Wawel mit dem Grabmal des Königs Kazimir Jagiello
und den Altar der Marienkirche mit einem Schnitzwerk yer-
ziert hatte, siedelte er nach Nürnberg über; hier ward er
im Alter wegen Unterscbleifs vemrtbeilt und gebrandmarkt,
womach er erblindete. Der Dichter konnte Stwosz leicht in
einen unschuldigen Dulder umwandeln, der>auf falsche Denun-
ciationen der Neider vemrtbeilt ward. Er stellte in seiner
Person nicht nur das Bild eines mittelalterlichen Künstlers,
sondern eines solchen aller Zeiten dar, der sich nur an den
Idealen des Glaubens begeistern, und die Kunst nicht über die
Grenzen der kirchlichen Tradition hinausfuhren soll, und den
das Schicksal dafür straft, dass er nicht genug Demuth be-
sass und sich mit seinem Talent brüstete. In demselben archai-
stischen Stil, mit denselben Tendenzen sind nach der Herans-
gabe des „Wit Stwosz" (1857) bis zum Tode des Verfassers,
der gegen Ende seines Lebens erblindete und zu Krakau
2. December 1872 starb, noch viele Werke geschrieben, die
weitschweifig sind und die Merkmale eines mit den Jahren
schwächer werdenden Talents tragen. Dahin gehören: „Strj-
janka" (herausgegeben 1861), „Der Knecht des Hetmans"
(„Pachol^ Hetma^skie", 1862), „Eine Bhapsosie aus dem Wiener
Feldzug Sobieski's" („Z wyprawy wiedeftski^j ", 1865); „Der Ka-
lender des Jägers" („Rok myäliwca", 1870), „Der Starost von
Kiäla" („Pan Starosta Kiglat^i") und das Drama „Die Ueber-
schwemmung" („Powöd^"), die erst nach dem Tode des Verfas-
sers herausgegeben wurden. Diese Erzählungen mit ihrer überaus
engherzigen Moral (z. B. die Legende „Die schwarze Kuh" —
„Czama krowka", 1854) mit offenbar retrograden Tendenzen,
mit dem absprechend&ten Verhalten zur Vernunft und deren
Arbeit haben fast nichts mehr mit den jugendlichen, feurigen,
kühnen Liedern des Janusz oder mit der fiischen „Geschidite
des Schumachers Johann Kiliüski", 1843, gemein. In der pol-
nischen Literatur nimmt Fol ganz dieselbe Stellung ein, wie
in der russischen die extremen Leute des slavophilen Lagers.
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Ludwig Eondratowioz- 405
Der Kreis seiner Begriffe geht nicht über die Grenzen der
eigenen NationaUtät und des eigenen Glaubens hinaus, wel>
chen er überhaupt nicht von jener trennt; in seiner Anhäng-
ücUeit für beides gelangt er zum ChauvinismuB , der alles
Fremde verurtheilt und nichts allgemein Menschliches aner-
kennt. Bittere Misgescbicke im Leben hatten ihn aus dem
Gleise geworfen, ins Mittelalter gestossen, in welchem er sich
Ton da an auch innerlich festsetzte, ohne etwas von der Zu-
imnft zu erwarten und in der Ueberzeugung, dass das Bessere
scboD vergangen sei. Der starre Obscurantismus Pol's hatte
den ungünstigsten Einfluss auf die Zeitgenossen, der erst jetzt
beträchtlich abnimmt. Die Liebe zur alten Zeit ist im allge-
meinen lobenswertb; in der Epoche, welche wir beschreiben,
Terfiel sie aas den von ans dargelegten Gründen in eine ein-
seitige Verehrung der Vei^angenheit, als eines Heiligtbums,
aber auch diese Verehrung schlosa die Möglichkeit nicht aus,
fortschrittlich zu sein, zur Ansfubning der Ideen beizutragen,
welche im ganzen Lauf nnsers Jahrhunderts vorherrschen, das
Wohl der Massen zu fördern, zu ihrer Aufklärung und Selbst-
entwickelung beizutragen. Diese Möglichkeit einer Verbindung
der alten nationalen Ueberlieferungen mit der Demokratie und
dem Geist des Jahrhunderts bewies praktisch ein Zeitgenosse
Pol's, der seinerzeit durchaus nicht weniger geschätzt war als
der letztere, und jetzt eine weit höhere Stellung einnimmt, der
litauische Dichter Ludwig Kon'dratowicz, bekannter unter
dem Pseudonym Wlady^aw Syrokomla.
Ludwig Wladyrfaw Kondratowicz vom Wappen Syrokomla*
ward am 17. September 1823 im Gouvernement Minsk geboren,
und war der Sohn eines geringen und armen Mannes, der
einstmals Feldmesser, alsdann Pächter auf den BadziwiU'schen
' W. Spasowicz'B Artikel im Ateneum 1876, Nr. 1 und 3: Eine neue
Ötadie über SyrokomU. — „Poezye, «-ydanie na rzecz wdowy" („Füesied,
korsBBgBgeben zum Besten der Witwe" 10 Bde., WarBchau 1872), — L.
Kondratowicz, „Dzieje literatury w. Polaoe" („Qescbiohte der Literatur
ia Polen" 2 Bde., Wilna 1861 — 54). — J. L Kraazeweki, „Wladyrfaw
8yrokomla" (Warschau 1863). — Tyszyneki, „Kondi-atuwicz i jego poezye«
(in Bibliot«ka Warszawaka, 1872, August und September). — Izbrannyja
stichotvorenija Ljudviga Kondratovi£a (1. Bd., Moskau 1879); der Artikel
Ton L Aksakov in „Rnssk. Mysl", 1880, Kr. 1.
...., Google
^)6 Viertes Kapitel Die Polen.
Besitzungen war. Seine in der UnterrichtBanstalt der Domini-
kaner in Nieäwiei begonnene Sclmlbildung endete in der liinf-
ten Klasse der BezirkB6cbule zu Nowogrödek, worauf ihn der
Vater, nachdem er sich von der geringen Befabigung des SohncE
zur Landwirthscbaft überzeugt, 1842 als Schreiber in der KaDz-
lei der Hauptverwaltung der RadziwitrBchen Güter zu Nieävie^
unterbrachte. Der junge Beamte war schüchtern, unbeholfen,
aber witzig und heiter, machte mit angewöhnlicher Gewandt-
heit Verse, erwarb eich die Liebe der Kameraden, verliebte sich
in ein Mädchen, ebenso arm wie er, Mitraszewska, heirathete,
erhielt ein kleines Radziwilt'scbes Gut am Kiemen zur Pacht und
gründete so seinen Hausetand auf einem ganz winzigen Gute,
mit Frau und bald auch Kindern, deren fünf geboren wurden.
Es schien, als ob dieser Mann definitiv in einen öden Winkel
vergraben sei, und dass es keine Möglichkeit für ihn gäbe, sieb
zu entwickeln und soweit auszubilden, um eine einflussreiche Per-
son in der Literatur zu werden, auf einem Gebiet, das eine lange
und tiefe Vorbereitung erfordert. Allein dieses Unwahrscheinliche
trat ein: während eines neunjährigen Aufenthalts auf seinem Oute
Zalucz (1844 — 53) wueste sich Kondratowicz bei den ärmlicbsten
Mitteln zn entwickeln, und sich, wenn auch keine umfassende und
volle, so doch in manchen Beziehungen solide Bildung anzn-
eignen. Schon bei den Dominikanern hatte er lateinisch gelernt;
als er heiratbete, empfing er von seinen Freunden Wiszniewski's
„Geschichte der Literatur" ium Hochzeitsgeschenk. Gelehrte
und gebildete Leute in der Radziwilt'schen Hauptverwaltung mun-
terten ihn auf, die lateinisch 'polnischen Dichter des 15. Jahr-
hunderts bis Sarbiewski in Versen zu übersetzen; man bot
ihm die Betheiligung an einem, von dem Buchhändler M. 0.
WolfF in Petersburg geplanten Unternehmen an, alle lateinisch-
polniechen Historiker zu übersetzen. So lernte er Polen vom
Ende des Mittelalters an kennen, wie es nur von wenigen ge-
kannt wird — nach den Quellen. Ueber den allgemeinen Sinn
der Weltgeschichte und über die Bewegung der Ideen in der da-
maligen Gesellschaft informi'rte er sich aus dem und jenem Buche
und durch befreundete Studenten, die von verschiedenen Univer-
sitäten auf die Ferien zusammenkamen , und die Ruhe des öden
Winkels durch heftige Dispute störten. „Der Kopf schwirrt mir",
schreibt er 1851, „von fortschrittlichen Schlagwörtern, das Den-
ken zersplittert sich, ich kann mich nicht concentriren." Bald
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Ludwig Eondratowicz. ^7
äuTitt besaclite er Wiloa und schreibt: „Ich begriff nicht, wel-
cher Kampf von Ideen bei uns herrscht, obstupui. Die einen ver-
weisen mit dem Kreuze in der Hand jeglichen Rationalismus in
die Hölle, nennen jeden Wissensdrang ein Werk teaflischen Hoch-
muths. Die andern epeien, anter Lobpreisung des Fortschritts
Dod der Brüderlichkeit, auf den Glauben, die Tradition, alles,
wu tlieuer and heilig ist. Christus ist auf den Lippen, aber
christliche Liebe zu den Menschen habe ich leider Gottes nicht
gefiinden. — Ich wollte mich in Wiln» niederlassen, jetzt sehe
ich, dass, wenn ich davon auch einen geistigen Nutzen lüitte,
doch mein Herz zu Staub austrocknen würde. — Ich bin ilber-
baopt kein Dialektiker." Aber trotz seines Abscheue vor Strei-
tigkeiten, nöthigten ihn doch die Verhältnisse, nach Wilna über-
lasiedeln und in einer Atmosphäre zu leben, die voller Zank,
Verleumdung und Klatscherei war. Seine Uebersetzungen der
lateiniBch-polnischen Dichter, die in Kraszeweki's „Ateneum" ver-
Öffenthcht wurden, fanden Beifall, seine ersten „Gawgdy" oder
Erzählungen gefielen sehr, der Buchhändler Wolff kaufte das
erste seiner grossem Werke: „Der woblgebome Johann D§bo-
n^" („Urodzony Jan Dgborög", herausgegeben Petershui^ 1859),
und veranlasste, dass er mit Kraszewski bekannt wurde, der
in Volynien lebte. In Wilna konnte Kondratowicz Bücher und
Rathschläge von dem sieb für seine Entwickelang interessiren-
den Historiker Nikolaus Malinowski erhalten, sowie von dem
Kreise der au%eklärten und gelehrten Leute, denen Wilna zu
danken hatte, dass es die Bedeutung eines der Centren des gei-
gten Lebens behielt. Die Freande statteten Kondratowicz aus;
es wurde für ihn ein 14 Werst von Wilna entlegenes Gut Borej-
kowszczjzna des Grafen Tyszkiewicz gepachtet, wo er sein ge-
liebtes Landlehen fortsetzen, aber auch fast täglich mit der Stadt
verkehren konnte. Aber Borejkowszczyzna war zu nahe bei
der Stadt, die Bekannten überliefen den Dichter, lebten auf
seine Kosten, und raubten ihm das Kostbarste — die Zeit. Die
Stadt war voller Verführungen, Kondratowicz fand Gefallen
an einer fröhlichen, angenirten Gesellschaft von Literaten und
Schauspielern , zechte , verschmähte es nicht , auch ein Glas
zu viel zu trinken, trat in Verbindung mit einer verheirathe-
ten Frau, einer ehemaligen Schauspielerin, und verliess seine
eigene Frau und Kinder. Seine Werke verkaufte er an die
Verleger, meist jüdische Buchhändler in Wilna, wie schlechte
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408 ViertcB Kapitel. Die Polen.
Landwirtlie das Getreide BchoQ auf dem Stock Terkaufeu? Ee
kam Tor, dsss er in Momenten, wo die Aufführungen seiner
Theaterstücke („Kaspar Earlinski", aufgeführt zu Wilna im Ja-
nnar 1858) allgemeinen Entfansiasmue herrorriefen, und ihn das
Publikum sozusagen auf den Händen trug, sich schämte zu ge-
stehen, daes er nicht die Mittel habe, sich ein Mittagsmahl za
beschaffen. Er reiste mehrmals nach Warschau, im Jahre 1858
begab er sich nach Gnesen und Krakau, aber die von dort
mitgebrachten Eindrücke hatten wenig Interesse und lieferten
wenig Material zu seiner Poesie. Uebermässige geistige Arbeit
und EutbehruDgen erschöpften seinen Organismus und erzeugten
eine unheilbare Krankheit, die ihn schnell ins Grab brachte.
Mitte 1859 schrieb er: solum mihi superest sepnichrum. Von
da an bis zu seinem Tode, der in Wilna 15. October 1862 er-
folgte, bei vollem Bewusstsein über das nahende Ende, unter
unerträglichen Leiden und vollständigem Mangel an Mitteln Inr
die dringendsten Lebensbedürfnisse (erst nach seinem Tode schosB
der Adel der südwestlichen Gouvernement« Geld zusammen zur
Sicherstellung seiner Familie und gab zum Nutzen der Witwe
und Kinder eine vollständige Sammlung seiner Gedichte mit
einem Vorwort von seinem Schüler Vincenz Korotyfiski heraus)
— schrieb Kondratowicz die reizendsten Sachen, die durch volle
Frische und Kraft des Talents glänzen: „Cupio dissolvi", humo-
ristische Melodien aus dem Hause der Irrsinnigen mit einer amü-
santen Beschreibung seines eigenen Leichenb^angnisses ; „Der
Tod der Nachtigall " ', „Ovid in Polesie".
Kondratowicz ist der letzte Dichter der von Mickiewicz ge-
schaffenen litauischen Schule, die er in würdiger Weise beschliesst;
sein Flug ist nicht hoch, der Kreis seiner Ideen klein, aber er
ist eine wirkliche Nachtigall vom Niemen, ein Dichter mit dem
Feuer der Begeisterung, mit einem tiefen, aufrichtigen Geföhl,
sowie zugleich einer ungewöhnlichen Einfachheit, die alles Ge-
schraubte meidet. Von seinen grossen und ruhmvollen Vorgän-
gern unterscheidet sich Kondratowicz dadurch, dass er seinem
' „Auf läi'mender Strasse unter dem Dach einer den Athem beengenden
Wubnung haben eohlimme Hände eine Nachtigall in den Käfig geaetut. . . •
Ein tünendea Lied hat die gefangene Nachtigall angeatimml, und inden »i*
gcwisscrmasBen mit dem Lärm der Stadt in Kampf tritt, denkt sie: •i<^
werde ihn mit meiner Stimme bezwingen»."
...., Google
Ludwig Eondratowioz. ^39
Pablikum unTei^leichlich aäber steht uls siej dasB er sich zur
Aufgabe stellt, nicht nur ein nationaler, sondern auch ein popu-
lärer Schriftsteller zu sein, dass er nur weniges und zwar nur
Alltägliches darzustellen versteht, aber dafür mit einer die
Seele ergreifenden Wahrhaftigkeit, die ihn zu einem Freunde
und Lehrer der kleinen Leute und des gemeinen Mannes macht.
„Wenn ich zum Stift greife", schreibt er, „und ohne zu wissen,
wu ich darstellen soll, Skizzen mache, so kommt bei mir immer
entweder eine litauische Hütte, oder eine Dorfkircbe, oder ein
litaniecbes Höfchen heraus. Nichts anderes kann ich zeichnen
— nur das, was ich mit ganzer Kraß; der Seele liebgewonnen
habe; ich möchte wol auch etwas anderes lernen, möchte wol
auch herrschaftliche Paläste zeichnen, aber immer bricht der
Stift ab" (VII, 220). Da seinem grossen poetischen Talent die
Schulbildung nicht entsprach, so haben infolge dieses Man-
gels seine Werke einen sehr ungleichen Werth, und zwar den
geringsten die, auf welche er am meisten Zeit verwendet hatte
Bnd denen er die grÖsste Bedeutung beilegte. Um zu bestimmen,
«eiche seiner Werke eine besondere Beachtung verdienen, muss
man näher auf die Bedingungen eingeben, unter denen sich die
Entwickelung seines Talents vollzog.
Der Beginn von Koudratowicz' Wirksamkeit fiel mit dem
Moment zusammen, als sich nach dem Mislingen der revolutio-
nären Versuche und nach der Nichtrealisirung der Zukunfts-
pbantasien die Gesellschaft in die Betrachtung der Vergangen-
heit versenkte. Kondratowicz verehrte diese Vergangenheit, in-
dem er sie mit den ersten Erinnerungen der Kindheit identi-
licirt, mit dem Glauben, mit der theuren Heimat. „Auf jedem
Schritt kann man in Litauen eine Spur von Ereignissen ßnden.
Sei es ein Hügel, ein Trümmerhaufen, ein Kreuz am Wege,
^ne Säule, eine Kapelle oder sogar eine Herberge, alles ist
hier ein Denkmal des Alterthumg und ans längst vergangenen
Zeiten, bietet so viel Interessantes über Litauen" („Dgborög").
Und es ist nicht schwer, daraus Material für ein Epos zu ziehen:
»Man lege unter das Mikroskop der Seele, was man will, ein
Schmetterlingsköpfcben oder ein menschliches Herz , eine aus
verweinten Augen fliessende Thräne oder eine Blume, gepflückt
auf der Litauischen Flur; man erzähle das alles gewissenhaft
und wahrheitsgetreu, den Glanz jeder Farbe, jeden Herzschlag,
die Bewegung des kleinsten Atoms — und es wird sich fürwahr
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410 Viertes Kapitel. Die Polen.
ganz von selbst ein Gedicht gestalten" („Kge chleba" — „lÄn
Stück Brot", II, 117). Ebenso naiv, wie die Vergangenlirät der
Heimat, liebt er auch diese selbst („Das Nachtlager des Het-
mans", 2. Theil): „Das Vaterland! es ist dein Hans, die Hütte,
das Dach, unter dem du aufgewachsen bist, einstmals gewohnt
hast; der Acker dein tägliches Brod im baogrigen Jahre; der
FlusB, wo du im Sommer schwammst ohne Sorgen. Es sind die
Augen der Geliebten, der HerzensEreund, es ist unser Him-
mel mit der unendlichen Weite, der Schatten des 'heimatlichen
Gartens, die alte Eiche und der Ahorn und die zur Kirche
rufende Glocke. Es ist dein Haus, die Freiheit, die Jagead-
kraft, und des lieben Vaters grauer Bart. . . ."
Diese Anhänglichkeit an die Heimat, eine fast körperliche Ab'
hängigkeit, hat Kondratowicz vielmals mit überraschender Kraft
zum Ausdruck gebracht: „Die Wiesen der Heimat kenne ich am
Aroma, das Wasser der Heimat kann ich am Geschmack erkennen,
nicht täuschen wird mich der Gesang anderer Vögel, am Sausen
errathe ich die Bäume am Niemen, den Wind am Niemen unter-
scheide ich durch meine Lungen . . . Brotl aus deinem Geschmack
und Geruch empfinde ich die Flur am Niemen, sehe die Kapelle
mit dem Strohdach, höre die Glocke über meinem Kopfe lau-
ten" {„Ein Stück Brot"). Auch seinem römisch-katholischea
Glauben war Kondratowicz anhänglich von Seiten des religiöseD
Gefühls, das ihn stets durchdrang, aber nicht von selten des
Dogmas, das er nie erörterte und nie berührte. Nach seinen nüch-
ternen Begriffen hat sich die Quelle der Wunder, der schlichte
Glaube (krucbciana wiara) verflüchtigt und wobnt nicht mehr
in den Herzen der Christen („Marciu Studzieäski " ). Für ihn,
den tolerantesten der Menschen, liegt der ganze Sinn der
Religion in der Liebe zum Nächsten, aber er liebt es, den
Eiufluss des kirchlichen Ritus in der einfachsten Umgebung,
in einer armen Dorf kirche , auf die Seelen demüthiger tmd
ganz schlichter Leute darzustellen. Da er die Verherrlichung
der Vergangenheit zum Ausgangspunkte genommen, verfolgte
er den grössten Theil seines Lebens die eine Idee — ein
grosses Nationalepos zu schaffen, aber alle seine Anstrengun-
gen in dieser Richtung endeten mit vollstem Miserfolg. Als
überaus logischer Kopf suchte er der Begebenheit die ent-
sprechende Epoche zu Grunde zu legen, und als Autodidakt
zeichnete er diese Epoche nach. Lehrbüchern, nach landläofigeu
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Ludwig Eondratowioz. 411
Gemeinplätzen , die er durch Paraplirasen verwässerte , und
meiDte, dass sich gerade in diesen Gemeinplätzen der ganze
SiDn der Geschichte herge. Mickiewicz' Fusstapfen folgend,
rechte er in „ Malier " ( 1855) den Kampf des litauischen
Heidenthums mit dem deutscben Orden darzustellen, aber zur
Cbarakteristik der kämpfenden Parteien wird bei ihm kein
dnziger Zug hinzugefügt, der nicht schon bei Mickiewicz vor-
handen wäre, und die wilden Litauer hat er mit Gutmüthig-
keit, Weichherzigkeit, mit Bolcheo Gefühlen der Ritterlichkeit
imd der Ehre bedacht, dass dieses heroische Epos, in Stil und
Formen eine Nachahmung von Yiigirs „Aeneide", als ein lang-
weiliges, gespreiztes Kunstprodukt erscheint, das keine Kritik
Terträgt. * Nicht besser als „Margier" ist der „Kanonikus von
Pwernyal" (d. i. Stanislaw Orzechowski), eine unvollendete Dich-
tung, und überhaupt alle Erzählungen grossem Umfangs, auf
die sich Kondratowicz etwas zugute that, aber der Gegenstand
belebt sich jedesmal, so oft in die Erzählung lebendige Typen
deg gewöhnlichen Volks eintreten, oder der Verfasser, einer
ntirischen Stimmung folgend, zu der er immer geneigt ist,
mit allen Schellen der Narrenpritsche klingelt, wenn er amü-
sante Märchenhelden darstellt, .wie den alles zur Unzeit thuen-
den Pan Philipp von Konopli, den feigen Ritter Bielina auf
Vorposten u. s. w. Die beliebte Form der Werke Syrokomla's
ist eben die Gaw^da, die Pol populär gemacht hatte, aber
der UnUrscbied zwischen den beiden Gawgdaschreibern ist der,
dass Pol ein Partisan des Magnatenthums und der Gewalt ist,
Syrokomla aber all der Geschlagenen, Armen und Vertriebenen,
tut weiche das alte Polen kein Paradies war, die aber ihr Land
nicht weniger liebten als die Glückskinder, und ihr Leben für
dasselbe einsetzten. In der Seele dieses Mannes, der bis ins
innerste Mark hinein ein Szlachcic war, birgt sich bei all
seiner Güte ein untilgbarer Groll gegen jenes schmeichelnde,
bochmüthige Magnatenthum, das nach seinen Ansichten auch
die unmittelbare Verantwortung für den Untergang des Staates
bägt. „Solange die kleine Szlachta, meine frommen Vorfahren,
den Magnaten für die Reichstage und Kämpfe nöthig waren,
solange waren sie zärtlich gegen uns, machten uns trunken
' Eine DeberBetznng deatelben iua RuMieche in „Ruaskaja Mysl" 1860,
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412 Tiertei Kapitel. Die Polen.
und nannten uns: liebe Brüder" („Podkowa" — „Das Hnf-
eisen"). „I)u hast zu auegelasBen dreingehaueu und getruDken,
o fröhliche GefolgBchaft; tn den Pokalen der Magnaten blieb
ein Bodensatz zurück, bittere Galle mit Essig für die arme
Brüderschaft. Wehe dem, der nicht Zins zahlt für den Acker,
die Heuernte, für das Wasser im Teiche, für das Dach, für
den Sonnenstrahl, für die geatbmete Luft und für die thaufeuchte
Blume" („K^s chleba"). Jetzt gibt es keine Szlachta mehr
im frühem Sinne, ea gibt keine Landt^e, die Lebensverhält-
nisse haben sich geändert; Kondratowicz schliesst seine Er-
zählung „Podkowa^' mit der folgenden Apostrophe an die
kleine Szlachta: „Ihr werdet wieder nothwendig sein, nicht
für den Landtag mit dem Säbel, sondern mit der Feder, mit
dem OeiBte. Die Welt ist ein weites Feld und Brot darauf
viel, man muss nur lernen und arbeiten." — Aber unter den
neuen Verhältnissen blieben die frühem Gefühle, das Herz des
Dichters neigt sich dem kleinen Manne zu, dem armen, den
ärmsten, dem schlichten Bauer. Der Dichter leidet für ihn;
ohne sich Bonst in die Politik zu mischen, geht er hier von
dieser Regel ab, er wird ein enragirter und scharfer Satiriker,
wenn die Rede auf die Befreiung der Bauern kommt; er schämt
sich Beines Wappensiegels angesichts dessen, dass das Bauem-
comite in Wiloa zögert, über die Befi-eiung der Bauern mit gleich-
zeitiger Landbegabung zu beschliesBen (VII, 193); er geisselt
die an der Leibeigenschaft festhaltenden Feudalherren, die ihre
Vasallen mit dem Riemenacepter regieren (VII, 126). In dem
Gedicht „Die Pappe" (I, 191; 1831) lässt er ein Mädchen sich
in folgenden Betrachtungen ergehen: „Du, Puppe, weisst nicht,
(lass wir Pane sind, und dasB eß noch ein anderes Volk gibt,
— die Bauern, denen Gott der Herr aufs strengste befohlen bat,
für die Fane zu arbeiten. Schmutzig, garstig, betrunken, wahre
Bettler, in zerlumpten Kitteln, regen sie sich kaum, aber sie
sind selbst schuld, Gott straft sie dafür, dass sie dem Papa nicht
gehorchen." Wie freut sich dagegen der Dichter, wenn er voo
einem grossen Ereignisg erzählt — der Errichtung einer Dorf-
schule (IV, 167). Der Volkssanger Kondratowicz ist gerade
stolz darauf, dass er ein Dorfgeiger oder -Leiermann ist, der
beim Gastmahl auf dem Dorfe die erste Stelle einnimmt, aber
bei dem Mahle der Reichen von den letzten der letzte wäre und
nur an der Schwelle stehen würde (VI, 313: „Der Dorfgeiger"
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. SigismnDd Eaczkowski. 413
— nSkrzypak wioskowy"). Der Sänger ist ein schlichter Mann,
aber er wahrt eifersüchtig seine Unahhängigkeit und ist darum
besorgt, dass eein Lied in Ehren stehe. „Wisse, was der Stolz
des Sängers ist. Ich hange vor niemand weder mein Lied noch
m«io Haupt; als stolzer Dorfleiermann werde ich sterben, auf
der Leier spielend." („Der Dorfleiermann" — „Limifa wioskowy",
VI, 242). In dem stolzen Gefühl seiner Unabhängigkeit wird
Koodratowicz nur von Stowacki übertroffen; vor niemand hat
er weder sein Haupt gebeugt, noch seine Leier, die nach sei^
Dem Tode bis auf den heutigen Tag noch keinen passenden
Erben gefunden hat.
Xicht nur die Talente wurden im Vergleich zu früher ein-
seitiger und flacher, sondern es ging auch im Uehergewicht and
iD der Herrschaft der Gattungen der A-tihem Literatur eine grosse
Aenderang vor. Die Gesellschaft war nicht reif genug, um an
der reinen Wissenschaft Genuss zu finden und sich zu ihr hin-
gezogen zu ßihlen, aber sie erkaltete doch gegen die hohe Poesie,
gegen den Aufschwung in das Gebiet der weltumfassenden Ge-
danken. Der Vers wird durch die Prosa verdrängt, and in dieser
entwickeln sichauf Kosten aller andern Zweige der Literatur eine
malerische Geschiobtschreibung — in der Person Szajnocha's, und
der Roman, sowol der historische als der zeitgeschichtliche; die-
wr fond einen glänzenden Vertreter inSigismund Kaczkowski,
der in seinen Werken am besten den Geist der ängstlichen,
conservativen Epoche der Ernüchterung nach den Bacchanalien
der Romantik darstellt. — Nur kurz war die Herrschaft dieses
Bomanschriflstellers, der vom Jahre 1851 an, als seine ersten
grossen Werke erschienen, sofort vom Publikum unvergleich-
hch höher gestellt wurde, ab Bzewuski, und nach 1861 fast
vollständig verstummte, unter Hinterlassung einer Masse von
Werken, von denen bei weitem nicht alle in den 11 Bänden
der von Unger veranstalteten Warschauer Ausgabe (1874 — 75)
einen Platz gefunden haben.' Er selbst war sozusagen durchs
Feuer und Wasser gegangen, und hatte in vollem Masse das
Bevolutionsfieber durchgemacht. Geboren 1826 in einer der
BergBchlnchten des Sanoker Kreises (an den Quellen des San in
' Im 11. Bande findet sich eine Biographie des Verfaaacra von Tincenz
Korotynski. Siehe noch P. Chmielowski, Z. Kaczkowski, studinin lite-
nckie (in Niwa 1876, Nr. 45—48).
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414 Viertei Kapitel. Die Polen,
Galizien), empfing er eine fast ausschliesslich literarische Bil-
dung, beendete schon mit 19 Jahren den Stodiencnrsus an der
Universität Lemberg, und sass schon im 20., dem denkwür-
digen Jahre 184C, von den Bauern eingeliefert, mit seinem Vater
im Gefängniss zu Lemberg. Vater nnd Sohn wurden als demo-
kratische Agitatoren verurtheilt, der erstere zu 20 Jahren Festung,
der andere zum Tode durch den Strang. Die Ausführung des
Urtheilsspnichs ward durch das Jahr 1848 verhindert, das bei-
den die Freiheit gah. In diesem Jahre reiste Kaczkowski nach
Frag zum Slavencougress als Delegirter der galizischen Polen;
im Jahre 1849 musste er sich wieder verbergen nach dem
Bombardement von Lemberg durch Hammerstein, aber schon am
Ende des eben genannten Jahres liess er sich in Lemberg nieda
und verwandelte sich in einen fleissigen, vielschaffenden Schrill-
steiler. Im Gefängniss war aus dem Revolutionär ein Conser-
vativer geworden, der nicht nur ein Gegner der revolutionären
Art zu handeln, sondern auch der Ideen der Revolution selbst
ward. Alle Ursachen des revolutionären Taumels führte Kaa-
kowski vor allem auf die Romantik zurück. „Das Volk", urtheilt
er („DziwoÄona", „Epilog"), „schickt, wenn es in eine neue Le-
benspbase tritt, seine Wünsche voiuus, deren Glanz sich auch
in der Literatur reäectirt. Diese unsere neue, romantische Poe^e
weckte die schlafende Volksseele, aber wer diesen Becher bis
auf den Grund austrank , bekam einen Schwindel, der sich hätte
in Wahnsinn verwandeln können." Der thörigtste von allen ro-
mantischen Dichtern war nach der Ansicht Kaczkowski's Julius
^owacki. Nachdem er die Romantik abgestreift, stand Kacz-
kowski in der Literatur als aufgeklärter Katholik und fortschritt-
licher Aristokrat da, welcher der Intelligenz seines Volkes räth,
sich mit dem Ackerbau zu beschäftigen, sich nicht nach allen
Seiten hin zu zersplittern, nicht in einem ziellosen Dilettantismus
aufzugehen, sondern nach einer speciellen Bildung zu streben und
ohne sich mit allgemeinen Problemen zu befassen, grosse Re-
sultate in kleinem Kreise durch langsame, aber organische
Arbeit zu erreichen. Es versteht sich von selbst, dasa bei dem
fortwährend herbeigezogenen und wiederholten Motiv des Kampfes
der Revolution mit der Reaction, der Demokratie mit der Aristo-
kratie, der hohen Phantasie und des nüchternen Verstandes,
(He edle Rolle immer dem Verstände, der Autorität und den
Vornehmen, als den Bewahrem der Ueberlieferungen , zufallt,
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SigiBinDiid EacEkonski. 416
die unedle aber dem Emporkömmling, dem gewandten PIue-
macher, der sich durch Speculatiooen schnell ein Vermögen
Bchafft. Das ist der Charakter einer langen Reihe von zeit-
geschichtlichen Komaneu Kaczkowski's , die mit „Gato" (185t)
beginnt, sich in der „Wunderfrau" („DziwoÄona", 1854), den
„Enkeln" („Wnaczgta" 1855), dem „Byronist" („Bajronista" 1855)
fortsetzt und mit den Werken „Stach z Kgpy" (1856) und „Roz-
hit«k" („Der Schiffbrüchige", 1861) schliesst. Alle diese Romano
BjHelen in Galizien, drehen sich um die Ereignisse der Jahre
1346 und 1848, sind arm an psychologischer Analyse, aber reflec-
tiren die allgemeine Bewegung und Stimmung der Geister und
Geoüther ziemlich getreu. Was ihnen in künstlerischer Be-
ziehung abgeht, das ersetete der Verfasser durch für jene Zeit
lobensirerthe and nützliche Tendenzen.
Aber nicht diese zeitgeschichtlichen Er/äblungen begründe-
ten Eaczko'wski's grossen Ruf. Als Vertheidiger der Tradition
iet Szlachta, der sie seinen Begriffen nach mit dem Fortschritt
uissöhnte, schöpfte er sie ans der ersten Hand, direct aus
der Quelle. Die galizische Gesellschaft, schon 1772 von Polen
geb-ennt, hatte sich wie eine Versteinerung bis ins 19. Jahr-
handert erhalten; das Sanoker Gebiet war ein Bergland, und in
solchen hält sich das Alte länger; im Hause Kaczkowski's lebte
Beine Groasmutter D^borög-Bylczynska (gestorben 1853), die sich
noch der Zeiten August'e III. erinnerte und mit grösster Ge-
nauigkeit von den Zeiten Poniatowski's und der Confoderation
von Bar erzählte. Nachdem er im Gefängniss alles über das
18. Jahrhundert in Polen Gedruckte gelesen, blieb er bei derCon-
föderation von Bar stehen, und beschloss, der Historiker dieser
letzten rein nationalen Bewegung zu werden, nach welcher das
ihm fast ebenso, wie Rzewuski, widerwärtige Eindringen franzö-
sischer Ideen, Sitten und Einrichtungen begann. Nach seiner
Befreiung ans dem Geföngniss vertiefte er sich in das ge-
wdtige bandschriftliche und gedruckte Material des Ossolinski'-
sehen Instituts für die Geschichte des 18. Jahrhunderts und
dwchforschte es vollständig. Eine Geschichte der Confoderation
B<^rieb er nicht, aber die Personen und Ereignisse begannen
sich zu Romanen und Erzählungen zu gestalten, die unter sich
einen engen Zusammenhang haben , weil sich die Ereignisse
grösstentheils im Sanoker Gebiet vollziehen, in vielen Romanen
dieselben Personen auftreten; ausserdem wird dieselbe Methode
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416 Viertes Kapitel. Die Polen.
angewendet, welche Rzewuski zu statten kam — ale Eirahler
tritt ein Mann alten Schlages auf, der letzte aus dem Ge-
schlecht der Nieczuja, der Sohn des Schatzmeisters in Zakro-
czym, Martin Nieczuja, der nach dem Ausdruck Chmielowski's
die Republik von der Höhe des Strohdaches seines Hofes ans
betrachtet und in der Religion den Hauptfactor der häus-
lichen und politischen Angelegenheiten sieht. Der Cyclus der
Nieczuja - Erzählungen ist umfangreich und umfasst folgende
Stücke : „ Bitwa o Chor^ankg" , 1851 ; „ Easztelanie Luba-
czewscy" (1851)i „Swaty na Rusi", „Murdelio", „M^ szalony"
(1852); „Gniazdo Nieczujöw" (1855); „Starosta Holobncki"
(1856); „Grob Nieczui" (1858). In diesen Cyclus gehören nicht
„Bracia älubni" (1854); „Annuncyata" (1858); „Sodalia Ma-
rianus" (1858)- Eaczkowski ist kein unbedingter Anbeter der
Vergangenheit: er schätzt die im Adelstande entwickelte Brüder-
lichkeit und Idee der Selbstverwaltung, hebt aber auch die
rohe Unwissenheit der Szlachta, das hartherzige Verhalten
gegen die niedern Klassen hervor. Aber nicht diese Wür-
digung reizte die Leser, sondern die vorzügliche flaetik in
der Darstellung der handelnden Personen und ihrer Gruppi-
rung. Im Jahre 1855 besuchte Kaczkowski, durch Arbeit er-
schöpft, Westeuropa und machte sich mit allen Notabilitätcn
der Emigration bekannt (Krasinski, Mickiewicz, Lelewel). In
den letzten Werken nimmt das Element der Reflexion und
Kritik über die künstlerische Seite derselben die Oberhand
(„Sodalis Marianus", „Rozbitek"). Der Roman „2ydowEcy"
1860) war eher ein Pamphlet gegen die Romantiker in der
Politik. Mit Anfang des Jahres 1861 ward Kaczkowski sogar
Journalist und begann zu Lemberg die Zeitung „Glos" heraos-
zugehen , sie hatte aber nur eine ephemere Existenz. Gleich
zu Anfang der. Thätigkett des Ministeriums Schmerling wurde
sie im Juli 1861 verboten , und ihr conservaüver Redactesr za
fünf Jahren Festungshaft verurtbeilt, aus der ihn 1862 kaiser-
liche Gnade befreite. Das traf mit dem Moment zusammen,
wo in Russland der letzte Aufstand ausbrach, der von einer
entsprechenden Bewegung in Galizien begleitet war, bei wel-
cher exaltirte Romantiker die Hauptrolle spielten. Kaczkoffdd
hielt es für nöthig, Galizien zu verlassen, siedelte nach Wien,
dann nach Paris Über, hetheiligte sich an der vesteurojüiscbMi
.....(^lOOJ^Ic
Karl SztOnocha. 417
Journalistik , an Börsenspeculationen , und brach die Verbiii-
<liii]g mit der polnischen Literatur ab. '
Während Kaczkowski, der sich vorgenommen ein Historiker
iD «erden, später nur Romanscfariftsteller wurde, tritt uns
in Karl Szajnocha, dem Sohn eines in Galizien angesiedelten
Cechen, der sich noch Scheiuoha Wtelleneky unterzeichnete and
Subalternheamter bei der Jurisdiction war, die ganz entgegen-
gesetzte Erscheinung eines Uebergangs von poetischen Versuchen
>n der grossartigsten Kunst der historischen Malerei entgegen.
SaLJnocha* ward 1818 geboren. Im Jahre 1836, als er noch Gym-
nasiast war, ward er wegen einiger Gedichte, die bei ihm gc-
fnodea wurden, festgenommen und einer schweren Gefängnisehaft
nnterworTen. Die halbjährige Einsperrung zerUttete seine Ge-
sondheit und verschloss ihm den Weg zu höherer Bildung. So-
gw der Aufenthalt in Lembei^ ward ihm in der ersten Zeit ver-
boten. Der junge unvermögende Mann erwarb sich sein Brot
<inrch Ertheilen von Unterricht, und später durch Gedichte, Er-
ühlungen und Dr&men in den lemberger Zeitungen, endlich durch
Mitwirkung an Journalen. In dem für Galizien kritischen Jahre
1846 war Szajnocha schon ganz ins Gebiet der Geschichte über-
gegangen, und begann sie allseitig zu bearbeiten, bald in einzel-
nen Abschnitten, indem er eine Menge interessanter Fragen in
^ilreichen historischen Skizzen lösste, die in Bezug auf VoUen-
dQng und Feinheit der Arbeit wahre Perlen bilden, bald so, dass '
er grosse Epochen, hauptsächliche, entscheidende Momente im
Leben des Volkes zeichnete. Seine historische Laufbahn begann
er mit zwei historischen Bildern: „Das Zeitalter Kazimir's des
Grossen" (geschrieben 1846, gedruckt 1848) und „Boleslaw Chro-
hry" (geschrieben 1848, gedruckt 1849). Der vollen Reife und dem
ßrossien Glänze seines Talents gehört an „Hedwig und Jagiello^
(.rJadwiga i Jagiello"), ein Geschichtswerk in drei Bänden, 1855
~ö6. In Bezug auf Schönheit der Zeichnung und Ghinz des Co-
lorits kann dieses Capitalwerk kühn den Vergleich mit AuguslJn
■ Seine letzte Enählung „Qraf Rak" in der Gazeta Polaka, 1839, ist
•«Iir schwach.
' Eine Anagabe seiner hisloriaofaen Werke veranataltcte Unger in War-
fxhin in 10 Bänden: Dsiela Karola Szajnochy , IH76~T8. Dtr lU. Band
Mtilt eine utniangliclie BioBrnpliie Sznjnndin's, verrnsRt von Clemenx
Kintecki.
^'I>, SUilulu LlluBliuaD. 11,1. 2T
ü,g :.._.. ..Google
418 Tiertes Kapitel. THp Polpn.
Tbierry's „Eroberang Englands darch die Normannen" und Ma-
caulay's „CeBcliichte der engliachen Bevolation" aushalten. Im
Jahre 185.5, als er in die Stellung eines Gustos am Osso-
li^ski'schen Institut eingetreten war, verheirathete er sich.
verlor aber bald darnach durch Ueberarbeiten das AugenUclit
(seit Mitte des Jahres 1857). Von da an bis zu seinem Tode
1868 folgte eine Periode unaufhörlicher Thätigkeit mit Hülfe
von Vorlesern und durch Dictiren. Frische des Geistes nml
ein gewaltiges Gedächtniss setzten den blinden Gelehrten in
Stand, gewaltige Aufgaben zu lösen. Im Jabre 1858 war^
der Ursprung des polnischen Staats von den Warägern hei^e-
leitet, die von jenseits des Meeres gekommen »eien („Lechidci
pocz^tek Polski" — „Der lechische Ursprung Polens"). Schon
früher wurde der Ursprung der Szlachta und der Wappen in
Polen erklärt („Nowe szkice historyczne" — „Neue historische
Skizzen", 1857). Im Jahre 1860 wurde der Anfang einer
Geschichte Johanu's III. Sobieski auegegeben, die jedoch ohne
Fortsetzung blieb. Der Historiker wurde vom Tode ereilt, als
er eben die letzten Kapitel in seiner Beschreibung der grossen
Krisis der polnischen Geschichte, nämlich der Kosakenkriege
schrieb: „Dwa lata dziejöw naszych" („Zwei Jahre polnischer
Geschichte", 2 Bde., 1865—69).
Die grösate Zahl von Talenten und die kräftigsten lieferte
der Literatur in der Periode nach 1848 Galizien, das so lange
für die znräckgebliebenste Provinz gegolten hatte, das bis in die
Fundamente der Gesellschaft durch einen harten socialen Kampf
aufgeregt wurde, aber nach 1859 die Früchte eines freiem Ver-
haltens der österreichischen Centralregierung zu den Völker-
schaften zu geniessen begann. Die Productivität der polnischen
Literatur innerhalb der Grenzen des Russischen Reichs bat sich
auch nach 1856, als unter der neuen Regierung eine Epoche
radicaler und allseitiger ßeformen begann, nicht vergrössert.
Der Arbeiter waren wenige, das Publikum mied eine ernste
Lecture, fand aber Geschmack am Roman. Koryphäen des
polnischen zeitgeschichtlichen Romans gab es zwei : KorzenioirKki
und Kraszewski.
I Korzeniowski', geb. U97 im Städtchen Brody, ei^
' VolUtänilige Sammlung seiner Werke, Verlag der Redaotioii <lMJour-
nalB Ktosy, in 12 Bänilen (WurscliHu 1871—73). Studie öher Kiineuioirslii
ü,g:.._.u.,GOOJ^IC
Joneph KoKeniowski. 419
bielt seine Scbulbildung auf dem Gymnasium zu Kremenec,
dss zu seiner Zeit zu einem Lyceum erboben wurde, und be-
gib sich, nachdem er hier 1819 seine Studien beendet, nach
Warschau, wo er das Amt eines Hauslehrers bei dem kleinen
Sobn des Generals Vincenz Krasinski, Sigiemund, annahm ; bald
daraaf verheirathete er sich mit der Tochter eines warschauer
UniTersitätsprofessors , des Malers Vogel, und ward 1829 von
ifsm Cnrator Czartoryski auf denselben Lehrstuhl der polni-
schen Literaturgeschichte am Lyceum zu Kremenec berufen,
den Torher Aloysius Feliiiski innegehabt hatte. Der junge
Professor war Eklektiker, und behielt bis zum Ende seines
Lebens viel von classischen Geschmacksrichtungen und Ge-
wohnheiten. Er verehrte Ludwig Osiiiski, mit dem er im Salon
der Familie Krasinski bekannt geworden war, und Feliäski's
„Barbara" galt ihm für eine Mustertragödie; aber auch auf
ibn wirkte die persönliche Bekanntschaft mit Brodzinski, er
gewann sowol Shakespeare als Schiller lieb, und suchte in
seinen Vorlesungen Classici&mua und Romantik nach Möglich-
keit auszusöhnen. Die friedliche Lehrthätigkeit in seinem
liehlingshch wurde durch die Ereignisse des Jahres 1830 ge-
stört: das Lyceum wurde geschlossen; aus seinen Geldmitteln,
Sammlungen, Museen und sogar aus dem Personalbestand sei-
ner Docenten ward die Universität des heiligen Vladimir (zu
Kiew) gebildet, an der man Korzeniowski nöthigtc, Mythologie
Qod römische Alterthümer vorzutragen; im Jahre 1837 ver-
setzte man ihn als Gymnasialdirector nach Charkow. Der Auf-
enthalt hierselbst brachte ihm in vielfacher Beziehung Nutzen:
er hatte hier eine angenehme Gesellschaft von Polen (Alexander
Mickiewicz, den Philologen Professor Alfons Walicki), Müsse
genug, die Arbeit ging rasch von statten, es wurden Dramen,
Tragödieu, Komödien fertig, geschrieben in Blankversen oder
in Prosa. Die ersten Versuche waren schon in Kremenec ge-
macht: „Aniela", „Klara" (1826), „Der Mönch" und viele .in-
dere; obgleich sie wohl durchdacht waren, so schadete doch
die Belesenheit des Autors dem eigenen Schaffen , und die
Werke bauten sich nicht auf originalen, sondern auf gelesenen
von Bzqzewaki in Bibl. Ware;;. 187(>, I. Eine Biographie Korzeniowski'»
schrieb Clemeng Kantecki: „Dwai Krzemiericznnie. Wizcruuki literackie
11. Korzeniowaki" (Lemht*nr 1879).
...., Google
420 Vierte" Kapitel. Die Polen.
und entlehnten Motiven auf. Aber sein Talent entwickelte Eich
und diese Entwickelung vollzog ßich durch den Uebei^ang von
hohen Sujets und vom hohen Stil zum einfachen Ulndlichen und
bürgerlichen Drama und zur Komödie, wobei eine äusserst scharfe
Beobachtungsgabe und feiner Witz zur Erscheinug kam und die
Form immer schön und auziehend war. Einige dieser Dranieii,
übrigens nur wenige, sind überraschend durch die Kraft der Lei-
denschaft z. B. die „Ksrpatischen Goralen" (1H43), worin der
Hauptbeld ein galizischer Bauer Rewizorczuk, der zum Soldaten
ausgehoben wird, Hiebt und Käu her wird, oder durch die Tiefe
des Gedankens z. B. „Die Juden" (1843), worin die wirklichen,
im Stück auftretenden Juden nicht ohne Edelmuth sind, und
durch Eigennutz und Ränke von den adeligen Herren und Guts-
besitzern, verschiedenen nach der Natur gemalten Typen der da-
maligen Szlachta-Gesellschaft, ubertroffen werden.* Nur in den
„Karpatischen Goralen" („Karpaccy gorale") ist KorzeniowsH in die
Erdgeschosse des Volkslebens hinabgestiegen, meist überschreitet
er aber die Grenzen des Mittelstandes nicht und zieht das Fröh-
liche dem Tragischen vor; eine Kleinigkeit, ein nichtiger Zufall,
eine Anekdote genügen zur Schaffung eines Stückes. Mit diesen
Stücken bebalf sich die polnische Hauptbühne jener Zeit — d«»
Theater zu Warschau. Der Statthalter PaskeviC pflegte den Vor-
stellungen beizuwohnen, was die Gönner Korzeniowski's aus der
hohem polnischen Gesellschaft benutzten und 1846 seine Anstel-
lung in Warschau beim Unterrichtsressort erwirkten, wo er bis
2U seinem Tode verblieb, der 17. September 1863 zu Dresden
erfolgte; er bekleidete zuletzt das Amt eines Directors der Ab-
theilung für Volksbildung, Cultus und Unterriebt, za dem er
von dem Marquis Wielopolski ernannt worden war. — Schon
Während seines Aufenthalts in Charkow begann Korzeniowski
von der Bühne zur Erzählung überzugehen und verfasste zwei
vorzügliche Romane „Kollokacya" (herausg. 1857)* und „Der
Speculant" (herausg. 1846).* In Warscbao widmete er sich
der Hauptsache nach dieser freiem und von den Censurverhält-
nissen weniger beengten Dichtungsart („W^röwki oryginala"
> Ins Ruaaiaobe übersetzt im Sovreraennik 1861.
' DcuUch von Philipp Löbcnslein d. d.T. „Unsere SohUohta" (in PL
Reclam's t.'uiveraalhibliotliek, Nr. 1123—34); von Methner o. d. T. „Dw
DorTiulel" (Gnesfit 1875).
' Deutsch von H. Max (2 Bde. Wien 1880).
.y Google
Jubupb Iguaz KrasüuwBki. 421
— „Reisen eines Originals", 1848; „Garbaty" — „Der Bavklige",
1HÖ2; „Tadeuaz bezimienny", 1852; „Krewni" — „Die Ver-
wwidten", 1857 u. v. a.), Korzeniowski hat TerliältDiüBiuäBsig
weniger geschrieben als Kraszewski, er arbeitete eeine Werke sorg-
lalliger aus und übertrifft ihn vielleicht als Künstler, aber in
alten anderen Beziehungen steht er seinem Rivalen nach. Er
mr ein verständiger Mann, von Natur gemässigt und ruhig,
der keine gespannten Verbältnisse, keine tragischen CoUisioneu,
keinen unheilbaren Gram liebte. Er verherrlichte die Arbeit,
die ßechtschaffenheit, die häuslichen Tugenden, aber er wusstc
Tollkommen das Glück zu schätzen, ein Vermögen, eine gesicherte
Stellung zu haben; alle seine Helden sind voll der philiströsen
Tngend, die Leuten eigen ist,, denen es in ihren Lebensverhält-
lÜEsen wohl geht, und die denen behagt, welche niemals gegen
den Strom schwimmen. Da er sich in den Kreis der vermögen-
den Leute eingeschlossen, stadirte und stellte er nichts ausserhalb
dieser Gesellschaft dar.
Die Tbätigkeit Kraszewski's werden wir nicht im Eiu-
zeluen darstellen, weil ihre Entwickelung erst im Laufe der
Tou uns beschriebenen Periode (1848 — 63) allmählich fortschritt,
nod mit den Jahren nicht nur nicht abnahm, sondern im
gegenwärtigen Moment noch stärker und mannicbfaltiger ist,
uls in der Periode von 1848 — 63 sowol an Zahl der Werke
wie an Inhalt. ■ Wir wollen uns auf einige chronologische
.\ngaben beschriinken. Von 1837 — 53 tbeilte Ki-aszewski die
Z«t zwischen Literatur und Ackerbau, während er im Üou-
Temeraent Volynien in Omelno , dann 1840 — 49 in Grödek
bei Luck und später in Hubin lebte, auch zuweilen Ausflüge
nach Kiew, nach Odessa, nach Warschau machte. Schon
l»38 gründete er einen Hausstand ( er verheirathete sich mit
Sophia Woronicz). In diese Jahre fällt die Herausgabe des
„Ateneum" (1841 — 52), die Erkaltung der Beziehungen zu
Gräbowski, der Bruch mit dem eiuflussreichen und zuweilen
gefährlichen Kreise des „ Petersburgski Tygodnik", das Stu-
diiun und die Vertrautheit (seit 1855) mit der Hegerschen Phi-
losophie. Eine Reihe von Miserfolgen in der Wirthschaft
' Uilcriftl zar Biugriipliie und uinu Ueliersioht der iliätigkeit in dem
Werke: „Kaifika jubileuszowa dU ncieoia pi^ädziesifoiuletDiej dziaUI-
»OMi i. L Kraazewikiego", 1880.
...., Google
422 Viertes Kapitel. Die Pr)leii.
nöthigte Kraszewski sein Dorf zu veilaaBun und 1853 nach Zito-
niir überzusiedeln. Hier gerietli er, statt die erwartete Bube
zu tinden, in den Mittelpunkt einer sehr belebten und mit
ihren kleinen Provincialinteresaen beschäftigten Gesellschaft,
bulb aus Beamten, halb aus Gutsbesitzern bestehend. Mit der
ofticiellen Welt verknüpfte ihn das Ehrenamt eines Curators des
Gymnasiums zu ^itomir, das Directorat des polnischen Thea-
ters, der Vorsitz im Adeleklub. Die guten Beziehungen in der
Sphäre der volynischen Gutsbesitzer hatten eine Prüfung zu be-
stehen, als durch die gesetzgebende Gewalt die Bauenifrage an-
geregt und den Gouvernementscomitfis vorgelegt wurde. Ohne
an den Arbeiten über diese Frage theilzunehmen , hielt es Kra-
szewski doch für seine Fäicbt, seine Landsleute zu einer möglichst
gründlicben Lösung derselben anzutreiben und brieflich und ge-
druckt Rathschläge zu ertheilen, dass „eine Freiheit ohneEigcn-
tbum nichts werth sei, dass eine blosse bäuerliche Wohnstelle kein
Eigenthum, sondern Leibeigenschaft sei, dass man etwas Grösseres
und Anderes ersinnen müsse" (Biographie in Esi^zka jubil-
LXXXI). Ein beträchtlicher Theil der volynischen Szlachta sah
diese Rathschläge für eine persönliche Beleidigung an, aber die
junge 6eneratioii unterstützte Kraszewski , und seine Wahl zum
Curator kam 1859 zu Stande, wenn auch nicht ohne starke Oppo-
sition. Solange die Baucrnangelegcnheit in den Comites verhandelt
wurde, verweilte Kraszewski zum ersten mal im Auslände und be-
suchte Italien ; die Verhältnisse in Volynien waren ihm infolge des
Zwistes über die Bauernfrage zuwider geworden; deshalb über-
nahm er gern die ihm 1860 angebotene Redaction der „Gazeta
codzienna" — „Tageblatt" in Warschau (deren Titel bald darauf,
1S61, in ,,Gazetapol8ka" umgeändert wurde). Das Anerbieten ging
von dem Capitalisten Leopold Kronenberg aus. Kraszewski's Stel-
lung in Warschau war sehr einflussreich, aber schwierig, voller Un-
annehmlichkeiten und passte nicht für seinen Charakter, Im König-
reich Polen begann bereits die Volksbewegung, die sich dann in
dem Aufstand von 1863 abspielte; ihr ging die in jenen Jahren
vollzogene Verschmelzung des jüdischen Elements mit dem polni-
schen auf dem Boden der Gleichberechtigung voraus. Der Haopt-
förderer dieser Idee war Kronenberg, der Besitzer des „Tageblatts",
mit dem Kraszewski zusammenstimmte, weil er das Zeitgemässe
einer solchen Verschmelzung erkannte und so artheilte: „In nei'
nen Augen gibt es keine Juden, sondern nur Büi^er nnd Lent«,
ü,g :.._.. ..Google
Juau|ih IgDaz KraBzcwski. 423
die diesen Ntimen nicht verdienen" (XGVIl). Wie dem auch setn
müge, die Cooserrativen, die UltraariEtokraten und Ultramonta-
iicn erhöhen ein Geschrei, da&s sich Kra»zewBki den Juden ver-
iumfl habe. Die Bewegung kam in FIusb, man Iiofi'te uie zur
rechten Zeit hemmen und in das Fahrwasser liberaler Reformen
eiDnilenken zu können. Im Wesentlichen fiel das Programm Kru-
üzevski*& mit dem Wielopolski's zusammen: Gleichberechtigung der
Stände, ihre Vereinigung zu einem einheitlichen Ganzen, Humani-
tät ohne Kosmopolitismus, Fortschritt ohne Beeintnichtigung des
Yolksthums; Entwickelung in christlichem Geiste unter Gewährung
Ton Gewissensfreiheit für Jedermann („Gazeta polska", Nr. 57,
IWI). Aber ausser dem Programm kam auch noch die Frage nach
deD Mitteln in Betracht, und je weiter die Bewegung fortschritt,
je höher die Wellen stiegen, um so schwieriger wurde es für
jemand, der einfach liberal war, aber es mied, irgendeiner Par-
tei anzugehören, die Freiheit des Worts unter den Extremen
zQ wahren. Den Radicalen wirkte Kraszewski entgegen, aber
HQch den Marquis Wielopolski befriedigte er nicht, und musste
schliessHcb 1863 die Bedaction der Zeitung aufgeben, und im
Jahre 1863 bekam er einen Wink, ins Ausland zu reisen. Von
in an bis beute verweilt Kraszewski im Auslände^ er liess »ich
JQ Dresden nieder, schrieb uuter dem Namen ßoleslawita eine
Reihe von „Jahresberichten" („Uachunki") oder Resultaten nach
dem traurigen Misgeschick 186fi und viele Erzählungen auf Grund
der Ereignisse jener Zeit; einen ganzen Cyclua historischer Ro-
mane aus dem altpolnischeu Lehen, der den Entwickelungsgang
des nationalen Lebens in Bildern nach der Idee von Freytag's
nAbuen" darstellt; eine ganze Reihe von Romanen aus der
ücbsischeu Zeit August's II. und III., ein grosses historisches
Werk in drei Bänden: „Polen zur Zeit der drei Theilungen"
(„Polska w czasie trzech rozbioröw", Posen 1873 — 75), eine
zahllose Menge von Correspondenzen in alle Zeitungen , —
endlich erlebte er die Fe&tfeier seines rüufzigjäbr^en Jubiläums
in den ersten Tagen des October 1879 zu Erakau, Nach einer
Berechnung des Bibliographen Estreicher hat Kraszewski bis
I Tage 250 vollständige Werke in 440 Bänden heraus-
' Dealwbe UeUerautzungeu der Weike Ki-aszewski'e : Eint Auswahl
üei^ben eracheint seit 1880 in Wien u. d. T. „Ausgewählte Werke J. I.
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424 Viortes Kapitel. Diu Polen.
In Verbindung mit den genannten sechs Hauptpersonen dieser
Periode steht eine zahllose Menge von Kräften zweiton Banges,
von denen wir auf einige besonders hervorragende hinweiaeii
wollen. In nächster Beziehung zu Kaczkoweki erlangte Johann
Zachnryasiewicz, von Gehnrt ein Ostgalizier, geb. 1825, uad
schon 1842 wegen scbiiftetellerischer Thätigkeit in der öster-
reichischen Festung Spilherg internirt, grossen Ruf auf dem Ge-
biete des Tendenzromans, der die brennendsten Lebensfragen der
Zeit, die gegenwärtigen Bestrebungen der Gesellschaft behandelte
(„Jednodniöwki" — „Eintagsfliegen", 1855; „Öwigty Jur" —
„Der heilige Georg", 1862; „Na kresach" — „An den GreneeD",
1860). Der ehemalige Professor der Universität Lemberg,
Verfasser mehrerer Grammatiken der polnisohen Sprache UDd
Biograph Slowacki's, Anton Malecki, von Geburt ein Po-
sener (geh. 1821), schrieb ein vorzügliches historisches Drama,
dessen Thema die Leibeigenschaft im 17. Jahrhundert bildet:
„Der eiserne Brief" („List 2elazny", 1854) und die Komödie
„Grochowy wieniec" („Der Erbscnkranz"), aus Pasek's Denk-
würdigkeiten (1855). Der sehr talentvolle Lyriker Cornelius
Ujejski, ein Galizier (geh. 1823) machte sich in Paris mit
Stowacki bekannt und tritt bis auf unsere Zeit als Fortsetzer
der urspriinglicbeu Romantik in ihrer grossen , nicht mit der
Wirklichkeit rechnenden Exaltation auf, ja sogar noch in
ihren praktischen Anwendungen; er war auch der Sänger des
letzten Aufstandes (der Choral: „Mit dem Rauch der Feners-
brünstc" — „Z dymem poiaröw"). Seine Dichtung „Mara-
thon", „Die Klagen des Jeremias" („Skargi Jeremiego", 1847),
und die „Biblischen Melodien" („Melodye biblijne", 1852)
Kraazuwski'B " ; die bisher vorliegenden 12 Bände enthalten: Die Gräfin
Cosel; Diana; Die Sphinx; Der diitle Mai; Wie Herr PhuI freite, wie Herr
Paul heirathete; Der verlorne Sohn; Capreä und Rom. — In Ph, RcclamV
UuiverBalbibliothek ei-schien: Jemiola; Morituri; ReBUiTeeturi; Der Dämnn ;
All« und neue Zeit (Choroby wieku). — Vereinzelt crBuhiea: Dichter und
Welt (Leipzig 1846); OiUp und Jaryua (2 Bde., Breslau 1856); VorleauDgun
über Dante's Göttliche Koroüdie (Dresden 1670); Meister Twardowski {Ücr
polnische Faust. Wien 18T9), und von den Werken unter dem Namen £-
fioleslamta: Der äpion (Dresden 1864), Vgl. anoh S. v. BohdanoviiE.
Jos. Iga. V. Krasieweki, in seinem Wirken und Beinen Werken (Leipzig
1B79; mit einem chroaol. Verzeiobniss aämmtlicher Werke K-'s).
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Rfiukgaog dci' Kumautik. 4>f5
dnd voll Feuer and Kraft. Als scharfer und einseitiger Kri-
tiker polemisirte er heftig gegen Pol (1861) — wegen dessen
Zorückgebliebeuheit, und mit Kaczkowski — wegen dessen
Uässigung au& Anläse des Bomans: „^ydowscy". Als der
tftlentroUste Publicist und literarische Kritiker der Emigration
im Geiste der romantischen Schule trat Julian Klaczko in
Paris auf, ein geborener Jude aus Wilna (geb. 1825), Schüler
von Gervinus. Warschau hatte einen tiefen Kenner des Alter-
tbums und Forscher in Julian Bartoszewicz (1821 — 70,
Zögling der Petersburger Universität), Verfasser sehr vieler
Monographien und einer kurz nach seinem Tode herausgegebe-
nen „Urgeschichte Polens" („H'storya pierwotna Polski", 1878—79
in 4 Bänden), die bis zum Ende des 12. Jahrhunderts reicht.
Bemerkenswertb als uneimüdlicher Arbeiter, kann Bai'toszewicz
doch für keinen grossen Historiker gelten, wegen seines be-
schränkten, streng kirchlichen Staudpunktes. Aus der Gmppc
der warschauer Dichter der vierziger Jahre ging der fähige, mit
poeUschem Gefühl begabte Theophil Lenartowicz (geb. 182^)
liervor, der 1848 ins Ausland reiste und sich in Italien nieder-
hess, Bildhauer uud lyrischerDichter, der den Inhalt seiner schönen
Lieder aus religiösen und volksthümlich -polnischen Motiven uud
an« Bildern der italienischen Natur entnahm („Lirenka", 1861 ;
„Nowa lireuka", 1857; „Poezye", 1863; „Album wloskie", 1863).
Der Volyuier Apollo Na}§cz Korzeniowski (1821 — 69) hinter-
liess in dramatischer Form zwei scharfe Satiren auf die Gesell-
Bchaft zu Ende der fünfziger Jahre („Komedya", 1856; „Dia mi-
tego grosza", 1859). Ganz am Ende der Periode treten uns die
ersten Versuche des talentvollen Novellisten SigismundMilkowski
(geb. 1820 im Gouvernement Podolien, lebt in der Schweiz) ent-
gegen, der sich in der Folge durch seine Romane aus der pol-
nischen Geschichte und ans dem Volksleben der Südslaveu aus-
zeichnete, unter dem Pseudonym Thomas Theodor Jet („Han-
dzia Zahornicka", „Szandor Kowacz", „Historya o praprawnuku
i prapradziadku " — „Geschichte vom Ururenkel und Urur-
gnwsvater").
Als ein blosser Abglanz und eine schwache Wiederholung
der Motive der glänzenden Epoche der Romantik hatte die Lite-
ratur dor Uebergangsperiode 1848 — 63 keinen directen Einfluss
auf die folgeudea Ereignisse und auf die Katastrophe des Jah-
r% 1863 selbst. Im allgemeinen machte sie alle möglichen
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426 Viertee Kapitol. Die Pöleu.
AnstreiigUDgen , nm diese verbängnissvolle Eveutu&lltät abzu-
wenden und abzuschwächen, konnte aber offenbar deshalb
keinen Erfolg haben, weil zu diesem Zweck die Umformnog
der GesellBchaft nöthig gewesen wäre, die sich im Laufe einiger
Jahrzehnte eingerichtet hatte, in einer bestimmten Weise zu
denken und zu fühlen und ihre Ueberzeugnngen an die ano-
male Stellung der polnischen Frage gekettet hatte, wie sie
dieser Frage nach den Ereignissen des Jahres 1831 , welche die
gegenseitige Erbitterung der slavischen Nationen bis an die
iLusserste Grenze brachten, gegeben worden war. Das Gefühl ist
ein schlechter Berather und doch sprach und wirkte es im
Laufe vieler Jahre allein, seine Blüten ausschüttend, and alb
Führer des Volke nicht nüchtern erw'ägendo Leute anfetellend.
sondern Leute der Phantasie — Dichter. Die Katastrophe des
Jalires 1863 musste natürlich auch auf die Literatur selbst in
zerstörender Weise einwirken, aber die literarische Productiyität
verringerte sie factisch nur sehr wenig, und bereitete innerhalb
der Literatui' Veränderungen vor, deren grosser Nutzen sich nicht
verkennen lässt. Eine von den Eigenthümlichkeiten der Lage
der polnischen Gesellschaft, die drei Staaten angehört, besteht
darin, dass ein Vei-fall der Productivität nicht an allen Orten
zugleich stattfinden kann. Diese Productivität hörte auf und
verschwand fast ganz in den westlichen GouvemementE Russ-
lands, aber sie vergrösserte sich in Warschau, das jetzt als
geistiges Centrum für die westlichen und südwestlichen Gou-
vernement» gilt, da sie ihre geistigen Mittelpunkte in Wilna,
Kiew, Zitomir verloren haben; dort ist die Zahl der periodi-
schen und anderer Publicationen unvergleichlich grösser, als
sie vor 1863 war. Posen ist bedeutend als Centrum des
Verlags polnischer Bücher (Zupanski). In Galizien, das eine
grosse provinziale Autonomie geniesst, wurde die polnisdie
Vortragssprache an den zwei Universitäten (Krakau und Lem-
berg) eingeführt, in Krakau 1873 eine Akademie der Wiseen-
schafte» (eine Umbildung der frühem Gesellschaft der Freunde
der Wissenschaften) gegründet, die durch ihre Organisation
der collectiven Arbeit und die Menge ihrer Puhlicationen
einen sehr ehrenvollen Ruf erlangt hat. Freilich sind anf
dem Felde der Literatur die Blüten der Poesie verschwun-
den. Der letzte, welcher an die vergangene grosse Epoche der
Poesie erinnert, der Lyriker Adam Asnyk (geb. 183t*), i"
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Rilokgaog dur Romantik. 427
Krakau lebend („Poezye prez El . . . . y", „Ricnzi", l«74i
„KieJBtut"', 1870 J, gleicht seinen Vorpingern mehr der Form
als dem Geiste nach. Die Werke der grossen Meister der
poloiscben Romantik sind in die Ferne gerückt, haben sich
iD GiDen Gegenstand kritischer Forschung verwandelt, wie etwa
die fossile Flora der Steinkohlenformation , und mit Schwemm-
schichten von Ideen und Lehren überdeckt, welche den geraden
Gegensatz zn dem grenzenlosen Idealismus bilden, auf welchen
die Romantik fasete. Es gibt nichts Natürlicheres als diese Hoch-
flut der materialistischen Lehren oder, besser gesagt, des Posi-
tmsmus, deren Zeugen wir in den letzten zehn Jahren waren.
Der Boden war erschöpft, nachdem er so viele Jahre ohne Unter-
brechung ein Blumenbeet gewesen war; er bedurfte einer Melio-
ration, als eine solche stellte sich das positive Wissen der Gegen-
wart ein, das darnach strebt, die zwei Welten — die geistige
und die materielle — in einer Synthesis zu vereinigen und in
Ktuklang zu bringen, aber auf Grund der durch die Natur-
wissenschaften gewonnenen Resnltate. Von da an hat auf die
Menschen der Gegenwart der betäubende aromatische Duft auf-
gehört zu wirken, den die jetzt fossil gewordene Flora der
Romantik verbreitete, als sie noch in voller Blüte stand, und
andererseits sind ihre Lagerungen so reich, dass sie auf viele
Jahre ausreichen werden zur Befriedigung derjenigen Bedürf-
ttisse der Natur, welche die Poesie als Nahrung vertaugt.
Sie sind zugänglich und werden es bleiben, und wenn einst-
mals, wahrscheinlich nicht so bald, unter entsprechenden Ver-
bältnissen eine neue Poesie erscheinen wird, so wird die erste
Bedingung, die man an sie stellen wird, die sein, dass sie an
Schönheit der Formen die grossen Muster der frühem Glanz-
epoche übertreffe. Die Gegenwart ist nicht günstig für die
Poesie, weil in ihr ein trockener und nüchterner Geist der
Kritik vorherrscht, der mit einer gründlichen Prüfung der An-
sichten über die eigene Vergangenheit Polens begonnen hat, mit
der Trennung und Lossage von Hypothesen, als ob die Ver-
gangenheit Polens etwas so ideal Hohes darstelle, dass, wenn
räch diese Ideen vollständig realisirten, damit zugleich alle
Weltprohleme der Gegenwart und der Zukunft gelöst wären.
Die neueren an der Spitze der historischen Wissenschaft stehen-
> Ueuttoh von M. v. Reduu <PoBeii 1860).
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438 Viurtcs Kapitel. Die PoIbh.
den Forscher, die krakauer Professoreu Joseph Szujuki (geb.
1835, gest. 1883), Michael Bobrzyüski, der Posener Gelehrte
Kazimir Jarochowski; im Bereich der literarischen Kritik der
Professor Graf Stanialaw Tarnowski (geb. 1837), Peter Chmie-
lowski — sind eher geneigt, die dunklen Flecken und Fehler
oder Mängel in der Vergangenheit zu übertreiben und zu den-
ken, dass die erste Bedingung einea TJebergangs zum Bessern
darin bestehe, dass man sich die anarchischen Manieren und
Phantasien abgewöhne, und sich durch Arbeit an sich selbst an
strenge Disciplin, an beharrliche und organische Arbeit in einem
kleinen Kreise der Thätigkeit gewöhne. Es lässt sich nicht sagen,
dass die schöne Literatur gänzlich brach läge; sie herrscht nicht
vor, hat aber doch bedeutende Vertreter: die zeitgeschichtliche
Novelle mit realistischer Tendenz in Heinrich Sienkiewicz'
(„Skice wgglem" — „Kohtenskizzen"), die Satire in dem lein-
berger Schriftsteller Johann Lam (geh. 1838: „Koroniarz w
Galicyi", 1869; „Panna Emilia" ; „Gtowy do pozloty", 1873); die
in Grodno lebende Schriftstellerin Elise Orzeszkowa bearbeitet
in ihren Novellen („Eli Makower", „Meir Ezofowicz") die Judeu-
frage mit Talent. Am meisten gedeiht die Komödie und das
Drama. Auf diesem Gebiet gibt es eine ganze Phalanx jüngerer
Schriftsteller, welche die polnische Bühne auf einer sehr anstän-
digen Höhe halten: Narzymski (gest. 1872), Lubowski, Ba-
lucki^, Kazimir Zalewski, Swigtochowski, Blizinski, Fre-
dro Sohn. ^ Es lässt sich nicht verkennen, dass, obgleich in der
neuern polnischen Literatur in wissenschaftlicher Beziehung eine
unzweifelhafte Neigung zum Positivismus, im Gebiete der Kunst
zum Realismus besteht, eicb doch die Bewegung sehr langsam
vollzieht, nach den gi-össten Anstrengungen und ganz abweichend
von dem, was bisweilen in andern Literaturen, z. B. der russi-
schen geschieht, wo die Wellen der neuen Bewegung zu Zeiten
alles vorher Errungene überschwemmen, das dann voUständig in
diesen Wellen zu verschwinden scheint. Die Wurzeln der Ro-
' Von ihm deateoh, übersetzt vuu Ph. Lübenstein: „Dorfgeaobiuhten"
(„Za ohlebem") und „Zersplittert" („Kft Marne"), in Ph. ReolHn'B Üniveml-
liibliothek.
'Von ihm deutsch fibersetzt: „Der Herr Gemein deratli, ein Lnetspiel"
(Wien 1880).
* Von ihm einiges deutwjh übereetzt in Ph. Kculun's Univenalbibliothck
und Wftlli«hauaar'a Wiener Theat«r-Bepertoir.
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Rflck|{ang rier Romantik. 429
manttk sind in der polnischen Literatnr iioch sehr stark; jeder
Angriff auf eine althergebrachte Meinung, auf den Namen cinef;
Dichters, der mit der Aureole gekrönt ist und Autorität genicaat,
ruft einen ganzen Sturm von Streitigkeiten hervor, die mit äus-
scrster Lebhaftigkeit, ja sogar Erbitterung geführt werden. An-
ders kann es auch in einer Literatur nicht sein , die ihre Tra-
dttiooen hat, und diese Traditionen sind im polnischen SchriFt-
vrsen besonders zäh und kräftig, weil beinahe das ganze Lehen
<les Volks im Laufe des 19. Jahrhunderts fast ausschliesslich in
der Literatur und Kunst aufgegangen ist und sich auch nni'
darin ausdrücken konnte.
Bemerkung zn S. 7. Zd den deutschen Werken über polniaohe Li-
Ipntor wolle man noch naohtnigeti: H. Kitechmann, „Irit. DiolitcrBlim-.
mm ans Polen" (Leipzig 18S0; enthält metriHchc Uebei-setzun^en neiierfr
polniauhpr Dichter von Miokiewicz an); „Genchichte <1er polninchen T^ilp-
fUnr" (I^ipeig 1883; wilbrend de» FhTickea erschienen).
Zn S. 30. Da« älteste polnische Lied von der Qottetmatter (ßogoro-
ilriea) ist allseitig erforscht in den folgenden Arbeiten: Rymarkiewiez,
^ViaA Bogorodzice" (in Roozuiki Pozn. Tow. Przyjaciot nank X. Bd. [I87K],
^ 3S3). — W. Nehring, „ll«ber den Elnfluse der altEeohisuhen Literatur
inf die altpolniache" (in Archiv für slav. Philologie, 187G). — R. Pilat,
nPiero Bogorodzica,' reiftytucya tekstu" (Kraknu 1879). — A. Kniina,
-Roiliiiir krytycznj pieini nBogorodzicftn" (Lpinherg 1880).
Weitere Litemturei^nsntigen in den Nachtrigen.
.y Google
Die schlesisehen Polen. — Die prenssischen Maznren. —
Die Kasnben.
oeit AbscbluBB äes Hubertnsbnrger Friedens 1763 gehört
Schlesien zu Preaesen mit Ausschlass zweier kleiner Thetlc,
des Herzogthuma Troppa« und des Herzogthums Teschen. Seit
dem Jahre 1335, wo Kazimir der Grosse allen Ansprüchen anf
'dieses Land laut Vertrag zu Gunsten Jobann's 70d Luxem-
burg, Königs von Böhmen, entsagte, war jede politische und
damit zugleich literarische Verbiadung zwischen Polen und
Schlesien abgebrochen. Dieses Land ist altlechisch, bewohnt von
von einem Volke rein polnischer Herkunft; aber seine oben)
Schichten, der Adel, die Geistlichkeit beider Gonfessionen, der
römisch-katholischen und der protestantischen, haben schon lange
ihren nationalen Charakter verloren , und sich entweder der
cechischen oder der deutschen Cultur unterworfen, die Städte
aber waren durchaus von Deutschen bewohnt, die VoUreeprache
hielt sich nur auf den Dörfern, and auch das fast nur in Ober-
schleaien, and wurde fast ausschliesslich im hänslichen Leben
angewendet, ja nicht einmal in der Kirche, weil nach einer
Gewohnheit, die aus der Zeit stammt, als Schlesien noch Ear
höhmischen Krone gehörte, die Geistlichkeit heider Confessionen
in den von Slaven bewohnten Ortschaften es vorzog, in den
Predigten und Gesängen an Stelle der polnischen die Cechische
Sprache anzuwenden. Als der Priester Karl Antoniewicz ans
Lemberg in den vierziger Jahren Schlesien als Reisepredigpr
besuchte und in der Ansprache an die Hörer diese „polnisches
Volk" nannte, bat ihn die Ortsgeistlichkeit, einen solchen belei-
digenden Namen nicht zn gebrauchen, sondern das Volk „preas-
sisch" oder „oberschlesiach" zu nennen.
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T>ie Bchleniachen Polen. 431
Eine polnische literarische Wiederbelebaog anter den Schle-
uero begann dennoch im 19. Jahrhundert, aber nicht früher ah
at Anf&i^ der fünfziger Jahre. Sie wurde durch die gleich-
leitigen Bemühungen mehrerer Personen, Lehrer, Prediger, Jour-
nalisten, ins Werk gesetzt, die ohne jede gegenseitige Verstän-
digung in gleichem Sinne wirkten. In Oesterreichisch- Schlesien,
za Tescben, begann im Jahre 1851 die Herausgabe einer Mo-
natsschrift, der „Gwiazda Cieszynska" von Paul Stalmach.
Der Priester Janusz, Pfarrer zu Zebrzydöw, bemühte sich
benn Gottesdienst an die Stelle der Sechischen die polnische
Sprache zu setzen. Noch bedeutender sind die Verdienste eines
gebomen Deutschen, der die Würde eines Bischofs and den
Titel eines Regierungsrath in Oppeln und Inspectors der Schulen
in OboTBchleeien erlangte, Bernhard Bogedain (1810—1860).
Sohn eines Banem aus der Gegend von Grossglogau, fasstc
Bogedain nach Beendigung seiner Studien auf der Universi-
W Breslau eine besondere Vorliebe für die polnische Sprache
mid Literatur, erst in Posen, wo er zum Priester geweiht
tnrde, dann in Bromberg und in Paradies, wo er Lehrer
nr. Er fasste den Plan , die Landbevölkerung von Ober-
schlesien in der ihr am meisten verständlichen einheimi-
schen Sprache aufzuklären, indem er Katechismen und geist-
liche Lieder herausgab und eine „Wochenschrift" für die Bauern
(1849) gründete, die übrigens nicht lange, in Oppeln, bestand.
Seine einflnss^eiche Stellung in der Schulverwaltung gab ihm
die Möglichkeit, sich Mitarbeiter auszuwählen, junge Talente
zu entdecken. Als eine solche von ihm geschaffene Kraft trat
an Mann aaf, der jetzt als der Hauptvertreter der national-
polnischen Bewegung in Oberschleaien gilt, Karl Miarka', ge-
boren 1834 in Pilgramsdorf. Als derselbe in seinem Heimats-
clorf Schullehrer and zugleich Organist der Dorfkirche war,
schrieb er zuweilen Erzählungen und Artikel in deutscher Sprache.
Man veranlasste ihn, sich auszubilden und sich im 37- Lebens-
jahre mit den Reichthümern der polnischen Literatur und mit
der Geschichte seines eigenen Volks bekannt zu machen. Seine
erste polnische Erzählung „Görka Klemensowa" („Der Clemcns-
hfigel") erschien 1841 bei Stalmach in der „Gwiazda Cieszyiiska".
Der Schullehrer wurde zugleich auch Redacteur des in Piekary
' Siehe über ihn Tjgoilnik iUuBtr. WoTBzawBki, 1880.
ü,g:..a., Google
432 Viertes Kapitel Die Polen.
erscheinenden Journals „Zwiastun görnoBzli^ski", und nachdem
er ini Jahre 1869 den Lehrerberuf entsagt, gab er sich aus-
schliesslich der Journalistik hin, die der Erhaltung und Entwicke-
)ung des Volksthums in der Landbevölkerung Oberschlestens
gewidmet ist.
Der erste Anstoss zur literarischen Wiederbelebung der Na-
tionalität wurde unter den Schlesien) von der römiach >katlio-
lischen Geistlichkeit gegeben; einen ebensolchen Anstoss gab
auch die protestantische Geistlichkeit unter den Hazuren in
Preussen, einer fast compakt lechischen LandbeTÖlkerung, welche
den langen Streifen- von Goldapp und Lyck, d. i. von den Gren-
zen des GouTemem^its Suwalki bis nach lliom, Culm und
Oraudenz an der Weichsel einnimmt. Ein Theil dieses Streifens
bildete einen ßestandtheil des sogenannten fürstlichen oder
Iiehnpreussens , das definitir von Polen getrennt wurde durch
den Vertrag von Wehlau im Jahre 1657; ein anderer Theil
uro&sete die südlichen Grenzgebiete von Ermeland und die
Wojewodschaft Culm, welche 1772 zu Preussen kamen. Dasa
die Leuchte der Ijiteratur nach dem Untergänge der Republik
nicht erlosch, und dass der einzig mögliche Zweig derselben,
der populäre, sein liehen fortfristete — das liat das polnische
Volk in Preussen vor allem einem sehr bekannten und geachteten
Manne zu danken, Christoph Coelestin Mrongovius (1764 —
1856), einem geborenen Pommer, polnischem Prediger der
evangelischen Gemeinde zu Danzig und Lehrer der polnischen
Literatur am Gymnasium daselbst. Er sanunelte und edirte
Kirchenlieder ', die in den Ostseegebieten in Gebrauch sind (in
diese Ausgabe sind auch die Psalmen Johann Kocbanowski's
aufgenommen), schrieb eine polnische Grammatik in deutscher
Sprache (1. Auü. Königsberg 1794; 2. Aufl. 1805), ein deutsc^-
polnisches (1823) und ein polnisch-deutsches Wörterbuch (183&),
Predigten, gab für das Volk Klonowicz' „Flis" heraas (Danog
1829), übersetzte Xeuophon und Plato, stand in Correspondenc
mit dem Fürsten Adam Czartoryski, mit dem Kanxler Rurojancov,
' „ I'iesnioksiqK czjli Kancjonid Udaütki" („Danziger üeswigbiich."
PreiwilÜK vorlefil von lien Bewohnern der üatBefltüste. Danzig 1803).
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Die Mazufen. Die KaSul)i;n. 4:53
»OD dem er den Auftrag erhielt (1826), die Wohnsitze der Ka-
Inben zu bereisen und zu erforschen. Mrongovius war Mitglied
rieler gelehrter Gesellschaften und erfreute sich der besondern
Gunst König Friedrich Wilhelm's IV. Ein zweiter Arbeiter
»uf ebendemüelben Gebiet ist Gustav Gizeviua (1710 — 1848),
proteEtan tisch er Pastor in Osterode, mit einer eifrigen Mazurin
Terheirathet, die ihm Liebe zur polnischen Sprache und den
Ectschluss einzuflössen wusste, als Kämpfer für die polni-
sche Nationalität und als einer der Förderer der gesammt-
sWischen Bewegung in den vierziger Jahren aufzutreten, an
der er Antheil nahm , indem er literarische Verbindungen mit
Scbriftstellern und gelehrten Slavisten zu Warschau, Prag, Posen
aDknupfte. Er reiste nach Danzig, um sich mit Mrongovius be-
liaant zu machen, ferner nach Warschau, schrieb Gedichte in
polnischer Sprache, gründete zu Lyck die Zeitung „Przyjaciel
lodu lecki", die einige Jahre bestand, vertrat in deutschen Zei-
tungen die Interessen der polnischen Sprache in Schule und
Verwaltung, indem er über die Bedrückungen seitens der Deut-
scheu klagte, und war eben zum Deputirteu für den preussischen
bandtag 1848 gewählt, als ihn der Tod ereilte. Von den spä-
tem Arbeitern auf demselben Felde sind noch zu bemerken
Ignaz tyskowski ', der im Jahre 1850 zu Culm ein Wochen-
blatt „Nadwielanin" gründete (es hörte 1863 auf) und als Mit-
glied der polnischen Fraction im preussischen Landtag wirkte;
Joseph Chociszewski, Herausgeber vieler Schriften und Er-
ühlungen für Kinder und für das Volk; Ignaz Danielewski,
Herausgeber der Thomer Zeitung in polnischer Sprache.
Vom Weichseldelta westlich bis zu den Küsten des Putzi-
ger Wiek, im ehemaligen Königreich Preussen und längs der
Küste selbst auch in Pommern, liegen, st&rk mit Deutschen ge-
mischt, die ländlichen Ansiedelungen eines der ältesten sla-
vischen Stämme , der Kaiuben oder Kaseben, zerstreut, der
jetzt etwas über hunderttausend Kopfe zählt. In Pommern ist
' Im Jahre 1854 gel) er zu Strasaburg (Brodnk-a) in WeatpruuBBen
heraua; „Piesni gminni! i przyßtowia ludu polakiego w Pj-usaüli Zauhodnifh"
(,Jjieder und Sprichwörter des polüischen Volks in Westpreussen").
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434 Viertes Kapitel. Die Föten.
diese BevÖlkeruog proteBtantisch und wird mehr und mehr ans
Meer gedrängt, sodass sie sich hauptsächlich nur in den annen
FiBcherdörfem des Eüstenlandes hält; im ehemaligen Königreicli
Freuesen, das erst 1772 aus dem Verbände der Kepublik aus-
geschieden wurde, ist sie mehr katholisch und in den Kreisen
Kalthaus und Neustadt zerstreut.
Das Alter des Stammes und seiner Sprache, die in heträcht-
lichem Gi'ade von der polnischen abweicht, lenkten auf denselben
die Aufmerksamkeit der slavischen Gelehrten, und iDsbesondere
der russischen. Nach Mrongovius' Reise in das Land der Ea-
Suben, der die Resultate seines Besuches in den „Baltischen
Studien", 1828, beschrieb, erforschten dieses Volk Konitz oder
Chojnicki, im Auftrag der Poromerschen Gesellschaft liir Ge-
schichte und Älterthümer, der russische Gelehrte P. Preiss
im Jahre 1840, später A. F. Hilferding». Im Jahre 1845
wurde auf Beschluss des preussischen Landtags in Königsberg
bei den Kasuben die deutsche Sprache für den Gottesdienst ein-
geführt statt der von den Geistlichen angewendeten polnischen,
aber diese Verordnung wurde infolge kräftiger Bemühungen
und Füi-sprachen von Mrongovius im Jahre 1846 aufgehoben,
und 1852 wurde es eingeführt, dass in den Schulen und auf
dem Gymnasium zu Neustadt auch die kasubische Sprache ge-
lehrt wurde.' Der Stamm sowol als die Sprache schmelzen
sichtlich zusammen und dürften wol allmählich in nicht femer
Zukunft verschwinden. Der hauptsächlichste und man kann sagen
fast einzige Förderer des kasubiscben Schriftthums war Florian
Cejnova (gestorben 1880), der eine kaiubische Grammatik'
verfasste und unter dem Namen Wojkasin eine Menge von Bü-
cbelchen fbr das Volk schrieb.* Luther's Katechismus wurde
> Er Bohrieb über die Kaiuben in dem Buche : „Ostatki Slavjan da
joinom beregn Baltijekago Morja" (8t. Petersbui-g 1862; im ö. Bd. des Ethno-
graphischen Sbornik der ruKiBcheo Geograph. GeBellschaft, 1858).
* F. Lavrovskij, Etnografifieskij oEerk KaJobov (in „Filolog. Zapieki",
herausgegeben in Voroneä von Chovanskij, 1873, Heft 4— 5); P. Btremler,
Fonetika kaäebskago jazyka (Ebend. 1878, Hft. 3; 1874, Hft. 1 n. 5).
' ZareB do Grammatikj kftSebBko-Blovjnskje möve (Poaen 1879). Von
einem geplanten kaiubisoh-deutschen Wörterbuch ist nur der Frospect er-
schienen.
* Pjinc glovnech wöddzatov evangjelickjeho katechizmu, pFetoiel Woj-
kasin ze Slavoiena (CeJDOva), 1861, Schweiz a. d. Weichsel (Die fünf Haupt-
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Die Kaäuben. 435
zum erstenmal in kasubischer Sprache herausgegeben 1643)
dann in zweiter Auflage 1752 und in dritter durch Mrongovius'
BemühuDgen im Jahre 1828.
Stücke des evsDgeliBoheu Katccbismua, kaSabiacb). — Rosmows Pulacha
z Kuzebf. Dapieauo przez s. p. xgdza Szmuka z Puuha a do dreku podano
przez Sewa Wojkwojca ze Slawoszena 1850; 2. Aufl. 186;"). Schweiz (Ge-
spräch eines Polen mit einem KaEubeu). — X^Seoka dlo KaezeboT, prze;t
Wqjkasena. Danzig 1850 (Büchlein für die Kaiuben}. — Skörb kaazebsko-
aloTJnskje möve, 13 Kummern. Schweiz 186G— 68 (Schalz der kasaubisch-
slaviachen Sprache. Enlhält ethnogi-aphiBch-hiatorisohe SchilderungeD aus
dem Lebea der Eainben, Ortsverzcichnisao u. s. w.).
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GESCHICHTE
SEK
8LAVISCHEN LITERATUREN.
ZWEITER BAND.
ZWBITE HÄLFTE.
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GESCHICHTE
DER
8LAVI8CHEN LITERATUREN
VON
A. N. PYPIN UND V. D. SPASOVIC.
NACH DER ZWEITEN AUFLAGE AUS DEM RUSSISCHEN
rilEKTKAGEN VON
TRAUGOTT PECH.
AUTOHISIItTE AVSGAHE.
ZWEITES BASD.
ZWEITE HÄLFTE.
f'ECHO-SLOVAKKN. — LAUSIT2ER SERBEN.
LEIPZIG:
F. A. BEOCKHAUS.
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Inhalt.
Künftps Kapitel. Der corhisch« Volksstamm l— 3i;h
I, I>ifl Öechen l—'Mi
Ilistnriache BemerkuDgeo 1— 2<S
1. Die alte Periode. TrEiditionen einea griecbisob-katbo-
Hacheo slaviachen Suhriftweseas. Die Entdeckung alter
Literaturdenkmäler: Inhalt und poleminche Gesahiobte
des „Gerichts der LibuSa" und der KÖDiginhofer Hand-
schrift; die „Mater verborum" u. B. w. Kirchliche Poesie.
Einflüsse der deat«cben Romantik; didaktische und Ritter-
poeaie; Smil von Pardubic ; das kirchliche Drama; die
Chronik; das alte böhmische Recht; Ucbcrsetzungen . . 27— fi?
■2. Die hu Bsi tische Bewegung und das „goldene Zeit-
. alter" der Sechischen Literatur. Fortdauer der
vorigen Richtung. Die ersten Anzeichen einer reforma-
torischen Bewegung. Die Vorläufer von Hubs: Milit,
Matthias von Janov, Thomas StitnJ; die Lehre Wicliffe 's
und die Streitigkeiten an der prager Universität. Huas;
seine Persönlichkeit und seine Werke, die Eechischen
und die lateinischen; der nationale Charakter seiner
Wirksamkeit. HieronymuB von Pr(^. Hubb' Nachfolger
und Gegner: die gemäasigten Hussiten und dieTaboriten;
die literarische Thatigkeit der letztern. Verse and Lie-
der der Uussitenzeit. Cbronieten. Die Buchdruukerkunst ;
der Humanismus. Das böhmische Recht: Ctibor von
Cimburg und Victorin von VSehrd. ChelSickJ und die
Gründung der Brüderunion. Die hussitische Tradition. —
,<Dati goldene Zeitalter": grosae äussere Ausbreitung iler
literarischen Thatigkeit und Mangel an innerer Kraft.
Die geistliche Poesie; Hi^ttoriker: Hajek u. a.; Johann
Blahosiav. Velealavin DU -im
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VI Inhalt.
3. Dio Ppriodo lies Verfalls. Die Folgen der Schlacht
am Weissen Berge. Die litcrai'JKche Tliätiffkeit iler
„Exulanten". Johann Ahiob Komenskj (Comeulus). Die
katholische and reactionäre Literatur der Heimat . . . l^iO— 1i7
4. Die Wiederbelebung der Literatur und des
Volksthnms. Aeusserster Verfall gtgea Ende den
18. Jahrhunderts. Die ersten Anzeichen einer nationalen
Wiederbelebung. Die Regierung Joseph's IL; Bestrebun-
gen um die Bildung. Gelehrte Historiker und Philologen:
Dobner, Peliel, Voig^;, Durich. Joseph Dobrovsky. Die
ersten Schritte der Literatur; Erneuerung der nationalen
Ueberlieferungen; Gründung des Bühmisehen Museums;
Entdeckung der alten Denkmäler. Jungmann; Hanka;
Safatik; Palack>'. Die neue Poesie: Johann KoU&r und
die „S14vy Dcera" ; CelakoTsk J ; Wocel ; Erben, Kleinere
patriotische Dichter; die Erzählung; das Drama. Die
patriotischen Tendenzen (vlastenectvi). — Daa Jahr 1848.
Karl Haviifek. Die Ueactiou. Die neue Dichtersohule:
H41ek; Vrcblicky. Ronian und Erzählung; Koamopolitis-
mus. Historiker: Tomek; Giudely; Literatorgeschichte
und Philologie: Joseph Jiretek, Wenzel Mebeak^, Hat-
tala H. s. w. Slavieche Forschungen. Die gegenwärtige
Lage 177— 28G
n. Di« Slovaken 287«-352
Historische Bemerkungen , . 287—305
Die ältere Zeit. Huesitenthum und Protestantismus; die
literarische Einheit mit den Ccchen. Streben nach Ab-
sonderung, beHondere seit Ausgang des 18. Jahrhunderts:
Anton Bemoläk; Johann Holly. Der Einflusa von Sa-
fatik and Kollär. Die politische Gärung der vierziger
Jahre und der neue literarische Separatismus: Ludevit
Stür; Hurban; Hodza. Die poetische Thätigkeit: Samo
Chaliipka; SlädkoviS; Kalinijäk. Die Gründung der Ma-
tica. Paulinj-Toth. Katholische Schriftsteller .... 305— 3.^
in. Die Volkapomie der Cecben, Mährer nnd Slovaksn . 353-36R
Sechstes Kapitel. Das Baltische SlaTenthnm. — Die
Lansltzer Serben oder Wenden 369-43»
Das historische Schicksal des Baltischen tiilaventhuma. Seine
GermanigiruDg. WörtcrsammluDgeu dieser Sprache. Eth-
nographische Spuren der letztem 3ß<>— 377
Die historisohe Laice des lausitzisch - serbischen Volkes.
Die ersten literarischen Versuche seit den Zeiten der
Reformation. Das 17. Jahrhundert: Michael Frenzel ;
...., Google .
eine ji^eninBO Belebung der Nationalität. Da» 18. Jalir-
handert. Gründung des pragcr SemiuRrif und der pro-
tcstontitiuhcn Fredig ei^eaellBchnrten zu Leipzig aud Wit-
tenberg. Neuere Förderer; Lubjeuski; Klin; Beiler;
Jordan; Smoler. Patriotiaelio Vereine. Gründung der
Ma^ica. Ilömik; ImiS; l'ful; Jent. Die jüngere üencra-
tion. Die pruuBaiBche Oberlau Bitx. Die NicdovIausitK :
Tcänaf ; Küsyk ; Dr. Sauerwein. Die gegenwürfigc
Luge 377-430
Kapitel. Die Benaissance 431— jtiti
Ergänzungen und Itoriebtiguugcn 467-4HO
Register Kum üeaammtwerk 481—50!)
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Fünftes Kapitel.
Der ceehische Volksstamm.
I. Die Cechen.
Die ßechische Literatur, eine der Litertituren ersten Ranges
im Slaventham , hat nicht nur Bedeutung innerhalb der speci-
fisch slavischen Verhältniase , sondern auch ein weiteres, welt-
geschichtliches Interesse, wie das ^echische Volk eelbst eine
kräHige und glänzende Einwirkung auf die Geschicke der weet-
ettropäiscben Bildung ausübte. Wir wiederholen die schon vor
langer Zeit gesprochenen Worte einer fremden Beobachter in
— der bekannten deutsch-amerikanischen Schriftstellerin , die
über die Slaven schrieb, Frau Talvj: „Unter allen slavischen
Sprachen ist es die böhmische und ihre Literatur allein, welche
bei den Lesern mehr als allgemeines Interesse zu erregen ver-
mag und verdient, und das nicht etwa durch ihre sprachliche
Gigenthümlichkeit, da sie nur wenig von den andern slavischen
Sprachen abweicht, sondern wegen jener merkwürdigen Ereig-
nisse, welche die böhmische Zunge, nächst jener von Wiciiffe in
der Nacht des verderbten Katholicismus zum ersten Werkzeug
der Wahrheit machten. Wicliffe's Einfluss, so gross und ent-
i^cheidend er auch gewesen , war nichtsdestoweniger auf die
Geistlichen und Gelehrten seiner Zeit beschränkt; seine Stimme
fand keinen Anklang unter dem gemeinen Volke, welches allein
vermag, der ahstracten Theorie praktisches Leben zu verleihen.
Böhmen war es, in welchem der Funken zuerst zur lebhaften
Flamme wurde, die ein Jahrhundert später ihr leuchtendes Feuer
P>m. SUTlieb* LltaniDitti. II, 1. 1
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2 Fünftel Kapitel. 1. Die Öecben.
über ganz Europa verbreitete. Die Kamen Huss < und Hieronjmus
Ton Frag werden nie vergessen werden, obgleich ein geringerer
Erfolg sie weniger berühmt gemacht hat, als Luther und Me-
lauchthon. In keiner Sprache der Welt wurde die Bibel mit
grösserm Eifer und mehr Hingebung studirt; keine Nation war
je bereiter, ihr Recht auf das echte Wort Gottes mit ihrem
Blute zu besiegeln. Die langwierigen Kämpfe der Böhmen für
Gewissensfreiheit und ihre schliessliche Unterdrückung bieten
eine der herzzerreissendsten Tragödien der menschlichen Ge-
schichte dar." Aber auch ausser diesem weltgeschichtlichen
Interesse, das den Schwerpunkt des Cechischen Lebens in die
Epoche des Hubs und der Hussiten setzt, ist die öechische Lite-
ratur innerhalb der slaviBchen Verhältnisse interessant als der
Reflex der Geschichte eines Stammes, der, in unmittelbare Ver-
bindung mit dem Deutschthum und in einen Kampf mit dem-
selben gestellt, sich ihm zum Theil unterwirft, andererseits
aber auch seine nationale Selbständigkeit beharrlich vertheidigt.
Nach der Hassitenzeit trat diese Selbständigkeit am schärfsten
hervor in der öechischen „Renaissance", welche den Ausgang
des vorigen und das jetzige Jahrhundert bezeichnet, wo die
£ecbische Literatur einen starken belebenden Ii^nfluss auch auf
die nationale Wiedergeburt der andern slavischen Stämme aus-
übte.*
' Der Uebersetzer behält für diesen Namen die im Deutsohen eioge-
Iiürgerte Schreibweise bei; Eechiach achreibt man Hub, Iliuite n. a. w.
' Die Literatur über den Gegenstand iet sehr gross. Wir werden hier
nur wenige Werke anführen, darunter Bücher mit populärer DarstellnDg ~-
andere Citate folgen im Text selbst.
Id Bezug auf Geechicbte und Beschreibung Böhmens vergl.: F. P»-
lack^, „D&jiny närodu Ceskeho v Cechaoh a v Moravf" (Pr»g 1848 — GO;
3. Aufl. Ebend. 1862; die neueste Ausgabe mit einer Biographie Palacky's.
verfasst von J. Kalonsek, mit Portrait und Hegistem. 5 Thie. in lOBdu.
Pr^ 1876—78). Die deutsohe Ausgabe „Geschichte von Böhmen" (10 Bde.
PraglB3G— 67).— V.V.Tomek, „Dfje zemä Eeeke" (rusfliach von V. Jakov-
lev, St. Petersburg 1868); „DSjepis m^ata Prahy"; „Dfje roocnäfetvj Rakoa-
skeho" (b. im Teite). — J.G. Sommer, „Das Königreich Böhmen" (16 Bde.
Prag 1833-49). — „Öechy, zemä a närod", eine ausführliche Abhandlong im
„Slovnlk nauEnj'", 1863, auch separat; dasselbe deutsch u. d, T. „Böhmen.
Land und Volk" Prag 1863. Daraus N. Zaderackij, „Kurzer Abriss der
Geschichte des (eohiachen Volks" (russisch, Kiew 1873) und das Schriftchen
„Öeohija i Moravija" (herausgegeben vom blav. Comite in St. Petersburg 18711-
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HiBtoriscbe Bemerkangen. 3
Wir werden nun der hauptsächlichsten Züge der böhmischen
Geschichte gedenken, wodurch auch die Lage der cechischen
Literatur selhsit in ihren verschiedenen Perioden erklärt wird.
-J.E.Woce), „Pravek zeme feakü" (2 Bde. Prag 1866— 68); dasselbe nis-
siHh von K. Zftderackij {Kiew 1875).— A. V. Sembera, „Zäpadni Slovane
V pravSku" (Pr^ 1868).— F. Uapenskij, „Pervyja slaTJanskija mouarchii
na aJvero-zapadS" (St. Petersburg 1872). — A. Gindely, „Geschiulite der
böbniiacbet) Brnder"; „Budolf II, and seine Zeit".; „DSjiny Eeskelio povetsnf
leta 1618" u. a. sind im Text augefülirt. — Ilermenegild Jiretek, „Slo-
vaaske prävo v Cechäch a na Moravf" (Prag 1863, 1864, 1872). — J. HanSl,
„Oviiva präva n&meckeho v Öechäch a na Moravf" (Prag 1874).— A. Hil-
ferding, ,,Obzor istorii Cecbii" (in Sobr, sofin. I, 341—412, bis znr Soblacht
am W^insen Bet^e) und andere Abhandlungen. — E. Chojecki, „Czechja i
Czeehiiwie przy kofitu pierwszej potowy XlX-go stak'uia" (2 Bde. Berlin
1846-47).
Zur Geschiebte Mährens: Die alten Bucher: Pilar et Moravetz,
.^oraviae historia" (3 Bde. Brunn 1786—87); Gebhardi, „Geschichte des
Reiohes Mähren" (Halle 17S7). — Beda Dudik, „Allgemeine Gesobichtc
Mährens", 1—10. Bd. {Brunn 1860—82); „Df-jiny Moravj" (3 Bde. Prag 1870
—82); andere Arbeiten im Text,— D'Elvert, „Beiträge zur Geachiebte der
Rebellion, Keformation, des Dreissigjälirigen Krieges und der Neugestaltang
Mährena im 17. Jahrhundert" (Brunn 1867).— K. Kofiatka, „Die Mark-
grafschaft Mähren und das Ilarzogthum Schlesien" (Wien und Olmötz 1861).
- V, Brandl, „Kniha pro kazdoho Moravana" (Brunn 1863); andere Ar-
beiten im Text
A. BodiloviG, „MSskolko dannycb i zameCanij iz oblasti obäEestven-
noj i ekonomifeakoj Statistik) f^chii, Moravii i Silezii v poslMnie gody"
(in Siav. Sbomik I, 205—317, St. Petersburg 1875; mit Angabe der Lite-
ratnr).
Allgemeine Werke über die Geschichte Oesteri'eiobs, z. B. A. Springer,
„Geachichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden 1809" (2 Bde. Leipzig
1863—65); L. Leger, „Histoire de rAutriche-Hongrie depuis lea origines
juiqn'ä l'annee 1878" (Paria 1879); F. Krones, „Handbuch der Geschichte
OesterreichH" {6 Bde. Berlin 1876—79) u. a,
Rückaichtlich der Sprache. Aeltei-e Werke: J. DobrowskJ, „Geschichte
der böhmischen Sprache und altem Literatur" _ (Prag 1818), „Lehrgebäude
der böhmischen Sprache'' (Ebend. 1819); P. J. Safarik, „Potätkove ataro-
iesk* mlnvnioe" (Prag 1845). — V. Zikmund, „Skladba jazyka Cesk^bo"
(LeitomiBoblundPragl863).-M.Hattaia, „Zvukoslovi"(1854); „Skladba" ,
(1^); „Srovniiaci mluvnice" (1857) u. a.; ausführlicher im Text. — Die
Arbeit«!! von Gebaner, Bartoä u. a. — J. Jungmann, „Slovnik 6eako-
nimeeky" (5 Bde., Pr^ 1835-39); Celakovsky, „Dodavky do Slovn.
Jangmanna" {Prag 1851). — Nene Eechiaoh-deutache Wörterbücher gaben
heraus: Jordan, Koneen>% SumavskJ' |2. Aufl. von J. Rank); i-ussisoh-
I*
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4 Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
Ohne uns lange bei den dunkeln Zeiten der Bojer und Marko-
manen, der ersten Bewohner BöhmenB, aufzuhalten, bemerken
wir nur, dase sich die öechen und ihre StammesgenoeseD , die
Mährer, unzweifelhaft seit dem 5. — 6. Jahrhundert n. Chr., nach
dem Einfall der Hunnen, in ihren beutigen WohnBitzen be-
finden. Die Rolle des Slaventhums während der Völkerwande-
rung und weiter die Beziehungen desselben zu seinen Nachbarn
bis zum 9. und tO. Jahrhundert sind bisher noch wenig aufge-
ßeohiach — Rank; eDgliaoh-5eohisoh — K. Jonäi und beaaer V, E. Moureb;
franzöBiach-teohiacfa ~ K. Faster. Öechisch-deutaoh, beaondera gtamin»-
tiBch-phrBBeologiacli, — F. Kott.
LiteratuTges ch iahte : J. Jungmann, „Hi^rie literatury Seake aneb
BOuatavoy ptehled spieä i^cskycb a kr&tkoa hiatorii n&rodu, oavtceni i
jazjka" (Pr^ 1825; 2. Auag. 1849; ein gproaser Band, rein bibliogmpbieiih
gehalten). — A. V. Sembera, „D£jin; te5i a literatury EeakoBlovanake"
(Gesobiclite der Gechiaabea Sprache und Literatur. Die alte Zeit, Wien
1858; 4. Anfl. 1878; die neuere Zeit. Ebend. 1861; 3. Aufl. 1872). -
K. Sabina, „DSjepie literatury Eeake" (ein grosaer Band von 9 Hftn.,
Prag 1860-64). — K. Tieftrunk, „HiBtorie hteratury 6eake« (2 Hefte.
Prag 1874— 7G; 2. verm. Aufl. in 1 Bde., 1880). — „VJbor z literatury Eeake",
1. Bd., bis Hubs, herauag. von P, J. Safafik (Prag 1845); 2. Bd., 3 Hfte.,
herauag. Ton J. Erben (Ebend. 1857—64). — „Rozbur ataroieakö literatury"
(2 Bde., Prag 1842—45). — J. JireCek, „Rukov« k dfjinäm liter. Seake
do konoe XVIIl viku" (2 Thle., Prag 1874—76; ein biographiachea nnd
bibliographiBohea Nacbaohlagewerk) ; „Anthologie", 1) aua der alten Literatur
(Prag 1660); 2) aua der mittlem Periode (Ebend. 1858): 3) ans der neuera
Literatur (Ebend. 1861). — Die Geohiache Anagabe des vorliegeDden Werks:
„Hiatorie literatnr alovanakjch. Sepaali A. N. Pypin a V. D. SpaaoTif-
Podle druhSho atd. vydänf a rnStiny pfelozil A, Kotik" (2 Bde. in 16 Hftn.
Prag 1880— 82; die tecbiach-alovakiBohe Literatur im 2. Bd., S. 267— 488).-
F. Douoha, „KnihopiBn^ Blovuik ^eBko-alovensky etc." (Prag 1863—66;
zugleich eine Ergitnzung zu Jungmann'B „Hiator. lit. Geake"); F. Urbä-
nek'a „VJatnik bibliografiukj! " Jahi«. 1869 (von August an), 1870-72.
1873 (nur bia JulLj, 1875—76. 1877 (nur bia Mai), seit 1880 in erweiterter
und verbeaaerter Form, jährlich 12 Nummern, n. d. T. „UrbänkÄT Yiatnik
bibliografiokj" (Prag) u. a. — Eine Menge von Monographien ist in den
Zeitschriften zerstreut, beaondere in „Öasopis Cesk. Musea", von 1827 bi»
jetzt, ferner in den Schriften der k. Gelehrten Gesellschaft in Prag, in den
Zeitschriften „Osvf ta", „Svätozor", „Kv5ty", in AlmanachB u. b. w. — Bieg»-
pbiaohe Naehrichten liefert in Maaae der „Slovoik nauEny" und die biogra-
phischen Sammelwerke, wie „Slaviu. Pantheon, abirka podobixeo, autognfB
i üvotopiafl pfednich muiu ieskoBloTensk^ob" (der Text verfaaat von F. J.
PeKna, Prag 1878) u. a.
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Historitohe Bemerknngen. 5
klärt; doch kann mit grosser Wahrscheinlichkeit angenommen
«erden, dass schon lange vor Beginn der glaubwürdigen Ge-
schichte die 6echischen Slaven in FeindGchaft und in Kriegeo
mit den Deutschen standen. Zuweilen gelang es dem West-
Blaventhum, seine Kräfte zusammenzufassen: so geschah es um
lUitte des 7. Jahrhundert», als der übrigens halb mythische Samo
eine starke slaviscbe Monarchie oder einen Bund gründete, nach-
dem er die Thüringer und Avaren zurückgeschlagen; darauf im
9. Jahrhundert, als das Grossmäfarische Reich errichtet wurde.
Mit dem Untergang des letztem var das cechische Slaventhum
wieder den Uebergriffen des deutschen Stammes geöffnet und da-
mit zugleich den verschiedenartigen Einflüssen des westlichen
Cnltarlebens. Der Kampf beider Nationalitäten bildet den Inhalt
der (echischen Geschichte bis zum gegenwärtigen Augenblick.
Dieser Kampf ist nur eine, allerdings die bedeutendste Epi-
sode aus dem langen, weit ausgedehnten Kampfe der germa-
nischen und slavischen Basse. Der Kampf fand seit den fernsten
Jahrhunderten, in denen die Geschichte dieser Völker gedenkt,
statt auf der ganzen sla-visch-deutechen Grenze, vom testende des
Baltischen bis zum Adriatischen Meere. Die slavischen Historiker
haben meist ihren TJrtheilen über diese Thatsache einen Anliug
von elegischer Sentimentalität gegeben, indem sie die Deutschen
als rohe Bedränger des gutmüthigen Slaventhums hinstellen, aber
mit diesem Tone werden die factischen Verhältnisse kaum richtig
getroffen. Waren doch die alten Slaven selbst nicht sonderlich
gntmüthig, und wann hat denn in den Beziehungen der Völker
zaeioander Menschenliebe und Edelmuth als leitendes Princip
gedient? Schriftsteller einer extrem - slavischen Richtung (wie
die moskauiscbe Schule in Russland) fugten noch hinzu, das
Slaveuthum habe auch ein höheres sittlich-politisches Ideal rc-
präsentirt, in seiner demokratischen Gemeindeverfassung und
später im griechisch-katholischen Ohristenthnm. Aber wie auch
die Volkscharaktere beschaffen sein mochten, trotz aller guten
Eigenschaften, die dem slavischen Volksstamm wirklich eigen,
aber nur zu oft von einer weichen Zerflossenbeit begleitet sind,
— hei einem Zusammenstoss in der Wirklichkeit der Dinge ent-
wickelte das deutsche Element eine Kraft, wie sie der slavischen
Welt nicht innewohiiCe — und noch bis heute nicht innewohnt.
Nachdem es sich der antiken römischen Welt angeschlossen, ge-
langte das Germanenthnm frühzeitig zu einer gewissen Bildung,
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6 Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
zu Centralisation in Kirche und Kaiserthum, zur Solidarität mit
andern YölkerD Westeuropas, in einer Zeit, wo das Slayenthum
noch zerstreut und uneinig blieb und bei allen anziehenden Eigen-
schaften des Stammescharakters, die nicht selten sogar von seinen
Feinden anerkannt wurden, doch den Deutschen weder den glei-
chen Grad von Bildung noch die gleiche politische Macht ent-
gegensetzen konnte. Das baltische Slaventhnm, dessen äusserste
Ansiedelungen fast bis an den Rhein gereicht haben sollen, das
polabische Slaventhum verschwand in diesem Kampfe fast spur-
los, vernichtet oder germanisirt. In der tragischen Vertheidi-
gung seiner Nationalität trat es gegen die deutsch-römische Ver-
kündigung des Christentbums auf, die mit den Waffen in der
Hand geschah. Allein so wenig Sympathie eine solche VerkUn-
dung, sowie spater der Kampf des Katholicismns gegen das orien-
taliscb-slavische Cbristentbum in der Volkssprache auch erweckt
— in der deutsch-lateinischen „Bildung" war eine Seite rein gei-
stigen Fortschritts enthalten, der sich zum Theil in Verbindung,
aber auch ganz ttnabhängig von den herrschenden politischeo
und religiösen Frincipien, ja sogar im Gegensatz zu denselbeo
(wie z. B. im Mittelalter die Versuche einer rationalistischen Phi-
losophie) vollzog und starken Einäuss in der Literatur hatte:
so rühmen sich die Cechen selbst ihrer Bildung im 14. Jahr-
hundert, die doch aus jener westeuropäischen, lateinischen uod
deutschen Quelle stammte.
Die Geschichte der Öechen zerfällt im allgemeinen in drei
Hauptperioden , die durch die verschiedenen Momente ihres
Kampfes mit der Germanisirung und der Itekundung ihrer eigenen
Nationalität bestimmt werden. Der Höhepunkt dieses Kampfes
war die Epoche des Hussitenthums, die Epoche einer mächtigen,
religiösen Erregung, welche zugleich den Höhepunkt der selb-
ständigen Entwickelung der Cechen und ihrer Theilnahme an
der Weltgeschichte bildete. Sonach kann man die alte Periode
bis zum Jahre 1403 rechnen, oder bis zum Beginn der hussitischen
Unruhen; die mittlere bis 1620 (1627) oder bis zur definitiven
Niederlage der Öechen und dem Eintritt der katholischen Reac-
tion; die dritte Periode umfasst im Anfang die Zeiten dieser Beae-
tion und der politischen Knechtung, die den äussersten Verfall
des öechischen Volksthums mit sich bringt, und später den Um-
schwung zur Renaissance, welcher sich vom Ende des 18. JahrhuD-
derts an bemerklich machte und den Grund zur Entwickelung der
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Historieobe Bemerknogen. 7
iechiechen Literatur der Gegenwart legte. Wenn man will, kann
man von diesem Umschwung an eine besondere vierte Periode
beginnen, wie es auch zuweilen geschieht.
Die älteste Geschichte ist, wie gewöhnlich, auch bei den
Cecben in Dunkel gehüllt. Die in den alten Chroniken verzeich-
nete Tradition erzählt von einem Anfuhrer des Volkes in ältester
Zeit, Cech, von einem mythischen Krok und seiner Tochter,
Fürstin Libusa, die sich einen einfachen Bauer Premysl zum
Manne wählte, den Stammvater der fürstlichen und königlichen
Dynastie der Premysliden. Das Christenthum findet bei den
Cecben und Mährem schon von der ersten Hälfte des 9. Jahrhun-
derts au Eingang: im Jahre 836 ward zu Nitra (Neutra) eine christ-
liche Kirche geweiht, 845 wurden schon 14 öechische Vornehme
in Regensburg getauft; aber die eigentliche Einführung des
Christenthums beginnt erst mit der Berufung Cyrill's und Method's
durch den Fürsten Rastislav von Mähren, der sich dadurch von
dem kirchlichen Einfiuss der Deutechen be&eien wollte; im Jahre
373 — 874 ward der ^echische Fürst Bofivoj von Metfaodius am
Hofe Svatopluk's von Mähren getauft. Sonach herrschten in
Böhmen, Mähren (und bei den Slovaken) zwei Riten: der hyzan-
tinische mit slavischer und der römische mit lateinischer Kirchen-
Gprache; aber der erstere war schon wegen der Entfernung
von Byzanz nicht stark genug, und der Untergang des Mähri-
schen Reichs in Pannonien, das von den Ungarn zerstört wurde,
zerrisB jenes Band gänzlich und gab dem deutsch * lateinischen
Kircbentbum die Oberhand , obgleich sich die Tradition des
slavischen Gottesdienstes noch lange nachhei- erhielt. Gleich-
zeitig kam Böhmen vom 10. Jahrhundert an in Lehnsabhängig-
keit von den deutschen Kaisem, und von da an ward das deutsche
Element immer stärker und stärker. Das Vorherrschen der rö-
mischen Kirche endete mit vollständigem Verfall des slavischen
Gottesdienstes und des cyrillischen Schriftwesens in Böhmen:
das Kloster Sazava, wo sich noch beides hielt, ward im Jahre
1096 endgültig lateinisch. Zugleich damit zeigen sich während
des 12. und 13. Jahrhunderts noch andere Symptome deutschen
Einflusses. Bis zum Jahre 1126 (Sobeslav I.) hatten die Ein-
richtungen am Hofe und in den Gauen ganz ihren slavischen
Charakter bewahrt. Mit dem Siege der römischen Geist-
lichkeit beginnt schon die Germanisirung; je weiter je mehr
zeigt sich in der ^echischen Gesellschaft das Streben, diejenigen
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g Fünftes Kapitel. 1. Die (^eohen.
Privilegien und ausschliesslichen Rechte (Immunitäten) einzu-
fuhren, welche einen charakteristischen Zug des deutschen Feudal-
weeens bildeten, und von der Geistlichkeit, die von einem herrsch-
süchtigen Kastengeist geleitet wurde, geht dieses Streben auch
auf den Stand der Gutsherren über. Die politischen Verbindun-
gen mit den Deutscheu, die Betheiligung an den Kreuzzügen und
den sonstigen Kriegen der Deutschen, kräftigten den Einfluss der
deutschen Sitten und politischen Institutionen noch mehr: König
Wenzel (Vaclav) I. {1230—53) germanisirte sein Land fast ab-
sichtlich. König und Hof nahmen nicht nur die Sitten und
Gebräuche, sondern sogar die deutsche Sprache und Literatur
an; die mächtigern Adeligen folgten dem Geschmack des Hofes,
und begannen schon ihren Burgen deutsche Namen zu geben;
Privilegien und Immunitäten wurden freigebig ausgetheilt, nicht
nur an Adelige, sondern auch an Städte; die Städte wurden
nach deutscher Art eingerichtet, nicht nur für die nach Böh- .
men und Mähren übersiedelnden Deutschen (die von den Kö-
nigen selbst berufen wurden), sondern auch für die einheimische
Bevölkerung.
Nichtsdestoweniger herrschten in der Periode bis 1235 in
Böhmen immer noch die slavischen Einrichtungen vor. Von der
Zeit aber, mit der Thronbesteigung Premjsl Otakar's II., beginnen
feudale Institutionen und deutsche Sitten positiv vorzuherrscben.
Zwar erlangte Böhmen damals einen hoben Grad äusserer Macht,
aber die slavischen Principien des Innern Lebens litten stark
durch diesen berühmten König. Von dem Wunsche beseelt, die
königliche Gewalt gegen die reiche und politisch gefährliche
Aristokratie zu stützen, baute er neue Städte und Festungen
und besiedelte sie grösstentbeils mit deutschen Golonisten und
mit ergebenen Leuten aus dem niedem Adel und dem Volke.
Der König überliess sogar ganze Landstriche Böhmens an
Deutsche, die er begünstigte, unter anderm als Bergleute, die ihm
grosse Reichthümer an Geld lieferten. Von da an nimmt ein be-
sonderer städtischerstand seinen Anfang; die feudalen Einrichtun-
gen griffen immer mehr um sich; die Gerichtsbarkeit der Gaue
ward auf den König übertragen. Alle diese und ähnliche Mass-
regeln untergruben das alte slaviscbe Wesen, — obgleich Otakar
im Grunde genommen kein Feind seiner cecbiscben Nationalität
war. Einige der mächtigen Adeligen widersetzten sich ihm zu-
weilen, aber durchaus nicht zur Bewahrung des nationalen Geistee.
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Hütorische BemerkiiDgen. !)
Die politiEcbe Beäeutong Böhmens wuchs damals zn sehr hc-
träcbtlichem Umfang: es erwarb (und verlor später wieder) einer-
seits Oesterreicb, Steiermark, Kärnten und die Küstengebiete bis
Trieat; andereraeits Sachsen, Krakau, ja sogar Polen. Diese po-
litische Lage, mitten unter den verwickelten feudalen und dyna-
stischen Zwisten, gereichte ihm manchmal znm Unglück, stellte
es aber zuweilen auch auf ' einen hohen Platz unter den euro-
päischen Staaten, und, was die Hauptsache ist, zog es zum
Feudalismus hin, der sich im Innei-Q auf die Lage des Volkes
in schädlicher Weise äusserte.
Im Jahre 1306 erlosch das Geschlecht der Premysliden,
oud mit der neuen Dynastie trug das slavische Element in Böh-
men noch grösseren Schaden davon. Die Könige, aus fremden
Ländern, besonders aus Deutschland gewählt, blieben fast immer,
wie das sehr natürlich war, dem nationalen Interesse der
C«chen fremd und Hessen sich von ihren persönlichen dynasti-
schen Interessen leiten. Johann von Luxemburg blieb für
immer dem böhmischen Lande fremd; ganze Jahre in der Fremde
lubringend, immer mit Kriegen beschäftigt, indem er seinen
aasländischen Freunden half, kam er nach Böhmen nur, um
Geld oder Truppen zu holen. Seine Anhänglichkeit an Böhmen
var so gering, dass sich 1318 sogar das Gerücht verbreitete, er
hege den Plan, die Rechen ans ihrem Lande zu vertreiben und
es btoE durch Deutsche zu besetzen. Das Volk konnte natür-
lich eine Regierung weder lieben noch achten, die sich für das-
selbe nur durch verschiedene Arten von Gelderpregsung seitens
des Königs und durch feudale Bedruckungen seitens der Herren
bemerkltch machte. Den schlechten Eindruck, welchen Johann
hinterlassen hatte, sollte, wie es schien, sein Sohn und Nach>
folger Karl I., oder später als deutscher Kaiser Karl IV. (1346
—1378), vollständig verwischen, dessen Zeit überhaupt für eine
der glücklichsten Perioden der böhmischen Geschichte gilt. Karl
liebte wirklich seine böhmische Heimat, er brachte Böhmen aufs
neue in einen blühenden Zustand, den er durch eine kluge Ver-
waltung und diplomatische Gewandtheit herbeifühi-te. Selbst ein
flu- seine Zeit gntgebildeter Mann, förderte er die Wissenschaften
nnd war der Gründer der prager Universität (1348), der ersten
in Mitteleuropa, die allen ähnlichen Anstalten in Deutschland
vorausging. Die prager Universität, an der wiederum ein starkes
deutsches Element war, hatte später einen entscheidenden Eintluss
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10 Fünftem Kapitel. I. Die Ceoheu.
auf die Entwickelung des Dationalen GeiBtes und EOgar auf dae
historische Schicksal Böhmens: aus ihr gingen die Männer her-
vor, die den Umschwung im ^echischea Leben zu Anfang des
15. Jahrhunderts entschieden. Künste, Industrie, Handel nah-
men einen ungewöhnlichen Aufschwung; der Selbstherrlich-
keit der Magnaten wurden Zügel angelegt. Aber gleichzeitig
wurde auch die Germanisirung des Landes immer stärker, his
zu einem solchen Grade, dass Karl selbst die Nothveodigkeit
erkannte, die cechische Nationalität zu unterstützen. Die böh-
mischen Historiker loben Karl auch als Gesetzgeber — aber,
indem er die Reste der alten Landesordnung zerstörte und ao
Stelle derselben feudale Verhältnisse und Patrimonialgerichto
einführte, bahnte er gegen seinen Willen und ohne sich dessen
bewuBst zu werden der dann folgenden Unfreiheit der niedern
Volksschichten den Weg. Sein Sohn, Wenzel IV., musste in
einer Zeit wirken, wo die socialen und nationalen Elemente schon
in die äusserste Gärung gerathen waren; zur Beruhigung der
Erregung reichten seine Kräfte nicht aus; wie sein Vater, sah
auch er mit Eifersucht auf die Anmassungen der Geistlichkeit
und der Aristokratie, aber es fehlte ihm an Energie, um sie zu
bewältigen; sie zwangen ihn mit der Waffe, sich ihiem Willen
zu anterwerfen. Damals fand gerade das berühmte Schisma der
westlichen Kirche statt, jener skandalöse Streit einiger Päpste,
der den Credit der römischen Hierarchie so stark erschüttert«,
übrigens ohne die klerikalen Prätensionen abzuschwächen. Wen-
zel mischte sich auch ohne Erfolg in die Händel der Reichsfürsten.
Als er seinen Miserfolg merkte, übertrug er die Regierung
seinem Bruder Sigismund, aber auch dieser zerfiel mit ihm und
lieferte ihn den österreichischen Herren aus, bei denen er
anderthalb Jahre in Gefangenschaft zubrachte. Mit den Päpsten
kamen die Dinge dahin, dass Sigismund seinen Unterthanen
verbot, den Anordnungen Bonifacins' IX. Folge zu leisten.
Alles das trug überaus viel zur Verstärkung der öffentlichen
Unzufriedenheit bei, die sich schon seit Ende des 14. Jahr-
hunderts deutlich aussprach, und Wenzel IV. sollte noch Zeuge
des Sturmes sein, der die Entwickelung der feindlichen Ele-
mente vollenden, den Kampf der officiellen Kirche mit der in
Gesellschaft und Volk erwachsenen religiösen Opposition, deo
Kampf des Feudalvesens mit den Forderungen der Freiheit
zum Abschhiss bringen sollte.
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HiBtoriBche Bemerkungen. 11
Wir sahen die allmähliche ErBtarkung des deutechen £le-
raeots, die sich durch die Macht der Verhältnisse vollzog und
selbst von den Königen, ja sogar patriotischen, wie Otakar II.
gefördert wurde. Die Verbindung mit den Deutschen verstärkte
allmählich den Unterschied der Stände, das Feudalwesen; mit
der dentschen Ordnung vollzog sich eine starke Veränderung
der nationalen Gesellschaftsordnang, Sitten und Gebräuche.
Alles das ging am Nationalbewnsstaein nicht spurlos vorüber;
der Znsammenstoss mit fremden Principien weckte die 'natio-
Dsle Energie und der alte demokratische Geist begann sich,
dank dem Einfluss der Bildung, zu einer activen Opposition zn
gestalten. Der äusserste Verfall der Autorität des Königs und
des Klerus beschlennigte die Katastrophe. Der ganze Unwille
der Nation, die ganze Lebendigkeit der unterdrückten Instinkte
der Freiheit und die Antriebe neuer, durch die Bildung erwor-
bener Ideen machten sich in einer energischen Volksbewegung
Luft. Gemäss dem Geiste der Zeit nahm sie eine fast ansschliess-
lick religiöse Form an: es begann die Beform des Hubs und die
Hassitenkriege.
Wir werden nicht die Details dieser nationalen Tragödie
wiedererzählen ; es genügt, darauf hinzuweisen, in welch&n Haupt-
richtungen der Kampf des ÖechiBchen Volkes gegen die katholisch-
feadale Ordnung and zugleic|^ damit zur Vertheidigung der eige-
nen Nationalität zum Ausdruck kam. Zu allererst erhob sieb die
rehgiöse Frage. Die erste äussere Quelle, ans der die neue Be-
vegong hervorging, war die prager Universität. Karl IV. und
die prager Erzbiscfaöfe Beiner Zeit hatten sich schon vorher be-
müht, das Leben der Geistlichkeit zu verbessern, welches im
Volke Aergerniss zu erregen begann, und hatten die Vorläufer
der höhmischen Eeformation, Konrad Waldhauser und Mili(
von Kremsier, nuterstützt, welche schon die öffentliche Meinung
in wecken begannen, obgleich sich ihre Predigt noch nicht auf
das Dogma, sondern auf die kirchliche Discipltn bezog. An-
dererseits verbreiteten die Universitäten ihre Kenntnisse in der
GeBellscbaft und bereiteten das Publikum vor, auf welches die
folgenden Träger der Reform wirken sollten. Matthias von
Janov (HatSj z Janova) ging schon weiter als Konrad und Mili6,
aber die wirklichen reformatorischen Versuche traten erst her-
vor, als an der prager Hochschule die Lehre Wicliffe's Aufnahme
und Erfolg fand. Die Hanptforderer derselben waren der Ma-
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12 FüDfteB Kapitel. I. Die Ceohen.
gister Johann Haas, Dekan und spater Kector der prager Uni-
versität, und sein Freund Hieronymus von Prag, ein ßeßhischer
Edelmann. Anfangs verbot die Universität zweimal (1403 und 1408)
die Lehre Wicliffe's, aber sie konnte die einmal gefasate Idee
nicht zurückhalten, und diese verbreitete sich schliesslich auch in
den Volksmassen. Huss trat gegen die päpstliche Autorität auf,
nicht nur die weltliche, sondern auch die kirchliche; die Zügelloaig-
keit im Leben der Geistlichen, die offenen Misbräuche und Unge-
rechtigkeiten forderten nur die Ausbreitung der Opposition in der
höhern Gesellschaft und im Volke. Als Huss infolge des päpst-
lichen BanneB Prag verlassen musste, verbreitete sich seine Lehre
auch ausserhalb der Hauptstadt. Die Verfolgung durch die geist-
liche Gewalt brachte die Gärung, welche sehr bald weite Dimen-
sionen anzunehmen begann, nicht zum Stillstand ; bald kam man
auf eine Säcnlarisirung der Kirchengüter zu sprechen, dann be-
gann man die Autorität der Kirche überhaupt zu leugnen. Die
Verbrennung des Huss und Hieronymns hatte einen offenen
Aufstand gegen die Geistlichkeit zur Folge. Huss' Anhänger
trennten sich auch ausserlich von der Kirche durch Annahme
des Abendmahls unter beiderlei Gestalt (sub utraque specie; da-
von der Name „Utraquisten"; vom Kelch, calix — der Nane
„Calistiner", „Kaliänici"). Jetzt bekannte sich auch die prager
Universität zur Partei der Ref(%n. Die religiösen Wirren
endeten mit den blutigen Hussitenkriegen, in welchen das cechi-
scbe Volk eine erstaunliche Energie an den Tag legte. Die reli-
giöse Frage ward zugleich zu einer gewaltigen nationalen Frage;
im Volke war das Bewusstsein der eigenen nationalen Indivi-
dualität erwachsen, das auch erst eine so ungewöhnliche Kraft-
äusserung möglich machte. Die nationale Bewegung drang so
tief in die Massen, dass in der Folge nach ganzen Jahrhunderten
die Ueberlieferung davon ihre belebende Kraft erweisen konnte
— in der neuern cechischen Renaissance. Die nationalen In-
stincte wurden gleich von Anfang an erregt, weil die politischen
und kirchlichen Misstände Hand in Hand mit der Herrschaft der
Deutschen gingen: an der Universität war die deutsche Partei
conservativ; gegen die Reform wurden fremde (ebenfalls wieder
wesentlich für deutsch geltende) Waffen angewendet; der Aufstand
gegen das Feudalwesen, gefordert durch die religiöse BegeisteniDg,
war ein Aufstand zu Gunsten des Volkes, seines materiellen und
nationalen Interesses. Die einmal erregten nationalen Instincte
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Hiatorieohe Bemerkungen. 13
berahigten sich nuQ nicht eher, ah bis alle durch die frühere
Geschichte geweckten Antipathien und alle BeBtrebnngen nach
einer bessern religiösen und socialen Ordnung zum Ausdnick
gekommen waren. Die Gärung der nationalen Idee fand, wie
es zu erwarten ■ war, ihren Ausweg in einer Menge der verschie-
denartigsten Bestrebungen und Verirmugen; hier gab es sowol
ruhige Befonner als exaltirte Utopisten, Anhänger der Tradi-
tion und Bationalisten , Toleranz und Fanatismus, Aristokratie
nnd Demokratie, Adamitenthum und Chiliasmus , Socialismus
nnd Communismus. Die Hussiten zerfielen bald in gemässigte
und entschiedenere Reformatoren : die einen begnügten sich
mit der Annahme des Kelchs beim Abendmahl und einigen
andern Verbesserungen, sodass sie wenig von den Katholiken
abwichen; andere verwarfen jede klerikale Autorität und stell-
ten als ihr einziges Gesetz die Heilige Schrift auf. Aber bei
illen Phantasien nnd Excentricitäten , welche bei der in Be-
legung gekommenen Masse eines ganzen Volkes unvermeidlich
TSjen, kam deutlich zum Ausdruck, erstens die Abwendung von
der verderbten Kirche, zweitens die Opposition gegen Aristokratie
nnd Feudalismus (in ihrer eigenen Organisation gelangten dieTabo-
riten zum Communismus), endlich der Trieb der Selbsterhaltung,
der Erhaltung der Ifationalität. Die Taboriten und Orphaniten
(Waisen, Sirotci) sagten geradezu, dass sie nicht nur für den Glau-
ben, sondern auch für die Nationalität kämpften. Die Deutschen
erkannten bald, dass die begonnene religiöse Bewegung zugleich
demokratisch und national war: sie standen entweder auf Seite
der Feinde des Hussitenthums und gingen unter, oder flohen in
benachbart« Länder in der Hoffnung, in günstigerer Zeit wieder-
zukommen, — sodass das deutsche Element, so lange und so sorg-
sam eingeführt, plötzlich fast ganz aus Böhmen verschwand und
sich nur in den entlegenem Gebieten hielt. . . . Aber die Tabo-
riten, welche einige katholische Kreuzzüge aus fast ganz Europa
anigehalten hatten, fielen durch innere Zwiste. Die verschiedenen
hussiÜschen Parteien stimmten in ihren Zielen und Mitteln nicht
überein; das Baseler Concil vermochte nicht Europa mit den
Hussiten zu versöhnen und brachte neue Mishelligkeiten in die
Mitte der letztem: die gemässigten „Calixtiner" schlössen sich
den Katholiken an; die Feudalen fassten wieder Muth. In der
Schlacht bei Lipan (1434) zerschmetterte die kaiserlich-feudale
Armee das Heer der Städte und des Volkes. Diese Schlacht,
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14 Fünftes Kapitel. I. Die Ceoben.
welche dea fiinfzehnjährigen Hussitenkrieg beeDdete, versetzte den
Uutemehmungeii des Volkes, in denen so viel reine und edle
Bestrebungen waren, einen entscheidenden Schlag. Aber die Un-
ruhen hörteu nicht auf; mit dem Falle der Taboriten war ditB
Hussitenthum nicht gebrochen und nach dem Tode des Kaisers
Sigismund wurde auf den böhmischen Thron der Führer der
Hnssitenpartei, Georg Podebrad, gewählt. Die Regierung Pode-
brad's (1438 — 71) — eine der glänzenden und charakteristischen
Perioden der böhmischen Geschichte — brachte dem Lande zvar
einige Buhe, konnte aber doch die nationale Sache nicht wieder-
herstellen. Die kirchliche Beaction erstarkte mehr und mehr
schon unter seinem Nachfolger, Vladislav Jagello, und obgleich
der Beligionsfriede des Kuttenberger Landtags im Jahre 14S5
die kirchlichen Streitigkeiten auf lange zum Stillstand bracht?
durch Frociamirung der Freiheit der Bekenntnisse tn Böhmen,
so war doch andererseits das Schicksal des Volkes neuen Ge- ,
fahren unterworfen. Es begannen innere sociale Streitigkeiten,
ein Kampf der Stände, worin dem Volk die letzte KoUe sn-
tiel. Die Aristokratie raffte nach der Katastrophe aufs neue
ihre Kräfte zusammen und mit Ende desselben 15- Jahrhun-
derts, das die schärfsten Ausbrüche der Demokratie und der
Gleichheit gesehen, entrollte sich eine Ordnung der Dinge,
welche die künftige definitive Knechtung und Leibeigenscbart
des Volks vorbereitete. Selbst die „Utraquisten" und die
„Brüdergemeine" forderten diese Knechtung, — indem äe
predigten, jede Obrigkeit komme von Gott, und das Gesetz
unterstützten, dass jeder, der nicht Obrigkeit sei, unter einer
Obrigkeit stehen müsse, und wer kein Herr sei, einem Herrn
gehorchen und angehören müsse. Die Streitigkeiten zwischen
den Städten und dem Adel, welche die Geschichte der damaligen
Zeit bildeten, berührten das Volk nicht. Die Bedrückang des
Volkes rief einige Bauernaufstände hervor, aber sie waren alle
partiell und vereinzelt; blutige Repressalien brachten sie zum
Stillstand.
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts wählte sich Böhmen einen
König aus dem Hause Habsburg (1526), unter dessen Scepter
es jetzt noch steht. Mit Ferdinand begannen religiöse Ver-
folgungen, trotz der vorher proclamirten Bekenntnisafreiheit;
mit der Entwickelung der Lutherischen Reformation wurden in
Böhmen viele der frühem Gegner der katholischen Kirche
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HiBtoriBohe Bemerkungen. 15
Latheraaer; Ferdinand verfolgte sie und die „Böhmiechen Brü-
der" unter dem Vorwand, dass beide keine echten ütraquisten
seien (die geduldet wurden). Gegen die zweite Hälfte des
16. Jahrhunderts hin verschlechterte sich die Lage noch mehr;
infolge der Massregeln der habsburgischen Könige fiel die lu-
therische Bevölkerung, welche die grosse Masse des Volkes bil-
dete, aber officiel) nicht anerkannt, jedes administrativen und
moralischen Centrums beraubt war, auseinander und verlor ihre
sittliche Kraft. Die äussere Lage der Gesellschaft und des
Volkes entsprach der religiösen Spaltung; der königliche Hof
war deutsch, mit den Attributen des spanisch - österreichischen
and „apostolischen" Despotismus, und die Könige lernten kaum
ein wenig iechisch: der Hofadel, vorwiegend katholisch, nahm
eine Menge Ausländer auf, die aus den andern Besitzungen des
habsburgischen Königs herbeiströmten , und ward dem Volke
ganz fremd; die Politik der Regierung war rein katholisch und
dynastisch.
Mit Ferdinand beginnt schon ein sichtlicher Verfall der Sache
der Cechen und Böhmens selbst. Die Habsburger wussten sich
die Schwächung der Nation nach den hussitisclien Stürmen zu-
nutze zu machen für die beiden Ziele ihrer Politik — die Herr-
schaft des Katholicismus und des Absolutismus. Im Laufe von
hundert Jahren vollzog sich dieser Umschwung.
Das HuBsitenthum gelangte nicht an sein Ziel — die Bildung
einer neuen Kirche. Nachdem es dieser Idee gewaltige Opfer
gebracht, ermüdete das Volk und inzwischen hatte die revolu-
tionäre Umwälzung, denn eine solche war das Hussitenthum,
eine Reaction hervorgerufen. Die hussitische Kirche, bedingungs-
weise zugelassen vom Baseler Concil, wurde gleichwol von den
Päpsten verworfen; ihre Anbänger verschiedener Färbung waren
nicht im Stande, zur Einheit und zu einer festen Organisation
zu gelangen, und als die deutsche Reformation auftrat, zerfiel
der Hnssitismus: die einen kehrten zum reinen Katholicismus
zurück {zuweilen unter Bewahrung des „Kelches", aus dem
ihnen selbst die Jesuiten das Abendmahl reichten); die andern
Schlössen sich den Lutheranern und Calvinisten an, — und
Böhmen musste aufs neue die schweren Folgen des begonnenen
Kampfes des Katholicismus mit der Reformation tragen. Die
nationale Freiheit, welche das Hussitenthum in seinen politischen
und socialen Bestrebungen suchte, wurde auch nicht erreicht;
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16 Fünften Kapitel. I. Die Cechen.
BchoD bald nach den Hussitenkriegen musste Poäebrad gegen die
Pmtensionen der Aristokratie kämpfen. Schliesslicli erlangte die
letztere eine heiTBchende Stellang.
Nachdem Ferdinand König von Böhmen geworden, suchte er
dieses Land mit seinen übrigen Ländarn unter einem spaniscb-
österreicbischen Absolutismus zu vereinigen und folglich alle
Freiheiten und Rechte der böhmischen Stände zu unterdriickeu.
Die Bürger und die Aristokratie vei^uchten gegen diese Präten-
sionen anzukämpfen, — aber sie hatten schon nicht mehr die
alte Energie und unterwarfen sich widerspruchslos, als Ferdinand
mit einem Heere kam. Der „blutige Landtag" (lö47) beschränkte
die Rechte der böhmischen Stände ; die Aristokratie ward von
Ferdinand geschont, aber die Bürger hatten stark zu leiden; die
„Böhmischen Brüder" wurden vertrieben. Im Jahre 1556 wur-
den die ersten Jesuiten nach Böhmen berufen. Seit dem Verfoll
der „Stände" vertrat der Adel allein die Sache der öechischen
Nationalität, und in seiner Mitte fand der letzte Kampf für
die nationale Autonomie statt. Die kurze Regierung Maximi-
lian's, der sich durch eine milde Toleranz auszeichnete, än-
derte am Wesen der Lage nichts. Auf Antrag des böhmischen
Landtags hob Maximilian 1567 die berühmten Baseler Compac-
tata auf, durch welche die Hussiten einstmals gehofft hatten, ihre
Lehre mit den Traditionen der katholischen Kirche auszusöhnen:
drei Jabre vorher hatte Ferdinand die Bestätigung dieser Com-
pactata seitens des Papstes erlangt, sodass sie zu einer hussiti-
schen Union wurden und der Propaganda der Jesuiten den Zu-
gang öffneten. Durch ihre Aufhebung wurde die Freiheit des
Bekenntnisses wiedergewonnen, und die öechischen Hussiten ver-
schmolzen deiinitiv mit den Protestanten. Mit der Regierung
des charakterlosen, zuweilen halb wahnsinnigen Rudolf ge-
wann der KatbolicismuB mehr und mehr Einfluss, durch die
Bemühungen der jesuitischen Hofpartei, zu welcher auch mäch-
tige böhmisch-mährische Magnaten überzugeben begannen, wie
Slavata (der später mit Martinic im Schlosse zu Prag aus äem
Fenster geworfen wurde), Karl von Liechtenstein, der berühmte
Albrecht Wenzel von Waldstein (Wallenstein).
Der alte Hussitenkampf ging jetzt in einen Kampf des öechi-
schen Adels mit der jesuitisch - magnatischen Hofpartei über,
die noch dadurch an Kraft gewann, dass sich Rudolf Prag 2u
seiner Hauptstadt erwählte. Die jesuitisch -magnatische Partei
Historische Bpraerknngen. 17
schreckte znr Erreichung ihrer Zwecke nicht vor den schroffsten
Uassregeln znriick, sodass es zu einem Aufstand in Ungam,
Oesterreich und Mähren kam. Die Aufständischen erkannten
ik Regenten den Bruder Rudolfs, Matthias, an; die Freiheit
des Bekenntnisses und die Landeaantonomie wurden wiederher-
gestellt; aber die Mährer, deren Führer der berühmte Karl Yon
^rotin war, vermochten nicht, die Böhmen zur Theilnahme
heranzuziehen. Rudolf blieb in Böhmen; im Moment der Ge*
bhr versprach er, den Böhmen Bekenntnissfreiheit zu geben,
hielt aber dann nicht Wort, sodass lß09 auch hier fast ein be-
waffneter Aufstand feitig war; die böhmischen Adeligen fiirch-
teteo sich jedoch, entschiedene Schritte zu thun, begnügten sich
mit dem sogenannten „Majestätsbrief", den Rudolf unterzeichnen
mus8te, und der allerdings wenig Gesichertes bot. Im Jahre 1611
fand der sogenannte „PaKsauer Ueberfall" statt, ein mislungener
Versuch der reactionären Partei, die Gegner mit Hülfe fremder
Trappen zu unterdrücken , den Protestanten die ihnen einge-
Htumten Rechte und Matthias dessen Länder zu nehmen. In-
folge eines zweiten Feldzugs des Matthias nach Böhmen musste
Rudolf dem Thron entsagen. Matthias versöhnte jedoch die pro-
testantische Partei nicht, und während dessen wurde 1617 zu
Prag der schlimmste Feind Böhmens, Ferdinand IL, zum Nach-
folger gekrönt. Die katholische Partei achritt zur Gewalt,
schloss und zerstörte die protestantischen Kirchen, und auf die
Beschwerde der Böhmen antwortete Matthias, dies sei auf seinen
Befehl geschehen. Ein Bruch war unvermeidlich und er vollzog
sich durch das bekannte Ereigniss vom 2'i- Mai 1618, als die
Böhmen die beiden königlichen Räthe nebst einem Secretär zum
Fenster hinauswarfen. Dies war der letzte Kampf der Cechen
fiur die nationale Freiheit. Sie hatten anfangs die Oberhand
aber die kaiserlichen Truppen, und als damals Matthias starb
(1619), wählten sie den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz
mm König von Böhmen, — aber der Erfolg war nicht von
langer Dauer; die böhmische Sache eröffnete, nachdem sie in die
Hände fremder Bundesgenossen übergegangen, den Dreissigjähri-
gen Krieg. Böhmen selbst ging gleich am Anfange dieses Kam-
pfes unter. Die Entscheidung wurde durch die traurig berühmte
Schlacht am Weissen Berge bei Prag, 8- November 1620, herbei-
geführt.
Ptrh, SUTtHba LUentnraB. H, ». 9
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18 FüDftea Kapitel. I. Die f^hen.
Die Sache Böhmens fiel deshalb, weil sie nicht mehr Tom
Volke geführt wurde, welches einstmals so siegreich sein Land
in den Hussitenkriegen vertheidigt hatte. „Die Sache des £echi>
sehen Adels", sagt Hilferding, „konnte schon nicht mehr eq
einer nationalen Sache werden. Zwischen dem Adel und dem
Volke war sozusagen nichts Gemeinsames geblieben. Das Volk
empörte sich einige Jahre nachher, als die Sache vom Adel schon
definitiv verspielt war, und als die Bache der Habsburger mit allen
ihren Schrecken den häuslichen Herd des Landmanns unmittel-
bar berührte: da war es zu spat, und diese vereinzelten Aufwallun>
gen des Volkes wurden leicht in Strömen von Blut erstickt. Aber
bis dahin wirkte der Adel allein, und obgleich er sich für die Un-
abhängigkeit des Vaterlandes, für die Rechte Böhmens, für die
Freiheit des nationalen Bekenntnisses erhob und in den Kampf
ging, so blieb doch das Volk diesem Kampfe gegenüber voll-
kommen gleichgültig. Es stellte Rekruten zu der Landesarmee,
wenn man kam solche zu fordern, trat aber nicht aus der
Apathie heraus, in die es vom Adel selbst gebracht worden
war, weil er das ganze Leben des Landes in sich concentrirte.
Die Führer der Bewegung tiihlten so sehr ihre Schwäche, dase sie
sich entschlossen, einen fremden General, Mansfeld, mit einer
Truppe von 14000 Mann, welche dieser in verschiedenen Gegen-
den Deutschlands geworben hatte, in Sold zu nehmen."
Nach der Schlacht am Weissen Berge vollzieht sich der de-
finitive Verfall Böhmens. Ferdinand II. beutete die Niederlage
aus, wie es sich für einen katholischen Fanatiker jener Zeit ge-
bührte. Das Schicksal Böhmens war damals in Wahrheit furcht-
bar. Nach schrecklichen Hinrichtungen , Confiscationen , Ver-
haftung der Hauptrüdelsfiihrer begann eine Verfolgung der
gesammten Bevölkerung; alle Akatholikeo, welche nicht zur
katholischen Kirche übertreten wollten, mussten ins Exil gehen
— die Geistlichen der Lutheraner und der Brudergemeine, dann
die Bürger, zuletzt die Adeligen und Ritter. Diese Zehntaasende
von Familien erwarteten anfangs , dass für sie glücklichere
Zeiten der Rückkehr in die Heimat kommen würden, aber zu-
letzt verloren sich zahlreiche ^echische Familien in den Län-
dern, die sie aufgenommen hatten. Der Dreissigjährige Krieg,
der Schlacht am Weissen Berge folgend, machte Böhmen m
einem seiner Hauptscbauplätze und brachte das Land vol-
lends in Verfall; die Uechen, moralisch zerrüttet, sanken auch
ü,g :.._.. ..Google
HistoriBche Bemerkungen. 19
iiaten'ell. Endlich wurde die Sache der Bekehrung zum Eatho-
HciEinaB, welche die Jesuiten übernahmen, von diesen mit dem
gewohnten Eifer ausgeführt; die Masse des Volks vergass das
slte Frotestantenthum, ausser wenigen Anhängern desselben, be-
sonders der Sekte der „Briidergemeine", die sich im Verborgenen
hielt. Die böhmischen „Stände" (zu denen der geistliche Stand
Mnzngekommen war) verloren jeden Antheil an der Gesetzgebung;
in den Städten verschwanden alle Spuren der frUbem Freiheit
DDter dem Druck der kaiserlichen Richter und Beamten; dem
ganzen Volke wurde sogar die Erinnerung an die frühere Utera-
rische Entwickelnng genommen — durch systematische Vernich-
tung der cechischen Bücher, die Bildung der frühern Zeit ver-
schwand. Die Bevölkerungszahl sank schrecklich.
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts führte das £echische
Volk, das sich fast ganz in einen öechischen Plebs verwandelt
hatte, und den hohem deutschen oder verdeutschten Klassen
unterworfen war, fast nur ein Pflanzenleben, ohne jeden Ge-
danken an nationale Selbständigkeit und Freiheit. Zu Ende
^ 18. Jahrhunderts traten die Zeiten des aufgeklärten Absolu-
tismus ein, aber Joseph II. wurde bei aller Humanität seiner
Bestrebungen doch der Anstifter jenes Germanisirungssystems,
aber welches die Rechen noch jetzt nicht aufhören zu klagen.
Von jener Zeit an beginnt die Wirksamkeit einer verstärkten
Centralisation, welche den einzelnen Ländern ihre localen histo-
lischen Rechte und Unterschiede nehmen, und sie unter eine
bnreaukratische Norm bringen sollte. Aber die Zwangsmass-
regeln gggen das historische Recht Böhmens und die Volks-
sprache, welche definitiv aus dem officicllen Leben entfernt
wDrde, riefen noch einmal einen Widerstand seitens der Nation
hervor; die aus den Schulen und aus der Verwaltung ver-
triebene Sprache fand eifrige Verfechter in einigen Patrioten,
nnd regenerirte sich in der Literatur. Das nationale Streben ge-
wann Gestalt", von den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts,
von der Regierung Joseph's IL, rechnet die neue 6echische Lite-
ratur, die eine Wiederbelebung des cechischen Volks bezeich-
nete, ihren Anfang.
Joseph II. gelang es nicht, seine Plane zu verwirklichen;
nach der kurzen Regierung seines Bruders, Leopold IL, wel-
cher, nie es scheint, der localen Autonomie mehr Raum geben
wollte, verfolgte eine neue Richtung in der innern Politik der
2*
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20 ■ Fünftel Kapitel. I. Die Öeohen.
Sohn Leopold's, Franz I., seit 1804 erster Kaiser von Oester-
reich. Er wurde ebenfalls, wie sein Vater, in Prag gekrönt,
sah aber, erschreckt durch die Französische Revolution, mit
Besorgniss auf alles, was irgendwie an Volksrechte erinnerte;
und obgleich er den Landständen die Rechte liess, welche
sie vor Joseph II. besessen hatten, so war doch seine Regie-
rung, in welcher Mettemich die leitende Hauptperson war, das
Muster einer finstem Reaction. Die nationale Wiederbelebung,
welche seit Joseph begann, wuchs durch die Macht der Ver-
hältnisse unter den slaviscben Völkern Oesterreicbs; die arg-
wöhnische Bureaukratie legte ihr auf jede Weise HindemiBse
in den Weg, aber die nationalen Interessen aller Stämme arbei-
teten sich immer mehr aus den Banden empor und suchten sich
einen freien Ausdruck zu verschaffen. Unter Ferdinand V-,
Franzen's Sohn und (seit 1835) Nachfolger — 1836 zu Pn^
gekrönt — liess der bureaukratische Druck etwas nach , und
die öffentliche Meinung begann sich kühner gegen den Absolu-
tismus auszusprechen. Im Jahre 1847 entschloss sich der böh-
mische Landtag sogar dazu, eine Steuer abzulehnen — ein
unerhörter Vorgang. Endlich fand 1848 die in Frankreich aus-
gebrochene Revolution in Oesterreich ein Echo. Die alte Ord-
nung stürzte mit einem mal; der Kaiser entliess Mettemich, die
Bureaukratie verlor die Fassung und die verschiedenartigen po-
litischen Elemente Oesterreicbs sprachen sich aus: die Lombardei
und Venetien machten einen Aufstand, um sich mit Italien sn
vereinigen; Ungarn strebte danach, eine besondere Regierung
zu erhalten, und rief durch seinen exciusiven Magyarismus den
Widerstand Kroatiens hervor; die deutschen Provinzen (sogar
die Deutschen in Böhmen) sprachen sich für die deutsche Ein-
heit aus und sandten Deputirte ins Frankfurter Parlament;
die Öechen drangen (zum ersten mal in der Versammlung vom
11. März) auf Erhaltung der Staatseinheit, forderten aber die
Ausführung ihres historischen Rechts und die Gleichberecbtigong
der Nationalitäten. Die Regierung versprach constitutionelle
Einrichtungen, löste den böhmischen Landtag auf, kündigte dann
Wahlen zu einem Reichstag für das gesammte Reich in Wien an,
unterdessen aber fanden im Lande die Wahlen zu dem deutschen
Gesammtparlament in Frankfurt statt. Diese nationalen Gegensätze
und die Widersprüche der Regierung gaben Anlass zu dem sla-
viscben Congress, der zu Prag am 2. Juni 1848 aus den Haaptver-
ü,g'.._...,GOOJ^IC
Hiatoriacbe Bemerkungen. 21
treteru der glavischen Völker Oeaterreichs zusammentrat uud Mass-
r^eln zur Sicherung ihres Schicksals berathen und ergreifen sollte.
Die Berathungen desselben wurden durch das Blutbad in Prag
unterbrochen (einen revolutionären Zwischenfall, der nicht Sache
des Volks war, aber von der Keactionspartei ausgebeutet wurde),
am 12. Juni; aber der wiener Reichstag trat zusammen und
brachte das Gesetz der Aufhebung der Leibeigenschaft durch;
nach der Belagerung und Einnahme Wiens durch Windisch-
grätz und Jellachich ward der Reichstag nach Kremsier in Mäh-
ren verlegt, arbeitete dort das Project einer Verfassung aus —
aber es war schon zu spät. Die conservative Partei hatte sieb
erholt und das Ministerium des Fürsten Schwarzenberg und des
Grafen Stadion war der Anfang der Reaction. Im December
1848 dankte Kaiser Ferdinand zu Gunsten seines Neffen Franz
Joseph ab. Der neue Kaiser setzte die Tradition seines Hauses
fort. Im März 184fl löste er den Reichstag zu Kremsier auf,
pnblicirt« gleichzeitig eine von ihm in Gnaden verliehene Ver-
bssnng, höh sie aber dann, als er gesehen, dass der Aufstand
in Ungarn hauptsächlich durch die Kräfte Russlands nieder-
geworfen und die revolutionären Mächte nicht mehr gefährlich
varen, im August 1851 wieder auf, worauf im December neue
Versprechungen folgten, die aber wieder uicht gehalten wur-
den. Von den politischen Errungenschaften der letzten Zeit
war nur die Aufhebung der Leibeigenschaft und der Patri-
nonialgerichtsbarkeit übriggeblieben. Statt aller Verfassungen
worde die bureaukratische Centralisation alten Schlages erneuert,
mit der frühem Herrschaft der Deutschen und der Polizei. An
der Spitze der Regierung stand der hartnäckige Centralist und Con-
serTative Bach, mit dem die Zeiten Metternich's wiederkehrten.
Die Lage der öecben und der (Sechischen Nationalität ward wie-
der unerträglich; das wenige Recht, welches die cecbische Sprache
eben erst in der Schule erlangt hatte, ging wieder fast ganz ver-
loren, weil die Bureaukratie ihrer Anwendung allerlei Hinder-
nisse in den Weg legte. Allein diesmal schlug die Stunde des
-Absolutismus schneller. Das neue System brauchte viel Geld,
und die Steuern erschöpften das Land; ein Krieg mit Frankreich
and Italien endete mit dem Verlust der reichen italienischen
Provinzen. Das alte System hei aufs neue, und Franz Joseph
erliess am 20. October 1860 ein Manifest „an seine Volker" und
ein unwiderrufliches „Diplom", durch welches die Völker Oester-
.....Gooj^lc
22 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
reiche abermals zu einer coDstituttonellen Theilnahme an der Ent-
scheidung der Reich Bangelegenh ei ten herufen wurden. Diee war
dem Anschein nach eine wirkliche Absicht, die auf den Födera-
lismus gerichteten Wünsche der Völker, Oesterreichs zu erfüllen;
jiber schon bald fand ein Umschwung nach einer andern Seite
hin statt, und am 26. Februar 1861 erschien das sogenannt«
„Patent" (entworfen von der deutschen centralistischen Partei und
vollzogen von Schmerling), das als eine Ergänzung zum October-
diplom dienen sollte, in Wirklichkeit aber die Autonomie der ein-
zelnen Länder stark untergrub, da es das Hauptcentrum der politi-
schen Wirksamkeit aus den Provinziallandtagen in den Reichsrath
verlegte und durch ein eigenthiimliches Wahlsystem das deutsche
Element in der Vertretung und die centralistische Pai-tei kräf-
tigte. Die Proteste derÖechen gegen eine solche Lage der Dinge
führten nur zu einer hartnäckigen Verfolgung der cechischen Jour-
nalistik. Im Jahre 1866 empfing Oesterreich eine neue politische
Lection bei Sadova, und die Regierung begann wieder an eine
Versöhnung mit „ihren Völkern" zu denken. Am dringendsten
schien ihr ein Ausgleich mit Ungarn zu sein, und dieser sollt«
durch das im Jahre 1867 gegründete System des „Dualismus"
erreicht werden, wonach die politische Herrschaft zwischen den
Deutschen, welche in Cieleitbanien herrschten, und den Ungarn
getheilt wurde. Für das Österreichische Slaventhum und speciell
für die Cechen ward die Lage noch schlimmer; eine nationale,
historisch berechtigte Autonomie ward nur den Ungarn bewil-
ligt, aber dafür sollte sie den Völkern der andern Länder be-
schränkt werden. Nachdem die Regierung in den Ländeiii der
„ungarischen Krone" die Herrschaft dem magyarischen Element
überlassen hatte, musste sie in Cisleithanien eine ebensolche
politische Einheit mit dem Uebergewicht der Deutschen zu
schaffen suchen — sonst konnten, bei localer Autonomie in
Cisleithanien, die Ungarn der stärkste Kern des ganzen ReichE
werden. Zwar wurden einige liberale Reformen eingeführt,
welche das innere politische Leben bei den Öechen selbst er-
leichterten , aber in der constitutionellen Frage stiess die
Regierung auf einen recht hartnäckigen Widerstand der sU-
vischen Föderalisten, der besonders einmüthig bei den Öechen
war. Wie die Ungarn für die „Krone des heiligen Stephan"
eintraten, so beharrten die Cechen auf dem historischen Recht
der „böhmischen Krone", und als es die wiener Regierung beim
ü,g :.._.. ..Google
Historiscbe Benierknogen. 23
AoGgleich des Jahres 1867 den Ungarn anheimstellte, an derFest-
setzang der Beziehungen Ungarns zu Oesterreich theikunehmen,
in Cisleitbanien aber die Slaven einfach aafforderte, ihre De-
putirten in den wiener Reichsrath zu senden, eröffneten die
Cecben den conetitutionellen Kampf in der Erirägung, wenn sie
ihre Deputirten nicht in den Reichsrath schickten, so würde
dieser nach constitutionellem Recht incompetent und verlöre in
jedem Falle die Autorität einer regulären gesammtstaatlichen
Vertretung. Dieses Mittel wendeten die Cechen auch wirklich
an und sandten von 1867 an ihre Vertreter nicht nach Wien.
Im April 1867 protestirten sie auf dem böhmischen Landtag
gegen die Wahlen zum Reichsrath ; im Sommer desselben Jahres
fand die Fahrt der Slaven nach Moskau, mit den cecbiscben
Führern Palack^ und Rieger an der Spitze statt; im Juli 18G8
irard das 500jährige Jubiläum des Geburtstages von Huss fest-
lich begangen; im August veröffentlichten die Rechen eineDecla-
ration zur Vertheidigung ihres historischen Rechts — alles dies
waren scharfe nationale Manifestationen, auf welche die Regie-
mng mit Erklärung des Belagerungszustandes in Prag antwortete.
Die Cechen gaben jedoch nicht nach, und die anomale Lage
dauerte fort. Da es unmöglich war, eine Vereinigung Cisleitha-
niens herbeizuführen, so erlangte Ungarn in den letzten Jahren
virklicb die herrschende Stimme in den Angelegenheiten Oester-
reichs und für die Deutschen selbst erschien eine Versöhnung
mit dem Slaventbum und dem Föderalismus wünscbcnswertb zur
Gegenwirkung gegen das Vorherrschen Ungarns. ... Im Jahre
1879 machte die Regierung einen Versuch in dieser Richtung
und deutete auf Conccssionen hin: da stellten die Cecben nach
vielen Jahren ihren passiven Widerstand ein und sandten ihre
Deputirten in den wiener Reichsrath — in der Hoffnung, ihre
Nationalität werde davon Vortheilc erlangen. Die wichtigste
Errungenschaft dieser Politik ist wol biejetzt die Spaltung der
prager Universität in eine deutsche und cechiscbe und die Er-
öffnung der letztern.
Dies sind die historischen Verhältnisse, in denen sich die
cechiscbe Literatur entwickelt bat. Entsprechend den Haupt-
ereignissen des nationalen Lebens nehmen die Cecbiscben Lite-
rarhistoriker gewöhnlich in der Geschichte ihrer Literatur vier
Perioden an: die alte, bis zu den ersten Anfängen des Hussiten-
thnros (bis 1403) reichend ; die zweite, die Hussitenzeit umfassend
..., Google
24 Fünftes Kapitel. I. Die Cechea.
(bis 1620); die dritte, die Periode des Verfalls der Nation und
der Literatur bis zu den Refonnen Joseph's II. (annähernd bis
1770 — 80); endlich die neueste Periode der Renaiseance seit den
letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts.* Wenn eine solche
Berechnung der Literatur nach Jahren überhaupt statthaft ist,
so kann sie hier ganz besonders ihren Platz findeu, weil sich
die Uebergänge -der literarischen Entwickelung parallel mit den
scharfen charakteristischen Erscheinungen des historischen Le-
bens, wie dem Wachsthum des HusBitenthums, seinem tragischen
Fall in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und der merkwür-
digen Wiederbelebung des dechischen Volksthums vom Ende des
vorigen Jahrhunderts an, vollzogen.
Hauptdaten der böhmiach-mähriBchen Geschichte.
Mitte des 6. Jahrb. n. Chr.; Anhäuft des cechischen Volkea im Lande.
Eaatpf mit germanischen Stämmen.
627 — 642 (oder 625 — 655). Das slaviacbe Eteicb Samo'e, umfassend
Böhmen, Mähren und das benachbarte Donauland.
Mähren:
803- Abhängigkeit Mährens von den Franken.
836. Die erste christliche Kirche in Nitr» (Neutra).
846. Niederlage und Gefangen nähme des mährischen Fürsten
Mojmir. Rastialav.
863. Berufung Cyrill's und Method's.
870. Svatopluk liefert Rastislav an Ludwig den Deutschen aus;
Tod Raatialav's.
873. Boi-ivoj, cechischer Fürst, wird von Method getauft.
894. Der Tod Svatopluk's. Mojmir II.
895. Die Söhne Boi'ivoJ's, Spitihnev und Vratislav, nehmen den Schutt
des Deutschen Reichs an.
' Der neueste Cechische Literarhistoriker, Tieftrunk, nimmt in der
eratt^D Ausgabe seines Buuhea vier Periudeu an: die erste bia 1410; die
zweite bis lt>20; die dritte bis 1774 (bis uuv Entfernung der tcohischen
Spi'Hohc aus Schale und Verwaltung); die vierte bis zu unserer Zeit. In
der 2. Ausgabe zählt er nur drei Perioden: die erste bis 1-110; die »weite
bis Mitte des 18. Jahrhunderts („reiolie Entwickelung der Prosa, atxi*
auch grosaer Verfall der Literatur"); die dritte die neuere Literatur. Cechj.
sehe Kritiker haben diese Eintheilung gebilligt; unaerer Ansieht nacfa wird
über dadureh die Periode des nationalen Verfalls verdeokt, besonders »dl
der Schlacht am Weissen Berge.
...., Google
Historische Bemerk unnen. 35
906. Uatergang des gross mährischen Reichs. Mährea wird mit
Böhmen vereinigt.
928—936. Der böhmische Ftnt Wenzel (Vaclav) I., der HeUige.
967—999. BolesUv II.
I037 — 65, Bfedslav I., bebmiBcher FarBt. Vereinigmig Mäbrens (nach-
dem es, Ungarn und Polen unterthan gewesen war) mit Böhmen.
1061— 92. Vratislav n.; seit 1086 der erste höfamiBche König.
1197—1230. Pfernysl Otakar I.; Erbkönigthum in der Familie der
Premysliden.
1197. Die Markgrafschaft Mähren, mit dem Bruder Pfernysl Otit-
kar's, Vladislav Heinrich, unter der Herrschaft Böhmens. Be-
lebung Mährens und zugleich Anfang der Germanisirung durch
deutsche Colonisten.
1230 — 53. König Wenzel (Vaclav) I.
1253 — 78. Pfemysl Otakar II.
Mitte des 13. Jahrhunderts: in Mähren Verheerungen durch die
Tataren und Polovcer.
1 S06. Aufhören der Dynastie der Pfemysliden durch Ermordung Weii-
zel's III.
1310. Beginn der Dynastie der Luxemburger, bis 1437.
1346 — 78. König von Böhmen Karl I. (deutscher Kaiser Karl IV.).
1378 — 1419. Wenzel IV.
1416, 6. Jnli. Verbrennung Huss' in Konstanz.
1419 — 34. Die Unflsitenkriege.
1424. Tod ÄiJka'B.
1434- Schlacht hei Lipan.
1438 — 71. Georg PodSbrad. 1462. Definitiver Fall Tabors.
1471 — 1517. Vladislav H. Jagello.
1517- Der St. Wenzelsverlrag. Ludwig Jagello.
1526- Tod Ludwig Jogetlo's in der Schlacht bei Mohäcs.
1526 — 64. Ferdinand I., erster König aus dem Hause Habsburg, ge-
«väblt von den böhmischen Ständen. Mähren kommt unter die
Herrschaft der Habsburger zugleich mit Böhmen.
1564. Maximilian II. Nene Erafligung der Protestanten in Mähren.
1 576' Rudolf IL Die katholische Reaction.
1608- Der Bruder Rudolfs, Matthias, Markgraf von Mähren; Krieg
mit Rudolf.
1609> Der Mt^estfttsbrief, die Freiheit des protestantischen Bekennt-
uisses proclamirend.
1611- Abdankung Rudolfs. Matthias wird König von Böhmen.
1617. Krönung Ferdinand's 1. zum König von Böhmen, als Thron-
folgers.
1618- Der böhmische Aufstand. Anfang des Dreissigjährigen Krieges.
1619- Der Tod Matthias'. Wahl Friedrich's von der Pfalz in Böhmen.
Kerdinand 11. Anschluss der Mährer an den Aufstand.
l620i 8. November. Schlacht am Weissen Berge
1621. Hinrichtungen zu Prag.
.yGüOg[f
26 Fünftes Kapitel. I. Die Ceoben.
1627. ,|Die verDewerte LaadeBordnung". Vertreibung der Utraquitteo.
Jesuiten.
1635- Abtretong der beiden LaasitseD als böhnisobes Leben an den
Kurfürsten tdq Sachsen.
1648' Iter Wentfüliache Friede. Vertkll und Verheerung Böhmens.
16dO- Bauernaufstand. ,
1711. Karl VI.
1745. Verlust Schlesiens.
1773- Aufhebung des Jesuitenordens.
1775. Erleichterung der l^eibeigenscbaft.
1780—90. Joseph II.
nm. Das Toleranzpatent.
1784. Joseph II. sendet die böhniische Krone ins Archiv der kaiser-
lichen Schatzkaminer.
1791. Leopold II. wird zu Prag gekrönt.
1804. Franz, erster Kaiser yon Oesterreich.
161Ö. Die Niederlausitz uttd ein Theil der Oberlaueitz werden von
Sachsen an Preussen abgetreten, und Kaiser Franz verzichtet Preus-
sen gegenüber auf das Lehnrecht der böhmischen Krone anf diese
Gebiete. Der Eintritt Oesterreicbe in den Deutschen Bund ohnt
Befragung nm Znstimmnng des höhmischen Landtags.
1836. Krönung Ferdinand'e als Thronfolgers in Prag.
1845. Ferdinand V.
1848. Revolutionäre Bewegungen. 2. Juni, Eröffnung des SlavischeD
Congresses in Prag. 12. Juni, Straasenkämpfe in Prag und Bom-
bardement. 2. December, Abdankung Ferdinand's und Thronbe-
steigung Franz Joseph's.
1849, 4. März. Entlassung des Beicbsraths zu Kremsier und Octroyi-
rung einer Verfassung für das ganze Reich; 30. December, die
neue Verfassung des Königreichs Böhmen.
1851, 20. August. Aufhebung der beiden Verfassungen; 31. December,
das neue Patent (Herrsdiaft des centralistiachen Systems Bach'a).
18>'>9. Oesterreich verliert das Lombardisch- Venetianiscbe Köntgreicli.
Entlassung Bacb's.
1860, 20. October. Das kaiserliche „Diplom", das die Völker zur cod-
stitutionellen Mitwirkung an der Regierung iieruft-
1861. Das Februar - Patent.
1866- Der österreichisch -preuasische („siebentägige") Krieg.
1867. Das System des Dualismus. Fahrt der Slaveu lur ethnogrs-
phiscben Ausstellung i» Moskau.
1868- Fünfhundurtjähngc Jubelfeier des (lebortstags Huss'. Die Decls-
raljon zur Vertheidigung des historischen Rechts.
1879. Eintritt der C>^cben in den Reichsrath.
1882. Theilung der prager Universität in eine deutsche und cechitcliC'
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Sparen elaTisohen SohriftweaenB. 27
L Sie alte Periode.
DaB Chrietentbum kam nach Böhmen und Mähren aas zvei
Quellen, der römiech - deutschen und griechisch- slaTiscfaen. Mit
den beiden gottesdieostlichen Riten stellte sich auch ein doppeltes
Schriftwesen, das lateinische und cyrillische, ein. Das lateinische
mochte schon in den heidnischen Zeiten im Verkehr mit den
Deutschen aufgekommen sein, und befestigte sich wahrschein-
lich seit der Taufe des mährischen Fürsten Mojmir; aber die
feindlichen Beziehungen zu den Deutschen waren der Befesti-
gnitg des lateinischen Christentfaums hinderlich, und dann be-
rief der mährische Fürst Rastislav den Methodius, der in der
Folge vom Papst zum Erzbischof von Mähren ernannt wurde
Qnd auch den böhmischen Fürsten Borivoj taufte, sowie dessen
Gemahlin Ludmila, die später den böhmischen Heiligen beige-
Ählt wurde. Die alte Legende vom heiligen Wenzel (Vaclav),
Teiche sich in russischen Denkmälern erhalten hat, sagt, Lud-
mila habe selbst Bücher geschrieben und ihren Enkel Wenzel
die „slovenischen Bücher" (d. h. elaviscbe Schrift und die in
dieser geschriebenen Schriften) lernen lassen. Nach der Ueber-
lieferung hat noch Mitte des 11. Jahrhunderts in Yysehrad
eine slavische Schule (famosum Studium sclavonicae linguae)
bestanden, wo auch der heilige Prokop, Abt des sazaver Klo-
sters, welches für ihn von dem Fürsten Udalrich (Oldfich) er-
baut wurde, studirte. Die Ueberlieferung schrieb diesem Prokop
den cyrillischen Theil des berühmten (cyrillisch-glagolitischen)
Kheimser Erangeliums zu.
Aber der griecbisch-slaviscbe Ritus und das mit ihm verbun-
dene cyrillische Schriftwesen begannen sehr früh dem lateini-
uischen Ritus und der lateinischen Schrift zu weichen. Der
Verfall des erstem begann schon bald nach dem Tode Method's;
ein eifriger Verbreiter des römischen Eircbenthums war besonders
derBischof Adalbert(Vojtech) von Prag zu Ende des 10. Jahrhun-
derts. Das cyrillische Schriftwesen, welches im Kloster Sazava
einen Zufluchtsort fand, blieb eine Ausnahme; der Papst verur-
theilte den slavischen Gottesdienst und endlich am Ausgange des
U.Jahrhunderts wurde das sazaver Kloster lateinischen Mönchen
an^ehändigt. Von da an erlangte der lateinische Ritus end-
gültig die Herrschaft, und da sich schon die Spaltung der Kirche
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28 FünfteB Kapitel. I, Die Ceohen.
vollzogen hatte, so wurde Böhmen katholisch. Es gibt jedoch
historische Zeugnisse, dass sich Reste der alten Ueberlieferung
theilweise im Volke erhalten hatten, z. B. dass das Abendmahl
unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein) sogar noch bis zu den
Zeiten Huse' bestand, wo es zu einer der Losungen der national-
religiösen Bewegungen bei den öechen wurde; dass es noch im
14. Jahrhundert „Schismatiker und Ungläubige" (nach dem Ans-
druck der päpstlichen Bulle vom Jahre 1346) gab, welche die
Kirchenlehre in lateinischer Sprache nicht angenommen hatten, —
und eben für diese gründete Karl IV. mit Erlauhniss des Papstes
das slavische Kloster Emmaus, wo aus Bosnien, Dalmatien und
Kroatien berufene glagolitische Mönche den Gottesdienst in sla-
vischer Sprache verrichteten, Öechische Gelehrte nahmen ein
glagolitisches Scbriftthura auch für die ältesten Zeiten ihrer
Geschichte an; nach den Ansichten anderer Gelehrter dürften
aber die vorhandenen Denkmäler der dechischen Glagolica
einer spätem Zeit angehören, eben den Glagoliten des Emmaus-
klosters. '
Denkmäler dieser ältesten Periode haben sieb nicht e^
halten, weder cyrillische noch glagolitische, ausser ärmlichen
' Velier das älteste f echische Sohriftwesen gibt es eine beträchtliche Lite-
vatur: — I. J. HanuE, „Das Schriftwe«eii and Sohriftthuin der bÖhmiBoh-
alovenischen Völkerstänime in der Zeit des Uebergftnge« aus dem Beiden-
thnm in da« Chriatenthum" (Prag 1867). — E. Novikov, „l'ravoslavie n
Ceohov" (in „Ctenija" der Moek. Gesellschaft der Geschichte and Alt«rthanii'.
1848).— W. Wattenbach, „Die slavische Liturgie iDBühmeo und die alt-
vussisohe Legende vom heiligen 'VVeuzel" (Breslau 1857). — A. Hilferding,
„Hua. Ego otnoSenie Ic pravoslavnoj cerkvi" (St. Petersb. 1871). — K. N«-
vostruev, ,,0 vostoEnoj cerkvi u Ccchov i o staroj sluJbf sv. Yjafeslavu''
Rad jugoslftv. akftd. 1879. XXI. — I'. J. Schaff arik, „Glagolitische Frag-
mente" (Prag 1857). — I. Sreznevskij, „Glagolgkie otryvki. najdennye v
I'ragfi" {in „IzvCstija" der 11. Abth. der Akademie, 6. Bd. 1857); Tiber die
Kiewer glagolitisehe Handschrift in „Trudy" des 3. Arohäologisohen Con-
gresnes, 2. Bd., und in ,,S1iomik russk. otdel. akad.", 15. Bd. — Jus. Kular
in „CasopiB" de» Böhmischen MuaeumB, 1875, 11 und 1878, 111. — Ä. Pater»,
Oeske a starobulhareke gloesy XII stoloti (in „Clasopis" 1878, IV).— V.Ma-
kuSev, „Iz ftejiij o staroEeskoj piemonnosti" (Filolog. Zapiski, Voronei
1H77, Hefl IV— VI; 1878, Heft 111; auf diese Artikel lenken wir besonders
die Aufmerksamkeit des Lesers). — Ueber das Rheimscr Evangelium, vcl-
cht's bei der Krönni^ der franeösischen Konige benutzt wurde, gibt es eine
ganze Literatur. Vei-gl. P. Biljarakij, „Sudby uerkovn. jaeyka", U. (St
Petersb. 1846); Makuiev a, a. 0., n. a.
.....Gooj^lc
Entdeck angen alter Literaturdenliniäler. 29
Ueberresten. Als einzige lebendige Spur des slariscben Eirchen-
vesens bei den Gechen ist das kurze geistliche Lied „Hospo-
dine pomiluj ny" („Her erbarme dich unser")' gebliehen, dag
seh nar in einer Abschrift aus dem 14. Jahrhundert erbalten
bat und früher dem heiligen Adalhert (gest. 997) zugeschrieben
wurde. Nach der Meinung Dobrovsk^'s ist dieses Lied viel älter
nnd ^afarik bezog es, wenn auch nicht auf die slaviEchen Apostel
Cyrill und Method selbst, so doch auf ihre nächsten Schuler;
nach der Meinung Makuäev'a dürfte es von den sazaver Mönchen
im 11. Jahrhundert verfasst worden sein. ^
Wir gehen zu jener verwickelten Frage der alt- und neutechi-
schen Literatur über, welche die slavischen Gelehrten besonders
in den letzten Jahren sehr aufgeregt bat.
In allen neuern Literaturen Europas ist seit Ende des vorigen
and besonders seit Anfong des jetzigen Jahrhunderts eine ange-
strengte Erforschung und Restaurirung des AlterthumB einge-
treten. Mit seltenen Ausnahmen, wo sich das Andenken an die
alte Literatur wegen des hervorraa;enden Ruhmes einzelner Werke
erhalten hatte, waren die Denkmäler derselben für die neuere Ge-
sellschaft eine Entdeckung, wie etwas später auch die lebendige
Volkspoesie eine solche war. Dieses Interesse an der alten Zeit
ging sowol aus der Bewegung der historischen Wissenschaft als
ans dem Leben selbst hervor, welches neue politische Stützen und
nationales Bevmsstsein suchte. Die Resultate dieser Forschungen
übten wirklich auch auf die .\usbreitung wissenschaftlich -bisto-
HBcher Ideen einen Einfluss aus und zugleich auf die Stellung
national-politischer Fragen. Alterthumskunde und Ethnographie
mischten sich ins praktische Leben; die nationalen Instincte
weckend, wurden sie zu einem nicht unwichtigen Factor in den
' Vjfbor K liter. feske, I, 27; HanuS, „Maly vybor" etu., S. G4— (i«
!Pr»g 1863).
' Die Denkmäler, in welchen siuh direct cilcr indirect Spuren der ey-
riHisohen Uelierlieferung hei den Ceohen erhalten haben, sind folgende: —
Die togenaDDte pannoniache Legende von den Heiligen Cjrill nnd Method. —
Ilie Legende vom heiligen Wenzel, Füreteu von Bühmeo, erhalten in alten
nuriichen Handayliriften, — Liturgie und Kanon zu Ehren des heiligen
tteniel, in ruBBischen Handschriften. — Das Itheiniaer Evangelium. —
IVager und Eiewüi' glagolitische liturgische Fragmente. — AltliiilgariBohe
Glossen neben Eechischen, entdeckt in einer HandBchrift des 12. Jahrhunderts
von A. Pfttera. — Endlich verschiedene historische Andentungen,
ü,g :.._.. ..Google
30 Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
politischen Bewegungen. Bei den slavischen Völkern spielten sie
insbesondere diese Bolle in den enthasiastisclieD Aufwallungen der
nationalen Renaissance. Oben war davon die Rede, welchen etar-
keu Eindruck in diesem Sinne das Auftauchen der serbischen
Volkspoesie auf dem Schauplatz der Literatur machte. Bei den
Cechen gab es damals noch nichts Aehnliches; es zeigte sich kein
scharf herTOrtretendes Factum des nationalen Alterthnms oder der
Gegenwart, das eine gleiche Wirkung hätte hervorbringen können.
Es begannen angestrengte Bemühungen um die Durchforschung der
nationalen Schätze: die gegenwärtige Volkspoesie war nicht bedeu-
tend; deshalb wendete man sich an die alte Zeit, — das entsprach
auch besser der schon bestehenden Gewöhnung an literarische
Alter thumskunde. Die Mühen blieben nicht unbelohnt. Seit dem
zweiten Jahrzehnt des gegenwärtigen Jahrhunderts ward bei den
Öechen eine lange Reihe von Entdeckungen gemacht: die gesuch-
ten Schätze wurden gefunden.
Da das Schicksal dieser Werke mit den neuem Fragen der
6echischen Literatur eng verbunden ist, so ist es nöthig, specieller
bei ihnen zu verweilen und zwar im Zusammenhang mit dieser
neuern Literatur.
In chronologiacher Ordnung trat von 1816 an folgende Reibe
neuer Entdeckungen ein :
Im Jahre 1816 wurde von Joseph Linde, damals Student (von
ihm wird noch weiter unten die Rede sein), das „Lied unter dem
Vysehrad" („Piaen pod Vylehradem") auf dem Pergamenteinhand
eines alten Buches gefunden. Dobrovsk^ setzte das Lied ins
13. Jahrhundert.
Im Jahre 1817, im September, fand Wenzel Hanka im Ge-
wölbe des Kirchthurms in dem Städtchen Königinhof 12 Per-
gamentblätter kleinen Formats, welche das Fragment einer um-
fänglichen Handschrift bildeten. Diese Blätter, mit ganz ori-
ginalen epischen Dichtungen aus der alttJechi&chen Zeit nnd
lyrischen Liedern erhielten den Namen der ,,Königinhofer Hand-
schrift" („Rukopis Kralodvorsk;^"). Man setzte sie ins 13.—
14. Jahrhundert.
Im Jahre 1818, als der Oberstburggraf des Königreichs Böh-
men, Graf Kolovrat-Libsteinsk^, im April einen Aufruf an Freunde
der Wissenschaften und Patrioten erliess mit der Einladung z»
Schenkungen für das damals errichtete Böhmische Museum, em-
pfing er im November mit der Stadtpost vier Pergamentblätter,
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Entdeokungea alter Literaturdenkmäler. 13
mit dem snonymen Brief eines Patrioten, welcher besagte, diese
„im Staube verworfenen" Blätter wären aus dem Familienarchiv
eines Herrn, eines „eingefleischten deutschen Michel", -der sie eher
Terbrannt als dem Böhmischen Museum geschenkt hätte. Auf
deo Blättern befanden sich zwei epische Bruchstücke mit einem
Stoff aas der ältesten Zeit. Es war das später so berühmte „Ge-
richt der Libusa" („Libusin send"; von 1859 begann man die
Randschrift die „Grünberger" zu nennen), den vermeintlich älte-
sten Ueberreet des 6ecbischen Schriftwesens aus dem 10-, ja
ä. Jahrhundert
Im Jahre 1819 wurde wieder auf dem Pergamenteinbande
einer alten Handschrift das „Minnelied König WenzePs I." und
dsbei „Jelen" („Der Hirsch"), eins von den Liedern der Königin-
hofer Handschrift, gefunden; der Finder war ein gewisser Johann
Sepomuk Zimmermann, damals Scriptor an der Universitäts-
bibUothek, der auch d^ Fund an den böhmischen Oberstburg-
grafen sandte. Die Patrioten bemerkten mit Bedauern, dass Zim-
mermann noch einige solche Blätter gehabt habe, aber sie seien
ihm vom Winde durchs offene Fenster verweht worden, Hanka
schätzte die Handschrift des „ Minneliedes " um etwa hundert
Jahre älter als die ,,Königinhofer Handschrift".
Im Jahre 1827, als der deutsche Professor Graff im Böhmi-
schen Museum im Verein mit dem Bibliothekar des Museums,
Hanka, die Handschrift eines mittelalterlichen Glossars „Mater
Verborum" besichtigte, ward darin eine wichtige Entdeckung
gemacht, — nämlich bei den lateinischen Worten fanden sich
neben althochdeutschen Glossen auch merkwürdige ^echische
Glo^n and ausserdem in den schönen Miniaturen der Hand-
schrift die Namen des Schreibers Vacerad , des Illuminators
Miroslav und das Jahr der Abfassung der Handschrift, das zuerst
Ala 11(@, später als 1202 gelesen wurde. Jetzt setzt man die
Handschrift ins 13. Jahrhundert.
Im Jahre 1828 entdeckte Hanka, abermals auf dem Einband
eines Buches, der „Disciplina et doctrina gymnasii Gorlicensis",
Bruchstücke einer cechischen Uebersetzung des Evangelium Jo-
hannis. Dies sind die sogenannten „Görlitzer Fragmente", die
von cechischen Gelehrten ins 10. Jahrhundert gesetzt wurden.
Endlich, viel später, im Jahre 1849 machte Hanka noch
eine letzte Entdeckung, er fand nämlich unter der Naht des
Einbandes einer Handschrift aus dem 15. Jahihandert Pergament-
ü,g :.._.. ..Google
32 Fünftes Kapitel. I. Die l'eolieti.
streifen, auf welchen „Die Prophezeiungen der Libnäa" in
fiecbisoheo Versen standen. Der lateinische Text dieser Prophe-
zeiungen, welche von den £echiscben Gelehrten ins 14. Jafar-
bundert gesetzt werden, war von ihm schon früher entdeckt
worden.
Diese Entdeckungen , namentlich die ersten , bildeten ein
Ereigniss von grosser Wichtigkeit. Vorher waren nur wenige
und wenig originale Denkmäler des äechischen Alterthums be-
kannt-, hier aher eröffneten sich Horizonte des AlterthnniE,
wie sie das Nationalgefuhl des Patrioten nur träumen mochte.
Im Sechischen Alterthum fanden sich Werke, wie sie der Stolz
der Literaturen zu sein pÜegen : das ^echische Schriftwesen
reichte mit seinen Anfängen in die entferntesten Jahrhundert«
zurück, bot merkwürdige Früchte einer alten selbständigen
Poesie und Bildung, gab dem Nationalbewasstsein eine lange
und ruhmvolle Stammtafel. In der That, zu derselben Zeit, wo
die Görlitzer Fragmente bei den Öechen ein ebenso altes christ-
liches Denkmal darstellten wie die Freysinger Fragmente bei
den Slovenen, lieferte das „Gericht der LihnSa" ein noch in der
slavischen Welt unerhörtes Gedicht aus der vorchristlichen
Zeit, mit scharf hervortretendem nationalem Gegensatz zwischen
Slaven- und Germanenthum ; die „Mater Verborum" zeugte
mit ihren (Jecbiscben Glossen , dem Namen des Schreibers und
Zeichnen von einem bedeutenden Stand der cecbischen Bil-
dung (nie man annahm, im Uebergang vom 11. zum 12. Jahr-
hundert) und bot in den Glossen, bei den Erklärungen der
lateinischen mythologischen Namen und anderer Worte aber-
mals bisher noch nicht bekannte Zeugnisse von der heidni-
schen Theogonie der Slavo-öechen und ihren ältesten Lebens-
verhältnissen; „Die Königinhofer Handschrift" erwies sich als
ein Muster episch-nationaler Kunstdicbtungen , die mit einziger
Ausnahme des „Liedes vom Heereszug Igors" eine unerhörte
Erscheinung in den slavischen Literaturen waren; ein ebensolches
Muster altcechischer Poesie waren das „Lied unter dem Vyäe-
brad" und das „Minnelied König Wenzel's".
Die bedeutendsten der aufgezählten Denkmäler sind das „Ge-
richt der LibuSa" und die „Königinhofer Handschrift".
Das „Gericht der Libusa" enthält zwei Bruchstücke: erstens
neun Verse, welche, wie man annimmt, den Schlusa einer Be-
rathung der Volksversammlung über Stamm esverfassung bilden,
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
BatdeckuDgen. 33
und zweitens lil Verse, welche den Anfang einer Erzählung
über das Gericht der Fürstin Libuäa in einem Streite zweier
Brüder, Chrudos und Stühlav (Stiaglar), über das Erbe enthalten.
Bei der Wichtigkeit des Streits berief Libusa einen Ratb von
nEineten, Lecheu und Vladyken'^ : sie setzte sieb in glänzendem
Kleide auf den „goldenen väterlichen Thron", ihr zur Seite stan-
den zwei kluge Jungfrauen, eine mit den „rechtgebenden Tafeln",
die andere mit dem Schwerte, welches das Unrecht straft, ihnen
gegenüber die „ recbtkündende Flamme" und unter ihnen das
^^eilig-reine Wasser" (die Werkzeuge des Gottesgerichts). Die
Versammlung berieth über die Frage der Fürstin und entschied,
dass die Brüder das Erbe gemeiusam besitzen sollten. Aber der
kühne Chrudos widersetzte sich dieser Entscheidung und belei-
digte Libusa mit den Worten: „Wehe den Männern, über welche
eine Frau herrscht." Libusa schlug der Versammlung vor, uuter
sich einen Mann zu wählen, der über sie „nach Eisenart" herrsche,
veil ein Mädchenarm dazu zu schwach sei. Das Fragment
schliesst mit den bekannten Versen: „Unlöblicb ist es für uns,
imter Deutschen das Recht zu suchen, bei uns besteht das Kecht
nach dem geheiligten Gesetz, welches unsere Väter brachten in
diese . . ." (Uebersetzung von J. Jireiek.)
Der Grundsto£F des Gedichts fand sich bei dem lateinisch-
böhmischen Chronisten Kosmas von Prag.
Einen nicht weniger starken Eindruck brachte die im Jahre vor-
her entdeckte „Königinhofer Handschrift" hervor: ihre Zeit setzten
die ^chiscben Gelehrten in die Jahre 1290 — 1310 oder etwas früher.
Diese Handschrift, schön auf kleine Fergamentblätter geschrieben,
bildet nur den kleinen Theil eines ursprünglichen Sammelbandes;
es haben sich in ihr nämlich nur das Ende des 2ö-, das 26., 27.
und der Anfang des 28. Kapitels des dritten Buches erhalten.
Diese vier unvollständigen Kapitel des einzigen dritten Buches
enthalten sechs grosse Gedichte und acht kleine Stücke; man
koaute sich danach also ein Urtheil über die Reichhaltigkeit des
ganzen Sammelbandes bilden, der noch dazu wol nicht der einzige
in seiner Art gewesen war. Kurz die Köuiginhofer Handschrift
hess ausser ihrem vorliegenden Inhalt ein ganzes Reich natio-
naler Epik und Lyrik in der ^echischeu Literatur vor dem
14. Jahrhundert erratben. Trotz ihres späten Alters hat die
Handschrift neben Dichtungen z. B. des 13. Jahrhunderts auch
Erzeugnisse eines hohen Alterthiims bewahrt, die neben dem
Frru, SUiliche Lltsuturan. U, 1. 3
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54 Fünftes Kapitel. I. Die Cecbep.
„Gericht der LibuSa" ein ganzes Gemälde des heidnischen Lebens
in Böhmen entrollen — Werke, welche sich noch dazu durch
solche Züge Tolksthiimlicher Poesie auszeichneten, dass sie ein
grosser Theil der Kritiker direct als ein niedergeschriebenes ei-
gentliches Volksepos aufnahm. Die lyrischen Lieder der Königin-
hofer Handschrift hatten ihre Parallelen in der Volkspoesie der
slarischen Stämme, und man nahm an, dass sie direct aas dem
Munde des Volkes oder eines Volkssängei-s niedergeschrieben
seien. In andern Stücken musste man schon Knnstpoesie sehen,
wenn sie auch dem Inhalt nach national geblieben war.
Von allen Gedichten der „ Königinhofer Handschrift" galt
dem Inhalt und der Composition nach für das älteste das epische
Gedicht „Zdboj und Slavoj", wo die Befreiung der Cechen
von irgendeinem fremden König durch zwei Helden Zäboj und
SlaToj beschrieben wird. — Das Ereigniss ist der Geschichte
nicht bekannt, aber man setzte es nicht später als ins 9. Jahr-
hundert, oder sogar in die erste Hälfte des achten. Das Necki-
sche Alterthara wird hier in scharfen Ziigca gezeichnet, mit
einem energischen Gefühl nationaler Freiheit, mächtigen Kri^js-
thaten, Opfern an die heidnischen „rettenden Götter" und Er-
innerungen an den ruhmvollen Sänger Lumi'r, der „mit Worten
und Gesang den Vyäehrad und alle Gaue bewegte". Ein anderes
Gedicht „Öeatm(r und Vläslav" erzählt von der Niederlage
des Fürsten der Luöaner, Vlastislav, durch den tapfern Öestmir
oder Ctmir, den Heerführer des Fürsten Neklan, — ein Ereig-
niss, das aus Kosmas von Frag und aus den öechischen Chro-
nisten bekannt ist und sich auf die erste Hälfte des 9. Jahrhnn-
dcrts bezieht. Hier ist dasselbe Bild heroischer Thaten und heidni-
scher Sitten; aber trotz der Aehulichkeit des Stoffes, der in der
Erzählung von Schlachten, Feldzügen, Darbringungen von Opfern
besteht, hat „Öestmfr" seine Eigenthümlichkeiten. Weiter „Jelen"
das poetische Bild des Todes eines Jünglings, der im Gebirge
hinterlistig vom grimmen Feind erschlagen wurde: „es lag der
Jüngling in der kühlen Erde, über dem Jüngling wuchs ein Eich-
lein, eine Eiche, breitete sich in Aeste aus weiter und weiter,"
In dieser kleinen Erzählung sehen die 6echischen Kritiker den
Stempel eines fernen Alterthums. ' „Jaromir nnd Oldrich"
' Palack)' sagte von ilit'Bem Liede: „Die besonders den slaviichen
YDlkslii-diTD eigeuo Symliolik der Natur im VorhSltniss zu den snbjpctiTeo
...., Google
EntdrcknngBii. 35
»t das Bruchstück, mit dem die noch vorhandenen Blätter der
Handschrift beginnen: hier wird die {Niederlage Boleslav'e des
Kühnen, Königs von Polen, gefeiert und die Befreiung der Öechen
fon der polnischen Herrschaft, im Jahre 1004. „Zbyhofi", ein
kleineres Gedicht, vereint wie„Jelen" den epischen Ton mit dem
tjrischen, galt aber nicht für so uralt, — es erzählt, me einem
Jüngling die Geliebte geraubt wird: er klagt um sie im Walde
mit einem Tauber, welchem der Sperber die Taube genommen
hat, aber dann stürzt sich der Jüngling in die Burg, erschlägt
Zbjlioi'i „mit dem Hammer" und haut alle Leute im Schlosse
nieiler. Die befreite Taube flog, wo sie wollte, im Walde
mit dem Männchen, und schlief mit ihm auf einem Zweige;
das befreite Mädchen „wandelte hier- und dorthin, überall wo
sie wollte, — schlief mit dem Geliebten auf einem Lager".
Das Gedicht „Benes Hefmanöv", in der Handschrift mit dem
Titel „Von der Besiegung der Sachsen", bezieht sich wieder auf
ein Ereigniss yod 1203, das historisch bekannt ist. Diese Nieder-
werfung der Sachsen durch Benes (bekannt ans böhmischen
Urkunden von 1197 — 1220) fand in Abwesenheit des Königs
Otakar I. statt, als ein Heer des Markgrafen von Meissen, der
die VerstoBsung der Königin Adelheid rächen wollte, in Böh-
men eindrang. „Benes" unterscheidet sich schon von den
bereits erwähnten Gedichten in Inhalt und Form; es ist ein
Beispiel von Knnstpoesie , ein historiscbeB Lied in Strophen,
nicht blos eine Beschreibung der Schlacht, sondern auch ein
lyrischer Ansdmck der Freude über die Errettung vom Feinde.
Femer beschreibt das Lied „Ludisa und Lubor", in der
Handschrift unter dem Titel „Von dem festlichen Kampf-
Kpiel", ein Toumier, das zu den Zeiten eines gewissen pola-
bischen Fürsten abgehalten sein soll, obgleich die Tourniere
bei den Oechen nicht vor dem 13. Jahrhundert eingeführt
intrden. Eins der grösaten Stücke der Königinhofer Hand-
schrift, „Jaroslav", im Original mit dem Titel „Von den
grossen Kämpfen der Christen mit den Tataren", bezieht sich
auf den historisch bekannten Sieg Jaroslav's von Stemberg über
die Tataren 1241 bei Olmütz — einen Sieg, welcher Mähren
Ton den Tataren befreite. Oechische Kritiker fanden, dass im
Momeuten de menscliliohen Lcbi'ns tritt am itärkstcn in (liesfra lAede
bervor und gibt ihm ciDcn geheim ninB vollen, myitiachcn Ton."
ü,g :.._.. ..Google
36 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
„Jaroslav" die Volkspoesie auf dem Gipfel ihrer künstlerischen
Entwickelung erscheine: die ganze Anlage der Dichtung, — die
Erzählung von der schönen tatarischen (rassischen) Prinsessin, der
Tochter des Chans Kublai; vom Siege bei Olmütz und dem Unter-
gang des mongolischen Prinzen; von dem Wunder auf dem Hos-
ten ; eine gewisse zweckvolle Vertheilung des Materials — bewog
die Kritiker zu dem Schlüsse, dass dieses Gedicht das Werk eines
Verfassers sei, der mit den Kunstdichtungen jener Zeiten be-
kannt war, dass sich hier schon der Einduss der mittelalter-
lichen Romantik zeige. — Endlich gelten die kleinen Stücke: Das
Striäusschen, Die Erdbeeren, Die Rose, Der Kukuk,
Die Lerche, für Volkslieder, welche in die Sammlung direct
aus dem Munde des Volkes gelangt seien, mit Zügen, die auch
der gegenwärtigen Volkspoesie der Slaven bekannt sind-
Diese beiden Entdeckungen waren es insbesondere, welche
die frühere Ansicht über das öechische Alterthum veränderten,
indem sie zugleich ein unverhofftes Material zu seiner historischen
Erklärung gaben. Auf Grund dieser Werke begann man ver-
schiedene Perioden der äechischen Cultur, von der heidnisches
und reinslavischen Epoche bis zur Epoche der Kunstpoesie und
-der unter deutschem Einduss stehenden poetischen Bearbeitung der
mittelalterlichen Sagenkreise zu unterscheiden : zwischen „Zäboj"
und „Jaroslav" musste man Jahrhunderte einer literarischen Ent-
vrickelung annehmen. Die Mehrzahl der öechischen Historiker
nahm an, dass die ältesten Lieder der „Königinhofer Handschrift"
Erzeugnisse der Volks-, und nicht der Kunstpoesie seien, und ver-
glichen sie mit dem Epos der Serben und Russen. Das Aeussere
-der ältesten Lieder habe sich allerdings von Geschlecht zd Ge-
schlecht verändert, aber es hätten sich darin doch Anklänge
uralter Cultnrverhältnisse erhalten; die Anwesenheit heidni-
schen Elements wurde erklärt wie im „Liede vom Heereszng
Igor'B", wobei man daran erinnerte, dass sich das Heidenthum
noch lange nach Einführung des Cbristeuthums gehalten habe,
dass noch im 11. — 12. Jahrhundert der fcechische Füi-st Bfetjslav
Wahrsager und Zauberer aus dem Lande jagte, vom Volke ver-
ehrte Haine und Bäume niederbrennen liess und überhaupt die
noch im Volke lebenden heidnischen Gebräuche vernichtete.
Aber wie diese Funde eine Perspective auf das historische
Leben entfernter Jahrhunderte eröffneten, erhielten sie zugleich
damit eine ausserordentliche Bedeutung in der Gegenwart, indem
Entdeckungen. 37
nt dem nationalen Stolz und Selbstbewusstsein Nahrung gaben.
Keio einziges slaviEchee Volk besasB einen solchen Reicbthum an
alten poetischen Denkmälern — besonders wenn man erwog, dass
in der „ Königinhofer Handschrift" nur ein kleiner Theil einer
omfaDgreichen Sammlung auf uns gelangt sei. Die ungewöbn-
Uche Entdeckung war ein starker Impuls fUr diejenigen natio-
nlen Bestrebungen, von denen der damals enge, aber sich
daon immermebr erweiternde Ereis der Patrioten erfüllt war.
Sie hatten eine mbmToUe Vergangenheit j ihre Arbeit war nicht,
alles neu aufzubauen, sondern einst schon vorhandene Schatze
des nationalen Lebens zu reconstruiren. Die alten Dichtun-
gen zeugten von einem freien und unabhängigen Verhältniss
zu den Deutschen: schon im 9. — 10. Jahrhundert war gesagt
worden, dass es „unlöblicb sei, unter Deutschen Recht zu su-
chen" — es erübrigte blos, das Vermächtniss der Vorfahren,
gegeben vor 1000 Jahren, zu vollzieben, um nationale Selbstän-
digkeit zu erlangen. Unter diesen Eindrücken gestaltete sich die
Erforschung der vergangenen Geschichte, entwickelte sich die
Denere Literatur. Das „Gericht der Libusa" und die „Königin-
hofer Handschrift" wurden zu einem Nationalschatz.
Ihre doppelte, wissenschaftlich-historische und nationale Be-
deutung reflectirte sich auch in andern slavischen Literaturen.
Diese Denkmäler wurden für die slarischen Gelehrten (mit nur
einigen Ausnahmen, von denen später) zu einem der werth-
ToUsten Originalzeugnisse über das cechische und zuweilen auch
gemeiuslaviscbe Alterthum, über Sprache, Mythologie, Sitten und
Gebiäncbe, Cultur; mit Citaten aus dem „Gericht der Libusa",
der „Königinhofer Handschrift", der ,, Mater Verborum" stützten
ihre mythologischen Theorien, Forschungen über das alte Ge-
meinwesen, über die Formen der alten slavischen Poesie
u. B. w., nicht nur cecbische Gelehrte (wie Safarik, Palacky,
Erben u, s. w.), sondern nicht weniger russische (Bodjanskij,
Sreznevskij, Afanasjev, Kotljarevskij , Hilferdiug, K. Aksakov
n. a.). An diesen Denkmälern begann die neue Generation
mssiscber Slavisten die £echische Sprache zu studiren, ihnen
waren Libusa und die Helden der Königinhofer Handschrift
ebenso bekannt, wie die Helden der msBischen Chronik und
des „Liedes vom Heereszug Igor's". In den Vorstellungen
einer gesammtslavischen Einheit, zu dem Bewusstsein einer
calturellen Besonderheit der Slaven, gewisser Vorzüge des
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
38 Fünftes Kapitel. I. Die Ccchen.
tfationalcharakters hatten die cechigchen Dichtungen einen iiicht
geringen Einfluss, wie das serbische Epos, wie Ne&tor's AnnaleD
und andere Denkmäler ersten Ranges des literarischen Alter-
thums der Slaven.
Allein die Freude und die Genugthuung, welche die öechi-
schen Denkmäler durch ihre historischen, poetischen, nationaleu
Vorzüge lieferten, war keine vollständige. Gleich von Anfang
an tauchte ein fataler Verdacht auf, zuerst nur gegen einige,
später aber gegen alle obengenannten Entdeckungen der sehuer
und zwanziger Jahre, nämlich dass sie gefälscht Beien. Als
die ersten Entdeckungen kamen, war noch der „Patriarch"
der slavischen Philologie, der berühmte Abbe Dobrovskj?, am
Leben. Beim ersten Blick auf das „Gericht der Libusa", welches
unter andern ungewöbnliche paläographische Eigentbümlichkeit«ii
zeigte, erklärte er es für ein Falsificat; über die „Königinbofer
Handschrift" war er selbst entzückt; glaubte beinahe an das „Lied
unter dem Vysehrad", erkannte aber in der Folge doch die Fäl-
schung sowoi in diesem Liede als auch später in den Görlitzer
Fragmenten. Unter dem Einflusa des Urthetlspruchs Dobrovskf s
wagte man in Frag lange nicht, das „Gericht der Libusa" zu
drucken; über die „Görlitzer Fragmente" versprach er zu schwei-
gen , wenn Hanka schweigen würde, — aber er theilte seine An*
sieht Kopitar mit, für den Fall, dass diese Fragmente später
herausgegeben werden sollten. Als das „Gericht der Libula"
dennoch gedruckt wurde, nannte es Dobrovsky (1824) offen eine
Fälschung. Seitdem hat der Verdacht nicht aufgehört; nach
Dobrovsky hielt Kopitar hartnäckig daran fest, dem sich
später Miklosich anschloss, indem er jene Entdeckungen durch
sein Schweigen darüber verwarf. Der Verdacht richtete sich vor-
züglich gegen Hanka, der in verschiedener Weise mit diesen Ent-
deckungen in Berührung stand. Hierin lag der Haupt^und jeuer
Feindschaft, welche man in Prag gegen Kopitar hegte, als einen
übelwollenden Verneiner und „Mepbistopheles", und die später
auf einige russische Gelehrte überging. Die Frage wurde ernst,
und deshalb veranstalteten 1840 Safarik und Falacky, die
beiden Häupter der Gelehrsamkeit bei den Cechen, eine specielle
Ausgabe, die mit einem grossen gelehrten Apparat versehen war,
und siegreich die Echtheit des „Gerichts der LibuSa", der „Gör-
litzer Fragmente" u. s. w. nachweisen sollte. Graf Matthias Thnn
gab 1845, mit einem Vorwort von Safarik, eine deutsche Ueber-
ü,g :.._.. ..Google
stielt über die Entdeckungen. 39
Getziing der cecliischen Gedichte heraus, um die Deutecheu mit
ibneD bekannt zu machen und die germaniairten fechischen Mag-
naten für das nationale Alterthum zu interessJren. In den fünf-
ziger Jahren erhob sich jedoch ein neuer Sturm, der diesmal
aach die „Königinhofer Handschrift" ergriff. Als Gegner der
Eatdeckungen traten der deutsch-östeiTeichische Gelehrte Max
Bädinger und besonders der talentvolle (früh verstorbene) Ju-
lioG Feifalik auf. Die von Hermenegild und Joseph Jirecek
heraoegegebene Vertheidigungsscbrift klärte die Frage nicht auf,
die dann noch neue Kämpfer fand. Zu den Skeptikern (hin-
sichtlich des „Gerichts der Libusa" und der „Görlitzer Frag-
mente") gesellte sich der cechische Gelehrte Alois Sembera.
Früher schon war die Unechthcit des „Liedes unter dem Vysehrad"
und des „Minneliedes des Königs Wenzel" definitiv nachgewiesen
TOrden. Endlich gab 1877 Adolf Fatera, Custos des Böhmi-
schen Museums, eine bemerkenswerthe Untersuchung über die
erwähnte „Mater Verborum" heraus, welche zeigte, dass man von
der ganzen Zahl der öechischen Glossen dieses berühmten Wörter-
buchs nur den vierten Tbeil (339) für wirklich alt halten könne,
alle übrigen aber (950) eine neuere Fälschung seien. Der Vor-
fall war bedeutungsvoll: selbst im Kreise der iechischen Gelehr-
ten wurde die Tbatsache der Fälschungen, die in der Nach-
barschaft des Böhmischen Museums vorgegangen waren, offen
abgesprochen. Der Streit entbrannte mit neuer Kraft: Alois
äemhera, Makusev, Petruszewicz traten entschieden gegen
das „Gericht der Libusa" und theilweise gegen die andern Denk-
mäler auf ; Sreznevskij, der den Urheber oder unmittelbaren
Zeugen der cechischen Entdeckungen , Hanka , genau kannte,
Echloss sich direct oder iudirect den Vertheidigern an. Im
Jahre 1879 nahm V. Lamanskij eine ganze umfangreiche
Untersuchung über die „neuern Denkmäler der alt^echischen
Sprache" vor.
Aus dem, was oben über die Bedeutung dieser Denkmäler
im historisch-nationalen Sinne gesagt wurde, ist begreiflich,
vie scharf die Frage zwischen den Gegnern und Vertheidigern
der neuem Denkmäler werden mueste. Die einen argwöhnten
mit Unwillen (und sahen alsdann) eine F'älschuug der Geschichte,
einen gelehrten Betrug, einen Patriotismus, der sich auf Unter-
schiebung stützte; die andern, gläubigen, vei'tbeidigten nicht
weniger hartnäckig das, was ihrer Ansicht nach ein National-
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
40 Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
schätz, ein heiliges Vermächtniss der Vorfahren war. Der
Streit dauert noch im gegenwärtigen Moment fort.
Und woher kamen die Verdächtigungen, und waren sie be-
gründet ?
Sie hatten äussere und innere Grande. Alle Entdeckungen
traten unter mehr oder weniger sonderbaren Umständen nt
Tage: bald waren es Pergamentblätter aus Einbänden von Bü-
chern , die von niemand ausser dem Entdecker gesehen worden
waren und dann verschwanden („Das Lied unter dem Vysehrad",
„Das Minnelied Wenzers"); bald eine geheimnisavoUe Zusendung
von einem Unbekannten, der auch nachher unbekannt blieb, als
die Wahrheit über die Entdeckung wenigstens einigen compe-
tenten Personen hätte anvertraut werden können („Das Geriebt
der LibuSa"); bald werden merkwürdige Üeberresle des AUer-
thums, die sich später deutlich als gefälscht erweisen, in einer
alten Handschrift spät und zufällig gefunden, unter Vermittelung
eines fremden Gelehrten, während sich die Handschrift schon
viele Jahre im Böhmischen Musenm befand („Mater Verborum");
bald findet sich ein Denkmal an einem abgelegenen Ort, wo
niemand als der Entdecker und ein unwissender Ortsbewohner die
genauen Umstände der Begebenheit bezeugen kann (die Königin-
hofer Handschrift). Die Entdeckungen wurden ausschliesslich in
Einem prager literarischen Kreise gemacht. Die Fälschung einiger
Denkmäler wurde gleich von Anfang an von einem begabten
Kritiker, der noch dazu Umstände und Personen kannte, Do-
brovskj?, ausgesprochen, dessen Verdict man unmöglich ausser
Acht lassen konnte; spater wurde die Fälschung in einigen Fallen
nachgewiesen. Andererseits rief auch der Inhalt der Denkmäler
Zweifel hervor: sie stellten ein AUerthum dar, das im ganzen
alten Schriftwesen der Slaven ohne Beispiel war; die gleichzeitige
und ihr folgende echt« 6cchische Literatur hatte mit ihnen
keine Anknüpfungspunkte und Parallelen (wie sie z. B. in Rassland
das „Lied vom Heereszug Igor's" mit dem Volynischen Annatcn
und der „Zadonicina" hat), oder auch einen verdächtigen Zu-
sammenhang (wie z. B. den des „Jaroslav" mit der öechischen
Uebersetztung des „Millione" Marco Polo's); die Romantik der
Königinhofer Handschrift zeigte sich nicht so sehr der ursprüng-
lichen mittelalterlichen ähnlich, als vielmehr der allemeuesten
(die Namen der Helden derselben, wie Zäboj , Slavoj, Lumir er-
innern an diejenigen, welche in neuern Romanen, die ihren Stoff
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Streit über die EntdeckuDgeD. 4!
dem Alterthum eDtnalimen, gebildet wurden). Mit dem weitern
Eindringen der Forschung in die Zustände des Mittelalters er-
hoben sich auch neue Einwände: Manches, was einige Jahrzehnte
lang als dem Alterthum treu entsprechend erscheinen konnte, or-
iries sich nicht als ganz treu, die poetischen Bilder als unmög-
lich, die Mythologie als ersonnen. Unter anderm lenkte auch
die Sprache der Denkmäler die Aufmerksamkeit auf sich. Beson-
ders im „Gericht der Libusa" sah man das künstliche Bemühen,
einHuster vemeintlich archaistischer SprEiche zugeben: diese alte
Sprache war unter dem Einfluss derjenigen Begriffe von der ur-
sprünglichen Nähe der Einheit der Dialekte in alter Zeit herge-
stellt, die sich bei den ersten vergleichenden Forschungen ge-
bildet hatten; allein Worte solcher Art fanden sich dann nirgends
weiter Tor ausser in diesen vermeintlich -alten Denkmälern, und
legten — wunderbarerweise — ganz dieselbe Neigung, die rus-
sische Sprache dabei zu benützen, an den Tag, wie sie in den
eigenen Arbeiten von Linda undHanka bemerkt wurden. Linda's
Roman „Zäre nad pohan6tvem"(„Moi^enröthe über dem Heiden-
thnm", 1818) bot sonderbare Berührungspunkte mit den alten
Denkmälern.
Das Feuer der Polemik glomm gleich vom ersten Auftreten
der neuen Entdeckungen: es entflammte sich hauptsächlich des-
halb nicht, weil es noch nicht genug wissenschaftjiches Material
m seiner definitiven Entscheidung gab. Zu Ende der fünfziger
Jahre kam der Zwist mit solcher Schärfe zum Ausdruck, daes
die paläographische und antiijuarische Frage zum Gegenstand
einer Criminaluntersuchung wurde, wobei zu Gunsten der Denk-
mäler entschieden wurde. In den letztem Jahrtsn ist der Streit
im Gebiet der wissenschaftlichen Kritik mit neuer Kraft wieder
ausgebrochen und man darf hoffen, dass er endlich zu einer
Klämng der Sache führen wird.
Die Geschiclite der oben genannten Denkmäler der altcechiachen Li-
teratur hat schon eine faetrüchtlicbe Literatur hervorgerufen :
Hinsichtlich des „Liedes unter dem Vysehrad", des „Minneliedes
König Wcnzel'B", der cechischen Prophezeiungen der Libusa u. a. aiehe
Hanns, „Die gefälschten böhmischen Gedichte aus den Jahren 1816 —
1849« {Prag 1868).
Das „Gericht der Libasa", wie wir bemerkt haben von Dobrovsky
Terd&chtigt, wagte man zuerst in Prag nicht herauszugeben. Die erste
■Ausgabe, nicht sehr correct, nach einer ans Prag gesandten Abschrift
warde von dem polnischen Gelehrten Bakowiecki in dessen „Prawda
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42 FünftcB EapileL L Die Cechen.
Buska" (Warsuliau 1820) veranstaltet; vou dort druckte es Sibkuv
ab, in „Izvestija Roasijek. Äkademli" 1821, 11. Tbl.; erat hiernach er-
schien das „Gericht der Libusa" in Prag im Journal „Krok", 1822,
wo es correcter von Jungmann berauagegeben wurde. Gereizt durdi
die Herausgabe der verdächtigten Schrift, sprach Dobrovsky Beioen
Verdacht in der Prease aua, in „Hor^ayr's Archiv" und io den „Wiener
Jahrbüchern der Literatur", 1824. Safarik und Palacky sammelten
in dem Buche „Die ältesten Denkmäler der böhmischen Sprache" (Prag
1840) die Zeugnisse zu Gunsten der Echtheit des Denkmals, und ihre
Autorität beeeitigte auf lange alle Zweifel. Die üechiachen und andern
slaviscben Gelehrten (mit der erwähnten Auanahme von Kopitar, Mik-
loaich und tbeilweise, wie es scheint, Wocel) benutzten unbedenklich Bo-
wel das „Gericht der Ltbusa" aU die Königinhofer Handschrift zur
Darstellung nicht nur des cecbischen, aondem auch dea gesammtalavi-
sctien Alterthums; der Yers dea „Gericbta der Libusa"; „Unlöblich ist
es f^r uns, unter Deutschen Beeilt zu suchen" — wurde zum Loenngv
wort eines alavischen (antideutschen) Patriotismus; auf dem „Geridit
der Libusa" wurden Theorien vom altslaviachen Leben aufgebaut (Runter
anderm bei K. Aksakov).
Die Königinhofer Handschrift flösste auch Dobrovsk;^ keine Zweifel
ein; im Gegentheil, er betrachtete aie als ein koethares Denkmal des
üochischen Alterthums („Geschichte der böhmischen Sprache und Lite-
ratur", 2. AuBg. 1818, S. 385 — 390). Die erste Auagabe derselben
veranstaltete Hanka: „Rukopis Eralodvorsk;^. Sebräni lyricko-epickych
zpevüv" (Frag 1819; als ein besonderes Bändchen seiner Sammlung
„Starobylä Sklädanie") ; dann folgt eine Iteihe anderer Ausgaben Hanka's
(zusammen mit dem „Gericht der Libusa") bis 1861. £ine photogra-
pbische Ausgabe von A. Vrfätko (dem Nachfolger Hanka's im Böh-
mischen Museum; Prag 1862). Eine deutsche Uebersetzung von W. A.
Svoboda, bei der Ausgabe von 1829; J. M. Graf Thun'a „G.edichte
aua Bölunena Vorzeit" (Prag 1845; mit einem Vorwort von Safarik,
der mit Palacky den cechischen Text dieser Ausgabe verbessert hatte).
Ruasiac^e Ausgaben, Uebersetzungen und Gommentare: vom Akade-
miker Siskov, in „Izviat. Rosaijsk. Akad." 8. Tbl. (und besonders,
1820); von A. Sokolov, in Ucen. Zapiski Kazausk. Univ., 18iö— 46;
Uebertragung in Versea von N. Berg (Uoakau 1846), und iu Hanka's
„Polyglott*" (Prag 1852); von Ivan Nekrasov (St. ^etersbuixl872).
Von cechischen Commentareii seien die Arbeiten von Safarik, Wocel
(in Casopis I8fi4Xund besonders V, Nebesky („Kralodovorsky ruko|Ha'',
Prag 1653, aus Üasopis, 1852 — 53) erwähnt. Al>er hauptsächlich ist
die Literatur der Königinhofer Handschrift (und auch dea „Gerichts der
Libusa") vom Ende der funlziger Jahre an gewachsen. Damals wurden
die alten Zweifel verschärft und ausgesprochen in den Artikeln der
Zeitschrift „Tagesbote aua Böhmen": „Handschriftliche Lügen und pa-
läographiscbe Wahrheiten" (1868, November) von einem unbekannten
Autor, in den Abhandlungen von Hax Büdinger („Die Königinhofer
Handschrift und ihre Schwestern", in Sybel'a Historischer Zeitschrill,
1859), von Ed. Schwamuiel (Denkschriften der Wiener Akademie 1660)
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Streit über die Enldccknageu. 43
Ulli besoaHera von Julias Feifalik („Ueber die Königitibofer Uarnl-
scbrift". Wien 1860).
Der hifitoTisch-literBriBche Streit nahm den Charakter eines natiu-
nalen ZaBammenatoBBes an. Die bestrittenen Haudschriften waren in
dcD Augen der Cechea ein nationales Kleinod, eine Zierde ihrer Lite*
rttar; sie hatten den nationalen Stola und den Geist der Unabhängig-
keit den Deutschen gegenüber geweckt. Es iat kein Wunder, dass auch
die Gegenpartei in die wissenschaftliche Frage nationale Feindschaft und
Intoleranz hineintrug. Die „Handschriftlichen Lügen" riefen einen Pro-
ceas zu Prag hervor, der mit der Vernrtheilung des Bedacteurs der
Zeitung wegen Verleumdung endete. Aus diesem Anlass wurde eine
ganze literarische Untersuchung veranstaltet — es wurde gefunden, wer
dm „Gericht der Libnsa" anonym fUr das Böhmische Museum einge-
undt hatte u. s. w. Die Handschrift des „Ueridits" erhielt seitdem den
Namen der Grünberger. Diese Untersuchung ist in einem Artikel von
Tomek im „Oasopia" dargelegt und in der deutschen Ausgabe desselben:
„Die Grünberger Handschrift" (Prag 1859). Ausser den gerichtlichen
traten auch wissenschaftliche Vertheidiger beider Denkmäler auf.
Beide Parteien sammelten alles, was sie konnten, für und gegen
diese Denkmäler, von verschiedenen Gesichtspunkten aus — der Paläo-
graphie, Geschichte, Literatur, Aesthetik. Das Hauptvertheidigungswerk
'ar das Buch der Brüder Jirecek: „Die Echtheit der Königinhofer
Handschrift, kritisch nachgewiesen" (Prag 1862).
Dann traten auf Brandt, im „Öasopia" 1869, I, 1870, ifu. s. w.,
Gebauer (Filologicke Listy, H, 97—114); Hattala („Beiträge zur
Kritik der Königinhofer und Grünberger Handschrift", in den Sitzangs-
berichten der königlichen Böhmischen Gesellschaft, 1871); auch Hanns
{Jha Schrillwesen und Schriftthum der höh miscli-slo venischen Völker-
atänune". Prag 1867), Vrtatko (in „Gasopis" 1871) u. a. In der
nueischen Literatur A. Ennik, in Zap. Akad. 1862, II. (Vgl. Kotlja-
revskjj, „Uspcchy elavistiky na Susi", S. 31. Prag 1874).
Bibliographische Uebersichten der Literatur dieser Frage wurden
■ogefertigt von Hanuä, Schriftweaen etc. S. 55 — 67; L. Krummel,
(Heidelberger Jahrbücher der Literatur 1868); Jos. Jirecek, Rukovef,
I, 406—411; II, 354—355.
Aber diese lange Polemik löste den Streit nicht, und in den
letzten Jahren traten neue Personen auf, welche die Echtheit beider
Werke leugneten. Dass die Ursache der Angriffe durchaus nicht blos
nationale Feindschaft oder Uebelwollen einer Partei war (wie dies ce-
dusche Kritiker von Büdinger, Feifalik, Kopitar sagten) trat dadurch
zu Tage, dass sich diesmal Gegner der Entdeckungen aus dem Kreise
der slavischen, ja sogar cechischen Gelehrten selbst fanden. Der sehr be-
jahrte cecbiscbe Gelehrte Alois Sembera leugnete in einer neuen Ausgabe
Kiner Geschichte der öechischen Literatur die Echtheit des Gerichts der
Lihusa und des Evangeliums Johanuis oder der sogenannten Görtitzer
Fragmente (Dejlny, 4. Aufl., 1878, S. 30—32, 149—153); der gaUzi-
»che Gelehrte Anton Petruszewicz trat mit seinen Angriffen gegen
iaa „Gericht der Libnsa" im galiziachen „SIovo", 1877-1878 hervor;
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44 Fünftes Kapitel. I. Die (Sechen.
der kroaÜBchc Gelehrte V. Jagiü nannte in äer frtther erwähnten Abhand-
lung „Gradja" die Königinhofer Handschrift „ein Bnch mit Hieben Sie-
geln"; der rusBiBche Slavist V, Makugev in „Filolog. Zapiaki". Gegen
§embera trat aufa neue J. Jireiek auf (in „Casopia", 1878, 1879).
Sreznevskij nahm an der Frage Antheit im Artikel „Bylina o sade
Ljubusi" („Daa Epos vom Gericht der Libusa", im Russk. Filolog. VSst-
nik, Warschau 1879, 1. Hft.) wo er eich, ohne saf den laufenden Streit
Bezug zu nehmen, indirect als ein Vertheidiger der Echtheit des Denk-
mals erwies; er legte nämlicb seine frühern Untersuchungen CLber den
Gegenstand dar, in denen die Echtheit des „Gericbta der Libusa" nicht
dem geringsten Zweifel unterworfen, nur als sein Jahrhundert nicht das
9., wie üechische Autoritäten meinten, sondern das II. — 12. ange-
nommen war. ^
Die letzten Daten der Polemik waren : — Eine besondere Broschüre
vonSeoibera: „Libusin Soud domuel4 uejatargi pamätka feci ceske jest
podvrzen, tez zlomek Evangelium Sv. Jana" (Wien 1879; später er-
sdiien noch ein Nachtrag), wo er alle seine Argumente gegen das „Ge-
richt der Libusa" und auch gegen die Görlitzer Fragmente sammelte,
und als Verfasser des erstem direct Linda und Hanka nennt. — Mit
Anfang 1879 begann im Zurnal Min. Nar. Prosv. eine Reihe wichtiger
Artikel von V. Lamanskij zu erscheinen: „Novejsie pamjatniki drevne-
cesskago jazyka" („Die neuem Denkmäler der altcecbiscUen Sprache"),
welche die vollständigste und bestimmteste Fragestellung sowol voin
wissenschaftlich -kritischen als vom politischen desicbtsponkt bie(«D.
— V. Brandl, „Obrana Libusina Soudu" („Vertbeidigung des Gerichte
der Libusa" — gegen Sembera, 1879). — Ganz scharf stallte die Frage
auch Anton Vaeek (Professor am Gymnasium zu Brunn) in der Bro-
Bcbfire: „Filologicky dükaz, ze Rukopis Kralodvorsky s Zelenohorsky,
teä zlomek evaugelia Sv. Jana jsou podvrzenä dila Väcslava Hanky"
(„Philologischer Beweis, daas die Königinhofer Handschrift «. s, w. unter-
»jhobene Werke Wenzel Hankas sind". Brunn 1879). — Das cochische
Journal „Osvet.i", 1879, veröffentlichte eine Biographie Jos. Linda's,
verfasst von J. Jirecek, und eine Biographie W. A. Svoboda's, verfasst
von Anton Rybicka, woraus die Unmöglichkeit folgen soll, sie der
Fälschung oder der Theilnabme daran anzuklagen.
Gehauer und Masek widerlegten Vasek und gaben neue Beweise für
die Fkshtheit der Handschrift; Sembera fixirte schliesslich seine Meinung
und sprach sich in einer neuen Schrift gegen die Echtheit ant: „Kdo
sepsal Kralodvorsky rukopis roku 1817?" („Wer hat die Königinhofer
Handschrift im Jahre 1817 geschrieben?" Wien 1880) und in emer
deutschen Schrift: „Die Königinhofer Bandschrift als eine Fälschung
nachgewiesen" (Wien 1882). Diese Frage beantwortet er dabin, dass
der Verfasser der epischen Lieder der Handschrift W. A. Svoboda, der
lyrischen Hanka gewesen sei; der Schreiber — Linda. G^en ihn trat
mit einigen treffenden Hinweisen auf seine Ungenauigkeiten P. 3. M>f
in „Svetozor" 1880, Nr. 29—30.
In der russischen Literatur weisen wir auf die Arbeit des Studenten
Andreas Storoäenko bin: „Ocerk literatnrnoj istorü Zelenogorskoj i
nie alte Periode. 45
Kraledvorskoj rukopbej" („Abries der Literaturgescbicbt« der GrÜD-
kerger und Königinhofer Hondachrift") in den „Izvestija" der Kievei- Uni-
nnität
Lie Frage ist noch nicht erachSpft. Die Vertheidiger der Denk-
mäler sind nicht in der günstigsten Lage; aber auch den Gegnern
bleibt noch viel Arbeit fibrig. Unparteiische Beobachter dieses Kampfes,
jedoch lebhafli an seinem Ausgang intcressirt, erwarten, dass die nega-
tiTe Kritik, indem sie ihre Beweise für die Unecbtheit der Denkmäler
darlegt, auch erklärt, wie die Fälschungen möglich waren, wo ihre
Quellen und die Mittel der Ausführung sein konnten.
In den Cechischen Darstellungeii der Literaturgeschichte,
welche die Echtheit des „Gerichts der Ltbuia" and der Königin-
hofer Handachrift annehmen, wird gewöhnlich gesagt, die älteste
Zät des iechischen Schriftwesens sei selbständig-national gewesen,
vie es auch diese Denkmäler bezengteni darauf habe aber, in
emer spätem Zeit, ein Verfall des Selbstäadig-Nationalen und
das Vorherrschen der lateinisch-dentschen Eindüese begonnen.
Aber für diejenigen, welche jene Denkmäler nicht anerkennen,
müssen sich die lateinisch -deutschen Einflüsse als weit früher
Torhanden darstellen, sie zeigten sich schon sehr früh im gesell-
schaftlichen und staatlichen Leben ; der Natur der Sache nach lässt
sich erwarten, dass sie sich iu gleichem Masse auch im literari-
schen Leben geltend machen mussten, — sodass die Königinhofer
Handsofarift als ein Denkmal nationaler Poesie auch iu dieser
Hinsicht einen innern Widerspruch in sich enthalten würde.
Die Öechen, wie überhaupt die Westslaveu, trafen in ihrer
Geschichte mit den germanisch - romanischen Frincipien zusam-
men, die schon eine grosse Entwickelung besassen und nicht
ohne EinfluES auf dem slavischen Boden bleiben konnten. Wenn
die Könige Deutsche herbeiriefen, deutsche Sitten annah-
men n. s. w. , so war das keine Zufälligkeit. Neuere Historiker
werfen ihnen nach jetzigen Auffassungen nicht selten Mangel an
Nationalgefiihl vor, aber dieser Mangel war ein Product des
damaligen £echischen Lebens selbst: es bot den fremden Insti-
tutionen nicht genug nationalen Widerstand, und andererseits
ivar das Germano - Romauentlium der einzige Förderer der
Bildnng.
Oechische Historiker bedauern, dass die lateinische Bildung
dem Volksthum geschadet habe, weil sie viele Kräfte der Ent-
wickelung desselben entzog, geben aber ebenfalls zu, daas sie
auch beträchtliche Vortbeile gebracht habe: Da« Latein sei
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46 FünftpB Kapitel. I. Di« CVcljen.
keine grosse Gefahr für die Volkssprache gewesen, weil es kdne
lebende Sprache war, sondern habe als ausgebildete Sprache mit
seiner Literatur eine Fülle fertiger Begriffe mitgebracht, für welche
die Volkssprache noch nicht ausgereicht haben würde. Doch liegt
es auf der Hand, dasa die Nationalität gleichwol Verluste erlitt:
der Oebrauch einer fremden Sprache — in der Kirche, in den
Rechtsverhältnissen, in der historischen Literatur (wie es bei
den Öechen war) stellte das Volkatbum in den Hintei^;nind,
wie es dann später durch die deutschen Sitten und die deutsche
Sprache geschah. Die literarischen Beziehungen der cecliischeu
Sprache zum Latein und zum deutschen Element waren nur der
Reflex eines ganzen historischen Vorgangs, — der Beziehungen
des Slaventhnms zu dem im Gegensatz d »nebenstehenden Ger*
mano-Romanenthum : es gab hier einen Vortbeil — in der An-
eignung der europäischen Bildung, andererseits einen Nachtheil
— in der Abhängigkeit, der das slavischc Volksthum unterworfen
wurde und deren Bekämpfung die ganze Geschichte des Cechiscbes
Volkes bildete.
Das erste Ereignias, woran der Verfall des nationalen
Princips zu Tage trat, war die Verdriingung des slaTiscben
Christenthums und des cyrillischen Schriftwe&ens. Sie vollzog
sich schon zu einer Zeit, als der materielle Druck der Deutschen
wahrscheinlich noch sehr unbedeutend war: dem Anschein nsch
konnte sich schon damals die Nationalität der sie umgebenden
Macht der lateinischen Kirche nicht erwehren.
Die lateinische Bildung war vor allen Dingen Eigentbum der
Geistlichkeit und ihrer Schule; von der Kirche ging das Latein
auf die Gerichte and die Regierung über; die Kirchenschnle
ward zur allgemeinen Schule. Zu den eigentlichen Lateinern
kamen noch die deutschen Mönche und Lehrer hinzu. Zu den
ältesten Denkmälern des £echischen Schriflthums gehört daher
eine ganze Reihe von Glossen und Wörterbüchern ; das bedeatendste
davon war das unter dem Namen „Mater Verborum" bekannte
Wörterbuch, dessen noch vorhandene Handschrift (früher nach
der gefälschten Beischrift ins Jahr 1202, ja sogar 1102 gesetzt)
dem 13. Jahrhundert angehört. Mit dem Uebergang zum 14. Jahr-
hundert vermehrt sich die Zahl der Denkmäler dieser Art immer
mehr, was auf die Verbreitung des Latein hinweist. Dahin ge-
hören die Wörterbücher Jan's von Veleäfn, des Slovaken Rozko-
chany, ferner der Nomonclator, SequcntionariuB, Catho-
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die Mater Verborum. ' 47
licon magntim; sie worden (echisch auch in Versen geschrieben,
wie der Bohemarius.
Ab die neuern Untersuchungen des (echischen Älterthums
begannen, erlangte eins von diesen Wörterbüchern einen grossen
BuhiD, nämlich die „Mater Verborum". Es war dies eigentlich
ein lateinisclies erklärendes Wörterbuch, verfasst, wie man an-
oabm, im 10. Jahrhundert von Salomo, Abt zu St. Gallen und
Bischof zu Konstanz (gest. 920). Unter anderm gelangte das
Leiilcon auch nach Böhmen, dem Anschein nach aus Deutschland.
In der böhmischen Abschrift desselben findet sich erstens eine
Anzahl deutscher Erklärungen lateinischer Wörter, und zweitens
— 6echische Glossen. Eine kleine Anzahl dieser ^echischen Er-
klärungen ist auf der Zeile geschrieben, sodass sie offenbar gleich
bei der Abschrift des Originals (im lii. Jahrhundert) einge-
tragen wurden; aber eine Menge anderer, und zwar sehr origi-
neller 6echiscber Glossen ist zwischen die Zeilen geschrieben —
dem Anschein nach auch in altem Ductus. Die Handschrift ist
noch merkwürdig durch die darin enthaltenen Miniaturen in den
Initialen, und auf einer derselben sind unter der Darstellung
zweier betender Mönche die Namen „des Schreibers Vacerad"
nnd „des Zeichners Miroslav " vermerkt und das erwähnte Jahr
(von den einen als 1102, von den andern als 1202 gelesen) an-
gegeben. In historischer und literarischer Beziehung gewährte
das Lexikon ein grosses Interesse jener techischen Glossen
halber, die einerseits Zeugnisse von dem Charakter und dem
lexikalischen Umfang der techischen Schriftsprache des 12. —
13. Jahrhunderts und andererseits besonders solche von alten
mythologischen Ueberlieferungen und Gottheiten der heidni-
schen Urzeit der Slaven und (Jecben gaben. Es zeigte sich,
dass die Sprache im 12. — 13. Jahrhundert bedeutend ausgebildet
war, den andern Dialekten, z. B. dem russischen, näher stand;
die hier noch vorhaDden.e Erinnerung an dasHeidenthum, welche
in einer Fülle heidnischer Göttemamen zum Ausdruck kam,
konnte als Parallele den heidnischen Charakter des „Gerichts
der Libufia" und gewisser Lieder der Königinbofer Handschrift,
wie Zäboj u, s. w., erklären.
In der Tliat fand sich in der „Mater Verborum" ein ganzer
Chor heidnischer Götter — es war da „Svatovit" in der Rolle
des Mars, „Prije" als Göttin der Liebe oder slavische Venns,
„Ziva" in der Rolle der Ceres, ferner ,,Vcles", „Radibosf",
ü,g :.._.. ..Google
,48 Fünftes Kapitel. L Die Cechen.
„BSlboh", „Perun", „D^vana", „Morana" in der Rolle der He-
kate u. s. w. ; in einigen Fällen wird auch die Genealogie der Gott-
heiten angegeben; weiter werden erwähnt die „trizna" (Kampfspiel
am Grabe), „tarodeji" (Zauberer), „hadaci" (Wahrsager), „treba"
(Opfer), „vesöby" (Prophezeiungen), die unter anderm auch im
„Gericht derLibusa" vorkommen; es werden eine Menge uralter
Wörter und Ausdrücke angeführt, die im Cechischen nicht ge-
bräuchlich, aber ans dem Russischen bekannt sind, — was ein
ZeugnisB für die Nähe der slavischen Dialekte in alten Zeiten ab-
geben sollte.
Die techischen Glossen der „Mater Verborum", zuerst von
Hanka, dann von Safafi'k und Palacky herausgegeben', wurden
zu denjenigen Kleinodien der alten Literatur gerechnet, die
dei-selben eine hohe historische Bedeutung nicht nur für die
Oechen selbst, sondern auch für das übrige Slaventhum gaben.
Aber gleich beim ersten Erscheinen erweckten sie Zweifel hei
Kopitar; diese Zweifel wurden von Cechischen Gelehrten als Mis-
guDst zurückgewiesen. In den letzten Jahren ist jedoch die
wissenschaftliche Kritik zu der Ueberzeugung gekommen, dasB
das Denkmal durchaus nicht unanfechtbar ist. Die ersten Be-
merkungen sprach Hanus aus, und in der letzten Zeit wurde
das Denkmal in eingehendster Weise von Adolf Patera und
Baum untersucht, von denen der eine die Handschrift, in
paläographiecher und lexikalischer Hinsicht analysirte, der
andere die Miniaturen prüfte.^ Als Resultat dieser und an-
derer Untersuchungen ging hervor, dass der Name des „Schrei-
bers Vacerad", der lange für den Verfasser der Cechischen
' Hanka, „Zbirka D^däviifjäkb alovnikä latineko-Eeskych." 8. 1—24
(Prag 1833); i^afarik und Palacky, „Die älteatea Denkmäler der biihmi-
Bohen Sprache", S. 203—233 (Prag 1840).
* Hanui, in den Sit/uDgaberichten der SühmiBchen GeBellscbafl, 1865,
■I; die Artikel von Patera ond Baum, im £eohiacbeD„C«8opis", 1877; äoe
mssiacbe UeberBOtznng des Artikels von Patera mit Bemerkungen Srei-
nevBkij'B (Sborn. rusk. Otd^l. Akad. XIX. Bd., 1878, S. 1 — 162), *«!-
cber, nachdem er seine Abbandlung mit listigen Lobeserhebusgen der Ar-
beit Patera's begonnen, dem Wesen der Sache nach eine Vertheidignng
jener Glossen vornimmt | welche letzterer von palüographi scher Seite ver-
dächtigte. Eine Analyse dieses zweideutigen Artikels und der guucn
Frage bei V. Lamanskij in den erwähnten Aufsätzen: „NoTijüc p*-
ngatniki drevneteskago jazyka".
...., Google
Die Mfttei' Verboram. 49
Glossen galt und lange die Bolle einer gewichtigen Autorität in
der slavischeii Mythologie spielte, ferner der Name des Zeichnei'S
^Miroslav", das Jahr der Handschrift, eine Menge der Glossen
selbst durchaus nicht im 13-, sondern eher im 19. Jahrhundert
l^hrieben waren, dass mit einem Wort die Handschrift „Mater
Verborum" durch die Hände eines neuem Fälschers gegangen
sei. Patera Hat aus der ganzen Menge der Glossen nur 3S9
alü wirklich alt ausgeschieden ' , während von dem Fälscher
noch dreimal so viele hinzugefügt sind, und darunter befinden
sich gerade diejenigen, welche durch ihre ungewöhnliche Ori-
gioalität und ihr mythologisches Alterthum die Aufmerksamkeit
anf sich lenkten.
Seit der Herausgabe der Glossen der „Mater Verborum" ist
es fast bei keiner Abhandlung über altslavische MytholOgie ohne
eine Verweisung auf „Vacerad" abgegangen; mit seiner ergiebigen
Unterstützung wurde das Gebäude der altslavischen Weltan-
schauung aufgebaut. Dieser Mystification in der Wissenschaft
«in Ende zu machen wird schon eine grosse Arbeit sein.
Wir haben bei dem Wörterbuch „Mater Verborum" längere
Zeit verweilt, weil von ihm in den letzten Jahren viel die Rede
"jtr, und weil seine Geschichte den wirklichen Stand der Frage
über die alt^echische Literatur deutlich erkennen lässt: es lagerb
noch ein Nebel auf ihr. Bis in die letzten Jahre wiesen die
cechischen Historiker jeden Zweifel an einigen Denkmälern des
rechiscben Alterthunis als ein Attentat auf die bistorische
Würde ihrer Nation ab. Jetzt sind kritische Forderungen aus-
gesprochen worden nicht nur von „Misgünstigen" (I^opitarj, son-
dern sogar von Cechischen Gelehrten (Sembera, Patera, Baum,
Etnler, Gebauer). Mit dem ^ecbiscben Alterthum sind die Vor-
stellungen über die Alterthümer des übrigen Slaventbnms eng
verbunden. Wenn das „Gericht der Libusa" nicht ein Werk des
^., sondern des 19. Jahrhunderts ist; wenn die Köuiginbofer Hand-
schrift nicht dem 13. — 14. Jahrhundert und die mythologischen
' IHrnnter sind an Glosüeo, die eich im Texte selbst befinden und aleo
lur Zeit, als die Hantlacbrift gesi'hrieben wurde, eingetragen sind, im gao-
len 13; an Uluasen zwiacbeu den Zeilen, aber ebenfalls alten, 42; endlich
n lolcbeD, die in einem andern alteu Ductus b&ld nach Anfertigui^ der
Hindacbrift daza geschrieben worden sind, 985.
trm. SliTiKbe LlKmlumu. U, -J. ^
..., Google
50 Ffinftea Ktpitel. I. Die Öechen.
GloBBen der „Mater Verborum" nicht dem Jahre 1103 oder 1202,
Bondern ebenfalls dem 19. Jahrhundert angehören, so wird da-
durch ein grosser Bruch in allem vollzogen, was bisher über
das Altertbum der Slaveo, ihre Sitten, Mythologie, Spracbe,
Poesie geschrieben worden ist; es müssen viele Seiten in den
Untersuchungen, unter andern auch solchen von Gelehrten enten
Ranges , nicht nur bei den Slaven , sondern auch bei deo
Deutschen, wie Grimm und andern, ausgemerzt und vergessea
werden.
Wenn die Frage über Werke, wie „Das Gericht der Libusa",
die Königinbofer Handschrift, die Glossen der „Mater Verbo-
rum" u, s. w. auch jetzt noch nicht endgültig zu entscheiden wäre,
so dürfte es doch sonderbar und historisch unlogisch erscheinen,
dass antfcre Denkmäler des 6ecbiscben Alterthums nicht« oder
nur wenig aufweisen, was jener scharf national-patriotischen
Tendenz, die man in den verdächtigen Denkmälern bemerkt, den
Reichthum ihrer archaistischen Reminiscenzen und ihrer Poesie
ähnlich wäre. In der That bietet die 6echische Literatur, ausser
jenen verdächtigen oder vollständig der Unechtheit überführten
Denkmälern, weder so bestimmte Ueherlieferungen des nationalen
Alterthums, noch so grelle Bekundungen einer nationalen (anü-
deutachen) Ausschliesslichkeit, noch solchen Reichthum eigen-
artiger nationaler Poesie, sondern liefert im Gegentheil viele Zeug-
nisse, dass deutsch-lateinische Einflüsse in alle Zweige des Schrift-
thums eingedrungen waren, und zwar schon von alters her. Zwsr
gab es auch in der echten Literatur national -patriotische Kund-
gebungen, wie bei Dalimil; aber sie sind selten und nicht so stark,
und in der ganzen Reihe anderer Denkmäler hat sich nicht eine
Spur von einem Gefühl der eigenen Nationalität erhatten, das
der neuern tendenziösen Richtung sehr ähnlich ist', noch von
einer Romantik, wie wir sie in dem „Gericht der Libusa" und
der Königinbofer Handschrift hnden, noch von einer Mythologie,
wie wir sie aus der „Mater Verhorum" kennen lernen u. s, w.
Im Gegentheil, wir sehen, dass man eben in jenen Jahrhunder-
ten ruhig und gelassen die Formen und den Inhalt annahm,
welche die westeuropäische Literatur des Mittelalters überhaupt
' Vergl. „UulÖblich ist #b ftir un8, unter Deutschen Reelit. lU suchen"
(Gprk'ht der I.iliuSa). Oder: „Nfmee (derDeatsche) barbarus, tardns, tnieu-
lenlus . . ." (Mat*T Verhorum).
.....Gooj^lc
Die geistliclie Poesie. 51
liatte; wir sehen keine Spur eines Kampfes zwischen zwei litera-
rischen „Schulen", wie sie für jene Periode von den cechischeii
üistorikern angenommen werden, Schulen, die nach ihrer Mei-
nung einerseits durch die KÖniginhofer Handschrift, anderer-
eeite durch die Nachahmungen der westeuropäischen Romantik
repriisentirt würden.
Sonacli darf man eher annehmen, dess sich der germano-ro-
manischeEinftuss allmählich ohne sonderliches Hindcrniss von der
Zeit an entwickelt hat, als er seinen ersten Sieg im 9. — 10. Jahr-
handert gewann, wo er aus Böhmen und Mahren die griechisch-
skvische Kirche verdrängte und an ihre Stelle die römische
setzte, d. i. im heutigen Sinne gesprochen, die Oecheu und
Mäbrer von der griechisch-katholischen zur römisch-katholischen
Kirche hekehrte.
Das erste Ergehniss der BekanntstOiaft mit der lateinischen
Literatur war die Entwiekelung der geistlichen Poesie oder Vers-
kunst und der Legende. Neben dem erwähnten Liede ,,Hospo-
dine" und dem andern „Sv. Vaclave" haben sich in ^echischeu
Denkmälern keine sonderlich alten geistlichen Lieder erhalten.
Für das älteste muss ein Lied in 16 Versen gelten: „Slovo do
8»eta stvorene" (dies die Anfangsworte: „Das Wort in die Welt ge-
scbafTen"), neuerdings von Adolf Patcra in einer Handschrift des
[■^.Jahrhunderts gefunden und sichtlich nach einem lateinischen
Muster in gewöhnlicher rhythmischer l-'orin verfasst.' Andere be-
kannte Lieder dieser Art reichen in Handschriften nicht über das
U.Jahrhundert zurück.^ Hinsichtlich der aus dem Lateinischen
entnommenen geistlichen Lieder, wie auch der Uebersetzungen der
Heiligen Schrift bemerkt man, dass anfangs einfach Erklärungen
des lateinischen Originals durch Cechische Glossen gemacht wur-
den und erst aus diesen eine zusammenhängende Uehersetzung
hervorging. In der l-'olgc gingen einige alte Lieder, gleich-
zeitig mit neuen, in die „Cancionale" über, von denen weiter
unten die Rede sein wird.
Nach den ersten Legenden, welche auf eine einst gemein-
same kirchliche üeberlieferung bei den Oechen und Sudslaven
' Vergl. „Öaaopis Cesk. Mua.", 1878, 289—294.
• Proben im „Vybor", 1, 322 u. f.; Rukovff, 11, 120.
.y Google
53 Füoflea KapitHL I. Die Cechen.
hinweisen, war die durch eine beträchtliche Anzahl von Denk-
mälern vertretene cechische Legendenliterutur nach Inhalt und
Form eine Copie lateinisch -katholischer Muster. Die Legenden
wurden in Prosa und Versen geschrieben, und die ältesten, die
man kennt, sind in Versen. Im Gegensatz zum volksthüm-
liehen Vers der Slaven, der keinen Reim kennt, erscheint der
Vers der {:echischen Legende und der profanen Werke immer
mit Beim. Dem Inhalt und der Auswahl der Heiligen nach
ist es entweder die allgemein - christliche Legende, wieder-
holt nach katholischer Quelle, oder die speciell katholische.
Die Reihe der versificirten Legenden beginnt nach den Hand-
schriften vom Knde des 13. Jahrhunderts an, und die ältesten
haben sich nur in Bruchstücken erhalten, z. B. das Fragment
einer Legende von der Jungfrau Maria (aus dem apokry-
phen Evangelium des Matthäus de ortu beatae Mariae et iu-
fantia Salvatoris ; Safank hielt sie anfangs für eine Legende von
Anna, der Mutter Samuels), von den Leiden des Heilands,
von der AusgiesBung des Heiligen Geistes, von den
Aposteln. In den Anfang des 14. Jahrhunderts setzt man
die Aufzeichnung der Legenden von Judas und Pilatus, die
Legende vom heiligen Alexius; in die Mitte desselben Jahr-
hunderts die Legenden von der heiligen Dorothea, von der
heiligen Katharina, von Maria Magdalena, dem Apo-
stel Johannes, dem heiligen Prokop. Ferner die Jugend
Jesu (aus dem apokryphen Protoevangelium des JacobusJ,
Klage der heiligen Maria u. a. Die prosaischen Legenden sind
im „Passional" gesammelt, das unter der Regierung Karl's IV.
zusammengestellt wurde: ihm zu Grunde liegt die Legenda Aurea
des Jacobus a Voragine, aber sie ist nur mit Auswahl benutzt
und unter andern sind die Lebensbeschreibungen deck i scher
Heiliger beigefügt worden, z. B. des Cyrill und Method, der Lud-
mila, Wenzel's und der Hedwig. Das „Passioual" gehörte darauf
zu den ersten öechischen Büchern, die gedruckt wurden (1480
— 95). Von den versiäcii'ten Legenden gilt der Ausführung nach
als beste die Legende von der heiligen Katharina, vor nicht lan-
ger Zeit in Stockholm gefunden, wohin während des Dreiasig-
jährigen Krieges viele dechische Handschriften gelangt wai'en, und
1860 von Erben herausgegeben; die Legende zeichnet sich durcb
Leichtigkeit des Verses und eine schöne Sprache aus. Grosse
Meisterschaft des Stils sieht mau auch in dem Fragment einer
ü,g :.._.. ..Google
Die geistliche Poesie. 53
Legende von der heiligen Maria, nacli dem apokryphen Evange-
lium des Matthäus.'
In dieser Periode bereitete sich auch eine Uebersetzung der
ganzen Bibel vor. Oben wurde erwähnt, dass für das älteste
Denkmal dieser Art die sogenannten GÖrlitzer Fragmente (aus
dem Evangelium Jobannis) galten, die ins 10. Jahrhundert ge-
setzt wurden. Dobrovskjf und Kopitar zweifelten dieses Denkmal
an; Safarik, PalackJ, jetzt Jirecek vertheidigten seine Echtheit;
in der letztem Zeit nannten es Sembera, Vasek direct eine Fäl-
EchuDg; Makusev setzte es statt ins 9. ins 13. Jahrhundert. Die
Bücher der Heiligen Schrift wurden nicht auf einmal und nach der
Reihe übersetzt, sondern stückweise, und wirkliebe Debersetzungen
kommen erst spät vor: ihren Anfang bildeten (wie oben auch von
den Uebersetzungen der Kirchenlieder bemerkt wurde) einfache
Glossen, Erklärungen der lateinischen Texte für die Priester;
allmählich gingen die Glossen in eine zusammenhängende Ueber-
sctzung über. Einige biblische Bücher sollen schon vor dem
13. Jahrhundert übersetzt worden sein; andere erscheinen im
13. -|-14. Jahrhundert; endlich wurde die erste vollständige Samm-
lung der Uebersetzung der biblischen Bü'cher 1410 — 16 veran-
staltet. Die erste gedruckte Ausgabe der Cechischcn Bibel er-
schien zu Prag 1488-*
Die kirchliche Poesie bietet ferner eine Eeilie geistlicher,
belehrender und allegorischer Dichtungen, die ebenfalls nach
dem bekannten deutschen und lateinischen Muster geschrie-
ben sind, mit moralisirendem Charakter und gereimtem Vers,
Dahin gehören z. B. die Zehn Gebote — eine Dichtung
des 14. Jahrhunderts, wo die Gebote mittels anschaulicher
Beschreibungen des Teufels und leichter, zuweilen sogar fri-
voler Anekdoten erklärt werden, in der Art, wie deutsche Pre-
diger jener Zeiten behufs grössern Interesses ihrer Predigten
in dieselben rein weltliche Erzählungen (bispel), Anekdoten und
' Döbrovsky, Geaohichte der böhmischen Sprache" etc. S, 103—108;
Hsnka, „SUrobylä Sklädänie", 3. Bd. (I818|; „Vjbor z liter." I; Sufatik,
.Äbraiie «piiy", 3,Bd. (1865; Klasobrani— Aehrenleee); Feifalik, „Studien
inr Geschiebte der allböhmiachen Literatur" (Sitzuags berichte der Wiener
Akademie, 1860); Jos. Jireäck, „Rukovft", I, 446-4«; A. Patera im
(*»8opiB, 1879, 1.
' Bukov6t 11, 116—120.
...., Google
54 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
Märchen verflochten. Der Zweck der Sittenlehre wird gleich auf
zwei Wegen erreicht. In einem andern Gedicht: „Der Streit
der Seele und des Leibea", wird das Schicksal des Men-
ecben nach dem Tode allegorisch erzählt. Nach dem obligaten Vor-
wort, wie der Mensch in Erwartung des Todes leben müsse, wird
ein Gespräch der Seele und des Leibes roitgetheilt. Der Leib
ist der Lust ergeben, die Seele spricht zu ihm vom Tode und
bemerkt, er werde dafür gestraft werden. Der Leib stirbt, der
Teufel ergreift die Seele, legt sie mit den Sünden auf die
Wage und führt sie in die Hölle. Die Seele beklagt sich bei
der Mutter Gottes, die dann die Seele dem Teufel wegnimmt
und für sie beim Sohne bittet; der Sohn übergibt die Seelen zum
Gericht dem Recht, dem Frieden, der Gerechtigkeit und dem
Mitleid^ Der Teufel beklagt sich über Ungerechtigkeit, aber
Maria und die Richter treten Tür die Seele ein: der Friede ver-
spricht ihr Gnade von Jesus und das Mitleid bat sich wahrschein-
lich ihrer erbarmt — was übrigens in der Handschrift fehlt
Denselben geistlich-belehrenden Inhalt bieten auch die folgenden
mehr oder weniger umfänglichen Erzählungen und B.etrachtujigcn
in Versen: vom reichen Manne, der seine Seele zu Grunde
richtete; von der Sterblichkeit, vorder sich der Mensch nir-
gends retten könne; von den sechs Quellen (derSünde); von
den siebenundzwanzig Thoren, d. i. Leuten, welche die
Sittlichkeit und die Erlösung der Seele nicht kennen; über die
Unbeständigkeit der Welt u. s. w.'
Eine andere Seite des deutsch-lateinischen Einflusses war das
Erscheinen der mittelalterlichen Romantik in der ^echischen
Literatur. Wie sich die Cechen einer materiellen Einmischung
der Deutschen in ihre Angelegenheiten, eines Einflusses der deut-
schen Sitten und Einrichtungen nicht zu erwehren vermochten,
so erwiesen sie sieb auch in literarischer Beziehung nachgiebig.
Obwol das „Gericht der Libusa" scharf tadelte, Recht unter
Deutschen zu suchen, und „Zäboj" Hass gegen den Feind ein-
flösste, der „mit fremden Worten Befehle gibt" in der cechi-
schen Heimat, hielt doch thatsächlich das 6cchiscbe Schrift-
thum gegen die Lockung der ausländischen Poesie nicht Stand,
die in diesen „fremden Worten" redete, und wandte sich bereit-
willig der europäischen Romantik zu, wclcbe zugleich mit den
' Vcigl. in „Slarobjltt Skläd." und lu „Vjbor 5eHk. liter.", 1. Bd.
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Die ßomantik. 55
deutschen Sitten und dem Fendalwesen ins Land eindraDg.
Als Böhmen seine alte fürstlich -demokratische Organisation
nicht zu bewahren vermochte, sich den Ansprüchen einer nicht-
nationalen Kirche unterwarf und die neue königliche Macht mit
ihrem aristokra tischen Beiwerk annahm, konnte das nationale
Princip für überwunden gelten (das fand im 13. Jahrhundert
statt), und man muss annehmen, dass auch früher in ihm wenig
politische Kraft zum Widerstand gegen den Feudalismus lag
UQd es andererseits an Mitteln fehlte, um den keimenden Bil-
dongsbcdörfnissen Genüge zu leisten. Der Einfluss der mittel-
alterlichen Romantik und damit zugleich der Staatsmoral des
Feudalwesens wird begreiflich.'
So kamen also die mittelalterlich - romantischen Dichtungen
ZQ den Cechen, als eine natürliche Ergänzung der deutschen
Sitten, die sich am Hofe und im Leben der hohem Stände
schon von Mitte des 13. Jahrhunderts au eingebürgert hatten.
Zugleich mit den Turnieren, dem Ritterthum fanden sich am
Bofe der ^chischen Könige deutsche Minnesänger ein. König
Wenzel I. war nach der Ueberlieferung sogar selbst ein deut-
scher Minnesänger. Deutsche gab es nicht nnr bei Hofe; sie
bildeten auch einen beträchtlichen Theil der städtischen Bevöl-
kemng^ sodass sich der Geschmack an der deutseben Literatur
leicht auch im Mittelstande verbreiten konnte. Gegen Ende des
13. Jahrhunderts war die Romantik etwas so Gewöhnliches, dass
wir in einem der ersten Denkmäler derselben ein schon sehr
vollendetes Werk finden, welches techische Kritiker für die beste
Frucht ihrer christlich -ritterlichen Poesie halten. Es ist dies
die cechische Bearbeitung der Älexanderdichtung. Die Cechische
Alexandre'is hat sich nur in Bruchstücken erhalten und gilt,
obgleich nur in Abschriften aus dem 14. Jahrhundert bekannt,
doch für ein Werk der zweiten Hälfte des 13- Jahrhunderts. Das
cechische beruht auf dem lateinischen Gedicht des Walter von
Chätillon (Gualtherus ah Insuli», de Castellione), verfasst in der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und im 13. Jahrhundert be-
' Vei^l. die intereaaanten Artikel von P'erd. Scholz: Z ilfjin poroby
li'in T Cethich {in dev Zeiteobrift „OavSta", 1871, Nr, 3, i, 6 u. 8).
' Der Fortsetier des Koamaa von Prag bemerkt nnter dem Jahre 1381,
^ua damals ioa teohiache Land eine solche Menge Teutonen gekommen
Ki, dasB viele meinten, ihier seien hier mehr als der Fliegen.
ü,g :.._.. ..Google
56 Fünftea Kapitel. I. Die Öcchen.
arbeitet von dem deutgeben Dicbter Ulrich von Escbenbacb, der
auf seinen Wanderungen auch nach Frag kam und einen Theil
seines Buches König Wenzel II. widmete. Der 6ecbische Dichter
nahm das lateinische Original zur Grundlage, obgleich er auch
die deutsche Bearbeitung kannte: eine Vergleichung des cechi-
schen Textes mit dem lateinischen zeigt aber, dass der ccchische
Dichter zwar die Hauptzüge des Stoffes entlehnt hat, aber sonst
in der poetischen Darstellung sehr unabhängig geblieben bt
Er war ohne Zweifel ein begabter Schriftsteller, durchdrungen
vom christlich-ritterlichen Geist der Zeit; seine Dichtung ist
das selbständigste und beste Werk der altcechiBchen Romantik.'
Der Dichter theilt die aristokratischen Ansichten des cechi-
schen Adels, aber zeichnet sich dabei zugleich durch patrio-
tisch-nationalen Sinn aus: die Deutschen waren ihm ebenso
unangenehme Gäste wie dem berühmten Patrioten und Chro-
nisten Dalimil (vei^l. „Vybor", I, 166). Eine zweite bekannte
Dichtung, aus der Artbus -Sage — Tristram (Tristan «nd
Isolde) — wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts be-
arbeitet, wahrscheinlich nach dem dentscben Werke des Gottfried
von Strassburg (um 1232), das später von Ulrich von Turheim
(Thürbeim ; Mitte des 13. Jahrhunderts) und Heinrich von Frei-
berg (um 1300) fortgesetzt wurde. Hier begegnen vrir wieder
einem deutschen Dichter in Böhmen, da Heinrich von Freiberg
seine Fortsetzung des Gottfried für einen cecliischen Herrn, Bai-
mund von Lichtenburg, machte.^ Ferner „Tandarias und F!o-
ribella", ebenfalls eine Dichtung aus demCyklus der Tafelrunde,
bei der ea noch nicht entschieden zu sein scheint, auf welchen
' Eine Analyse der Eechiachen Alexandi-eia von Neliesky „Casopi»"',
1847, 2. Abth., 1. u. 2. Heft. BnicbBtücke aus der AlexandreiB worden ab-
gedruckt in Hanka'a btarob. ijkläd. (II, 151), im CaBopie, 1828 nnd 1841,
und gesammelt im „Vjbor", S. 135 und 1071. Die neuest« Ausgabe von Hat -
tala, „Zbytky r^movaujch Alexandreid Btaro&csk^cb" (Pr^ 1881). Eine
Vergleichung der Abschnitte zeigt, daax in der zweiten Hülfte des 14. Jahr-
hunderts eine zweite Redaetion dieses iSlcifTcs crsehieucn ist. Vergl. noch
Safa^ik, Hebi-anc Bpiay, III, mH u. f.; Jus. Jiretck im „Krok", 1Ö66.
' Ueber den fechiacheu Tristram vergl. den Artikel von Nebesky' in
Casopia, 1846; Fei-d. Schulz in Lumir, 1875; „C'asopis", 1861, 8.27a Der
Text in Starob. Sklädinie, 4. Bd., in „Vybor", I.
., Google
Die Didaktik. 57
Wegen »e in die cechieche Literatur in der zweiten Hälfte des
14- Jahrhunderts gelangt ist. '
Zur Zahl der halb romantischen, halb didaktischen Werke
gehört „Tkadlecek", in Prosa, das man einen kleinen Roman
nennen kann. Ludwig Tkadlecek und seine Geliebt« Adli6ka
lebten in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts am Hofe der
Witwe Karl'a IV., der Königin Elisabeth, zu KÖniggrätz (gest.
1393). Adli^ks war ein schönes Mädchen, und als sie einem an-
dern gegeben wurde, beweinte sie Tkadle£ek bitter, und erzählte
TOD ihren Reizen in dem Gespräch zwischen dem Trauernden und
dem Unglück, das ihm Ermahnungen zur Demüthigung unter das
Schicksal gibt. „Tkadle£ek", dem Inhalt nacli ziemlich monoton,
gilt fiir ein Master von Leichtigkeit und Kraft der Sprache.*
Der Name „Tkadle£ek" (Tkadlec, Weber) ist pseudonym: gemeint
ist ein Weber in Worten, dessen Instrument die Feder ist. Es
existirt eine alte deutsche Uebersetzung dieses Buches. Andere
behaupten freilich umgekehrt, dass der Tkadle(ek dem Deut-
schen entnommen sei.^
In der folgenden Periode der Cechischen Literatur begegnet
uns schon eine ganze Masse romantischer Werke, deren Ent-
stehung theilweise wahrscheinlich noch in diese Epoche fällt.
Ausser dem Roman fanden auch die mittelalterliche westeuro-
päische Didaktik, die Fabel, die Satire u. s. w. bei den Öechen
ihr mehr oder weniger selbständiges Echo ; zuweilen erinnert die
Manier der dechischcn Schriftsteller in anffallcndster Weise an
deutsche Schriftsteller, welche die Fabel und die Anekdote mit
Lebensrcgeln, moralischer Belehrung und Predigt vereinten. Da-
hin gehört der gelehrte Smil von Pardubic, mit dem Zu-
Damen Flaska (Smil Jan FlaSka z Pardubic a z Rychmburka),
gehören Tor Mitte des 14. Jahrhunderte. Einem vornehmen Ge-
schlecht entsprossen, lebte er in der Jngend am Hofe seines
• Starob. Sklädänio, 5. Bd., 1823; „VJbor". I. Nebeaky io CaBopis,
im, II.
'Ausgabe von Hanka (Prag 1824); ein Stück im „Vjhor", I. Bd.
S. «26-631. RukovSt, II, 289—2510.
' VergL die Ausgabe des deutecbeu Textae: Der AckerinanQ ans Boh-
nen, heranagegeben und mit dem Ceohiacben Gegeuetück TkadleEek Ter-
elicbeo VOD Job. Kniescbek (Prag 1877. Bibliothek der roittelhocbdeutscbeD
Literatur in Böhmen, hertnagegeben von E. Martin).
...., Google
58 Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
Verwandten, des Erzbischofs Ernst von Frag, erlangte den Grad
eines Baccalaureus an der prager Universität, war mit dem Thron-
folger, dem spätem (von 1378 an) König Wenzel IV. befreundet.
Aber nach einigen Jahren kamen sie wegen eines Lehens in
Zwist, das ihm der König nehmen wollte, und Flaska trat von
der Partei des Königs zurück. Er wurde in den Unruhen 1403
erschlagen, in einem Treffen seiner Partei (der Adeligen) mit den
Bürgern von Kuttenberg, und war einer der bedeutenden tecbi-
schen Adeligen, den man wegen seiner Klugheit und üescbäfts*
erfahning lobte; seine Ansichten waren die eines Feadalherm, aber
sie wurden durch seinen persönlichen Charakter, durch Bildung und
patriotisches Gefühl gemildert. Er war auch ein gewandter Schrift-
steller. Es wurden ihm viele allegorisch-didaktische Werke zuge-
schrieben; aber nach neuern Untersnchuugen kann man ihm mit
voller Sicherheit nur zwei zuschreiben. Das erste davon ist „Der
Nene Rath" („Nova Rada", 1394 — 95), wo erzählt wird, wie
König Löwe Boten ausgesandt, von allen Seiten seine Fürsten and
Herren zur Berathnng versammelt habe und jeder dem König
nach seinem Verständniss Bath gibt. Cechische Kritiker neh-
men an, dass sich die Allegorie auf den Hof A^enzel's IV. be-
ziehe. Die Rathschläge der Thiere bestehen der Hauptsache
naoh in einer allgemeinen frommen Moral; der Verfasser sucht
zuweilen die individuellen Verschiedenheiten der Thiere zu be-
obachten, lässt z. B. den Hasen den Rath geben, aus dem
Treffen zu fliehen, den Bären — gut zu trinken, zu essen und
nach Lust zu schlafen, das Schwein — seinen Wünschen und un-
züchtigen Begierden freien Lauf zu lassen u. a. w.; aber zugleich
predigt unmotivirt der Adler lange von der Gottesfurcht mit Bei-
spielen aus der Heiligen Schrift, und der Schwan schliesst seinen
Bath mit einer Predigt vom Jüngsten Gericht; doch die allgemeine
Moral findet manchmal ganz direct Anwendung auf das Cechische
Leben; der Veriasser gibt in seiner Allegorie dem Konig kühne
und vernünftige Rathschläge, die von dem politischen Charakter
des sohriftstellernden Herrn ein vortheilhaftes Zengniss ab-
legen.' Dem Smil von Pardubic gehört auch eine Sammlung
' Juhaun Dubravelcj? (Dubraviue) tibenetztu für König Ludwig den
„Neuen ßath" ins L&teiniaohe unter dem Titel „Theriobnlia" (Münibertc lEäü,
Krakau 1521, Breslau 1614). Eine neue deutsche Ueberset^ung vod Weo-
zig; ,J)er Nene Rath des Herrn Smil von Pardobio" tLeipeig 1856). I>ea
...., Google
Die Didaktik. 59
cechischer Sprichwörter an (Provei-bia Flasskonis, geaerosi do-
mini et baccalarii Pragensis), das in interessanter Weise von
seinem Sinne für Volk&thnm Zeugniss. gibt, — die ^echischen
Historiker verzeichnen diese Erscheinung mit Befriedigung, da
z. B. sogar bei den Deutschen die erste SpricbwÖrtersammlung
erst zu Ende des 16. Jahrhunderts erschien. Ausser diesem
Nationalgefiihl , seinem patriotischen Unwillen über die fremden
EinSüsse, weisst man bei ihm auch auf seine Kenntniss der
altem einheimischen Werke hin; in seinen Werken sind Nach-
klänge der Yorausgegangenon Literatur, z. B. der Alexandreis,
DalimiPs bemerkbar. Er selbst war den folgenden Schriftstellern
sehr wohl bekannt: von ihm sprach mit grosser Hochachtung
Cornelius TonVsehrd, der berühmte Jurist des lö. Jahrhunderts,
als TOr einem „Cechen guten Andenkens"; mit Lobeserhebungen
äassert sich über ihn Lupäc, der Historiker der „Brüdergemeine"
(der Böhmischen Brüder) im 16- Jahrhundert. *
Smil von Pardubic wurden noch einige andere Werke zuge-
schrieben, allegorischer und moralisch-satirischer Art, — die auch
hier erwähnt werden mögen. Aber nur eins von diesen Werken
tann mit Wahrscheinlichkeit für die Arbeit Smil's gelten; es sind
die interessanten,, Rat hsch läge eines Vaters an seinen Söhn"
(„Rada otce k synu"), die in Manier und Vers wirklich an den
„Xeuen Rath" erinnern. Der Vater will in dem Sohn einen
„Ritter aus seinem Stamm erziehen", und gibt ihm viele Lehren,
die in Bezug auf das Wesen und die Sitten des böhmischen
Titel „Nener Rath" hat man verschieden erklärt, indem man ihn entweder
wf einen andern „ßath" („Rath des Vaters an den Sohn" — „Rada otce
k »;nu"), den man auch Smit zuschreibt, oder auf den „Rath der Thieie*'
(„Rada zvihit"), der ihm wabreuheinliuh überhaupt nicht angehört, bezieht;
endhch erklärt ihn Jiretek (vielleicht am richtigsten) einfach mit der alten
Gewohnheit, ein Werk „neu" zu nennen, wenn es zum ersten mal aus der
Hand des Terfassere kam.
' Der „Neue Eath" wnrde gedruckt im „V^lmr" und in der Ausgabe
J. Gcbauer's: „Nova Bada, Bä»eb pana Smila Flaiky z Fardubio" (Pa-
-mätky Stare literatury Ceske. I. Prag 187ü). Die Werke Smil's haben schon
licmlich viel Untersnohungen hervorgerufen, z. It. Wocol's Analyse des
„Neuen Baths" und Biographie des Verfassers, Casupis 1835; Feifalik,
„Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur", III; Jirccek,
Rokovet, I, 194 — 195, und besonders Gebauer im Vorwort der oben er-
wähnten Ausgabe.
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60 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
Adels im 14. Jabiliunäert intereesant sind. Vor allem ermabot
er den Sohn zar Gottesfurcht, zn iobrünstigem Gebet, Reinheit
des Herzens, dann lehrt er ihn, Wort zu halten, die Ehre zu wah-
ren, „wie es die Ritterregel gebietet, — weil es nichts Theuereres
gibt als die Ehre"; er räth, gegeu alle Menschen gerecht zu sein,
nicht nach fremdem Gut zu verlangen, aber auch das eigene
gegen andere ernstlich zu vertheidigen , freigebig und gnadig
gegen das Gesinde zn sein u. s. w. Endlich folgen Rathschläge
über den Umgang mit Damen, die den bekannten ritterlichen
Begriffen des Mittelalters entsprechen und ihren besten Ausdruck
in der proren^alischen Poesie gefunden haben. Der Vater gibt
dem Sohne diese Unterweisung als nothwendig für das „Ritter-
thum"; er lehrt ihn alle guten Frauen ehren, ihre Ehre ver-
theidigen und preisen; räth treue (Ritter-)Liebe, — die Zu-
neigung dex Dame solle er höber aU Gold und Edelsteine
schätzen, — „es gibt nichts WerthToUeres als sie auf der ganzen
Welt". Der Sohn dankt dem Vater für die Unterweisung und
verspricht zuerst „dem lieben Gott" zu dienen, und für eine gute
Aufführung Sorge zu tragen, sodann „allen Frauen und Damen
überhaupt zu dienen" und einer Dame vor allen.'
Smil wurde auch der „Streit des Wassers mit dem
Wein" („Svär vody s vinem") zugeschrieben, aber die jetzigen
Kritiker nehmen hier einen ganz andern Scbriftüteller an. Der
„Streit" ist eine recht interessante Erzählung. Die Sache ver-
hält sich so: ein „Meister der Heiligen Schrift", d. i. wahr-
scheinlich Magister der Theologie (die prager Universität war
schon gegründet) hatte sich an guten Speisen satt gegessen und
viel Wein getrunken. Im Traume schien es ihm, als habe ihn
ein Engel in den dritten Himmel getragen, und als sähe er Gott,
thronend in seiner Herrlichkeit, — wie wenn Gericht gehalten
werden sollte. Das Wasser stritt mit dem Wein und der Meister
hörte alle ihre Reden. Der Wein brüstete sich, dass es ohne ihn bei
keinem Gastmahl abgehe, und mau überall den Schluss mit ihm
mache als dem besten Getränk. Das Wasser antwortete, dass
Christus gelbst habe Wasser trinken wollen, dass es eins von den
vier Elementen der Welt sei u. s.w. Der Streit dauerte sehr hinge:'
beide Parteien nahmen oft ihre Zuflucht zur Heiligen Schrift, —
' UerausgeKebeD in „Slarob. SkläiläDie" V, und im „Vybor". Vergt
Feifalik, „Studien"; Gebauer, „Kovi Rada", S. 9.
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Die Didaktik. 61
das Wasser rühmte sich, dass es in dem bekannten Teiche Krank-
heiten geheilt habe, daes Christus in ihm getauft, dass es aus sei-
Der Seite geflossen sei, ,, alles für den sündigen Menschen", dass
es die Mutter aller Greatur sei, es erfrische die Wiesen, schmücke
mit Flüssen Städte und Dörfer; es schilt alsdann den Wein,
dass er den Menschen zum Narren mache, dass er Noah und
Lot an den Rand der Sünde und des Verderbens geführt habe
II. s. w. Der Wein antwortet, er stehe im Gegentheil hoher,
Christus habe Wasser in Wein verwandelt, aber nicht umge-
kehrt; Christus habe sein Blut Wein genannt, aber nicht Was-
Ber; das Wasser sei eine sehr verachtete Sache, in ihm lebe
allerhand Geschnieiss, Wasser tränken Kuh, Bferd und Ziege
und jedes Kaubthier saufe es, das Wasser giesse man unter die
Bank, während man den Wein in einem reinen Glase aufbe-
wahre; wenn der Mensch tüchtig Wein trinke, fühle er sich
:iU ein rechter Held, obgleich er selbst vielleicht keinen Gru-
schen werth sei. Das Wasser siegte aber doch in dem Streite,
— der Meister wacht auf und erschrickt, dass das Wasser den
Wein verderben könne und er nichts mehr zu trinken habe:
., Wasser gibt es viel auf dieser Welt, aber Wein wenig — das
ist jedem Kinde bekannt." Der Meister möchte sie versöhnen
and hält selbst eine Kede: Gott habe sie in gleicher Weise ge-
Kchaffen, indem er das Wasser für die Laien, den Wein für
den geistlichen Stand bestimmte, — und sie sollen zusammen
leben, wie der geistliche Stand nicht ohne den Laienstand und
der Laienstand nicht ohne den geistlichen sein könne. Darauf
räth ihnen der Meister, in Frieden und ohne Hass zu leben,
nad sich nicht darum zu bekümmern, wer mehr Wein trinke als
Wasser: „denn wer mehr Wasser trinken will, der bat sicher
nichts, um den Wein zu zahlen — deshalb stellt dies dem Willen
Gottes anheim: mag jeder trinken, was er kann." Die Allegorie
spielt auf die Sitten der Geistlichkeit an.
Es bleibt noch ein Werk zu ei'wähnen, in welchem man
auch, aber wiederum mit Unrecht, eine Arbeit Smil's von Par-
dubic sah: „Der Stallknecht und der Schüler" („Satrapa
et scholaris", „Podkoni a Ääk", gedruckt unter den ältesten
cechischen Incunabeln, Pilsen 1498). Es ist das wieder ein
„Streit": ein Stallknecht und ein wol schon sehr erwachsener
Schüler sind in einer Schenke zusammengetrofTcn und streiten
über ihre gegenseitigen Vorzüge. Der Verfasser beschreibt
ü,g :.._.. ..Google
62 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
„satiriBcb", aber ziemlich gutmüthig H^e nicht beneidenswerthe
Luge-, aus ihren Urtheilen kann man sich unter andern einen
Begriff von dem Wesen der damalige» Schülerwelt bilden , das
an das Burscnwesen an den alten Seminaricn in Kussland er-
innert.
Die angeführten Werke des Uerrn Smil von Pardubic und die
anderer Verfasser, denen die letzten der genannten Stücke ange-
hören, geben ein ziemlich vollständiges Bild von der Poesie der
Gesellschaft jener Zeit. Smil gehörte freilich zu den gebildetsten
Leuten seiner Zeit and war ein Patriot; aber trotz seiner Abneigung
gegen die „Ausländer", folgt er ihnen in literarischen Dingen
doch:. in seinen^chriften kommen die Geschmacksrichtungen und
Ideen der Feudalzeit zum Ausdruck, die von den Deutschen ins
(^echische Leben gebracht waren, und die literarische Manier
zeigt einen westeuropäischen und besonders deutschen Charakter.
„Die Rathschläge des Vaters an den Sohn", „Der Rath der Thiere",
„Der Streit des Wassers mit dem Wein" und endlich „Der Stall-
Icnecht und der Schüler" sind, obgleich sich ihre Satire auf das
^ecbiscbe Leben bezieht, doch von der Bekanntschaft mit deutschen
Büchern angehaucht. Diese Werke wurden mit Erfolg für ein frem-
des Publikum übersetzt, wie der „Neue Rath" oder „Tkadleöek",
dessen deutsche Ausgabe mit unter den ersten gedruckten deut-
schen Büchern erschien (hinsichtlich des „Tkadlecek" vergl. jedoch
die Bemerkung auf S. 57). Wie in dem eben erwähnten Gedicht
der Stallknecht und der Schüler satirisch dargestellt wird, so
geben auch andere Werke des 14- Jahrhunderts spöttische Erzäh-
lungen: „von den Schustern", die um ihrer Trunkenheit willen
gescholten werden; „von ungetreuen Richtern", die um Geld ge-
wissenlos bandeln; „von bÖsen Schmieden", die den Dieben hel-
fen; „von Braueni", welche die einfältigen Bauern betrügen;
„von Badern", die dem Trünke ergeben sind und ihre Sache
schlecht machen — schlecht barbieren und Ader lassen u. b. w.'
Mit der lateinischen kirchlichen Bildung und den euroiiäi-
scheu Sitten stellte sich bei den Cechen auch das mittelalterliche
Drama ein, in der allgemeinen westeuropäischen Form des My-
steriums, vermischt mit der Posse. Ursprünglich kamen die
' HerftUBgpgeben mit andern Stücken derseiben IlandBchrift von A.
Patera: „HradetkJ rukopia" (Praji 1881; PaniHtky stare lil feske.
Nr. VIII).
...., Google
Das kirchliclie Drama. 63
Mysterien bierfaer in lateinischem Text, dem cecbische Uebersetzun-
gen beigefügt wurden. In den Handschrifteu des 14. — 16. Jabr-
hnnderts haben sich einige solche Stücke erbalten, tbeilweise
vollständig, theilweise in Bruchstücken, und in verEchiedenen Re-
ilactionen. So gibt es ein cechischee Bruclistück aus dem „Ludus
palmomm"; ein Gespräch des gekreuzigten Cbristun mit Maria
und Johannes, die sogenannte „Webklage der Maria" (in drei
Redactionen ) ; „Ordo triutn peraonarum", wo erzählt wird
Tom Kauf der Salben, von der Ankunft der Frauen am (jrabe,
dem Gespräch mit Christus und der Benachrichtigung der Apo-
stel (ebenfalls in drei Redactionen) u. a. Zu diesem letztem
Stoff gehört die älteste bekannte Probe des ^echischen religiösen
Dramas: ,,Der Salbenkrämer" („Mastickär") aus dem Anfang
des 14. Jahrhunderts. Letzteres ist nur ein kleines Fragment eines
Stückes, das eine besondere Redaction des Mysteriums vom Begräb-
nisB des Heilandes (Ordo trium personanim) bildete. Der „Salben-
krämer" zeichnet sich besonders durch die Vereinigung des Ernsten
and Komischen aus; gleich nach sehr starken, sogar groben
Witzen eines Narren, der die Rolle eines Dieners des Ver-
känfers spielt, erscheinen die drei Marien auf der Scene und
stimmen lateinisch und ^eehisch einen frommen Gesang vom
Tode des Heilands und von ihrem Schmerz an, der Verkäufer
antwortet ihnen ebenfalls ernsthaft auf lateinisch; aber darauf
tritt Abraham mit dem verstorbenen Isaak auf, den der Krä-
mer mit seinen Mitteln wiederum auf ganz unanständige Weise
vom Tode erweckt. ' Ein iechischer Kntiker hat darauf hin-
gewiesen, dass der fechische „Mastitkäi-" auf die deutsche Lite-
ratur in einige Mysterien übergegangen ist, welche deutliche
Spuren einer Bekanntschaft mit den Cechen und der techischen
Sprache tragen, — in einer von ihnen weist er den ganzen
Stoff des Mysteriums nach, dessen Fragment wir in dem Jiechi-
schen Stück sehen*; der gröbliche Scherz des „Mastifkar" ist
insbesondere gegen die Mönche und Nonnen gerichtet. Ein
' Der „MaBtiSkär" wurde zum ersten mal herauB^egelien mit Verhes-
aeraugen von Ilaaka, in Starob. Sklädänie, V; dann zum zweiten mal im
nV>-bor".
'Siehe Nebesky, Casopis 1847, I, 3. Heft, S. 335-340; HannS, .^Die
lateinisch-bübmischen üaterapiele des 14. — 15. Jahrhundert»", S. T0^T3
(Pr^ 1863).
...., Google
64 Füuftea Kttpitol. L Die t^cben.
anderes dramatisches Fragment, der Sprache nach ins 14. Jahr-
hundert gesetzt, stellt denselben Gegenstand in ernstem Tone
dar: die auftretenden Personen sind darin Jesus, Maria Magda-
lena, Petrus und Johannes, drei Engel u. s. w. '
Die 6echiBche Geschichtschreihung begann auch lateinisch.
Die ersten öechischen Chronisten schrieben nach dem allgemeinen
Gebrauch Westeuropas lateinisch und zeigten die gewöhnlicben
Eigenschaften der mittelalterlichen Chronisten, deren Gelehr-
samkeit und Fabelei. Ausser Kosmas von Prag (gestorben
1125) wurden andere lateinische Chroniken geschiieben:. Ton
den Mönchen zu Sazava und Opatovice; von Vincentius, Ka-
nonikus zu Frag; Gerlach, Abt zu Milevsko, Peter von Zit-
tau; Franciacus, Propst des Prager Kapitels u. s. w. Dann er-
scheinen vom 14. Jahrhundert an auch Aunalen in cechischer
Sprache theils in der Form besonderer Chroniken, theils in der von
annalistischen ISammel werken, in welche auch altere Aufzeichoun-
gen gelangten.' Das älteste und berühmteste der böhmischen
Jahrbücher ist eine Reimchronik vom Anfang des 14. Jahrhun-
derts, welche gewöhnlich einem gewissen Dali mil von Meseritsch,
Kanonikus an der Kirche zu Buuzlau, zugeschrieben wurde. Der
Grund dieser Annahme war, dass sich der spätere Geschicht-
schreiber Häjek auf Dalimil bezog; wahrscheinlich aber war
der Verfasser der Chronik ein böhmischer Ritter, ein Gelehrter
und Patriot, in der Art des Smil von Pardubic; dazu bezieht
eich im Anfang dieser Verfasser selbst auf die Bunzlauer Chro-
nik, welche er benutzt hat. In der Chrono werden die Ereig-
nisse der böhmischen Geschichte von den ältesten Zeiten bis
Johann von Luxemburg (1314) erzählt; von Ende des 13. Jahr-
hunderts an spricht der Chronist nach persönlicher Kenntniss
' IKeses Fragmeot unter dem willkürlichen Titel: „Hrob boii~' |„Gnb
Gottea") ist herAUSg^ebeo in Starobylä Sklädänie, III, und bei Hanu^ Der
letztere gab in „Osterepitile" nnd „Msly Vj'bor ze staroteske literatory"
(Prag 1863} überhaupt eine ganze Reihe lateinisch - böhmischer Stücke
* Palauk]', „'Würdigung der alten böhmischen Geschieh tschrelb«r"
(Prag 1830). Die alt&echiscben Annalen sind von Palack}' in dem Werke
geBammelt: „StaH letopisove feSli" („Scriptoree rerum bohemiearam''. 3. Bd.
1829). Eine böhmiacbe Ueberaetznug der Chronik des Kosmos von Pnf
machte Tomek „Pi-ameny iijia teskyoh" (1873). „Fantes rerum bohemi-
carum" (Tomus I— III, tum. IV, fasc. 1. Prag 1871—82).
...., Google
IHe Chronik. 65
der EreiguisBe. Daliiuil gehört allem Anscheiu nach zur Oppo-
sitioD, billigte den Einfluss der Deutschen nicht, und spricht
bei jeder Gelegenheit seine Antipathie gegen dieselben aus; als
warmer Patriot war er um die Erhaltung der nationalen Ehre
und der heimischen Sprache besorgt, wenn auch an seiner Mis-
^nst gegen die Deutschen die Antipathie des Adeligen gegen das
Bärgerthum theil hat. Er kennt sein Land sehr gut, schätzt
die Ueherlieferungen des böhmischen Adels hoch und ist ein für
seine Zeit sehr gebildeter Mann. Seine Chronik ist zumeist nur
Versificirung des historischen Stoffes, doch ist sie bisweilen nicht
ohne poetischen Wer tb. DerEraählung fügt er gute patriotische
Lehren bei. Nach alledem hat die „Chronik Dalimirs" schon
»on alters eine grosse Popularität erlangt; ihre zahlreichen
HuDdschriften beginnen vom 14- Jahrhundert an, in verschiede-
neo Kedactionen; in dem verhängnissvollen Jahr 1C20 ward sie
zun ersten mal gedruckt, aber gleich damals auch verbrannt,
sodass sich nur einige Exemplare dieser Ausgabe erhalten haben. '
Eine andere umfängliche Chronik, von den ältesten Zeiten bis
1330, in Prosa, ebenfalls sehr bekannt, gehört dem Priester Pui-
kava au {Pfibyslav oder Pribik Pulkava z Hradenina, gest. 1380).
Sie war ursprünglich lateinisch geschrieben, im Auftrag Karl's IV. ,
und wurde dann von Pulkava selbst ins Cechische Übersetzt, Der-
selbe Pulkava hat, wie man annimmt, auch die Selbstbiographie
Karl's IV. ins Cechische übersetzt.*
' Erstt An--Bile ,Kiouylti starä kliStera BolBslawskeho; o Poslaup-
DuBti ki]j/it a hialft Czi,Kkjth u s.w." (Prag 1620). Eine zweit« Ausgabe
teranataltele F Proohftzka „Kronika Boleitlaweka o Poslaupnoati etc."
iProg 1186, mit Renovining der Sprache). Die dritte und folgende Aus-
fhmt vou Uanka: „Dalimilova Chrotkika (eskä v nejdävnejii Cteoi oavrä-
cena" (Prag 1849, 1851, 1S7G). Endlich gab eine neue wissenachaftliche Aub-
gibe J, JireEek: „Rymovanä kronika fcskä tak hifeneho Dalimila"
(Pamätky stare literatury feske, II. Pr^ 187H) uud in den „Fontes rerum
tohemicarum"; ..Prameny dfjin Ceakj'ch", III. Ueber Dalimil in der Vorrede
Jire(ek's zu seiner Ausgabe und im „Caaopia", 1879.
Schon im 14. Jahrhundert ward Dalimil ins Deutsche übersetzt, wobei
■eine Härten gegen die Deutschen gemildert wurden; diene Ueberaetzung
i»t auch vou Uanka in der Sammlung der deutschen Literarischen Gesell-
whaft in Stuttgart herausgegeben: „Dalimil'x Chronik von Böhmen" (Stutt-
gart 1859).
* Die Chronik Pulkava's ist mit Renovirung der Sprache von Pro-
übäzka herausgegeben (Prag IT86). Bruchstücke (hauptsächlich nach der
frra, SUiiuba LlUrntunD. n, 1. 5
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66 Fünftee Kapitel. 1. Die ^echeo.
Endlich entwickelte sich in dieser Periode auch die Literatur
des cechischen Rechts bedeutend. Wir werden nur die Haupt-
werke nennen. In die erste Hälfte des 14- Jahrhunderts fttUt
das sogenannte „Buch des alten Herrn von Rosenberg"
(„Kniha stareho päna z Rozenberka", Kämmerers des Königreichs
Böhmen 1318 — 46, gest. I.'i47), wo dargestellt wird, wie Alt
Verhandlungen in den Landgerichten des Königreichs Böhmen
zu fuhren seien — ein bedeutendes Denkmal der alten Rechts-
gebräuche in Böhmen. Ferner das „Landrecht" („Räd präfa
zemskeho", 1348 — 55), anfangs lateinisch geschrieben, dann frei
ins Öechische übertragen, — ebenfalls, wie das „Buch des Herrn
von Rosenberg", die Arbeit eines Privatmannes, der keinen offi-
ciellen Einfluss heeass. Als wichtiges juridisches Denkmal sind
ferner zu nennen die „Erklärungen des böniiachen Landrecht-s" des
Andreas von Duba (Ondfej z Dube, gest. 1412; „Vyklad na
prävo zeme ceske", um 1400) — mit einer Widmung an König
Wenzel, die nicht weniger interessant ist als das Buch selbst.'
Dann sind bekannt die aus dem Lateinischen übersetzten „Rechte
der GrosBstadt Prag", „Das Magdeburger Recht", die „Majestas
Carolina" Karl's IV. in techischer TJebersetzung, Gerichts- nnd
Landtagsordnungen u. s'. w. Obgleich im böhmischen Leben des
14. Jahrhunderts schon viele fremde Einflüsse herrschten, so
haben sich in diesen Büchern doch nicht wenige Rechtsgebräucbe
erhalten, die aus den ältesten Zeiten stammen. Unmittelbare
Quellen des ältesten böhmischen Rechts sind spärlich und finden
sich der Hauptsache nach nur in alten Acten und in den Nach-
richten der Chroniken vor.
Endlich seien noch einige Werke genannt, welche sich aus
dem 14. Jahrhundert erhalten haben: der böhmische „Alsnus"
{1527 Verse), ein allegorisches Gedicht über die sittliche Erneue-
Handauhrift von 143ti) im „Vyhor". Die erste Ausgabe der Biographie
Karl'a IT. fOlmütz ir>55); zweite Ansgabe von Kr. Tuiiihh (Praff WIU
dritte, nauli eintr iiH.ei] Iliiiiilsührift des Ifi. Jatirliunderla, iio„Yybor"; oeuer-
aingB von Emler, ,.S|.is(ive eitaH Karla IV." (Prag 1878; Pamilky sUrv
lit. Eesk«, Kr. IV).
' Alle geoannten l)enkmäiei' sind iu Palauky'B „Arohiv teskj'", in flemi-
Jiroöek'fl „Ciidex jurin bolieniici" lierauHgegobeu. AusBürdcm wani -.P"-'^
Buch dea alten Herrn" früher von Kueliarski herausgegeben und in neue-
rer Zeit von Brandl: .,Kaiha Rozniberska- (Pi-ag 1872).
...., Google
Jaristiache Literatur. Verschiedene Schriften. 67
ning des Menschen. Die Natur wünscht Aea von den Sünden ge-
knechteten Menschen zii vervollkommnen, sie beräth sich darüber
mit allen Tugenden; die Weisheit, begleitet vom Verstände, den
sieben freien Künsten und den fünf Gefühlen, begibt sich in den
siebeuten Himmel (alles das wird mit fabelhaften Eiozelbeiten
beschrieben), und Gott verspricht die Erlösung des Menschea
durch seinen Sohn. „Alanus" ist abgekürzt und von einem fechi-
jcben Versificator wiedererzählt nach einer lateinischen Dich-
tung „Anticlaudianus" des Alanus von Ryssel (Alanus ab Insulis,
gest. 1203). Es ist dies eine Probe der scholastischen Philosophie
and Rosmogonie des Mittelalters. ' Ferner der encyklopädische
„Elucidarius'^, der in ganz Europa bekannt war und die wissen-
scbaftlichen Kenntnisse des Mittelalters nebst einer Menge von
Fabeln und Aberglauben überlieferte, welche auch als wissen-
schaftliche Kenntnis» galten. Den cechischen „Lucidär" setzt
man schon ins 14. Jahrhundert. Wie in andern Literaturen war
dies ein sehr gelesenes Buch und die erste Ausgabe wurde zu PilBen
1498 veranstaltet. Es wurden damals auch andere Bücher mora-
lischen und belehrenden Inhalts übersetzt, wie der Gisiojanus,
das Paradies der Seele von Albertus Magnus, die Distichen
des „Meisters" Cato, historische und geographische Bücher wie
die „Römische Chronik" (oder der sogenannte „Martimianus"),
übersetzt von Bene§ von Hororic zu Ende des 14. oder Anfang
des 15. Jahrhunderts, femer die bekannte Reise Maundeville's,
ans dem Deutschen übersetzt von Laurentius von Bfezovä
(VavHnec z Brezove; gedruckt Pilsen 1510—13 u. ö.). Endlich
rühren wir noch besonders die berühmte Heise Marco Polo's ins
Mongolische Reich im 13. Jahrhundert an. Die im 14. Jahrhun-
dert entstandene cechische Uebersetzung dieses Buches, unter dem
Namen „Million", hat in letzterer Zeit die Aufmerksamkeit der
Historiker auf sich gelenkt durch die sich darin findenden son-
derbaren Uebereinstimmungen mit „Jaroslav" der Königinhofer
Handschrift. *
• Herausgegeben in Staroh. Sklädänie, 111, vergl. Feifalik, Studien
elt, IV.
* VergL den Artikel Gebaner'e in Jagic's Archiv für slav. Phil.
.y Google
^ FünfteB Kapitel. I. Die Cechea.
i. Die hnsBitisclie Bewegung nM das „goldene Zeitalter" der öechlschen
Literatur.
Die neue Periode der cechischen Literatur kann man ziem-
licli genau mit dem 15- Jahrhundert anfangen, obgleich der
Wandel der Ideen vom 14- zum 15. Jahrhundert ein allmäh-
licher war. In Huss' reformatorischen Bestrebungen sprach sich
in der That eine neue Idee aus, welche den weitem Gang der
Cechischen Geschichte bestimmte, aber in andern literarischen
Richtungen dauerte die vorhergehende Entwickelung fort, mit
der auch Huss' Ideen grossen Zusammenhang haben. Deshalh
werden wir bei der Geschichte des 15. Jahrhunderts noch ins
14- zurückkehren. '
' Ueber diese l'eriode dur ceuhisehcu Literatur vergl. im allgirn
„BohuBlai Balbini Bohemia douta, ed. Rapliael Ungar" (1776). ~ Ad.
Voigt, „Acta litteraria Bohemiae et Moravioe" (1774—84).— V. Tomek,
„Geechicbte der prager UniTersität" (Prag 1Ö49); „DJjepia mffltaPrahj",3.—
4. Bd. — V. Hanka, „Bibliografie prvotiskBv iSeskycb od 14<Ui az da 1526
leta" (Prag 1853). — I.A. H eifert, „Miatr Jan Hus oneb poCätkove cirkev-
niho rozdvujeni v Ceuhäcb" (Prag 1857; vom katholiBebun Standpunklt!.
— Eug. Novikov, „Pravoslavie u Ccchov", 1848; „Hus i Ijutcr" („Kuss uoJ
Luther" in „Rnaak, Beaida" und twifioüdere Broschüre, ISftS. Die Uanptdar-
Btellung der Anaicht der Slavophilon in dieser Fn^(e). — A. Hilfurding,
„Hub. Ego otnoüenie k pravoalavnoj ecrkvi" (St. Petersburg 1871) und in ,.Ib1o-
rija ('echii". — V. Nadler, „Pritinj i pervyja projavlenija oppoeidi kalii-
licieiiiu V Ceohii i Kapaduuj Evrope v kuncö XIV i natalf XV v." (CharkoT
I8G4). — A.S. Klovanov, „O'-erk istorii CeSakugo vtToispovMnago dviienijr'
(in „Ctenija Moak. Obä&." 1869, TL. 3 u. f.). — Conat. Uöflcr, „Gescbicht-
sühreiber der liussitischen Bewegung in Böhmen" (3 Bde. 1856 — M); „Uagialer
Johannes Hua nnd der Abzug der deutaehen FrofesBoren und Studeoteo
aua Prag UOD" (I'rag 18(i4). t'cindliub gegen Iluaa und die nationale He-
wegiing der Cechen. — Fr. Palaeky, „(ieachichte"; „Dejiny doby husitake-
(umgearbeitet, 1871^72); „Die Vorlüurcr des Huaaitcuthuma in Böhmen''
(Prag IHÜJ); „Die Ueaehiuhte dea HuBsitcnthums und Prof. Conatantin HOf-
ler" (Pri^E 18C8); „Documenta Mr. J. Hua vitam, doetrinam, causam iHu-
atrantia. Edidit Franc. Palaeky" (Pragae 18«»). — Fr. de Bonnechost,
„Jean Hus pt le uoncile Je CouBtance" (2 Bde. Paria 1844); „Lettrea ir
Jean Hub, eeritea durant Non exil et dans sh prtaoD, tradniteB du latin eu
l'ran^aia" (Paria I84<1). — Erneat Denis, „Huas et la guerre dea Huesit«*"
(Paris 187KI. — Anton Qindely, „(ieachichte der böhmischen Brüder"
(2 Bde. Prag 1&"(7— .'>»|; „Rudolf II. und seine Zeit, 1600—161^" [2 BJe.
Prag lK(i8); „Quellen zur Geschichte der böhmischen Brüder" (Wien ISöHi:
„Di-jiny feskcho povstaui ICIS" (biajetzt 3 Theilc).
...., Google
Das Hussitentham. 69
Die F.ntwickelung der cechischen Literatur im 14- Jahrhun-
dert kräftigte sich beBonders infolge davon, dass sich die Bil-
duDgsroittel erweiterten und der Wohlstand des Landes unter
der Regierung Karl's IV. wuchs. Einen überaue grossen Einäuss
hatte dabei die Gründung der prager UniTersität (1348); zwar
wurde auch hier wie an den andern Hochschulen Westeuropas
die Wissenschaft in lateinischer Sprache vorgetragen, aber das
Latein war sehr verbreitet und die Bildung fand Eingang im
ganzen Lande. Andererseits trug zu einer Kräftigung der lite-
rarischen Thätigkeit auch die Theilnahme an der deutseben Bil-
doDg beträchtlich bei. Die Zeit Karl's IV. und seines Sohnes,
Wenzel's IV., wird überhaupt als die Glanzperiode der öechi-
schen Bildung anerkannt.
Die Kenntniss der lateinischen Sprache verbreitete sich im-
mer mehr; in den religiösen Streitigkeiten, welche jetzt die all-
gemeine Aufmerksamkeit der Nation auf sich lenkten, war diese
Kenntniss auch unumgünglich nothwendig. Wir begegnen des-
halb einer ganzen Menge lateinischer und anderer fremdländischer
Wörterbücher, die eine starke literarische Bewegung und Ver-
bindung der Cechen zu jener Zeit bekunden.' Ausser der latei-
nischen Sprache findet man in diesen Wörterbüchern die grie-
chische, deutsche (am häufigsten), französische, italienische, un-
garische und polnische. Das Latein war die Universalspracbe,
and die cecbiscben Schriffsteller liebten es, wie die andern eu-
ropäischen Schriftsteller, ihre Namen zu übersetzen oder nach
lateinischer Art umzufoimcn. Die Ausbreitung der Kenntnisse
zQEKmmen mit der stürmischen religiösen Bewegung verbrei-
tete die literarische Thätigkeit ausserordentlich, sodass vom
15. Jahrhundert an eine grosse Masse von Werken auf den ver-
srhiedensten Gebieten erscheint.
Wir wollen zunächst bei jenen romantischen mittelalterlichen
Stoffen stehen bleiben, die sich bei den t'echen schon seit dem
' EUn kleines Wörterbuch ward von einem der Haupt Vertreter des ge-
mäßigten HuBsitentbumB Kokycana vcrfasst; andere Worterbüchci- Bind:
„Mammotrectus", „Hymuarius", ferner das „Olniützev", das „Wiener" drei-
f|)rai:bige, aber besonders der „Luctifer", darauf im lil. Jahrhundert das
latciniach-Eechiseh-dcntsche Lexikon von Petrua Codicillus (oder Knizka),
..Sjlva" und „Nomendator quailriiinguiB " von Vclefllavin und vieie
:.., Google
70 Füuftea Knpitel. 1. Die Cechen.
14. Jahrhundert fest einbürgerten. Die mittelalterlichen Dichtun-
gen und der später daraus erwachsene Roman in Vers und Prosa
gehen in die cechische Literatur in ihrem ganzen weiten Unifung
aber. Aus den antiken S^enkreisen wurde die berühmte „Histo-
ria destructionisTrojae" des Guido dalle Colonne 1411 über-
setzt und als erstes 6echiEcheB Buch gedruckt in Pilsen 1468, dann
Frag 1488 und noch einigemal, weil es eine sehr beliebte Lek-
türe war; ApoUoniuB von Tyrus, bekannt in einer Handschrift
vom Jahre 1459 und oft gedruckt. Von den geistlichen Romanen
erfreuten sieb keines geringen Erfolges: Bari aam und Josaphat,
von dem Handschriften seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun-
derts bekannt sind (herausgeg. 1504 u. ö.); Joseph and Asse*
nach („Kniba o Josefovi a Assenach [Aseneth] maniJelce jebo",
Handschrift 1465, herausgegeben 1570), eine bekannte apokryphe
Geschichte vom alttestamentlichen Joseph; Solfernus („Sol-
fernuB aneb iivot Adamäv"), ein Roman, der den Streit der
tenflischen Heerschaaren mit Gott um den Himmel erzählt, über-
setzt aus dem Lateinischen in der ersten Hälfte des 15- Jahrhun-
derts, umgearbeitet von Häjek von Libocan und herausgegeben
von Sizt von Ottersdorf im Jahre 1553 u. a. Eine Menge mit-
telalterlicher Romane und Erzählungen, welche in die ceclii-
sche Literatur übergegangen waren, cursirte in HandBcbriflen
und wurde gedruckt, z. B. die bekannten Romane: Flore et
Blancheflore (,,Velmi peknä novä kronika aneb historia vo
velikc miloBti kniJete a kräle Floria a jeho mile pani Biauce-
fore", 1519 u. ö.); die Geschichte von der Melusine (Kronika
kratochvilnä o pannü Mel., 1555 u. ö.); vom Ritter Peter und
der Fürstin Magelone (Königgrätz 156Ö); Erzählungen Boc-
caccio's, bekannt aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderte;
die Erzählung von Kaiser JovinianuB; von den Sieben Weisen
(„Kratocbvilnä kronika o sedmi mudrcicb"); von Fortunatus;
von Till Eulen Spiegel; dieGcBpräcbe Salomo's mit Markolf
und viele andere ähnliche Werke, deren nächste Quelle die deutsche
Literatur war. Diese und ähnliche Geschichten waren bei den
Cecben ebenso populäre Bücher wie in ganz Europa, anfangs
als Lektüre der Ritter und des höhern Standes, dann aber auch
beim Volke, in welchem sie zum Theil noch bis zu diesem Augen-
blick leben. Es gab auch originale Goscbicbteu in diesem Ge-
schmack. Dahin gehören z. B. die Geschiebte vom cechischen
Fürsten Stillfried und seinem Sohne Brunswik und von
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Die Bomantä. 71
der Jungfrau Vlasta (einer cechigchen Amazooe), bekannt in
Ausgaben des 16. Jahrhunderts; die Erzählang von einem Mann
aas dem Ritterstande Pale^ek (Prag 1610 u. Ö.), eine morali-
sche Erzählung von Bartolomäua Paprockj' (Prag 1601 u. ö.).
Die Geschichte des Stillfried gehört eigentlich einer frühern Zeit
an; in Handschriften ist sie aus dem 15- Jahrhundert bekannt,
aber ursprünglich verfasst wurde sie, wie man glaubt, schon im
14. Jahrhundert, in der Form einer versificirten Erzählung. ' In
der Folge gingen diese alten Erzählungen auch in die Kategorie
der populären Lektüre über, besonders als für die £echische Lite-
ratur die Zeiten des Verfalls eintraten.
Wir haben oben gesehen, dass ausser dem „Gericht der Li-
busa" und der Königinhofer Handschrift, welche für den Aus-
druck einer rein nationalen Richtung galten, jetzt aber so stark
Terdächtig werden, die dechische Literatur, wie das ganze poli-
tische und sociale Leben, in Form und Inhalt einen so starken
lateinisch- deutschen Eiuäues zeigt, dass dieser EinQusB eher für
sehr alt und allgemein gelten muss. Endlich wurden vom
14. Jahrhundert an in der Literatur die Stimmen lauter, welche
eine Wiederherstellung der nationalen Ehre und der Volkssprache
Terlangten. Solche Patrioten waren der Verfasser der DalimiP-
schen Chronik, der Dichter der Alexandre'is, Smil von Pardubic
n. a. Diese ersten patriotischen Aufrufe des 14- Jahrhunderts
bereiten uns auf die nationale Bewegung vor, die sich in Böh-
men zu Anfang des 15. Jahrhunderts mit Huss' Auftreten
Töllzog.
Die Bewegung war im Grunde rein religiös, erhielt aber
schon bald die weiteste nationale Bedeutung. Dass die reli-
giöse Frage hier in erster Linie stand, und dann einen so um-
lässendea Umschwung herbeifuhren konnte, wie er bei den Cechen
im 15. Jahrhundert stattfand, — das erklärt sich durch die
mittelalterliche Bedeutung der religiösen Interessen und der ka-
tholischen Kirche in Westeuropa überhaupt, und durch die be-
sondere Lage, welche diese Kirche in Böhmen einnahm. Der
Katholicismus war nicht ganz friedlich nach Böhmen gekommen,
' Abgedruckt in „Vybor'', II. Die Geschichte vom fechisuhen Küoigs-
<ohn BruDBvik war auch in der russischeu Literatur des 17. JahrhuQderts
bekannt. S. Vypin, „Oterk stai. povSfltej", B. 223-227 (1857). JiteCek,
«Die Echtheit", S. 123.
.....Gooj^lc
72 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
nnd die lateinische Kirclie collidirte gleich von Anfang an mit
den IntereBsendes Volks und der Nationalität, — sie brachte
eine Aenderung in die staatliche Ordnung, indem sie den Prä-
tenEionen des Klerus und dem Feudalweseii den Weg bahnte;
ihr lateinischem Kirchenwesen und ihre Bildung waren den Massen
unverständlich; um das materielle Wohl der Geistlichkeit besorgt,
kümmerte sie sieb zu wenig um das Volk; dazu hatte dieses Volk
keine römischen Traditionen, aber dafür sollen, wenn auch nur
dunkle, Erinnerungen au eine eigene slaviscbe Kirche vorhanden
gewesen sein. Die politischen und socialen Misbräucho der
Geistlichkeit, welche die Güter zum Nachtheil des Volkswohl-
standes besass und der Sittlichkeit des Volks Aergerniss gab,
und die Misbräuche der königticben Gewalt, welche sowol das
Nation RlgeTiibl als die Freiheiten des Landes verletzte, unter-
gruben von verschiedenen Seiten die Autorität und, als gegen
diese Autorität das erste starke Wort gesprochen wurde, erwachte
in der Masse das bewusste Bedürfniss einer neuen Ordnung.
Die vorhergegangene Periode hatte schon dieses Bewusst-
sein vorbereitet, vor allem auf kirchlichem Boden. Die Ent-
wickelung der cecbischen Literatur unter Karl verbreitete die
Bildung bedeutend und lenkte die Aufmerksamkeit auf sitUicbe
und religiöse Fragen. FJne leichte Ironie über das Leben der
Geistlichkeit leuchtet schon in den satirischen Stücken durch,
welche Smil von Pardubio zugeschrieben werden. Aber allmäh-
lich erweiterte sieb die Frage, von den partiellen Mängeln ging
sie auf die allgemeinen Ursachen über, und nahm endlich einen
nationalen Charakter an. Eine Opposition gegen die bestehende
kirchliche Ordnung trat zuletzt unter der Geistlichkeit selbst bei^
vor: Karl IV. selbst wies den Papst auf die kirchlichen Unord-
nungen hin und beschützte Prediger, vfie den Deutschen Konrad
Waldhauser {gest. 1369; erverfasste: eine lateinische Apologie
gegen die Dominikaner und Augustiner; Poetilla studentium
sanctae Pragensis Universitatis super Evangelia dominicalia) und
den Cechen Johann M i 1 i t (Milic z Kromeri'ie [von Kremsier], gest
1374), welche eifrig gegen die weltliche und kirchliche Verderbniss
predigten, sodass diejenigen, denen diese Lehren nicht gefielen, auf
den Gedanken kamen, sie der Ketzerei zu beschuldigen. Milic war
schon ein charakteristischer Vertreter der nahenden religiösen Er-
regung, obgleich er noch durchaus nicht aus den bestehenden ka-
tholischen Formen hinausging. Nachdem erPriester und Kanonikns
...., Google
Die Torlänfer tou Hau. 73
geworden war, diente er in der königlichen Kanzlei, empfing zur
Belohnung eine gute Stelle und Einkünfte am St. Veitsdom in
Prag, und machte sich nach dem Beispiel WaldhauBer'ü au die
Predigt. Sie hatte anfangs keinen Erfolg, mau lachte ihn aus,
aber „der starke Geist, der in ihm nach Gottes Gnade loderte",
gab ihm Macht über die Geister. Die Kraft der Predigt wurde
darch strenge Ascetik und Uneigennützigkeit des Predigers ver-
stärkt. „In Leben und Kleidung war er bescheiden, sogar Über
das Mass", sagt man ron ihm, „was er hatte, gab er den Armen,
sieh selbst vergessend. Gewöhnlich predigte er jeden Tag zwei-
mal, zuweilen drei- und viermal. Gelehrte Leute wunderten
ach über die Schnelligkeit, mit der er seine Predigten verfasste.
Für die Studenten und Priester hielt er seine Predigten latei-
niBch, in reifern Jahren lernte er noch deutsch. Streng gegen
sieb selbst, schreckte er vor der Anklage selbst der mächtigsten
Leute nicht zurück, wodurch er sich gefährliche Feinde zuzog,
vor denen ihn nur die Protection KarPsIV. und des Erzbischofa
lon Prag rettete." Doch entging Milic den Verfolgungen nicht:
in seinem frommen Eifer hatte er unter anderm behauptet, der
.\ntichnst sei sichtbar auf der Erde erschienen, und einstmals
hatte er ihn in Karl IV. selbst gezeigt; viele aus der Mitte der
Geistlichkeit waren gegen ihn stark aufgebracht; Milic kam
nederbolt ins Gefangniss, reiste nach Rom, fand Protectoren am
Hofe des Papstes und starb zu Aviguon.' Milic war noch eng
an die Autorität der Kirche gebunden, aber konnte schon kein
rabiger Zuschauer des lockern Treibens in den bürgerlichen und
tirchlichen Kreisen mehr sein. Die starke, aufrichtige lleberzeu-
gnng, mit der er sprach, musste den ebenso aufrichtigen Wunsch
erzeugen, weiter zu gehen in den Anklagen des Uebels und im
Sachen der Wahrheit. So trat ein Schüler von ihm auf, Mat-
thias von Janor (Matej z Janova, gest. 1394), ein gelehrter Tbeo-
log und „Pariser Magister", aus einem ritterlichen Geschlecht; er
ging in der Predigt des unverfälschten Christenthums noch kühner
' Die Werke des Milif waren in Handschriften sehr verbreitet. Von
ihneo ist bekannt „I>ie Poetille" und daa Bucli „Deber die groBBen Trüb-
•»Ic der heiligen Kirche und jeder gläubigen Seele, welc'lie «ie vom Drachen
in den letzten Tagen deB AntichriBt zu leiden halMin" („0 zarnmcenich ve-
likych etc.", herausgegeben 1542), Ueber MiliC bei Palfteky n. a., auch Rn-
koiM, U, 30—33.
:.., Google
74 Fflnft«B Kapitel. L Die Rechen.
vor als Milit; in einem grossen theologischen Werke („De regulis
Veteris et Novi Testamenti") vertheidigte er die Schrift gegen die
kirchliche Tradition und die reine Lehre Christi gegeu die spä-
tern Zusätze menschlichen Klügeins; auch er hatte sich dem
kirchlichen Gericht zu nnterziehen wegen Beschuldigung der
Ketzerei.
Aber der bedeutendste von den Schülern des Milic war der
Ritter Thomas StitnJ {Tomas Stitnj? oderTöma ze 86itneho, geb.
13U5 — 26, gest. um 14CÜ). Nachdem er zu Hause den ersten
Unterricht in streng religiösem Geiste empfangen hatte, &tudirte
er, wie es scheint, in einer Klosterschule, und bezog dann die eben
gegründete prager Universität, wo er Philosophie, Theologie und
kanonisches Recht studirte. Die „feurigen Worte" der damah>
gen Prediger machten einen starken Eindruck auf ihn, und er
ward ein eifriger Anhänger des Miliö, unter dessen Einöuss er
auch Schriftsteller wurde. Sti'tn^ ist einer der bedeutendsten
Männer des 14. Jahrhunderts ; in Bezug auf Klarheit äes
Verstandes, patriotische Denkweise, Leichtigkeit und Flnts
der Sprache stellt man ihn an die Spitze der Schriftsteller
seiner Zeit. Seine Werke sind ausschliesslich der christlichen
Philosophie und Ethik gewidmet. Die damalige christliche
Philosophie ging in der bekannten scholastischen Theologie
auf und die gewöhnliche Sprache der gelehrten Magister war
das Latein. Ktitny ging von der Gewohnheit ab, sowol im In-
halt als in der Form : seine Philosophie ist nicht jene trockene
theologische Casuistik, wie sie bei den Schulgel'ehrten herrschte;
im Gegentheil er mied die unfruchtbaren Spitztindigkeiten der
Scholastik und stellte mit einfachem Gefühl seine religiöse Phi-
losophie dar, deren Hauptzweck die lebendige, praktische Beleh-
rung war, bestimmt nicht für die Gelehrten, sondern fUr jeden
Leser. Seine Philosophie ist ein gemässigter christlicher Mysti-
cismus, gerichtet auf die sittliche Besserung der Menschen. Das
lag durchaus nicht im Geiste der damaligen Schulgelehrsamkeit,
und in der That, die Werke Sti'tny's wurden von den zünftigen
Theologen sehr feindlich aufgenommen: man verurtheilte ihn,
dass er, ohne selbst ,, Magister" zu sein, sich mit Dingen beEaBse,
die nur „Magistern" zukamen, und die hohe Wissenschaft profanire.
indem er von ihr zum Volk rede. Stitn^ wollte sich in der That
an das Volk wenden und brauchte deshalb in seinen christlich-
pliilosophischeu Abhandlungen die cechische Sprache. Hierbei
Die Vorläufer von IIum. 75
mosste er sich ebenfalls wieder vertheidigeQ: auf daB Beispiel des
Apostels PauIuB hinweisend, der seine Briefe an jedes Volk in der
diesem verständlichen Sprache geschrieben habe, sagt er: „Ich
«erde cechisch schreiben, weil ich ein Ceche bin, and Gott der
Herr liebt den Öechen ebenso wie den Lateiner." Die Werke
ätitny's bestehen aus kleinen Tractaten über verschiedene Gegen-
etande der christlichen Lehre und Ethik; bisher sind ihrer gegen
26 gefunden worden, zum Theil in Sammelbände vereint. Das
Hauptwerk in Bezug auf christliche Philosophie war „Re6i be-
sedni" (oder „Eozmluvy ndboiSne" — „(Jnterhaltnngen" oder
„Religiöse Gespräche" zwischen Vater und Kindern); in Bezug
anf christliche Moral: „Koiiky sestery o obecn^ch veeech kre-
sfansk^ch" („Sechs Bücher über allgemeine christliche Dinge")
und „Kniby nanceni krestansk^ho " („Bücher der christlichen
Lehre"). Alle diese Tractate sind in zwei Bearbeitungen er-
halten, vom Jahre 1375—1400.'
Alle diese Vereache einer Kirchenverbeeserung und zugleich
patriotischen Vertbeidigung der Nationalität erlangten erst öffent-
liche Macht, als der berühmte Magister Johann Hues, Prediger
an der Bethlebemskapelle in Prag, Professor und später Rector
der prager Universität, als Führer derselben auftrat. Johann Huss,
die grÖsste Persönlichkeit in der böhmischen und ein berühmter
Name in der Weltgeschichte, war geboren 1369 zu Husinec im
Kreise PracheA (jetzt Pisek). Ans seinen frühern Jahren ist
nur bekannt, dass er in Prag studirte; 1393 wurde er Bacca-
laureuB, 1394 legte er die Prüfung zum Baccalanreus der Hei-
ligen Schrift ab, 139ti wurde er Magister der freien Künste.
Von da au begann er selbst an der Facultät der freien Künste
' Die Werke Stituy'B, zu ihrer Zeit selir bekannt, vurden im 19. Jahr-
bandert fast neu entdeckt. Palsck^ lenkte zuerst die Aufmerkaanikcit auf
ihre bistorisühe Bedeutung; seitdem haben sich viele fechische Gelehrte mit
ihrer Erforsi'bung beschäftigt, wie f^elakovsky, Jungmann (in „Roz-
bor" der altCeoh. Literatur), Cupr (Öasopis 1817, II), J. Wenzig (Studien
ober Kitter Th. von ätftnc. Leipzig 18ö6), L HannS („Rozbor filosofie
Tomiiö M St.". Prag 1852); Job. JireSek (Casopis, 1861; Rukovfit, II,
26fi— 272) u. a. Ausgaben: Umfängliche Auszüge im „Vybor", I; femer
gab die „Enizky iestery o obecnfch vfecuh kfeefanskjch" K. Jar. Erben,
luit einer Biugraphie Stitny'a (zur Erinneriing an die OrÜDdung der prager
L'nivcrsität vor 500 Jahren; Prag 1850) heraus; „Tomy ze ätitneho bnihy
■»uieoi k^stanskeho" gab A. Vrtatko heraus (Prag 1873).
...., Google
76 Fünftem Kapitel. I. Die Gecken.
ZU lehren, sowie auch in der theologischen Facultät und ward
bald eine der thätigsteu Mitglieder der Universität. In den
Jahren 1401 — 1402 war er Dekan seiner Facultät. Um dieselb«
Zeit ward er Prediger an der ßethlehemskapelle und emptiog
dabei die PrieBterweihe. 1402 — 1403 ward er zum Rector der
drei Facultäten erwählt, womit er die Professur und das Predigt-
amt verband. Als Mann von aufrichtiger Frömmiglceit kounte
er der allgemeinen Frage des kirchlichen Lebens gegenüber, die
zu Ende des 14. Jahrhunderts erhoben war, nicht gleichgültig
bleiben; wie Milic machte er durch seine Predigten eiuen star-
ken Eindruck auf das gesammte prager Publikum, wobei er sich
einerseits warme Freunde, andererseits unversöhnliche Gegner
zuzog. Aber wie Mili6 und ätftny wich er im Wesen der Sache
noch nicht von den katholischen Lehren ab, genoss sogar das
besondere Vertrauen des prager Erzbischofs. Wahrscheinlicb
war der Ruf seiner Predigten und seines tadellosen Lebens da
Anlass, dass die Königin Sophia, die Gemahlin Wenzel's IV., ihn
zu ihrem Beichtvater erwählte. Kirchliche Misbrauche, Zwistig-
keiten selbst im höhern Klerus der römischen Kirche, der Skandil
der drei gleichzeitigen Päpste u. s. w. ei'weckten noch mehr Sym-
pathie für die anklagende Predigt, und Huss hatte Parteigänger
nicht nur im Volke, sondern auch am Hofe und im höhern Adel.
In noch lebhafterer Weise ward die Kirchenfrage erhoben, als der
Freund des Huss, Hieronymus von Prag (geb. um 1379 zu Prag,
gest. 1416), ein cechischer Adeliger und Baccalaureus der freien
Künste, aus Oxford die theologischen Tractate Wicliffe's ' brachte,
welche scharf für die Reform eintraten, welche bisher die techi-
schen Vertheidjger derselben massiger verlangt hatten. Die
Lehren Wicliffe's fanden bei den Cechen einen fertigen Boden:
schon Thomas Stitny hatte bei aller seiner Mässigung an der
Transsubstantiation gezweifelt; Matthias von Janov trat für
das echte Christcnthum gegen die neuere Verderhniss ein;
die Autorität des Klerus ward schon Zweifeln unterwarfen.
Hubs und seine Freunde unter der Geistlichkeit und den
Magistern der Universität nahmen die Lehren Wicliffe's mit
Sympathie auf, aber eigentlich zeigten sich die reformatori-
scheo Tendenzen von Huss selbst schon frUher, sobald er
öffentlicher Lehrer geworden war. Die neuen Thesen Wicliffe's
' Auch Wiclef, Wiklef, Viklef u. ■- w. geBohrieben.
ü,g :.._..., Google
Jobann Hubs. 77
wardeD auch an der Universität gelehrt*, obgleich sie in der
ersten Zeit nur von wenig Mi^Hedern derselben angenommen
wurden und man in ihnen nicht so sehr eine directe Heraus-
forderung als vielmehr eine gelehrte Ansicht über kirchliche
Dii^e sah.*
Ohne die Einzelheiten des begonnenen Kampfes aufzuzählen,
werden wir nur seine Hauptzüge erwähnen. Die Frage der reli-
giösen Reform ward bald zu einer Sache der prager Universi-
tät, welche damals die höchste gelehrte Anstalt war, die einzige
für ganz Mitteleuropa. Die prager Universität zog damals eine
Menge von Hörern heran, deren grosse Mehrzahl aus Ausländern
bestand. Die Nationen, in welche sieb die Universitätsbiirger
theilten, waren: die öechiscbe (mit den Mäbrem und Ungarn),
die sächsische (mit den Norddeutschen), die bairische (mit
den Süddeutschen, der Schweiz, Kärnten, Krain u. s. w.), endlich
die polnische (mit den Schlesien!, Lausitzem, Preussen, d. i.
in der Mehrzahl Deutschen oder germanisirten Slaven, sodass
diese „Nation" nur topographisch slavisch, in Wirklichkeit aber
auch deutsch war). Unter der Zahl der Ausländer pflegten an
der Universität auch Franzosen, Italiener, Engländer zu sein.
Die cechische Nation, mit allen Studenten, Baccalaureen und
Magistern bildete nur den sechsten Theil der ganzen Universität,
sodass der Nationalität nach die prager Universität bei weitem
nicht national CG chisch war. Ihrem Charakter nach war sie in-
sonderheit theologisch und' lateinisch, wie überhaupt die gelehr-
ten Anstalten jener Zeit. Sonach konnte in dieser Zusammen-
setzung einerseits die Universität eine Stütze der katholischen
' Da das Statut der [iiagei- Universität de» Professor erlaubte, nicht
nur Beine eJgenPD Werke zu lesen, sondern auch andere, wenn sie nur von
irgendeinem (irager, pariser oiier oxforder Magister gesdiriebpu waren
(Jummodo sint ab aliquo famoso du universitate Pragonsi, Pariaienai vel
Oiuaieusi magistro eonipikta. Helfert, S. M), d. i. wenn nur die Gelehr-
KSnikeit des Werkes genügend geeichoi-t war.
' In der Bibliothek zu Stockholm wird eine eieeuhändigc Abschrift
<ler Tractate Widiffe'a vonllusa aufbewahrt: Ue individnatione teinporis et
inttantig. De ideis, De materia et forma. Die Abschrifb wurde 13:i8 beendet,
>n die s, Hieronymi Hlavi. Intercssaut sind darin die fechiscben KeiHi'.hrif-
len. z. B. „Gotl «äbe Wiclef das Hiramelreicli ". oder ,.0 Wicief, Wiclef,
mthc als einem wirst du den Kopf wankend maebeu" (0 Wiclef, Wielef,
nejednomu ty bbvn zvikleS).
...., Google
78 FÜDftes Kapitel. I. Die Cechen.
Orthodoxie sein und war es auch wirklich , andererseits blieben
ihre Lateiner den Interessen der Sechischen Kation fem, auf
welche die gelehrten Professoren, besonders die ausländischen,
geringschätzig herabsahen, und mit der sie nichts gemein haben
wollten. Unter diesen Bedingungen bereitete sich der Anlass zu
einem künftigen Zueammenstosa vor. Wie oben bemerkt, tritt
schon Thomas Sti'tny zu Ende des 14. Jahrhunderts gegen die
dem Volke fremden Lateingelebrten auf, welche ihr Wissen für
ein Zunftgeheimniss hielten. „Gott ist der Cecbe so angenehm
wie der Lateiner", sagte er; das Ziel seiner Arbeiten war näm-
lich, den des Lateinischen nicht kundigen Leuten die Lehre zu
geben, von der man nur lateinisch schrieb. Bie Lateiner Ter-
bielten sich dem gegenüber feindlich; Stitn^ antwortete: „Der
heilige Paulus schrieb seine Briefe in der Sprache derjenigen, an
die er schrieb, an die Hebräer hebräisch, an die Griechen grie-
chisch; warum sollte der liebe Gott nicht auch den Cecboi
schreiben und an seinen Willen mahnen in einer Schrift, die bei
ihnen gebräuchlich ist?" Er seinerseits spottet über die Schnl-
weisen, die befürchteten, der gewöhnliche Leser werde die hohe
Lehre misbrauchen: „Soll man etwa deshalb keine Brücke
bauen, weil der Dumme von ihr herabstürzen könnte?" Das
Vorherrschen der fremden Nationalitäten auf der Universität
verstärkte nur diese gegenseitige Abneigung. Es Hess sich er-
warten, dass im Falle eines Streites die nationale und patrioti-
sche Partei gegen die Vertreter der officiellen lateinischen Wissen-
schaft auftreten werde.
Dieser Fall stellte sieb ein in einem Conflict aua Anlass der
Thesen Wicliflfe's, die von Johann Huss, einer damals schon sehr
einäussreichen Person an der Universität, und von andern eifrigen
Anhängern der Reform, unter denen sich auch der Subk&nzler
der Universität, Nikolaus von Leitomiscbl, befand, angenommen
wurden. Im Jahre 1403, am 28. Mai, sollte ein Convent aller
prager Magister über 45, Wicliffe's Werken entnommene Thesen,
die von der Kirche verdammt waren, aber doch von einigen Leh-
rern der Universität vorgetragen wurden, sein Verdict abgeben.
Der Convent sollte alle Punkte dieser Lehre durchgeben, gegen
welche schon die Beschuldigung der Ketzerei ausgesprochen
war. Trotz aller Bemühungen von Huss, der die Richtigkeit
der Auswahl dieser Tbpisen verw.arf, blieben die Vertheidi-
ger Wicliffe's in der Minorität, und die Majorität bestimmte:
ü,g :.._.. ..Google
Jofaanii Hubs. 79
dass kein einziges Mitglied der prager Universität auch nur
einen der 45 Artikel Wiciiffe's lehren dürfe. Diese Entecbeidung,
ohne Huss zu veranlassen, sieb von seiner Ueberzeugung loszu-
sagen, heatimmte klar die Stellung der feindlichen Parteien : die
TOD der nicht nationalen Mehrheit der Magister getroffene Be-
stimmung wurde für ein Attentat gegen die ^echische Nationalitat
genommen, weil Huss und seine Genossen (echische Patrioten
und Freunde des Volkes im Sinne Stitn^'s waren, die Deutschen
aber sammt den andern fremden „Nationen" der Universität auf
Seite der klerikal-conservativen Partei standen, welche Huss und
der Reform feindlich war. Sonach vereinten sich zwei anfangs
unabhängige Bestrebungen in eine: die religiöse Opposition der
{«chischen Predigfer verschmolz mit der nationalen Antipathie,
gegen das Vorherrschen der Ausländer und die Vertheidiger der
Nationalität wurden kühner, unterstützt von den Reformatoren
der Universität. Gleich im ersten Moment des Kampfes erweisen
dch also Huss und die Anhänger der Beformen als rein natio-
nale Factoren und die antihussiiische Partei, die deutschen Ele-
mente an der Universität und in der städtischen Bevölkerung,
erscheinen zugleich als antinationale Partei.
Die neue Lehre, welche verschiedene, dem reinen Christen-
tlium widersprechende Ordnungen und Gebräuche der Kirche in
Zweifel zog und die Autorität der Hierarchie, welche dem Mis-
braucb ruhig zusah, leugnete, — breitete sich immer weiter aus
trotz der Verbote: die Kirchengewalt begann Priester und Laien
unter Beschuldigung der Ketzerei zu verfolgen , aber wie es oft
in solchen Fällen geht, sie erkannte die ganze Bedeutung der
drohenden Gefahr nicht. Die äussern Umstände waren für
Huss günstig: für ihn trat die nächste Umgebung König
Wenzel's IV. ein, viele i'ecbiscbe Herren und Ritter, die es
nach den Gütern der GeisUickeit gelüstete, da eine Säcularisi-
iTing der Kirchenguter bei den Vertheidigprn der Reform schon
für notbwendig erachtet wurde; auch König Wenzel protegivte
Huss, indem er die nationale Bewegung aus Gründen seiner
politischen Beziehungen zur Kirche förderte; Huss bewahrte auch
lauge Zeit gute Beziehungen zum erzbischöflichen Hofe. Der
Kampf an der Universität dauerte fort; Huss predigte auch fer-
Tier mit deutlich Wicliffitischer Färbung. Im Jahre 1408 wurde
noch ein Process wegen Ketzerei veranstaltet und bald danach
»urde au der Universität die cechiache „Nation" versammelt zur
ü,g:.z_.u., Google
80 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
Prüfung ebenjener 45 Thesen, — weil eigentlich auch nur ne
ein IntereBse an der neuen Lehre hatte. Unter dem Vorsitz
des Rectors versammelten sich 64 Magister und Doctoren, 150
Baccalaureen und an 1000 Studenten, und obgleich bestimmt
wurde, dass kein einziges Mitglied der fechischeii Nation sich
erkühne, irgendeine von diesen Thesen anzuerkennen, zu ver-
breiten oder zu vertheidigen, so wurde doch zu dieser Entscliei-
dung die Clausel gemacht , dass sich das Verbot nur auf das iu
den Thesen WiclifFe's bezöge, was in ihnen Falsches oder Häre-
tisches sei (in sensibus eorum baereticis aut erroneis auts candalo-
sis). Wenn es aber jedem überlassen blieb zu entscheiden, ob
in einer gegebenen These Ketzerei sei oder nicht, so liegt anf
der Hand, dass die Clausel die ganze Kraft* der Entscheidung
aufhob.
Endlich gab ein Ereigniss dem nationalen Princip an der Uni-
versität definitiv das Uebergewicht und damit bei dessen Zusam-
menhang mit der Sache der Reform der Lehre von Huss selbst.
Die Feindschaft zwischen den Nationen , welche an der Univer-
sität aus religiösen Meinungen und nationaler Selbstliebe ent-
sprungen war, hatte schon früher die Frage über das Stimmen-
yerhältniss derselben hervorgerufen. Bisher hatte jede Nation je
eine Stimme gehabt, da aber von den vier „Nationen" drei fremd
waren, so blieben die Öechen immer in einer ungünstigen Lage,
wenn es sich um etwas handelte, was das nationale Interesse be-
rührte. Und solcher Angelegenheiten gab es jetzt viele. Die
cechische Nation verlangte, behufs eines richtigen Verhtütnisses
der Ausländer zu den Einbeimischen, dass ihr drei Stimmen über-
lassen würden, den übrigen Nationen aber je eine. König Wen-
zel wollte sich hierin zuerst entschieden ablehnend verhalten,
entschied aber dann unter dem Eiufluss der ihn umgebenden
Patrioten die Sache unerwartet zu Gunsten der Cecben und ge-
währte ihnen die gewünschten drei Stimmen an der Universität
(Decret von Kuttenberg). Dies war für die feechische Nation ein
grosser Triumph : von dem Augenblick an wurde ihr Einfiuss an
der Hochschule gesichert, der für den Erfolg der begonnenen
Sache nothwendig war. Um diese neue Ordnung an der Univer-
sität einzufuhren, war eine Einmischung der Behörde nothwendig;
die fremden Nationen, erbittert und beleidigt, entschlossen sich
zur äussersten Massregel. Im Jahre 1409 verliessen die ausländi-
schen Magister und Studenten, der Zahl nach gegen 5000, Pr«g
ü,g :.._.. ..Google
Johftnn HuBB. gj
for immer und wählten sich zum grösKtcn ThetI einen neuen
Zufluchtsort in Leipzig; (lamit wurde der Grund zur leipziger
DniTersität gelegt. ' Dieses Ereigniss, betrübend sowol für
die Weggezogenen als für Prag selbst, das eine Masse an-
ziehender und gewinnbringender Bevölkerung verlor, war den-
noch ein Sieg der national - reformatorischen Partei. Der Weg-
zug der Deutschen löste der fechischen Bewegung die Hände,
und sie blieb national für die ganze Zeit des hussitischen Kam-
pfes. Der erste Eector, welcher an der neuen Universität nach
diesem Ereigniss gewählt wurde, war (zum zweiten mal) Johann
Hnss, 140S>— 10. Es ist augenscheinlich, dass auf ihn die Menge
ihre Hoffnungen und Interessen nicht nnr des kirchlichen, son-
dera auch des nationalen Kampfes concentrirte.
Von den weitern Ereignissen wollen wir nur die Hauptzüge
erwähnen. Die Zeit war überhaupt unruhig. Die Zwiste der
I^pste standen in höchster Glut; König Wenzel war mit dem
Erzbischof ZbyÄek von Prag verfeindet und protegirte die nn-
tionale Partei, welche nach der religiösen, vom Erzbischof ver-
dammten, Reform strebte. Weder der König noch der Erz-
bischof waren zu Concessionen geneigt ; ein Zusaminenstoss war
nnverraeidlich. Die Geistlichkeit beklagte sich beim Erzbischof
aber die Ausbreitung der Ketzerei; Zbynek empfing vom Papst
die Vollmacht, die Wicliffitischen Ketzereien streng zu verfolgen,
und ei^ff schliesslich seine Massregeln: er gab den Befehl, die
Bücher Wicliffe's zu confisciren und zu verbrennen und verbot die
Predigt in den Kapellen und an andern Orten, ausser den Pfarr-
ond Collcgiatkirchen. Gegen das erstere trat die Universität
auf, indem sie die Vcmrtheilung der Bücher für eine Hecinlräch-
ligung ihres Rechts ansah; das letztere war gegen die Predigt
Hnss' in der Bethlehemskapello gerichtet, und Hiiss beschwerte
sich beim Papste, ohne seine Predigten einzustellen. Der König
verwarf auch di&Entscheidung dos E.rzbischofs, aber der letztere
bestand auf seinem Willen, am 16- Juli 1410 wurden die Bücher
Wicliffe's in der That verbrannt und drei Tage daranf Huss wegen
Ungehorsam in den Bann gethan. Diese Massregeln machten
einen schlimmen und gehässigen Eindruck sowol auf die Univer-
' Aaderfi waniiton aicli nacli Erfurt, Iluidelliprg, KiVln , waB dann mit
Mm Aufblühen der nocIiBelmlea in DrutEcliltiDil nnd nu eini?r merkwürdigen
glfichmäMigen Auabreiliing der Bildung tlnsetligt beitrug.
D,9:.z.c., Google
82 Fanftee Kapitel. 1. Die Cechen.
sität als auf den Hof und auf die prager Bevölkerung ; der König
trat für Huss beim Papste ein, übte Repressalien an den Ein-
künften der Geistlichkeit, aber Zbyüek verstärkte noch den Bann
gegen Hubs und belegte sogar ganz Prag mit dem Interdict (,1411).
Die Versöhnungsversuche zwischen dem König und dem Eiz-
bischof sowie der Tod des letztern hielten den Gang der Dinge
nicht auf. Huss sandte an den Papst eine Darlegung seinet;
Bekenntnisses, worin er erklärte, dass er die Thesen WicliiTe's
gar nicht in dem ketzerischen Sinne auffasse, wie er ihnen
von seinen Feinden beigelegt werde. Er hielt noch an der
Kirche fest, und den Ungehorsank gegen Zbynek erklärte er
damit, dass er selbst an die höhere Autorität appellirt habe-
Inzwischen verlor seine Stimmung immer mehr den friedlichen
Charakter und neue Collisionen mit der kirchlichen Gewalt in
Pressburg und alsdann in Frag (1413) gingen in offene Feind-
schaft über. Die Sache verhielt sich so, dass die Hoffnung aif
eine Verbesserung der Kirche nicht abzusehen war; im Gegen-
theil, die Misbräuche hörten nicht auf, den päpstlichen Thron
bestieg Johann XXIII., selbst nach den Worten katholischeT
Schriftsteller einer der schamlosesten Schänder der Kirche. Im
Jahre 1412 begann zu Prag ein Verkauf von Ablässen zur Fül-
lung der päpstlichen Kasse. Huss trat kräftig gegen diesen
Handel auf in einer Universitätsdisputation (7. Juni), in Predig-
ten und Sendschreiben, die er in Böhmen, Mähren, Schlesien,
sogar in Polen verbreitete. Diesmal bestätigte seihst der Papst
den Bann gegen Huss, befahl, die Betblehemskapelle dem Erd-
boden gleichzumachen, und belegte Prag mit dem Interdict, bis
Huss die Stadt verlassen werde. Im December 1412 verliess
Huss auf den Wunsch des Königs Prag; die Bemühungen Wen-
zel's um eine Versöhnung blieben erfolglos. Huss Hess sich aaf
dem Lande nieder, bei Freunden, und fuhr trotz des päpstlichen
Bannes fort, der Landbevölkerung zu predigen, in Versammlun-
gen auf freiem Felde, an Festtagen und bei andern Gelegen-
heiten, wo Volk zusammenströmte; er schrieb seine lateinischen
und äechischen Tractate. In der erwähnten Universitätsdisputa-
tion sprach er zum ersten mal den Gedanken aus, dass die Gläu-
bigen nicht verpflichtet seien, die Befehle des Papstes auszn-
fuhren, wenn diese mit dem Gesetz Christi nicht übereinstimm-
ten — damit war der Weg zur Freiheit der Auslegung der Hei-
ligen Schrift geöffnet. Der Itannstrahl und die Entfernung aus
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Johann Hasa. g3
Prag brachten somit die Verbreitarig seiner Ideen nicht zum
StilUtand, sondern verschaifteii ihtien im Gegentheil immer
mehr Boden auch fern von der Hauptstadt. Der Käme Hubs
wurde auch beim Landvolk so populär wie unter seinen Zu-
hörern in der Bethlehemakapelle.
Inzvischen hatte der König nach Mitteln gesucht, die reli-
giöse Gärung zu beruhigen, und ein solches Mittel schien ein
CoDcil zu sein, das auf die Bemühungen von Wenzel's Bruder,
Sigisinund, vom Papst Johann XXUI. nach Konstanz berufen
wurde. Huss sollte auf dem Concil seine Ansichten darlegen,
damit sie dieses billige oder verwerfe; Sigismnnd gab Bürg-
schaft Tür seine Freiheit vor dem Concil und sichere RUckkehr
nach Hanse. Im October 1414 begab sich Hubs nach Konstanz
in Begleitung dreier Cechischer Herren. Nach dreiwöchentlichem
Anfenthalt daselbst wurde er jedoch ergrifTen und ins GetangnisB
gesetzt. Auf dem Concil wurde ein Lügengericht abgehalten,
an dessen Ende Huss, fi. Juli 1415, als verhärteter Ketzer er-
klärt, der Priesterwürde entkleidet, „der weltlichen Macht über-
geben" und nach den Gesetzen gegen die Ketzer lebendig auf
6em Scheiterhaufen verbrannt wurde — eine der schimpflichsten
Handlungen in der Weltgeschichte und eins der erhabensten
Zeugnisse von der Macht der Ueberzeugung und der Menschen-
würde! Schon im Gefängniss bekam Huss Nachrichten aus Böh-
men über die ersten Resultate seiner Predigt und über die Ver-
änderung der kirchlichen Gebräuche, welche aus jener hervor-
gehen niusste; sein Freund, Jakob von Mies (Jakoubek ze Stribra),
fing an, dem Volke das Abendmahl „unter beiderlei Gestalt" ni
Teichen; es begann die taboritische Bewegung — nicht zufallig in
derselben Gegend, wo vorher Hubs nach seiner Entfernung aus
Prag gepredigt hatte. Im Jahre 1417 proclamirten ihn seine
Anhänger unter Vermittelung der prager Universität zu einem
heiligen Märtyrer, und sein Andenken wurde am \j. Juli im Laufe
der nächsten zwei Jahrhunderte gefeiert.^
' Heber das KanBtanzer Conoil vergV ausser <len »ahan oben ge-
lUiintCD Büchern über die hnssitische Feriode; von der Hardt, „Magoum
Oeeamenuinm Constantiense Concijinm"; die Kirche Dgeacliichteo; Hefele,
Tt'^oneilicDgeBchichte" u. a. Wir vei'zeicbnen noch ein ruesiachea Werk :
;.KonBlanokijeohor,1414— 18. ConciliumConatanoieDaeMCDXIV— MCDXVIII.
IidaDie Inip. ruBsk, aroheol. obS.'estva" (St. Petersburg 1874, 4.). Es ist dies
ü°l., Google
84 Fünftes Kapitel. L Die C'echen.
Der ganze folgende natioDal - religiöse Kampf des 6echiBchen
Volkes wird auf zwei Jahrhunderte mit Hnss' Namen bezeichnet
Sein Einfluss, wie der einer jeden grossen historischen PerBÖn-
lichkeit, erklärt sich einerseits durch die dringend gewordeneD
Forderungen des Jahrhunderts, denen er den stärksten Auedmck
verlieh; anderseits durch seine bedeutende Persönlichkeit. Cechi-
sche Historiker charakterisiren ihn so. Weniger streng in seiner
Predigt als Waldhauser, weniger phantastisch als Milic, übte er
auf die Zuhörer keinen so schnellen Eindruck aus wie seine Vor-
gänger: aber die Wirkung seiner Rede war tiefer und fester.
Er wendete sich vor allem an den Verstand und den gesunden
Sinn, und wirkte erst nach der Ueberzeugung auch auf das Ge-
fühl. Die Schärfe und Klarheit des Gedankens, die Fähigkeit,
ins eigentliche Wesen des Gegenstandes einzudringen und ihn
jeden) darzulegen, eine ungewöhnliche Belesenheit, besonders in
der Heiligen Schrift, eine kräftige Vertheidigung seiner Säue
gaben seiner Predigt grosse Anziehungskraft;. Dazu gesellten
sich grosse Eigenschaften des Charakters: strenge Gerechtigkeit,
ein lebendiger und starker Glaube, ein tadellos reines Leben, ein
eifriges Streben, das Volk moralisch zu heben und die Kirche
zu verbessern, eine Festigkeit der Ueberzeugang , die bis tarn
ttino AntiKabe von Abbildangcn, zn d<^r „Chronik des Konntanzer C«n«il>"
^hürig, die von eiuem Büi^rr der Stadt, Ulricli F. Riuhen tlial, «el-
cher am Concil aelliNt thttilnabm, gescbrii'ben wurde. D'iv erste gedruckt«
Ausgabe der (^bnmik RiiiliiidllLara ersebieu in Augsburg 14ft3: „PaB Cooci-
lium Bucb geflcbehen zu (loatem-z, mit 44 Blatt Abbildungen nnd Por-
träU." Zweite Ausgabe Augsburg If».Sfi; ilie dritte — „Handlung desi Cm-
ciliumR zu (lostnitz", Frankfurt a. M. 15T5, mit 34 Kupfergticfaen. Alle Aob'
gaben haben Veraohiedenheitea. Im Jahre 186» wurde die Handschrift der
Chronik, welche sich Im städtischeo Archiv fu Constanz findet, herauige-
gehen: „Chronik des Concils zu Conatanz von Ubicb von Richenthal HU
—Ift" (Konstanz). Die Ausgabe ist photfijjraphirt, mit 105 Alibilduugen und
einer Menge von Wappeu und mit einem vollständigem Text als die ge-
druckten Ausgaben. Die ruasiBclip Ausgabe itt die Reproduction einer der
Petersburger Akademie der Künste gehörigen Hand »ehtift aus dem 15. Jahr-
hundert auf M Blätteru, welche nur die Bilder enthält mit UnterBohrifteu
in lateinischer Sprache. Die Bilder des Originals sind ziemlich kfinetlerisch
ausgeführt und bieten in archäoltigiaclier Beziehung viele Eigenheiten im
Vergleich zu den frühern , gedruckten und photograpbirt«n , AuE^ben.
Dieselbe iat ein Facsimile in Farben. Auf Blatt 21-22 befindet »ich Ja»
Porträt von Huss.
...., Google
Johann Hubs. 85
Heroismus der Selbstaufopferung ging.* Wie auch die histori-
üchen BediDguDgen, welche die t-echische Bewegung ecliufeu, be-
schaffen sein mochten, Hues' Persönlichkeit hatte ohne Zweifel
einen gewaltigen Einfluss auf die Erweckung der nationalen
Kräfte, die von da an zum Selbstbewusstsein kamen und den
Schauplatz der Thätigkeit betraten, lieber seinen persönlichen
Charakter und seine reformatorische Wirksfunkeit halten wir
es noch für nöthig, das Urtheil Hilferding's anzuführen:
„Huss gab den AnstoHS zu einer reformatorischen Bewegung,
er ward zum Begründer des Protestantismus; die Historiker sagen
aach, er habe Reformator sein wollen. Aber ist das richtig?
. . . Huss unterscheidet sich eben darin von Wicliffe, Luther,
Zwingli, Calvin, Chelcickj? und andern Begründern protestanti-
scher Sekten, dass er gar nicht daran dachte, eine neue Lehre
zu begründen. Huss' Verehrer macht sein Verhältniss zu Wicliffe
stutzig. Die Theorie gehört ganz WiclifTe an, Hubs nahm daraus
nur venige und zwar in Bezug auf das Glaubensbekenntniss am
wenigsten wesentliche Punkte, fügte ihnen selbst nichts Neues
hinzu, — und doch, wie unerniesslich höher steht er als Wicliffe!
Die Sache beruht darauf, dass Wicliffe ein Dogmatiker war;
Huss wurde aber nur von einem Gedanken geleitet: dasSitten-
gesetz des Christenthums treu auszuführen. Es ist schwer, in
der Geschichte einen Mann zu finden, der mit so unbedingter
Wahrheitsliebe die Gebote des Evangeliums durch sein Leben
rerwirklicht hätte. Er ahmte dem Stifter des Christenthums
auch darin nach, dass seine Lehre nicht den Charakter dogma-
tischer Formeln, sondern den einer lebendigen sittlichen Unter-
weisung trug. Er zeichnete sich weder durch ungewöhnliche
Gelehrsamkeit noch durch das Genie eines Schriftstellers oder
Predigers ersten Itanges aus: seine Werke, seine Predigten ragen
nicht über das mittlere Niveau der Erzeugnisse der scholasti-
schen Theologie jener Zeit hinaus. Jener erstaunliche Zauber,
welchen Huss auf das ganze i-echische Volk ausübte, entströmte
einzig und allein der sittlichen Grösse seiner Persönlichkeit und
der sittlichen Bedeutung seiner Predigt.""
Huss' persönlicher Einfluss als Prediger wurde durch seine
hterarische Thätigkeit unterstützt- Seine Werke, die lateinischen
' Palacky, »SjiDy UI, 1, Ausgabe 1850, S. -66— 66.
' Hilferding, Hus a b. w., S. 3-4.
.y Google
m Ffiaftee Kapitel. I. Die Ceohen.
und die cechischen, sind fast ausschliesslich der theologischen
Erklärung der Heiligen Schrift, der Sittenlehre und endlich den
unmittelharen Streitfragen der Zeit gewidmet und haben trotz
ihres specifisch theologischen Inhalte doch ein hohes Interesse
und eine historische Bedeutung. In ihnen tritt mehr aU id
irgendwelchen andern Werken jener Zeit das Streben des Jahr-
hunderts nach einer Reform zu Tage. Dem Geiste der Zeit nach
blieb HusB zu sehr auf der scholastischen Dogmatik stehen; aber
das hinderte ihn nicht, sich in lebendigster Weise in die Sache
der nationalen Entwickelang zu mischen.
Als Schriftsteller zeigte Hubs eine ausserordentliche Frucht-
barkeit: es kann wundernehmen, dass er bei einem so stflmii-
schen und beschäftigten Lehen eine so lange Reihe von Büchern
und Tractnten, Cechischen und lateinischen, eine solche Menge
Briefe und Sendschreiben hinterlassen konnte. Die lateiniechen
Werke wurden schon längst gesammelt unter dem Titel: „Histoiii
et monumenta Joannis Husei" (Nürnberg 1558, 1715, hier findet
sich auch eine lateinische, übrigens schlechte Uebersetzung eini-
ger von Hubs geschriebener cecbischer Briefe). Gesondert er-
schienen: ,,De unitate Ecclesiae" (Mainz 1520); eine Sammlnng
von Briefen aus dem Cechischen übersetzt: „Epistolae quaedam
piissimae et eruditissimae Johannis Hussi", mit einem Vorwort
von Luther (Wittenbei^ 1537). Die lateinischen Werke von Huss
— mittels deren er sich einen umfangreichen Wirkungskreis im
ganzen wissenschaftlichen Europa erwarb — zeichnen sich durch
die Manieren der damaligen Dialektik und scholastischen Phi-
losophie aus, weil sie auf gelehrte Theologen und Universität«-
hörer berechnet waren.
Die wichtigste Arbeit von Huss war das lateinische Wcri:
„Tractatus de Ecciesia", verfasst aus Anlass der prager
Synode im Jahre 1413: hieraus wurden die 44 Anklagepunkte ent-
nommen, über die sieb Huss auf dem Concil zu Konstanz zu
rechtfertigen hatte. Hier sind die Hauptgnindlagen seiner Lehre
dargelegt, und dieses Werk kann als das symbolische Buch der
vom Katholicismus abgefallenen böhmischen Kirche gelten. Vir
werden in einigen Worten den Inhalt des Tractats zeigen, um den
Leser in den Ideenkreis der hussitischen Bewegung einzuführen.
Huss beginnt mit der Lehre von der Prädestination: die sicht-
bare Kirche umfasse in sich sowol gute, zur himmlischen Glück-
seligkeit „Vorherbestimmte" (praedestinati) , als auch böse, nr
ü,g :.._.. ..Google
Jobtmn Hms. 87
ewigen Verdammniss „Yorhergekannte" (praeaciti). Das einzige
Haupt der Kirche sei Christus — er sei das äussere Haupt nacli
seiner Göttlichkeit, das iDoere nach seiner Menscblichkeit : das
erstere sei er von Anfang der Welt, das andere von seiner
Menschwerdung an. Deshalh hiessen auch die Apostel nicht
die Heiligsten oder Häupter der Kirche, sondern nur Diener
des Herrn und Diener der Kirche. Später hahe sich dies ge-
ändert: seit Konstantin dem Grossen und seinen Nachfolgern
habe der Papst, der Bischof von Koni, begonnen, als das Ober-
haupt der Kirche (capitaneus), als der Statthalter Christi auf
Erden zu gelten. Thatsacblich aber könne der Papst „als Papst"
durchaus nicht ein solcher Statthalter sein, und die Cardinäle
könnten „als Caräinäle" durchaus nicht für Nachfolger der Apostel
gelten. Der Papst könne nur dann für den Nachfolger Petri
gelten, wenn er dem letztern an Glauben, Demuth und Liebe
gleichkomme — aber ganz dasselbe sei auch von andern Men-
schen zu verstehen, die weder Päpste noch Cardinäle wären.
Der heilige Augustin habe der Kirche mehr Nutzen gebracht
itls mehrere Päpste zusammengenommen, und in der Lehre habe
er vielleicht mehr gethan als alle Cardinäle vom ersten An-
fang an bis auf den heutigen Tag. Wenn aber der Papst und
die Cai'dinäle ihre Pflichten nicht erfüllten, und Christi ver-
gessend, sich nur um weltliche Dinge bekümmerten, um Luxus
und glänzende Gewänder, und durch ihre Verschwendung seihst
Laien überträfen — so seien sie überhaupt nicht Statthalter
Christi oder Petri oder der Apostel, sondern Statthalter des
Satans, des Antichrist, des Judas Ischariot. Der Papst könne
ebenso wenig wie ein anderer Mensch von sich wissen, ob
er nicht „praescitus" sei, und ein „praescitus" könne nicht
imr kein Haupt, sondern nicht einmal ein wirkliches Mitglied
der Kirche sein. Der päpstlichen Würde bedürfe es auch
gar nicht zum Heile der Kirche; in der ursprünglichen christ-
lichen Kirche habe es nur zwei priesterliche Aeroter gegeben:
Diakonen und Priester, alles andere habe sich erst später
eingefunden und sei Menschensatzung. Wenn die Kirche schon
vor den Päpsten von den Aposteln und getreuen Priestern ge-
leitet worden sei, so könne es leicht kommen, dass es auch
nicht bis zum Jüngsten Tage Päpste gehen werde. Alles Ge-
sagte müsse man natürlich auch von der gesammten Geistlich-
keit verstehen: es gäbe ihrer zwei Arten — die eine sei Christi,
ü,g :.._.. ..Google
S8 Fünftel Kapitel. I. Die Öechen.
die aDdere des Antichrist. Nicht das Amt mache den Priester,
sondern der Priester mache das Amt; nicht jeder Priester sei
heilig, aber jeder Heilige sei ein Priester; der gläubige Christ
gehöre zur Kirche Gottes, der Prälat aber, der seine Pflicht nicht
erßllc, werde keinen Antheil am Reiche Christi haben. — Daraus
gehe klar hervor, wie der „kirchliche Gehorsam" zu verstehen sei.
Der Gehorsam sei die That eines verniinftigen Wesens, welches
sich frei und nach eigenem Urtheit (voluntarie et discrete) seinen
Vorgesetzten unterwerfe. Sonach habe jeder, wenn er einen Be-
fehl von seiner Obrigkeit bekomme, zu untersuchen, ob der Be-
fehl erlaubt und ehrbar sei, weil er, wenn der Befehl znm Nach-
theil der Kirche und des Seelenheils wäre, sich ihm widersetzen
uiiis&te. So müsse der wahre Christ, selbst wenn ein Befehl vom
Papste komme, ihn prüfen, und wenn er ihn nicht mit der Lehre
Christi übereinstimmend fände, sicli ihm widersetzen, um nicht
durch seinen Gehorsam ein Verbrechen gegen die Lehre Christi
£u begehen (devianti papae rebellare est Christo domino obedire).
„Das Amt der Schlüssel", d. h. die Macht zn binden und zo
lösen, gehöre nur Gott allein, der zur Seligkeit und zur Ver-
dammniss pradestiuire. Mündliche Beichte sei nicht nöthig zum
Seelenheil, — als Beweis dafür könnten kleine Kinder, Taub-
stumme, die Bewohner von Wüsten und gewaltsam Getödt«te
gelten. Die Sünden würden abgewaschen durch Reue und
durch die Beichte des Herzens. Weder der Priester noch der
Papst könne Sünden vergeben, weil er dazu sündlos sein müsste,
und das sei nur Gott allein. So habe auch der Fluch eines
Prälaten nur dann Kraft, wenn er mit dem Willen Gottes über-
einstimme ; im entgegengesetzten Falle schade er demjenigen
durchaus nichts, gegen den er ausgesprochen sei — wie auch die
Schrift sage, indem sie befiehlt, zu segnen, die da fluchen.
In andern Werken entwickelt Huss noch spedeller seine An-
sichten über die kirchlichen Ordnungen. Noch im GelangnisG zu
Konstanz schrieb er einige Tractate zur Vertheidigung seiner
Lehren, z. B. „De sufficicntia legis Christi ad regendau Suam
ecclesiam", wo er nachweist, dass das walire und richtige Gebot
die Gerechtigkeit sei, welche den Menschen auf den Weg zur
Seligkeit leite; dass sich alle guten Gebote in der Heiligen Schrift
befänden, die aber, welche dort fehlten, gottlos seien; dass dieses
Gebot Christi durchaus für die Kirche genüge und dass es weder
einen Gruud gäbe, es zu kürzen, noch zu erweitern u. s. w. Nicht
ü,g :.._.. ..Google
Johann Hubs. §9
weniger wichtig ist die Rede, welche er zu demeelhen Zweck im
UeräagnisB Terfasst hatte: „Sermo de fidei Buae elucidatione",
darüber, wie er den Glauben und die Erkenntniss desBelben
Terstehe. Der Grundgedanke dieses und anderer ähnlicher
Tr&ctate besteht in der Vertheidigung des wahren, einfachen,
arsprttnglicben Christenthums und in der Verwerfung der kirch-
hchen Verderbniss, welche die Wahrheiten desselben durch mensch-
liche Zuthaten und Fehler verändert und yerdorben habe; er
erkennt die Verordnungen der Kirche nur so weit an, als er sie
in Uebereinstimmung mit der ursprünglichen Lehre Christi findet.
Im Tractat „De pace", ebenfalls in Konstanz geschrieben, legt
Hdes dar, dass sich der Friede des Menschen mit Gott und der
Welt auf die Erfüllung des Gesetzes gründe, dass der Friede
unter den Menschen durch den Bruch des Gesetzes verschwunden
sei — als die Kirche und ihre Diener nur an äussere Ehren
und Reicbthum zu denken begannen und als der Gottesdienst zu
einem Handwerk wurde. Als Quelle all dieses Uebels bezeich-
net Huss direct den römischen Hof, , . .
Wir erwähnen noch einige Tractate, in denen er von den kirch-
hchen Unordnungen und Misbniuchen sprach. So tritt er im Trac-
tat „De omni sanguine Christi hora resurrectionis glorificato" nach
dogmatischen Auseinandersetzungen gegen den verbrecherischen
Betrug der Kirchendiener auf, die in Rom Fleisch vom Leibe Jesu
Christi zeigten, in Prag das Blut Christi und die Milch der Mutter
Gottes zur Schau stellten; er tritt gegen den Aberglauben und
die marktschreierischen Wunder auf, die von solchen Betrügern
in verschiedenen katholischen Ländern verrichtet und selbst von
der Obrigkeit zugelassen würden — eine Menge von Beispielen
nun Beweise dieser religiösen Verderbniss wird angeführt. Durch
nicht geringere Energie zeichnet sich das lateinische Werk von
Huss aus: „Ueber die Einziehung des Grundbesitzes der Geist-
lichkeit", deren Gerechtigkeit und Nothweudigkeit er mit Beweisen
ans der Heiligen Schrift, aus der Geschichte und aus dem ge-
sunden Menschenverstand darlegt. Als ihm die Gegner wegen
seiner öffentlichen Ausfälle gegen die Geistlichkeit Vorwürfe zu
machen begannen, antwortete er mit einem neuen Traktat, wo
er mit Hülfe der Heiligen Schrift scharfsinnig darlegt, dass die
Misbräuche und die Unwürdigkeit der Geistlichen gewähren
lassen bedeuten würde , dem Lucifer grosse Freude machen ;
auch der Antichrist möchte wünschen, dass mau die Geistlichkeit
ü,g:.._.u., Google
90 FünfteB Kapitel. I. Die Ceohen.
nicht anrühre, weil er angeblich selbst der höchste Prälat der
katholischen Kirche aein wird, und nicht wnuscbe, daes man
seine Fehler zur Schau Btelle; die Mehrzahl der Priester stehe
gegen die Ankläger auf und man sage, es sei oöthig, mit dieser
Mehrheit übereinzustimmeD, — aber eine Uebereinstimraung sei
nicht möglich, weil es immer eine unzählige Menge dummer
Menschen, und sehr wenige verständige gäbe; dazu müsse man,
wolle man mit der Mehrheit übereinstimmen, zugeben, dase
auch die Leiden und der Tod Christi gerecht gewesen seien,
weil dies die Mehrzahl der jüdischen Priester und Pharisäer ge-
wUnscbt hätte.
Nicht weniger wichtig sind die cechischen Werke Huss", die
ihm viele Anhänger im Volke verschafften. Wäre Hubs nur la-
teinischer Schriftsteller geblieben, so hätte er bei weitem nicht
einen so umfassenden Einfluas auf die Volksmasseu haben kön-
nen. Die Gegner fühlten dies und wie Thomas Stitny Angriffen
ausgesetzt war, weil er wagte, für das Volk das zu schreiben,
was für jene Zeit nur das Eigenthum der Schule und der latei-
nischen Gelehrsamkeit war, so trafen auch Huss Angriffe von
dieser Seite. Im Jahre 1413 fand es der Bischof von Leitomischl
in einem Briefe an die prager Synode für nöthig, dass Hnss
und seinen Freunden die Predigt (in ^echiecher Sprache) ver-
boten , und alle von ihnen geschriebenen cechischen Bucher
vernichtet würden. — Für die ^chische Literatur sind Huss"
Werke in der Volksprache unvergleichlich wichtiger, und sein
wahrer Charakter spricht sich darin mannichfaltiger ans als in
den lateinischen. Wir sahen in ihm schon einen Vertheidiger
der nationalen Ehre und des nationalen Interesses in dem Uni-
ver^itätsstreit : in literarischer Beziehung gilt als sein grosses
Verdienst, dass er eifrig für die Volkssprache sorgte und warm
gegen die Verletzung ihrer alten Selbständigkeit und Beinheit
durch Mischung zweier Sprachen — besonders bei den Pragera
— auftrat, woraus seiner Meinung nach eine Doppelzüngigkeit
und Inconsequenz im Leben selbst und im sittlichen Charaktw
der Menschen hervorgehe. Huss brachte die Fürsten, Herren,
Ritter, Geistliche und Bürger dahin, zu sorgen, „dass die^
('ocbische Sprache nicht untei^ehe",- und sein Unwille über die
Prager, welche ihre Sprache mit einer fremden mischten, kam
in sehr starken Worten zum Ausdruck. In seiner Schriftsprache
war er aus Patriotismus strenger Purist and erfand eine neue
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Johanit Husa. 91
Rechtschreibang*, die von den Taboriten, später den Böbmi-
ecben Brüdern, angenommen warde; — diese letztern führten
sie im 16. Jahrhundert in den allgemeineo Gebrauch ein, später
in der Periode der katboHsohen Keaction ward sie Tergessen,
ging wieder neu anf mit der literarischen Wiederbelebung und
herrscht mit einigen Verbesserungen in den cechiscben Bücbern
bis zu diesem Augenblick. Huss' Bemühungen um die Sprache
kamen schon in dem ^ecbischen Werke zum Ausdruck, welches
die Cecben zur Widerlegung der deutschen Partei aufstellten,
von der die Bechte der Ausländer an der Universität vertheidigt
wurden. In dieser Widerlegung macht sich auch die Dialektik
und polemische Gewandtheit bemerkbar, die überhaupt seine
Werke auszeichnet. Aber man muss den ^ecbischen Patriotismus
des Mannes richtig verstehen. Spätere Historiker haben ihm
oft einer ihrer Meinung nach übertrieb'enen Feindschaft gegen
die Deutschen angeklagt, aber diese Feindschaft hatte ihre hin-
reichenden Gründe: ging auch IIuss nicht auf einen rein politi-
schen Standpunkt über, so rief doch sein patriotisches Gefühl
einen Widerstand gegen die Bedränger hervor, die noch dazu
als Feinde der Reform schon im ersten Streit über die Thesen
WicIifFe's auftraten. Die Beschuldigung der Schürnng des Hasses
gegen die Deutschen wurde gegen ihn schon auf dem Goncil
zu Konstau>^ erhoben. Er antwortete aufrichtig und der Wahr-
heit gemäss: „Ich habe gesagt and sage noch, dass die Cecben
im Königreich Böhmen nach dem Gesetz, ja auch nach dem
Gesetz Gottes und der Forderung der Natur die ersten in den
Aemtem sein müssen, wie es die Franzosen in Frankreich und
die Deutschen in ihren Ländern sind, damit der Ceche seine
Untertbanen regieren könne, der Deutsche aber die Deutschen.
Aber was hätte es für einen Nutzen, wenn der Ceche, ohne
deutsch zu können, in einem deutschen Lande Pfarrer oder
Bischof wäre? . . . Ebenso viel Nutzen haben auch wir Cechen
Ton einem Deutschen. Und also, da ich weiss, dass das so-
*ol gegen das Gesetz Gottes als die Canones ist, so sage ich
auch, dass es nicht erlaubt ist." Hilferding bat richtig be-
merkt, dass der Patriotiotismus bei Huss in zweiter Linie
' Seine Orthogi'ftii hiu ist lateiuisüh geschrieben und mit fethischw
UebereeUung von A. V. Sembera herausgegeben; „Mistra Jan» Husi
Ortografie 5eaka", 1857.
...., Google
02 Fünftes Kapitel. I. Die Öechen.
stand, in erster die Forderung des christlichen Gebotes. „Ich
sage auf m«in Gewissen", schrieh Hubs, „dass, sollte ich
einen Ausländer kennen, woher er auch sei, der nach seiner
Tugend Gott mehr liebte und für das Gute einträte , als
mein leiblicher Bruder, so wäre er mir lieber als der Bruder.
Und so sind mir gute englische Priester lieber als unwürdige
öechische, und ein guter Deutscher lieber als ein schlimmer
Brnder." '
Husb' fiechische Werke haben alle eine mehr oder weniger
nahe Beziehnng zur Reform: sowol die der Auslegung der Hei-
ligen Schrift gewidmeten, als die polemischen — in den verschie-
denen von uns schon angeführten Fragen der Reform — und
die moralischen. Dabin gehören z.B. seine „Postilla" {d.i.
Erklärung der Sonntagsevangelien, mit andern Werken heraiiB-
gegeben in Nürnberg 1Ö63), das wichtigste von seinen cechischeD
Werken; „Die Erklärungen desSymbolums u.s.w.'' („Vyklad
vetäi na pätere", herausg. : „Mistra Jana Husi kazatele slayneho
dSdice ^eskeho dvanäcti £länkäv riry kfesfanske obecne" u. b. «•
Prag 1520 u. ö.); „Neun goldene Stücke", theologische Be-
trachtungen über die ErschafiFung der Welt, über die Engel nud
über die Fragen der christlichen Ethik, wo Huss die rein cfarist-
lichon Ideen im Gegensatz zu der conventionellen katholischen
Moral darstellte: „Wer einen Heller um Gottes willen bei gut«r
Gesundheit gibt, der ehrt Gott den Herrn mehr und bringt seiner
Seele mehr Nutzen, als wenn er nach seinem Tode so viel Gold
gäbe, als zwischen Himmel und Erde Platz finden könnte", u. dgl.;
„lieber die sechs Irrthümer", ein polemisches Werk über
die kirchlichen Verirrongen in b^trefT der Sündenvergebung, des
Gehorsams, des Kirchenbannes u. 8. w.; ferner die „Lehre
vom Abendmahl" (Nürnberg 1583); „Von der Ehe"; „Von
der Simonie"; „Der Spiegel des sündigen Menschen"
u. a. Hinsichtlich des letztem meinte man, er sei von den An-
hängern Huss' geschrieben worden, als schon der religiöse Ihkss
entbrannt war — weil sich die Schrift boshaft über die katho-
lische Priesterscbaft äussert. Von den Werken über die christ-
liche Ethik ist am bekanntesten seine „Tochter oder über
die Erkenntniss des rechten Weges zum Heil" („Dcerka,
0 poznüni cfisty prave k spaseni", herausg. von Hanka, 1825);
■ Hilferding, a. a. O., S. 9.
., Cookie
Johann Huss. 93
„Die dreifache Schnur" („Proväzek tripramenn^", 1411) —
ans Glaube, Liebe und Hoffnung u. b. vr. Danach sind als wichti-
ges Denkmal seiner titerarischen Thatigkeit und Propaganda eine
Menge Briefe geblieben, lateiniBche und cechische, von denen
besonders bekannt sind seine cechischen Sendschreiben an Freunde
und Genossen, geschrieben aus dem GefängnisB zu Konstanz, voll
Krgebenheit in Gottes Willen und voll tiefer Ueberzeugung, die
einen tragisch erschütternden Eindruck hinterlassen. Endlich war
Haas, wie man annimmt, Verfasser von drei „geistlicben Lie- '
dern" (Jesu Kriste, stedr^ kneze — Jesus Christus, milder
Fürste; JeäiS Kristus, bozskä müdrost — Jeans Christus, gött-
liche Weisheit; Äivy chlebe, kteryi — Lebendiges Brot, das u, s, w.
im Kralicer Cancional, 1576): dies war der Anfang der hussi-
tischen geistlichen Poesie, welche sich in der Folge bedeutend
entwickelte. '
Von solcher Art war die umfängliche Thatigkeit des Mannes,
der das Haupt einer grossen religiös-sittlichen Reform seines
Volkes war nnd der die entscheidende Initiative zu einer Reform
in Westeuropa ergriff. In der That, die Predigt und die Werke
Husb' führen uns definitiv aus dem Mittelalter heraus und stellen
uns auf den sittlichen Boden, auf dem das neue europäische Selbst-
bewusstsein erwachsen ist. Huss war Scholastiker nach dem Aeug-
Bem «einer Werke, weil die Scholastik noch die einzige Form
für derartige Arbeiten war; aber eine ganze Kluft trennt ihn
z.B. von Thomas von Aquino: in dieser Form kamen hei Huss
die tiefsten Forschungen nach der christlichen Wahrheit und
das lebendige Bewnsstsein der berrüchenden Verderhniss zum
Aasdmck. Sein nationaler Kampf gründete sieb auf das Streben,
die Volksmasse sittlich zu heben. Seine kirchliche und dogma-
tische Polemik war auf die sittliche Befreiung der Persönlich-
keit gerichtet, der er zum ersten mal ihre innere Unabhängig-
keit und Selbständigkeit wiedergibt; für sie stellt er als Gesetz
nnr die Heilige Schrift auf unter Vernichtung der äussern
' Hngg' Sechiache Werke wurden (tPBainineU in dor Aungabp: Mistra
Jana Hutii Sobrane Spisy feeke. Z iitijslarSieh znaiiijoh pi-aiuenä k vy-
dÄrii ä|>ra»il K J. Erben (3 Bde., Prag iaiJ.1, I8i!ti, 18tl«), Beim liritteu
Bande findet sich eine bibliographische üeberaieht der Handschriften und
alt*D Drncke der t-echiachen Werke von Huss. Veif;l. Jirefek, Ru-
koTJt 8. V.
.....Gooj^lc
94 Fünftea Kapitel. I. Die Öechen.
Autorität, weil die Wahrheit höher als die Person und hoher
als jede Ueberliefemng stehe. Das einzige den Menschen bin-
dende Gesetz sei die Lehre dos Evangeliums, welche Huss in
ihrer ganzen Urspriinglichkeit auffasste, und der eigene Verslacd
des Menschen. Kurz, in seinen religiösen und ethischen Be-
griffen traten die Principien jener reinen Humanität hervor,
welche später die höchste ideale Grundlage der europäischen
menschlichen Gntwickelung wurde. Huss' unmittelbarer Einfluss
' auf die reformatorische Bewegung Europas im 15. und 16. Jahr-
hundert ist bekannt.
Huss' national - reformatorischer Thätigkeit schlössen sieb
als Freunde oder als (Jegner an nicht nur alle massgebenden
Gelehrten und der gebildete Theil der Gesellschaft, sondern es
wurde schliesslich auch das ganze Volk in den beginnenden reli-
giösen und politischen Kampf mit fortgerissen. Die Literatur,
die lateinische und nationale, wurde gleich von Anfang an zn
einem Werkzeug dieses Kampfes und die literanschc Thätigkeit
gewann einen Umfang wie nie znvor, Sie war vorwiegend theo-
logisch: die Befreiung von dem drückenden Joche des verderb-
ten Klerus war der erste Schritt, den die Gesellschaft im Mittel-
alter thun musste; hier wurde dieser Schritt von der Masse des
Volks gethan. Die Literatur reflectirte den Ghai-akter der Zeit;
die stürmische Aufregung des Streites brachte eine Menge pole-
mischer Werke von beiden Seiten hervor.
Aus Hubs' Ideen entwickelte sich die Thätigkeit der andern
leitenden Personen jener Zeit; ihre eifrige Propaganda rief eioe
ebenso thätige Beaction seitens der Anhänger der alten Ord-
nung, alsdann aber auch der gemässigten Anbänger der Reform
hervor. Die Ereignisse und die einmal in Bewegung gebracht«
nationale Idee brachten immer neue Fragen: so erweiterte die
Literatur, die anfangs vorwiegend geistlich war, ihren Umfang
allmählich auf rein staatliche oder gesellschaftliche Gegenstände.
Sie bewegte sich in zwei Sprachen: das Latein gab ihr Zutritt
auch jenseit der Grenze Böhmens, es wirkte aber auch zu Hause,
weil die Kenntniss der lateinischen Sprache durch die Schule
stark verbreitet war. Die Bildung hatte sich so gehohen, dsss
im 15. — 16- Jahrhundert sogar Frauen gar nicht übel zur Ver-
theidigung der Reform schrieben.
Von den Männern, welche Huss' Streben theilten, rauss vor
allem sein Freund Hieronymus von Prag genannt werden.
ü,g :.._.. ..Google
Hieroujmut von Pra^. 95
dessen Name mit Huss his zu dessen letztem Schicksal verbuu-
den ist. Hieronymus war übrigens mehr als patriotischer und
religiöser Agitator denn als Schriftsteller bekannt. Er war
gegen 10 Jahre jünger als Hubs (geb. um 1379), atudirte in Prag,
ward 1398 BaccalaureuB ; 1399 begann er seine langen Wande-
mngen durch Europa, während der Zwischenzeiten in Frag lebend.
Nach der Rückkehr von seiner ersten Beise, 1401, nahm er an
den prager Angelegenheiten Aiitheil. Im Jahre 1402 brachte er
aus Oxford die Werke 'Wicliffe's; 1403 reiste er nach Paris, wo
er an der Sorbonne den (>rad eines Magisters der freien Künste
erhielt, und Hess sich schon liier in religiöse Dispute ein, sodass
er 1406 von dort fliehen musate. In ebensolcher Weise musste er
sich aus Köln und Heidelberg retten. Im Jahre 1407 war er in
Prag; er begab sich dann aufs neue nach "Oxford, von wo er wieder
floh. In den folgenden zwei Jahren lebte er in Prag, wo er, als
„Magister" aufgenommen, am üniversitätskampf Antheil nahm.
Fenier im Jahre 1410 wieder Disputationen in Pest, Wien und
nieder Flucht. Im Jahre 1412 nahm er eifrigen Antheil an dem
erwähnten Kampfe gegen den Ablass, hielt gegen denselben eine
fulminante Rede im Carolinischen CoUegium und verbrannte die
lüpstlichen Bullen über den Ablass. Zugleich mit Hubs ent-
fernte sich auch Hieronymus aus Frag. Im Jahre 1413 begab
er sich, berufen vom polnischen Hofe, nach Krakan, stellte
sich dem König Wladyslaw vor und reiste dann mit Witowt
nach RuBsland und Litauen. Hier kam er mit griechisch-
katholischer Bevölkerung zusammen, nahm an deren Festen
theil, erwies den Reliquien und Bildern Verehrung, sodass die
Meinung bestand, er habe sich der griechischen Kirche ange-
schlossen:' dieser Umstand diente nachher als Auklagepunkt
von katholischer Seite, und für die neuem Historiker slavophi-
ler Richtung bewies er die innere Verwandtschaft des Hug-
sitenthnms mit der griechischen Kirche. Als sich Huss an-
schickte, nach Konstanz zu gehen, rieth ihm Hieronymus ab
— er werde von dort nicht mehr zurückkehren; später war er
aber auch selbst in Konstanz, gerieth zuletzt in die Hände des
Concils und ward am 30- Mai 1416, wie sein Freund, verbrannt.
Hieronymus von Frag war berühmt durch seine Gelehrsam-
keit, die selbst die des Huss übertroffen haben soll, und seine
Beredsamkeit. „Niemals habe ich einen Mann gesehen", sagt
sein Freund und Biograph, der berühmte Italiener Poggio Brac-
ü,g:.._.u., Google
96 FünfteB Kapitel. I. Die Öechen.
ciolini, „den man besser mit den Rednern der classischen Zeit«n
vergleichen könnte, die in uns bo viel Bemindening erregen."
Auf dem Scheiterhaufen bewies Hieroymus eine ebenso ruhige
Männlichkeit vrie Hu88. „NiemaU ist einer von den Stoikern
dem Tode mit so festem Sinne und ruhigem Herzen entgegen-
gegangen", sagt derselbe Bracciolini. ' Hieroujmiis schdot
wenig geschrieben zu haben, und auch das hat sich nicht alles
erhalten; man nennt ein lateinisches Werk von ihm: „Compen-
dioas descriptio vitae et mortis M. Johannie de Hussincte",
einige Briefe und Üebersetzungen einiger Werke WicIifTe's, zu-
sammen mit Hu88 verfasst. *
Die Verbrennung von Huss und Hieronymns machte gewalti-
gen Eindruck in Böhmen; gegen das Konstanzer Concil protestirte
auch die prager Universität, deren Mitglieder seitdem thätigen
Antheil an der Verbreitung der Reform nahmen und derselbei
durch ihre Bedeutung Kraft gaben. In der Literatur sprach sich
sowol die Verschiedenheit der durch die Reform erzeugten Mei-
nungen, als ein Schwanken der Gesellschaft, die durch die neuen
Ideen stark erschüttert war, aus. Wir nennen die Hauptpersonen
jener Zeit, welche durch ihre literarischen (übrigens zuweilen
nur lateinischen) Arbeiten und lebendigen Antheil am Kampfe,
der bald nach Huss' Tode entbrannte, hervorragen. Dahin
gehört Jakob von Mies (oder Jakoubek ze Stfibra; Jaoo-
bellus , gestorben 1429) , berühmt durch Gelehrsamkeit und
Verfasser vieler lateinischer Tractate und Reden, vorwiegend
polemischer, und einiger Cechischcr Werke. ' Er ward gleich
von Anfang an ein eifriger Anhänger der Lehren von Huss
und ist durch die Einführung des Ritus bekannt, der schon
zu Huss' Lebzeiten die Husaiten von der katholischen Kirche
schied. Dies war der berühmte „Kelch" (calix), das Abend-
mahl „unter beiderlei Gestalt", Brot und Wein, woher auch die
' Deecriptio oliitu» et Hnpplicii Hieronymi Praftensis.
' JuDgmann, S. 41 ; Rukov6( I, 314.
' „EpiStoly ned^ini b vj'klady pfes celj' rok" („Soiiiitaf(Bepii>telD mi'
Erkläruui^en durch dae ([mizr Jabr", lierauitgeifeben 15C4); „Käzaui o po-
ciivosti" u. B. w. (I'redigteu über die Rpphtscbtfffniieit" n. s. w., l,M5); „Bob*
tiiyslne käzani a roKmIuuvani vi'rnt' du*e s Pan^m Kristtm'" (..Fruiurae Tre-
iligteu und Gesprilclie doi- Kläiiliiuen Seele mit dem Herrn Cbrialus", 1.M5I;
„Paasio Joanuin Huei"; kirehlicbe Lieder.
...., Google
Huen' Nachfolger. 97
Anhänger der Reform den Namen Utraquisten oder Calixtiner em-
pfingen. Die katholische Partei stellte seine Werke in eine Reihe
mit den Büchern von Huss , und der Bescblnss des Concils zu
Konstanz, 1418 durch eine päpstliche Bulle bestätigt, befahl, dass
die Werke Wicliffe'H, ins Öechiscbe übersetzt von Husb und
Jakob, ferner die Werke von Huss selbst (namentlich ,,Von der
Kirche") und Jakob (vom Abendmahl unter beiderlei Gestalt,
vom Antichrist u. s. w.) verbrannt würden. In den Zwisten der
gemässigten prager Partei mit den Taboriten hielt sich Jakob
anfangs zur radicalen Partei und suchte die Gegensätze zu
TersÖbnen, trat aber dann auf die Seite der Gemässigten über.
8eiDe Werke hatten grossen Einllnes, stiessen aber auch auf
starken Widerstand , sowol der orthodoxen Katholiken als der
radicalen Taboriten: der Mittelweg befriedigte weder diese
noch jene. Johann von Jesenice, ein naber Freund von
Hnss, sein Vertheidiger in Rom, Verfasser eines lateinischen
Tractats gegen die prager theologische Facultät im Jahre 1412,
nnd zuletzt Verfasser eines Werkes zur Vertheidigung von Huss
gegen das Konstanzer Concil, wurde in den Bann gethan, an
den er sieb aber nach den BegrifTen der neuen Lehre nicht im
mindesten kehrte. - Er war überhaupt eine thätige historische
Person der Hussitenzeit. Ebenfalls mehr praktisch als litera-
risch wirkte zu Gunsten des Hussitenthums der Magister Jobann
von Kheinstein, mit dem Beinamen Kardinal, der sich als
Huss' Vertheidiger nach Konstanz begab und dann Rjector der
Universität war (ein lateinischer Tractat vom Abendmahl unter
beiderlei Gestalt im Sinne des Jakob von Mies). Besondern Ein-
fluBS übte der vielseitige Gelehrte Christian von Prachatic
(gest. 1439), Arzt, Mathematiker und Astronom, der für seine
Zeit wichtige öechische Werke auf diesen Gebieten hinterliess,
einigemal Rector der Universität und thätiger Theilnehmer an
den Ereignissen war. Er war auch mit Huss eng befreundet,
besuchte ihn in Konstanz, wurde selbst seiner Ansichten wegen
zur Verantwortung gezogen und erhielt nur dadurch die Frei-
heit, dass König Sigismund für ihn eintrat. In der Folgezeit,
im Streite der Taboriten mit den Pragern stand er auf Seit« der
Gemässigten, was ihm Verfolgungen und Verbannung eintrug;
später kehrte er nach Prag zurück und wurde kurz vor seinem
Tode zum Gubernator der Utraquistenpartei erwählt. Simon
voQ Tiänov (Tischnowitz; hussitischer Tractat „De unitate eccle-
Prni, SIiTluhe LiMulnren. II, 3. 7
ü,g :.._.. ..Google
98 Fünftes Kapitel. I, Die CeoLeu.
siae" u. s. w.) nabm am Streit der Universitätsnationen theil, an
der Vertheidigung der Werke Wicliffe's und, als er Kectov der
Universität war, vertheidigte er Huss gegen den Erzbiscbof von
Prag; im Jahre 1417 vertheidigte dieser Magister Huss' Tractat
von der Kirche. Er verbreitete dag Hussitenthum auch id Mäh-
ren, wo er, wie es scheint, nach Niederlegung des Hectorats,
Priester war, ging aber später auf die Seite der Katholiken über:
haereticos acriter oppugnavit, bemerkt über ihn der Jesuit Bai-
bin. Ein Anhänger von Huss war auch Prokop von Pilsen,
der Öffentlich an der Universität Wicliffe's Werk „De ideis" ver-
theidigte, auf der stürmischen Versammlung im Jahre 1412 fiir
Huss eintrat und spater einigemal Bector der Universität war.
Später ward Prokop, der sich übrigens weder durch grosse Ge-
lehrsamkeit noch durch Talent auszeichnete, wie viele andere,
ein Gegner der Taboriten und Bundesgenosse ihres Feindes Jo-
hann von Pribram, und ging in der Milderung seiner Ansich-
ten soweit, dass er zuletzt den echten katholischen Reactionäreu
nicht fern stand. Endlich erwähnen wir noch Peter von Mla-
denovic (gest. 1451), von Geburt ein Mährer, der in Konstanz
als Secretär Johann's von Chlum, des Delegirten der prager Uni-
versität, war. Huss empfahl in einem Briefe, aus Konstanz Peter
den Prägern als seinen treuesten Freund. Später trat auch er
auf die Seite der Prager gegen die Taboriten. Er schrieb zwei
wichtige Berichte über Huss' Schicksal in Konstanz, den einen
grössern lateinisch, den andern techisch; der deutsche Ge-
lehrte Agricola im JC. Jahrhundert gab sie in deutscher Ueber-
setzung heraus, 1538 und 1548, der Cechische Text wurde her-
ausgegeben im Passionale 1495, und besonders, Prag lit'dS, ond
ohne Jahr (IGOO); neu herausgegeben nu Prag 1870. Man nimmt
an, dass Peter von Mladenovic ein ähnlicher Bericht über das
Schicksal des Hieronjmus von Prag angehört. '
Es gab eifrige und gelehrte Leute unter den Gegnern von
Huss; sie vertheidigten hartnäckig den Klerus, welcher sich anf
dieselben stützend die Oberhand gewann, als sich die Kraft des
Volkes im Kampfe erschöpfte. Stanislav von Znaim galt for
' „Zivot a skoniiiii slaVDcho Mistra Jevonyma", a. 1. p. a., vielleii-ht zn
Anfang lies 17. Jahrhunderta gedruckt. Vor kui-zcm gab JaroBlsv Goll den
alt«n Text ilieaer Erzählung! nach einer Handncbrift dea 15. Jahrhunderts her-
aus: „Vypsäni o Mistru Jeronymovi z Prahy" (Pn^; 1878).
:....., Google
Hiihb' Gegner. 99
eiDen der besten Gelehrten und Professoren in Prag (Commentar
zur Physik des Aristoteles: „UniversalJa realia" u.a.); Huss war
sein Schüler. Anfangs vertheidigte Stanislav auch die Lehre
Wicliffe'a und übertraf sogar Huss durch seinen Eifer, aber
im Jahre 1412 trennte er sich ganz von ihm; von da an stand
er an der Spitze von Huss' Gegnern auf den kirchlichen Synoden
und den Universitatsconventen und schrieb gegen Huss pole-
mische und anklagende Tractate. Indem er sich auf den Aus-
spruch des Augustinus stützte, dass der Gehorsam höher sei als
alle andern Tugenden, gelangte er schliesslich zum äussersten Fa-
natismus und rief gegen die Ketzer die geistliche und weltliche
Strafe herbei.* Stephan von Palec (gest. nach 1421) war einer
der ersten, der die Lehre Wicliffe's annahm, trat aber dann nebst
Stanislav gegen Huss auf und war auf dem Konstanzer Concil
einer der schlimmsten Ankläger des Huss und Hieronymus. Durch
bemerkenswerthe Fruchtbarkeit zeichnete sich auch Andreas
von Böhmischbrod aus, der im Universitätsstreit auf natio-
naler Seite stand, aber eifrig gegen Wicliffe auftrat; auf dem
Concil zu Konstanz war er ebenfalls ein eifriger Ankläger des Huss.
Aber die erste Stelle unter den Anklägern des Huss und Hiero-
nymus {Pale6, Michael de Causia, Andreas von Böhmischbrod, Jo-
hann Protiva) nimmt Johann, Bischof von Leitomischl ein, der
ebenfalls lateinische Tractate gegen Huss, Episteln und andere
Werke hinterlassen hat. Die cechische Geistlichkeit der katho-
hschen Partei sandte ihn auf eigene Rechnung zum Konstanzer
Concil, wo er als Repräsentant derselben galt. Ferner Johann
von Holesov (gest. 143G), Wenzel von Cbvaletic, Stephan
Dolansky (gest. 1421), Verfasser vieler antihussitischer Werke:
„Änti- Wicliffe", „Anti-Huss", „Epistola invcctivu matrisEcclesiae
contra ahortivos filios" u. s. v. *
'lieber ihn die AbhaodluQg von A. DuvernoiB: „Stanislav Znoemskij
i JauHug" (Moekau 1871), oinBuch mit grossen Foraehungen, aber sondcr-
Itarcr Tendenz.
' Diese lateinische Literatur Aber Husa und die Hassiten ist aehon vor
langer Zeil geaammelt worden. Dahin gehört z. B. „Inrectiva contra Ilua-
eitae"; „Depositioues testium" aue der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts;
i-ine äammlang lateinischer und Eechiacher Tractate, Synodalacten (141? —
I6<)9) u. B. w., zusammengestellt in der erateu Uälfte des IT. Jahrhunderts
loo Volineky. Gedruckte Sammlungen ; das erwähnte Buch über das Koo-
...., Google
100 FiinrteH Kapitel. I. Die Ceohen.
Wäbrend der grössten Glut der husKitierhen Unruhen und
Kriege treten neue Schriftsteller auf, deren Thätigkeit eng mit
den EreigniBsen verbunden iet. In der gemäaaigten Partei wftren
besonders Fnbrsm und Rokycana bekannt. Johann von Pri-
bram, gest. 1448), eine der bekanntesten Personen seiner Zeit,
betrat den Schauplatz in den letzten Jahren von Husb; er war
anfangs ein eifriger Anhänger desselben und des „Kelches", zeich-
nete sich aber später mehr durch Feindschaft gegen das radi-
cale Taboritenthum als durch Eifer für die Vertheidigung des
Hussitenthums aus; zuletzt trat er, wie viele andere, ganz von dem-
selben zurück, z.B. als er 1427 offen der prager Geistlichkeit bei-
trat, die sich dem Papste unterwarf, und als er die Polemik mit
Rokycana über den Gehorsam gegen den päpstlichen Stuhl führte.
Seine umfängliche literarische Thätigkeit war ganz der Wider-
legung WiclifTe's und den Anklagen gegen die Tahoriten gewidmet:
diese Anklagen sind dadurch sehr wichtig, dass sie nach Verlnst
der tahoritischen Werke eine werthvolle Quelle für die Erfor-
schung der GeBchichte dieser Bewegung bilden. Seine Werke,
die lateinischen nnd die dechischen, haben den allgemeinen Cha-
rakter der damaligen Literatur: es sind theologische und polemi-
sche Tractate, Quaestiones, Reden.' Besonders wichtig bezüglich
der Nachrichten über die Taboriten ist sein dechisches Buch:
„Lebensbeschreibung taboritiacher Priester", wo er ihre Lehre
darstellt und sogar bisweilen wörtlich Stücke aus ihren jetzt ver-
lorenen Werken citirt. * Er griff besonders den Engländer Payne,
einen eifrigen Tahoriten, an, warf den Taboriten vor, dass sie so-
gar Hubs und Wicliffe hinter sich liessen; wo er z. B. von der
Reinigung von den Sünden auf dieser Welt spricht, welche die
Taboriten verwarfen, drückt er sicli so aus, — dass sie, „nachdem
sie den Heiligen ihre Macht geraubt, jetzt den armen Seelen di*
Reinigung von den Sünden raubten". Pfihram trat auch gegen
atanzer Concil von Hardt; Bernbard F<'Z, „Tbeaaurus AnecdotonHD".
1721; die Werke von Höfler, Palackj' u. h. w. Alier si^lir viel stecki
Doch in HandsChrifteD,
' De conditio Di buB juati belli; De articulis Viklefi; De profeasione lidti
oatholicae et errorum revooatione ; ArtJculi et errores Taboritanim n. •-
Palack^'a „Arohiv", auch Höfler, „Geschieht Schreiber der hmsiti«:heii
Bewejjung."
• „Zivot knSii Täborskych", Handschrift U'29, berauegegebeu in „Tj'bor".
U, und in „Caaopis pro katol. duchovenstvo", 1863.
...., Google
Die Hneeiten. IQ\
den 6echischeii Gottesdienst auf, den die Taboritea eingeführt
hatten, da sie vernünftigerweise fanden, dass „in einer fremden
Sprache lesen soviel bedeute wie gar nicht lesen". Johann Bo-
kycana (Jan z Rokycan, oder einfach Rokycan, Rokycaua, 1397
—1471) trat auch nach Huss auf den Schauplatz; erstand schon
früh an der Spitzte der Ütraquisten, und wenn er sich auch als
Schriftsteller nicht durch Selbständigkeit und sonderliches Talent
auszeichnete, so hatte er doch einen weiten Einflass als bedeu-
tender Prediger und praktisch ttiätiger Mann. Sein Name wurde
schon 1418 öfTentlich genannt, als man ihn nebst andern auf
das Konstanzer Concil berief „als einen der Obern der huaaiti-
achen Sekte". Die Partei der ütraquisten wählte ihn sogar zum
Erzbischof von Prag; aber da er die Rechte der Ütraquisten
vertheidigte , zog er sich Verfolgungen des Königs Sigismund
zu, musste aus Prag fliehen, kelxte erst unter Georg Podebrad
zurück, und war dann bis zu seinem Tode Guhernator der
utraquistischen Kirche. Rokycana hat viele (^echische Werke
hinterlassen, Homilien und polemische Tractate; am interessan-
testen in historischer Beziehung ist seine Polemik gegen die
Böhmischen Brüder („Sendschreiben gegen die Irrthümer der
Begharden") und gegen Pnbram zur Yertbeidigung des Abend-
mahls unter beiderlei Gestalt („Anklage gegen die prager Ma-
gister Pf ibram und Hilarius") u. s. w. Sein schroffer Charakter
zog ihm Tiele Feinde zu, besonders von katholischer Seite,
obgleich auch er mehr zu ihr hinneigte, als es sich für einen
utraquistischen Erzbischof und Vcrtbeidiger der Gompactata ge>
ziemt hätte.
Wir wenden uns jetzt zu der andern, der radicalen Seite der
hussi tischen Bewegung.
Trotz aller Schwankungen der Anhänger der Reform und sogar
Verräthereien ward das Hussitenthum schon bald eine grosse
Macht. Die Universität stand auf Seite der Reform; Freunde
Ton Huss waren zu seinen Lebzeiten und nach ihm Rectoren der
Universität und dies förderte die Verbreitung seiner Lehre ausser-
ordentlich; die lebendige Predigt seiner Anhänger trug allmäh-
lich den religiösen Streit ine Volk. Das nationale Element be-
gann sich auszusprechen; die Magister, bei denen es sich früher
nnr um gelehrte Polemik handelte, begannen auch auf die Yolks-
sympathien Werth zu legen; die Literatur des Hnssitenthums
wird aus einer vorwiegend lateinischen bald auch fiechisch. Je
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102 Fünftes Kapitel. I, nie fec-lieu.
weiter ins 15- Jahrhundert hinein, desto häufiger finden sich
^echische Denkmäler dieses Kampfes. Im zweiten Jahrzehnt
dieses Jahrhunderts dringt die Frage in die Maese, im dritten
Jahrzehnt sehen wir schon die volle Entwickelung der Volkseiii-
mischung in eine Sache, die hisher nur von den Gelehrten und
der Geistlichkeit discutirt wurde.
Diese nationale Bewegung entwickelt sich in der That ühemus
schnell: vier Jahre nach Huss' Tode trennt sich der kühnere
Theil seiner Anhänger schon in eine besondere radicale Partei
ah ,und vom Jahre 1419 an beginnen die blutigen Hussiten-
kriege — so schnell ergriff die einmal ins Volk gedruDgeoe
Idee dasselbe in thätigem und kriegerischem Enthusiasmos,
gegen welchen ganze Kreuzzüge, veranstaltet von den Päpsten
aus den Gläubigen des ganzen katholischen Europa, nichts
auszurichten vermochten. Die religiöse Stimmung, welche in
der Lehre des Gegners „eine teuflische Eingebung", in seioeu
Handlungen „die Strasse, auf welcher der Antichrist zum Ver-
derben führt" sah, und meinte, dass „die Unordnung der an-
dern Partei nicht zu dulden sei", — diese Stimmung gelangte
schliesslich zur äussersten Erregung. Die frische Volksmasse
fühlte das alte Unrecht stärker, erwartete ungeduldiger künf-
tige Gerechtigkeit und Glück, und wurde wirklich durch ihre
Hoffnungen zu einem Fanatismus hingerissen, der ihr eine un-
besiegbare Macht gab. Das Volk ging weiter auch in der Enl^
Wickelung der Principien der Reform selbst: gleichgültig g^en
die Traditionen, die den Herrschenden werthvoll waren, zog es
bald die logischen Consequenzen dieser Principien, und wenn
sich die „ Gemässigten " mit kleinen Ooncessionen und Ver-
besserungen (z. B. mit der Anerkennung des „Kelches") be-
gnügten, so war das Volk, einmal erregt und durch Wider-
spruch gereizt, bereit, ganz mit der alten Gesellschaft zu brechen
und eine eigene, neue zu gründen. So waren eben die Taho-
riten. „Sie traten offenbar mit ihren Anschauungen zu früh
auf", sagt ein Historiker, „sie traten gegen die damalige Welt
auf, and diese gegen sie. Es unterliegt keinem Zweifel, dass zn
einigen Principien, welche sie direct und gleichsam unerwartet
aussprachen, die spätere Philosophie nur durcli langes Nachden-
ken und nur mit Hülfe eines gewaltigen wissenschaftliehen Ma-
terials gelangt ist, — und es unterliegt keinem Zweifel, dass ihre
socialen Bestrebungen noch bis heute nicht veraltet sind."
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Die Tuboi'iten. 103
Die Taboriten waren der Tollste (und damit zugleich der ex-
tremste) Ausdruck des HuBsitenthums, seine consequenteste und
zugleich nationalste Entwickelung. Das Auftreten des Taboriten-
thums war sehr natürlich. Sobald die Idee proclamirt war, dass
das wahre Gesetz nur in der Heiligen Schrift enthalten sei, dass
Hierarchie und Geistlichkeit die menschliche Vernunft und das
Gewissen nicht beengen könnten, als die Scheusslichkeiten auf-
gedeckt waren, zu denen die von dieser Hierarchie ausschliess-'
lieh vertretene sogenannte „Kirche" gelangt war, ist es be-
greiflich , dass die kirchliche Obrigkeit und schliesslich die
gesellschaftliche Ordnung jeden Glauben verlor. Das Bibel-
lesen war überaus verbreitet und Leute, die ein neues Leben
snchteu, fanden darin alles, was ihnen nöthig war. Die eif-
rige Ueberzeugung trieb dazu an, nach Mitteln zu praktischer
Erftillung der gewonnenen Regeln zu suchen, — dazu war
Freiheit des Handelns nöthig. Man musste sich gänzlich von
der alten Gesellschaft trennen, — dies thaten auch die Ta-
boriten,
Der Entschluss, bis zu den äussersten Consequenzen zu
gehen, konnte nicht Sache der Menge sein, die immer die
nihigern Mittelwege vorzieht. Katholiken blieben nur wenige
in Böhmen, aber die Mehrheit blieb, erschreckt durch die
Schwierigkeiten der Arbeit, bei einem gemässigten Hussiten-
thum stehen, — in der von uns angeführten Reihe der Schrift-
steller sahen wir, wie viele mit einer eifrigen Theilnahme an
der Reform begannen , aber mit dem Mittelweg endeten. Die
standhaftem und eifrigem wurden Taboriten. Leider ist ge-
rade von diesem Theil des Hussiteuthums am wenigsten be-
kannt. Anf uns sind nur wenige Werke der Taboriten ge-
kommen; von andern haben sich nur zufällige Bruchstücke
erhalten, sodass es schwer ist, sich einen vollständigen Begriff
von dieser Geistesverfassung zu bilden. Aber man kann mit
Bestimmtheit sagen, dass es, wie es immer bei Volksbewegun-
gen zu sein pflegt, welche die Autorität verwerfen, im Kreise
der Taboriten kein herrschendes System gab; im Gegentbeil,
die religiösen und socialen Ansichten waren sehr manoichfaltig :
jeder, der fähig war, ward zum Propagandisten der Lehren,
welche er für richtig hielt ; die Gollision der Begriffe ent-
wickelte diese immer weiter, sodass sich zuletzt ein wunder-
bares Gewirr von Ansichten bildete, vom gemässigten Tabo-
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104 Fünftem Kapitel. I. Die Cechen.
ritenthum angefaDgen, welches zum uisprüDglichen Cbristeothum
zurückkehren wollte, bis zum Chitiasmus, Jei- das Ende der
Welt erwartete, und zum Ädamitentlium, das den PantlieiBmus
in die Religion und den Communismus ins Leben einführte.
„Alle Häresien, die nur im ChriBtenthum waren", sagt der
Zeitgenosse Äeneas Sylvius, „alles das hat sich in Tabor ver-
sammelt und jedem steht dort frei zu glauben, was ihm ge-
fällt," Aus der Gärung dieser Ansichten, deren Vertreter bis-
weilen untet^ingen, da sie den Hass der Menschen durch
scharfe Leugnung der Ueberlieferungen und durcb phantastische
Neuerungen erregt hatten, arbeitete sich aber doch die Philo-
sophie Cbelfiicky's und die social-christliche Gemeinde der „Böh-
misctien Brüder" heraus.
Diese Mannichfaltigkeit der Lehren, die uns eine üherauü
interessante Erscheinung der Cultur des 15. Jahrhunderts dar-
stellt, wurde you den Zeitgenossen selbst sehr confus aufgefasst-
Erhaltene Nachrichten, die vorwiegend von unversöhnlichen Fein-
den des extremen Hussitenthums herrühren, stellen alle ver-
schiedenen Zweige desselben als Sache einer Sekte dar, der in
Bausch und Bogen alle fluchwürdigen Ketzereien aufgebürdet
werden. Ein Niederer Chronist jener Zeiten überliefert die Er*
Wartungen und Meinungen der extremen Hussiten so: „Sie sagten,
in einigen Tagen werde der Jüngste Tag sein; deshalb fasteten
einige, an geheimen Orten sitzend und jenen Tag erwartend (die
Meinung der Chiliasten) . . . Diese Priester sagten auch, dass
alle Sünder umkommen und nur die Guten bleiben würden; und
deshalb erschlugen sie die Menschen ohne alles Erbarmen. Sie
sagten auch, die heilige Kirche werde zu einer solchen Unschuld
gelangen, dass die Menschen auf Erden sein würden wie Adam
und Eva im Paradies, dass sich keiner vor dem andern schämen
werde, dass alle gleiche Brüder untereinander sein sollen, und
dass es keine Herren gäbe und dass einer dem andern nickt
unterthan sei, und deshalb nahmen sie den Namen «Brüder*
an . . . Auch sagten sie, es werde eine solche Liebe unter die
Menschen kommen und unter ihnen sein, dass sie alle Dinge
zusammen und gemeinsam haben werden, auch die Frauen, in-
dem sie erklären, dass die Menschen freie Söhne und Töchter
Gottes sein sollen und eine Ehe nicht sein dürfe (die Meinung der
Adamiten): . . .Sie sprachen auch nicht in christlicher Weise vom
Leibe Gottes und vom Blute Gottes .... und von allen aiidern
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Die Tihoriten. . 105
Sacramenten Gottes, sie verBpottend und für nichts achtend . . .
sie wollten nicht in Kirchen Gottesdienst halten, wollten kei-
nen Ornat und andere heilige Gegenstände beim Gottesdienst
haben (die allgemeine Meinung der Taboriten) . . . Den latei-
niachen Gesang in den Kirchen nannten sie ein Heulen und
Bellen der Hunde u. s. w." Viele solche Nachrichten tlieilt be-
BOüders der von uns erwähnte Pribrani in dem Buche: „Articuli
et errores Taboritarum" mit. Er zählt genau ihre Meinungen
über die Wiederkunft Christi und das „Reich der Guten" auf, ihre
Meiltungen über die sichtbare Kirche, welche sie mit allen ihreu
Ceiemonien als Menschenwerk verwarfen, über das einzige Ge-
setz, das in der Heiligen Schrift enthalten sei, über die Verehrung
der Heiligen und Reliquien, an die sie nicht glaubten, über die
Reinigung im künftigen Leben, die sie nicht anerkannten, über
die Verwerfung des Priesterstandes, über die Fasten, Heiligen-
bilder u. s. w. Im Grunde genommen waren alle diese Dinge,
nur zuweilen von den Taboriten übertrieben (z. B. das Lesen
der Bibel allein und das Verbot der Werke aller Doctores und
Magister u. dgl.), nur praktische Äuwendungen der Ideen von
Huss, -i. B. im „Tractat von der Kirche". Die Lehre vom Anti-
christ, besonders von den Chiliasten entwickelt, hatte schon im
14. Jahrhundert Matthias von Janov gepredigt. Aus den Grund-
thesen, welche Huss darlegte und die anfangs fast jeder der
prager Magister, welche später gemässigte Calixtiner wurden,
vertheidigte , mochten sehr consequent die Resultate gezogen
werden, welche von den verständigern Taboriten gepredigt
wurden. Hnas selbst würde wol (mit einigen Ausnahmen) eher
die Taboriten für seine Nachfolger anerkennen, als diejenigen,
die es yermochten, aus seiner Lehre nur den ,, Kelch" heraus-
zanehmen.
Eine der interessantesten Einzelheiten dieser praktischen
Ausführung der Urkirche besteht in der demokratischen Er-
vartung der Vernichtung jeder Unterthanenscliaft und in der
Gemeinschaft der Güter. Auf der Berathuug der feindlichen
Parteien zu Prag im Jahre 1420 — fünf Jahre nach Huss'
Tode — wui-de schon folgender Punkt der taborititischen Lehre
verurtheilt: „Auf Hradistc oder auf Tabor ist nichts mein
oder dein, sondern alle haben gleichmässig denselben Antheil;
und immer soll allen alles gemeinsam sein, und niemand kann
etwas für sich hüben — sonst, wenn jemand etwas für sich
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106 Flinftea Kapitel. I. Die Ceohen.
}iat, so BÜndigt er tödlich." Schon ein Jahr später waren diese
communistischen Principien eingeschränkt; im Jahre 1422 findet
sich schon keine Erwähnung mehr von den „Kufen", die aufge-
stellt waren zur Sammlung der gemeinsamen Easee. Die Ver-
hältnisse brachten eine Theilung in „Feld"- (Kriegs-) und „Haos"-
Taboriten hervor, — die letztern beschäftigten sich mit der
Arbeit und lieferten alles Nöthige für die erstem; die Tabo-
riten gingen vom Kampf znm Handwerk über und umgekehrt.
Sie hatten ihre Gabematoren, Verwalter und Hauptleute und die
socialistischen Einrichtungen erhielten sich bis zur letzten Nieder-
lage derselben bei Lipan (1434). Falack^ nimmt an, dass dieser
Socialismus von den Chiliasten herrühre, die schon 1420 von
den letzten Tagen (consummatio gaeculi) predigten. Dieser Mythus
vom Ende der Welt, welcher schon in den ersten Jahrhunderten
des Cbristenthums auftrat, lebte in den stürmischen Zeiten des
Hussitenthums wieder auf. Die Menschen mit ihrer erhitzten
Phantasie hörten schon von Schlachten, wussten, dass bald ein
Volk gegen das andere und ein Reich gegen das andere auf-
stehen werde; empfanden schon an sich den Hass um ihres
Glaubens willen und sahen die Greuel der Verwüstung an heili-
ger Stätte, von denen Daniel prophezeit hatte; es traten „Lügen-
propheten" auf (so schalten einander gegenseitig die Prediger der
feindlichen Parteien); danach schien es natürlich, zu erwarten,
dass der Verheissung nach auch „des Menschen Sohn" kommen
werde in seiner Macht und Herrlichkeit. Die Lehre der Chi-
liasten hielt sich nicht lange, aber brachte doch ihre Früchte:
leichtgläubige Bürger und Landleute verkauften ihre Güter und
suchten ihr Heil „auf den Bergen", ihr Vermögen den Priestem
übergebend, was zum ersten mal etwas in der Art eines gemein-
samen Besitzes erzeugte und vielleicht den taboritischen Socia-
lismus herbeiführte. Im Jahre 1431 ward durch Kriegsgewalt
die Sekte der „Mittlem" (Mediocres) in Mähren vernichtet,
deren Hauptansicht darin bestand, „dass nnr gesetzliche Ab-
gaben an Herren zu zahlen seien, welche ein gesetzliches Recht
hätten, dass aber andere ungerechte Lasten aufgehoben seien".
Daraus kann man folgern, dass es ausser den „Mittlern", d. i.
den Gemässigten, auch solche gab, die sicli nicht nnr von den
. ungesetzlichen , sondern auch den gesetzlichen Lasten lossagten,
— wie es die Chiliasten auch erwarteten. Ebensolche phan-
tastische Theorien erzeugte die übrigens wenig bekannte Sekte
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
IHü TaUoriUm. 107
der ,,Adatniten", welche von pantheiBtischen, vielleicht von einer
häretischen Sekte des Mittelalters ererbten Principien ausgingen
und behaupteten, es gäbe weder Gott noch Teufel, beide seien
nur in guten und bösen Menschen-, den heiligen Geist in sich
selbst findend^ verwarfen sie alle Bücher und Gebote; alles
Vermögfin war bei ihnen gemeinschaftlich, die Ehe galt ihnen
für eine Sünde, — einige versuchten sogar nackt zu gehen, indem
sie die Unschuld des Paradieses in sich voranasetzten ; endhch
wDfde von ihnen eine auch dem russischen Raskol bekannte
Personificirung Gottes angenommen, da sie einen gewissen
Peter den Sohn Gottes und einen Landmann Nicolaus — Moses
nannten, . . . Dieser Ansatz des Communismus fand einen Feind
ID Zi^ka, der die kleine Gemeinde vernichtete, 1421. Der
berühmte Ziika selbst, der Führer des taboritischen Heeres,
welcher die politischen Anschauungen der Taboriten repräsen-
tirte, keinen Unterschied der Stande kannte und ein Feind der
Feudalherren war, hatte durchaus keine extremen religiösen
Ansiebten, obgleich er bei alledem ein Fanatiker seiner Ueber-
zeogungen war und kein Mitleid gegen jemand kannte, den er
für einen versteckten oder offenen Ketzer hielt. In der letzten
Zeit ging er bereits mit den Taboriten auseinander und seine
nähern Anbänger, die sich nach seinem Tode (1421) die „Wai-
sen" nannten, bildeten die Mitte zwischen den echten Taboriten
nnd den Caliitinern. Sie erkannten die streitige Transsubstan-
tiation an, verehrten die Heiligen, verwendeten heim Gottes-
dienst Ornate. Nach der Meinung Palacky's standen diese ge-
mässigten Taboriten Huss' wirklichen Ansichten am nächsten.
Diese Seite des Üechischen Lebens im 15. Jahrhundert lässt
sich nur nach historischen Zeugnissen darstellen. Von der lite-
rarischen Thätigkeit der Taboriten sind nur wenige Spuren ge-
blieben, die Geschichte der Literatur muss daher um so mehr ihre
Aufmerksamkeit auf sie richten. Sowol cechische als fremde
Schriftsteller bezeugen, dass es unter den Taboriten überhaupt
viele denkende und gebildete Leute gegeben hat. Der bekannte
Aeneas Sylvius (später Papst Pius IL), welcher selbst die Tabo-
riten besuchte, und den man schwerlich der Parteilichkeit für
^ie zeihen kann, erzählt, dass ihn in Tabor bessere Bürger,
Priester und Schüler in lateinischer Sprache bewillkommnet
hätten — weil „ dieses unedle Volk nur das Gute an sich
hatte, dass es die W isscnscliaft liebte'-. An einer andern Stelle
ü,g :.._.. ..Google
108 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
sagt er, dass sich vor den Taboriteu „die italienischen Priester
schämen müssteu, von deneii kaum einer das Neue Testament
vollständig gelesen liabe, während sich unter deu Taboriten viel-
leicht kaum ein Weib finde, das nicht aus dem Alten und Keueu
Testament zu antworten Terstande". Solche gelehrte Taboriten
vertheidigten mehrfach ihre Lehre auf Zusammenkünften und in
der Polemik mit prager Magistern, und dazu war es nöthig, die
Sache nicht schlechter zu verstehen als diese.
Es folgen hier einige Namen von Vertheidigern des Tabo-
ritenthums. Die prager Gelehrten traten am häufigsten gegen
Peter Payne auf, genannt der englische Magister. Aus Eng-
land wegen Wicliffitischer Ansichten vertrieben, fand er einen
Zufluchtsort in Prag, wurde dort Magister und blieb seitdem
in Böhmen. Er war eigenthch der einzige echte Vertreter des
Wicliffitenthums bei den Gechen, die überhaupt von dieser
Lehre einen sehr selbständigen Gebrauch machten. Zur Ver-
theidigung Wicliffe's schrieb Payne einige Tractate, die in Biblio-
theken zerstreut sind. Von den einheimischen Schriftstellern var
besonders bemerkenswerth der junge Priester Martin Housks
(auch Loquis, Martinek oder Martin von Mähren genannt; ver-
brannt 1421), aus dessen Werken sich nur kleine Bruchstücke,
z. B. bei PHbram, erhalten haben. Aus den vorhandenen Zei^-
nissen lässt sich ersehen, dass sich dieser Ketzer, der von den
Gemüfisigten zusammen mit seinem Anhänger Kanis verbrannt
wurde, durch eine besondere Energie und rationalistische Ein-
fachheit seiner theologischen Begriffe auszeichnet: „Wir sprachen
viel mit ihm über dies und jenes", sagt von ihm CheI6ick;f, „und
er sprach zu uns, dass auf der Erde ein Reich der Heiligen
sein werde, und dass die Guten nicht mehr leiden würden, und
wenn die Christen immer so leiden müssten, so wollte ich kein
Diener Gottes sein, — so sagte er." Aus historischen Zeug-
nissen kann man schliessen, dass Martin einer der weitgehendsten
Neuerer in Tabor war : „Ich danke meinem Gott", schrieh er an
die taboritischen Bruder, „dass er mich von Irrthümern befreit
hat, and ich erwarte jetzt fröhlich den Tod." In seineu Ansichten
über die Transsubstantiation stimmte er mit allen radicalen Ta-
boriteu überein, erkannte die ,, zauberischen Ceremonien" nicht an,
und suchte sie mit dem gesunden Menschenverstand zu erklären-
Seine Bestrebungen waren auf eine solche sociale Ordnung ge-
richtet, die das Ziel des Lebens in dieses selbst setzt. Einigen
ü,g :.._.. ..Google
Dii^ Tftboilten. 109
Historikern jener Zeit gilt er für den Urheber und Verbreiter
der Sekte der CMliasten, aber nach der Meinung anderer ward
sein Rationalismus schon von seinen Anhängern verändert, die
demselben einen phantastischen Charakter verliehen. Von den
rielen „Liigenpropheten", die von den Chronisten genannt wer-
den, erwähnen wir noch einige, die irgendein literarisches
Denkmal hinterlassen haben: dahin gehört z. B. der Priester
Wilhelm, der sich in Tabor verheirathete und gegen die prager
Partei auftrat; von ihm ist eine interessante historische Denk-
schrift über die damaligen Ereignisse erhalten. Pnbram er-
wähnt, dase Johann Capek, einer der kriegerischen Geistlichen
des HussitentbumB, einen „blutdürstigen Tractat" herausgegeben
habe, worin er „durch viele Bücher des Alten Testaments alle
die (hussitischen) Grausamkeiten nachwies, indem er rieth und
befahl, dass sie alle begehen möchten ohne sich zu bedenken".
Die Taboriten schonten auch wirklich das Blut der Ketzer nicht.
Jener Capek gehörte nehst dem erwähnten Loquis, Biskupec,
Koranda, Markolt von Zbraslavic zu den HauptgrUndem der
taboritischen Lehre. ' Ulrich von Znaim und Johann Nemec
(d.h. derDeatsche) von Saatz (Priester bei den „Waisen") waren
Abgesandte auf dem Baseler Concil und schrieben: der erstere
eine Rede zur Vertheidigung der Punkte von der freien Predigt
des Wortes Gottes (in den „Acta" des Baseler Concils), der
andere ein Tagebuch über die Verhandlungen der Cechischen
Boten auf dem Baseler Concil 1433 u. a. Ueber ihnen allen steht
Nikolaus von Pilgram, mit dem Beinamen Biskupec (Mi-
knlää z Pelhfimova, gest. 1459 im Gefängniss zu Podebrad). Er
war schon 1409 Baccalaureus der freien Künste; ein [gelehrter
und ernster Mann, ging er gleich von Anfang an weiter als die
andern prager Magister, trennte sich schliesslich ganz von ihnen
und trat zu den Taboriten. Die Verschiedenheit der Meinungen
in Tabor veranlasste ihn, eine Annäherung an die Gemässigten
zu suchen, womit er den definitiven Zerfall der freien böhmi-
schen Kirche abzuwenden hoffte, — aber die Annäherung kam
nicht zu Stande und bald finden wir ihn wieder in offenem
Kampfe mit den Magistern, besonders Pribraro. Leider haben
' Er dichtete »ueb das Lied; ..Kindlein, Ißsset uua Gott singen" (Dietky,
Bohn ipievajme). Siehe RukovSf, I, 131; PamÄtky archeol. a mistopian^,
...., Google
110 FüiifteK Kapitel. I. Die l'echen.
sich sßiue Werke nicht yollständig erhalten ; am wichtigsten von
dem Erhaltenen ist die lateiniBche „Chronica coutinens causam
sacerdotum Taborensium", bis 1443, deren Verfasser oder Fort-
setzer er war, Es werden auch noch andere Werke von ihm er-
wähnt, z. B. ein Tractat gegen den extremen Taboriten Eaniä,
gegen Chelöickj?, Rokycana u. a. ' Der Priester Johann Lukavec,
welchem man den Anfang der Chronik des Biskupec zuschreibt,
schrieb auch ein Werk gegen Bokycana und die Prager: „Cod-
fessiones Taboritarum contra Bokicanum et alios theologos Pra-
genses", um 1431 (herausgegeben in „Valdensia", Basel 15C8).
Endlich der im Kriegslehen der Taboriten berühmte Priester
Wenzel Koranda der Aeltere. Er war Priester in Pilsen, er-
wies sich schon früh als unbezähmbarer Agitator und wirkte mehr
durch seine aufregende Beredsamkeit, als durch seine Werke.
Im Jahre 1419 begab er sich aus seiner Stadt auf die damals
stattfindende Yolksversammlung und ee folgte ihm eine ganze
Schar seiner Anhänger, Männer und Frauen. Auf der Versainiü-
lung munterte er das Volk zur Vertheidigung auf, weil sich seine
Feinde vermehrt hätten: „Der Weinstock ist hen-lich erblüht,
aber es werden Böcke kommen, um ihn abzurupfen", deshalb
sei es auch jetzt nöthig „mit dem Schwert in der Hand m
gehen, und nicht mit dem Wanderstab". Er selbst begab sich
nach Tabor und ward einer der eifrigsten Frediger des Kampfes,
indem er die taboritischen Heere begleitete und ihre Tapferkeit
durch seine stürmische Beredsamkeit anfeuerte. Von seinen
Schriften ist nur bekannt, dass solche vorhanden waren; z.B.
schrieb er 1421 einen Tractat gegen Jakob. Während der
Reaction (1437) war ihm verboten zu predigen und unter der
Drohung des Ertrinkens sich irgendwo ausserhalb Tabors la
zeigen; 1451 lebte er noch hier, wo Aeneas Sjlvius mit ihm
disputirte, der ihn in seinen Memoiren „Venceslaus Koranda,
vetus diaboli mancipium" nennt. Im Jahre 1452, als Tabor von
Georg Podebrad unterworfen wurde, ward Koranda mit andern
Hauptpriestern der Taboriten gefangen genommen und verblieb
bis ans Ende seines Lebens im Gefängniss.
' Die Chronica wurde im 16. Jahrbundert von FUcius 111 yricu« l)eid'^''
„CiiiifeBBio Walüenaium " herausgegeben, und jetzt in Höfler's „(iewhicht-
Hvlirciber der husaitisolien Bowegunpf". Ihm pehört du« Lied an: ,,Ü Jesu»
ChriatUB, du Sühn dei' roiiicn Mutter" {0 Jesu Krisle, syuu matk; fiate).
., Google
Die Taboriteu. 111
Die literarische Geschichte des Husaitenthums -wird durch eine
Menge Acten, Sendschreiben, Genieindeordnungen, Manifeste der
religiösen Parteien, Privatbriefe vervollständigt, welche überaus
wichtig für die Geschichte sind und die belebte Bewegung der
Zeit reflectiren. Einige dieser Denkmäler zeichnen sich durch
ausserordentliche Prägnanz aus, z, B. viele Anfrufe an das Volk
nnd private Sendschreiben, unter denen einige Sendschreiben
des berühmten Führers der Taboriten, Johann Ziska von
Trocnov (später „vom Kelch", z Kalicha, gest. 1424), beson-
ders hervorragen. Er wirkt darin auf das religiöse und natio-
nale Gefühl der Cechen, erinnert sie an die alten Vorfahren,
die „sich für Gottes Werk und ihr eigenes geschlagen hätten",
and fordert, dass sie jede Minute bereit sein sollen, „weil schon
die Zeit gekommen sei".
Schon oben wurde gezeigt, wie eng die Sache der ^ecbischen
Nationalität mit der bussitischen Bewegung verbunden war. Mit
dem Wegzug der Deutschen von der Universität und der Ent-
wickelung des Hussitenthums gewann die öechische Nationalität
mehr und mehr an politischer und socialer Macht. In den Arti-
keln, welche von dem Lande Böhmen dem König Sigismund über-
geben wurden (1419), ist schon davon die Rede, dass keine Aus-
länder, weltliche oder geistliche, zu Landeaämtern und Würden
zugelassen werden, dass die Öecheu überall im Königreich und in
den Städten die erate Stimme haben sollten. In diesem Falle ist
es schwer, die uechen der Unduldsamkeit zu beschuldigen, weil sie
in den Deutschen ganz mit Recht Vertheidiger der Privilegien, der
Kirche und des Despotismus sahen, und weil man ihnen anderer-
seits auch keine Duldsamkeit erwies: die üechen standen in dein
Ruf von Ketzern und das Concil von Siena im Jahre 1423 gebot so-
gar der ganzen katholischen Christenheit, „nicht nur keine Han-
delsverbindungen mit den bussitischen Böhmen anzuknüpfen, son-
dern überhaupt jeglichen friedlichen Verkehr mit ihnen zu meiden.
Die cechische Sprache herrschte nicht nur in der Predigt, sondern
auch im Gottesdienst, was ein grosser Sieg war, weil es allen
Traditionen des Katholicismus widersprach. Wenn nach diesem
Siege der Nationalität die Literatur keinen starken poetischen
und wissenschaftlichen Inhalt entwickelte, so ist dies begreif-
lich in einer Epoche, wo alles Leben im Kampf aufging und
keine Zeit blieb, sich zu concentriren. Bei alledem aeben wir
einen bedeutenden Fortschritt der wissenschaftlichen Interessen,
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
112 Künftes Kapitel. I. Die Ceclieu.
die Eiitwickelung des philosophischen Kationalismus und Ver-
suche, die demokratischen Tendenzen des Hussitenthums nicht
auf chiliastischen Phantasien zu begründen, sondern auf einer
vernünftigen Auffassung der socialen Beziehungen.
Wir gehen jetzt zu andern Richtungen der Literatur über.
Während der Glut der hussitiscben Bewegung standen die reU-
giösen und socialen Fragen in der Literatur in erster Linie. Die
6ecbische Poesie vergass allem Anschein nach die romantischen
Stoffe, und ward selbst ein Echo des theologischen und politi-
schen Pamphlets, Ueber das, was im Gebiet der Volkspoesie
vorging, lässt sich schwer etwas sagen wegen Mangels an Zeug-
nissen; zuweilen gedenken nur die Chroniken und lateiniBche
Gedichte fröhlicher und satirischer Volkslieder, welche zu jener
Zeit cursirten und offenbar neu waren. Auch bei den Cechen
fand die mittelalterliche Mode des Dichtens in lateinischer
Sprache grosse Verbreitung. Die Studenten der Universität
machten lateinische Lieder zu ihrem Vergnügen, mit einigem
Humor, aber sehr allgemeinen Inhalts; eins, schon aus vorhns-
sitischer Zeit, greift die Geistlichen stark an; andere, aus den
Zeiten des Huss und später, offenbar von Katholiken geschrieben,
beklagen sich über die Verderbniss der Menschen und ihre
Ueringschätzung der Geistlichkeit (Monachis, fratribus ac monia-
libus, Christi virginibus, ceteris fidelibus vivere vilescit. . . . Clerici
nonnulli, laicales populi facti sunt schismatici, per libros faeretici
TiVycleff condemnati u. s.w.), verfluchen Huss und Wicliffe und
vergleichen Zigka mit Herodes. Das grosse lateinische Gedicht
(1767 Verse) über den Sieg der Cechen bei Taus ülur das Heer
des fünften Kreuzzugs im Jahre 1431, ward verfasst von Lauren-
tius von Bfezovti. Es gab auch lateinische Satiren in Versen
und in Prosa, z. B. die bemerkenswerthe „Coronae rogni Bohe-
miae Satyra in regem Ungariae Sigismundum" 1420, verfasst von
einem iechischen Patrioten. Eh gab Satiren gegen König Wenzel
und die Ilussiten, z. B, „Invectio satyrica in regem et procereä
viam Viklef tenentes" 1417, und viele andere. Satire und sati-
risches Lied, hervorgerufen durch die Ereignisse des Tages, er-
schienen seit dem Anfang der bussitischen Bewegung auch in
techischer Sprache, und traten an die Stelle jener unbestimmten
Si tten Satire , von der wir oben berichtet haben, und verdräagt«n
zugleich wahrscheinlich auch die alte Volkspoesie. Beides niuest«
wol iß dieser stürmischen Zeit veralten,
ü,g :.._.. ..Google
Verse uiiil Lieder. H3
Das neue, kunstmässige wie halb volksthiimliche Lied sprach
Tou den Ereignissen , welclie das allgemeine Interesse fesselten ;
es war das Echo des religiösen und kriegerischen Enthusiasmus;
auch empfing es, aus Anlass der unmittelbaren Ereignisse, einen
scharfen Charakter der Aufreizung und des Spottes, welche an die
Stelle der poetischen Begeisterung traten. So kommen schon
früh gereimte Pamphlete vor, z. B. gleich zu Anfang der Bewegung
gegen den „Magister Zbynek" (den Erzbischof), der Wicliffe's
Schriften verbrennen liese. Ein alter Chronist bemerkt, dass
„als der Erzbischof die Bücher verbrannt, Huss erzürnte und
einige Studenten auch zornig wurden und ein Lied über ihn
dichteten". Welche grosse Verbreitung solche Lieder fanden,
zeigt das strenge Verbot, welches König Wenzel gegen sie erliesa.
Die neuen Ereignisse riefen neue spöttische und boshafte Lieder
hervor, die auf den Strassen gesungen wurden und ganz Böhmen
durchzogen. So haben die Lieder viele Ereignisse der hussiti-
schen Geschichte verzeichnet, gleich von Huss' Zeiten an, den
Kampf mit Sigismund, welchen das hussitische Lied mehrmals
richtig charakterisirt (z. B. von dem Siege über Sigismund bei
Vfsehrad, 1420 u. a.). Es ist kein Wunder, dass es am meisten
Lieder und ganze lange Gedichte gegen die römische Kirche gab,
deren Anhänger mit derselben Waffe antworteten und ganze Dich-
tungen über die hussitisclien Ketzereien schrieben. ' Ein solches
Gedicht (von 48ö Versen) wirft den Hussiten viele ihrer Irr-
thüffler vor und versichert, der erste Wunsch derselben sei ge-
wesen, andere Menschen zu berauben und besonders die Geistlich-
keit (die bussitiscben Fredigten von der Auf hebung der Kirchen-
güter), führt kirchliche Zeugnisse gegen sie vor, und gibt unter
anderm eine interessante Andeutung über den volksthümlichen
Urspruug der bussitiscben Gemeinde: den Hussiten wird vor-
geworfen, dass sie eine Menge von Predigern aus ganz gewöhn-
licheu Leuten gemacht haben, aus Schustern, Schneidern, Flei-
schern, Müllern und aus allerhand andern Arbeitern und Hand-
werkern und „auch Frauen haben sie predigen lassen"; das
letztere bestätigt auch Aeneas Sylvius. Andere Anklagen von
Seiten katholischer Satiriker klingen sehr ungereimt: „Aber als
' Eine alte lateiaische Chronik sagt: Caiitabant Ticlefistae, oomponeDteB
cantionea Dovas contra eueleeiam et ritue <;3tholiooB, seducenteB populum
Hiuiiliceu, et e converso oatholici contra eos ....
FTrlH, ÜllTUslu LiWralUTHD. 11,1. g
...., Google
114 Fünftes Kapitel. 1. Die CecheD.
eie aus dem Kelch sich zu betrinken anfingen", sagten sie zum
Beispiel, „begaDnen sie zu stehlen, zu brennen, zu morden". . ■ .
Solche Gedichte bilden schliesslich den Uebergang zur fieim-
Chronik; z. B. nennt das Lied über den ruhmvollen Sieg der
Hussiten bei Aussig 1426, verfasst von einem eifrigen Patrioten,
der die Einzelheiten des Vorgangs kannte, alle Haupthelden dieser
Schlacht bei Namen und beschreibt ihre That«n.
Auch hat sich ein Kriegslied der Hussiten erhalten, das bei
den neuem öechischen Patrioten sehr populär ist, und mit den
Worten beginnt: „Die ihr Krieger Gottes und seines Gesetzes
seid, bittet Gott um Beistand und hofft auf ihn, dass ihr end-
lich mit ihm überall siegen werdet."
Dieses Lied, welches man früher ZiSka selbst zuschrieb, ist
ein charakteristischer Ausdruck der religiösen Erbitterung, gibt
zuerst kurz die Eriegsregeln der hussitischen Schlacht und spornt
dann den Muth der Krieger an, ermahnt, nicht darauf zu sehen,
dass ihrer nur ein Häuflein gegen eine Menge von Feinden sei,
und schliesst mit der Aufforderung :
Und nan mit fröhlichem Feldgeschrei
Rnft : Vorwärts ! HuiTah ! Drauf!
In den H&nden schwingt die Wehr,
Rufet: Gott iBt nnser Herr!
Schlaget drein, erschlagt.
Jedem Pardon versagt!'
Endlich sind noch geistliche Lieder vorhanden: ein betracht-
licher Theil derselben stammt schon aus der illtern Periode,
dazu kam eine Menge neuer, hervorgegangen aus den neuen
Richtungen des religiösen Lebens; interessant sind insbesondere
die geistlichen Lieder der Hussiten.*
' Der wirkliche Verfatiser dieses Lieiles lieisst Bohuslav z Cechtio.
S. „Vybor" II, 283; Rukov6e, I, 133.
• Heber die alten weltlicheo Iiieder a. Feifalik, „Alttech. Leirhp.
Lieder und Spräche" (in den Denkschriften der Wiener Akademie, 18CSI-
Am häofigsten waren Terimer der gangbaren Lieder Fahrende Schüler, m-
genannte „Vaganten". Vgl. ferner „Vybor", IL Bd.; HauuS, Mal^ Vybw.
S. 93— 99. Deber die huneitiBohen Lieder : Vrtatko, „Zlomkj tiborske"
(Cas. Mna. 1874, S. 110-124); M. Koläf, „Pisu? husitake (Pamätkj AkIi
IX, S25 — 834); vergl. Zahn, „Die geistlichen Lieder der Brüder in Böh-
men, Mahren und Polen" (Kümberg 1874). üeber die geistliche Poeiie *■
besondi^ra Joe. Jirefek, „Dfjiny eirkev. bianictvi ieakeho" (Prag 1878).
ü,g :.._.. ..Google
Chronisten. 115
Die Reimchroniken jener Zeiten haben gewöhnlich weder
poetische noch historische Bedeutung. In letzterer Beziehung
Bind die historischen Memoiren oder wirkliche Chroniken wich-
tiger, deren eine beträchtliche Menge erhalten ist. Oft waren
dies compilatoriscbe Arbeiten, begonnen von einem, fortgesetzt
nnd abgeschrieben von andern: überhaupt gelten die Annalen
jener Zeit für eine Fortsetzung der Chroniken des Futkava und
Benel von Hofovic.^ Sie sind jedenfalls überaus wichtig für
die Geschichte der Hussitenzeit, zeichnen sich bisweilen durch
grosse Lebendigkeit der Erzäblnng aus, zuweilen sind sie aber
auch sehr farblos. Bemerkenswerth ist z. B. die Erzählung des
oben erwähnten Wilhelm vom Tode des Johann Ton Seelau, 1422,
über den Feldzug ^iSka's in Ungarn, 1423, wo auch das Kriegs-
E^tem desselben eingehend erklärt wird. Zu den besten Quellen
für die Geschichte jener Zeit gehört die lateinische Chronik des
Laurentius von Bfezovä (Vavrinec z BfezoTÖ, geb. 1370,
gest. nach 1437, nach Jungmann 14Ö5). Ein gelehrter prager
Magister, der später am Hofe Wenzel's IV. diente, ein Mann
von vielseitigen Kenntnissen, der die Ereignisse aus der Nähe
sah, war er befähigt, eine Geschichte seiner Zeit zu schreiben.
Seine Chronik umfasst nur 8 Jahre (1414 — 22, „Historia de
hello Hussitico"), gehört aber nichtsdestoweniger zu den wich-
tigsten Denkmälern der 5echischen Ge schieb tschreibung. Sie
war lange eine beliebte Lektüre und wurde schon in alter Zeit
ins Uechische übersetzt. Die „Geschichte" ist vom Standpunkt
einer Partei aus geschrieben; Laurentius war strenger Calix-
tiner und tritt gegen die Taboriten, Orebiten, sowie zugleich
gegen die Katholiken auf. Gegen die Taboriten war er unge-
recht uud verstand ihre Bestrebungen nicht — wie übrigens fast
alle ihre Gegner.' Als lateinischer Chronist war auch Bar-
tosek (Bartos oder BartoSek z Drahynic) bekannt, dessen
Chronik die Zeit von 1419 — 43 umfasst und spätere Öechische Er-
gänzungen bis zum Jahre 1464 hat, wahrscheinlich von einem
andern Autor. Dieser Diener Sigismund's, Katholik und Rojalist,
' Vergl. Palacky, StftH letopiaove, deasen „Würdigung", und die nenern
Untersnchangen über die htiBsitiaolie Epoche.
* Laurentius ist oben als lateinischer Dichter erwähnt; er übersetzte
auch die damals sehr populäre „Reise MoundeviUe's" (Cesta po sv6t£",
heraosg. in Pilsen 1510 u. ö.).
...., Google
116 Fünftua Kapitel. I. Die (Rechen.
faset die Dinge auch in sehr beBchräakter Wetee auf. Oben sind
die Memoiren Peter's von Mladenovic UberHuss und Hieronymug
von Prag erwähnt.
Endlich erwähnen wir noch unter den historisch merkwürdigen
Denkmälern ein Werk, das den Namen Zizka's trägt, sein Kriegs-
System (mit dem lateinischen Titel: „Constitutio militaris Joan-
nis Zi^ka", 1423): es erschien mit dem Namen Zi^ka's und aller
Hauptanfiihrer, Rohä£ von Duba, Alexius von Riesenburg, Bo£ek
von Kunstadt u. a. Das Buch, für das taboritischeHeer hefitimmt,
beginnt mit einer religiösen Betrachtung und ermahnt das Volk
zu allererst, in sich selbst alle Todsünden zu vernichten, um sie
dann an den Königen und Fürsten, Herren und Büi^em u. s. w.
„keinerlei Personen ausgeschlossen" zu vertilgen. . . . Indem
sie eine strenge Erfüllung der Regeln unter originell anege*
drückten Drohungen fordern, sprechen diese Kriegsartikel auch
die Gleichheit vor den Gesetzen aus.
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden Memoire»
über Zi^ka geschrieben : „Kronika velmi p^knä o Janovi Ziikovi",
die man fälschlich einem spätem Chronisten, Kuthen, zuschrieb.'
Mit der unglücklichen Schlacht bei Lipan (1434), als das
Stadt- und Volkebeer von der feudalen Partei zertrümmert
wurde, verlor die Demokratie und freie Kirche der Taboriten
Macht und Eintluss; der Feudalismus und Katholicismus durften
an eine Wiedererlangung der verlorenen Herrschaft denken. Die
Ideen der Taboriten lebten noch fort, aber die Lage des Tabor
war überhaupt eine schwierige; er musste seine Existenz gegen
die wachsende Reaction vertheidigen ; im Jahre 1452 ward er
definitiv von Podährad unterworfen. Für Böhmen selbst, das
Mitte des 15. Jahrhunderts einen einheimischen, patriotischen
König in Georg Podebrad (seit 1452 Gubernator, seit 1458KÖDig)
erlangte, handelte es sich hei allen politischen Erfolgen um die
Frage der nationalen und politischen Selbständigkeit.
Die Cechische Nationalität stand in jener Zeit noch hoch: das
Latein war mehr und mehr der dechischen Sprache gewieben; viele
' Iltrau^egeben in der erwäbntou Sc'linfl von Jir. Üoll: „Vjpwnl o
i-u Jeruayiiiovi etu." (Prag 1878).
...., Google
ChroniHten. 117
einflussreiche Leute jener Zeit konnten nicht lateiniBch, z.B.
ansser dem alten ^iika, Georg Podebrad, Ctibor von Gimbnrg
u. a. Die Katholiken sahen auch fernerhin einen Schaden in
der Herrschaft der cechischen Sprache und kämpften für das
Latein der Kirche: Paul Zidek (Paul von Prag), einer der be-
kanntesten Schriftsteller dieser Partei, behauptete positiv, das
Wohl eines Staates werde gerade durch die Verschiedenheit der
Sprachen erlangt. Andererseits fanden Patrioten, wie Viktorin
TOD Vsebrd, dass an der Spitze der Regierung nur Cechen stehen
sollten, die Deutschen aber sollten einfach aus dem I>ande ver-
trieben werden, „wie es zur Zeit der (altcechischen) Fürsten ge-
heiligten Andenkens war".
Dieser streitige Punkt, im Verein mit den Streitfragen der
Religion und Politik , herrschte auch in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunders fort. Die historischen Denkmäler jener
Zeit bewegen sich in denselben Richtungen: lateinisch und
cechisch, reactionär und hussitisch. Von den lateinischen Chro-
niken sind besonders bekannt : „ Chronica P roco p ii notarii
Novae civitatis Pragensis", 1476; diesem Procop, einem Ka-
tholiken, aber wie es scheint, Feinde der Deutschen, gehört
auch das Bruchstück einer cechischen Reimchronik an; Nicolai
de Bohemia (Mitte des 15- Jahrhunders), „Chronicon Bohe-
miae"; hier mag auch das nach persönlicher Bekanntschaft
mit Böhmen von Aeneas Sylvias Piccolomini geschriebene Buch
erwähnt werden: „Historia bohemica", bis zum Jahre 1458
(Rom 1475 u. ö.), übersetzt ins Cechische von Nikolaus Konäö
(Prag 1510 u. ö.) und noch früher von Johann Houska (14S7);
ferner die „Chronica Taborensium", bis 1442. Die Cechischen
historischen Bücher jener Zeit zeichnen sich nicht durch be-
sondere Vorzüge aus. Durch grosse Fruchtbarkeit ragt hervor
Paul flidek (lateinisch Paulus, Paulirinus oder Paulus de
Praga, ein Jude, geb. 1413, gest. um 1471): ihm gehört eine
„Allgemeine Geschichte" (darin auch die böhmische) an, die
einen Theil seiner „Spravovna" bildet, eines Buches über die
Pflichten des Königs, das er für Georg Podebrad schrieb,,
und eine grosse lateinische Encyklopädie „Liber viginti ar-
tium", die von den Polen dem berühmten Pan Twardowski
zugeschrieben wurde, u.a. Ein Mann, äusserst unverträglich
im Leben, nicht sonderlich gerecht, dabei prahlerisch, war ^i'dek
auch in seinen Werken nicht besonders gewissenhaft und in
ü,g :.._.. ..Google
118 FnDft«B Kapitel. I. Die Cecheo.
Wirklichkeit ein Parteigänger der äussersten politischen ncd
religiösen Keaction. ' Ein ebensolcher Anhänger derselben var
Hilarius von Leitmeritz (1413 — 1469), anfangs utraquititi-
scbes Mitglied der Universität, dann iu Italien zur katholi-
schen Partei abgefallen. In seinen lat£iniBcheD und (l^ecbigchen
Büchern und scharfen Pamphleten gegen die Oalixtiner, z. B.
gegen Rokycana , herrscht durchweg ultramontane Beschränkt-
heit; die Zeitgenossen nannten ihn einen Apostaten und „Halb-
wisser", Hilarius predigte geradezu, der Papst sei der Herr-
scher aller Länder und die weltliche Obrigkeit sei verpflichtet,
nur auf die Erfüllung seines Willens zu achten; wenn aber die
weltliche Obrigkeit selbst sich gegen den Willen des Papstes
erhöbe (wie bei den Cechen), so habe der Adel (d. i. der ka-
tholische) das Recht, diese Obrigkeit zu vertreiben.
Die buBsitische und nationale Seite fand ihren scharfen und
charakteristischen Ausdruck in den historischen Werken jener
Zeit. Ausser dem, was in den ,,Alt«n Chroniken", gesammelt
von Palack^ („Stafi letopisove öesti"), enthalten ist, sind be-
sonders* die Zusätze zu Dalimil'B Chronik, geschrieben um 1439,
interessant: „Pocinä se krätke sebräni z kronik öeskj^cb k
v^straze vern^ch Cechöv". („Hier beginnt die kurze Samm-
lung aus Cecbischen Chroniken u. s. w."). Diese „Samminng"
ist durchdrungen von dem patriotischen Bestrehen nach Er-
haltung der Nationalität und hatte ausserdem den specielles
Zweck, gegen die Wahl eines Deutschen zum König zu wirken.
Die Feindschaft gegen die Deutschen war bei dem unbekannten
Verfasser ein bewusstes System, das er historisch rechtferiigte:
„Die üechen müssen sich eifriger bemühen und mit aller Sorge
hüten, um nicht in den Gebrauch einer fremden Sprache m
fallen, und besonders der deutschen; weil, wie die höbmischeD
Chroniken bezeugen, diese Sprache die schlimmste ist zur
Niederwerfung der techischen und der slavischen." Obgleich
der Verfasser nicht ganz mit Wahrscheinlichkeit behauptet, dass
schon beim babylonischen Thurmbau die Deutschen gegen Slaven
feindselig aufgetreten wären, und dass Alexander von Macedo-
nien der slavischen Sprache die Schrift gegeben habe, so hat
er doch die damaligen Verhältnisse seiner Nationalität ziem-
' Vgl. über Bcine Encyklopädie in „Casopis" 1837, 1839. Stellen i
■ „Spraiuvoa" in „Vybui"', II.
...., Google
Die BachdruckerknnBt. 119
lieb gut begriffen, und, indem er seinen Mitbärgem empfahl, das
Blat Gottes, d. i. den Kelch zu lieben, warnte er sie vor dem
Adel und der Geistlichkeit. Unter den eifrigen Calixtinem var
zu jener Zeit durch seine (SechiEchen polemischen Tractate Wen-
zel Koranda der Jüngere (Wenceslaus Korandiceus, geh. um
1424, gest. 1519) bekannt, dessen hauptsäcblichstes Werk ein
historischer Bericht über die Gesandtschaft PodSbrad's nach
Rom: „Poselstn kräle Jiriho", war.' Sehr interessant ist durch
ihre Details die Beschreibung einer zweiten Gesandtschaft Fo-
debrad's an den franKÖEischen König Ludwig XI., im Jahre 1464:
aas derselben kann man unter anderm ersehen, welchem Hass
die Cecben fast überall in Deutschland beim Volk begegneten,
dank ihrem Rufe als Ketzer-, den ihnen die Katholiken bereit«t
hatten.
Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts brachte zwei neue
Bildungsmächte — die Buchdruckerkunst und den Humanismus,
der sich unter dem Einäuss der „Renaissance" entwickelt hatte.
Beide konnten nicht ohne Wirkung auf die Literatur bleiben,
indem sie den Umfang der Bildung erweiterten und ihren Cha-
rakter veränderten, aber der Humanismus entfernte zugleich auch
die Geister von der frühern Bewegung, die energischer für die
nationalen Interessen eintrat.
Die Buchdruckerkunst entwickelte sich in Böhmen mit
grossem Erfolg. Als das erste gedruckte öechische Buch gilt die
Trojanische Chronik (Kronika trojanskä), gedruckt in Pilsen,
1468. Aber Cechiscbe Historiker fanden, dass die gute Aus-
Hibrung dieser Ausgabe bereits vorausgegangene, weniger ge-
lungene Versuche voraussetze. Die Ausgabe des Hussitenliedes
„Wollen wir mit Gott sein" (Chceme-li s Bohem byti) mit der
Jahresangabe 1441, neu gedruckt im Jahre 1618, veranlasste die
Annahme, dass die erste Ausgabe 1441 veranstaltet sei. Der
^chische Indes verbotener Bücher, der von den Jesuiten in der
spätern Zeit der Verfolgungen zusammengestellt wurde, fuhrt
einige solche alte Daten an, unter andern ein „Sendschreiben
' Siehe „Vybor", 11. Verzeichniss seiner Werke und Bioffraphie in
„BnkoTtt", I, 392-3%.
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120 Fünftes Kapitel. I. Die CVchen.
des Magisters Johann Huss von Hueinec aus Konstanz" mit dem
Jahre 1459. Die ersten Drucker tragen alle fechische Namen;
dies gab wieder zu der Meinung Anlass, dass der üechische Bücher-
druck gewissermassen unabhängig vom deutschen gewesen sei. Es
gab ferner eine Hypothese, an die eifrige slavische Patrioten
unter den Öechen und Russen glaubten, dass Gutenberg selbst
ein „Johann von Knttenberg" gewesen sei .... Wie dem auch
sein möge, der Buchdruck breitete sich in Böhmen sehr schnell
aus: die pilsener Druckerei diente den Katholiken, die prager
und kuttenberger (1488) den Utraquisten ; die bunzlauer (1500)
den Böhmischen Brüdern u. s. w. Die polemische Literatur jener
Zeit gab diesen Druckereien reichliche Arbeit und die Verbret-
tung des Buchdrucks war ein besonderes Verdienst der Böhmi-
schen Brüder,
Der sogenannte Humanismus, das Studium der classischen
Sprachen und Literaturen , begann bei den Öechen von der
zweiten Hälfte des lö. Jahrhunderts an, unter Georg Podebrad.
Im Jahre 14ö2 fing Gregor von Prag (alias Castulus, Has-
talsk^, gest. 148Ö) an der Universifät seine Vorlesungen über
die lateinischen Schriftsteller an. Mit seinem Tode verfielen
zwar die classischen Studien an der Universität, aber der Geist
der Zeit machte seinen Einfluss geltend und die Zahl der Huma-
nisten wuchs wieder. Johann Rabstein, der einige Jahre in
Italien am päpstlichen Hofe verbracht hatte, kehrte mit dort
erworbenen classischen Kenntnissen nach Hause zurück. In
Pest wurde eine wissenschaftliche Gesellschaft Danubia ge-
gründet, wo sich die Gelehrten Oesterreichs, Ungarns und Böh-
mens vereinten. Aber hauptsächlich machte der Humanismus
während der Regierung Wenzel's II. Fortschritte, als mit der
Kräftigung des Katholicismus in Böhmen engere A'erbindungen
mit Italien geknüpft wurden.
Zu Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts hatten
die classischen Studien schon viele bedeutende Vertreter, wie
z. B. Ladistav von Boskovic, Thurzo, Augnstin von Olmüti.
Johann Slechta, besonders aber Bohuslav von Lobkovic »uf
Hassenstein (1462—1510). Obgleich der grösste Theil seiner
Werke lateinisch geschrieben ist, so nimmt er doch als Ver-
breiter des Classicismus eine wichtige Stelle in der Oechischen
Literatur ein. Eine Zeit war er Calixtiner, wurde aber danu
eifriger Katholik. Seine classische Bildung empting er in Deutsch-
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121
land und Italien, nahm dann eine ehrenvolle Stellung am Hofe
ein und heschaftigte sich eifrig mit der Literatur. Seine latei-
nische Satire „Klage des heiligen Wenzel über die Sitten der
Cechen", 1489, zeugt vom Patriotifimus des VerfasBers und stellt
interessante Züge der Zeit dar. Er war auch ah Reisender
berühmt: auf dem Wege nach Jerusalem besuchte er Arabien,
Aegypten, Kleinasien, den Archipel, Griechenland, Sicilien,
Afrika u. s. w. Sein Bruder Johann begab sich auch auf
weite Reisen. Bohuslav bracht« unter anderm auch eine grosse
Sammlung von Werken classischer Autoren in Büchern und in
Handschriften heim. Sein Hans glich einer Akademie. Aber
seine ganze Gelehrsamkeit und viele wahrhaft humane Grund-
sätze, die er den Classikem entnommen, befreiten ihn nicht von
äns<4erst reactionärer Gesinnung in religiösen Dingen: während
er die bürgerliche Freiheit forderte, die Anmassungen des Adels
verspottete u. s. w., bemerkte er nicht, dass sein ÜUramontanis-
mus in diametralem Gegensatz zu allen diesen guten Wünschen
steht. ' Die classische Gelehrsamkeit erleuchtete auch andere
Köpfe nicht: z. B. Stanislaus Thurzo, Bischof von Olmütz, und
Augustin von Olmütz (Kaesenbrot) , welche unversöhnliche
Feinde der damals begonnenen Reformation waren. Das Latein
war so verbreitet, dass sogar zwei Frauen lateinische Schrift-
stellerinnen waren. Die eine, Frau Martha, schrieb „Excusatio
Fratrum Valdensium contra bioas literas Doctoris Augustini
datas ad regem", 1498, zur Vertheidigung der Reform. Der
erwähnte Augustin und Bohuslav waren äusserst aufgebracht
über dieses gelehrte und scharfsinnige Pamphlet und Bohuslav
schrieb eine Satire auf die Verfasserin. Die zweite, Jobanna,
aus dem Geschlecht Boskovic, war ebenfalls eine gelehrte
Dame: sie scheint der Brüdergemeine angehört zu haben, und
die gelehrten Mährer Benes Optät und Peter Gzel widmeten
derselben ihre TJehersetzung des „Neuen Testaments" (aus der
lateinischen Uebersetzung des Erasmus von Rotterdam; heraus-
gegeben 1555).
' K. Vinatifky machlci Uelieraetzungen aua «einen Wurken uod echrieh
»eine Biographie: „Pana Bohuelftva HaxiStejnHkchu z Lobkovic v^k a Spisy
vyhranc" (Prag I83ß). Vgl. die Zeitung „Narod", 18M, Nr. 111— 11-1; Jos.
Trahläf, im „daaopis", 1878.
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t22 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
Nach dem Tode Gregor's von Prag kamen die classischen
Studien, wie oben bemerkt, au der prager Universität in Vei-
fall. Wer solche suchte, musste auf auBländisclie Universitäten
gehen, nach Bologna, Fadua, und später nach Wittenberg, be-
sonders aU dort Philipp Melanchthon wirkte. Von Ferdinand I.
an, als in Böhmen eine gewisse Ruhe eintrat, begann sich
der Humanismus wieder auszubreiten. Im Jahre 1542 begann
Matthäus von Kollin (Collinus, gest. 1566) an der prager Uni-
versität über lateinische und griechische Literatur zu lesen, und
die griechische Sprache wurde sogar in den Unterricht der Stadt-
schulen eingeführt. Das Latein verbreitete sich; es gab Mäcene,
die dazu aufmunterten, und gegen Ende des 16. Jahrhunderts
gab es in Böhmen weder Stadt noch Flecken, wo sich nicht Leute
mit classischer Bildung gefunden hätten. Die zweite Hälfte des
16. Jahrhunderts ist durch eine grosBe Menge lateinischer Dich-
tungen bezeichnet, die höchste Blüte erreichte diese Kunst unter
Rudolf U. Ein Mäcen jeuer Zeit gab ganze Sammlungen latei-
nischer Gedichte heraus, unter dem Titel „Farragines"; ihnen
folgten andere ähnliche Sammlungen von Gedichten auf ver-
schiedene Gelegenheiten, private und öffentliche. Aus der Menge
der damaligen Latinisten waren am bekanntesten Matthäus
Collinus, Johann Sentigar (gest. 1554), Simon Fagellus Vil-
laticus (gest. 1549), Vitus Trajanus von Saaz (gest. 1560),
Johann BalbinuB (gest. 1570), David Grinitus (gest. 1586),
Procop LupÄö (gest. 1587), Petrus Codicillus von Tulechov
(gest. 1589), ThomaE Mitis (gest. 1591), Jobann Campanus von
Vod£iany (1622) u. a. Wie aus dem angeführten Verzeicbnies
zu ersehen, formten sie auch ihre Namen lateinisch um: Mitis
war eigentlich Tich^ (der Stille), Codicillus — Kni'ika (Büchlein),
Crinitus — Vlasäk (der Haarige) u. s. w.
Im Öechischen Humanismus waren gleich von Anfang an zwei
ungleiche Richtungen vertreten. Die einen, die reinen Huma-
nisten, fanden alleiniges Interesse am Latein selbst; ftir die an-
dern aber waren die classischen Studien nicht das Ziel, sondern
nur das Mittet zur Vervollkommnung der eigenen Literatur. Die
einen, oft enragirte Katholiken, waren auch gleichgültig gegen
die Fortschritte der cechischen Nationalität und Literatur; den
andern wollte es durchaus nicht einleuchten, dass das todte La-
tein die beimische Sprache ersetzen könne, die classischen Lite-
raturen dienten ihnen nur zur Bereicherung der ebenen Literatar,
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aibor von Cimburg. 123
— ihoen Bchlosseo sich auch im allgemeinen die Vertheidiger der
Nationalität an.
An die Spitze der letztem stellt man gewöhnlich zwei
Schriftsteller, die beide nicht speciell Humanisten waren, heson-
dere der eine nicht , die aber unmittelbarer und stärker als an-
dere die rein nationale Seite der damaligen Literatur repräsen-
tirten und eifrig die Rechte der Volksprache »ertheidigien. Die
Namen Viktorin's von Vsehrd und Ctihor's von Cimbnrg zahlen
za den berühmtesten Namen in der Geschichte des böhmischen
Recht«. Ihre Hauptwerke waren dem Kechtswesen des Landes
gewidmet, das damals überhaupt fleissige Erklärer fand. Die
unruhigen Zeiten des Hussitenthums , der taboritischen Kriege
Q. s. w. hatten die Ordnung der rechtlichen Verhältnisse gestört,
denen bald das Recht des Starken, bald socialistische Theorien
drohten, sodass sich ganz naturgemäss der Gedanke einer
Festigung der Rechtsbegriffe einstellen mochte. Daher sind das
Ende des 15- und der Anfang des 16. Jahrhunderts reich an
juristischer Literatur. Dahin gehören z. B. „Die Landesordnung
des Königreichs Böhmen unter König Vladislav", 1500, das
„Tohitschauer Buch" (Kniha TovaCoTskä) von Ctibor, „Neun
Bücher vom Recht und Gericht und von der Landtafel in Böh-
men" von Viktorin; danach die „Landtafeln" („Desky zemske"),
Sammlungen von Stadtrechten, welche den damaligen Bechtszu-
stand, die Streitigkeiten der Feudalherren mit den Städtern u. s. w.
reflectiren. Am wichtigsten sind die drei ersten Denkmäler. Die
allgemeine Idee war bei allen gleich: indem sie die durch die
politischen und socialen Unruhen erschütterten Rechtsgrundlagen
zu befestigen suchen, wollen sie dieses Ziel durch ein einziges
Mittel erreichen — durch die Erneuerung der alten Rechtsge-
bräuche. Aber ihre juristische Bedeutung war eine verschie-
dene: die Vladislarische Landesordnung war direct ein Gesetz-
bach; das Tohitschauer Buch und die neun Bücher Viktorin 's
waren nur eine private Anleitung zur Ueb ersieht der alten
Rechtsgebränche, das eine in Mähren, das andere in Böhmen.
Ctihor von Cimburg und Tobitschau (geb. um 1437, gest.
1494) war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit
nicht nur in seiner literarischen, sondern auch in seiner staatlich-
politischen Thätigkeit. Sein Geschlecht war eins der ältesten
und bekanntesten im mährischen Adel. Ctibor, ein gemässigter
Calixtiner, war ein warmer Anhänger Georg Podebrad's, nahm
124 Fünftes Kapitel. I. Die C«chen.
eine wichtige Stellung im Königreich ein, und genoss überhaupt
grosse Autorität. Sein juristische)) Werk: „ Beschreibnng der
Gebräuche, Ordnungen, alter Gewohnheiten und Rechte des Mark-
grafthums Mähren" („Sepsäni ohy6ejä etc.") oder das sogenannte
„Tohitschauer Buch" („Kniha Toyaöovskä") — verfasat im Jahre
1481 und vervollständigt 148Q — 89, ist vom Standpunkte des
Adels aus geschrieben und vertheidigt anf Grundlage der alten
Zeit sorgfältig die Kechte der Herren. Obgleich dies eine von
einem Privatmann verfasste Sammlung war, so erlangte sie doch
gewisserm aasen rechtliche Kraft. In der cechiscben Literatur ist
Ctibor auch noch durch ein anderes, in seiner Jugend um 1467
geschriebenes und dem König Geoi^ gewidmetes Werk bekannt:
„Streit der Wahrheit und der Lüge über die Güter und die
Gewalt der Geistlichkeit" („Kniha hädani Pravdy a Lzi etc.",
herausgegeben zu Prag 1539). Letztere Schrift ist in Prosa ver-
fasst nach Art der allegorischen Stücke, die damals eine sehr
populäre Form in der europäischen Literatur und dann auch bei
den Cechen waren. Die Schrift hat keinen poetischen Werth, ist
aber durch seinen Inhalt interessant. Die Wahrheit föhrt einen
Process gegen die Lüge vor dem Gerichte Gottes: den Gerichts-
hof bilden die Apostel unter Vorsitz des Heiligen Geistes; der
Streit der Wahrheit und Lüge, denen sich alle Tugenden und
Laster zugesellen (z. B. „der Hochmuth, die römische Prinzessin",
„der Hass, geboren aus Oesterreich", ,,die Faulheit aus Polen"
u. s. w.), stellt eigentlich einen Streit zwischen dem Cbristenthuia
dar, wie es einerseits von den Hussiten und andererseits von
der römischen Kirche verstanden wurde; er wird zuletzt zn
Gunsten der Wahrheit entschieden. Die hussitischen Neigungen
Ctibor's, die er auch bei andern Gelegenheiten zeigte, brachten
ihm die Flüche der Gegenpartei ein: Bobuslav Lobkovic prophe-
zeiht in Versen auf den Tod Ctibor's, dass „der Himmel für ihn
verschlossen sei, weil ohne den Kahn Petri niemand zu den
Wohnungen der Seligen übersetzen könne", dass „seiner Strafe
und seiner Qualen in Ewigkeit kein Ende sein werde". '
' Ueber den „Streit" vgl die Artikel von Baum nnd RybiOcH, P»-
matky aroh. i miBtupiene, 1H68. Das Tob lisch au er Buch warrie von Uemuth
herauBgegebeu (Brunn 1858); eine kiitisohe Ausgabe mit VariaDieu Jcr
llauclechriften und einer Biographie Ctibor'a gab Vincenz Brandi (Ebepd.
1868). Die Untersuchungen Hormenegild JireSek's und Brandl'a i» ^t»-
Bopis", 1863, 1867, 1868.
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Viktorin von VäehrJ. 125
Die Bücher Viktorin's (geb. um 1640, gest. 1520) gelten
als Schlüssel zum Veratändniss des alten böhmischen Rechts;
anderereeits werden seine literarischen Vtrdienste hocbgescbät^t.
Sein Vater war ein einfacher Bürger zu Chmdim; Viktorin
Etudirte auf der prager Universität, wo er mit grossem Ruhme
den Grad eines Magisters der freien Künste empfangen haben
soll; hier war er auch später Professor der Philosophie und
Dekan, aber bald verliess er die Universität und betrat die
politische und juristische Laufbahn. Als grosser Verehrer der
cUsBischen Literatur war er mit den bekanntesten 6echisc)ien
Humanisten jener Zeit, wie Bohuslav Lobkovic, Jan SIechta,
(iregor Hrub^ (de Gelenio) und andern, besonders mit dem
erstgenannten freundschaftlich verbunden. Aber im Jahre 1493
hörte diese Freundschaft auf. Ans Anlass von Verhandlun-
gen, die damals zwischen Rom und den iechischen Calixtinern
im Gange waren, hatte Bohttslav das lateinische Gedicht „In
Snmmum Pontificem" geschrieben; Viktorin mochte das nicht
ertragen und antwortete mit einer boshaften Satire auf den
Papst. Das juristische Werk Viktorin's: „Neun Bucher vom Recht
and Gerichte und von der Landtafel in Böhmen" („Knihy devä-
tery o pr&vich etc.") — 1499 beendet und 1508 zum zweiten
mal durchgesehen — ist umfangreicher als das Buch Ctibor's
und gibt viel interessantes Material zur Erforschung der da-
maligen socialen Verhältnisse. ' In den Streitigkeiten des Adels
mit den Städten ergriff Yiktorin die Partei der letztem und
überhaupt kann man in seinen Werken eine demokratische
Neigung bemerken. Ueberaus wichtig in historisch-juridischer
Beziehung wird das Buch Viktorin's auch seines meisterhaften
Stils halber hochgeschätzt, sodass es öechische Juristen als Haupt-
quelle der 6echischen juristischen Sprache anerkennen. Ausserdem
übersetzte Viktorin ins Oechische einige Werke von Cyprian und
Johannes Cbrysostomus. Er war ein eifriger Patriot: in seinen
„Neun Büchern" lobt er die alten Gebräuche des böhmischen
Hechts, das Öffentliche böhmische Gerichtsverfahren u. s. w.; im
Vorwort zu seiner Uetersetzung des Cbrysostomus (gedruckt zu
' Die „Nenn Böeher" vnn Viktorin «nrden herausgegeben von dec Öe-
cbischen Matioa dnroh Hanka, mit einem Vorwort Palaeky'B (Prag 1811).
Eine zweite Ausgabe wurde auf Kosten des juristiooben Verein« „VSehrd"
durch Herrn. Jiretek veranstallel (Prag 1874; mit Biograpbie).
ü,g :.._.. .,'GOOglC
12G Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
Pilsen 1501) vertheidigt er mit Patriotismus die cechische Sprache,
welche damals die Anhänger des Latein yerachteten. '
Zu den classiscb gebildeten Gelehrten, denen die Kenntniss
des Altertbums nur als Mittel diente, die nationale Literatur und
Sprache zu heben, gehörten: Wenzel von Pisek (Vaclav Pi-
seck^, 1482—1511), Johann Slechta von Vsehrd (gest. 1522) und
besonders Gregor Hrub^ z Jeleni (oder Gelenius, gest. 1514),
dessen literarische Thätigkeit hauptsächlich in Uebersetzungen
und Erklämngen alter Schiiftsteller und neuerer Humanisten
bestand; so übersetzte er den Ghrysostomus, den heiligen Basl-
liuB, Cicero, Pontanus, Petrarca, Erasmus von Botterdam, Bo-
hnslav von Lobkovic u. a. Der Sohn Gregor's, Sigmund Hruby
(Gelenius, 1497 — IÖ54), empfing eine vorzügliche classische Er-
ziehung unter Leitung WenzePs von PIsek, mit dem er in Italien
lebte ; et bereiste alsdann die griechischen Inseln , ferner
Frankreich und Deutschland. Im Jahre 1524 nahm er eine Ein-
ladung des Erasmus von Rotterdam an, zu Basel an einer neaen
Ausgabe der griechischen und lateinischen Classiker zu arbeiten,
und erwarb sich durch seine Gelehrsamkeit grossen Bnhm. Seine
6echiBche Sprache kannte er gut, auch die kroatische, und die
Kroaten sangen, wenn sie bei ihm zusammenkamen, ihre Volks-
lieder. Aber seine slavigchen Kenntnisse verwendete er nur in
seinem „Lexikon sjmphonum" (Basel 1536, 1544), wo er die
' Wir führen diese interesBunt« Vertheidigung der Pechisehen Sprachf
an, „Ich habe auch dieaen Bui-h mit Verzügen übersetzt aus dem Grund*-.
damit sich unsere Sprache auch hier erweitei'e, veredle und kräftiger werde;
weil sie überhaupt nicht so besuhräukt und raub ist, wie es einigen scheint.
Ihre Fülle und ihren Reichthum kann man daraus ersehen, das« allen, «u
griechisch oder lateinisch gesagt werden kann, sich auch i'echiscb sagen
lässt. Und es gibt keine Bücher, weder griechische noch lateinische, die
nicht ins (fechische übersetzt werden konnten, — wenn ich mich nicht etwa
täusche, indem ich mich von der Liebe zu meiner Sprache fortreiseen luse.
. . . Mögen andere neue Bücher verfassen und diese lateinisch schreibrn.
und Wasser ins Meer giessend, die römische Sprache bereichem , - — .
obgleich auch derer bei uns sehr wenige sind; ich will, indem ich Büeber
und Schriften alter und wahrhaft guter Leute in die techisohe Sprache
übersetze, lieber den Armen bereichern, als dem Keiohen mit schlechkn
und ihm unnöthigen Gaben aufwartend, der Verachtung und Emiedrigimg
verfallen. Obgleich ich auch lateinisch schreiben könnte, wie andere
meinesgleichen, so will ich doch, da ich weiss, dass ich ein Ceche bin,
zwar lateinisch lernen, aber Ceohisch schreiben und sprechen."
Dig :.._.. ..Google
Der Huniftnismua. ^27
Verwandtschaft der griechiBchen , lateinischen , deutschen und
slayiBchen Sprache zeigen wollte. Grossen Ruf genoBs Niko-
laus Kon&ö von Hodiätkov (oder Finitor, gest. 1546). Dies
«ar ein von den Zeitgenossen sehr geschätzter Uebersetzer und
Bnchdrucker, — ein rechter Typus eines ^echischen Schrift-
stellers der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert«. Seinen An-
sichten nach war er ein gemässigter Anbänger der Gompactata,
aber seine Polemik war schwach, sodass ihn einer der Böh-
mischen Brüder zwar einen „guten Cechen", aber „unfähigen
Glaubenseiferer" nannte. Für ein Originalwerk des Konä£ gilt
das „Buch Tom Kummer und Gram der Gerechtigkeit, der Kö-
nigin und Herrin aller Tugenden"; es ist dies wieder eine
Allegorie — die Gerechtigkeit geht alle geistlichen und welt-
lichen Berufe, hohe und niedere, durch, und trauert, dass sie
nirgends wahre Verehrer findet. Im Jahre 1515 druckte Ko-
näö die ersten Proben einer cecbischen Zeitung. Insbesondere
aber übertrug er in die fiechische Literatur fremde Werke:
er übersetzt« einen mittelalterlichen Roman des Philipp Be-
roaldo, zwei Gespräche Lucian's, die böhmische Chronik des
Aeneas Sylvius, „Pravidlo lidskeho ÜTota", d. i. die Fabeln des
Bidpai aus der lateinischen Redaction „Directorinm hamanae
ritae" u. 8. w. Die Masse der Uebersetzungen war sehr bedeu-
tend ; die Schriftsteller zeichneten sich nicht immer durch Origi-
nalität und Tiefe aus, aber sie förderten die Kenntnisse, sodass
das allgemeine Niveau der literarischen Bildung damals ziem-
lich hoch war. Wie bemerkt, wurden im Verein mit den Clas-
sikem auch die Werke neuerer Humanisten übersetzt, und diese
Leute gaben damals in der europäischen Bildung den Ton an.
Den Namen Petrarca, Boccaccio, Laurentius Valla, Pontanus
und besonders Erasmus von Rotterdam begegnet man häufig
in der damaligen Literatur: Erasmus stand auch in directen
Beziehungen zu öechischen Gelehrten, z. B. Johann Slechta,
Sigmund Hrub^ und verhielt sich ziemlich sympathisch zu den
Ideen der „Böhmischen Brüder". Es ist daher kein Wunder,
dass die Reformation Luther's und dieser selbst sogleich in
Böhmen unmittelbare Verbindungen anknüpften, die mit einer
bedentenden Ausbreitung der deutschen Reformation bei den
Cechen endeten.
Bevor wir fortfahren, die Literaturperiode des 15.— 16. Jahr-
hunderts, welche die thätigste Zeit in der Geschichte des iecbi-
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12^ Fünftes Kapitel. I. Die Ccclieii.
sehen Volkes bildete, darzustellen, kehren wir zum Schicksal der
taboritiBchen Ideen zurück. Eb war natürlich, dass sie sich in
eine Menge einzelner Lehren zersplitterten, weil mit der Erscbiil-
terung der frühern scheinbar unerschütterlichen Autorität in
der Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als die Frage nach
den sittlichen Grundlagen ihrer Existenz auftauchte. Diese tiefe
Frage lag auch der scheinbaren Willkur der persönlichen An-
sichten zu Grunde; ihre Mannichfaltigkeit kam in einer Menge
religiöser Sekten und politischer Parteien zum Ausdruck. Der
Kampf zwischen ihnen war ein enei^ischer und erbitterter, aber
diejenigen, in denen das Streben nach religiöser und politischer
Reform am tiefsten ausgeprägt war, blieben — wie es gewöhn-
lich zu geschehen pflegt — in der Minderzahl und unterlagen,
trotz der heroischen Vertbeidigung, ihrer Ueberzeugungen in den
Hussitenkriegen. Aber die Ideen, welche sie beseelt hatten,
gingen nicht unter: sie lebten fort, bisweilen in denselben
formen, welche ihnen die erste stürmische Zeit des Uussiten-
thums gegeben hatte, und fanden sogar ihre weitere philoso-
phische und sociale Entwickelung. Der Vertreter dieser Ent-
Wickelung war eine in verschifdeuen Beziehungen merkwürdige
Persönlichkeit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, Peter
CheUicky.
Einige cecbiscbe Historiker nennen ihn, vielleicht nicht ohne
Grund, den genialsten Philosophen seiner Zeit in ganz Europa.
Sein Lebenslauf ist bisjetzt wenig bekannt, auch seine Werke
kennt man noch nicht vollständig, deshalb ist es auch schwer,
seine Bedeutung in der Geschichte der öecbischen Literatur
und der nationalen Entwickelung mit Sicherheit zu bestimmeu.
Chel^icky wurde um 1390 geboren, seine Jugend fallt also in
Hubs' Zeit. Seine Herkunft ist unbekannt; er studirte einige
Zeit an der prager Universität, verstand lateinisch gut genug,
um die Kirchenväter zu lesen, und hatte keinen gelehrten Grad.
Dafür suchte er eifrig lebendige Unterhaltung mit „treuen Cechen".
So hatte er z. B. nicht seihst alle Schriften von Wicliffe geleseu.
aber „ich sprach", sagt er, „viel über sie mit treuen Cechen,
wie Magister Johannes Hubs, Magister Jakoubek, welche sie
besser verstanden ale andere ö'echen". Er gehörte zu jenen
„weltlichen Predigern", von denen er selbst sagte: „nur die-
jenigen, welche die Gabe Gottes und das Licht der göttlichen
Weisheit haben, können die Wahrheit des Gesetzes Gottes zeigen,
ü,g:.._.u.,GOOJ^IC
Peter ChelCiok^. 129
darch vernünftige und aufrichtige Auslegung." Dies war &lso
Bchon die yolle Freiheit der religiösen Forechnng, die zur
Norm wurde, falle der Person des Erklärers die „Gabe Gottes"
ZDgescfarieben werden konnte. Gheldick^ suchte selbst von be-
Booders geschätzten Lehrern Kenntnisse zu erlangen, wie z. B.
Jakob und Protiva. Von dem letztern soll er die Lehre an-
genommen haben, dass „das Gesetz Christi ohne Zuthat mensch-
Ucher Gesetze hier auf Erden eine wahrhaft christliche Glau-
benslehre ausreichend begründen und errichten könne ". Die
Nachfolge Christi war fnr ihn die oberste Regel des christ-
Kchen Lebens; er wollte nur an das glauben, was im Evan-
gelium steht, und verwarf die kircbliche Tradition „der Doc-
tores und alten Heiligen" gänzlich. Auf diesem Wege kam
er zu der Ueberzeugung , dass jede Anwendung weltlicher und
äusserer Macht, Zwang und Krieg, dem Christenthnm wider-
spreche. Deshalb verurtheilte er folgerichtig Matthias von Janov,
Huss nnd Jakob, wie auch die römische Geistlichkeit, dass
sie Urheber von Blutvergiessen geworden wären, dass sie dem
Volke das Schwert in die Hand gelegt hätten um der Rfiligion
Villen. Als im October 1419 auf die Frage ^ii^ka's und Niko-
lans' von Husinec die prager Magister erklärten, äass ea unter
-gewissen Umständen erlaubt sei, Kriegsgewalt anzuwenden,
stritt ChelÖicky gegen Jakob und behauptete, in Glaubens-
sachen dürfe es keine Gewalt geben. Die Lage der Dinge im
damaligen Frag entsprach nicht seinen Ideen; er begab sich nach
seinem Geburtsort, dem kleinen Dorfe CheRice, wo er sich mit sei-
nen Werken and mit Unterhaltungen in einem Kreise von Freun-
den beschäftigte. Hier mnss man den Anfang jener „grauen
Priester" sehen, welche — nach den Worten eines alten Autors
— „als echte Christen und wahre Nachfolger der ureprünglichen
apostolischen Kirche keine Kriege und Aufstände billigten, alles
aus eifriger Frömmigkeit und Sittlichkeit erduldeten, Zi^ka und
die iWaisenn Halbbrüder nennend, weil sie Blut vergossen". Die
Anhänger ChelÖicky's unterschieden sich auch durch die Kleidung.
Er setzte von Chel5ice aus seine Beziehungen zu den damaligen
Leitern der religiösen Bewegung fort; Peter Payne, 1437 aus
Prag vertrieben, genose einige Zeit seine Gastfreundschaft. Sehr
tolerant in Sachen des Glaubens, disputirte und polemiairte
Cheliicky freundschaftlich mit Rokjcana, mit den Taboriten,
Bisknpec und Koranda; kam selbst nach Tahor. Nach dem
Ptth, SUtIkiIi* LlMMonD. Q, S. 9
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130 FfinfteH Kapitel I. Die Öechen.
Falle Tabora, 1452, ward der EiofluBs Chel£ick^'B noch stär-
ker usd es begannen Bicb nacb dem Beispiel seines Kreises in
Chel£ice andere Gesellscbaften und Brüderscbafteo zn bildeo.
Die bedenteadste von ibnea war diejenige, welche sieb um den
Bruder Gregor, einen Neffen Bokycana's, gammelte, and mit
dem Chelfiick^ in engste Verbindung trat, Rokycana äusserte
sich über Chelöick^ in bester Weise, und Bruder Gregor begab
sieb selbst nach Chelöice, um seinen Führer persönlich kennen
zu lernen. Als 1457 die Bruderschaft Gregor'a zu Kunwald ge-
gründet wurde, schlössen sich ihr auch die Cbel£icer Brüder an.
Cheieick^ selbst, schon ein sehr alter Mann, war nicht mehr dort
Er starb 1460. >
Die literarische Thätigkeit Cbel£ickjF's scheint spät begonnen
zn haben: man setzt sie in die Jahre 1433 — 43, — im Jahre
1443 ward er schon auf den Landtag zu Kuttenberg berufen,
um sich wegen seiner Werke zu verantworten. Aber nach der
Menge seiner Werke zu urtheilen , muss man annehmen, dass in
jene Periode nur die hauptsächlichsten gehören. Die Werke
Ghelöick^'s waren folgende: „Das Netz des Glaubens"
(„Sit Tiry", geschrieben 1455 — 56, herausgegeben 1521); der
„Tractat vom Glauben" („Trakt&t o tü^ a o n&boienstrf",
geschrieben 1437, Handschrift in Paris); das Werk rom Anti-
Christ („0 äelmä a o obrazu jejfm"), von dessen Ausgabe rieh
nicht ein einziges Exemplar erhalten hat; „0 rotach ^sk/ch"
(„lieber die dechischen Sekten"; nicht erhalten); das „Buch
der Auslegungen der Sonntagslectionen" oder die Postille (ge-
schrieben 1434—36, herau^egeben 1522, 1529 und 1532); die
Werke „Von der Liebe Gottes" („0 milovdnf Boha"), „Von
der Macht der Welt" („0 moci svfita"), verschiedene kleine
Traotate, Auslegungen der Evangelien u. s. w., von denen beson-
ders interessant sind: „Rede von der Grundlage der menech-
licfaen Gesetze" („6e£ o z&kladn z&konft lidsk^ch"), „Brief an
die Priester Nikolaus und Martin" (Lupä6), welchen Komenskj
ein „goldenes Schreiben" nannte (gedruckt im Öasopis, 1874).
Ein Verehrer Chelöick^'s im 16. Jahrhundert lobt in der Vorrede
zu der Ausgabe des „Netzes des Glaubens" den hohen Werth seiner
< Tgl. über ihn Palaoky, Oeschiohte; Gindelj, „Geschichte der Böh-
mischen Brüder", I, 13 u. f., 490; äafaUk, im „tagopie", 1874; ßnkovM,
I, 285—292.
.....Gooj^lc
Peter Chel6iok#. 131
Werke fo^endermassen : „Wer diese Bacher lesea wird, dervird
och überzeugen, daes der gütige Gott anBere Vorfahren nicht
rergessen hat, sondern dass er sie mit dem Geist begabte nnd
erfllUta. . . . Und deshalb besitzt dieser vorzügliche Mann, ein
erwähltes Gefäss des Herrn, grosse Gaben, die ihm durch Gottes
Gnade verlieben sind, bringt alte und neue Dinge aus den
Schatzkammern Gottes, indem er diese Bächer schrieb nnd ab-
&8Hte, die jedermann aus allen Ständen höchst nützlich sind",
— nnd bemerkt, dass man die Werke CheKick^'s selten finde,
weil die Priester, welche Cheliick^ ihrer Pfründen halber venir-
theilte, auch seine Werke tot den Leuten tadelten und verfolgten,
indem sie dieselben Ingenhaft nnd ketzerisch nannten, dass aber
andere Leute aller Stände diese Werke liebten nnd sich nicht
deshalb von ihnen abwendeten, weil der Verfasser Laie und im
Latein nicht gelehrt war.
Die hauptsächlichsten Werke GhelCick^'s waren das „Netz
des Glaubens" und die „Postille*'. Das Netz des Glaubens ist
die Lehre Christi, welche den Menschen aus der finstern Tiefe
des Lebensmeeres nnd seiner Ungerecht^keiten herausziehen
BoU. Der Mensch könne nichts bewrasen, er solle nur glauben:
ohne Glauben falle er in einen finstern Abgrund, wo ihn die
Lüge beherrsche. Der Glaube bestehe darin, dass man den
Worten Gottes glaube; aber jetzt sei eine Zeit gekommen, wo
man den wahren Glauben für Ketzerei ausgebe, — und deshalb
Küsse die Vernunft zeigen, worin der wahre Glaube bestehe,
falls dies jemand nicht wisse. Finstemiss habe die Augen der
Menschen bedeckt und sie erkennten nicht das wahre Gesetz
Christi. Zar Erklärung dieses Gesetzes weist Chel£ick^ auf die
ursprüngliche Organisation der christlichen Gemeinde hin —
diejenige Organisation, welche, wie er sagt, in der römischen
Kirche jetzt als abschenliche Ketzerei gelte. Chelöickf spottet
mit boshafter Ironie über die Baseler Vertheidiger der römischen
Kirche, indem er von der „einfältigen ursprünglichen Kirche"
i^ridit, welche Gott gedient habe ohne Ornate, ohne Kirchen
mit bemalten Wänden, ohne Musik und künstlichen Gesang nach
Noten. Diese ursprüngliche Kirche war anch sein eigentliches
Ideal einer socialen Ordnung, gegründet auf Freiheit, Gleichheit
nnd Brüderlichkeit. Das Christenthum bewahrt, nach der Mei-
nung Cheliick^'s, noch jetzt diese Grundlagen in sich; es sei
nur nöthig, dass die Gesellschaft zu der reinen I<ehre desselben
9«
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132 Fünftes £i,pitel. L Die Rechen.
znxäckkebrej und dann würde sich jede :andere Ordnung, welche
Könige and Päpste nöthig mache, als überflüssig erweisen: in
altem sei das Gesetz der Liebe allein ausreichend. „Der saure
Essi^ der bürgei-licben Regierung ist nur für die Uebertreter
des Gesetzes dieser Liebe notbwendig. Deshalb ist infolge der
Sünden die Notbwendigkeit königlicher Ordnungen und Gesetze
ein^treten, zur Ahndung der Sündsn und des Ungehorsams gegen
Qott; und jemebr sich das menschliche Geschlecht von Gott
und von seinem Gesetz entfernt, um so niehr mnes es sich an
diese (königlichen) Rechte halten und auf sie stützen. Ich s^
nicht, dass das menschliche Geschlecht fest auf diesen Rechten
stehe — es stützt sich nur auf sie, um nicht ganz zu fallen."
Es wären gar keine Gesetze notbwendig, wenn das Gesetz der
Liebe gehalten würde und wenn das Christenthum auf der Erde
den Sieg über das Heidenthum erlangte. Aus diesem Heiden-
thum sei alle Unordnung auf der Erde hervorgegangen und habe
die weltliche Macht, welche von der Sünde komme, die Ober-
hand gewonnen. — Historisch setzte er den Verfall des Christen-
thnms in die Zeiten Konstantin's des Grossen, den der Papst
Sylvester ins Christenthum eingeführt habe mit allen heidnischen
Rechten und. heidnischem Leben: Konstantin seinerseits habe den
Papst mit weltlichem Reichthum und weltlicher Macht belehnt
Von der Zeit hatten beide Gewalten immer einander geholfen nid
nur nach äusserm Ruhm gestrebt; dieDoctores, Magister und der
geistliche Stand hätten begonnen, nur darum zu sorgen, dass sie
die ganze Welt ihrer Herrschaft unterwürfen, hätten die Leute
gegeneinander zu Mord tmd Ranh bewaffnet und das wahre
Christenthum in Glauben und Leben ganz vernichtet. Chel-
^ck^ verwirft vollständig das Recht des Krieges und die Todes-
strafe: jeder Krieger, sogar der Ritter sei nur ein GewalU
mensch, ein Missethäter und Mörder. . . . Sonach verwarf seine
Lehre, indem sie sich auf das ur^rüngliche Cbristenthiim giün-
dete, folgerichtig auch die Gewalt des Kaisers und Papstes, die
Privilegien der Stände, die Leibeigenschaft: er nannte die
königlichen Beamten einen Haufen Müssiggänger, der nicht
unter Gottes Gesetz gehöre, weil die ganze christliche Fa-
milie in Liebe und Recht gleich sein solle; er trat. gegen die
Bestrafnng der Verbrecher auf, die man nur durch brüderliche
Theilnahme bessern solle; erkannte keine Standesuntersckiede
und keine Rechte .der Geburt an, spottete über die Wapp«i
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Peter ChsKiok^: 133
und meinte, da&s io der jetzigen Gesellschaftsordnung die Macht
des Äntichrists herrsche, der die Festangen, Städte und Klöster
mit seinem Geist eingeiiommen habe, welcher dem Geiste Christi,
seinem Leben nnd Gesetz znvider sei . . .
Ein anderes wichtiges Werk Chelfiick^'s war die „Postille"
(AnBt^nng der Sonntagsevangelien), worin er Zeugnisse der Hei-
ligen Schrift für diejenigen Ideen sammelte, die er dann im „Netz
de« GUnbens" systematisch darstellte. Erklärungen der Heiligen
Schrift nahmen Echon vor Huss eine bedeutende Stelle in der
ieehiscben Literatur ein nnd dienten als Mittel der Propaganda
für die Reformation. Der Charakter der Erklärung änderte sich
mit dem Charakter der Zeit: bei Miliö und Stitnj? war die Er-
klärung gegen die Sitten- und Zuchtlosigkeit der Kirche ge-
richtet; Hubs wies schon auf eine falsche Auffassung des Ge-
setzes bin und griff die Kirche selbst an, indem er jedoch nicht
Bowol ein neues System predigte, als die bestehende Unordnung
im Kirchenwesen verwarf; Rokycana findet es nothwendig, dieser
Verwerfung Grenzen zu setzen, und legt dadurch den Grund zu
einer Reaction. Chelcick^ stellt sich wieder auf einen abso-
luten Standpunkt: er verwirft die Meinungen seiner Vorgänger
and sucht in der Heiligen Schrift nicht Beweise für die christ-
liche Dqgmatik, sondern bemüht sich, darin positive Grund-
lagen nachzuweisen, auf denen sich eine vollständige Umbildung
der gesellschaftlichen Verhältnisse vollziehen soll.
Als Schriftsteller kümmerte sich Chel6ick^ wenig um eine
glatte Auearbeitang seiner Werke; seine Sprache ist zuweilen
incorrect, weitschweifig, aber zum grössten Theil originell, kräftig
nnd ausdrucksvoll, wie seine Gedanken selbst, und erhebt sich
manchmal zu wahrer Beredsamkeit.
Die Lehre Chelötck^'s, in welcher die Idee der Cechischen
Reform ihre letzte und höchste Entwickelung und Darstellung
erlangte, fand, wie zu erwarten war, nicht nur eine volle
Verurtheilnng seitens der Katholiken, sondern auch Opposition
bei den Calixtinem selbst. Die Anklagen , welche. Zeugniss für
die Wicht^keit und den Einfluss ablegen, die seine Bücher zu
jener Zeit hatten, reichen vom 15. Jahrhundert bis ans Ende
des 16. Jahrbnnderts, wo die gröbste dieser Anklagen: „Die Ver-
gleichnng des Glaubens und der Lebren der altern Brüder"
(„SroTUÄni vtry etc.", herausgegeben 1582), verfasst vom Je-,
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134 Fönftea Kapitel. 1 Die Öechen.
Bniten Wenzel Stnrm, erschiea. Die Strenge der Lehre Chel-
Ücltfs lo<^te an&ngB wenig zur tliatsaohUchen Nachfolge an,
aber die Zahl ihrer Anhänger vuchs später beständig. Seine
nächsten Anhänger nahmen schon früh den Namen „ChelÜcer
Brüder" an. In seine Ideen vom reinen Christenthnm liefen die
alten tahoritischen Bestrebangen ans nnd sie kamen zuletzt that-
säcblicfa zum Ausdruck. Im Jahre 1457 wurde ihnen gemäss die
Knnwalder Bruderschaft gegründet; im Jahre 1467 wählte sicli
dieselbe Geistliche und drei Bischöfe, die zur Aufrecfaterhaltnng
der apostolischen Tradition die Weihe ron dem Bischof der Wal-
denser, Stephan, empfingen. Dies war der Anfang der berühm-
ten Böhmischen Brüdergemeine, der Brüderunion (Jednota brat^
öesk^ch, Jednota bratrskä).
Die BrüdemnioD, welche eine so originelle nnd in gewiesem
Sinne energische Erscheinung der Beligionsgeschichte bildet,
hatte ihren Ursprung nnd Charakter rein den Ideen Ghel6ic^'B
ZQ verdanken, obgleich sie dieselben, wie wir sehen werden, nicht
zum Ausdruck brachte, ja auch nicht vollstÄndig zum Ausdruck
bringen konnte. Die Union war der Versuch, eine sociale Ord-
nong nach den Frincipien des Urchristenthums prak^ch zu ver-
wirklichen,— ein Versuch, ausgeführt von Leuten mit fester Ueber-
zeugung und sittlicher Kraft. Es war die letzte Coneeqnenz, zu
der die böhmische Reformidee in den Grenzen gelangte, welche
ihr die gegen sie erhobene Reaction Hess oder welche histori«^
möglich waren. Hier ist nicht der Ort, das schwere Schicksal
der Böhmischen Brüder zu erzählen, die allgemeinen und per-
siHÜichen Verfolgungen, denen sie von Anfang an unterworfen
waren, und welche ihre bessern Leute mit einer Mannhaftigkeit
a^vgen, die tiefe Hochachtung einflösst und eines bessern
Loses würdig war. Es genügt zu sagen, dass die bisweilen
sehr harten Verfolgungen die aufrichtige Ueberzeugung nicht er-
schütterten nnd dass sich die Grundsätze der Gemeine in eisern
sehr grossen Tbeile des böhmischen und mährischen Volkes ve^
breiteten. Die Grundmasse der „Brüder" gehörte ebenderselben
einfachen Volksklasse an, welche die Vertheidiger der Lehren
von Hubs nnd die Krieger des Tabor Ueferte. So war also die
Gemeine ein ebenso selbständiges und nationales Erzeugniss dei
^hischen Volkslebens und der £echischen Volksidee, wie e»
die ersten Urheber dieser Bewegung waren, wie Chelcicky selbst.
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Die Brüdemnion. 135
der kein gelehrter Magister war, und Bmder Gregor, der erste
praktische Vollzieher seiner Anschauangen. ^
Die „Bi^üder" Dehmen auch in der CechischeD Literatur eine
wichtige Stelle ein. Gleich von An&ng an trat in ihrer Mitte
eine Menge ron Schriftstellern auf; einige von ihnen gehören zn
den bemhmtesten Namen der iechischen Literatur. Es muss
äbrigens bemerkt werden, dass die Brüderschaft die Ideen Chel-
ückf'e, aus denen sie erwachsen war, nicht sowol weiter führte,
als popularisirte und anwendete — freilich bei weitem nicht in
, ihrer ganzen Kraft. Gleich bei Beginn fand die Brüdergemeine,
dass es zur Erreichung der Einheit des Lebens und Glaubens
nötbig sei, gewisse Principien aufzustellen, die ausserhalb des
Streites stünden. Die religiösen Streitigkeiten spalteten das
Volk in eine Menge Sekten und lieferten, da sie seine Kraft
Bchwächten, nicht das gewünschte sittliche and praktische Re-
Boltat. Deshalb bescblossen die Brüder, „alle Tractate auf sich
beruhen zu lassen, sich mit dem Gesetz Gottes zu begnügen
Bod ihm aufrichtig zu glauben". Den Werth oder Unweith der
Tractate zu entscheiden, wurde den Aeltesten öberlassen; die
ThäÜgkeit der Gemeine war auf die Praxis gerichtet, auf die
' ToQ dieaea berfliimten Brüdern leiten ihren Urspriing die apätom
Gemeinden ab, weluhe anf demselben Prinoip gegründet wurden und noch
jetzt beatehen , in einzelnen Colonien in der Alten nnd Neuen Welt zer-
streut, als ein intereBBanter Analäufer der 6eobiBoheu Benegung des 10. Jahr*
buuderta: es sind die Mähriechen Brüder, die Evangeliaohe Brüdergemeine
oder Zinzendorfiauer, Hermhnter. Vgl. das oben von uns erwähnte Bnoh
von Gindely, „Oeachiobte der böhmiaehen Brüder 1484—1609" (Prag 1867
—58); „Dekrety Jednoty bratrskS", von demselben und von Emier (Prag
1865); desselben „Quellen zur Geachiohte der Böhmischen Brüder" (Wien
1659); Fiedler, „Todtenbach der Geistlichkeit der Böhmischen Brüder"
(Wien 186S; Fontes remm Anstriocanim); Jar. Goll, „Quellen und Unter-
tachongen zur Geschichte der Böhmischen Brüder" (1. Bd. Prag 1878}
2. Bd: ChelCieky nnd seine Lehre. Ebend. 188S). Tgl. anoh den Artikel
TOn J. A. Belfert: „0 tak Fe5enych blouznivoich nübo^enskyoh t
teohioh a na MoraTä za otstfe Joaefa H" {CaBopia, 1877, U, IV; 1879,
U— III, — e« handelt sich um das Schickaal der letzten Reste des Hnsai-
lenthums, die bia auf unsere Zeit gelangt sind). AuBBerdem ältere Werke:
Cranz, „Alt« und neue Brüderliistorie" (1772), deren Fortsetzung von
Hegner (1791—1816); Schutze, „Von der Entatehung nnd Einrich-
tung der evangelisoben Brüdergemeine" (Gotha 1822), und die äbnliohen
Werke von Sohaaff (Leipzig 1825) nnd Lochner (Nürnberg 1832).
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136 Fünften Kapitel. I. Die Ceohen.
aitüiche VervoUkomnmuDg des MeDBcben. Die Ideen Chel^ick^'s
wurden von den Brüdern wörtlich genommen nnd man hoffte,
eine Wiederhetetellung der Urkirche Bei möglich und werde Eich
dnrch bloB friedliche, moralische Mittel, durch blosse Einfuhr
Timg frommer Sitten und eine leichte klösterliche Scbattirung
des Lebens rollziehen: sie verwarfen den Krieg, die Standes-
privilegien, erkannten keinen gerichtlichen und andern Eid,
keine weltlichen Obrigkeiten u. s. w. an und beschränkten sich
auf einen rein passiven Widerstand gegen die herrschende Ord-
nung der Dinge — aber diese Ordnung dachte freilich durch-
aus nicht daran, einer activen Rolle zu entsagen. Der Wideiv
Spruch, welcher daraus entsprang, brachte die Brüder gleich von
Anfang an in die schwierigsten Lagen, nöthigte sie, Sophismen
auszudenken, die aber freilieb die Widersprüche nicht lösten.*
Die Gemeine, die von den besten Absichten erfüllt war und den
grössten Erfolg hatte dank der Kraft ihrer Idee, war in Bezug
auf das praktische Leben in dem bedaaerlichen Irrthum be-
fangen, der den edelsten Idealisten eigen ist: — mit der Kraft
des sittlichen Gefühls konnte sie die herrschende Ordnung nicht
brechen und zuletzt büsste sie ihren Idealismus durch den Unter-
gang. Wenn cechische Hietoriker Ghelcicky den genialsten
Denker seiner Zeit nennen, so führten seine Nachfolger, obwol
bedeutend in ihren einzelnen Leistungen, seine Lebren nicht
weiter oder vermochten es auch nicht, — vor allem wegen der
Grösse der Aufgabe selbst und wegen der Unmöglichkeit, einen
reinen christlichen Idealismus in den bestehenden Verhältnissen
zu verwirklieben.
1 Wir führen ein Beispiel an. Nach Chel5icky war der Krieg ein Ver-
breoheu; die Brüder liesBen ihn za [weil sie aonst gegen die königlioben
Werber mit den Waffen in dar Hand hätten auftreten mSsBeu), aber mit
verachiedenen Beschränknngen : der Bruder durfte in den Kri^ ziehen,
wenn die Sache dee Königs gerecht war, dies war die conditio aine qna
uon; aber, wenn möglich, sollte er einen Ersatzmann atellea, oder um
Borgdienat, um daa Amt eines Wächters, Dieners d. s. w. bitten. „Aber
wenn er gleichwol geoöthigt wäre zu gelten, im Falle einer Ablehnung
seiner Bitte", sagen die Regeln der Brüder, ,,ao bdU er suchen in den
Dienet beim Train zu kommen; sollte aber auch das nicht möglich sein,
so möge er sich in Gottes Kamen schlagen, aber sieh hüten, eiteln Bnhm
zu suchen; er möge zum öohwert greifen mit Widerwillen." Gindely,
I, 86.
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Die Brndernmon. 137
Die literarische Thätigkeit der Brüder bestand in der £nt-
irickeluDg der sittliclien, aber nicht der politisch-sooialen Con-
seqoenzen der Gedanken Cbeldick^'s, in der Aaebreituog und
potamiacben Vertbeidigung seiner Lehre. Bei dem speciellen
Charakter dieser Literatur Verden wir nicht auf die Einzelheiten
eingehen; es genügt, die bedentendeteu Kräfte der Brüderschaft
aDznfnbren. Dabin gehört vor allem ihr Gründer und Patriarch,
der Bruder Gregor (gest. 1474, mit dem Beinamen Krejöi,
d. i. Schneider), der Sohn der Schwester Rokycana's. Nach Voll-
endung des Elementarunterrichts ging er ins Kloster, trat jedoch
bald wieder ans, betrieb das Gewerbe eines Schneiders und suchte,
wieCbeliick^, fromme Unterhaltungen mit „treuen Öecben". Die
Unterhaltungen führten zu einer Annäherung an CheUicky, dessen
Werke Rokycana selbst ihrem Kreise empfahl, und mit der
ersten Grundlegung zur Brüderschaft. Aber die Sache lief nicht
ruhig ab. Rokycana hatte nicht erwartet, dass die Brüderschaft
Bchon bald eifrige Anhänger gewinnen und zu einer Macht wer-
den würde. Im Jahre 1461 war der Bruder Gr^or in Prag, und
hier fanden Zusammenkünfte von Gesinnungsgenossen statt, in-
folge deren Gr^or einer harten Verfolgnng unterworfen wurde:
er wurde ergriffen, gefoltert, sass zwei Jahre im Gefangniss.
Rokycana besuchte ihn hier und bedauerte sein Schicksal „mit
Krokodilstbränen", nach dem Ausdruck eines damaligen Histo-
rikers. Die Brüderschaft hatte dann auch andere Verfolgungen
zu erdulden, und erholte sich erst nach dem Tode Rokycana's
und des Königs Geoi^. Obgleich kein sonderlich gelehrter
Mann, war der Bruder Gregor doch „gewaltig in Wort und
Feder"; er war ein eifriger Prediger der Ideen der Brüder-
schaft und hinterUess viele Werke über christliche Moral, die
zum Theil verloren gegangen sind. * Nicht weniger bedeutend
war der Bruder Lukas (gest. 1528), ein prager Baccalaureus;
1480 in die Gemeine eingetreten, war er der erste gelehrte
Theolog, der ihre Lehre fixirte, und einer ihrer fruchtbarsten
Schriftsteller; er hinterliess eine ganze Masse Tractate, Erklä-
nmgen, Briefe und polemischer Artikel über verschiedene Fragen
der Lehre der Brüderunion, die zum Theil auch verloren sind. ^
' Ruk0T6t, IZ, 163—168.
* Gindel;, „Öuopia" des Ceohiechcn MoBeums lS7i, führt gegea
9U Werke i&t Brüden Lnkaa an.
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138 Fünftes. Kapitel. I. Die Öeohen.
Die Union stellt« ihre Lehre fest unter einer Menge Bedenken,
Zweifel, Streitigkeiten, Verfolgungen, und als zu jener Zeit
unter den Brüdern der Gedanke auFtancbte, daes irgendwo im
Orient (Christen sein müssten, die in ursprünglicher Sittenreinheit
und Lehre lebten, so wurden zu ihrer Aufsuchung einige Männer
abgesandt, darunter Lukas, dem die Aufgabe zufiel, die von
den Griechen und Bulgaren bewohnten Länder zu durchreisen.
Im Jahre 1491 begaben sich die Pilger über Krakau und Lem-
bei^ nach Suczawa, wo sich Ton ihnen der Edelmann Mares
Kokovec trennte, der nach Russland reiste. In Konstantinopel
trennten sich die übrigen: Kaspar und Marek begaben sich in
die Balkanländer, Kabätnfk nach Kleinamen und Lukas ins
arische Küstenland. Letzterer kehrte nach Jahresfrist zurück,
aber leider haben sich von seiner Reise keine Nachrichten er-
halten. Unterdessen erlangte Lukas, der schon Bischof der
Brüdemnion war, in derselben immer mehr und mehr Einfluse;
nach den Worten Blahoslav's war er in ihr „wie ein geschliffe-
nes Schwert"; sein Wohnort, Bunzlau, wurde zum Mittelpunkt
der Brüder; er war immer bereit, auf jeden Wunsch nach Be-
lehrung zu antworten, linderte die strenge von Gregor einge-
führte Disciplin, und genügte den Bedurfnissen der religiösen
Phantasie durch Ausschmückung der brüderschaftlicben Kirchen
und des Gottesdienstes. Die Brüdergemeine breitete sich unter
dem Adel und den Städtern aus. Lukas nennt man ihren wahren
Gründer und Gesetzgeber. Nach den Worten BlahoslaT's war
er ein Mann, stark in Wort und That, treu, fleissig, gelehrt,
unüberwindlich, wie es nie einen solchen in der Gemeine gab,
und — „von dem es besser ist, gar nicht zu reden, als n
wenig zu sagen".
Laureutius Krasonick^ (von Krasonic, gest. 1532) war ein
prager Baccalaureus. Prokop, ein gelehrter Baccalanreus (gesL
1507), ist in der Geschichte der Brüderschaft dadurch hemer-
kenswerth, dass er den Anlass zur ersten Reform derselben gab ^
im Sinne ihrer Annäherung ans wirkliche Leben, — indem er be-
antragte, die übertriebene Strenge einiger brüderschaftlichen
Regeln zu mildem. Er war der Meinung, die Brüder müssten,
um Fortschritte zu machen, nicht mächtige und reiche Leute
fem halten und sie veranlassen, ihrer Macht und ihren Gütern
zu entsagen, die sie zum Nutzen der Brudergemeine verwen-
den könnten; und behauptete auch, der Mensch brauche sich
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Der Charakter dea Hnamtenthonu. 139
nicht der Lebensfreuden zu berauben, welche die frühem asce-
ÜBcheD Regeln der Brüderschaft verboten. Die Vorecbläge Pro-
kop's, ^reiche auch in seinen Werken dai^elegt sind, erzeugten
einen Streit, in welchem Lukas, KraBonick^ und überhaupt die
Mehrheit aaf der Seite Frokop's war; aber eine andere Partei
stimmte mit seinen Ideen nicht überein und trennte sich zu
einer besondeni Gemeine ab, die nach dem Namen ihres Füh-
rers, des Bruders Amos von Stekno, Amositen biess. Fer-
ner gehören in die erste Periode der brüdergemeinlichen Lite-
ratur: Thomas von Pfeloufi (Tom&g z Preloadi, gest. 1517),
räuer der gelehrtesten Brüder, und Johann Täborsk^ (gest.
1496), beide anfangs katholische Priester, die zu den Brüdern
übertraten. Von den Amositen ist besondera bekannt Johann
Kalenec, eine bedeutende Persönlichkeit, dem Gewerbe nach
Heaserscbmied aus Prag, der scharf gegen die Brüderunion
polemisirte.
Gegner der Brüdergemeine gab es viele unter den Katholiken
und anter den Calixtinem und die Polemik gerieth von ernsten
dogmatischen Streitigkeiten dahin, dass z.B. ein gewisser Veit,
«n Priester, behauptete, die Brüder erwiesen der Ratte göttliche
Verehmng, pflegten unsittlichen Umgang mit den Schwestern
n. 8. w. Unter denen, die gegen die Brüderschaft schrieben, seien
enröhnt der schon genannte Augnstin von Olmütz, Koranda,
Martin und insbesondere Johann Bechynka.
Wir haben eben von einer Expedition zur Aufsuchung einer
christlichen Gemeinde oder eines Volkes, bei denen sich das
Urchristentbnm erhalten haben sollte, gesprochen. Dieselbe
ging nach Italien, wo man sich mit der den Brüdern verwandten
Sekte der Waldenser näher bekannt machen wollte, und in den
Orient, wo man nach der Ueberliefemng ein nrcbristlicbes Reich
des Priesters Johannes annahm. Von den Beschreibungen dieser
Orientreisen hat sich nur eine erhalten, und zwar die „Reise
aag Böhmen nach Jerusalem und Aegypten", 1491 — 92', des
Bmders Martin Kabätnik (gest. 1503)- Dieses Untemebmen
charakterisirt die Stellang der Brüder rücksicbtlich ihres Grund-
princips: sie hofften für ihr System den historischen Boden zu
finden und die ununterbrochene Tradition zu entdecken, welche
' H. Kabitnik, „CeeU z Öeoh do Jenualema a Egj^U", die erste
Ao^be, wie es soheint, 1512, ferner 1577, 1637, 1641 o. ö.
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140 Fänfles Kapitel. I. Die Öechen.-
sie sichüicli mit der alten cbn'stlicben Gemeinde verbände. Aber
der Versucb gelang für diesmal nicht: im Orient fand sidi keib
echtes Urcbristentbiim.
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hört im Grunde genommen
jene Periode enei^scher nationaler Thätigkeit auf, die znent
durch Husb' Vorgänger zu Ende des 14. Jahrhunderts begonnen
wurde. Die ^chische Beform hatte sich ausgesprochen: sie
wies viele edle Bestrebnngen auf, viele Beispiele kräftigen Den-
kens und Handelns, sie öffnete den Weg der Befreiung. . . . Dag
Ende war unglücklich, aber dies verringert die Grösse des 5echi-
ecben "Werkes nicht. Die Reform trat gegen Principien aof,
welche ganz Europa beherrschten, trat gegen sie in den Grenzen
eines kleinen Volksthums auf; es ist kein Wunder, dass sie
durch die noch starke Reaction unterdrückt wurde. Ihr bleibt
das Verdienst der Initiative und das Verdienst mannbaften
Mnthes.
Bevor wir zu den folgenden Zeiten Ubei^ehen, ist es nicht
überflüssig, noch bei der behandelten Epoche zu verweilen.
Sie bildet überhaupt die bedeutendste Periode in der ganieii
Öechischen Geschichte — die Epoche des vollsten Ausdrucks der
Nationalität, der Kundgebung der nationalen Kräfte, der phy-
sischen, geistigen und sittlichen. Durch sie wird schon für
das 15. Jahrhundert die ganze vorausgegangene alte Zeit od-
wiederbringlicb zurückgedrängt; die neuere Wiederbelebung be-
steht, sie mag wollen oder nicht, nur darin, zu einer ahnlicben
ethisch -nationalen Selbständigkeit zurückzukehren, und nach
unserer Ansicht kanu sie auch nur in diesem zu schärferm
Bewnsstsein erhobenen Streben auf einen Erfolg ihres Kampfes
hofTen.
Worin besteht aber der Sinn des Hussitenthnms? Es ist dies
eine jener Hauptfragen, durch deren Lösung der Charakter ganzer
Jahrhunderte der Geschichte eines Volkes bestimmt und auch
noch für die Gegenwart eine Lehre gegeben wird. Solche Fragen
lassen sich gewöhnlich nicht leicht historisch entscheiden. Bis
vor nicht langer Zeit stellten die westeuropäischen Historiker Hnss
nur als einen Vorläufer der Reformation hin, indem sie ihm seinen
Platz zwischen Wicliffe und Luther anwiesen, die Protestanten — .
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Die fauBBitiscbe Tradition. 141
mit Sympathie, die Katholiken — mit VerdrusB. Einige neueria
Jechische UiBtoriker legen kein Gewicht auf seinen Rahm aU
Keformator der Kirche und behaupten, daes er nar in einigen
Becandären Fragen vom Katholiciemus abgesehen sei, schätzen
aber in ihm im allgemeinen noch die nationale Tendenz. End-
lich stellten mseische Schriftsteller der slaTophilen Schule (Jelagin,
E. NovikoT, Hilferding) eine ganz neue Ansicht auf, — Huss habe
überhaupt gar nicht eine Reformation im Bpätem protestanti-
schen Sinne im Auge gehabt, sondern seine Lehre stehe mit
der Drsprünglicben Orthodoxie (der griechisch -orientalischen
Kirche) der Slaren in Verbindung, die einst auch bei den Rechen
die. erste christlidie Kirche gewesen sei, und deren Ueberlieferung
dch nach dem Siege der katholischen Kirche auch weiterhin in den
Volksmassen erhalten habe, — sodass seine Predigt als ein Echo
jener Tradition erschien, indem sie gegen den verderbten und der
Biarischen Natur nicht homogenen Kathoticismus protestirte, und
überhaupt als ein Streben, Ton den romanisoh-germanischen Prin-
dpien zu den slavischen zurückzukehren. Das Haupt der 6echi-
Bchen Historiographie, Palaok^, bestritt diese Ansicht, wie sie
überhaupt von denen nicht angenommen wird, welche einen
numittelbaren Zusanmienhang des Hussitenthums mit der Refor-
mation anerkennen. Der neueste Geechichtschreiber des Hussi-
tenthums, Ernst Denis, schlägt einen Mittelweg ein, wie es scheint
den richtigsten. Ohne die Verwandtschaft des Hussitenthams
mit der deutschen Reformation zu leugnen, verwirft er auch die
Existenz tod Ueberlieferuugen der griechisch -slavischeu Kirche
CjTiU's and Method's bei den Cechen nicht, und erklärt die
HeinungBTerschiedenbeiten über Hoss dadurch, dass sich in den
verschiedenen Werken desselben, in den verschiedenen Momenten
seiner Entwickelang und Stimmung stark abweichende Nuancen
seiner Ansichten finden, sodass daraus auch verschiedene Schlüsse
über dieselben gezogen werden können.
Seine Grundgedanken bestanden — negativ in der Ver-
nrtheilung der Verderbniss und der Misbräuche der Kirche, po-
sitiv darin, dass für ihn das Urchristenthum das Ideal der
Kirche war, und dass es zur-Erkenntniss dieses wahren Kirchen-
thnms zwei Quellen gäbe: die Heilige Schrift, und für das wirk-
liche Verständniss derselben die menschliche Vernunft. So konnte
nun also von seiner Lehre sowol zum Protestantismus (Nega-
tion der römischen Kirche und Freiheit der persönlichen Aua-
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142 FünftM Kapitel L IKe Öeohen.
legnng) als auch zum Versuchen einer Annäheracg an die grie-
chisch-katholische Kirche gelangen — wie ihn sowol die gemu-
sigten Hussiten im Jahre 1451i als die Brüdergemeine im Jahre
1491 wirklieb machten. Der Einflnss dnnkler griechiBch-slaTischer
Traditionen im Hussitentbnm lässt sich schwer leugnen, aber bei
Huss war er eher anbevnsat nnd unbestimmt; er selbst stand
ausserhalb des Einflusses der orientalischen Kirche, aber er enchte
sich mit ihrer Lehre bekannt zu machen nnd sein Freund und
Genosse im Märtyrerthum, Hieronymus, „befreundete sieb mit
den Rechtgläabigen" in Westrussland , wohin er sich wot nicht
ohne Hubs' Vorwissen begeben hatte. Ferner sonderten sich in-
mitten seiner eigenen Anhänger verschiedene Richtungen ab: die
gemässigten Calixtiner and die entschiedenem Taboriten hielten
sich gleichmäesig für seine directen Nachfolger — und wer von
ihnen dies mit mehr Recht denken konnte, haben die Historiker
noch nicht endgültig entschieden. '
Sonach schliesst sich Huss nnd die von ihm hervorgerufene Be-
wegung gleichmässig sowol dem vorwärts sdireitenden Oocideat
als dem conservativen Orient an : mit dem erstem war er histo-
risch verbunden durch den europäischen Zuschnitt des Lebens and
der Bildung der Öecben im „Schose" des KathoUcismns; mit
dem andern durch die instinctive Ueberliefening einer slavischen
Besonderheit. An seine religiöse Tbätigkeit schliesst sich nicht
umsonst seine Tbätigkeit im Interesse der dechischen Nation*-
lität an (so sehr diese auch bei ihm in zweiter Linie stand).
Die Geschichte ist immer noch voller Rätbsel, vieles im Zu-
sammenhang der Ereignisse ist noch schwer zu erklären; aber es
muss ein tiefer Grund vorliegen, warum gerade bei den Cechen
die natioQal*religiöse Opposition gegen den Katholicismus im
15. Jahrhundert so gewaltige Verhältnisse annahm, dass es dem
damals noch ganz katholischen Europa nicht möglidi war, sie
zu überwinden — weder durch Bücher, noch durch Scheiter-
haufen, noch durch Kreuzzüge.
' Palaokj edtoiiit in der letzten Bearbeitung der Qe«ohiohte dei Hu-
sitentluiraB den Ansicht«!! der niaaiachen Forscher eine ConceMJon xn muhen.
Aher die nene Generation der Cechisehen Gelehrten leugnet hartnäckig einen
Zneammenhang von Hubs' Thatigkeit mit den griechisch-orthodoxen Deber
lieferungen. Vgl. die AeuBsemng J. Goll'a über dM Bd^ von KraMt
Denis, im „Cuopia", 1878, S. 689—593.
.....Gooj^lc
Die hossitiBche Tradition. 143
Die buseitische Bewegung wachs zu Verhältnissen an, wie
sie Europa wol seit den Zeiten der Albigenser noch nicht
erfahren hatte. Ein kleines Land, umgeben von religiösen und
nationalen Feinden, sich selbst überlassen, von den Stammes-
geooBsen nicht unterstützt, hielt lange den Kampf aus ohne zu
«eichen. Dieser Umstand weist auf das Vorhandensein einer
besondem innem Kraft hin, — die auch am charakteristischsten
in der Person von Husa selbst zum Ausdruck kam. „Der unter-
scheidende Zug seiner Persönlichkeit", sagt Hilferding, „war
Qubedingte Wahrhaftigkeit in der Ausübung des christlichen
Gebotes, durchaus fern von allen Mebenrücksicbten." Dieser
wahrhaftige Eifer für das reine Christenthum lässt sich in der
That in der nachfolgenden religiösen Bewegung nicht verkennen,
besonders bei denen nicht, welche sich nicht äussern (vielleicht
politisch nothwendigen) Erwägungen hingaben — bei den Tabo-
riten, den Böhmischen Brüdern. Aber die Frage, wo die Quellen
dieser ernsten Religiosität, welche ganze Volksmassen durch-
drang, ZQ suchen sind, bleibt noch dunkel. Die blosse „Sla-
vidtät" der öecben allein (d. i. der vermeintliche allgemeine
Stammeacharakter der Slaven), die blossen Ueberlieferungen von
einer einst (aber zu kurze Zeit) bei ihnen lebendig gewesenen
slanscben Kirche werden diese Erscheinung kaum erklären —
äne ähnliche Bewegung gab es bei den andern Slaven nicht, und
es scheint, dass man hierbei die bewegenden Ursachen zu einem
beträchtlichen Theil gerade in der deutsch -lateinischen Bildung
der slavischen Öechen suchen muss. Magister und Bacoalaarei
standen nicht amsonst an der Spitze der religiösen Bewegun-
gen des Hussitentbnms, auch des entschiedensten — bei den
Taboriten und Böhmischen Brüdern. Die prager Universität
streute einen grossen Vorrath von Bildung aus. Die Geschichte
des HuBsitenthums wies viele Verirrungen auf, in welche die auf-
geregten Massen unvermeidlicdi verfallen, wenn sie mit einem
male die Wahrheit finden und die Gerechtigkeit zur Geltang
bringen vollen , — aber auch viel tiefe Aufrichtigkeit, Festigkeit
ond Selbstaufopferung, und diese Seite vor allem bildet die
sittliche und historische Grösse des Hassitenthums.
Die öechischen Patrioten wendeten sich bei den ersten Schrit-
ten der „Renaissance" den Erinnerungen an die hussitisohe Zeit
als der Glanzperiode ihrer Geschichte zu, und in der Folge hat
sie nicht wenige ernste Forschungen hervorgerufen; aber das
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144 Fünftes Kapitel I. Die Öechen.
Verbältniss der Renaissance za der bistoriechen Bedentang des
HuBeitenthuma hat sich noch nicht ganz geklärt; die Beaction,
welche das öechiache Leben seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts
bedrückte, hat noch nicht ganz aufgehört; die Geister sind noch
direct oder icdirect gebunden; das hiBtorische Bewasstseiii ist
noch nicht Tollständig — aber Tielleicht wird auf dem Wege eines
grossem Studiums und der Erfahrung auch eine energischere
Auffassung der nationalen Aufgaben in der Zukanfl; kommen.
Die teohiscben Historiker nennen gewöhnlich das 16. Jahr-
bnndert, 1026^—1620, und besonders die letzten Jahrzehnte tot
dem Untergang Böhmens das goldene Zeitalter ihrer Lite-
ratur. Aber dieser Name lässt sieb nicht sowol durch den
Inhalt, als durch den äussern Umfang der Literatur dieser Pe-
riode and durch die Ausbildang der Sprache rechtfertigen. In
der Tbat, das 16. Jahrhundert weist eine Menge Schriftsteller und
Bücher auf, aber keine Belbständige Entwickelung der Literatur,
sodass man diese Periode nur mit grossen Einschränkungen daa
goldene Zeitalter der (ecbiscben Xiteratur nennen kann. Der
wesentliche Fortschritt des 16. Jahrhanderts besteht in der Ver-
breitung der literarischen Bildung, aber die Literatur verhert
mehr und mehr ihre eigene Initiative und Originalität und wiiit
wieder anter fremden Einflüssen. Solche Einflilsse sind die
Renaissance und die Reformation. Gindely , der Geschicht-
-scbreiber der Böhmischen Brüder, rechnet es von katholischem
Standpunkte den 6echiBchen Katholiken zu besonderm Lobe an,
dass sie die eifrigsten Anhänger der classischen Studien waren,
— aber oben ist bemerkt worden, dass diese an und für sidi
noch keinen Fortschritt der Nationalliteratur bildeten. Die
classisobe Gelehrsamkeit, Ton katholischem Standpunkte aus
verstanden, hörte auf, eine fördernde Kenntoiss zu sein: Lob-
koTic und andere Schriftsteller dieser Art waren unfruchtbar
für die Sache der Öecbeu, wenn sie die Schar der ^rbloseo Nach-
folger eines künstlichen GlaBsicismus vermehrten. Es kam oft vor,
dasB diese Leute in politischer Beziehung nur WiederherBtelluDg
der alten Ordnaug und Vernichtung alles dessen wollten, was
in der hussitischen Periode errungen war. Patriotische Scfarift-
ateller, wie Väehrd, traten gegen dieses todte Latein anf, «eltifaes
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,^as goldene Zeitalter." 145
die Volksbildung vergasB. Andererseits wirkte die Reformation
ein, die sclion früh nach Böhmen drang. Die Repräsentanten der
iechiBchfli) Reform und die „Brüder" standen in directen persön-
lichen Beziehungen zu den Urhebern der deutschen Reform —
ErasmuB von Rotterdam, Luther, Melanchthon, Zwingli u. s. w.,
nnd die Lehren der letztern fanden nicht nur Aufnahme in Böh-
men, sondern, als die Refonnation eine staatlich anerkannte Kirche
wurde, veränderte sie auch in hohem Grade die frühere natio-
nal-religiöse Bewegung der Cechen. In der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderte, als die Verfolgungen seitens des Katholicis-
mos noch zunahmen , wurden die Calixtiner und Böhmischen
Brüder direct zu Lutheranern und Reformirten. Das alte Hus-
ntenthum hörte auf; ,, treue Öechen" wurden noch von huesiti-
schen Erinnerungen begeistert und zeichneten sich durch reli-
giösen Eifer aus; aber die Leitung der Sache selbst gehörte nicht
mehr ihnen. Von der Zeit an sind in der öechischen Literatur
kräftige und selbständige Erscheinungen selten.
Die interessanteste Seite des goldenen Zeitalters bleiben die
Erinnerungen und Nachklänge des alten nationalen Hussiten-
thnms, und die neuen Versuche in dieser Richtung, denen es aber
nicht mehr beschieden war, zu einer grossen historischen und
nationalen Erscheinung heranzuwachsen.
Die dechische Poesie wies schon in der Hussitenzeit wenig
Bedeutendes auf. Durch dieselbe Unfruchtbarkeit zeichnet sie
sich auch am Ausgang des 15. Jahrhunderts und während des
ganzen goldenen Zeitalters aus. Sie bestand zum Theil aus
lateinischen Gedichten verschiedener Art (oben sind die haupt-
sächlichsten lateinischen Dichter aufgezählt), zum TheÜ aus über-
setzten Ritter- und geistlichen Romanen , zum Theil aus Nach-
ahmungen deutscher Meistersänger , voll Moral und Allegorie;
endlich aus geistlichen Liedern. Der bekannteste Dichter dieser
Zeit ist Hynek Podäbrad, der dritte Sohn des Königs Georg
(1452 — 92), ein talentvolle Mann, aber politisch charakt«r-
los, dem ein langes Gedicht „Der Maitraum" („Mäjovy sen")
und eine Reihe anderer sentimental - allegorischer Stücke an-
' Siehe Hanka, Btorob. Sklädani; über die Nachbeaterungen Hanka'a
ia„Hnjov^ Ben" 8. HanuS, Die geßlaoliten Gedichte; NebeBky im Öasopis,
1848; Mich ftaflopiB 1872; Rukovff, II, 127-129.
Prwn, BUTlnh« UMrMaran. II, 3. |0
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146 Fünftes Kapitel. I. Die 6eohen.
Die geistliche Poesie entwickelte sich besonclers in dieser Pe-
riode der religiösen Begeisterung, und meist gehörten auch die
bessern Lieder den Böhmischen Brüdern an. Die bekanntesten
Namen waren hier der schon oben erwähnte Brnder Lnkae, Jo-
hann laboFsky, Johann Augusta, Johann Blaboslav, Martin
Michalec Ton Leitmeritz (1484— 1547), Adam Sturm (1530— 65).
Johann Augusta (1500 — 1572), Bischof der Brüdergemeine
und eine ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten, schrieb viel über
ihre religiösen Fragen, war ein feuriger Prediger und geist-
licher Dichter; seine Gedichte, mehr didaktisch als lyrisch, sind
zum Theil im GefängniBS geschrieben, worin er volle fünfzehn
Jahre zubrachte.' Georg Strejc oder Strejöek (Vettems, gest.
1599) ist als Uebersetzer der Psalmen in der Brüder-Bibel
bekannt. Von Nichthrüdern ist durch geistliche Lieder Martin
Zämrsk]? (oder Philadelphus, 1550 — 92) bekannt, ein evan-
gelischer Geistlicher, Anhänger des lutherischen ProtestanUs-
mus u. s. w. Ausser gereimten Liedern erscheinen in Naob-
ahmnng classischer Muster metrische Gedichte; dahin gehören
die Auslegungen der Psalmen von Matthäus Beneäovsk^ (Philo-
nomus, geb. um 1550, gest nach 1590)^ nnd Laurentiua Bene-
dict! aus NudoÜer (geb. um 1555, gest 1615). Slovak von
Geburt, war Lanrentius Baccalaureus der prager Universi^
Rector einer Schule, dann Magister und Professor, der über
Mathematik und classische Literatur las, Verfasser einer guten
6echischen Grammatik (Prag 1603) und einer Prosodie.
Von weltlichen Dichtern auf der Grenzscheide des 15. — 16.
Jahrhunderts mögen zwei vermerkt werden. Nikolaus Da6icky
von Heslov (1555 — 1626), ein öechischer Adeliger, hinterliess
erstens historische Memoiren, wo er alte Chroniken, Familien-
traditionen benutzte , und fUr die Jahre 1575 — 1626 süne
eigenen Erinnerungen erzählt, und zweitens, ein Gedichtbuch
„Prostopravda", 1620 — eine Sammlung von Liedern, Beleh-
rungen, satirischen Anklagen, die zuweilen interessante Züge
' Seioe Biographie hat, wie wir weiter unt^n sehen werden, seiD Zeh-
genoaee und Gegner Blahoalav geschrieben, d. a. RukovSt, I, 24 — 3€.
* Ihm gehört anch eine Eecbische Grammatik an, herausgegeben tn
Prag 1571, und ein „Büchlein ausgelegter Eechiacher Worte, woher <ie stmm-
mea und was ihr Sinn ist" („Knizka «lov Eeakyoh vyloiSenjch et«." Prag
1587).
.....Gooj^lc
„Das goldene Zeitalter." 147
der Zeitcaltur liefern, aber in der Form unbedeutend und bis-
weilen ziemlich roh flind.* Aber der bekaunteste und frucht-
barste Dichter dieser Zeit war Simon Lomnicky von BndeC
(geb. 1552, gest. nach 1622; sein Familienname war Zebräk,
den er in Ptochaeus gracisirte, wie er sich auch zuweilen
schrieb). Den höhern Unterricht empfing Lomnicky in einer
Jesnitenschule; von Jugend an wusste er Protectoren zu fin-
den, deren hauptsächlichster der angesehene Wilhelm von Rosen-
berg war: dessen Gunst erlangte er durch die Widmung der
„Lieder auf die Sonntagsevangelien" (Prag 1580). Als fröh-
licher Gesellschafter, dienstfertiger Versemacher, hatte er viele
Freunde im böhmischen Adel und genoss die Gunst des Kaisers
Rudolf. Im Jahre 1618, am Vorabend der stürmischen Ereig-
nisse, liess er sich in Prag nieder und mischte sich in die po-
litischen Händel, im Dienste der aufständischen utraquistischen
Stände, indem er in Versen Friedrich von der Pfalz pries und
die „Verräther" (Slavata, Martinic u. s. w.) verurtheilte. Kaum
hatten sich aber die Verhältnisse nach der Schlacht am Weissen
Berge geändert, so „hing er den Mantel nach dem neuen Winde",
rühmte diejenigen, welche er am Tage vorher Verräther genannt
hatte, und beschuldigte die Freunde von gestern, welche man
jetzt der Strafe überlieferte. Hieraus kann man auf seinen politi-
schen und sittlichen Charakter schliessen, und danach auch auf den
poetischen. Seine zahlreichen Werke sind nicht Poesie, sondern
Versmacherei. Er schrieb sehr verschiedenartige Sachen: geist-
liche Lieder, didaktische und satirische Gedichte, Verse auf ver-
schiedene Gelegenheiten. Für sein Hauptwerk gilt: „Kurze An-
leitung für einen jungen Hanswirth" („Krätke nau^eni mlademu
hospodäfi"), ein didaktisches Gedicht mit Zügen der damaligen
Sitten; „Der Pfeil des Cupido" („Kupidova stfela"), „Die Hofiart
des Lebens" („P^cha älvota"), „Ein goldenes Säckchen gegen die
Sünde des Geizes" („Tobolka zlatä proti hri'chu lakomstvi"), „Der
Streit oder Process zwischen dem Priester und dem Edelmann"
(„Hädani neb rozepte mezi kneiem i zemanem") u. s. w.
Die geistliche Poesie der oben erwähnten Schriftsteller der
Brüderunität wurde in besondem Werken gesammelt, die in der
' AuBZDge aue den hiBtorwchen Schriften DaEJuky's im CaaopJB, 1827—29;
Scriptores rerum bohem. II, 448—489. Separatausgabe seiner „Memoiren"
(Prag 1879); Stellen aui „Proatopravda" im Öasopis 1854.
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148 l''ünf(«B Kapitel. I. Die Rechen.
BrüdergemeiBe zuBammengestellt wurden zar Erbauung der Brü-
der und zum Gebrauch beim Gottesdienste. Dies hatten die
Vorsteher und Aeltesten zu besorgen; sie wählten die besten
Lieder aus uad stellten aus ihnen die sogenannten Cancionale
zusammen. Die Melodie zu den Liedern wurde alten volksthüm-
lichen Motiven entnommen oder yon den Brüdern neu componirt.
Jede einzelne Gemeinde hatte ihr Cancional. Andere kirchliche
Gemeinschaften legten ebenfalls solche Sammlungen, fiechische
und lateinische, an. Die Cancionale waren ein Gegenstand des
Luxus in der Brüder - Kirche und haben ihren nicht geringen
historischen Werth: ausser dem poetischen Inhalt, welcher die
Kirchen- und Sittenlehre der Brüder überliefert, sind sie in
musikalischer Beziehung interessant durch ihre Motive und in
künstlerischer durch ihre Initialen. Das erste brüdergemein-
liche Cancional „Lieder zum Lobe Gottes" („FisnS cbval boiich")
ist 1505 gedruckt, wahrscheinlich in Juog-Bunzlau, wo schon in
Jahre löOO die erste brüdei^emeinliche Buchdruckerei war. Die
besten Cancionale erschienen in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts. Die Gemeine wuchs, es machten sich grössere Can-
cionale nothwendig und die neue Ausgabe wurde Ad. Sturm,
Johann Öerny und Johann Blahoslav übei-tragen; da aber nach
1Ö47 die Gemeine in Böhmen verfolgt wurde, so musste diese
Ausgabe im Auslände veranstaltet werden. Die Vorsteher wen-
deten sich nach Polen, und dort wurde auf dem Gute des den
Brüdern wohlgewogenen Grafen von Görka zu Samtern (nördlich
von Posen) 1061 das seinerzeit berühmte Cancional von Samtem
herausgegeben. Unter Maximilian II., als die Brüder wieder
grössere Freiheit in Böhmen erhielten, gaben sie ein noch um-
fangreicheres Cancional 1576 zu Eibenschitz heraus, wo von
ihnen 1562 eine Bucbdmckerei errichtet worden war, die man
1578 nach Kralitz, einer Besitzung des berühmten Herrn Karl
von ^erotin, übertrug. Das Cancional von Eibenschitz dürfte «ol
für das beste £echische Bach in Bezug auf typographische Aus-
stattung und Gravirung gelten.
Oben wurde der Beginn des iechischen Theaters en^hnt.
Im 16. — 17. Jahrhundert entwickelte es sich in derselben Rich-
tung weiter, enthielt also kirchliche Mysterien, Stücke aus der
heiligen Geschichte und Stücke aus dem Volksleben. Dieses
Theater war eine Specialitüt der Schüler und Studenten, denen
sich auch frühere, als Lehrer beschäftigte Studenten anschlössen.
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„Das goldene Zeitalter." 149
Die Stücke wurden gewölmlich an der Universität bei Beginn
des Lehrjahres aufgeführt. Die UniTersitätebehörden führten
dramatische VorstelluDgen ein, um die rohen Belustigungen bei
der neuen Aufnahme der Schüler, das ezamen patientiae, zu
ersetzen oder zu mildem: es wurden lateinische, aber auch
Sechische Stücke ans der heiligen Geschichte, theilweise auch
aas der classischen Literatur oder der böhmischen Geschiebte
aufgeführt. Eine zweite Gelegenheit war der Cameval, wo sich
die Studenten in die Frovinzialstädte begaben und von den
Zuschauern Geschenke für ihre Vorstellungen empfingen. Noch
mehr im Schwünge war das Theater im Jesuitencollegium (von
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an), wo es eine Menge
Zuschauer anlockte. Die Stücke wurden auch in den Private
häusern der Magnaten bei feierlichen Gelegenheiten aufgeführt
u. B. w. Aus der Reihe der dramatischen Schriftsteller mögen ge-
nannt sein: der schon früher erwähnte Nikolaus Eon4£; Niko«
laus Vräna; Johann Aquila; Johann Campanus von Vod^n
(Drama: „Bretislav und Judita"); Paul Kyrmezer von Schem-
nitz; Georg Tesäk Moiovsk^ (von Geburt Slovak, utraquistischer
Priester, ein origineller Schriftsteller über kirchliche Gegenstände
und Epigrammatiker, gest. 1617), Simon Lomnickj ii. h. Es gab
Stücke, die von studentischen Vereinigungen gemeinsam geschrie-
ben waren. Dass das Theater sehr populär war, lässt sich aus
den noch vorhandenen Nachrichten über seinen Erfolg im Pu-
blikum Bchliessen, und aus den gedruckten Ausgaben von Stücken,
die übrigens jetzt eine grosse Seltenheit bilden.^
Im sogenannten goldenen Zeitalter mehi-t sich die literarische
und wissenschaftliche Bildung merklich: es erscheinen in den
verschiedenen Zweigen der Wissenschaft mehr oder weniger wich-
tige und selbständige Arbeiten; in Böhmen lebten Gelehrte ersten
Ranges jener Zeit, wie Kepler, Tycho de Brahe; es treten ein-
heimische Gelehrte — Humanisten, Grammatiker, Mathematiker,
Astronomen oder Astrologen, Botaniker u. s. w. auf. Der Bo-
taniker, Mediciner und Theolog Zaluiansk^ (Mathiades Hra-
distenns Adam, gest. 1613) ist nach einer Aeussemng der Denk-
schriften der prager Universität „ein Philosoph, dessen gleichen
■ Einige dieser Stücke in der Aasgabe von J. JireGek, „Staroteake
diviidelDi hry" (I. Prag 1878; Famitky aihti liter. haki, heransgeg. von
der Eech. Matica, III.).
.....Gooj^lc
150 Fünftes Kapitel. 1. Die Öechen.
sein Zeitalter und sein Volk nicht beeass", — er boU um zwei
Jahrhunderte der Theorie Linne'a zuvorgekommeQ sein. Es er-
schienen viele Uebersetzuugeu aus andern Sprachen.
Die Geschichtsknnde hatte auch viele Vertreter, obgleich deren
literarische Bedeutung nicht hoch ist. Bartholomäus Pisar
(oder Bartolomej od sv. Jilji, gest. 1535), prager Bürger, dem
Charakter der Zeit nach religiösen Fragen ergeben, beschrieb ein-
gehend den Streit, der zwischen den CaUxtinem und der damals
aufgetauchten lutherischen Partei geführt wurde, wobei er sidi
zu der letztem hielt. In seiner Erzählung reflectiren sich zu-
weilen malerisch die Personen und Ereignisse seiner Zeit. ^ Sixtus
von Ottersdorf (gest. 1583), der in Prag und auf ausländischen
Schulen studirt hatte, zur Partei der protestantischen Stände
gegen die Partei des Königs gehörte, hinterliess ausser andern
Arbeiten „Acten oder Gedenkbücher der Geschichte der beiden
unruhigen Jahre 1546 und 1547" („Acta aneb kniby pamätne
etc."). Die Ausführung des Baches ist nicht gleichmässig; einige
Theile sind ausgearbeitet, andere bieten nur rohes Material, —
aber es finden sich darin sehr lebendige Darstellungen der Zeit
Wie er die Literatursprache beherrschte, bezeugt eine Aeusse-
rung Blahoslav'B, welcher Sixtus von allen damaligen prager
Doctoren und Magistern den „besten Öechen", d. i. besten Ken-
ner der Sprache nennt.' Einer der bekanntesten Namen der
damaligen Literatur ist Wenzel Hajek von Libo£an (gest. 15Ö3).
Dem Namen nach zu schliessen war er ein Adeliger; erzogen im
Utraqnismus, ging er später zum Katholicismns über, weshalb
man ihnApostata nannte, und bekleidete verschiedene geistliche
Würden. Wie ee scheint, war Häjek als ein Mann von Kennt-
nissen bekannt; wenigstens forderten ihn einige (Sechische kaüio-
lische Herren auf, eine Chronik zu ver&issen, durch welche er
seinen Ruf als Historiker erlangte. Sie ist von den ältesten
Zeiten der böhmischen Geschichte bis zum Jahre 1527 geführt
1 „Kronika prazskä o pozdvüeuf jednSch proti drah^" (lCi21— 1690k,
herausgegeben von Erben (Prag 1851). Kine lateinüohe Uebersetnuig der
Chronik: Bartholomaeus von St. Äegidius' Chronik von Prag in der Refor-
mationszeit, Chronica de aeditione et tumoltu pregenei 1524, herausgegeben
von Höfler (Pi-ag 1859).
* Ueber ihn im Cuopis 1861. Stellen ans seiner Gesobiohte im \j-
bor, a
.....Gooj^lc
Wenzel H^ek vou LiboEan. 161
Zu ilirer Abfassung waren ibm reicbliche officielle Documentc,
Abschriften ans den „Landtafeln" u. s. w. überlassen. Das Bucb
wurde 1539 volleudot und 1541 berausgegeben. Mit grossem Bei-
&11 anfgeDOmmeD, genoas die Cbronik H4jek's lange eine grosse
Autorität bei den (echiscben Scbriftstellem und spätem Histo-
rikern and war besonders in der Periode des Verfalls eins der
beliebten Bücher, die sich ans alter Zeit erhalten hatten, um
so mehr, als sie wegen ihres katholischen Standpunktes keine
Opposition hervorrief, und sich der Einfachheit der Sprache
nach zu einem Volksbuch eignete.^ Aber schon einige Zeitge-
nossen fingen an zu bemerken, dass sich in dem Werke Häjek's
ein Quantum Fabelei finde; neuere Kritiker, Ton Dobuer an,
überzeugten sich davon definitiv, und Falack^ fand nicht Worte
genug zur Klage über die „anerhörte Schamlosigkeit" der Erfindun-
gen, welche von Häjek in die böhmische Geschichte aus eigener
Phantasie and aus Büchern, die nie existirt hätten, hinein-
getragen seien.^ Wir nennen noch den Chronisten Martin Ku-
then von Springsberg (gest. 1564). Prager Baccalaareus , be-
reiste er als Lehrer in adeligen Familien mit seinen Zöglingen
Italien, Frankreich und Deutschland , war ein guter Lateiner,
schrieb viele lateinische Verse, Panegyriken und Epigramme,
und endlich eine „Chronik" von calixtiniscbem Standpunkte ans.^
Bohuelav Bilejovsk^ (geb. um 1480, gest. 1555) schrieb vom
Standpunkte der gemäsBigten Calixtiner eine böhmische Kirchen-
geschichte (herausgegeben Närnbei^ 1537, und Frag 1816).
In der GeschichtschreibnDg trat auch die Brüdergemeine thätig
auf. Sie begann schon früh die wichtigsten Documente zu sam-
meln, die von ihr und andern kirchlichen Parteien ausgingen;
' Eine zweite Ausgabe veranataltetc Ferd. Sohönfeld (Prag 1819).
EiDc dentache üebersetzung von Sandel, Prag 1606, Nürnberg 1697,
Leiptig 1718. Eine lateinische üeberaelznng, in der ersten Hälfte des
18. Jahrhniiderts , von dem Piaristen Viktoriu a St. Cruce, gab Dobner
1762—83 in sechs Theilen heraus.
' Vgl. Würdigung, S. 273—292; Dijiny 1, 1. Bd., S. 31
' „Kronika o zaloieni zemS i^eeke a prvnich obyvatelich, iuiil knila-
tecb a krälieh a. a. w." (Prag 1539; 2. Ausg., von Velbslavm veranstaltet,
1685; 3. Augg. von Kramerius, 1817). Ohen wurde erwähnt, dasa ihm noch
die „Chronik von 2izka" zugeeohrieben wurde; aber Jar Goll setzt die
selbe schon ins 15. Jahrhundert.
152 Füaftea Kapito). L Die (Wken.
Bie wollte einerseits die Erinberangeii an ihren eigeneti Ursprung
and die eigene Geschichte bewahren, andererseits die nötbigen
Materialieo zur Vertheidigung zur Hand haben. Dadurch kam
ein ziemlich reiches Archiv zusammen, dem ein vod den Brüdern
besonders ernannter „Schreiber" TOrstond, der sich durch
Kenntnisse und Talent auszeichnete. Hieraas entwickelte sich
die historische Schule der Brüderschaft, welche ihre bedeutendeo
Vertreter hatte.
Der bedeutendste von ihnen War Johann Blahoslav (1523—
157 1 ; seinen Namen hatte er aus dem Familiennamen BlaJek
umgeformt). Nachdem er zu Hause eine soi^fältige Erziehung
empfangen, setzte er seine Studien an hohem Schuleu fort,
unter anderm brachte er ein Jahr an der Universität Witten-
berg zu. Früh trat er in die Brüdergemeine ein, die ihn nach
Basel sandte, wo er von den dortigen Gelehrten, beBonders
Sigmund Hruby, freundlich aufgenommen wurde. Nach Hause
zurückgekehrt, war er Lehrer an der Schule der Brüdemnität
und wurde 1552 zum Gehälfen des Bruders Cerny bestimmt,
welcher das Archiv der Gemeine leitete; bald danach ward
er Geistlicher. Im Archiv beschäftigt, erforschte Blaboslai
besser als irgendjemand das frühere Schicksal der Brüder-
gemeine, and schrieb eine Geschichte derselben bis zum
Jahre 1554.
Die Arbeit, der er sich mit Liebe hingab, wurde dadurch
unterbrochen, dass ihm die Aeltesten wichtige Geschäfte in
Angelegenheiten der Brüdemnität übertrugen, anCangs am Hofe
zu Wien und dann in Magdeburg, wo er mit dem Gegner Me-
lanchthon's, Flacius Illjricus, Verhandlungen führte, der damals
eine gewichtige Summe in den Angelegenheiten des Protestan-
tismus hatte. Blahoslav vertheidigte in dem Streite mit ihn
die Grundlagen der Lehre der Brüdemnität and schrieb dann
seine Vertheidigung lateinisch.' Im Jahre löö7 wurde er bei
der allgemeineQ Versammlnng der Aeltesten aas Böhmen,
Mähren, Polen und Preussen in den hoben Rath and zum
Bischof gewählt. Als er sich darauf in Eibenschitz nieder-
gelassen, arbeitete er im Verein mit den Brüdern Öem^ nod
A. Sturm an der Redaction des brüderschaftlichen Cancio-
' SummuU qoaedam brevisBime collecta ex vftriü soriptia Frfttnun, qni
(al»u WaldenBea seu Fiuardj vooantur, de eorum Fratram origine et utb.
ü,g :.._.. ..Google
Jahaan BlalioBl&v. 153
nab, velcheB, wie obeo bemerkt, 1561 zu Saiutern erscbien.
BUhoelav gehört der gröEste Theil der Arbeit an, und es siod
darin gegen &nfzig Lieder 7on ihm veriasst. Er bereitete
eine Änegabe des Brüder-BekenntnisBeB in kroatischer Sprache
Tor, übersetzte das Nene Testament aufe neue aus dem
Urtext (herausgegeben lä(35). Da die Gemeine Verfolgungen
lu erdulden hatte, so wurde zu Eibenscbitz 1Ö62 eine geheime
Buchdruckerei errichtet (ihre Drucke wurden bezeichnet mit „ex
horto" oder „ex insula hortensi"). Im Jahre 1564 fanden zwei
wichtige Ereignisbe statt: der Regierungsantritt des Kaisers Ma-
ximilian, mit dem für die Gemeine ruhigere Zeiten anbrachen,
und die Befreiung Johann Augueta's. Mit dem letztern hatte
Blahoslat viel zu kämpfen, weil Äugusta nach einer Vereini-
gung der Brüder mit den Lutheranern btrebte, und Blatioslav
mit allen Kräften die Beintieit der Brüdergemeine vertheidigte.
Am meisten erbitterte ihn der Umstand, dass Augusta die ein-
fältigem Mitglieder der Gemeine auf seine Seite zu ziehen
suchte und gegen Gelehrsamkeit und Wissenschaft auftrat, in-
dem er sich auf die Worte des Bruders Lukas berief. Blahoslav
trat mit einer feurigen Zurückweisung der Feinde der Bildung
auf — sie gilt für eins der bedeutendsten Werke der cecbi-
sckeu Beredsamkeit (abgedruckt im „Oasopis", 1861)- Er be-
mühte sich sehr um die Vervollkommnung der cechischen
Sprache, die er vorzüglich beherrschte, und sein letztes Werk
war eine bemerkenswerthe cechische Grammatik.
Endlich wurde nach der Idee Blaboslav's eine neue Ueber-
setzoug der Bibel aus dem Hebräischen und Griechischen ge-
macht; es ist dies das berühmteste Werk der ganzen Brüder-
literatur, die sogenannte Eralicer Bibel, herausgegeben auf
Kosten des mährischen Magnaten Johann von Zerotio, eines
grossen Anhängers der Brüdergemeine, zu Kralitz 1579 — IbO'ö,
in sechs Bänden (weshalb sie die sechshändige — scstidilnä —
genannt wird; 2. Aufl. 1596; 3. Ausg. fol. 1613). Diese Ueber-
Eetzung gilt noch heute für das höchste Muster der ^echiscben
Sprache. Blaboslar erlebte die Ausgabe nicht; doch gelangte
in die Kralicer Bibel seine oben erwähnte Uebersetzung des
Neuen Testaments.
Blahoslav war einer der kräftigsten Vertreter der Gemeine, und
neuere Historiker erkennen an, dass es damals in Böhmen und
Mähren niemand gab, der ihm an Gelehrsamkeit gleichgekom-
ü,g :.._.. ..Google
154 Fünftea Kapital L Die (^cheo.
men wäre. Abweichend Ton dem Beiepiel anderer „Brüder" war
er besorgt, dsss die jungen Leute der Brildemnität eine höhere
Bildung empfingen, und sandte die befähigtem nach Wittenberg
und Tübingen. Merkwürdig ist ee, dass Blahoslav bei seiner
Gelehrsamkeit und seinem Eifer für die Sache der Gemeine
und obgleich er an ihrer Spitze stand, doch theologische Streitig-
keiten mied: nach seinen Worten „mochte er nicht so schreiben,
wie er konnte, und wie er wollte, konnte er nicht".
Deber BlahosUv und seine Werke, auch AnszQge daraus, siehe „Cs-
sopis", 1866, 1861, 1862, 1878, 1876, 1877; das Journal „OsreU"
1873; die Arbeiten Gindely'ai „RnkoTgt" I, 74—84.
Im Archiv der Brüdergemeine (aufbewahrt su Herrohnt) bildra
die ersten Folianten, ausser ganz am Anfang, die Arbeit Blahoslav's.
Die Geschicfate der Brüdemnität besteht aus zwei Theilen, welche
die Jahre 1457 — 1541 und 1546 — 54 umfassen. „Zivot Jana An-
güsty" („Bas Leben des Johann Augnsta") ward von F. Snmavsky
herausgegeben (Prag 1838). 8. 1 — 66 gehört Blahoslav an; d»
übrige hat wahracheinUch der Bruder Jakob BUek geschrieben, ein An-
hänger Augusta's und Genosse seiner Leiden, Zur Zeit der Heraos-
gabe des Cancionals legte Blahoslav seine Ideen über den Gesang dar
in „Muaica, d. i. ein Büchlein Auskünfte, welche Sänger angehen, ent-
haltend" („Muaica, to jest, knizka sp^väköm n&leÜte spHivy r sobe
savirajici", Olmtttz 1658; 2. verm. Aufl. Eibenschitz 1569). Die ce-
chische Grammatik von Blahoslav gaben J. Hradil und J. Jirecek
heraus (Wien 1857)- An der Uebersetznng der Kralicer Bibel nahmen
ausser Blahoslav noch folgende Brüder theiL: Andreas Stephan, Jesaias
Cibulka, Nikolaus Albrecht von Kamenko, Georg Strejc, Johann Capit«
(Hlaväc), Paul Jesen, Johann EB'reim, Lukas Helle, und an der weitem
Durchsicht Samuel Susick^ und Adam Felin. In hoher WertbscbUnmg
der Uebersetsung atimiuten Veleslavin und der Jesuit Steyer flberein.
l!4n umfangreicher Artikel von Jos. Smaha: „Die Kralicer Bibel, ihr
Einfluss und ihre ^Bedeutung in der cechischen Literatur" („Krilicks
bibli etc."), im „Casopis" 1878; über ihren Einfluss auf die spatem
cechischen Bibelübersetzungen, ebend. 1879.
Zu der historischen Schule der Brüderunitat gehört ferner
der Bruder Jaffet (gest. 1614), der ausser andern Werken eine
„Geschichte vom Ursprung der Brüderunität und ihrer Tren-
nung von der bestehenden Kirche" (Historie o pilvodu Jeduotj
bratrske etc.") , zu ihrer Vertheidigung geschrieben, hinterliess. '
1 Jiretek, „Rukov£t", 1, 302—303. Eine Stelle aus dieser Qeicbichte
im „SvStozor", 1871. — AU 1621 das Kloster, wo Jaffet begraben war, den
Minoriten zurückgegeben wurde, Hess der Prior desKlben die Gebeine
Jaffet's imd anderer Brüder ausgraben und verbrennen.
...., Google
Karl von ^erolin. 155
Aus derselben Schule ging Wenzel Bf ezan (gest. um 1619) her-
vor, dem eine (Jechische Chronik bis zum Jahre 1160, gegen
Häjek gerichtet, zugeschrieben wird, und Arbeiten über die Ge-
schichte dee Hauses der Rosenberge und Sternberge angehören.
Uebrigens haben seine wegen der factischeu und chronologi-
Bchen Angaben geschätzten Arbeiten keine literarische Bedeu-
tung. 1
Im Zusammenhang mit der Brüdergemeine steht der Name
des berühmten Karl von ^erotin (1564 — 1636), eines reichen
und Tomehmen mährischen Herrn, der eine wichtige historische
Rolle in den letzten Schicksalen der böhmisch-mährischen Frei-
beit spielte, obgleich das Resultat seiner Thätigkeit bei weitem
nicht seinen patriotischen Wünschen entsprach. Er war der Sohn
des erwähnten Johann von Zerotin, der auf seiner Besitzung
Kralitz der Buchdmckerei der Brüderschaft und den Uebersetzern
der Eralicer Bibel eine Zuflucht gewährte; seine Mutter war
ebenfalls eine eifrige „Schwester". Nachdem er die Elementar-
bildung in dieser Sphäre empfangen, erlangte er die höhere zu
' Strassburg, Basel, Genf, wo er unter anderm mit dem berühmten
Theodor Beza bekannt wurde. Darauf reiste er noch in Deutsch-
land, Holland und England, lebte lange in Frankreich, wo er die
erste Eriegserfahrung und freundschaftliche Verbindungen ge-
wann. Er setzte Hoffnungen auf den Kampf Heinrich's IV. gegen
die katholische Partei, und verliess einmal sein eben begonnenes
Familienleben, um in Frankreich an diesem Kampfe theilzu-
nehmen. Aber die idealen Hoffnungen erfüllten sich nicht; zu
Hanse trafen ihn schwere Familienverluste, und er zog sich auf
eins seiner Güter zurück. Die traurige Lage Mährens rief ihn
endlich zur Thätigkeit auf — als man ihn tadelte, „er handle
übel, dass er die Gaben Gottes in sich verkümmern lasee". Auf
diesen Vorwurf antwortete er mit der „Apologie". Seine poli-
tische Thätigkeit gab ihm eine hohe moralische Autorität; aber
in der Vertheidigung der Interessen seiner mährischen Heimat
und der religiösen Freiheit für seine nichtkatholischen Landsleute
ward er vor eine zu schwere Aufgabe gestellt; seine verständigen
Bathschläge beseitigten den schrecklichen Zusammenstoss nicht,
■ üeber ihn Fr. MaroS, im Casopia 1878. BFezan's Biographie WU-
helms von Rosenberg („Zivot Vilema i Roämberka"), herauagegeben in
Prag 1847.
...., Google
156 Fünftem Eapitel. I. Die Ceches.
dessen Folgen sich auch an ihm durch seine Verbaaimng geltend
machten. Im Jahre 1629 Hess er sich in Schlesien nieder, und
hesehützte auch ferner bis aus Eude seines Lebens die Brüder-
gemeine .... Ausser der enrähnten „Apologie" verfasste er die
in historischer Beziehung wichtigen „Denkschriften über das
Patrimoaialgericht"(„ZäpisOTe 0 soudu pansköm"), Berichte über
einige mährische Landtage, und endlich hinterliess er eine
umfangreiche Correspondenz yom Jahre 1591 — 1636', die för
die Geschichte jener Zeit überaus wichtig und auch durch ibre
literarischen und sprachlichen Vorzüge bemerkenswerth ist.
Das Ende des goldenen Zeitalters trägt bei den fechischen
Historikern den Namen des Zeitalters Veleslavin's, nach dem
Namen des Schriftstellers, der an der Spitze der Literatur der
letzten Decennien des 16. Jahrhunderts stand. Daniel Adam
von Veleslavin (oder einfach Veleslavin, 1545 — 99) kann als
charakteristischer Vertreter dieser Literaturperiode dienen. Im
Jahre 1569 „Magister der freien Künste" geworden, trug er auf
der prager Universität die Geschichte vor; aber von 1576 an,
als er die Tochter des bekannten prager Buchdruckers Georg
Melantrich geheirathet, beschäftigte er sich ausschliesslich mit
der Literatur und der Herausgabe von Büchern. Nach dem Tode
Melantrich's und seines Sohnes blieb er der alleinige Besitzer der
Buchdruckerei. Er zeichnete sich durch kein besonderes Talent,
durch keine Originalität der Gedanken aus, war aber ein auf-
geklärter Mann und schätzte die literarische Bildung hoch, deren
Verbreitung er sich auch zum Ziel setzte. Er gab Lehrbücher
heraus, schrieb über moralische und religiöse Gegenstände, über
Geographie, vor allem Geschichte, übersetzte vieles (z. ß. die
„Historia Bohemica" des Aeneas Sylvius, — dies war die dritte
Uebersetzung dieses Buches nach Johann Houska und Nik. Konäc;
„Die Chronik von Moskau" des Matth. Hosins u. a.), verbesserte
und verlegte Bücher und Uebersetzuugen anderer SchriftstelleT
> Die „Zapisove" Bind herauegegebeii vod V. Braodl (SBäe. Braiu)1866);
von demselben aauh die BescbreibuDgen der LandUge and die „Briefe"
(Ebend. 1870-72). Ein Stück aus dem Tagebuche Äerotin'a bei B.Dudik
„Mähriaolie Ceechichtaqu eilen", S. 358—868 (Bränn 1850). Ueber ^erotin •■
Peter R. v. Chlumeukj, „Carl von Zierotin und seine Zeit" {Brönn 186»;
die Abhandlungen von Fr. Dvorskjf, Pamätky, 1878, und Ant. Rybitka'i
im „ÖMopis", 1873.
...., Google
Adam von Veleslavfn. X57
(die Chronik Euthen'B ; die jüdische Geschichte des Josephus; die
tärkiBche Chronik von LÖwenklau), schrieb Vorreden zu Büchern,
die hei ihm gedruckt wurden. Sein Hauptwerk ist der „Histo-
rische Kalender" („Kalendär historick^"), herausgegeben zu Prag
1578 und lö90. Die Zeltgenossen nannten ihn den „Archi-
typographen" und der Ruhm seiner literarischen Thätigkeit
ging auf die Nachwelt über.* Er hielt sich von Polemik fem
und gehörte heimlich zur Briidergemeine. Zur Bestimmung sei-
ner Uterarischen Ansichten sind besonders die erwähnten Vor-
reden wichtig. Nach dem Tode Veleslavin's schrieben mehr als
dreissig Dichter Gedichte zu seinem Andenken.
Die Zeit wird dadurch charakterisirt, dass Veleslavin, ob-
gleich er weder eine selbständige Richtung vertrat, noch neuen
Stoff brachte, doch der bedeutendste Schriftsteller seiner Zeit
wurde. Er gab der ganzen Periode seinen Namen, weil er ein
vorzüglicher Stilist war. Sprache und Stil Veleslavin's und seiner
bessern Zeitgenossen gelten noch jetzt für musterhaft, und
noch gegenwärtig stellen ihn die Puristen als Beispiel einer rei*
nen und echten fiechischen Sprache hin.'
Von den historischen Schriftstellern jener Zeit sind noch zn
erwähnen: der Professor Prokop LupäÖ von Hiavatev (gest.
1587), der erstlich einen lateinischen historischen Kalender ver-
fasste: „Rerum bohemicarum epbemeris seu calendarium histori-
cnm" (Prag 1584), zweitens eine iechische „Geschichte Kaiser
Karl's IV." („Historie o cisafi Karlovi IV", Prag 1584; neue
Ausgabe 1948), die, wie es scheint, das Bruchstück einer um-
fangreichen, aber unvollendet gebliebenen historischen Arbeit
war; Marcus Bydiovsky von Florentin (1540— IGlSi), Magister
und Professor der Mathematik und Astronomie zu Prag , der als
Dekan das studentische Theater ermunterte, wirkte in der Li-
teratur theils als lateinischer Dichter, hauptsächlich aber als
Historiker, und beschrieb die Ereignisse der Zeit Maximilian's II.
(„Zivot cfsare Maximiliäna", Prag 1589) und RudolPs II. Der
'Nacli der AeUBserang des bekannten Jesuiten Balbin: „Quidqnid doc-
tom et eraditnm Rndolpho IL imperante in Bobemia luoem adspexit, Wele-
■tawmnn) vel autorem vel interpretem vel adjutorem vel ad extremum ty-
pogr^ham habuiL"
'Vgl. die Schrift von KoaJna: „Hovory Olympiike" I. Brüon, s. a.
11879).
.._..., Gooj^lc
158 Füuftes Kapitel. L Die Cechen.
Pole Bartholomäus Paprocki (1540 — 1614), der gleichmäsaig der
polnischen und öechischen Literatur angehört, ist in beiden haupt-
sächlich durch seine genealogischen und histonBchen Bücher,
durch eine Geschichte der adeligen und ritterlichen Familien,
der Städte u. s. w, bekannt.' Georg ZÄveta von Zävetic, pra^er
Baccalaureus, ergriff in den Streitigkeiten zwischen Rudolf and
Matthias die Partei des letztern, genoBS die besondere Gunst des-
selben nnd war sein Hofhistoriograpfa ; ausser einigen ofBciellen
Werken dieser Art schrieb er eine „Hofschule" („Schola aulica",
Prag 1607), die seinerzeit sehr geschätzt war.
Die Verbreitung der Bildung zeigte sich auch in einer be-
trächtlichen Anzahl Ton geographischen Büchern and Reise-
beschreibnngen. Schon im 15' Jahrhundert waren einige bemer-
kenswerthe Reisen gemacht und beschrieben worden (die tan
Kabätnik aus Böhmen nach Jerusalem und Aegypten; von Leo
von Roimitäl nach Westeuropa, von Johann von Lobkovic nach
Jerusalem). An der Scheide des 16. Jahrhunderts sind zu crwah-
nen die Reise des Wenzel Vratislav von Mitrovic (1576 — 1635),
der sich als funzebnjähriger Bursche mit der Gesandtschaft Ru-
dolfs II. nach Konstantin Opel begab, wo er dann infolge des
Bruches zwischen Oesterreicb und der Türkei sammt der Ge-
sandtschaft ergriffen wurde und drei Jahre in einem schreck-
lichen türkischen Gefängniss zubrachte. Als er endlich nach
Hause zurückgekehrt war, beschrieb er seine Abenteuer in einem
interessanten Bache.* Christoph Harant (1564— 1621, zu Prag
hingerichtet), ein Cecbischer Adeliger und aufgeklärter Mann,
beschrieb seine Reise nach Venedig und ins Heilige Land.'
' „Zrcadlo markhrabstvi moravsk^ho" („Spiegel der Harkgrafacb. Hih-
ren"; Olmütz 1693); „Diadochna, to jeit enkcesBi, jinak poaloupnost knibt
a kraltiv Geakyoh" („Die Reihenfolge der FürBten and Könige von BöbmeB",
Prag 1603) u. s. w. Ueber Paprocki e. „Öaaopie" lä(i6. Bei der Bearbeitang
seiner 5e«hiBchen Büober hatte er anfaug» Ceohen zu Hülfe, aber epäter
war er Belbst der Sprache mächtig.
' Die „PHhody V. VratiBlava" u. a. w, nurden 1777 von P eliel her«ni-
gegehen, dann 1807 von Kramerius, 1856 von Rozum. Eine deattch«
Uebersetzang, Leipzig 1786; eine englische von A. R. Wratielaw, London
1862; eine mssiache von K. PobSdonoacev (St. Peterabnrg 1877).
'„Ceata z kralovatvi teak^ho do Benätek a odtud de 3v. Zeml" („Bei*e
ans dem Königreich Böhmen nach Venedig und von da in) Hflilige Land",
Prag 1608, mit Abbildungen von Harant eelbat. Neue Aaagabe von K. J.
Erben, 18H.
ü,g :.._.. ..Google
„Dtu goldene Zeitalter." 159
Friedrich von Donia (gest. vor 1617) reiste viel in Ungarn,
Dentechland, Italien und tiinterliess eine Beschreibung seiner
Beiseo.'
Endlich vermehrte sich die belehrende Literatur auch auf
andern Gebieten; neben der kirchlicbeD Polemik und Geschichte
entwickelte sich die Kentnies der classiBcheu Literatur, wurde
das Recht studirt, begann die Naturkunde — sowol in selbstän-
digen Versuchen als in einer grossen Menge von Uebersetzungen.
Mit der Erweiterung des Umfangs der Literatur bildete sich auch
die Literatursprache immer mehr aus: (echische Schriftsteller ver-
standen vom Ende des 14. Jahrhunderts an einen volksthiimlichen
Stil zu schreiben; Huss und die Schriftsteller des Hussitenthums
fahren in dem Wunsche, auf das Volk zu wirken, fort, sich einen
volksthiimlichen Charakter der Schriftsprache angelegen sein zu
lassen, wie in der Folge auch die Schriftsteller der Briider-
gemetne. Der Einlluss des Humanismus gab andererseits einen
Begriff von der Eleganz des Stils. . . .
Dieser äussere Reichthum der Literatur und die Ausbildung
der Sprache gaben der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und
dem Vorabend des Unterganges Böhmens den Ruhm eines „gol-
denen Zeitalters"; — wendet man sich aber an den Inhalt dieser
Literatur, so erweist sich diese Benennung als wenig statthaft.
Die Literatur entsprach den Aufgaben nicht, welche die Zeit
stellte, — wie ihnen auch die Gesellschaft selbst nicht entsprach.
Die tiefen Ideen, welche in der vorangehenden Zeit in Angriff ge-
nommen waren, wurden entweder verlassen oder nicht weiter ent-
wickelt; im Gegentheil, die Reaction nahm immermehr überhand,
der Katholicismus gewann den Sieg, von der zweiten Hälfte des
16* Jahrhunderts an treten in Böhmen die Jesuiten auf, die sich
eifrig an die Ketzeranklagen machten — damals als von der
Brüdergemeine einer ihrer würdigsten Vertreter sagte: ecclesiaro
nostram ore destitui, und wie edel auch die Bestrebungen der
Gemeine zur Gewinnung des wahren Christenthums waren, so
konnte, ja wollte auch die Äscetik ihrer Lehre, ihre Passivität
doch die Volksmassen nicht politisch heben und bewaffnen. „Das
reine Christenthum " verfiel der offensten Gewaltthätigkeit. Der
Kampf dauerte noch fort, aber die Kräfte waren zersplittert,
das Volk blieb kalt gegen die hohem Stände, die es ver-
' Siehe „Öasopis", 1843, and das Journal „Lamir", 1868.
ü,g:..a., Google
160 fünftes Kapitel. L Die Cechen.
gasBen ; bei aller äussern VergrÖeBerung der Literatur, fühlte man
die Erschöpfung der Nation. In solcher Verfassung vard Böh-
men von der Katastrophe des Jahres 1620 betroffen.
3. Die Periode des TerMs.
Schon mit den ersten Jahren des IT. Jahrtmaderts hegano
sich diese Erschöpfung zu zeigen, die auch den schreeklichen
Umschwung möglich machte, welcher Böhmen nach der Schlacht
am Weissen Berge traf. Diese Schlacht versetzte sowol der
nationalen Selbständigkeit als der Literatur den letzten Schlag.
Das 17. Jahrhundert stellt nur die letzten Ausläufer von dem
dar, was früher entsprossen war; die Literatur lebte nur noch
in der einen Generation, die in der vorhergebenden Zeit erzogen
war; ihre besten und bedeutendsten Kräfte waren in der Ver-
bannung.
Oben ist von den Folgen der Schlacht am Weieaen Berge die
Rede gewesen. Die besi^ten Protestanten, die Utraquisten und
die Brüder, die Mehrheit der Nation, mussten entweder Katho-
liken werden oder die Heimat verlassen: eine Menge iechischer
Familien zerstreute sich in den benachbarten Ländern, wo sie
in fremden Völkern untergehen mussten — mit ihnen auch die
letzten bessern Vertreter des Hussitenthums : Arnos Komenskjr
(Comenius), Karl von Zerotin, Paul Skala von Zhore.i Es trat
eine lange Periode des Verfalls der Literatur, der Unwissenheit
und Unterdrückung des Volks (1620—1780) ein: die kaüioli-
schen Klerikalen, oftmals Ausläuder, verlangten vom Volke nur
die Erfüllung der Ceremonieu und überlieeseu es danach sei-
nem Schicksal; die Bücher der alten Zeit wurden, als durch
Ketzerei befleckt, in Massen vernichtet, — fiir das Volk ver-
schwanden alle Errungenschaften der frühem Entwickelung.
Die gelehrten Exulanten setzten ihre Thätigkeit fort, vollbrach-
ten bisweilen bedeutende Arbeiten, aber diese wurden in der
Fremde gemacht und blieben für das eigene Volk fast gani
unfruchtbar. Das Land selbst war durch den Dreissigjährigen
' Vgl. über dieee Zeit Hilferding, „Iitorijs Cechii"; P. LavrovBkij.
„Pftdenie Cethii v XVII v6ke" (St. Petersburg 1868; aus iana. Min. K«.
ProBv.). Einer eingehenden Diirstellung derselben ist eine noch nicht be-
endigte Arbeit des fechisoheu Hietorikera Gindel; gewidmet.
.....Gooj^lc
Job. Amoe Eomensk^. 161
Krieg äusserst verwüstet: die Bevölkemng hatte sich ausser-
ordentlich verringert infolge von Auswanderung und Vernich-
tung, neuer Zufluss deutscher Colonisten verstärkte den Ver-
M] der iechischen Nationalität noch mehr.
Nach diesen Verhältnissen kann man sich die Lage der öe-
chischen Literatur in dieser Periode vorstellen. Die besten Leute,
die gebildetsten und reichsten , die vor allem der Heimat hätten
dienen können, verliessen das Land, in demselben blieb nur die
rathlose Masse, welche im geheimen einige wenige frühere Ueber-
lieferungen bewahrte, aber furchtbar entkräftet und unterdrückt
war; diejenigen, bei denen sich alte Bücher als üeiliglhümer
erhalten hatten, mnssten sie verstecken, sonst drohte ihnen
Vernichtung; officiell herrschte die katholische Gelehrsamkeit,
SD deren Spitze die Jesuiten standen. Darum darf man in dieser
Periode nicht irgendwelche Fortsetzung des frühern Lebens
suchen; vom Jahre 1620 an stellt die Literatur das Bild eines
aUmählichen Absterbens der Nationalität dar. Die frühere Lite-
ratur dauert noch einige Jahre anter der Emigration fort, oder
kommt noch zuweilen bei den stammverwandten Slovaken zu Tage,
zn denen die iecbischen Emigranten ihre religiösen und litera-
rischen Bestrebungen brachten.
Wir wollen vor allem bei der literarischen Thatigkeit der
Emigration, der sogenannten „Exulanten", verweilen. Ihre Wur-
zel liegt allerdings in der vorausgegangenen Entwickelung, deren
letzte Frucht sie war: nach den Vorzügen ihrer bessern Werke
kann man beurtheilen, wie viel Kräfte die 6echiscbe Literatur
immer noch hätte aufweisen können, wenn sie nicht durch das
schreckliche politische Schicksal des Volks unterbrochen worden
wäre.
Die bedeutendste Persönlichkeit des ganzen 17- Jahrhun-
derts in Böhmen und bis zu den ersten Anfängen einer Wieder-
belebung zu Ende des 18. Jahrhunderts war Jobann Arnos
Komeusky (Comeuius, 1592 — 1670). Er allein erinneit an
die frühem Zeiten durch seine umfängliche Thätigkeit und
seinen Charakter. Er verwaiste schon in der Kindheit und war
bereits 16 Jahre alt, als er seine regelrechte Bildung begann.
Er studirte in Herborn und Heidelberg, von wo er die ersten
Anregungen zu den spätem Eigenthümlichkeiten seiner Thätig-
keit — der moralisch-religiösen Mystik und der BeschäftigunK
mit der Didaktik — mitbrachte: sein eigener Gedanke war damals
PiHi, SlftTiHha LltumlonD. U,t. H
ü,g :.._.. ..Google
162 Fuaftcs Kapitel. I. Die (Blechen.
der EntscMuss, für die VerTollkomiiinung seiner Muttersprache
zu arbeiten. Von Heidelberg machte er eine Reise Dach Amster-
dam, von wo er zu Fuss nach Prag und weiter nach Mähren
zurückkehrte. Hier wurde er Lehrer an der Brüder -Scliule,
IfilG Geistlicher, und ward zum Vorsteher der Brndergemeine
in Fulnek ernannt; im Jahre 1621 ward Fulnek von den Spa-
niern zerstört, Komensk^ verlor sein ganzes Hab und Gut,
suchte auf der HerrBohaft Zeroti'n's eine Zuflucht und wohnte
in der Hütte, die nach der Ueberlieferung der Bruder Gregor,
der Begründer der Brüdergemeine, erbaut hatte. Inzwischen
nöthigten die gegen die nichtkatholischen Priester gerichteten
Verfolgungen die Brüder, sich nach einem Zuflucbt«ort umzu-
sehen, und sie entschlossen sich, nach Polen oder Ungarn zn
ziehen. Im Jahre 162H siedelte Komensky, der damals Mit-
glied des Aeltestenraths der Brüderunitat war, mit der ganzen
Geroeine nach Lisea in Posen über. Die Brüder hofften, die
Vertreibung werde nicht von langer Dauer sein; aber die Er-
eignisse vernichteten, je länger je mehr, diese Hoffnung und
schon bald begannen die Brüder daran zu denken, sich in der
Fremde fester einzurichten. Komensky wurde das Schulwesen
ganz zur Leitung übergeben. . . .
Derselbe begann früh seine gelehrten und literarischen Ar-
beiten. Schon vom Jahre 1612 an arbeitete er an dem „Schatz
der dechischen Sprache" („Poklad jazyka öeskeho"), schrieb
historische und kirchlich - erbauliche Schriftcben, 1621 — 24 ver-
fasste er eine metrische Uebersetzuug der Psalmen (an Stelle
der verlorenen Üebersetzung des Laurentins von Nodoser), 1623
ward das berühmte „Labyrinth der Welt" („Labyrint svSta a
raj srdce") verfasst, 1625 das „Centrum secnritatis ^'. In den
ersten Jahren der Verbannung arbeitete er eifrig an den Fragen
der Erziehung und des Unterrichts. Die „Didaktik" Bodin's,
die er in der Bibliothek eines böhmischen Magnaten fand, brachte
ihn auf den Gedanken, ein ähnliches Werk in öechischer Sprache
zu verfassen, und er schrieb in den Jahren 1626 — 32 die
„Didaktik", dann das „Informatorium skole matereke" ', zuletzt
' Die „Didaktik" wnrde von Purkyn6 zu Liaaa im Jahre 1811 wieder
cutdeukt und von der Cechiscben „Matice" herausgegeben im Jahre IS49;
eine zweite, vcrbeBserte Ausgabe veranstaltete J. Ucr^nek, 18TI. Das
„Informatorium" in neuen Ansgaben 16ß8 und 1673.
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Job. Arnos Komensky. 103.
die berühmte „Jaoua linguanim"*, die zuerst lateinisch, dann
cechiBch herausgegeben wurde und ihm einen europäischen Ruhm
sowie Freunde unter den Gelehrten und den der Sache der
Bildung ergebenen Männern erwarb. Dieses „Geöffnete goldene
Thor der Sprachen" brachte einen Umschwung in den lateini-
schen Unterricht und gab demselben eine neue einfache Me-
thode.
Inzwischen wurde die Lage der Brüder in der Verbannung
immer schwieriger. Es kam der Dreissigjährige Krieg. Die ver-
armten Brüder suchten Hülfe unter den Protestanten in der
Schweiz, Holland, England — und fanden sie. Komensky war
eios der tbätigsten Mitglieder der Gemeine; ausser seinen ge-
lehrten und didaktischen Arbeiten wirkte er bei der Brüderschaft
als Administrator, als Polemiker, Prediger, als Eiferer für eine
Vereinigung der evangelischen Kirchen. Zu derselben Zeit arbei-
tete er an einem neuen Werke, das wieder die Aufmerksamkeit
der gelehrten Welt erregte. Er plante eine „Pansophia christiaua";
seine Freunde in England gaben im October 1637 „Conatuum Co-
menianorum praeludia" (mit Hartlieb's „Porta Sapientiae") her-
aus. Das Werk Komensk^'s erweckte grosses Interesse in Eng-
land, wo man in ihm einen Manu sah, fähig die Pläne auszuführen,
welche damals Bacon hinterlassen hatte. Der Prodromus pan-
sophiae" Komensky's ward 1U39 und 1642 zu London, 1644 zu
Leipzig herausgegeben. Das „Lange Parlament" berief Komeiisky
nach London. Er begab sich 1C41 wirklich nach England, aber
die politischen Unruhen Hessen seine philosophiscb-dJdaktischeik
Pläne, um derentwillen man ihn berufen hatte, nicht zur Aus-
führung kommen. In London setzte er seine Arbeit fort und
1641 erschien daselbst, in englischer Uebersetzung von Collier,
sein Werk, dessen lateinisches Original, „Pansophiae diatyposis",
1643 in Danzig herausgegeben wurde. Im Jahre 1642 begab sich
Komensky, den man inzwischen auch nach Frankreich berufen
hatte, nach Schweden, wo sich unerwartet ein Protector für ihn
fand, der reiche holländische Kaufmann von Geer. In Schweden
trat er in Beziehung zu den dortigen Gelehrten und dem Kanzler
Axel Oxenstierna, — rou dem auch politisch das Schicksal der
I „Janua linguamm reaerata aare&", lateinisch herauegegcben 1B31;
iecbivch „Zlatä braaa jazyküv otevtenä" (Lissa lli3it u. öfter), oinc oeua
Aiugnbe TeranataUete Tham (Prag I8ü5).
...., Google
164 Fünftes Kapitel. I. Die (echen.
cechischen Exulanten sehr abhing. Der schwediBchc Kanzler
legte der „Didaktik" Komensk^'s mehr Werth bei ate der „Fan-
Sophia", und Komensk^ arbeitete, nachdem er sich in Elbing
niedergelassen, an didaktischen Gegenständen, ohne jedoch seine
l'hilosophie zu rergessen. Unterdessen war er 1648 zum Bi-
schof der Brüderunität erwählt worden und musBte nach Lissa
übersiedeln. In demselben Jahre endete der Westfälische Friede
den Dreisaigjährigen Krieg, aber in dem Vertrag war kein Wort
zu Gunsten der Brüderunität gesagt. Eomensk^ schrieb darüber
voll Kummer an Oxenstiema. Auch durch Familienverluste be-
trübt, fand er eine Ableitung in der Herausgabe didaktischer
(lateinischer) Werke, die er in Elbing verfasat hatte; sie er-
schienen in den Jahren 1648 — 51. Es wurde ihm immer klarer,
dass sich die Brüderunität ihren letzten Zeiten nähere: zum
Ausdruck kam dieses Vorgefühl in dem „Vermachtniss der ster-
benden Mutter, der Brüdergemeine" („Ksaft umirajici matkf,
Jednoty Bratrske", 16öO). Man lud ihn dann nach Ungarn ein,
wo er jedoch keine geeigneten Bedingungen für seine Arbeit fand.
Im Jahre 1655 belagerten die Schweden Lis&a, aber die Stadt
blieb erhalten, dank Komensky; im folgenden Jahre rächten sich
dafür die Polen an der Stadt dadurch, dass sie dieselbe nieder-
brannten, wobei Komensky sein ganzes Vermögen verlor, und
vor allem seine Manuscripte, die Frucht vieljähriger Arbeit
Bei diesem Brande gingen unter: eine Sammlung von Predigten,
die er im Laufe von vierzig Jahren gehalten; paDsophistische Ar*
beiten, von denen es ihm besonders um die „Silva pansophiae"
leid war; der „Schatz der iechiechen Sprache" („Poklad jazjka
Öeskebo"), an dem er seit 1612 gearbeitet hatte. Die Brüder
wechselten abermals ihren Wohnort; Komensky, von Herrn
van Geer berufen, liess sich in Amsterdam nieder, wo er einige
ruhige Jahre unter Freunden fand, die seine Verdienste schätzteD
und ihn zur Vollendung seiner Arbeiteu unterstützen wollten.
Komensk^ dankte ihnen durch eine lateinische Ausgabe seiner
didaktischen Werke: „Opera didactica omnia" (4 Bde. 1657).
Das Schicksal der Brüder verfolgte er auch weiterhin, indem er
für die böhmischen und polnischen Exulanten Unterstützungen
sammelte und versandte; auf seine Bemühungen wurden zwei
Bischöfe fiir die polnischen und böhmiechen Brüder gewählt
Sein letztes Werk war „Unum necessarium" (1668), lateinisch
und £echifich. Im Jahre 1670 stai-b er zu Amsterdam und ward
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Joh. Arnos Komentk^. Ig5
in der Kirche der französischen protestantischen Gemeinde zu
Naarden hegraben. Im folgenden J&hre starb auch sein, Schwa-
ger Jablonsky, der letzte Bischof des böhmischen Zweiges der
Brüdergemeina '
Der Brand von Lissa Teroicbtete viele Arbeiten Komensk^'s,
aber auch das, was sich von dem Frühem oder Spätem erhalten
hat, bildete eine grosse Masse verschiedeaartiger Werke — hi-
storischer, religiös-erbaulicher, philosophischer, besonders didak-
tischer und endlich auch poetischer.
Von den historischen Werken, welche den Schicksaleu der
böhmischen evangelischen Kirche gewidmet eind, ist besonders
bekannt die „Geschichte von den schweren Verfolgungen der
böhmischen Kirche" („Historia o teSkjch protivenstvi'ch cirkve
ieske"), zuerst lateinisch erschienen („Histor. persecutionuni
n. 8. w.", Leipzig 1648; die cechische Ausgabe 1655; an ihr hat
auch Komensk^ mitgewirkt). Von religiös-erbaulichen Werkeu
verfasste Komensky eine Menge; eine Sammlung seiner Predigten
ging im Brande von Lissa zu Grunde; aber es haben sich viele
> UeberEoroenak^exiBtirt eine beträchtliche Literatur, iniechiBoher und
uidem Sprachen: Fr. Palaoky, Biographie Komeneky'B, C'aeopis 1829, und
io der Monatsschrift der GeaelUchaft des vaterläad. Hnseums, 1829(Radbost
1871, S45— 282).— K. Storch, über die panaophiBtischen Werke EomeDskyV
Casopis 1851, 1861. — A. Gindely, über das Schicksal Komeuskj^'s in der
Fremde (Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 185Ö). — Ev£t, über die
Metaphysik und Naturphilosophie Komensky's, Casopis, 1869, IStiO. — V.
GrigoroviE, Arnos Komeuekij (Odessa 18T0). — Miropolskij, „Eo-
menskij i ego snatenie v pedagogii" (Zum. Min. Nar. Prosv., 1870, 3 Ar-
tikel). — Fr. J. Zoubek, „Zivot Jana Amosa Komenak^ho" (Prag 1871;
lam SOOjährigen Andenken an geinen Tod ; die beste Biographie und ein
voUständiges TerzeiehnisB seiner Werke), auch im „Casopis", 1871, 1872,
1876, 1877 und „Osvfita", 1879, Nr. 3 (Komensky'a „Diogenes"). — „Co-
menios' Grosse Unterrichts lebre. Aus dem Lateiniachen Ton Julina Beeger
und Franz Zoubek" (3. Aufl. Leipzig 1874). — Fr. Lepaf, „TH ikolni
hry Komenakeho" („Drei Schnlspiele K.'e", in „Osväta", 1879, Nr. 2, 3, 5).
— J. JireCek, ,Jiiteratara exulantuv £eakycb" (Caaopia, 1874; RnkovSf, I,
369 — 381). — Jan A. Eomenskij. Velik^a Didaktika. Isdanie redakcii iur-
ntüa „Semja i Skola" (St. Petersburg 1875—77, mit kurzer Einleitung). —
Vgl. die Geschichten der Päd^ogik, z. B. von Karl Schmidt — Ausser
den erwähnten Eechischen Werken Komensky's führen nir noch an: „Skola
pansofickä" („Pansophisuhe Schule", Prag 1875); „Ni'ktere drobnSjü spisy'*
(,3inige kleinere Schriften", Prag 1876). Beides von Zoubek herausgegeben.
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16G Fünftes Kapilel. I. Die Öechen.
andere Werke dieser Art erhalten, die zur Erbauung und Er-
munterung der zerEtreuten Emigranten geschrieben sind, z. B.
„Eine unbesiegbare Burg ist der Name Gottes, worin jeder sein
Heil findet, der dahin flüchtet" („Nedobytedln^ hrad jmeno Hos-
podinovo u. s. w.", 1622), „Praxis pietatis" (Lissa, 1630 u- ö.),
„Centrum securitatis, Hlubina bezpecnosti etc." („Das Centmm
der Sicherheit oder klare Betrachtung darüber, wie nur in Gott
allein alle Sicherheit, Ruhe und Segen liegt", Lissa 1633 a. 5,),
„Weltentsagung " („V^host svötu", Amsterdam 1663), „Üroeni
kazatelske" („Predigerkunst") u. a. Die Titel dieser Werke deu-
ten schon auf den Charakter der Lehre Komensk^'s hin, deren
strenge Religiosität — der herrschende Zug in der Sittenlehre
der Brüder — durch die schweren Prüfuugen der Verbannung
noch verstärkt wird.
Besonders wichtige Werke Komenskjf's, welche nicht nur für
seine Zeitgenossen und Landsleute Werth hatten, waren seine
philosophisch-pädagogischen Arbeiten — die „Janua linguanun"
und der berühmte „Orbis pictus". ' Diese beiden Werke, denen
sieb seine andern lateinischen Werke, gesammelt in „Opera di-
dactica" anschlicssen, hatten einen ausserordentlichen Erfolg io
ganz Europa; sie wurden in fast alle europäischen und sc^
einige orientalische Sprachen übersetzt. Der berühmte Bayle
sagte von Komensky's ,, Janua": „Quand Comenius n'aurait pubhe
que ce livre lä, il serait immortalise." Durch diese seine Werke
nimmt Komensky in der Geschichte der europäischen Cultureine
sehr hohe Stellung ein. Seine historische Bedeutung wird da-
durch bestimmt, dass'er in den Reihen der Opposition stand,
welche gegen die pädagogische Scholastik und den verkehrten
Classicismus auftrat, der damals in den „Lateinschulen", anf
den protestantischen Universitäten und in der katholischen, be>
sonders der jesuitischen Erziehung herrschte; in seinen didak-
tischen Werken führte Komensky das befreiende Werk weiter
fort, dessen Vertreter Montaigne und Bayle in der französischen
Literatur, Bacon und Locke in der englischen, und der Pädagog
' Der volle Titel „OrbiB Seasualium piotus quadnliuguii, hoc t*i
umniam fundamentam in mundo rerum et m vita actiouiun pictarti et du-
menclatiira latina, geimauica, hungai-iia et boliemua cum titulorum jail»
utquo voeabulorum iikIidi." (^ullmb 1658) Du Ccchisihi. Ausgabe btu
viditolnj? namalovany etc " erachien in Leutecbau (in der bloiakei) 1665
L . GooQk
Job. Arnos Komensky. 167
Ratichioe bei den Deutscheu waten. Sein grosses Verdienst be-
stand darin, dass er den Realismus in die Schule einführte, die
Erziehung nicht auf den schulmassigen Buchstaben, sondern auf
die Beobachtung der menschlichen Natur zu gründen suchte.
Anregend hatte hauptsächlich Bacon's „Instauratio magna" auf
ihn eingewirkt, aber er widmete der Sache ein so weites und
eelbständiges Studium, dass seine Theorie zu einer wirklichen
Tbat in der Geschichte der europäischen Erziehung wurde. Ko-
mensky ging Ton der Idee aus, dass der Mensch nur durch die
Erziehung Mensch werde, und dass diese das menschliche Geschlecht
glücklich machen müsse. Sie gründe sich auf die natürliche,
physische und geistige Natur des Menschen; sie müsse auf die
Bedürfnisse dieser Natur Rücksicht nehmen, müsse sich in ihrem
Verfahren durch die Anweisungen und Eigenschaften derselben lei-
ten lassen; das Lehren müsse nicht auf einem stumpfen Einlernen,
sondern auf selbständig erworbener Erfahrung und Erkenntniss
begründet sein ; statt mechanischer Aufstapelung von Kenntnissen
wird die Erziehung bei Komensky zu einem anschaulichen Unter-
richt und zu einer natürlichen Entwickelung. Der „Orbis pic-
tus" sollte als Mittel eines solchen Unterrichts dienen, — es war
dies der erste praktische Versuch einer rationellen Pädagogik.
Der Unterricht sollte vom Bekannteu zum Unbekannten, vom
Leichten zum Schweren übergehen; jedem Alter die entspre-
chende Nahrung und Ai-beit geben. Für die rerscbiedenen Seiten
seiner Theorie arbeitete er praktische Anweisungen und Beispiele
aus .... Gleichzeitig trat Komensky gegen den übertriebenen
und oft falschen Classicismus der damaligen Schulen auf, der
statt der heimischen Sprache und der christlichen Begriffe die
ganze Aufmerksamkeit der Zöglinge auf Horaz, Plato, Catull,
Cicero u. a. lenkte: „Daher kommt es", sagt Komensky, „dass
wir mitten im Christenthum schwer Christen finden." Die chritit-
liche Idee herrscht in der Sittenlehre Komensky's vor und bildet
die zweite Seite seiner Pädagogik, das Christenthum müsse das
Ziel der Erziehung sein und alle pädagogischen, auf die sittliche
Entwickelung gerichteten Massregeln durchdringen .... Komensky
ist freilich nicht frei von den Unvollkommenheiten und falschen
Begriffen seiner Zeit, — wenn er z. B. in seinen realistischen
Versuchen die lebendige Natur durch eine gemalte ersetzt, wenn
er, bei Bestreitung der bildenden Kraft des Classicismus, docli
der lateinischen Phraseologie zuviel Bedeutung beilegte u. s. w.
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168 FünfUa Kapitel. L Die Öeoben.
Bei alledem war sein System eine einheitliche Anschauung der
natürlichen Bedingungen der menschlichen Natar und der päda-
gogischen Aufgaben und gewann ihren Weltnibm mit Recht.
Wenn wir in der „Didaktik" Komenskj'R sympathische Züge
eines überzeugten christlichen Philosophen sehen und zugleich
eines Eiferers für die Wissenschaft, so treten diese Züge noch
mehr in seinen paneophischen Arheit«n herror; ihr Ziel war,
die zerstreuten Kenntnisse zu einem System zu vereinigeii,
das allen Gebildeten zugänglich sei, damit die Wissenschaft
äusserlich mehr Verbreitung, innerlich mehr Sicherheit
erlange. „Mit unsem pansopbischen Arbeiten", sagte Eo-
mensky , „streben wir danach , die Bildung , welche bisher
fast ohne Grenzen zerfliesst, nicht fest gegründet ist, in
allen Tbeilen schwankt, in einer gedrängtem, festem und
starkem Weise in ' Eins zusammenzufassen , damit es nicht
nöthig sei, sich mit der Wissenschaft zu brüsten, sondern sie
zu kennen , und nicht zu viele Dinge zu kennen , sondern
gute und nützliche, und zwar fest und fehlerfrei." Er wünschte
eine möglichst weite Ausbreitung der Wissenschaft, damit sUe
Christen, welchen Bekenntnisses sie auch seien, in Freund-
schaft ihren gemeinsamen Fortschritt suchen und sich am ge-
meinsamen Glück erfreuen. Komensk^ war im wahren Sinne
des Worts ein Freund der Menschheit, den Ideen vom Glück
derselben, von einer christlichen Welt und Aufklärung zagethao,
und arbeitete zeitlebens für dieselben.
Auch war Komeusky Dichter — in demjenigen christhch-
philosophischen Geiste, der alle seine Werke auszeichnet. Er
verfasste geistliche Lieder für das Brüdercancional, femer eine
metrische Uebersetzung der Psalmen ; aber die Hauptfmcht
seiner poetischen Bestrebungen war ein Werk, das zu den be-
kanntesten und geachtetsten Denkmälern der ganzen techischen
Literatur gehört. Es ist dies das berühmte „Labyrinth der Welt".'
' „Labyrint SvSta a R^ srdoe" u. s. w., das 1631 in Liua, a. L, nnd
daDn in der Zeit der Verfolgungen g^en die Eeohiaohen Bücher n
Amsterdam 1663, Berlin 1757 erBcbieu, wurde zu Anfang der Wiederbete-
buug ia Prag 1783, ISOO, ia Eöniggrätz 1S48, in Prag 1862 bcrauagegeben.
Deutsche Uebersetzung : PbiluaophiBche Batiriaube RuIbcd durcb alle Stinde
der menacblicbcn Handlungen etc." (Potsdam 1787); „Das LabTrittth der
Welt etc., über«, von J, Nowotny" (Spremberg 1872).
...., Google
Joh. Arnos Komengky. 169
Der ausfübrliclie Titel des BuclieB gibt einen Begriff von eei-
Der allgemeinen Tendenz: „Das Labyrinth der Welt und das
Paradies des Herzens, d. i. eine klare Darstellung dessen,
wie in dieser Welt und allen ihren Dingen nichts ist ausser
Eitelkeit und Irrthum, Schein und Täuschung, Zweifel und
Schmerz , Kummer nnd Elend , und zuletzt Aergemiss und
Verzweiäung; wer aber zu Hause bleibt in seinem Herzen und
sieb auf Gott den Herrn allein stützt, wie der von selbst zu
einer wahren und vollen Ruhe des Gedankens und zur Freude
kommt" Der Verfasser macht eine allegorische Reise durch
das Labyrinth der Welt, vor ihm öffnet sich alle Eitelkeit
ihres „Marktes", er beobachtet das Leben aller Berufe und
Stände der Gesellschaft, sieht das Nichtige der menschlichen
Sorgen, Bestrebungen und Hoffnungen, die Machtlosigkeit der
menschlichen Wissenschaft: auf seinem phantastischen Wege be-
gegnet er zuletzt Christus und sieht das Leben der , innerlichen
Christen", worin auch sein Ideal besteht. In diesem Ideal rein-
cbristlicben Lebens, Teiches vollkommene Ruhe und inneres
Glück im Glauben findet, keine weltlichen Sorgen, keine Eitel-
keit, keine Feindschaft kennt, nicht um Reichthum und Ruhm
sorgt, — in diesem Ideal ist es nicht schwer, die Ideen Chel-
dicky's vom Urchristenthum und die Grundthesen der Brüder-
gemeine zu erkennen. Die innerlichen Christen (als welche
Komensky die Brüder und die ganze Christenheit sehen möchte)
erleuchtet das doppelte Licht des Verstandes und des Glau-
bens: sie sind vollkommen frei, ihr Gesetz ist kurz, weil es
ganz in den Geboten Gottes enthalten ist, sie vereint die
Gemeinschaft der Gedanken und der Gefühle, und endlich die
Gemeinschaft des Besitzes. . . . „Ich sah", sagt er, „dass,
obgleich sie grössentheils arm waren an dem, was die Welt
Vermögen nennt, obgleich sie wenig hatte» und wenig be-
durften, doch fast jeder irgendetwas Eigenes hatte: aber
so, dass sich niemand damit vor dem andern verbarg (wie
das in der Welt geschieht), es nicht verheimlichte, sondern
gewissermassen für alle besass und gern abgab, was jemand
bedurfte. Sodass alle mit ihrer Habe untereinander nicht an-
ders verfuhren als Leute, die an einem Tische sitzen, und
mit gleichem Recht von den Speisen nehmen. Als ich das ge-
sehen hatte, schämte ich mich, dass bei uns oft gerade das
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170 Fuuftes EspiteL 1. Die Öeohen.
Gegentheil davon geschieht. . . . Ich begriff, dass oicht das der
Wille Gottes sei." ...»
Diese Verwirklichung des Urchristenthums war in der That
das poetische Ideal der Briidergemeine. Mit dieser Predigt
des innern CbristeDthums, — die in dem Schauen von GoU«s
Herrlichkeit und in dem Gebeta am Schlüsse des „Labyrinths"
enthalten ist, — schliesst die alte Periode der iecbischen Ge-
schichte; die Thätigkeit Komensky's ist das letzte Resultat der
hussitischen Bewegung. £r „schloss hinter sich die Thür" der
Brüdergemeine als ihr letzter (eigentlich vorletzter) Bischof;
and als der letzte Yertheidiger seiner nationalen Sache ward
er zugleich ein eifriger Förderer der europäischen Coltur.
Dies war der charakteristische Abschluss der verfallenen cecbi-
schen Literatur.
Von den andern Exulanten ist ausser dem schon vorher
erwähnten Zerotin vor allem Paul Skala von Zhofe (1583,
gest. nach 1640) zu nennen. Ein Saazer Bürger, Anhäoget
Friedrich^s von der Pfalz, evangelischen Bekenntnisses, «än-
derte er nach der Schlacht am Weissem Bet^e aus Böhmen
aus und liess sich in Sachsen nieder. Er war ein classisch ge-
bildeter Mann, studirte auf deutschen Universitäten, machte Bu-
sen in Europa und schrieb in der Verbannung erstens eine kirch-
liche Chronologie und zweitens ein grosses Werk über Kircheii-
geschichte von den Zeiten der Apostel an in neun Folianten, in
deren drittem schon die Beschreibung der Ereignisse von 1516—
1623 beginnt: am interessantesten ist allerdings der Theil des
Werkes, wo er als Zeitgenosse und Augenzeuge spricht. Die Ge-
schichte Skäla's ist vom protestantischen Standpunkte geschrie-
ben, aber er bemühte sich unparteiisch zu sein ; die Darstellung
' Das Buch EomenBky'e entsprach der StiiDmnng des Volkes. In eioem
Liade der teubiecheD Verb&DuteD deB 17. Jahrhunderts steht es oebeu der
Kralioer Bibel als einziges aus der Heimat gebrachtes Besitztbum:
Nevzali sme s aebou
Nie, po vSem vctat
Jen Bibli Kraliokon,
Labyrint Sv6tft.
(Wir nahmen nichts mit uds fort, altes war verlöten! Mur die Kr«li«r
Bibel, das Labyrinth der Welt) (Kollir, „Kar- Zpiewanky SlowikAw".
I, 34.)
.....Gooj^lc
Die Exulanten. 171
ist oft zu weitschweifig, aber enthält wichtiges Material. ' Feraer
möge Paul Straneky {1588 — I6ö7) genannt «ein, obgleich er
nar als lateinischer Schriftsteller bekannt ist. Als Anhänger der
Bnidergemeioe widersetzte er sich, soviel er konnte, der katho-
lischen Reaction, aber zuletzt war er doch genöthigt, die Heimat
zu verlassen, wobei er sein Vermögen verlor, und litt grosse
Xoth; nachdem er sich zuletzt in Thorn niedergelassen, ward er
durch seine Schriftstellerei bekannt, und erhielt eine Professur
am dortigen Gymnasium. Sein lateinisches Werk: „Respublica Bo-
jema" (Leyden 1634, 1Ü43; Amsterdam 1713, und in der Samm-
lung Goldast's: „Oommentarii de regni Bobemiae . . . . juribus et
privilegÜE", 1719) ist als eine merkwürdig klare Darstellung der
politischen Verhältnisse und des innern Zustandes Böhmens be-
kannt, die noch bisher, als historisches Material, ihren Werth
nicht verloren hat and in einem classischen Latein geschrie-
ben ist.'
Derjenige Theil der Exulanten der Brudergemeine , in deren
Mitte Eomensky wirkte, wanderte nach dem Norden aus', dabin
gingen ^erotin , Paul Skala , Stränsky. Ein anderer Strom
von Auswanderern richtete sich nach Südosten, ins nördliche
Ungarn, in das Land der Slovaken. Seit Huss herrschte bei
diesen die öechische Schriftsprache; viele Slovaken lebten dann
in Böhmen und nahmen an der cechischen Bewegung und Lite-
ratur theil, wie z. B. Laurentius von NudoSer und andere. Mit
der Ankunft der Emigranten nach der Schlacht am Weissen
Berge stellte sich bei den Slovaken eine bedeutende „cecho-
slovakiscbe" literarische Thätigkeit ein. In den slovakischeu
Buchdmckereien zu Sillein, Trentschin, Tyrnau, Neusohl wurden
anfangs BUcher der böhmischen Emigranten, dann der eigenen
Schriftsteller gedruckt — meistens, fast ausschliesslich, über
religiöse Gegenstände. So lebte also im 17. und 18. Jahr-
hundert, als die äechische Literatur in Böhmen selbst immer
■ Stellen darauB wurden im Öaaopis 183t, 1834, 184T, in HavIiEek'a
„Sloran", 1850 gedruckt. Die böhmieche Geeohioht« von lliO:} — 1623 gab
K. Tieftrunk herauB in 5 Heften, 1865—70 (Monumenta Hist. Bohem.).
' Anf dieseB Buch stützte sich unter anderai Hilferding, aU er von der
Tradition der orientaliacben Kiivhe bei den Cecben spraeh. Aber die Ce-
ohiachen Kritiker leugnen die Stiobhaltigkeit der Gründe, die von ihm aus
dem Baube Stränaky'B genommen sind.
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172 Fünftea Kapitel. I. Die Öechen.
mehr verfiel, ein Schössling derselben bei den Slovaken. Hier
Bind bekannt die Namen: Georg Tranovsky, Elias Läni, Sa-
muel Hruskovic, Daniel Krman, Stephan Pilank und andere,
von denen bei der Literatur der Slovaken ausführlicher die
Rede sein wird.
In Böhmen selbst stellt die Literatur seit der Schlacht am
Weissen Berge ein trauriges Bild des Verfalls dar, wie es Völker
in schweren oder den letzten Zeiten ihres historischen Lebens
zu erfahren pflegen. Aus der Mitte des Volkes wurden plötzlich
die besten Kräfte herausgerissen, nämlich diejenigen, welche
durch ihre Entfernung aus der Heimat die Festigkeit ihrer Ueber-
zeugung bekundeten; die andern, welche der katholiacben Beac-
tion nachgaben, thaten dies deshalb, weil sie schon durch den
Kampf gebrochen waren : in herrschender Stellung blieben die
katholischen Fanatiker. — Für sie war der ganze TorausgegaD-
gene Inhalt der Literatur nur Ketzerei, die Ternichtet werden
musste, und sie vernichteten sie wirklich. Das, womit diese Fa-
natiker ihr Land retten und beglücken wollten, führte zu dem
Resultat, dass die Literatur ganz aufhörte, d. h. dass das natio-
nale Leben untergraben wurde: die alte Bildung hörte auf, das
Volk verlor sein Nationalbewusstsein, — unter solchen Verhält-
nissen konnte eine Literatur keinen Entstebungsgrund und kei-
nen Zweck haben.
Einige Namen, die hier zu nennen sind, lassen, in der ersten
Generation, noch ein Echo (wenn auch nur formales) der frühem
Bildung hören; oder es feiert das Jesuitenthum und der Ohscuran-
tismus seine Orgien; oder es tauchen schliesslich, zu Ende des
18. Jahrhunderts, die ersten warmen Erinnerungen an den alten
Ruhm des eigenen Volkes auf, die sich jedoch noch nicht n
einer wirklichen Wiedergeburt zu entwickeln vermochten.
Der wichtigste Schriftsteller der katholischen Partei in der
Zeit nach der Schlacht am Weissen Berge war der bekannte
Slavata (der mit Martinic und Platter am 23. Mai 1618 zum Fenster
hinausgeworfen wurde), später Kanzler des Königreichs Böhmen.
Wilhelm Slavata (Slavata z Chlumu a z Kosumberka, 1572—
1652) stammte aus einem Adelsgeschlecht; sein Vater war ein
Anhänger der Brüdergemeine, die Mutter eine Lutheranerin, er
seihst wurde in der Brüder -Lehre erzogen; aber später ging
er zur katholischen Partei über, und ward einer ihrer enragir-
testen Förderer und halber Jesuit; er gehörte mit xn den-
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Der Verfall. 173
jenigen ^bischen Herren, welche Rudolf II. dazu Termochten,
den Utraquisten keine BekenntnisBfreiheit zu gewähren. Mit
seinen persönlichen Geschäften in der Politik ist anch sein hi-
storiBchee Werk verbunden. Den Anlass dazu gab ein Werk
Matthias Thnrn'a, des Buhrera der unzufriedenen Stande, welcher
das Verfahren seiner Partei, unter anderm auch den Fenster-
sturz, erklären und rechtfertigen wollte. Slavata gelangte in den
Besitz dieses Werkes und unternahm es, seine Partei zu verthei-
digen. Unter der Hand wuchs sein Buch zu dem Ungeheuern
Umfang von vierzehn Folianten an und es sind darin ausser den
fechiscben auch die Ereignisse hei andern Völkern dai^estellt.
Die Geschichte Slavata's ist vom Jahre 1527 bis 1592 geführt
nnd ausserdem sind in seiner persönlichen Vertbeidigung die
Ereignisse des Anfangs des 17. Jahrhunderts beschrieben. Sie
hat ihren literarischen Wertb, obgleich sie manchmal weitschweifig
und ungleichmässig ist; aber jedenfalls ist sie überaus wichtig
als Zeugniss eines Zeitgenossen,, zumal da ausser den persön-
lichen „Erinnerungen" Slavata's auch die Memoiren seiner
Freunde darin aufgenommen sind.'
Zu der Zahl der Herren von derselben habsburgischen Par-
tei gehört Graf Hermann Oernin von Chudenic (1579 — 1651),
der 1598 mit Harant von PolSic in das Heilige Land reiste,
später mehrmals in politischer Mission in der Türkei war und
ein Tagebuch seiner Reise nach Konstantinopel IG44 — 45 schrieb.*
Ignaz von Sternberg hinterliess eine Reise in die westeuro-
päischen Länder, 1664 — 65- Dies waren die letzten Herren,
welche techisch schrieben.
Die Katastrophe am Weissen Berge warf die ganze Bewegung
nieder, die sich in Böhmen seit Ende des 14. Jahrhunderts voll-
zogen hatte. Die Reaction vertilgte Menschen, Einrichtungen,
Schriften, welche den Stempel des Hussitenthums, der Reforma-
' Auazüge, hersnBgegebea von J. Jireöek: „Pam^ti z dob 1
& Bde., Fra^ 1866— (iS; in der Einleitung eine ausnihrlicbe BeschreibuDg
dea ganzen Werkes von Slavata); „D£je ubereke za Ferdinonda I. Od 1Ö26
—15«" {Wien 1857).
' Lomir, 1856, nnd Mikloeicb, Slav. Bibliothek, II.
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174 Füuftea Kapitel, t. Die Öecben.
tion der Brüdergemeine an sich trugen. Indem sie die AuhäDger
derselben zwang, zum Katholicisnina überzutreten, suchte die
Reaction in den Geistern jede Erinnerung an diese ßeweguDgea
zu verwischen, oder diese Vergangenheit als einen verderblichen
Irrthum, als eine gefährliche Ketzerei hinzustellen. Von den
alten Historikern blieb nurHäjek unvei'sebrt; vor allem aus ihm
soll sich auch das £ecbische Volk einige ßeminiscenzen an seine
ältere Geschichte bewahrt haben.
In diesem Geiste wurde im 17 — 18. Jahrhundert die böhnÜBche
Geschichte geschrieben, und oftmals nur noch in lateinischer
Sprache. Die erste Stelle in der Reihe dieser Schriftsteller
nimmt der berühmte Jesuit, der trotzdem £echischer Patriot war,
Bohuslav Baibin (1621 — 88) ein, der, wenn er auch nur latei-
nisch schrieb, doch in der Geschichte der ^echischen Literatur
wegen des Charakters und des Inhalts seiner Werke nicht
übergangen werden darf. Seine Auffassung der vergangenen Ge-
schichte war reactionär 'katholisch ; aber das Jesuitenthum hatte
in ihm nicht die Wahrheitsliebe des gelehrten Historikers und
das wanne Gefühl für seine Heimat und ihre Vergangenheit
vernichtet. Er gab sich dem Studium der böhmischen Ge-
schichte hin; aber dieser Gegenstand schien schon an sich ver-
dächtig, und als er sein Hauptwerk ,,Epitome rerum hobemica-
rum" beendet, lag das Buch sieben Jahre bei der Censur in Wien
und Bom und dem Verfasser wurde eine Busse auferlegt. End-
lich erschien es im Jahre 1677, dank der Verwendung des be-
rühmten wiener Bibliothekars Lambecius und des Grafen Kinskj.
Im Jahre 1680 begann Baibin umfangreiche „Miscellanea histo-
rica regni Bohemiae" herauszugeben, welche eine Menge Nach-
richten aus der Geographie, Alterthumskunde und Geschichte
enthalten. Einige Theile dieses Sammelwerks, nämlich diejenigen,
welche sich auf die Geschichte der 6echischeii Bildung beziehen,
wurden erst lange nachher herausgegeben. ■ W^ährend der «-
littenen Verfolgung schrieb Baibin eine warme Vertheidigung der
6ecbischen Sprache, fiir welche damals die Zeit des grössten Verfalls
begann: dieses Buch — eins der bekanntesten aus der Literatur
der slavischen Renaissance — konnte damals nicht ans Licht
treten und ward erst später herausgegeben, als mit den ersten
1 Bohemi» docta. EJ. R. tJngar (l'ragae 1776—1780). Pars II. Ed. P.
Caadidus. Pragae 1777.
...., Google
Dia Wioderbelebong. 175
Ansätzen der nationalen Bewegung Argumente zu ihrer Verthei-
dignng nothwendig wurden. < Baibin regte auch seine Freunde
an, die böhmische Geschichte zu Btudireti: „Ee gibt keine gros-
so^ Freude, ah eich darüber zu freuen, daes unser Vaterland
Bf) Tiele in Krieg und Frieden berühmte Männer erzeugt hat,
das Vaterland, welches wir jetzt erniedrigt sehen und beweinen.
Arbeitet an der böhmischen Geschichte, wenn ihr Müsse habt
— denn unter uns Cecben sind wenige, die ihre Heimat zu
Bchätzen wissen und die weder Gäste noch Fremdlinge in den
vaterländiscben Dingen sind."
Ausser Baihin schrieben über die böbmisch-mährische Ge-
Bchichte: Thomas Pesina von Cechorod (1629—1680), Prie-
ster, dann Bischof, der einen „Prodromus Moravographiae t. j.
Predchädce Moravopisu", IGG3, und einige andere, lateinische
Werke verfssste; Johann Beckovsky (1658 — 1725), dem die
„Botin der alten böhmischen Begebenheiten, oder böhmische
Chronik" („Poselkyne etarjch priblhäv iesk^ch aneb Krouika
ceskä", I. Th. Prag 1700) angehört, wo er anfangs, bis 1526,
die böhmische Geschichte nach Häjek, dann, bis Leopold I.
1C57, selbständig darstellt'-, der Kanonikus Johann Hammer-
schmied (1658 — 1737). Von nichtgeistlichen Personen möge
genannt sein Wenzel Franz Kozmanecky (Kozmanecius oder
Kozmanides, 1607 — 79), der eine kurze Beschreibung des Dreissig-
jährigen Krieges hinterliess, ein Tagebuch der Belagerung von
1648 und einige lateinische und 6echische scherzhafte Stücke
und schlechte Gedichte.
Danach aber war die eigentliche Hauptfrucht der katholi-
schen Reaction eine ganze Literatur frommer und erbaulicher
Bücher, besonders von Jesuiten verfasst. Von diesen Schrift-
stellern sind die bekanntesten: Wenzel Sturm, der übrigens
noch zur vorhergehenden Periode gehört (1533 — 1601), Jesuit und
der schlimmste Gegner der Brüdergemeine; Adalbert Berlieka
(Scipio Vojt«ch Sebestian oder Berli6ka z Cbmelöe, geb. 1565,
' Diggertatio apologetica pro liugua glavonica, praecipne bobemica (der
nnprüngliche Titel: De reg^i Bohemiue felici quoDdam, nunc calamitoso
otatn). Heraasgegeben von Fr, M. Pelzel (Prag 1715). Ceobische Ueber-
wtzmig von E. Tonner (Prag 1869).
' Den sweiten, beBOndere wichtigen Tbeil begann lä(9 Ant. Rezek
heranszDgeben.
...., Google
176 FüufteB Kapitel. I. Die Ceohen.
gest. nach 1620), Jesuit, der bei dem berühmten Skarga gebildet
war; Georg Plachy (oder Jifi Perus, 1686—1059); Matthias Wen-
zel Steyer (Steyr oder Styr, 1630—92), Jesuit, Begründer der
„St. Wenzels-GesellBchaft" zur Herausgabe öechischer frommer
Bücher, der unter anderm mit den Jesuiten Konstanz und
Barner ander ,,St. Wenzels-Bibel" arbeitete; Felix Kadlinsk;
(1613 — 75), Jesuit, wie gewöhnlich Verfasser frommer Büchlein,
b^annt als guter poetischer Uebersetzer, besonders gilt das ans
dem Deutschen übersetzte „Zdoroslavläek v kratochvilnem häjeöka
postaven^" („Trutznachtigall etc.", Prag 1665, 1726) für eins der
besten Werke der damaligen Literatur. Endlich war auch Schrift-
steller der in seiner Art berühmte Anton Koniaä (1(91 — 1760),
das Muster eines jesuitischen Fanatikers, der ßechische Bücher
auBspionirte, confiscirte und verbrannte. Von seinen Werken ist
nur eins weiter bekannt: „Clavis haeresim claudens et aperiens,
Kli£ kacirske bludy k rozeznani otvfrajici, k vykofeneni zamy-
kajici" ein Verzeichniss der verbotenen Bücher, d. i. der alten
iechischen, nicht-jesuitischen Literatur.'
Das Resultat der Arbeiten solcher Leute war, dass nicht nur
die öechiscbe Literatur verfiel, sondern dass das ganze nationale
Leben dem Untergange nahe war.' Die hohem Klassen wendeten
sich immer mehr von der öechischen Sprache und Literatnr ab,
die weder einen politischen, noch freigestalteten religiösen, noch
poetischen Inhalt bot; die Literatur reducirte sich auf die erbau-
lichen Volksbüchlein der Jesuiten. Daraus erklärt sich zur Genüge,
warum die 6echische Sprache auch in formaler Beziehung verfiel.
Die alte literarische Tradition war nicht ungestraft- abgebrochen
worden: die Schriftgelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts be-
gannen die Bucbersprache nach ihrer Weise zuzuschneiden, und
ihre Schriften wurden berühmt als Muster von Geschmacklodg-
keit und Verunstaltung. Solche £echische Tredjakovskijs waren:
Wenzel Rosa (gest. 1689), Johann Wenzel Pohl (gest. 1790) und
sein Nachfolger Maximilian Schimek (Simek 1748—98), der übri-
gens einige nützliche Bücher zur Erforschung des Slaventhums in
deutscher Sprache schrieb. Pohl, Kammerthürbüter am kaiser-
I Heransgegebeu in KönigsgräU: 1739, 1749.
* UeI>eTdie jeauilhche Literatur a. Felzel, „Böhmische, iDabriicbe nnd
schleBiBche (ielehrte und Schriftsteller aoa dem Orden der Jesaittu" (Prag
...., Google
Die Wiederbelebung. 177
liehen Hofe zu Wien und zugleich Lehrer der iechischen Sprache
bei den Söhnen Maria Theresia's, hrachte Dobrovsky zur Ver-
zweiflung, der anch im Druck mehrmals gegen die ungeschickten
\eaerungen desselben auftrat; äechische Historiker bezweifeln
nicht, dass die Abneigung Joseph's II. gegen die Cechische Sprache
dem Eifer Pohl's zuzuschreiben sei.^
4. Die WlederMehiing der Literatur and des VolksUmms.
Am Ende des 18. Jahrhunderts erreichte der Verfall der Li-
teratur die letzte Stufe. Ein äechisches Buch ward zur Selten-
heit: neue gab es nicht, die alten waren vernichtet. Der Fa-
naUsmuB der Jesuiten zerstörte i^hische Bücher nach alter
Erinnemng sogar noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts. Baibin, ein Patriot nicht nach dem Muster seiner Mit-
brüder, spricht mit Bedauern von dem Schicksal der cechiBchen
Bücher, die auf Scheiterhaufen verbrannt und als ketzerisch ver-
nichtet worden, selbst wenn nicht einmal etwas über Religion
darin stand. Dies war am Ende des 17. Jahrhunderte. Im
Jahre 1783 erzählt Karl Tham in seiner „Vertheidigung der
iechischen Sprache", einem der ersten Bücher der Renaissance:
„Es ist bekannt, dass noch vor drei Jahren die sogenannten Or-
donnanzen eingeführt wurden, welche wie hungerige Wölfe in
allen Gegenden Böhmens herumliefen, jeden Winkel durch-
suchten, und wenn sie irgendwo ein (echisches Buch, gutes
oder schlechtes, fanden, es ergriffen und, nachdem sie kaum
hineingeblickt, mit Gewalt wegnahmen und, ohne etwas in den
«^bischen Büchern zu verstehen, auf solche schimpften, sie
zerrissen und verbrannten."
Den ersten Anstoss zur Weckung des Nationalbewusstseins
gab die Regierung Joseph's U., obgleich dies gar nicht in seinen
Absichten lag. Es war das Zeitalter des aufgeklärten Absolutis-
mus; Joseph war ein Mann mit den Ideen der französischen
Philosophie, der nicht nur nicht daran dachte, die Sache der
Jesuiten zu unterstützen, sondern alle ihre Spuren vertilgen
' „Wäre doch der Beruf, Seine Majestät in der böhiuiBcheD Spraclie
zu DOterriobten, einem Manne von Geschmack zutbeil geworden", Bchricli
DobrovBky im Jahre 1792 (Gesch. der böhm. Sprache, S. 2U9).
fmn, SUTiHhs Lltentnna. II, 1. lg
ü,g :.._.. .,G00^1C
178 Füuftea Kapitel. I. Diu Rechen.
wollte. Der Orden selbst war vorher aufgehoben worden. Ein
Feind des klerikalen ObscurantismaB, wünschte Joseph aufrichtig
die Aufklämng des Volkes, und da in seinem vielsprachigeD
Reiche die Frage nach der Sprache, mittels deren die Auf-
klärung gegeben werden sollte, eintrat, entschied er sich für
die deutsche. Von seinem Standpunkte aus hatte er recht: die
deutsche Sprache hatte (ausser dass sie politisch die herrschende
war) damals mit Lessing, Herder, den deutschen „Aufklärern"
eine grosse Bedeutung für die Literatur und Bildung erlangt —
während wir gesehen haben, in welcher überaus mislichen Form
er die öechische Sprache kennen gelernt hatte; aber wenn er
auch ihre bessere Seite gekannt hätte, so hätte doch die seit
Anfang des 17. Jahrhunderts stehen gebliebene £ecbische Lite-
ratur noch zuvor sehr bearbeitet werden müssen, ehe sie mit
Erfolg der neuen Bildung hätte dienen können. Im Jahre 1774
ward in den j^chischen Schulen und der Verwaltung die deuteche
Sprache eingeführt. Den Öechen drohte voUsüindige Germanisi*
mng: die Bildung, welche früher die neutrale lateinische Form
trug, begann jetzt eine deuteche Form anzunehmen, die noch ge-
fährlicher fiir die Nationalität war; die faöhern Klassen wurden
fast definitiv zu einer deutschen Aristokratie; die Volksmasso
blieb in Unwissenheit.
Aber die geplante Germanisirung brachte auch die ersten
Versuche der nationalen Reaction hervor, welche eine neue Pe-
riode der slaviscben Literaturen bezeichnet. Die Regierung Jo-
seph's II. selbst brachte die Möglichkeit nnd die Mittel der
Wiederbelebung. Es unterliegt keinem Zweifel, daas die aufklä-
rerischen und humanen Ideen des 18. Jahrhunderts, deren eitnget
Froselyt Joseph war, einer der Hauptfactoren waren, denen die
(echische Literatur ihre Wiederherstellung verdankt. Die Mass-
regeln Joseph's waren gegen die Öechische Nationalität gerichtet,
aber gerade sie gaben auch die Mittel des Kampfes — denjenigen
Grad politischer und religiöser Freiheit, der von selbst die ge-
sellschaftlichen Kräfte zur Thätigkeit anregte. Die Politik Jo-
seph's war für die Nationalitat ebenso gefährlich, vrie wobl-
thätig durch diesen anregenden EinÖuss. Die bessern Leute der
£echischen Gesellschaft wurden durch diesen Ausschluss äer
^ecbischen Sprache aus dem Leben sehr betroffen und legten
sich die Frage vor: hat sich wirklich im Volke jede Fähigkeit
eines nationalen Bewusstseins verloren, oder hat man es nicht
ü,g :.._.. ..Google
Die Wiedei'belebung. 179
Tielmehr nur zu wecken, damit es sich wiederbelebe? Jetzt
könnt« man einen Versach machen, and die nationalen Beetre-
butigen konnten mit eben dem Geiste der Zeit parallel gehen,
der die Politik Joseph's II. erzengt hatte. Der Patriotismus
der leitenden Personen wirkte in den Normen eben derselben
Anfklämng und des Volkswohles, nur auf einem andern Wege:
sie begannen sich am die Erweckung des nationalen Geistes zu
bemühen, weil ihnen die Volkssprache als das beste Mittel der
Volksbildung galt. Andererseits weckte die Gefahr der Germa-
nidning historische Erinnerungen, die so lange unterdruckt waren
und nun zu einem zweiten WeikzcDg für den Schutz der Natio-
nalitäft wnrden. Aus solchen Quellen ging die neue Bewegung
der ^echischen liiteratur hervor, welche mit dem Namen der
Renaissance bezeichnet wird.
Die öechischen HiBtoriker tbeilen gewöhnlich die Geschichte
dieser Renaissance oder der neuern (echischen Literatur in drei
Perioden: die erste — von den zwei oder drei letzten Jahrzehn-
ten des vorigen Jahrhunderts bis zum Jahre 1820; die zweite —
bis 1848, und die dritte — bis zur Gegenwart. Diese Einthei-
luDg hat in der That ihren Grund in den besondern Charakter-
ZQgen jeder dieser Perioden.
Grosse historische Vorgänge haben gewöhnlich weitreichende
Wurzeln. So trat auch die fiechische Renaissance zu Tage, aber
sie begann nicht erst mit den letzten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts. Ihre entfernteste Quelle war die vergangene Ge-
schichte Böhmens, und jener schwer zu entwurzelnde nationale
Instinct, der, so sehr er auch unterdrückt sein mag, falls er nur
noch nicht ganz vernichtet ist, die Fähigkeit hat, bei der ersten
günstigen Gelegenheit Bchnell wieder aufzuleben. An der cechi-
sohen Nationalität war so viel Gewalt verübt worden, dass es
den Anschein haben konnte, als sei es mit ihrem historischen
Lehen zu Ende, aber, wie wir gesehen haben, zur Zeit des
stärksten Verfalls war dennoch Nationalgefiihl , Anhänglichkeit
an die eigene Sprache, an die Vergangenheit des eigenen Vol-
kes bemerkbar. Zu Ende des 18. Jahrhunderts gewann dieses
Gefühl neue Kraft: das patriotische Interesse fiir das nationale
12« , . .
ü,g :.._.. ..Google
XaO Fünftm Kapitel. I. Die f^ecbeo.
Alterthum wurde dnrcb die allgemeine Entwickelnng der bistori-
echen WisaenBchaft gefordert. Die ersten wirksamen Erwecker
des £echischen Volkstbums waren gelehrte Historiker, dereo Ar«
beiten (oft nur lateinische und deutecbe) ihren Mitbürgern Liebe
zur Heimat einflössten und den Fremden gegenüber das bistorische
Recht ihres Vaterlandes nachwiesen und vertbeidigten. Der zweite
starke Bundesgenosse der beginnenden Bewegung war die auf-
klärende Richtung der Zeit, die znm ersten mal die freien Be-
Btrebungen der Gesellschaft zum Ausdruck kommen Hess, während
die alten Vormünder derselben, die Jesuiten, von der Bühne ab-
traten. Gerade unter solchen Bedingungen konnten sich überzen-
gnngstreue und ihrer Sache ergebene Männer finden, deren Ar-
beiten den ersten festen Grund für die Renaissance legten.
Bei der Eigenthümlicbkeit der Sachlage ist es nicht zu ver-
wundern, dass die ersten Leiter der Renaissance nicht bedeutende
Schriftsteller oder Dichter waren, sondern gelehrte Historiker
und Philologen. Die alte literarische Ueberlieferung war so
verkümmert, so verfolgt, dass man glauben konnte, sie habe
gar nicht existirt: die vorhandene Literatur war niedrig und
durchaus nicht geeignet, einen Ausgangspunkt zu bilden. Man
musste die Tradition erneuem, und historische Arbeiten erecbie-
uen als eine Nothwendigkeit. Nicht zu verwundern ist auch der
Umstand, dass die ersten Urheber der Renaissance kaum cechi-
sche Schriftsteller genannt werden können: sie schrieben weit
mehr deutsch und lateiniecb als 6ecbisch.
Der älteste in dieser Reihe von Arbeiten! war Gelasius
Dobner (1719—90). Nach Beendigung des Elementarunter-
richts trat er früh in den Orden der Fiaristen, welcher im Unter-
richtswesen die erste Opposition gegen das Jesuitenthum bil-
dete und der zu derselben Zeit der Bildung in Polen bedeutende
Kräfte lieferte.* Das Leben Dobner's verlief in der Tbätigkeit
I Der volle Titel dieses Ordena ist: Ordo olericonun regiil>Hiim pMi*
pemm Matris Dei Boholamm piamm. Sein Stifter war der Spanier Jo-
seph CaUsanza (15Ö6— 1648) in den ersten Jahren des 17. Jabrhuiidert*.
Schon in der ersten Hälfte diesea Jahrhunderts treten die Piariitea in
Oestorreich, Polen, Böhmen und Mähren auf; aber der Orden war noch
nicht zahlreich. Vom Ende des 17. Jahrhunderts an begann er sieh hin'
zu vergrÖBserD und brachte viele bedeutende Pädagogen and Gelehrte her-
vor, die einen wohttbätigen EinflnsB auf den Chamhter mid die Aoibra-
.....Gooj^lc
Die Wiederbelebnng. 181
eines Lehrers und Rectors an den Schalen eeioes Ordens und
in historischen Studien. Eine seiner nichtigsten Arbeiten war
die Herausgabe der Chronik Häjek's (auf Wunsch der i^chiscben
Piaristen) in der lateinischen Uebersetzung des früher erwähn-
ten Viktorin. Aber Dobner blieb nicht blosser Herausgeber, er
fügte der Chronik seinen Commentar bei — der erste Versuch
einer böhmischen historischen Kritik, wobei er auf die Unhalt-
barkeit vieler Fabeln Hajek's hinwies. Gleichzeitig sammelte er
Materialien, schrieb viele Untersuchangen Über die Kirchen- nnd
politische Geschichte Böhmens, über Alterthumskunde , Biblio-
graphie u. 8. w. Sein grosses Verdienst war die Begründung
einer böhmischen historischen Kritik; dieses Verdienst schätzte
der sehr anspruchsvolle Schlözer hoch, indem er sagte, dass
Dobner der erste Gelehrte sei, welcher in der böhmischen und
polnischen Geschichte „delirare desüt". Ausserdem brachte
Dobner auch noch einen andern praktischen Nutzen für die
Sache der (echischen Nationalität: er erzog eifrige Nachfolger
nnd im Jahre 1770 gründeten diese eine private gelehrte Gesell-
schaft, die sich der Mathematik, Naturwissenschaft und dem
Studium des 6echi3chen Alterthums widmete and sich 1784 in
die „Königliche Gesellschaft der Wissenschaften" verwandelte.*
Dobner schrieb nnr lateinisch und deutsch.
Die erwähnte gelehrte Gesellschaft wurde hauptsächlich durch
dieBemübungen Ignaz Born's (1742 — 91) gegründet; er war ein
böhmischer Adeliger, gelehrter Mineralog, überhaupt ein aufge-
klärter and fteisinniger Mann, auch Freimaurer.^ In der histo-
rischen Abtheilung der Gesellschaft sammelten sich um Dobner
tDDg der Bildang ausübten. Der Eintritt der Piaristen an Stelle der Je-
suiten war ein gänzlicher Umschwung im Gange der öfientliehen Bildung
bei den Polen und bei den Ceoben. Er bedeutet den Uebergang zu der
neuem, ordentlichen Schule, und den Ersatz des jesuitiscbeD Klerikalismus
durch einen milden Humanismus.
' Die Hauptwerke Dobner'B: „Wencralai Hsgek a Liboczan, Annaies
Bohemorum e bohemiea editione latine redditi etc." (6Th1e., Pragl764— 86);
„Monnmenta historica nusquam antehao edita" (6 Thle., 1764 — 86) und eine
Beihe Abhandlungen in den Publioationen der erwähnten Geaellschart.
' Unter anderm errate er in den freien Zeiten unter Joseph viel Auf-
sehen durch seine lateinische Satire anf die Mönche: „Joan. Fhirsiophili
opera; continent Monachologiam, accusationem PhjBtophili, defensionem
Physiophili, auatomiam monachi" {Aug. Vind. 1784).
ü,g :.._.. ..Google
Ig2 FünfUs Kapitel I. Die (echen.
jüngere Kräfte: Pelzel, 'Voigt, Diaban, Uiigar, Ihirich, Proch^ka
und vor allen Dobrovst^.
Franz Martin Pelzel (1734—1801) war einer der verdien-
testen cechiscben Fatriotea jener Zeit. Ebenfalls ein Schüler
der Fiaristen, ervrarb er sich in ihrer Schale und auf den
Universitäten Prag und Vvien umfängliche und mannichfaltige
Kenntnisse, besonders in Geschichte und Literatur; einige Jahre
verbrachte er als Erzieher in de» Häusern böhmischer Aristo-
kraten, der Grafen Stemberg, dann der Nostitz, wo er Gelegen-
heit hatte, freundschaftliche Verbindungen mit vielen Gelehrten
und Patrioten anzuknüpfen j spater, als 1792 an der prager Uni-
versität zum ersten male ein Lehrstuhl der ^chischen Sprache
und Literatur errichtet wurde, ward er mit Pelzel besetzt.
Seine zahlreichen gelehrten Arbeiten concentrirten sich auf die
böhmische Geschichte und Sprache. Das erste Werk, welches
auf ihn die Aufmerksamkeit der Patrioten und des gelehrten
Publikums lenkte, war eine kurze böhmische Geschichte', ver-
fasst auf Veranlassung von Born; der Erfolg des Buches zeigt«,
welchem dringenden BedUrfniss es entsprach. Im Jahre 17T&
veranstaltete Pelzel eine zweite, charakteristische Publication —
die erwähnte „Apologie der Cechiscben Sprache" von Baibin,
welche vom Publikum mit so warmer Tbeilnahme aufgenommen
wurde, dass das Buch, obgleich ordnungsmässig mit Bewilligung
der Censur gedruckt, doch bald verboten und confiscirt wurde,
Weiter folgte eine Reihe historischer Untersuchungen, wie die
Biographie Karl's IV., WenzeVs IV., eine Geschichte der böh-
misch - mährischen Gelehrten aus dem Jesuitenorden, eine Ge-
schichte der Deutschen und ihrer Sprache in Böhmen, viele
biographische Specialforschungen , endlich Arbeiten über die
Grammatik der (echischen Sprache u. s. w,' Er stellte auch eine
' „KnrzgefasBte GaBohicbte der Böhmen, von den iiieeiea bis «uf die
neuesten Zeiten" (Prag 1774, 1779, 1782).
' jJtaiBer Karl IV., König von Böhmen" (1780—81) and „Apolt^e de*
Kaisers Kart IV." (1786); „LebensgeBchichte des römiaoben nnd bÖhmiBobtn
Königs Wenzestsus" (1788- 90); das Werk über die JeBnit«n ist oben inge-
führt; „Oasohichte der Dentschen und ihrer Spr&ohe in Böhmen" (8TbU~
1788—91); „Gmndsätie der böhm. Grammatik" (1795, 1798; mit Üoter-
BtütEUDg Dobrovsk^'s). Mit demselben gab er die „3eriptor«B renun hohe-
mioarum" (2 Thle. 1782—84) berauB.
...., Google
Franz Martiu Pehel. 183
^echiBche Bibliographie gedruckter Bücher, von deren erEtem
Erscheinen bis 1708, und eine Uehersicht der cechischen Litera-
tar znaammen, aber die&e Arbeiten blieben unedirt. Endlich
aDtemabm er es, seine Geschichte in CechiBcbcr Sprache und
ausführlicher zu bearbeiten: es war dies die „Neue böbmiscbe
Chronik" („Novd kronika Coskä"), in drei Bänden 1791 — 96, bis
zum Jahre 1378 geführt; der vierte Band, bis 1429 reichend,
bheb unedirt. Die (Sechischen Historiker meinen, dass Pelzet mit
seinen Arbeiten wahrscheinlich mehr als alle seine Zeitgenossen
rar Weckung des Nationalgefühls, zur Bearbeitung der Sprache
tmd Literatur beigetragen habe. Seine „Böhmische Chronik"
vurde ein populäres Buch. Seine persönlichen Beziehungen zur
böhmischen Aristokratie setzten Pelzel in den Stand, auch hier
Liebe zum decbischen Alterthum und Volksthum zu verbreiten,
wie er es mit seineu Büchern unter den Bürgern und Bauern that.
Von den andern Gelehrten und Schriftstellern dieses Kreises
nennen wir noch Nikolaus Voigt (mit seinem Mönchsnamen
AdauctUE a S. Germano, 1733 — 87), ebenfalls ein eifriger Alter-
thumsforscber; im Verein mit Pelzel, Rigger u. a. gab er Por-
träts fechischer Gelehrten und Künstler mit kurzen Biogra-
phien, ferner Materialien zur GeBchichte der Sechiscben Literatur
heraus.' Karl Ungar (mit Mönchsnamen Rafael, 1743 — 1807),
gelehrter Humanist, Professor der Theologie und Bibliothekar
der prager Universität, Herausgeber von Balbin's „Bohemia
docta" (3 Bde. 1776 — 80), war auch ein eifriger Patriot, und
sein besonderes Verdienst bestand in der Bereicherung der Uni-
versitätsbibliothek; er sammelte für sie überall, wo er nur konnte,
alte dechische Bücher und Handschriften — die noch vor gar
nicht langer Zeit die Jesuiten zu verbrennen pflegten. Wie Voigt,
schrieb auch er lateinisch und deutsch. Ferner war einer der
bedeutendsten Gelehrten jener Zeit Wenzel Michael Duricb (mit
Mönchsnamen Fortonatus, 1738 — 1802), Orientalist und eifriger
slaviBcher Alterthumsforscber , der Dobrovsky zum Studium des
Altslavischen aufmunterte. Sein Hauptwerk auf diesem Gebiet^
' „Efßgies virornm emditomm et artifioum cum brevi vitae operumque
enaneralioue" (4 Bde., Prag 1773— 82); „Acta litteraria Bohemiae et Mora-
TiM" (2 Bde., X77i-83).
' ,3ibliotheca elavioa antiquiminiae dlalocti commnuiB et eooleaiaeticae
e Slavonim geatis" (1793).
.....Gooj^lc
184 Fünfice Kapitel. L Die Cechen.
Bollte die politische, kirchliche, literarische und Cnltnrgeschichte
des alten Slaventbums umfassen, hÜeb aber beim ersten Theile
stehen. Ein Schüler und Genosse Durich's war Franz Pro-
cbäzka (mit Mönchsnamen Faustinuß, 1749-^1809): er trat früb
in den Psulaner-Orden ein, wo Durich, der demselben Orden an-
gehörte, auf seine Begabung aufmerksam wurde; Durich oster-
Btutzte ihn nicht wenig im Studium der orientalischen und claa-
sischen Sprachen und auch der fiechischen Sprache, Geschichte
und Literatur. Die erste wichtige Arbeit Froch&zka's war eine
neue von ihm und Durich verbesserte Ausgabe der öechischen ka-
tholischen Bibel, auf Wunsch Maria Tberesia's. Die Ausgabe (nach
der Yulgata) erschien 1778 — 80, und Dobrovek^ nannte sie eine
classische Arbeit. Darauf nahm Procb&zka in yerscbiedener Weise
an den literarischen Interessen jener Zeit theil. Die Lektüre der
altöechischen Literatur gab ihm eine solche Kenntniss der Sprache,
dass sich damals in dieser Beziehung niemand ihm gleichstellen
konnte.' Indem er sich um die Hebung der öechiscben Sprache
bemühte und den Mangel an neuen Büchern fiir das Volk sab,
begann er alte Cecbische Bücher neu zu drucken; darauf nahm er
wieder die Bearbeitung der öechischen Bibel vor, und gab 1786
das Neue Testament, neu aus dem griechischen Urtext übersetzt,
heraus. Im Jahre 1804 erschien eine neue Aasgabe der öechi-
scben Bibel, mit Varianten und erklärenden Anmerkungen. In-
zwischen wurde er zum Vorsteher aller böhmischen GymoasicD
gemacht und verwaltete nach Ungar die Universitätsbibliothek.
Aber der vomehmste Vertreter der Bewegung in der Jo-
sephinischen Zeit war der berühmte Abbe Joseph Dobrovskj,
dessen Wirksamkeit über die Grenzen der öeohischen Nationali-
tät hinausging und eine grosse historische Bedeutung für das
gesammte Slaventhum hat. Joseph Dobrovsk^ (1753—1829;
eigentlich Doubravsky, sein Name war aber von dem ihn tanfeuden
Priester des Begiments, in dem sein Vater diente, ialsch einge-
sebrieben worden) wurde, da er die Kinderjahre in einer deut-
schen Stadt verbrachte, in deutscher Sprache erzogen, cechisch
lernte er erst später, nannte aber dennoch das Öechiscbe seine
Muttersprache. Im Jahre 1786 bezog er die prager Universi-
> Eina seiner bekaanteaten Werke war: Misoellaneen der böhm. snd
mähr. Literatur, Beltener Werke und Teraohiedeaer UandBchriften (3 Bd«.
Prag 1784-86).
...., Google
Jusoph Dobrovsk^. 185
tat, leakte durch seine Fähigkeiten die AufmerkBamkeit auf eich,
und die Jesuiteu suchten ihn für ihren Orden zu gewinnen:
1772 trat er wirklich als Novize in Brunn ein, aber schon im
folgenden Jahre ward der Orden aufgehoben und Dohrovsky
kehrte nach Prag zurück. Hier machte er sich eifrig an dag
Stodiam der orientalischen Sprachen, was ihn Durich nahe-
hrachte: 1777 lieferte DobrOYsk^ schon Artikel in die „Orien-
talische Bibliothek" des berühmten Michaelis. Noch vor Be-
endigung seiner theologischen Studien ward er als Lehrer der
Philosophie und Mathematik in das Haus des böhmischeu
Aristokraten, Grafen Nostitz (in der Folge Statthalters von
Böhmen) berufen, wo Pelzel die Erziehung der Söhne des Gra-
fen leitete. Dieser letztere forderte Dohrovsky zum Studium
der böhmischen Geschichte und Literatur auf, und die Anregun-
gen Felzel's und Durich^s legten den Grund zu den Arbeiten
und zn dem Kuhme Dobiovsky's. Im Hause der Nostitz ver-
brachte Dohrovsky die besten Jahre seines Lebens, 177U — 87;
wegen seines feinen und vortrefflichen Chaiakters ward er zum
Liebling der Familie und kam hier mit den besten Männern
seines Vaterlandes in Berührung. Bald begann er seine gelehr-
ten Untersuchungen auf dem Gebiet des böhmischen Alterthuma
und der Literatur; in ihnen zeigte sich eine kiitische Kraft, die
ihm in kurzer Zeit grossen Gelehrtennif brachte. Im Jahre 1783
wnrde er unglücklicherweise auf der Jagd durch einen Schuss
in die Brust gefährlich verwundet; man heilte ihn, aber die
Kugel blieb im Körper, — diesem Umstand schrieb Dohrovsky
die Geisteskrankheit zu, die ihn iu den spätem Jahren perio-
disch befiel. Im Jahre 1786 Hess er sich zum Priester weihen,
um das Rectorat des „Generalseminars" zu erhalten; aber die
Stellung vmr nicht von langer Dauer, da nach dem Tode Jo-
seph's II, alle Generalseroinare aufgehoben wurden; Dohrovsky
fand abermals seine Zuflucht bei den Nostitz und widmete sich
ausschliesslich seinen historischen Arbeiten über Geschichte
des Slaventbums, über das böhmisch - mährische Alterthum und
dessen Literatur.*
' Wir verzeichnen einige eeiner Werke. Sein erster Yersnoh war : „Frag-
mentnm Prsgense evangelii S. Harci, vulgo autographi" (1778) wo er aaoh-
wies, dase die Handschrift dieses Evangelinrns , welche in Frag aufbewahrt
wurde and für ein Autograph desAposteU galt, dnrchans nicht von diesem
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186 FüDftcB Kapitel. I. Die Ceuhen.
Im Jahre 1791 wohnte der Kaiser Leopold, nach seiner Krö-
nung in Frag, einer Sitzung der gelehrten Gesellschaft bei (ein
Jahr vorher war ihr der Titel „königlich" verliehen worden)
und Dohrovsk^ sprach in der von ihm dabei geleeenen Bede die
Bitte aus, dasB der König „das Öechi&che Volk bei seiner Mutter-
sprache, diesem theuem Erbe der Vorfahren, gegen Vergewaltig
gung schützen möge". Im Mai 1792 begab sich Dobrovsky im
Auftrag der Gesellschaft nach Schweden, um in den dortigen
Bibliotheken nach Handschriften zu suchen, welche die Schwe-
den im DreissigjährigcD Kriege aus Böhmen und Mahren,
besonders aus Prag im Jahre 1648 mit fortgeführt hatten,
doch waren die Recherchen nicht sonderlich erfolgreich,' Aus
Schweden reiste Dobrovsk]? nach Petersburg und Moskau, was
für «eine Studien sehr wichtig war, und kehrte im Februar 1793
zurück. Im folgenden Jahre reiste er mit seinem Zögling in
Süddeutschland und nach Venedig , femer bereiste er allein
Oesterreich und Ungarn, und Böhmen durchwanderte er kreuz
und quet zu Fuss, Im Jahre 1795 traf ihn zuerst ein Anfall yon
Geisteskrankheit, mit der er lange zu thun hatte, zu seiner
Heilung beschäftigte man ihn mit Gartenbau und Botanik —
dies wirkte wohlthätig auf ihn, und er schrieb später sogar
nicht ohne Erfolg über Botanik. Seit dem Jahre 1803 lebte
er in Prag und war Gast bei seinen aristokratischen Freunden,
den Nostitz, Sternberg, Öerni'n. Die gelehrten Arbeiten über
das höhmische Alterthum sowie über die (Sechiscbe und slaviEcbe
Sprache nahmen ihren Fortgang und erlangten die Bedeutnug
einer grossen wissenschaftlichen That.^ Seine Grammatik der
geechrieban sei. Vod 1779 ao gab er in Heften hereaB: „Die Böhmisclte
Literatur", „üeher den Ursprung des Naroeiu Techeoh" (1782, bei Feliel'i
Qescbichtc üübmena); „H iBtoriiich-kri tische Untereuchnngeii, woher die SlaTcn
ihren Namen erhalten haben" (1T84, in „Abhandl. einer PrivatgeBelUchaft'');
„Deber dio ältesten Sitze der Slaven in Europa" (1788, bei Monoe's Ge-
BOhichte Mährens); „Geaohiohte der böhmischen Sprache und Literatur'
(1791, in den Abhandlungen, und begonders in neuer Bearbeitui^, 1T9S).
1 In unserer Zeit wurden sie von Beda Dudik TerrollEtändigt; vor
einigen Jahren sind die Handschriften selbst von Schweden znrückgegeb«ii
worden und befinden sich jetzt in Brunn.
° „Kritische Versuche, die ältere böhmische Oeschit^tc von sp&tem Er-
dichtungen zu reinigen" (1803 — 19); „Lehrgebäude der böhmiichen Spncfae"
(1809, 1819); „Entwurf eu einem allgem. Etjmologikon dar aUviBidian Spn-
ü,g :.._.. ..Google
Joseph. DobrovBkJ. 187
(iecbischen Sprache diente als Muster, nach welchem die Gram-
matiken anderer slavischer Dialekte hcarbeitct wurden. Mach
der Stiftung des Böhmischen Museums, 1818, nahm Dobrovsky
von Anfang an theil an der Yerwaltung desselben und später,
seit 1827, an den vom Museum veranstalteten Publicationeu.
Im Jahre 1822 erechien sein bedeutendstes Werk — die erste
Bestaurirung der altslaTischen Sprache: „Institutiones linguae
slavicae dialecti veteris" (Wien). Im Jahre 1828 hatte er einen
Denen Anfall seiner Krankheit, sein allgemeiner Gegundheitszu-
stand begann zu sinken, und er starb im Januar 1829.^
Dobrovsky erwies der 6echischen und überhaupt der slavi-
sehen RenaissaDce grosse Dienste. Durch seine historisch-philo-
logischen Untersuchungen warf er zum ersten mal Licht auf das
slarische Alterthum, zeigte den engen verwandtschaftlichen Zu-
sammenhang der Stämme und Dialekte und die Möglichkeit einer
nationalen Forschung, that sehr viel zur Fixirung der £echischen
Sprache. Seine Arbeiten hatten schon einen gesammtslaviscben
Charakter und übten eine mächtige Wirkung ans. Das cechisctie
Nationalgefuhl begann sich auf die allgemein-slavische historische
Grundlage zu stützen. Ihn erkannte man als den Patriarchen der
slavischen Wissenschaft an. Aber die Resultate seiner Wirksam-
keit waren zum Theil umfassender, als er erwartet, oder ganz
anderer Art, als er sie vorausgesetzt hatte. Gerade die Be-
lebung der ^echischen Literatur, welche seinen Arbeiten so viel
zu danken hat, erschien ihm selbst als ganz fem oder gar als
unmöglich — ausser etwa im Bereich der populären Literatur;
eben" (1814); „GeBchiohte der böhm. Sprache uad altem Literatar. Ganz
oingearbeitete Ausgabe" (1818); „CyriU und MetKod, der Slaven ApoBteV
(1823); „Die Mährische Legende von Cyrill and Method" (1827). Zwei
Bände gesaminelter historiBch- philologischer UnterBuohungen ; „Slavio"
(1806, und dazu Olagolitica, 180T) und „Slovanka" (1814, 1815).
' F. Palttoky, „Joseph Dohrovsk^'s Lehen und gelehrtes Wirken"
(Prag 1833); dasselbe russisch von A. CarBkij (Moskau 1838). J. Hauul,
JLitet&CDi pfisobeni Jos. Dohrovskeho " (io den Denkscliriftea der böhm.
Gesellschaft der WisseuBohaften, 1867- Bd. XT). Erst in den letzten Jahren
sind Bruchstücke seiner Correspondenz gedruckt worden, z. B. mit Uanka
(im Casopis, 1870), mit Kopitar, Jak. Grimm u. a. (in Jagii's Archiv, Bd. 1,
II, IV und in der Correspondenz Vostokov's im „Sbom. Akad." V. St Pe-
tersburg 1873). Vgl. noch Ä. Vrtätko, „Hsnka a DobrovskJ v pomSru
k sobS etc." (Casopis 1871).
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Igg Fünfte» Kapitel. L Die Öeohen.
das böhniiscbe Altertbum, die Geschichte, die Sprache erschie-
nen ihm nur als Gegenstand TrisBenBchaftlicber Untersachung:
,4asst die Todten in Ruhe", sagte er und schrieb ft^t ausschUesG-
Hch deutsch, auch lateinisch, aber nur eehi* wenig cecbisch.
Allein die wissenscbafitliche Untersuchung brachte nicht bloss
einen Gewinn in abstracto, wie Dobrovsky meinte, andere führte
die Sache weiter schon mit offenen nationalen Zielen, die in der
Oeffentlichkeit und im Volksleben immer mehr Raum einzaneh-
men begannen: als Stütze dienten die wissenschaftlichen Arbeiten
der Josephinischen Periode, in denen DobroTsk^ der oberste
Rang zukommt.
Neuere öechische Schriftsteller ^ bedauern eine Schwäche Do-
broTsk^'s, den reizbaren Starrsinn, mit dem er sich neuen
Ansichten widersetzte, und den sie theilweise ans seiner Krank-
heit erklärten. Als Beispiel wird die „ bedanerliche Thateache"
angeführt, dass Dobrovsky scharf gegen die „ältesten Denk-
mäler der £echibchen Literatur" auftrat, die damals eben ent-
deckt wurden und „am meisten zur Belebung und Verjüngung
des Volksgeistes beitrugen", besonders gegen das „Gericht der
Libusa", welches er für das Werk eines zeitgenössischen Fäl-
schers hielt; dass er gegen dasselbe auftrat, ohne es noch
gesehen zu haben. Aber dieselben Schriftsteller geben auch
zu, dass man „ihm mit Unrecht den Vorwurf gemacht habe,
als sei er einer bessern Ueberzeugung ganz unzugänglich ge-
wesen , — was auch dadurch bewiesen werde , dass er im Lauf
deiner Untei-suchungen mehrmals seine Ansicht über viele Gegen-
stände geändert habe"; sie loben an ihm „die wahre Bescheiden-
heit des grossen Geistes", weisen auf seine immer bewahrte
feine Art in den Beziehungen zu andern hin. Danach kann
man seine Feindschaß gegen die „ältesten Denkmäler" der £eohi-
schen Literatur nur damit erklären, womit sie auch tbatsächlich
erklärt wird, mit seiner Ueberzeugung von ihrer Unechtbeit;
mit einer solchen Ueberzeugung konnte sich Dobrovsky ganz
vrofal strenge gegen einen im Gebiete der Wissenschaft und des
Nationalgefühls angestifteten Betrug verhalten, und konnte das
„Gericht der LibuSa" verdächtigen, obwol er es nicht gesehen
hatte, weil er eben seine Leute kannte. Wenn neuere Cechische und
andere slavische Kritiker aufs neue zu der Ansicht Dobrovskj's
' JireEek, Vrtätko, Jak. Malj! u. s
.,Güoglf
Die Zeiten Joseph'» II. Ig9
ztuückkehren , bo erscheint ihnen derselbe jetzt noch mehr
als früher als ein grosser kritischer Geist und reiner Charakter.
Wie vir gesehen haben, waren die Urheber der iechischen
Wiederbelebung in der Joseph) nischen Periode grÖBsteutheils
Geistliche — ohne Zweifel deshalb, weil in dieser Sphäre am
meisten äussere Möglichkeit gelehrter Beschäftigungen vor-
handen war ; das patriotische Gefühl zog zum Studium des
Alterihums hin und der Zeitgeist vertrieb in Oeäterreich selbst
den alten Fanatismus und gab einem freiem Verhältniss zum
Alterthum Baum. Freilich sahen die Behörden auch jetzt nicht
ganz T ertrau ensTO 11 auf den erwachenden Localpatriotismus, —
aber jedenfalls waren andere Zeiten gekommen. Die nationale
Bewegung erstarkte noch mehr, als das Bewusstsein vom Er-
wachen des Gesammtetammes, von dem gesammtslavischen Zu-
Bammenhange auftauchte and den einheimischen Bestrebungen
ZQ Hülfe kam.
Von dei' Josephini sehen Zeit an äusserte sich die Renaissance
in einer ganzen Reihe literarischer Erscheinungen, die das alt-
mähliche 'Wachsen derselben anschaulich vor Äugen stellen.
Anfangs waren es gelehrte Untersuchungen, die sich anf das
böhmische Alterthnm und die böhmische Geschichte richteten;
dann kam die eifrige Vertheidigung der literarischen Bedeutung
und der Rechte der ^chischen Sprache; ferner neue Ausgaben
der alten Literatur, die ihre frühern Reichthümer zeigen und die
unterbrochene Tradition erneuern sollten; endlich eine neue lite-
rarische Thätigkeit.
Oben sind die zahlreichen Arbeiten gelehrter Historiker an-
geföhrt, welche von Dobrovsky zum Abschluss gebracht wurden.
Die J^chische Sprache aber war so vulgär geworden, dass sich
die Patrioten genöthigt sahen, ihre Rechte zn vertheidigen,
Achtung vor ihr zu fordern, zuzureden, man möge sie sprechen
und schreiben aus Liebe und Ächtung für die Heimat. Im Jahre
1774 gab Graf Franz Kinsky darüber eine deutsche Schrift
heraus'; 1775 druckte Pelzel, wie früher erwähnt, die „Apo-
logie" Balbin's; 1778 gab der Augustiner Joseph Täborsky eine
kurze Beschreibung des 6echischen Landes in alter und neuer
Zeit heraus, und im Vorwort ermahnt er seine Landsleute, die
' „Erinneningen eines Böhmen über eioen wichtigen Gegenstand"
(1774).
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190 Fünftes Kapitel. I. Die Öeuhen.
Heimat und die heimische Sprache zu lieben'; 1783 gab Ksri
Tham eine warm geschriebene Schrift über diesen Gegenstand
heraus', der von da an zum gewöhnlichen Thema der patrio-
tischen Erbauungen wird, u. s. w. Um eine Lektüre in der vat^-
ländischen Sprache zu geben und zugleich an das ruhmvolle
Alterthum zu erinnern, begann man Werke der alten Literatar
zu drucken. Pelzel gab ansser Balbin's Apologie die „Abenteuer"
des Vratislav von Mitrovic heraus (1777); Faustin Prochäzka in
den Jahren 1786 — 88 eine ganze Reihe alter Bücher: die Buna-
lauer Chronik (Dalimil), die Chronik Pulkava'e, die Reise Prefit's
von Vlkanov nach Venedig und Jerusalem; Tomsa druckte die
"Werke Lomnicky's; 1782 ward Komensk^'s „Labyrinth der Welt"
herausgegeben n. s. w. Dobrovek^ begann Untersuchungen über
die alten Denkmäler, und in den Publicationen Hanka's eracU«-
nen mannichfache Texte aus altöechiscben Handschriften („Sta-
robylä Skladanie" u. a.)
Schon mit Ende des vorigen Jahrhunderts taucht ein gan-
zer Kreis patriotischer Schrifteteller auf, welche eiMg an der
Wiederherstellung der Literatur arbeiteten. Dahin gehören ausser
den früher erwähnten: Johann RuUk (1744^1812), WenzelMat-
thias Kramerius (1759 — 1808); Johann H;^bl (1786—1834);
Karl Ignaz Tham (1763-1816), der die erwähnte „Vertheidi-
guttg" schrieb, und sein jüngerer Bruder Wenzel; Anton Jaroslar
Pnchmayer (1769—1820); Adalbert Nejedly (1772— 1844)nnd
seinBruder Johann (1776— 1835); Sebastian Hnevkovst^ (1770
—1847); der oben erwähnte Franz Johann Tomsa (1753—1814),
der unter audemi eine fUr ihre Zeit wichtige Schrift über die
historischen Veränderungen der dechischen Sprache verfaaste.'
In Mähren: Hermann Gallaä (1756—1840); Thomas Frydaj,
1759—1839); der Planst Dominicus Kinsky (1777—1848). Bei
denSloraken: Bohuslav Ta,blic, Georg Falkovid u.a., tob
denen weiterhin die Rede sein wird.
' Kratke Wfpg&nj ZemS Cleske, uieb Zuämost wwech Uht, HMcB,
Hrada, Zimka n. s. w. (Prag 1778; mit dem Motto: Tarpe e«t pertgri-
nam esBe in pstria).
* „Obraaa jazjka Ceekäbo proti zlobiv^ jelio utrhaSäm" (1783). Der
mähriBohe Gelehrte und Publicist, Haoke von Hankenstein, gab ebenhll'
ilnmalB eine „Empfehlang der bühmiBchen Sprache" (1762, 1783) lieraai.
' „Ueher die Veränderungen der ^cchiscLeD Sprache, nebst einer feob.
Chrestomathie" (1801).
.....Gooj^lc
Die ersten Schritte der Literatur. 191
An diese Scbrifteteller scIilieBsen sich unmittelbar die folgen-
den Generationen an. Zu thun gab es viel. Die zunächst vorlie-
genden Anfgaben: die Vertheidigung der Existenzberechtigung der
Sprache nnd der NationaUtät, die Restaurirung dar Vergangen-
heit, verlangten auch in der zweiten Generation Arbeit; endlich
war es nothwendig, eine neue Literatur zu schaffen, die den
wirklichen Bedürfnissen des Volkes, den herrschenden Formen
und dem Inhalt der neuem Zeit entspräche, die Sprache zu bil-
den u. s. w. Unter den genannten Männern gab es kein Talent
ersten Ranges, es waren Leute mit den bescheidensten Fähigkeiten,
aber ihre Aufgabe war populär nnd sie waren von patriotiBchem
Eifer erRillt. Sie gaben alte cechiscbe Bücher heraus, verfassten
Grammatiken und Wörterbücher, — wie, nach Dobrovsky, Tomsa,
Karl Tham; gaben unterhaltende und belehrende Schriften für das
Volk heraus, — wie besonders Kramerius', übersetzten aus frem-
den Literaturen; riefen 6echische Zeitungen und Journale ins
Leben, — wie Kramerius, Rulik, Johann Nejedly („HIasatel");
machten Versuche eines dechischen Ibeaters, — wie die Brüder
Tham, von denen der jüngere, selbst Schauspieler, viele Stücke
für das beginnende Theater schrieb, Komödien sowol wie patrio-
tische Dramen (vlasteneckä hry), wie sie damals schon aufkamen,
and endlich vieles aus dem Deutschen, Französisclien und Ita-
lienischen übersetzte. Es beginnen die eigentlich poetischen Ver-
SDcbe von Wenzel Tham^, besonders aber die Gedichte Fucb-
mayer's, der das Haupt der ersten neu^echischen Dicbterscbule
wurde, und dem sich Hnevkovsky, Adelbert Nejedly, Joseph
Rantenkranz u. a. anschlössen. Diese Poesie war durchaus nicht
selbständig, fand auch dazu keine Stütze, weder in grossen Ta-
lenten noch in der Ueberlieferung : die alte Literatur lag zu
fem und gab keine Nahrung für die neue Zeit; die Volkspoesie
galt noch nicht der Beachtung werth; es blieben nur fremde,
besonders deutsche, pseudoclassische Muster übrig, mit belehren-
der Tendenz. Das Publikum war noch wenig zahlreich, wenig
vorbereitet, in den Anforderungen sehr bescheiden.
Am nächsten lagen deutsche Muster: Büi^er, Gleim, Weisse,
auch Goethe und Schiller. Zu Anfang unsers Jahrhunderts
' Tgl. die Schrift von Ad t. Rybi&ka „iivot a pSBobem' V. M. Eraroe-
riiwa" (Prag 1869).
* „Buna V feil v&zane" (1785), nnoh sehr schwach.
.u.,GüOg[f
192 Ffinftee KapiUl. I. Die Öeohen.
beherrschte den (jeschmack in der iechischen Poesie die Geas-
ner'sche Idylle: Gessner wurde übersetzt von Jobann Nejedl/,
Dlaba6, Hanka, Chmel; man liebte anch Florian, übersetzte
Theokrit , femer Young's „Nacht^edanken " , MontesqoieD's
„Tempel Ton Knidos"; es gefiel die moralieirende Idylle und
der MjsticJsmus. In der eigenen Poesie traten anch Idyllen-
dichter auf und dank dieser Richtung hatten die sentimentalen
Lieder Hanka's grossen Erfolg . . . Dieses Vorherrschen der
Idylle war begreiflich. Das Ende des vorigen Jahrhunderts
kannte überhaupt keinen poetischen Realismus; in den populären
Formen der Literatur herrschte die Verstandespoesie vor, das
Gefühl ging in Sentimentalität über, das Volksleben in die Idylle.
Wie in der russischen Literatur des vorigen Jahrhunderts, so
entsprachen auch hei den Oechen diese Motive vollkommen der
Zeit und der Gesellschaft. Die Gessner'sche Idylle passte vor-
trefflich zu der beginnenden Literatur, zu den bescheidenen An-
forderungen der Gesellschaft, zu dem Bedürfniss des Lesers, in
Büchern Erbauung, sentimentale Träumereien zu finden, nidit
die rauhe Wirklichkeit, mit der man noch nicht zu kämpfen
gedachte. *
Wie in Russland im 18. Jahrhundert war die Literatur voll-
kommen mit sich selbst zufrieden und meinte, dass sie, deutsche
und andere fremde Dichter wiederholend, schon grosse Schrift-
steller besitze und keinen Grund habe, jemand zu beneiden.
Die Schriftsteller lobten einander. „Wenzel Tham zeichnet sich
durch Bürger'scben Geist aus. Die Oden Puchmayer's erinnern
an die Erhabenheit des Horaz, in den Fabeln wetteifert er mit
Lafontaine. . . . Die Fabeln Adalbert Nejedly's athmen den Geist
Virgirs, seine Stanzen nähern sich denen Tasso's. Johann Ne-
jedl;^, unser erhabener Cicero, hat bewiesen, dass er ein £echi-
scher Tyrtaus und Alcaus sein könnte. . . . Georg Palkovife könnte
für die Cechen Horaz sein. Bohuslav Tablic wird uns Tibull
und Haller sein. In Ro^naj wohnte der Geist Anakreon's und
Bion^B. ... In der Geschichte hat Professor Kinsky mit seinen
«Fragmenten« gezeigt, dass er den Fusstapfen Tacitua' folgen
werde u. s. w." Mit Unwillen wies man den Vorwurf zurück, bei
< S. die ChiirakieriBtik dieser Zeit hei Jirefek: „0 Btavn literatar;
Ceske V letech 18ir.-2Ü" (Casopis 1878); Ferd. Schule über die Eooh, BU-
Inde und Romanze (im Journal „OflT^ta", 1877).
...., Google
Die ersten Schritte der Literatnr. 193
den Cechen „gäbe es blBher keinen Homer, Petrarca, Cämoens,
Milton, Klopstock", weil jedes Volk doch etwas Eigenes habe,
vas kein anderes Volk besitze.'
In der ersten Zeit musste noch eine bedeutende Schwierig-
keit überwunden werden. Gleich von Anfang an stellte sich
eine Frage ein, die dann lange die £echiscben Schriftsteller be-
schäftigt hat, — die Frage der Sprache. Die Schriftsprache
war stehen geblieben, wie sie der Verfall der Literatur im
iT. Jahrhundert getroffen hatte; theils war sie sogar vom Volke,
ias lange keine Bücher hatte, vergessen, tbeils verdorben durch
die Schrißgelehrten des 17. — 18- Jahrhunderts, und, jedenfalls
war sie nicht ausreichend für die neuem Begriffe. Wenn so-
nach die Literatur nicht hinter der Zeit zurückbleiben oder
über das Elementarbnch hinausgeben wollte, so war es DÖtbig,
eine neue Sprache zu schaffen. Die cecbiscben Schriftsteller
beschäftigten sich eifrig mit dieser Angelegenheit; aber schon
bald kamen Streitpunkte zum Vorschein. Die einen (an ihrer
Spitze Jobann Nejedly, der Nachfolger Pelzel's auf dem Lehr-
stuhl der techischen Sprache an der prager Universität) mein-
ten, die neue Literatur müsse ohne Veränderungen die Sprache
der Zeiten Veleslavi'n's — des alten „goldenen Zeitalters" —
annehmen ; andere fanden, dass, durch welche Vorzüge sich auch
jene Sprache zu ihrer Zeit ausgezeichnet habe, sie doch für
die Gegenwart ungenügend sei. Ein streitiger Punkt war auch
die techische Versbildung; die einen, wie Dobrovsky, legten ihr
den Accent zu Grunde, die andern vertheidigten die metrische
ProEodie; auch kam es zum Streit über die Rechtschreibung.
... Nach vielen Anstrengungen, Zweifeln, Fehlern gelang es
den öechischen Schriftstellern, schon in der neuen Generation,
die Hauptgrund lagen der Literatursprache festzustellen; nach
einigen Jahrzehnten war die Cechische Sprache schon reich
genug, um in befriedigender Weise sowol dem Dichter wie dem
Gelehrten zu dienen. Aus nationaler Eitelkeit wurden die cechi-
schen Schriftsteller extreme Puristen: ihnen beliebte es, alle
Denen Begriffe, die in die Literatur zu bringen waren, mit öechi-
schen Worten anszudrücken , und sie bildeten sogar in denjeni-
> Das alles findet skh inderSohnft von 8eb. Hnivtiovsk^, „Zlomky
o 5««kem bäanictvi (Prag 18S0), und seine Augicht bildete darclisue keine
AtuDahme in seiner literarisohen Schule.
Ptfiw, SUTlHb« LiMrManD. n,S.
ü?._., Google
194 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
gen wissenschaftlichen Gehieten, wo alle europäischen Völker
unbedenklich griechische, lateinische u. e. w. Worte annehmen
(z.B. Physik, Chemie, Botanik, Geologie u. s. w.), eine neue
Terminologie aus volksthiimlichen Worten, denen sie einen
neuen Siun gaben, und übersetzten überhaupt (oft buchstäbUch)
fremde Worte, besonders deutsche, sodass in der ersten Zeit —
und noch ziemlich lange nachher — die neue Literatursprache,
die vysoka £eltina (das Hochöechisch) selbst für die (^ecben,
welche nur die gewöhnliche Umgangssprache kannten, wenig ver-
ständlich war.
Dieses Resultat, die Bildung einer neuÖecbischeD Literatur-
sprache, gehört schon der zweiten Periode der cechischen Wie-
derbelebung an. — Die Torhereitende Periode, von der wir
bisher sprachen, ging nicht umsonst vorüber: in der folgenden
Generation treten wirkliche Talente in der Poesie, bedeutende
Arbeiten in der Wissenschaft auf, das Niveau des Nationai-
bewusstseins hebt sich, die Interessen der Gesellschaft selbst
wachsen.
Ungefähr voinjalire 1820 an reebnen die Cechischen Schrift-
steller im allgemeinen die zweite Periode der „Renaissance".'
In dieser Zeit betreten in den Reihen der neuen Generation
Männer den Schauplatz, welche später als grosse Gelehrte und
I Das iutereBBMite Schickssl der EechiBohen RenaiBsauoe hat nocb nicht
Beine zusaiDineiifBsaeDde Geschichte. Den VerBaoh einer golohen Geschiclite
vom Anfang des 19. Jahrhunderts an bilden die Schriften von Jak. M>l^
„Zpomfnky a livahy stareho vlastenoe" („Erinnerungen und Betrachtangen
eines alten Patrioten" Pr^l8T2; eine Zeit in Oesterreich verboten; meriwh in
„Slav. Ezegodnik" II., Kiew 1877) und „Naäe znovuzrozeni" („Unsere Wieder-
belebung, UeberBicht des feuhischen Volkslebens nährend der letzten tvatäg
Jahre", Prag 1880). — Reiches Material zu einer solchen Geschichte vüiden
die Biographien der öechischen Schriftsteller geben. Der allgemeine Gwg
der politischen Ideen im öaterreicbischen Stsventhnm mit ihren Befielen in
der Literatur ist sehr anschaulich und unparteiisch in den Arttkehi tob
Job. Perwolf dargestellt: „Slavjanskoe dviienie v Avstrii 1800—1848 g."
(„Die slavische Bewegung in Oesterreich 1800—1846", Russk. B« 1879,
Heft 7—9). Die Bewegung des Jahres 1848—49 ist von demselben eirihlt
in „TSstnik Evropy" 1879, 4. Heft.
D,9:.z.a., Google
Gründung des BötunischeD MuBeamt. 195
Dichter berühmt waren — Jungmann, Safafik, Palacky, KoJlär,
Celakovslty; es bildet sich ein Gentrum der literansch -patrioti-
schen Thätigkeit durch die Gründung des Böbmischen Museums;
einen starken Eindruck machte die Entdeckung alter Denkmäler
der (echischen Literatur.
Das nationale Interesse, geweckt durch die Führer der Jose-
phinischen Periode und ihre nächsten Nachfolget, breitete sich
allmählich in der Gesellschaft aus. Das Nationalitätsgefübl
ist in den Massen sehr langlebig, vielleicht noch mehr dort,
wo ein Volk von ganz fremden Elementen, die es immer an
seine Besonderheit erinnern, umgeben und mit ihnen veräochten
ist; selbst nach jahrhundertelangem Druck kann es erwaohen
und aufs neue die Geister beleben, sobald sich ihm nur ein
Stützpunkt bietet. In der Josephinischen Periode blitzte es so-
gar in der höhmischen Aristokratie auf, so verdeutscht sie auch
war: die Restauriiung des Alterthums konnte für sie nur etwa
ein genealogisches Interesse haben, nichtsdestoweniger fanden
sich im Kreise der Aristokratie einige Mäcene, deren gesell-
schaftliche Stellung die nationalen Unternehmungen förderte.
Aber das Haupteon tingent der Patrioten sammelte sich aus
der mittlem, weniger germanisirten Klasse und vor allem aas
der Klasse der Laudieute, wo sich die ^chische Nationalität
am meisten erbalten hatte. Aus der Landbevölkerung gingen
viele der bedeutendsten Vertreter der neuöechischen Literatur
hervor.
Eine besondere Unterstützung gab dem national-patriotischen
Gefühl die Gründung des Böhmischen Museums. Im Jahre
1818 erliess Graf Kolovrat Libsteinsky einen Aufruf an die
„vaterländischen Freunde der Wissenschaften", und das Museum,
auf Subscription eröffnet, bereicherte sich bald durch zahlreiche
Spenden an Büchern, alten Handschriften, Antiquitäten, natur-
wissenschaftlichen Sammlungen u. s. w. Graf Kaspar Sternberg
war der erste Präsident der gelehrten Gesellschaft, welche sich
beim Museum bildete.' Ins Museum gelangte unter andern die
Königinhofer Handschrift und in demselben Jahre ward das
' Die Geschichte des Mueeuma ward von V. MebeskJ verfssst und
1S6S denUoh ODd techisch beim fünfzigjährigen Jabilänm der Gründang
dfla Hosenms herauBgegeben ; Sreznevskij, „Vospominanija o CeSikom Mn-
zei" {ZapUki Akod. Nauk 1869, XIV. Bd.).
18*
hr^...,L,oogk
196 Fünftes Kapitel. I. Die Öeolieii.
„Gericht der LibuSa" diesem zugesandt. Um dae Museum con-
centrirte sich die gelehrte Thätigkeit; in den zwanziger Jahren
begann die Museums -Gesellschaft ihre Zeitschrift herauszugeben,
die noch jetzt fortbesteht unter dem Titel „Öasopis Ceskeho
Museum" und viele Materialien und Untersuchungen über die
^cbische und slariscbe Literatur und Geschichte bietet.' Im
Jahre 1830 wurde bei der Museums-Ges^schaft eine Abtheilnng
für VervollkommnuDg der 6ecbiecben Sprache und Literatur er-
öffnet, und zur Herausgabe guter öechischer Bücher eine be-
sondere. Verlagsanstalt unter dem Namen Matica (1831) ge-
gründet; der Gedanke selbst und die Bemühungen um seine
Verwirklichung gehören hauptsächlich einem zweiten Sternherg,
I<Yanz, an.
Die Entdeckung der Königinhofer Handschrift und des „Ge>
richts der Libuäs" brachte einen um so starkern Eindmck her-
vor, als die patriotische Begeisterung gerade damals Nahrung
für den Nationaletolz suchte. Die neuere Kritik findet in diesem
Antriebe auch die Quelle der Entdeckung.
In den letzten Jahren neigen sich, wie wir früher gesehen
haben, die Meinungen der slavischen und selbst ^ecbischen Ge-
lehrten immer mehr der alten Meinung zu, welche von allem
Anfang an das „Gericht der Libusa" und selbst die Königinhofer
Handschrift verdächtigte, von den andern Werken gar nicht zu
reden. Die Beweise Feifalik's, das Schweigen Miklosich's, die
bedeutungsvollen Zweifel Jagi^'s, die gelegentlichen aber treffen-
den Bemerkungen Wocel's, die bibliographischen Tbatsachen,
die Gehauer nachwiess, die kritischen Untersuchungen von Petra-
sevi£, Sembera, Makugev, Lamanskij, Vaäek, die unzweifelhaften
Nachweise der Fälschungen in der „Mater Verborum" durch
Fatera, die Versuche, das Alterthum der „Görlitzer Fragment«"
zu leugnen, die nachgewiesenen neuen Radirungen in der KÖnigin-
hofei' Handschrift, — diese ganze Masse von Argumenten, die
sich besonders in den letzten drei bis vier Jahren angehäuft
haben und von den Yertheidigero der Echtheit der genannten
Denkmäler wenig widerlegt worden sind, nöthigen den unpar-
teiischen Beobachter, sich wenigstens historischer Folgerungen
' „Ukuatel k prvnim 50 roEnikSm Cuopisu Hnsea" a. 8. w. („Kegirtcr
zu den eraten 50 Jatirg. des Csaopis") bearbeitet vom Caatoa der Toi'.-
Bibliothek Wenzel SchuU, Prag 1878.
ü,g:.z.u., Google
Die Entdeckung der alten Denkmäler. 197
Über das cecbische Alterthuin auf Grund jener Denkmäler zu
enthalten.
Allein, was diese Werke auch in den Augen der nenern skep-
tischen Kritik sein mögen, sie wirkten auf den Gang der 6echi-
sclien Wiederbelebung bo stark, als wenn sie echt altertbümlicb
gewesen wären. Da sie bei den Patrioten als solche galten,
da die Zweifel an ihrer Echtheit bei Dobrovskj? der Grämlich-
keit des Alters, bei dem „Mephistopheles" Kopitar der Feind-
schaft gegen die (^echi sehen Gelehrten zugeschrieben wurden,
60 konnte es nicht anders sein, als dass sie das NationalgefUhl
hoben. In der That, das hohe Alterthum von Liedern wie
„ZäboJ" oder des „Gericht der Libuia", das in die heidnischen
Zeiten zurückreicht, zeigt eine alte Cultur, wie sie kein anderer
slavischer Stamm aufzuweisen vermag; die Königinhofer Hand-
schriß, — das kleine Fragment eines grossen Ganzen — eröffnete
plötzlich mehrere Cyklen alter Poesie; ferner die „Görlitzer
Fragmente", die „Mater Verborum" und ziemlich lange sogar
das „Lied unter dem Vysehrad" und das Lied des Königs Wenzel
— alles das bildete einen Gegenstand nationalen Stolzes und
in den Literaturen anderer Stämme erkannte man diesen als
ganz berechtigt an. Die slavische Nationalromantik, welche
sich damals der Erforschung und Verherrlichung des Alterthums
zuwendete, fand im „Gericht der Libusa" und in der Königin-
hofer Handschrift eine ihrer besten üeberlieferungen. Die Dich-
tungen wurden auch in der europäischen Literatur bemerkt,
wo man früher von Vuk's serbischen Liedern entzückt war.
Goethe, das Orakel der deutscheu Literatur, erkannte die hohe
Bedeutung der Königinhofer Handschrift für die Cecbische Ent-
wickelung an, und dies konnte die Feinde der nationalen Be-
wegung zurückhalten. Der Einfluss dieser Denkmäler auf die
cechische Literatur unterliegt keinem Zweifel. '
Als die ersten Zweifel vergessen waren, benutzten die cechi-
schen Historiker kühn diese Wirkung und vriesen mit Unwillen
die skeptische Kritik zurück, besonders als Feindseligkeit gegen
die £echische Nationalität.^ Die Sache nahm jedoch eine andere
'Vgl. Nebesky, „Kralodv. Rukopia", S. 141 u. f.
'Aus einer Menge von Beispielen führen wir die Worte V. Zelen^'s
an, in dem Artikel über die {echische Literatur, Slovnik Nau&n^, II. Bd.,
1. Abth. S. 432: ;,Ea ist kein Wunder, daSB diejenigen, welolie, von Uasa
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198 Fünftes Kapitel. I. Die Öscheu.
Wendung, wenn die Kritik richtig war. Die Gegner der Denk-
mäler konnten darauf hinweisen, und haben ea zum Theil ge-
than, dass sich diese Angelegenheit Bchliesslich als ein grosser
Schaden für die 6echi8che Literatur herausgestellt habe. Gleich-
viel in welcher Ausdehnung, es sind Fälschungen nachgewiesen;
sie waren freilich eine pia frans, aber ihr Verschweigen oder ihre
Yertheidigung erzeugt einen peinlichen Eindruck, um so mefar,
als durch sie nicht blos die cechische, sondern überhaupt die
slaTische Erforschung des AlterthumB verdreht worden ist und
eine illusorische Vergangenheit geschaffen wurde, welche die
Geister von den wirklichen Vorzügen und wahrhaft bedeutsamen
Erscheinungen des £echiscben Alterthums ablenkte.
Man muss wünschen, dass sich die patriotischen Gelehrten
unter den Cechen aufrichtig bemühen werden, die Sache siue
ira et studio klar zu legen, was sicher nur zum wahren Nutzen
des (echischen Nationalhewusstseine dienen wird.
Zu Ende des 18- Jahrhunderts, als sich die ersten nationalen
Bestrebungen zeigten, und noch in den ersten Jahren des
19. Jahrhunderts bemächtigte sich der ^echischen Patrioten
mehrmals schwerer Zweifel — ob sie nicht Zeugen der letzten
Tage ihres Yolksthums seien; aber dies hinderte sie nicht, trotz-
dem angestrengt zu arbeiten; nach der richtigen Bemerkiiog eines
dechischen Historikers leitete sie das „edle Gefühl der Pflicht",
bis zur letzten Minute bei ihrem Volke zu stehen, und, wenn
möglich , den ihm drohenden Untergang abzuwenden. Diese
Thätigkeit, fast ohne Hoffnungen, aber mit tiefer Anhai^lichkeit
an das eigene Volk, wenn auch in seiner letzten Stunde, flösst
grosse Hochachtung ein, und es sind jetzt viele der Meinung,
dass die Urheber des Werkes am Ende des vorigen Jahrhunderts
(wie Dohrovsky) stärker an Geist und Charakter waren, als ihre
populären Nachfolger in nnserm Jahrhundert.
Die ersten Schritte der neuen 6echi&chea Literatur waren
schwach und schwankend, aber die angestrengte Arbeit der Pa-
trioten bewirkte, dass die Nation erwachte. Ausser den innem
geblendet, bei den Blavischan Tölkern jede originale Bildung leugnen, Tor
allem ihre Pfeile gegen diese kostbare Huidsobrirt (d. i. die KöDigiiihof«r)
riahten, als das beredteste Zeuguisa der slavisclien Bildung."
...., Google
JoBepli Jungmonn. 199
Umstandeu, welche wir erwähnten, hatten darauf ohne Zweifel
auch äussere Ereignisse Einfluss — nämlich die Bewegung in
der slavischen Welt, welche auch bei den Cecheu Stammessym-
pathieu und Hoffnungen weckte: die rusaisch-französischen Kriege
und die Be&eiung Serbiens.
Im dritten Decennium des 19. Jahrhunderts, als Dobrovsky
seine Laufbahn endete, wirkte iu der öechiechen Literatur schon
eine ganze Reihe Schriftsteller, die in dem Erbe der Vorgänger
eine feste Grundlage für weitere Arbeiten fanden, und obgleich
der Zweifel einige von ihnen beschlich, arbeiteten sie im all-
gemeinen doch schon mit bestimmten Hoffnungen für die Er-
weckuDg der Nationalität. Unter ihnen waren schon oftmals
echte Kinder des Volkes, die nach Absolvirung der Schule die
Reihen des gebildeten Mittelstandes vermehrten und ihm ftische
Völksthümlichkeit einimpften; beim Betreten der literarischen
Laufbahn vergaesen sie nicht die Bedürfnisse des Volkes und
sollten für dasselbe als die Quelle der nationalen Kraft. In
der Stimmung der Fühi-er jener Zeit war viel Idealismus, der
geduldig arbeiten half für ein hohes Ziel, ohne sich von den
Schwierigkeiten beirren zu lassen; die Liebe zur Nationalität
war mit Sentimentaliät gefärbt und gestaltete eich zu einer
romantischen Theorie. Es waren die Zeiten der Heiligen Al-
lianz; ein politisches Leben existirte nicht, um so mehr be-
schränkte sich der Patriotismus auf eine friedliche Weckung
des Nationalgefühls, auf die Erziehung der Gesellschaft in diesem
Sinne. Das Gebiet der Bewegung war nicht gross; dafür waren
die noch nicht zahlreichen Schriftsteller nicht durch politische
Meinungen getrennt, sammelten sich im Gegentheil in einen Kreis
unter dem Druck der äussern Verhältnisse. Hier traten die
ersten Panslavisten auf, die entweder die alte Einheit der sla-
vischen Welt historisch restaurirten und ihre gegenwärtigen
Stämme verglichen, oder poetisch die slavische Einheit der Zu-
kunft begrüBsten. Dies lenkte auf die ^echische Literatur die
Aufmerksamkeit der slavischen Patrioten der andern Stämme —
— und bildete ihr neues historisches Verdienst,
Das war der Charakter der zweiten Periode der iechischen
Kenaissance. Wir wollen bei den hauptsächlichem Förderern
derselben verweilen.
Der älteste von ihnen war Joseph Jungmann (1773 — 1847).
Er war der Sohn eines Leiheigenen, der Küster war und sich
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200 FünfteB Kapitel. I. Die Cechen.
auch mit dem Schulimacherhandwerk beschäftigte. Die Heimat
Jungmann's, Hndlitz, war eine Besitzung der Fürsten Färstenberg
und Jungmann erhielt eret 1799, beim Eintritt ins Lehramt, die
Urkunde, welche ihn und seioe Kachkommen von der Leibeigen-
schaft befreite. Er besuchte erst die deutsche Schule der näch-
sten Stadt, dann das Fiaristengymnasium zu Prag, zuletzt die
prager UniTersität, in eehr bedrängteu materiellen VerhältnisseD;
schon auf dem Gymnasium gab er Unterricht, um sich uod
später noch zwei jüngere Brüder zu erhalten. Auf der UniTcr-
sität absolvirte Jungmann zunächst die philosophische Facultst,
dann die juristische, in der Absicht, sich die juristische Garriere
zu sichern; seine Studien beschloss er 1799. Die Universität war
damals eben erst nach der Aufhebung des Ordens der Verwal-
tung der Jesuiten enthoben: in der philosophischen Facultät
blieben noch drei Professoren, welche Jesuiten gewesen waren
(Cornova, Strnad, Vydra), die, wenn sie auch nicht ihre Ideen
aufgaben, doch Öechische Patrioten waren und nützlichen Ein-
fluss auf die Erziehung Jungmann's ausübten. Andererseits
waren unter den Professoren auch Vertreter der aufgeklärtfin
Ideen vom Ende des vorigen Jahrhunderts: der Professor der
„schönen Wiesenschaften" war ein Verehrer Hontesquieu's, Rous-
seau'», Hume's, Lessing's u. s. w. Unter dem Einfluss von Pro-
fessoren solcher Art gewann Jungmann Interesse an den euro-
päischen Literaturen ; ausser der deutschen Sprache konnte er
gut französisch und englisch. Die von Jungmann durchlaufene
Schule war deutsch; ei-st im Jahre 1792 wurde an der pr^er
Universität ein Lehrstuhl der öechischen Sprache und Literatur
errichtet. Er war des Deutschen besser mächtig als des Cecbi-
schen, aber als er einmal in der Heimat war, musste er es hören,
wie ihn die Dorfbewohner verspotteten, daes er nicht sprechen
könne, und von da an entscbloss er sich, seine Muttersprache
besser zu lernen. Vom Jahre 1795 an rechnet man den Begion
seiner literarischen Thätigkeit — mit seiner Betheiligung an der
Gedichtsammlung Puchmayer's. So wurde man damale ^«chi-
scber Schriftsteller: inmitten der deutschen Schule formten ihn
die unmittelbaren Eindrücke des Volkslebens, der nationale
Patriotismus, welcher in der Periode Maria Theresia's und Jo-
seph's IL sogar bei jesuitischen Gelehrten erwacht war, und
endlich die Einflüsse der befreienden Literatur des 18. Jahr-
hunderts. Der äussere Lebensgang Jungmann's war sehr einfach;
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Joeeph Jungmann. 20l
es war das Leben einee Pädagogen nnd Gelehrten: er war 1799 —
1815 Lehrer am GymnaGinm zu Leitmeritz, dann in Prag, wo er
bis ans Ende seines Lebens blieb. Gleich bei den ersten Schritten
zeigte er sich als feuriger Patriot: die Schule, an der er Lehrer
war, wurde deutsch gehalten; er begann zuerst freiwillig und un-
entgeltlich die cechische Sprache zu lehren, anfangs auf dem Gym-
nasium, dann am geistlichen Seminar, wo er es mit erwachsenen
Jünglingen zu thnn hatte, die für den kirchlichen Beruf bestimmt
waren; er weckte in ihnen das Mationalitätsgefübl und bereitete
kündige Patrioten vor, — einer seiner Schüler, Anton Marek,
wurde später sein intimer Freund und Mitarbeiter.
Die erste bedeutende Arbeit Jungmann's war eine Ueber-
Eetzung von Milton's „Verlorenem Paradies", begonnen 1800 und
herausgegeben 181L Die Wahl erklärt sich otTenbar durch den
Wunsch, zu zeigen, dass die ihrerzeit ausgebildete, wenn auch
später vemacbläasigte ^chische Sprache doch fähig sei zum
Ausdruck erhabener poetischer Ideen der neuem Literatur, und
Muster dafür zu geben, wie das zu erreichen sei. Er trat als
Neuerer auf: die ersten Förderer der BenaiEsance, wie Pelzel,
Johann Nejedly, Dobrovsky (denen sich spater der Slavak Georg
Falkoric anschlose), waren in der Sprache conservativ, indem
sie darauf bestanden, die neue (!;echische Literatur müsse streng
der Sprache des „goldenen Zeitalters", der Zeiten Veleslavin's
folgen; Juugmann erkannte dies von formaler Seite an, meinte
aber, dass hinsichtlich des Wortschatzes die alte Sprache nicht
im Stande sei, der neuern Bildung zu dienen, wenn sie sich
nicht durch einen Vorrath neuer Worte und Ausdrücke bereichere.
Deshalb bildete er neue Worte, und führte z. B. direct russische
und polnische ein — indem er schon davon träumte (1810, wo die
Vorrede zum „Verlorenen Paradies" geschrieben ist), dass die
„Cechen allmählich der gesammtslavischen Literatursprache ent-
gegengehen müseten". In der Folge ging daraus eine sich lange
hinziehende Polemik hervor.
Eine zweite Arbeit Jungmann's war die später geschriebene,
aber früher herausgegebene Uebersetzung von Chäteaubriand's
„Atala" (1805), die ebenfalls für die Entwickelung der neuen
Literatursprache bedeutend ist.
Im Jahre 1806 gründete Johann Nejedlj ', der Nachfolger
' Uelier iUn siehe den Artikel von Antun Bybiüka, Usvtta, 1877.
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302 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
l'ekel'e auf dem Lehrstuhl der cechischeu Sprache an der Uni-
versität Prag, die erste wichtige Zeitschrift, welche den Fragen
der Literatur gewidmet war: „Hlaeatel (esky" („Cecbiscler
Anzeiger", 1806—1808, 1818). Im ersten Jahi^ang findet sich
ein bemerkenswerthes „Gespräch über die Cecbische Sprache",
wo Jungmann anfangs den Verfall derselben in der Gesell-
schaft darstellt , dann mit grosser dialektischer Gewandtheit
und Kühnheit ihre Rechte auf eine neue Entwickelung ver-
tbeidigt. Die Wirkung dieses „Gesprächs" war so gross, dsss
eben seine Lektüre zuerst das patriotische Gefühl bei Safank
und Palacky geweckt haben soll. Eine andere energische Ver-
theidigung der ^ecbiscben Sprache waren die Artikel Jungmann's
in der Öechischen Zeitschrift, welche 1813—14 zu Wien Johann
Hromädko herausgab. Damals lenkten die politischen Ereig-
nisse die lebhafteste Aufmerksamkeit Jungmann^s auf sich, be-
sonders als der Zusammenstoss Napoleon's mit Russland nahe-
rückte; Jungmann zweifelte nicht, dass die Sache zum Vortheil
des Slaventhums ausfallen, dasa die Kraft des SlaTenthnms auch
das (echische Volk retten werde. Im Jahre 1813, als die Bussen
nach Böhmen kamen, fand Jungmann in den Begegnungen mit
ihnen eine neue Stütze für seinen cechischen Patriotismus. Diese
Ereignisse hohen überhaupt das Nationalgefühl im österreichi-
schen Slaventhum; den Kaiser Alesander, „den grossen flanschen
Monarchen", begrüsste man mit Oden beim Einzug in die „ebenso
slavische Stadt Prag"; der russische General machte beim Ein-
zug der Truppen in Frag dem Abbe Dobrovsky einen Besuch.
„Dieser Krieg hat die Blavische Welt berühmt gemacht", sagte
Jungmann in einem Briefe vom Jahre 1814>
Mit der Uebersiedelung nach Prag erweiterte sich die Tlüitig-
keit Jungmann's durch den grossen peraönlichen Einduss, welchen
er auf die junge Generation ausübte, als Schriftsteller von Auto-
rität, Kenner der Sprache und begeisterter Patriot. Dobroreky
stand der neuen Generation der Schriftsteller ziemlich fem; der
conservative Nejedly, durch seine Stellung von Eiofluss, yerlangte
hartnäckig Beugung vor der alteu üeberlieferaug und Schmei-
chelei für seine Eigenliebe; Jungmann wurde der Führer der
Leute, welche Lust hatten, in der Entwickelung der dechtscben
Literatur weiter zu gehen, sowie Hülfe und Sympathie für ihren
idealistischen Patriotismus suchten. Der Zusammenstoss der
beiden angeführten literarischen Parteien erfolgte in der Frage
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Joaeph JuDgmanD. 203
Über die Rechtschreibung, indem Nejedly die alte BrUder>Ortho-
graphie vertheidigte, Jungmann, Hanka u. a. aber das System
Dobrovsky's verbreiteten. Die Feindschaft Nejedl^'s gegen Jung-
mann verstieg sich bis zu polizeilicher Denunciation. Als die
Entdeckung der „Grünberger" Handschi-ift erfolgte, nahm sie
Jungmann so warm auf, dass ihn Dobrovsky in Verdacht hatte,
an der Fälschung theilgenommen zu haben, von der er selbst
überzeugt war.
Im Jahre 1818 nahm Jungmann den lebhaftesten Antheil an
der Gründung des Böhmischen Museums. Er wollte, dass gerade
das Museum der Förderer der neuen Kntwickelung der ^chi-
Bcleo Literatur werde; das erste Directorium desselben hatte
noch wenig Vertrauen auf die Kraft der öechischen Sprache; die
Herausgabe der Muaeuma-Zeitschrift wurde in zwei Sprächen be-
gonnen, aber Jungmann beharrte bei seiner Ansicht, und im
Jahre 1830 wurde, dank seinen Bemühungen, die „Üechiscbe Ma>
tica" gegründet, als eine besondere Abtheilung des Museums,
die eben zur Entwickelnng der cecbischen Literatur bestimmt
war; der „Oasopis" des Museums begann bald nur öechisch
herausgegeben zu werden, weil die deutsche Ausgabe nicht ging.
Jungmann selbst gründete schon im Jahre 1831 im Verein mit
dem damals jungen, bekannten Naturforscher Johann Presl die
erste wissenschaftliche Zeitschrift „Krok", vor allem mit dem
Zweck, eine öechische wissenschaftliche Sprache auszuarbeiten.
Inzwischen fuhr Jungmann fort zu arbeiten — am meisten an
zwei Hauptwerken, die eine Bedeutung ersten Ranges für die
sich wiederbelebende Literatur hatten und ihn schon lange be-
schäftigten. Das eine davon war: „Die Geschichte der cechischen
Literatur" (1825; 2. Aufl. 1849), eine umfangreiche bibliogra-
phische Arbeit, mit kurzen Nachrichten über den Gang der Bil-
dung, der Sprache und der literarischen Thatigkeit versehen; es
findet sich darin keine wirkliche Geschichte der Literatur, son-
dern es war nur ein reiches Verzeichniss des Materials, das zu
seltener Vollständigkeit gebracht ist. Das andere Werk war das
„Cechisch-deutscbe Wörterbuch" (5 grosse Bände in 4., 1835 —
1839), an dem Jungmann seit 1800 gearbeitet hatte. Dieses
Werk ist nicht nur wichtig im Sinne eines gewöhnlichen Wörter-
buches: es wurde zusammengestellt, als es sich bei den Cechen
um die Schaffung einer neuen Literatursprache handelte, und
Jungmann dachte zugleich mit der Sammlung des vorhandenen
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
204 Fünftes Kapitel. I. Die Ceohen.
Materials auch un eine andere Aufgabe — die Mittel zu schaffen,
welche zuin Ausdruck neuer Ideen dienen könnten. Diese beiden
Arbeiten, die Geschichte und das Wörterbuch, sind die Frucht
eines ungewöhnlichen Fleisses; beide sollten die neue Literatur
mit ihrer historischen Vei^angenheit verknüpfen und beide haben
noch bis heute keinen Ersatz gefunden. Die Arbeiten Jungmann's
hatten sonach eine breite nationale Bedeutung, wie in der Folge
die Arbeiten Safarik's und Palacky'a und stellten seinen Namen
in die Beihe der bedeutendsten Namen der slavischen Wieder-
belebung. •
Die neue Literatur war von solchen Hindernissen, von Uebel-
wollen oder wirklicher Feindschaft der Deutschen und ger-
manisirten Cechen, von Besorgniss und Verdächtigungen der Be-
hörden, von der Herrschaft der deutschen Sprache und in Schule
und Verwaltung, von der Tbeilnahmlosigkeit der Masse umgeben,
dass sich die ersten Förderer der ^echischen Literatur unwill'
kürlich in einen solidarischen Kreis vereinten, wo sie einander
verstanden und die gemeinsame Sache führen konnten. Deshalb
sehen wir, trotz der sehr uugünstigen äussern Verhältnisse in
der Periode der Heiligen Allianz und der Regierung Metter-
nich's, gerade in dieser Zeit eine Reihe energischer Arbeiter in
nationalem Sinne, die auf den verschiedenen Gebieten der Lite-
ratur zur Arbeit und zum Kampf für die Vertbeidigung der Na-
tionalität aufmunterten.
Fast um eine Generation jünger als Jungmann waren die
Schriftsteller, welche im Verein mit ihm der öechischen Wieder-
belebung einen festen Grund legten. Aelter als die andern war
' Von den Werken Jungmann'a nenneit wir noch seine „Sloveanotr
(1820; 'i. Auag. 1845; ein Lehrbuch der Literatur und Chreatomathie); „S»-
braue aplsy vei'äüm i prosou" („Geaammelte Scbriften in Versen nnd Pro»",
1841); „Zäpisky" {„Memoiren"), sehr interesflant in biographischer and üte-
rarhistoriseher Hineidit, erst vor kurzem herausgegeben im „ rasopi«"
1871 (vgl. Ferd. Sohulr in der Zeitsohrift „OsvEta", 1871).
Eine Biographie verfaBste V. Zelen^: „Zivot Job. Jungmanna" (Prag
1873—74). Im Jahre 1873 wurde das hundertjährige JubilSam seine« Ge-
burtataga gefeiert nnd damals erschienen einige biographische Broschärer.
In russischer Sprache: Nil Popov, im „Jium. Min. Nar. Prosv." 1873, Juli;
Nik. Zaderackij, „J. Jungmann" (Kiev 1874). — Erwähnungen Jnng-
mann's in den Briefen SafaHk's an Pogodin (Moskau 1880, über die weiter
unten). — Briefe Jungmann's an Kollär, im „Casopis", 1880.
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Wenzel Hankft. 205
Wenzel Uanka (1791 — 1861), einer der eifrigsten Arbeiter in der
neuem Literatur. Sohn eines einfachen, wenn auch wohlhabenden
Laudmanns, kam er im Hause seines Vaters mit durchreisenden
Kauflenten aus dem österreichischen Slaventhum, polnischen und
serbischen Soldaten zusammen, und machte sich auf diesem Wege
früh mit verschiedenen slawischen Dialekten vertraut. Aber er
var schon sechzehn Jabre alt, ah ihn die Aeltern in eine höhere
Schule schickten, um ihn vor der Militärpflicht zu sichern. Er
studirte in Königgrätz und in Prag, zum Theil in Wien, absol-
firte das Gymnasium und die Universität. In Prag wurde er
1813 mit Dobrovsky bekannt, der auch sein wirklicher Lehrer in
slavischen Dingen wurde. Aus Hauka ist kein bedeutender Ge-
lehrter geworden, aber er arbeitete unermüdlich in der Durch-
forschung und Drucklegung alter Denkmäler. Bei der Eröffnung
des Böhmischen Museums ward er dessen Bibliothekar und blieb
in dieser Stelle bis zu seinem Tode: in dieser Eigenschaft hatte
er Gelegenheit, viele persönliche Verbindungen mit Schriftstellern
anderer slavischer Stämme anzuknüpfen, was sehr wichtig war,
da die slavischon Literaturen ein Interesse an gegenseitigen Be-
ziehungen hatten, aber noch wenig untereinander bekannt waren.
Im Jahre 1848 nahm Hanka lebhaften Antheil an der politischen
Bewegung der techischen Gesellschaft, betbeiligte sich am Sla-
vischen Congress, war thätiges Mitglied des politischen Clubs
„Slovanska Lipa" (Slavische Linde), kam während des Prager
Aufstandes in Gefahr, als die Soldaten das Nationalmuseum be-
schossen .... Seine literarische Tbätigkeit begann Hanka schon
als Student — mit Gedichten in dem erwähnten Journal Hro-
mädko's („Prvotiny peknych umeni" — „Erstlinge der schönen
Künste") und in dem Sammelwerk Puchmayer's, alsdann in einem
besondern Schriftchen.' Hanka's Lieder gefielen sehr, sodass
einige von ihnen volksthumlich wurden. Er gab alsdann eine
Sammlung von Uebersetzungen aus der serbischen Volkspoesie:
„Prostondvodni srbskii musa do Cech prevedenä" (1801) heraus
und übersetzte in der Folge noch polnische Lieder, das Lied
vom Heereszug Igor's ins Oechische, Demnächst aber waren die
Arbeiten Hanka's meist der böhmischen Geschichte, Literatur,
Alterthumskunde und Numismatik gewidmet. Er begann mit
' Dvanäotero pitni (1815), dann in vermehrter Ausgabe: Haukovy plsaS
(5. Aufl. 1861).
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206 Fänftes Kapitel. I. Die <3eolien.
einer Ausgabe Ton Denkmälern der alten Literatur: „Starobylä
sklädänie" (5Bdcbn., 1617 — 26), hauptsächlicb nach Materialien,
die ibm Dobrovskj gegeben hatte, vo aber auch das Lied rom
VySehrad und das Minoelied König Wenzel's ihren Platz fanden;
im 4- Bändchen, 181d, erschien zum ersten mal die KÖniginhofer
Handschrift. Darauf folgten: eine Sammlung alter Wörterbücher,
worin auch die „Mater Verborum" erscheint; Dalimil im tecbischen
und später im altdeutschen Text; ein Tractat von Hnss; das
Kheimser Evangelium; das Mikodemus-ETangelium in altiechi-
schem Text; eine Reibe von Ausgaben der Königinbofer Hand-
schrift (und dabei des „Gerichts der Libuäa"), eine davon die
Polyglotte in allen slaviscben und vielen andern europäischen
Sprachen u. s. v. Alle diese Arbeiten hatten zu jener Zeit grosse
Bedeutung, wo die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Erfor-
schung der Vergangenheit und des Volkstfaums gerichtet war.
Zugleich war Hanka der eifrigste Panslavist; seinerzeit war er
in Prag der beste praktische Kenner der slavischen Dialekte
und ein Eiferer für die slavische Gegenseitigkeit. Worin sie
zu bestehen hatte — ausser den Beziehungen zwischen den
slawischen Alterthumsforscbem — darüber gab man sich noch
keine klare Rechenschaft, aber es galt für nöthig, ansser dem
nähern Vaterlande, Böhmen, auch des grossen Vaterlandes,
des Slaventhums, zu gedenken. Bei dem Gedanken an dieses
ideale Vaterland stellte sich die Idee von der Nothwendigkeit
einer gemeinsamen Literatursprache, welche die zerstreuten Dia*
lekte verknüpfen sollte, natnrgemäss ein; Hanka war bereit, an-
zunehmen, dass zu dieser Sprache das Russische werden müsse,
indem es andere slavische Elemente in sich aufnehme — als die
Sprache des zahlreichsten und stärksten slavisebeo Stammes.
Deshalb nahmen in seinen slavischen Sympathien eben die Bus-
sen die erste Stelle ein: er bemühte sich, anter seinen Lands-
lenten die Kenntniss der russischen Sprache zu verbreiten und
durch persönliche Beziehungen die Russen für den PanslaviBmua
zu interessiren. 1 Seine Vorstellungen, wie die vieler andern
Oecben, welche das russische Leben überhaupt wenig kannten,
von der slavischen Stimmung und den Plänen der rassischen
Politik waren übertrieben, aber er hegte bis ans Ende die Hoff-
' üeber die Rüsten freundliohkeit HBnka'a e. z. B. bei Hst^, „Znova-
eni", S. 21.
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Wenzel Hanha. 207
nnng, dass die Rettung des Slaventhums von fremder Herrscbaft
and fremder Nationalität in RuHBland liege. Als ei' starb, waren
seine letzten Worte russisch. — Sonach stand er nicht ohne
Grund im Rufe eines Russophilen, und dies war keine an-
genehme Eigenschaft sowol in den Augen der Behörden als der
böhmischen Deutschen und derjenigen Oechen, welche rom rus-
MEchen Wesen eine andere Meinung hatten als Hanka.
Die Geschichte der Fälschungen ist noch nicht aufgeklärt,
die neuem Kritiker (Sembera, Lamanskij, Vasek) zweifeln nicht
im geringsten an der eifrigen Fälscherei Hanka's, besonders rück-
sichtlich des „Gerichts der Libnäa" und der KÖniginhofer Hand-
schrift, und nennen ihn direct den Verfasser der letztern, denen
entgegen, welchen Hanka als zu wenig begabt und unbeholfen
galt (wie HanuS, Vrfätko, Jire^ek). Wie dem auch sein möge,
als der letzte Angriff gemacht wurde, der offen gegen Hanka
zielte (im Tagesboten aus Böhmen, 18ö9^, und im darauffolgenden
Process das Gericht die Anspielungen als Verleumdung aner-
kannte, soll sich Hanka schwer gekränkt gefühlt, und dies seinen
Tod beschleunigt haben. Sein Begräbniss wurde mit ausser-
ordentlicher Feierlichkeit begangen. >
Oben sind erwähnt worden: Joseph Linda (1793 — 1834),
Verfasser eines historischen Romans aus dem böhmischen Alter-
thum: „Morgenroth über dem Heidenthura oder Vaclav und Bo-
leslav" („Zäfe nad pohanstvem etc." Prag 1818), der seinerzeit
grossen Eindruck machte, und Wenzel Alois Svoboda (1791
' Eine (panegyrische) Biographie Hanka's, verfasst unter aeiner Mitwir-
kung von Legis GlUokeelig, in dem deuteclten Almanach „Libasea",
S. 285-369 (Prag 1863); eine ßeibe Biographien in cechuchen Zeitungen
1861 , insbesondere in den „Kärodni Liaty " ; Oslava pamätky Väclava
Hanky v HoHn* vai dne 7 x&H 1862" (Prug 1862); Sreznevakij, id Izvüat.
IL Otdel. Akad. Nauk, 9. Bd.; P. LavrovBkij, Voaporainaiiija o HankE i
SafarikS" (im jährlichen Act der Charkover Dnivereität, 1861); P. Lavrov-
Bkij, in Otef. Zapiski, 1861, Nr. 2; M. Suchomlinov, „0 anoienijach
T. Hanki b Robb. Akademieju i o vyzovE ego v RosBijn" (im Sammelwerk
„Bratskaja Poraof"; S. 309—318. St. Peferaburg 1876). Ferner: die Ck)r-
reBpondene DobvovskJ's und Hanka'« im „Casopis", 1870; der Artikel
Vrtätko's über die Beziehangen Hanka's zu DohrovakJ, ebpnd. 1871. Die
AeuBserungen von HannB in „Die gefälschten Gedichte". Endlich siehe die
Traber erwähnten Artikel Lamanskij's und die Schriften Sembera's und
Taiek's. Wir führen noch den Artikel von J. Jiretek an über die Ori-
ginalgedichte Hanka's in den Jahren 1813— li«, im „('asopis" 1879.
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2G8 Fnoftes Espitel. I. Die Öechea.
— 1749, Navaroveky) , ein thätiger Schriftsteller, Dichter uni
Pädagog, Uebersetzer der Königinhofer Handechrift ins Deutsche
bei ihrem ersten Erscheinen, 1819. Diese beiden Schriftateller
hat man auch iu die Frage über die Fälschungen altßechischer
Denkmäler hineingezogen. '
Die Biographie Safarik's ist eine Geschichte bemerkenswerther
gelehrter Arbeiten , welche hohe Bedeutung und grossen Rnbm
in der ganzen slavischeu Welt erlangten. Faul Joseph Safarik,
(oder Schaiarik, 1795—1861), seiner Herkunft nach Slovak, wurde
in einem Bergdorfe in Nordungarn geboren, wo sein Vater eran-
gelischer Geistlicher war. Er war ein origineller und empfäng-
licher Knabe; vor dem achten Jahre hatte er schon zweimal
die ganze Bibel darchgelesen. Nach Absolvirung der nieden
und hohem Gjmnasialklassen trat er 1810 ins evangelische Ly-
ceum, wo er fünf Jahre als Stndent und zugleich als Hauslehrer
verbrachte. In der Schule hatte er vorlrefTliche, wissenschaftlich
gebildete Lehrer; dafür vergase er ganz seine Nationalitäl,
welche die Schule zu Entwurzeln suchte. Erst im IG. Lebens-
jahre tauchte vor ihm diese Frage auf, als ihm das erwähnte
Juugmann'sche „Gespräch über die cechische Sprache" in die
Hände fiel, das auf ihn einen starken, entscheidenden Eindruck
machte. Unter diesem Einflnes gab er, schon neunzehn Jahre alt,
ein Bändchen Gedichte heraus: „Tatranski. musa z Ijrau slowan-
elcau" (Leutschau 1814), hierauf sammelte er mit einigen Freunden,
unter andern Kollär, slovakische Volkslieder*; einige Gedichte
von ihm finden sich in der Zeitschrift Hromädko's. Im Jahre
181Ö begab er sieb mit seinen bescheidenen Mitteln nach Jena,
das damals auf der Höhe seines Ruhmes stand. Hier vergass er
nnter philosophischen, historischen und philologischen Studien
auch die slavische Muse nicht, übersetzte die „Wolken" des
Aristophancs, Schiller's „Maria Stuart", beschäftigte sich mit ie-
chischer Prosodie. Auf dem Rückwege nach Hause im Jahre
1817, wurde er in Prag mit Dobrovsky, Juugmann und Hanka be-
kannt; in PressbuFg, wo er in einer reichen Familie Erzieher
' IHe Biographien Linda'a und ijvoboda'a sind oben angeführt — ,.0t-
vfta" 1879.
* PJBni 8w£t«ke lidu Sloweiukeho w Uhl'jub; sie wurden henn^egeben
von KoUÄr (Pest 1823-27). Im 2. Band itt ein Vorwort äaf^Hk'i. Die«
Lieder gingen in die zweite vermehrte Saniinlung Kollar'a (1834—36) über.
...., Google
Paul Job. SafaHk. 209
var, trat er in freundschaftliche Beziehungen zu Patacby und
gab im Verein mit ihm unter Mitwirkung Jungmann's, 1818, die
Schrift; „Principien der dechischen Poesie" (,,Poöätkowe ßeskeho
bäsnictwj") heraus, welche die Lehre Dobrovsky's von der te-
chischen Prosodie bestritt (Dobrovsk^ gründete diese auf den
Accent, Safarik auf das metrische System) und insbesondere die
alte literarische Schule der Pseudoclassicisten und Idyllendichter
in Unruhe versetzte, da sie neue und hohe poetische Forderungen
aufstellte, wobei der Eigendünkel der alten Schule einen harten
Schlag erlitt. ' Man bot SafaHk Professuren an verschiedenen
evangelischen Schulen Nordungams an; aber die von ihm selbst
erfahrene Bedrückung des slavischen Elements in jenen Schulen
war ihm zuwider und er zog 1819 einen Ruf nach Neusatz vor,
wo er Professor und Rector des Gymnasinma der serbischen
orthodox - katholischen Gemeinde wurde. Er lebte hier bis
1833- Neusatz in der Nachbarschaft von Karlowitz, wo der
serbische Patriarch lebte, von Serbien, der Fruäka Gora, war
in seiner Art ein serbisches Centrnm und Safarik benutzte
dies zu einem umfänglichen Studium des serbischen literarischen
Alterthums und der Sprache, erwarb hier viele seltene Bücher
und Handschriften. Hier begann auch die Reihe seiner bedeu-
tenden gelehrten Arbeiten, worin historische Fragen über das ge-
sammte Slaventhum aufgestellt wurden. Dahin gehört die in
ihrer Art erste gesammtslavische „Geschichte der Litera-
tur"', wo die slavischen Stämme als ein Ganzes zusammen-
gefasst sind, — eine fast ausschliesslich bibliographische Arbeit,
aber von philosophisch -historischen Erklärungen beleuchtet.
Gleich damals ging er schon an eine Umarbeitung dieses Buches
in rein biographischer und bibliographischer Form; gegen den
Anfang der dreissiger Jahre stellte er die serbisch-kroatische und
sloTenische Abtheilung her, aber seitdem blieb das Werk un-
vollendet und wurde erst nach seinem Tode herausgegeben.*
' Gegen dieaes Werk von SafaHk und Palack^ war eeitesa der alten
Schule jene Suhrift IlnSvkoTBkJ'a gerichtet, welohe wir oben erwähnten.
' Geschichte der glavieohen Sprache und Literatar nach alle« Mundarten
von Paul Joseph Scheffarik etc. (Ofen 132C. VIII n. 524 S.; 2. Abdruck,
Prag 1869).
'Geschichte der eüdalav. Literatur, heransgegeben von J. JireEek
(3 Bde. Prag 1864-1)6).
Ptf», 81»l»h« LltsiAtDian. II, 3. X4
ü,g :.._.. ..Google
glO FüofteB Kapitel.. L Die Öecben.
Im Jahre 1828 erachien die erste Abhaadlung über das ela-
vische Alterthum, dann eine Untersuchung über die altserbieclie
Sprache. * Die letztere war sehr wichtig durch die Behandlung
des Gegenstandes und die neuen Daten zur Entecheidung der
Frage über die kircheDslaviBclie Sprache. Inzwischen war die
Stellung Safarik's in Neusatz unangelim geworden infolge der
Bedrückungen der ungarischen Behörden, und er beschloss weg-
zugehen. Aber wohin? Einmal war die Rede von seiner Be-
rufiing an die Petersburger Akademie, doch kam die Sache nicht
zu Stande, und seine Öechischen Freunde beriefen ihn nach Prag,
wo man ihm, wenn auch nur in bescheidenem Masse, auf einige
Jahre durch Zusammenschiessen von Geld die Existenz sicherte;
dazu kam später auch pecuoiäre Hülfe aus Moskau. Die Lage
der dechischen Dinge hatte sich gegen Mitte der dreissiger
Jahre schon bedeutend rerändert: die Bewegung, der man an-
fangs seitens der Behörden kaum eine Beachtung schenkte, war
gewachsen und weckte zugleich den Verdacht der Regierung,
sodass es hei SaEarik, nach seiner Uebersiedclung nach Prag,
nicht ohne Spiouirerei der Polizei abging, die ihn manchmal
sehr störte. Aber die Arbeit schritt fort und im Jahre 1837
ward die Herausgabe seines berühmtesten Werkes: „Slavische
Alterthümer" („Slovanske Staro^itnosti") beendet, das von
da an der Ausgangspunkt aller Arbeiten zur Erforschung der
alten slavischen Geschichte war.' Dieses Buch brachte SaCaHk
weitreichenden literarischen Ruhm; sein Name wurde eine der
grössten Autoritäten in den slavischen Forschungen. Das Werk
war auf zwei Abtheilungeu berechnet, eine historische und eine
cultnrgeschichtliche. Das erschienene Buch war die erste Ab-
theilung; Sa&rfk trat auch an die zweite heran, aber der
Plan blieb unausgeführt, aus der zweiten Abtheilung worden
nur einige Specialuntersuchungen über alte Ethnographie und
■ „Ueber die Abkauft der Slaven, nach Surowieoki" (Ofen 1828); ^t-
biBohe Leaekömer oder hhtonBch-kritisobe BeleuohtanK der wrb. Moadart"
(Ebend. 1833).
*Das Buch wurde iiu Pobiieube übersetzt von BoAkowaki (Po»en
1842—46); ins Kuegiscbe von Boiljaoakij (Moakaa 1843; 2. Aiugabe in
b Büchem; die erste wurde nicht beendet); deutaohe Ueberaetnwg tod
Moaig Ton Aehrenfeld, berauagegeben von Heinr. Wnttke (Leipaig
1843—44).
.....Gooj^lc
P&nl Job. ^tiatik. 211
Mythologie gedmckt'; er erkannte, dass es znr Darstellung des
Cnlturlebens des Slaventhums nocb an den nötliigen Vorarbeiten
feUte, besonders philologischen. Er wendete sich der Philo-
logie zn — und hier erschienen wieder einige wichtige TJnter-
KDchungen. Bei aller umfänglichen Gelehrsamkeit Safarfk's ging
es doch nicht ohne grosse Fehler ab: ein solcher war die Abhand-
lang über den yermeintlichen Öemoboh (gefunden zu Bamberg),
dem Safarik, dank KolUr, Glauben schenkte, und woran er sich
später mit Yerdmss erinnerte. Als einen zweiten grossen Fehler
rechnen ihm jetzt skeptische Kritiker die Herausgabe der ältesten
lehrten Commentaren von ihm
ligiing an dem Buch des Grafen
ich hauptsächlich um verdäch-
fediischeu Denkmäler an, mit gele
und Palacky ^, wie auch die Betheili
J. M. Thnn*: dort handelte es '.
tigte Denkmäler (die man jetzt geradezu als unecht erklärt), and
man machte Safarik Mangel an Kritik zum Voi-wurf, durch
den er zum Vertheidiger einer Fälschung und eines Betruges
wurde. Zu seiner Vertheidigung kann man sagen, dass damals
dieSache doch nicht so klar war, und z. B. sogar noch bis jetzt*
Gelehrte von grosser Autorität, wie Sreznevskij, angesichts aller
neuen Einwendungen, und nicht durch öechische Parteilichkeit
gebunden sowol die „Mater Verborum" als das „Gericht der
Libnsa" hartnäckig vertbeidigten. Für die 6echischen Gelehrten
verwickelte sich die Frage über die alten Denkmäler der te-
cbischen Literatur noch durch die feindlichen Beziehungen zu
dem Hauptvertreter der damaligen Negation, Kopitar, der
jedoch seine Verdächtigungen und Beschuldigungen nicht mit
klaren Beweisen belegte ^ und die Ansichten der Schriftsteller
' Im „Casopiü", wo aDsserdem viele andere kleine Arbeiten von SafaHk
gedrackt sind.
> Die ältesten Denkmäler der böhmiBoheu Sprache (Pr^ 1840).
> Oediobte aus Böhmens Vorzeit (Prag 1615, mit einem Torwort von
äafaHk nnd Bemerkungen von Palack^). VgL T. Lamanakij, im „Zum.
Min. Nar. ProBv., 1879, Juli.
* Tierzig Jahre nach dem Buche von äafaHk nnd Palaekf.
' Schon oben haben wir von Kopitar gesprochen. Seine Feindscbaft
mit den Fecbiscben Gelehrten iet noch immer nicht aufgeklärt. Vgl. z. B.
die AensBeningeQ in der Biographie SafaHk's, Slovnik Nau5D^, IX, S. 5;
die Correspondenz Celakovaky'a mit StanSk, im „CaBOpia", 1871, 3. 228
— 229 ; die nberaua feindseligen Aeussernngen nber den „Mephistopheles"
Kopitar in den Briefen Saf^k'B an Pogodin.
U«
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312 Fünftes Kapitel. I. Die Öeoheu.
unterlagen unwillkürlich dem Eindruck der Ungerechtigkeit der
Beschuldigangen .... Im Jahre 1842 gab SafaHk eine dem Um-
fang nach nicht grosse, aber hochwichtige Arbeit wieder tod ge-
Bammtslavischer Bedeutung heraus: „Sloransky Narodopis", eine
kurzge&sste Uebersicht der slaviechen Ethnographie mit der ersten
ethnographischen Karte der Elavischen Stämme. > Die Unsicherheit
seiner äussern Lage war Safarik so drückend, dass er sich
1837 entschloss, ein Amt anzunehmen, welches seinem Oeechmack
sehr wenig entsprach — das eines Censorg; er gab es 1847
wieder auf, nicht ohne sich Unannehmlichkeiten wegen des Ourch-
lassens von Büchern, übrigens sehr unschuldiger (z. B. Zap's
„Beisen und Wanderungen in Galizien" — „Cesty a prochäzk;
etc.", 1844) zugezogen zu haben. Schon im Jahre 1841 erhielt
er die Stelle eines Gustos an der prager öffentlichen Bibliothek.
Sein Ruhm war inzwischen gewachsen. Man bot ihm die
slaviscbe Professur in Breslau und Berlin an — da fand man es
auch in Oestcrreich nöthig, ihm Aufmerksamkeit zu schenken.
Im Jahre 1848, gleich zu Anfang der revolutionären Wirren er-
hielt er die Professur der slavischen Philologie an der prager
Universitärt, gab sie aber im folgenden Jahre wieder auf, als
er Bibliothekar der Universitätsbibliothek wurde. An den Er-
eignissen des Jahres 1848 nahm er thätigen Antheil als Mitglied
des Slaviscben Congresses; der traurige Ausgang der Ereignisse,
die hereinbrechende Reaction wirkten auf ihn besonders schwer.
In den vierziger und fünfziger Jahren verweilte er hesonden
bei der Erforschung der altöechischen Literatur^, bei dem süd-
slavischcn Alterthum', endlich bei der Frage nach der Her-
kunft der Glagolica.^ In dieser Frage hegte er an&ngs die
■ RasBiache Dcberaetzung von Bodjanskij (Moekaa 1813).
' RoEbor ataroteelie literalnr; (Analyse der altteohiachen Idterttar 1842
und 1845, in den Denksohriften der böhtniachen gelehrten GeBeltschtnj:
„Klaaobraai na poli staroi^. literaturj" („AehrenloBe auf dem Felde der alt-
fecbiBohen Literatur"), im Caeopis 1847, 1848, 1856; die altiecbiiclie Gnm-
matik beim „VJbor", I^ u. s. v.
' „Pam&lky dtevnilio pisemaistTi Jikoelovanilv" („Denkmäler de« alten
ScbriftwceeuB der SfldaUven", Pra^ ISbl ; 3. Aufl. 1873).
* „Pobled na prvovSk hlaholak^hu pisemniotvi" („Bliok asf die Unrit
dei glegolitiachen SchrülweBena", im Casopia 18&3), dawelbe roBaiMh von V.
Vojtkovakij (Ziurn. Min. Nar. Proav-, 1855, Nr. 7—8); „Pamitkj hlak-
piKeninictvi" („Denkmäler des glagolit. Schriftweaena", Prag 1853); „d»-
.....Gooj^lc
Franz Palaok^. 213
Heinang, dasB die Glagolica nicht älter als die Cyrillics noA
dem Anschein nach sogar nach ihrem Muster gebildet sei; aber
taletzt änderte er seine Ansicht gänzlich und behauptete, die
Glagolica sei diejenige slavische Schrift, welche von Cyrill er-
fanden wurde, und die jetzt sogenannte Cyrillica nichts anderes
als eine Vereinfachung derselben, veranstaltet von einem Schüler
der Slaven- Apostel , Clemens . . . Seine Gesundheit hatte inzwi-
schen abgenommen; zu leiblicher Krankheit gesellten sich An-
falle Ton Geisteskrankheit. Er starb 26- Juni 1861. ^
Nach Dobrovsky war Safank die gewichtigste gelehi-te Auto-
rität in der Erforschung des Slaventbums. Seine „Geschichte
der slavischen Literatur . aller Dialekte", seine „Alterthümer",
Beine „Ethnographie" waren eine wirkliche Offenbarung des wis-
senschaftlichen Panslavismus. Obgleich die Arbeiten Safah'k's
gewöhnlich ganz specieller Natur, und, trotz seines slavischen
Patriotismus, oft deutsch geschrieben waren, so äbten sie doch
einen überaas starken Einöuss in allen slavischen Literaturen
aus: sie fanden ihre Erklärer, welche das Bewusstsein von der
historischen Einheit der Stämme im Altertbnm und von der
Nothwendigkeit einer moralischen Einheit in der Gegenwart ver-
breiteten. Safank selbst war ein eitriger Panslavist in dem
Sinne, wie diese Ansichten jener Zeit herrschten; aber ihr letzter
Ausdruck scheint die feurige Hede auf dem Slavischen Congress
gewesen zu sein*, — später traten ihm mehr die schwachen und
dunkeln Seiten der slavischen Sache vor Augen. In der letztem
golitisclie Fragmente" (Bbend. 1857) ; „Deber die Heimat und den Ursprung
des Olagolitismue" (Ebead. 1858). Auf das letztere Werk bezieht sich die
fräber erwähnte UnterBachung von A. £. Tiktorov.
' J. JireEek, „P. J. Sohafarik, biographiecbes Denkmal" (Oeeterreich.
EeTne, 1865, 8. Bd.)[ Slovnik Nanfny, s. v. (1872). Die Briefe äafaHk'B an
Eollär, ein sehr iaiereseanteB, aber noch nicht durchgearbeitetes Material
für die Biographie Kafarik's nnd für die Geacbichte der BenaisBance (Ca-
BOpia 1813, 1874, 1875); an den kroatiBehea Schriftsteller Miklousich (in
Knkuyevic'B Ärkiv, XU. 1875); reiches Material in den „Piima k Pogodinu
iz BlavjanBkicb zemel, 1835 — 1861" ( heran Bgegeben von N. Popov, Moskau
1879—80; im 1. Heft dieeea Werkes Erinnerungen an SafaHk in den Briefen
BodjanBkij's, im 2. Heft 144 Briefe von Safank aelbat, von 1835 bia 1858).
Ausgabe der Werke; „Sebranö Spisy", Prag 1863^65, noch nicht voll-
ständig; im 3. Band sind Einzel anters nchungen über Alterthümer, Mytho-
logie, Geaehichte, Literatur und Philologie.
'Perwolf, in „Vestnik Evropy", 1879, April.
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314 I^ünftea Kapital. I. Die Ceohen.
Zeit hörte man gegen ihn Vorwürfe Ton seilen elaTiBcher pabio-
tischer Idealisten.
Neben Safarik steht ein zweiter leitender Vertreter der nen-
fiechisehen Literatur, der zuweilen mit ihm zusammen arbeitete,
Falack^, der „Vater der böhmischen Geschichtschreibung". Franz
Palack^ (1798—1876) ward im Prerauer Kreise in Mähren ge-
boren, und stammte aus einem alten Geschlecht, das sich einst
zur Brüdergemeine hielt, ihre Lehre auch später nach der katho-
lisches Reaction unter Ferdinand heimlich bewahrte, und nach
dem Toleranzedict Joseph's IL das Lutherische Bekenntniss an-
nahm. Nach dem Besuch niederer Schulen trat Palacky 1812 ins
eTangelische Lyceum zn Pressburg ein. , Der Unterricht war latei-
nisch, aber Palacky war neben der Schule auch selbst tbätig,
studirte die neuern Sprachen und ihre Literatur; er bereitete
sich für den Beruf eines evangelischen Geistlichen vor, gab
aber später diesen Gedanken auf, als er sich mit der Philo-
sophie Eant's befasste. Zu nationalen Bestrebungen weckte ihn
die Lektüre der alten und neuen ^echischen Literatur; besondem
Eindruck machte anf ihn, wie auf Safarik, Jungmann's „Gespräch
über die ^bische Sprache". In Pressburg arbeitete er zum Theil
an Palkoyifi's Wochenschrift „T^deunik", aber Palkovic war ein
Mann der alten . Schule und Palacky zerfiel zuletzt mit ihm.
In der literarischen Welt wurde der Name Palack;^'8 bekannt
durch seine Uebersetzung einiger Lieder aus „Ossian" (1817), die
damals grossen Eindruck im Kreise der iechischen Dichter
machten, da Ossian zum ersten mal in der 6echischen Literatur
erschien. Im Lyceum und lange nachher beschäftigte ihn beson-
ders die Aeethetik. Oben war von seiner Annäherung an Sa>
&rik die Rede und von der Herausgabe der Schrift: „Fo^ätkowe
äeskeho bäsnictwj". Einige Jahre darauf verbrachte Palacky als
Hauslehrer in reichen Häusern, dabei setzte er die literarischen
Beschäftigungen fort; einige Artikel über Aesthetik erschienen
in der Zeitschrift „Krok".
Oben enräbnten wir, dasB diese Zeitschritl 1821 vod Jnnginaiui und
Johann Svatopluk Presl (1791— -1649) gegrandet ward. Der letstcre
war ein gelehrter Mediclner und Naturforscher, der sich auch im Ge-
biete der Literatur einen grossen Namen gemacht hat durdi seine Be-
strebnDgen, der entstehenden Literatur einen wissenschalUioben luhalt
zu geben und eine wissenschaftliche Sprache aussuarbeiten. D»s Haupt-
werk Presl'a war eine grosse angewandte Botanik („ßoEtlin&r", lüÖ- —
Franz Palook^. 215
1835, im Verein mit Graf Bercbtold), darauf eine Reihe papalär-wisaen-
scfaiiftlicher Bücher in verschiedeneD Zweigen der NatarwisBenachaft. Die
kleine Zeitschrift „Krok", 1821 — 1837, war der erste Versuch einer
wissenscba filichen Darstellung in der neuen cechiecheu Sprache und zog
die besten damaligen literarischen Kräfte an sich.
Im Jahre 1823 Hess sich Palack^ in Prag meder, wo ihn
Jungmann, Presl, Dobrovsk^, Haoka als eine neue vielverapre-
chende Kraft freuadBchafÜicli begrüssten. Eine zufällige Arbeit,
welche Dobrovsky dem Palack^ rorschlog für Hormayr'e „Ta-
schenbuch" ansznfüliren — nämlich eine Geschiebte des Ge-
schlechts der Grafen Sternberg, lenkte Palack^ definitir auf das
faistoTische Gebiet. Dobrovsky brachte ihn in Beziehungen mit
den Grafen Sternberg, Kaspar und Franz, und der letztere, ein
aufgeklärter Mann, einer von den wenigen damaligen Aristokraten,
die auch t^echiscbe Patrioten waren, schätzte insbesondere Pa-
lacby, und forderte nicht wenig seine persönlichen nnd wissen-
Bchaftlichen Fortschritte. Auf Andringen Palacky's bei den Stem-
bergs bescbloss der Verwaltungsrath des Böhmischen Museums
(an seiner Spitze stand Kaspar Sternberg) von 1827 an seitens des '
Museums zwei Zeitschriften heranszugeben, die eine in deutscher,
die andere in fiecbischer Sprache; zum Bedacteur für beide
wurde Falacky gewählt. Wir haben schon oben erwähnt, dass
die deutsche Zeitschrift keinen Erfolg hatte, und im Jahre 1831
einging; dafür fasste die ^echische feste Wurzel, und ward eins
der wichtigsten gelehrten Organe der öechischen Literatur; es
ist dies der „äasopis Öeskäho Museum", der noch jetzt fort-
gesetzt wird. Palack^ redigirte ihn bis 1838.
Inzwischen breitete sich die Thätigkeit Palackj's immer mehr
aus. Im Jahre 1827 stellten die böhmischen Stände, in denen
sich ebenfalls das Nationalgefühl zu beleben begann, Palacky den
Antrag, die Fortsetzung der „Böhmischen Geschichte" Pubiöka's,
eines Schriftstellers aus dem 18. Jahrhundert, zu übernehmen.'
Palack^ lehnte nicht ab, aber legte seinen hesondern Plan vor,
nach welchem eine böhmische Geschichte geschrieben werden
miisste; der Plan wurde angenommen, man bescbloss, Palacky
< „Chronologische Geschichte Böhmens" (6 Bde., Prag 1776—1808; bis
Ferdinand II.). PnbiEka (1722—1809) war ein Schriftsteller der alten
jemitisoben Sohnle; das Bn<ji ist zwar fleiasig geschrieben, aber trocken
und ajstemlo*.
...., Google
216 Fünftes Kapitel. L Die Cechen.
zum Historiographen von Böhmen zu ernentieii (1829), abei die
Oberbehörden bestätigten ihm diesen Titel officiell erst 1H39.
Palacky machte sich eifrig an die Arbeit, studirte die histori-
schen und Rechts-Quellen in den böhmischen Archiren und in
Wies, untersuchte die alte Topographie Böhmens vergleichend
mit der gegeniriirtigen, machte einige mehr oder weniger lange
Reisen ins Ausland zur Aufsuchung von Quellen der böhmischen
Geschichte, die in den europäischen Bibliotheken (zu München,
Berlin, Dresden, Rom u. s. w.) zerstreut waren. Als Vorbereitung zu
seinem Werke veranstaltete Palacky Ausgaben der Quellen selbst,
alter Chroniken, Urkunden, Briefe, schrieb Specialuntersuchungen
n. s. w. > Im Jahre 1836 erschien der erste Band seiner böhmi-
schen Geschichte, die anfangs deutsch und erst vom Jahre 1847
an in ^echischer Sprache herausgegeben, und in fiinf umfang-
reichen (Doppel-) Bänden von ihm, gegen das Ende seines Le-
bens, bis zum Jahre 1526 geführt wurde.*
Das Jahr 1848 rief Palacky auf den Schauplatz der Politik.
£r war der angesehenste nnd einflussreichste Vertreter der Na-
tionalpartei, die angesichts der Bestrebungen des Frankfurter
Parlaments, Böhmen in die deutsche Einheit hineinzuziehen, und
gegen die Wiener Centralisation auf dem historischen Rechte Böh-
mens und der Föderativverfassung bestand, als der einzigen Form,
welche die verscbiedenartigen Bestrebungen der Völker der Oester-
reichischen Monarchie versöhnen könne. In der Periode der
Unruhen 1848 — 49 hatte Palacky eine solche politische Autorität,
dasB ihm das Ministerium Pillersdorf ein Portefeuille anbot; auf
dem Reichstag war er ein thätiges Mitglied der Gommission,
welcher die Ausarbeitung der Principien einer Constitution über-
tragen war; aber gegen Ende dieser stürmischen Zeit, als der
Reichstag von Kremsier gewaltsam geschlossen wurde, galt Pa-
' Dahin gehören z. B. die PutlioatioDen; „StaH letopiaove EeSti od rukn
1378 do 1527" („Die alten böhmischen Chroniken vom Jahre 1378 bis 1587",
Prag 1829); „Würdigung der alten böhmiachen Gesohiobtschreiber" (Vn§
1830); ArohiT teskj, i Bde., 1810—46; vom Jahre 1862 an Fort»et*iUig de«
Archivs, nooh zwei Bände; „Aelteate Denkmäler eto." (1840); „Popis ^'
loTstvI Eeskebo" („Besohreibung des Eönigreiohs Böhmen", Prag 1848).
* „Geschichte von Böhmen", vom Jahre 1836 an; „D3jin<r näroda Ce-
Bköho V Cechaoh a V MoravS" (Bd. I. HI— IV., Prag 1848-60; Bd. V., l.ThL
1866; 2. Thl. 1867; Bd. II., 1. Thl., 1874; 2. Thl., 1876); eine nenere Am-
gäbe „für da« Volk" mit Biographie von Kalonsek (Prag 1878).
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Frenz Palacky. 217
lack^ anf einmal für einen Terdäcbtigen Menschen, gegen den
polizeiliche Aufsicht nothwendig Bei. Er zog sich von der Po-
litik zurück und beschäftigte sich aufs neue mit seiner histo-
rischen Arbeit. Nach dem Erlass des „Diploms" von 1860 er-
neuerte sich die politische Thätigkeit Palack^'s; er wurde der
anerkannte politische Führer des (echischen Volkes; im Jahre
1861 ward er zum lebenslänglichen Mitglied des Wiener Herren-
hauses ernannt. Zu dieser Zeit wurde ein Organ gegründet,
das seine Ansichten vertrat , die Zeitung „Närodni Listy"; aber
bald, im Jahre 1863, erweckte das Programm Palacky's in der
neuen Generation Opposition, und zum Organ Palacky's und
seines Verwandten und jÜngern politischen Genossen, L. Kieger's,
ward die neue Zeitung „Ndrod", später „Pokrok".
Palacky bat von allen ßechischen Gelehrten der böhmischen
Geschtchtschreibung die grössten Dienste erwiesen. Sein bedeu-
tendstes "Werk, die „Geschichte von Böhmen" ist mit einem
nm fangreichen , vor ihm in Böhmen noch nicht dagewesenen
Studium der Quellen geschrieben und erhielt nationale Bedeu-
tung. Einer der ersten Ansätze der nationalen Wiederbelebung
war das Bednrfniss, sich der Vergangenheit zu erinnern, den
historischen Zusammenhang mit den frühern Generationen wieder-
herzustellen; das Volk musste ans der Lethargie erwachen, in
die es durch den schrecklichen, ihm zu Anfang des 17. Jahrhun-
derts versetzten Schlag versunken war, und das Hauptverdienst
in dieser historischen Restaurirung des Nationalbewusstseins
schreiben die Uechen eben Palacky zu. Sein Werk blieb beim
16. Jahrhundert stehen; aber es lieferte eine feste Grundlage
för die historische Forschung und für das Nationalgefühl. Dass
der Eindruck ein solcher war, kann man daraus ersehen, dass
im kritischen Moment der Historiker zum politischen Vertreter,
zum anerkannten Oberhaupt seines Volkes wurde. '
' Ton den politischen Werken Pslaoky'B verzeichnen wir inabesonderc
den Artikel: „Ueber Centralisation nad nationale Qleiohbereohtigung in
Oeaterreioh" in HavliCek'a Zeitung „Närodni Noviny", 1849; ferner, „Idea
Btttta Bakouskeho", in der Zeitung Närod, 1865, und besonders, auch deutsah:
„Oesterreiehische Staatsidee" (Prag 1865); endlich „Doslov", sein politiselieB
Testament im „Radhost", einer Sammlung kleiner Artikel über Literatnr,
Aesthetik, Genchichte und Politik {3 Bde. 1871—72). Das Testament er-
schien auch deotsch: „Fr. PalaokJ'a Politisches Vermäobtnias" (Prag 1872).
Vgl, darüber den Artikel von Makuäev im „Golos", 1873, Nr. 178.
ü,g :.._.. ..Google
218 Fünftee Kapitel. I. Die Öechen.
Palacky fahr fort zu arbeiten bis in seine letzten Lebenstage.
Im Jabre 1876 gab er den letzten Band seiner Geschichte heraus,
geführt bis zum Jahre 1526; bei diesem Jahre wollte er auch
stehen bleiben, in der Absicht, nur noch die innere Culturge-
Bchichte des 13. — 16. Jahrhunderts zu bearbeiten. Im Jahre 1876,
am 23. April, wurde zn Prag die Vollendung you Palacky's Ge-
schichtawerk gefeiert; in seiner dabei gehaltenen Rede war
schon das Vorgefühl eines baldigen Todes enthalten. Er starb
am 26. Mai.' „Unser Volk schwebt in grosser Gefahr", sagte
er unter anderm in seiner letzten Rede, „ron allen Seiten von
Feinden umgeben; ich verzweifie jedoch nicht und hoffe, dass es
ihm gelingen wird alle zu überwinden, wenn es nur wollen
wird. Es ist nicht genug zu sagen: « Ich will * , sondern
jeder muss mitwirken, arbeiten, Opfer bringen, soviel er kann,
zum gemeinsamen Wohle, besonders zur Erhaltung der Natio-
nalität. Das cechische Volk hat eine glänzende Vergangenheit
hinter sich, die Zeit des Huss ist eine ruhmvolle Zeit; damals
übertraf das cechische Volk au geistiger Bildung alle übrigen
Völker Europas .... Es ist jetzt nötbig, dass wir uns ausbilden
und nach der Anleitung des gebildeten Verstandes wirken. Dies
ist das einzige Testament, das ich sozusagen sterbend meinem
Volke hinterlassen möchte" ....
Bisher haben wir von Schriftstellern gesprochen, deren Name
oder Ruhm in ihrer gelehrten Thätigkeit lag, und welche das
eigentlich literarische, poetische Gebiet fast gar nicht berührten.
Aber diese Namen mussten vor allen in der Geschichte der ce-
chischeu Renaissance genannt werden, wenn auch nicht in
strenger Zeitfolge, so doch nach der Bedeutung ihrer Wirksam-
keit — sie waren die unmittelbaren Fortsetzer von Dobrovsky's
< Der Lebenslauf Palack^'s ist Tielmal« dargeetellt worden; siehe z. B.
V. Zeteo^, im Älmanach M&j, 1860; noch früber in „Beiuhatags-Galerie,
geatliriebene l'ortraitB der hervorragendsten Deputirten des ersten dsterr.
ReicliHtags" (Wien 184f<, Jasper, Hügel & Manz); Revue des deux Moodea,
1855, April: L'hietoire et l'historien de la Bohäme; Nil Popov, in„Sovreiii,
L&topiÄ", 1665, Nr.33; in dem Buche: „VaeroSB. etnogr. vystsvka i sUvjan-
skij f.j6id" (Moskau 1867); Slovnik NanJiny, VI. Bd. (1867) s. v.
Wichtiges biographitcheB Material enthalten die eigenen Werke Pa-
laekj'a, besonders die über politische und geaellschaftliche Fragen; oad
ebenso seine Correepondenz; ein Theil derselben, nämlioh seine iotereanuiten
Briefe an KolUr, gedruckt im „Öasopis", 1879.
.....Gooj^lc
Johann Eoll&r. 219
Werk; es wftr nothwendig, das hiBtorische Bevusstsein zu wecken,
die Literatur auf das Niveau der zeitgeDÖSBiEchen Bildung zn
bringea, eine neue Sprache auezuarbeiten. Allmählich erweiterte
sich die Literatur nach Inhalt und Leserzahl. Ah Schrifteteller
aus der Sphäre des Volks und theilweise aus dem Mittelstande
hervorgingen, fand sich daraus auch ein Publikum zusammen.
Durch diese Bedingungen wurde auch der Typus der Literatur
bestimmt: in dem Bestreben, die Nationalität zu wecken, be-
mühte sie sich zugleich, sich den Inhalt der zeitgenössischen
europäischen Wissenschaft und Poesie anzueignen und anderer-
seits dem Volke eine populäre Lektüre zu geben. Dieses dop-
pelte Streben blieb lange der herrschende Zug der Cechischen
Literatur: sie wies eine beträchtliche Menge TOn Uebersetzungen,
gemeinTerständlichen Publicationen über verschiedene Gegenstände
des Wissens auf und schuf ein nationales Publikum aus dem ver-
achteten und von einem fremden Element bedrohten Volke. Das
Nationalbewussteein drang aus den städtischen Kreisen ins Dorf.
Endlich trat auch die techische Poesie als würdige Kraft in
der nationalen Entwickelung auf, und wie in der Wissenschaft
zugleich mit der eigenen nationalen Frage das Bewusstsein der ge-
Bammtslavischen Einheit auftauchte, so trat in der Poesie, neben
dem particulären Patriotismus eine warme panslavistische Ten-
denz zu Tage. Der erste und bedeutendste Vertreter der Poesie
dieser Art war Johann Kollär (1793—1852), von Geburt Slo-
vak, aus dem Turoczer Gomitat. Der Vater hatte ihn fUr
seine ländliche Wirthschaft bestimmt und gab ihn erst auf seine
dringenden Bitten in die Schule; als derselbe auch später den
Absichfen seines Vaters nicht gehorchte, wurde dieser so er-
bittert, dass Kollär das väterliche Haus verlassen musste und
nur dank der Theilnahme fremder Leute die Schule fortbesuchen
kannte. Im Jahre 1812 trat er in das evangelische Lyceum zu
Pressburg, wo wir schon Safarik und Palacky sahen. Nachdem
er 1815 seine Studien beendet, ward er Erzieher, und, als er
einiges Geld zusammengebracht, begab er sich 1816 nach Jena;
im folgenden Jahre nahm er als jenenser Student an dem be-
rühmten Wartburgfest theil, wo das junge Deutschland, nämlich
die akademische Jugend, bei der Jubiläumsfeier der Beformation
ihren Uass gegen die Keaction und den Obscurantismus durch
ein phantastisches Auto de Fe bekundete. Diese Stimmung der
jungen Generation, damals besonders stark in Jena, und der
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220 Fflnfta« Kapitel. I. Die Öeohen.
EinfluBS der llDiTersität hatten wahrscheinlich ihren Antheil
an der eigenthümlichen Beschaffenheit der patriotischen Be-
strebungen des (echö - sloTakischeii Dichters. Doch kam noch
ein Umetand persönlicher Natur dazu. Hier an den Ufern der
Saale und Elbe lebten einstmals die polabischen Slaven, welche
durch deutsche Feindschaft und eigene Zwietracht untergingen:
das Nationalgefühl, durch diese historischen BeminiscenEen
geweckt, verschmolz bei KoUar mit der Liebe, deren Gegen*
stand Wilhelmine Schmidt war, die Tochter eines deutschen evan-
gelischen Geistlichen, welcher von solchen slavischen Vorfahren
abstammte (er heirathete sie erst im Jahre 1835). Dieses dop-
pelte Gerühl gab der Poesie Kolldr's ihren Inhalt; es sind darin
seine persönlichen Freuden und Leiden mit seinen Reminiscen-
zen an die Vergangenheit des Slarenthums, mit Betrachtungen
über die Gegenwart, idealistischen Phantasien von der Zukunft,
und Aufmunterungen zu einem nationalen Patriotismus ver-
einigt. Seine Gedichte erschienen anfangs unter dem einfachen
Titel „Bäsne" („Gedichte") •, aber in den folgenden Aus-
gaben hiessen sie ,,Slävy Dcera" („Släva's Tochter")^, unter
der Bowol die geliebte Minna als das gesammtslavische Vater-
land verstanden ward.
„Sldva's Tochter" ist in tönenden und bisweilen wahrhaft
poetischen Sonetten ' geschrieben, im Inhalt kam eine neue Ten-
denz scharf zum Ausdruck, welche gegenseitige slavische Liebe
und slavische Einheit predigte: es sind entweder patriotische
Elegien, hervorgerufen dnrch die Erinnerung an den frühem
Ruhm, oder Aufforderungen zur Eintracht oder Anklagen gegen
die Abtrünnigen; das didaktische Element nimmt in der Dich-
tung sehr viel Raum ein. Die poetische Thätigkeit KoUär's be-
schränkte sich auf dieses eine Werk ausser einigen wenigen an-
■ Trag 1821.
' „SIävy Dcera. Bäsefi lyricko-epickä ve ttech zpSvioh" (Pest 1824).
Furner: — v päti npevieh, und dazu hIb besondere Schrift „VJklad"
(„Auslegung", Peat 1832; Pest 1845 in 2 TUeilen; "Wien 1852; Prag 1802).
Eiuzelne Sonette wurden überaetzt ins Polnisclic, auch ins Deut«ohe, Kran-
züäiBclic, Ei]glis<7he. Ins Russiet^he ist die Einleitung (im Vemnasa dei
Original», Distichen) und einige Sonette von A.Berg Übersetzt, in .,Po«iiJa
Slavjan", S. 34S— 353.
) In der Ansgabe von IMb 622 Sonette; in den letiten Ausgaben 64S.
...., Google
Johann Kollfir. 221
dem unbedeutenden Gedichten. Nach seiner Rückkehr aus Jena
ward er evangeliBcher Prediger in Fest, schrieb Predigten, be-
Bchäftigte dcb mit dem elavischen Alterthum und der Volkspoesie,
tmtemahm einige Reisen zur Erforechung der Ueberreste (meist
venneintlicher) slavischer Alterthümer in Deutschland, der
Schweiz, Italien. Dahin gehören seine „Volkslieder der Slovaken
in Ungarn" ', seine Untersuchungen über den Ursprung, die Alter-
thümer und die Namen der Slavcn (1830, 1839), seine „Reise"
(1843), endlich „Das slavische Alt-Italien". Aber in diesen, ge-
lehrten Fragen gewidmeten Werken macht sich wieder nicht der
Gelehrte bemerklich, sondern der Dichter. Das slavische Alter-
thum stellt sich ihm hier in derselben poetischen Gestalt dar
wie in „Slära's Tochter"; seine Phantasie malte ihm sogar Slawen
in Italien.^ Als die ungarischen Unruhen begannen, hatte Kollär,
der seine Landsleute warm vertheidigte , viele schwere Prüfun-
gen und Verfolgungen seitens der Magyaronen zu bestehen; bei
Beginn der Revolution ging er fort nach Wien, wo er 184i'
den Lehrstuhl der slavischen Alterthümer au der Universität
erhielt.
Endlich ist nicht weniger als „Släva's Tochter" noch ein
Werk KolUr's berühmt, das seinerzeit einen starken Eindruck
im slavischen Publikum hinterliess. Dies war eine kleine
Broschüre: „Ueber die literarische Wechseleeitigkeit
zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten
' Als wir von Snfarik sprachen, gedachten wir der ersten Ausgabe die-
aer Sammln Dg. Die zweite, sehr vermehrte, ward vonKollär seibat inPest,
1834—35, in 2 Bänden veranstaltet. Seinerzeit galt diese Auagabe SafaHk'e
für die beste im Slaventhum; „Sebrane Spiay", III, 408— 409.
' „Kozpmv; o jmenäch, poiätkach i staroätnostech n&rodn Slovan-
ekeho etc." („AbhandlangeD über die Namen, die Anfange und Alterthümer
des elavischen Yolkea", Ofen 1830); „SInva Bobyn^ a pSvod jmena Slaväv
ih SiavjanÖv" („Die Göttin Släva und der Ursprung des Namens Slaven",
Pest 1839) ; „Cestopia, obsahnjiei ceatu do borni Italie a odtud pfez Tyrolako
a Bavorsko, se zvlaltnim ohledem na alavjanake zivly (1841) etc," („Reise-
beachreibnng, enthaltend eine Reiae uaob Oberitalien und von da an durch
Tyrol und Baiem, mit besonderer Rücksicht auf die alaviscben Elemente",
Ebend. 1843; Pr^l863); „Staroitalia slavjanskä" („Dae slaviscbe Altitalien"),
herausg^eben naoh seinem Tode (Wien 1853; 2. Anfl. Frag 1865). — Die
auf das elavische Alterthum bezüglichen Schriften Kollar's waren meist Fban-
tasic, über die sogar Freunde, wie Safai-ik, misvergnügt waren.
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222 Fünftes Kapitel. I. Die Cecben.
der BlaTiechea Nation,"' Sie war tod ebendemselben pan-
sUtTistiscben Patriotismas eingegeben. Kollär erkannte bei all
seiner LeideuBcbaft für die „Blava" (den Kubm), seines Stam-
mes doch an, dass die jetzigen Slaven nnr ,, Riesen in der
Geographie und auf den Karten und Zwerge in der Kunst
und Literatur'^ seien; die Ursache dieser betrübenden Thatsacbe
war seiner Meinung nach die Zersplitterung und der Mangel an
Einheit und deshalb müssten sich die Slaven zur Befestigui^
ihrer nationalen Bestrebungen zu literarischer Gegenseitigkeit
vereinigen. „In unserer Zeit", sagte er, „ist cb nicht genug, ein
guter Russe, ein eifriger Pole, ein vollendeter Serbe, ein gelehr-
ter Oeche 2U sein, und ausschliesslich, wenn auch noch so gut,
russisch, polnisch, 6echisch zu reden. Die einseitigen Kinder-
jähre des slavischen Volkes sind vorüber; der Geist des gegen-
wärtigen Slaventhums legt uns eine andere, höhere Pflicht auf.
nämlicb alle Slaven als Brüder einer grossen Familie anzusehen
und eine grosse gesammtslavische Literatur zu schaffen." . . .
Zur Erreichung eines solchen Resultats hielt Kollar das gegen-
seitige Studium der Dialekte für nothwendig. Er erklärt, welche
Gefahr dem Slaventhum aus seiner Zersplitterung drohe und wie
nothwendig ein geistiger Verkehr der Literaturen zur Erfüllung
der historischen Aufgabe des slavischen Stammes sei — die Ci-
vilisation und die Bildung weiter zu Tühren nach den germani-
schen und romanischen Völkern, die jetzt ihre Stelle einem neuen,
frischen Volke abtreten müssten. Das Mittel, welches Kollär zur
literarischen Vereinigung vorschlng, war k« ungenügend, aber
' Anfangs Eeobisoli geaoliriebea, dann (leutacli erBchienen: „Ceber die
literarieohe WechaeUeitigkeit etc. Ans dem Slaviachen, in der Zeitecluift
Hronka gedrucktem, ins Deutsche übertragen and veimebrt votn Verfksaer"
(Pest 1837). Die Broschüre ^Tu^de dann in fast alle slavisoheo Dialekte über-
setzt. Die zweite tecliiaohe Ausgabe: „0 literami VKajemDosti etc.". fiber-
setzt aus dem Dentaohen von Job&nn Slav. Tomiiiek (Prag 1853); serbiiofa:
„0 kui^no) UEigamnosti etc.", übersetzt aus dem Dentaoben von Dem. Tto-
dorovie (Belgrad 1846) uad iu der „Zastavn", 1878; mssisobe UeberMUon-
gen in „Mosk. Vedomosti", 1838, in „OteC. Zapiski", 1840, Nt. 1-8 (von
Sreznevskij). Das llui;]i lenkte ancb im feindlioben Lager groae Auf-
merksamkeit auf sich, wo man es überhaupt als ein Manifest des Paosltvis-
mns ansah. Wir nennen z. U. den Artikel in „Viertel] abrsobrift ans anil
für Ongam" 1848, I, 1. Hälfte, 8. 122—130, ans „Pesti Hirkp" (wie e«
scheint, von Pulszky).
...., Google
Johann Kollsr. 223
nichtsdestoweniger hatte seine Schrift grossen Erfolg, von der
„Wecheelseitigkeit" begannen alle panslavistischen Patrioten zu
reden, indem Bie in ihr die Panacee für alle Nöthen des sla-
Tischen Stammes fanden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass
dies auch seine praktischen Folgen hatte in der Kräftigung der
panslavistischen Interessen, wie auch die Dichtung KoUär's einen
ühnlichen Einduss hatte.
Die „Slävy Dcera" übte einen um so stärkern Eindruck aus,
als ihr äu&serat idealistischer Charakter aufs beste der Richtung
enteprach, auf die wir oben bei den Vertheidigern der Nationa-
lität hingewiesen haben: die Uebertreibungen bemerkte man nicht
— sie lagen im Wesen der allgemeinen Stimmung; Lehrhaftig-
keit and Weitschweifigkeit erschienen nicht als Mangel, weil in
den Belebrungen ein, wenn auch abstractes, Programm gegeben
wurde, wie es das schon geweckte aber noch nicht zu bestimm-
ter Form gelangte Gefühl suchte. Der erhabene Ton, in dorn
die Dichtung gehalten ist, passte aufs beste zu der idealisti-
schen Aufgabe. Mit der „Slavy Dcera" wird eine ganze Reiho
poetischer Erzeugnisse, welche dasselbe Thema der gesammtslavi-
echen Einheit, des vergangenen und zukünftigen Ruhmes wieder-
holten, eröffnet.' In den fiinf Gesängen der Dichtung (Saale;
Elbe, Rhein, Moldau; Donau; Lethe; Acheron) gehen die histo-
rischen Reminiscenzen , die Segnungen und das strenge Gericht
über die Handlungen und die handelnden Persoiien des Slavcn-
thums bis in das entfernteste Alterthum zurück und schliessen
mit warmen Aufmunterungen zur Einigkeit und Arbeit für den
gemeinsamen Nutzen. Dies war der charakteristischste Ausdruck
' Eine Sammlung der Werke Kollära (übrigena unvollständig): „Spiay
Jana KoUfira" (4 Thle., Prag 1862- 63). Darin findet aieU auch aeine iuter-
esBftnte Selbstbiographie, die übrigena nur aeine Jugendzeit umfaaat (IV. Th.
S. 89-985). Die einzige Biographie Kollär'a ist der Artikel von ZelenJ,
im Almanach „Mäj", 18C2. Vergi. Hnrban, Pohl'ady, LS. 127—134. Für
den künftigen Biographen ist ein interessantes Material aufgehäuft in den
Briefen SafaKk'a an Kollar, im „Casopis", 1873 u. f.; PalaukJ's ebend. 1879;
Jnngmann's, ebend. 18S0; Briefe Kollär'a an N.l. NadeSdin, in „Russk. Archiv",
1873i Erinnerungen an ihn und einige Briefe in „Piäma k Pogodinu izälav.
zemel", hei-anageg. von N. Popov (Moakau 1879—80). St. Pif , „OCerk polit.
i liter. istorii Slovakov" (in Slav. Sbornik Bd. I — II). Vergl. über Kollär
nocb weiter unten, in der Literatur der Slovaken.
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324 Fünftes Kapitel. I. Die Cechen.
des idealistiBchen Patriotismus von den zwanziger Jahren an bis
1848 und Citate aus ,,Siävy Dcera" waren bei den westslari-
Bchen Schriftstellern die gewöhnliche Bekräftigung patriotischer
Aufrufe.
Wir führen ein Muster der slaviachen Aufrufe KolUr'g an:
„Eine grosse Sünde ist der grimme Mord, ßaub, Verrath, Brand, Gift
— solche Missethäter sind werth, dass ihr Blut und ihre Seele dem Körper
entströmen unter dem Schwerte des Gerichta; und Lüge, Hochmuth,
Neid, Verführung, weichliche Wollust, welche den Sitten nachstellt,
und wie die Greuel alle heissen, die auf die Erde aus der glühenden
Hölle gekommeu sind. — Aber ich keune gleichwol einen Brachen
mit einem schwarzen tiässliclien Gesicht, gegen welchen diese Sünden-
Bplitter noch weisser sein werden als Schnee. Dieser eine raubt, zischelt,
lehrt das Böse, schlägt sich selbst, die Vorfahren und Nachkommea,
und heisst; Undank gegen das eigene Volk.
„Also, solange das junge Herz schlägt, laast uns das Wohl der
lieben Heimat suchen ; ihr Wachen weckt die Schtuinmernden, ihr l'eii-
rigen die Kulten , ihr Lebendigen alles, was verwesen wilL Ihr Ge-
treuen , zertretet den verrätheri sehen Draclien ; ihr Fi-eigebigen, scheltet
die von der Seite schielenden, ihr Fleissigen das Gesindel, welches von
den blutigen Schwielen der Brüder lebt und ihr Blut trinkt: niemand
kann sich herrlicher mit kühner Stirn rühmen, als der Patriot, welcher
in seinem Herzen das ganze Volk trägt; — und das mit Recht, weil
auch er — mag der Karr darüber lachen — Gott RechenBchaft ab-
legen wird für seine Schafe.
„Es arbeite jeder mit beharrrlicher Liebe auf der ererbten Flur
des Volkes; die Wege mögen Terachieden sein, wenn wir nur alle einen
Willen haben; es ist thöricht, mit unkundiger Hand die Bahnen des
Mondes messen zu wollen, wie ungeübte Beine im Tanze zu versodien
um spärliches Lob. Besser bandelt der, welcher in bescheidenem
Kreise arbeitet, treu auf seinem Feldstück stehend; gross ist er, sei er
Diener oder König; oft kann die stille Hütte des Hirten für die Hei-
mat mehr thun als das Feldlager, aus welchem Zizka kämpfte.
„Schreibe nicht den heiligen Namen des Vaterlandes dem Lande m,
in welchem wir wohnen; das wahre Vaterland tragen wir nur im Her
zen — dieses Vaterland lässt sich nicht tddten, noch rauben; hent«
oder morgen werden wir den Mörder der Heimat toben and du
Volk in seinem Joche sehen — aber wenn wir uns im Geiste geeinigt
haben, wird das Vaterland ganz sein in jedem Tbeile des Bandes;
zwar ist dem unschuldigen Gefühl auch der Hain, der FInss, die
Hütte theuer, welche der Ahn seinem Enkel hinterlassen hat; aber
die unaerstörbareu Grenzen des Vaterlandes, die sich der Spott an-
zurühren fürchtet, das sind — einmüthige Sitten, Sprache und Ge-
danken." (Sonette 241—244).
Im Sonett 258 und dem folgenden wendet sich KolUr an das ge-
sammtslavische Vaterland „Slavien" (oder auch ÄU-Slavien) nnd nadi
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JohauD Eollar. 225
seinem Beispiel ei-weckte dieses Phantasieland noch lange nachher (und
»Ibet jetzt noch) den Enthusiasmus der westsl avischen Dichter, ias-
besondere der cechischen : „0 Slavien, o Slavien, dn Name süsser Töne,
bitterer Erinnerungen, hundertmal in Stücke zerrissen, um immer höher
geehrt za werden."
Vor seiner Phantasie breiten sich die unübersehbaren Grenzen des
gesammtslavischen Vaterlandes aus: „Alles haben wir, glaubt es meine
lieben Landsleute und Freunde! Was uns unter die grossen, reifen
Velker der Menschheit setzt; Land und Meer breitet sich unter uns
aus, wir haben Gold, Silber, geschickte Bände, Sprache und fröhliche
Lieder; nur Eintracht und Äufklilrung fehlt uns." (Sonett 260.) Er for-
dert die slavischen Völker auf, in Eintracht und Einheit zu leben:
„Macht der lieben Mutter die Freude, ihr Russen, Serben, Cechen, Polen,
lebt einträchtig, wie eine Heerde!" (Sonett 261)- „Denn fremdei
Durst saugt unser Blut, und der Sohn, des Ruhmes seiner Väter ankun
dig, rühmt eich noch seiner Knechtschaft!" (Sonett 263).
Während seiner Wanderung an der Donau muss der Dichter an den
Untergang der slavischen Reiche, an die jetzige Knechtung des Slaven-
thums gedenken, — Hoffnung gibt es keine: ,,0 Gott, 0 Gott", ruft
er aus, „der du es immer wohl gemeint hast mit allen Völkern: auf
Erden gibt es nieipand mehr, der den Slaven Gerechtigkeit erwiese!
Wo ich auch hinkam, überall hat die bittere Klage der Brüder mir die
Freude meiner Seele getrübt; o du, Richter über alle Richter, sage:
wodurch ist mein Volk so schuldig? Ihm geschieht Unrecht, grosses
Dnrecht, aber unsere Klagen und unsern Gram schmäht die Welt oder
verlacht sie; aber nur darin lass mich deine Weisheit erleuchten: wer
ist hier der Sünder? Der, welcher dieses Unrecht thutj oder der,
welcher es erduldet." (Sonett 290).
Zuweilen treten dem Dichter helle Bilder der Zukunft des Slavea-
thums vor Augen, aber häutiger klagt er im Bewusstsein der schweren
Gegenwart und sein patriotischer Gram kommt nicht selten in einer
wahren und tiefen, wenn auch zu gelehrten Poesie zum Ausdruck.
Öechische Kritiker geben nicht ohne Grund der altem Redaction
der Dichtung Kollär's den Vorzug vor der letzten, wo sich zu viel von
dieser Gelehrsamkeit findet. Vergl. Oelikovsky, Sebran4Listy, S.314
(Prag 1865).'
Die Poesie Kollär's ist eine der allerbedeutendsten Erschei-
Dungen der gaDzen neucechischen Literatur und das charakte-
ristischste Werk der KeDaissance. Ihre historische Bedeutung wird
durch Vergleichung mit der vorhergegangenen Poesie klar. Wir
' Ein DrtLeil über die Diclitung KoUiir's vom magyarischen Stand-
punkte aus in der oben erwähnten „Vierteljabrsschrift", 1843, II, 2, S. 55
—87 mit Uebersetznng einiger Sonette.
Pimr, Slmiluha liUeutnran. II, a, 15
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226 Fünftes Kapitel. I. Die (Blechen.
sahen, dasB von Ende des 18. Jahrhunderts an und fast his Kol-
l&r die (iechische Poesie rein nachahmend war; in ihr herrEchte
die naire Idylle. Die erste Reaction gegen diese Richtung ward
um 1820 gegeben durch die Einführung Ossian's in die cechische
Literatur, der die Geister ins graue, romantische und geheimniss-
volle Alterthum lenkte, und durch das Erscheinen des „Gerichte
der LibuSa" und der Königinhofer Handschrift, welche das Na-
tionalgefühl in hohem Grade weckten. Eine theoretische Negation
der pseudoclassischen Idylle und der unhestimmten Sentimentalität
war die erwähnte Schrift Öafank's und Palacky's, 1818. Aber diese
Impulse brachten noch keine klare nationale Stimmung hervor.
Die hei den Cechen nicht reiche Volkspoesie war wenig geeignet,
eine solche zu schaffen, auch begann man damals sich erst
für sie zu interessiren. So hatte KoUär ein kaum erwachtes
Nationalhewusstsein vor sich. Seine Dichtung war dagegen
eine einheitliche, tief empfundene und kräftig ausgesprochene
poetische Predigt der nationalen Sache , welche ausserdem nicht
für die engen Grenzen des cechischen Stammes, sondern Für
die ganze slavische Welt Geltung haben sollte. Mit seinem
Panslavismas kam Kollär Safarik zuvor, und in der slavischen
Poesie ist er bisher noch von niemand ersetzt als Prediger
der Gegenseitigkeit und der ethisch-nationalen Einheit. Bis
heute, nach zwei Generationen, bleibt die „Slävy Dcera" der
einzige poetische Codex des Panslavismus, der damals freilich
(fügen wir hinzu) bei weitem nicht so gefährlich war, wie ihn
die Gegner darstellten.
Der Zeitgenosse KoUär's, ein zweiter Dichter und Panslavist,
Franz Ladislaus Öelakovsky (1799 — 1852), war der Sohn eines
einfachen Tischlers, aber es gelang ihm, eine Universitätsbildung
zu erhalten, und er beschäftigte sich früh mit der Literator.
Sein erstes Werk waren „Gedichte" („Smiäene bäsne", 1822) und
„Slavische Volkslieder" („Slovanske närodni pi'sne", 3Thle., 1821).
worauf Uebersetzungen aus Herder, Walter Scott u. s. w. folgten.
Die Werke Celakovsky's zeichneten sich durch eine Reinheit der
Form aus, welche für jene Zeit, wo es sich noch um die Fixirung der
Literatursprache handelte, bemerkenswerth war. Seine eigentliche
Berühmtheit beginnt erst mit dem Jahre 1829, als er das Buch
„Wiederhall russischer Lieder" („Ohlas pisni ruskych") herausgab,
worin er mit einer für die damalige Zeit grossen Kunstfertigkeit
den Charakter der russischen Volkspoesie wiedergab. Ausser der
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Franz L. ^elakovakf, 227
„Slävy Dcera" hatte noch kein Werk der neuern Literatur einen
solchen Erfolg gehabt, wie dieses Büchlein, und öechische Kritiker
sagen noch jetzt, dass, ,,wenn Celakovskj auch nichts weiter ge-
schrieben hätte, ihm schon der uOhlas» allein einen Platz anter
den ersten Bichtern sichern würde". Es ist dies keine blosse
Wiederholung Tolksthümlich-poetischer Uotive, sondern auch ihre
Anwendung auf einen neuen Inhalt. Eine ähnliche Arbeit machte
später Öelakovsky auch in Bezug auf die ^echische Poesie im
„Wiederhall Öechischer Lieder" („Ohlas pisni öeskjch", 1840).
Seine äussern Verhältnisse waren ziemlich bedrängt; er lebte von
Correcturen und Uebersetzungen ; später half ihm die patriotische
Protection des Gründers der iechischen Matica, Fürsten Rudolf
Kinsky. Um 1830 handelte es sich um die Berufung CelakoTsk^'s,
nebst Safank und Uanka, nach Russland; aber, wie früher er-
wähnt, kam die Sache nicht zustande. Im Jahre 1834 ward Öe-
lakovsky Redacteur der „Prazske Noviny"; daneben begann er
die ,,Cechische Biene" („Ceskä Vcela") herauszugeben, welche
nicht wenig zur Belebung der Literatur beitrug. Im Jahre 1835,
nach dem Tode Nejedl^'s, erhielt er den Lehrstuhl der dechischen
Sprache an der Universität, und es stand ihm damit eine Arbeit
nach seinem Herzen bevor; aber ein Umstand brach in unerwar-
teter Weise seine Universitätsthätigkeit ah. Während des pol-
nischen Aufstandes waren seine Sympathien im allgemeinen auf
der Seite der Russen, aber das Schicksal Polens vrirkte gleioh-
wol stark auf ihn: er wollte, dass der Streit im Geiste der sla-
vischen Brüderlichkeit gelöst werde, dass bei dem Sieger weiter
Blick und Hochherzigkeit zu finden sei.* Nach Beendigung des
Aufstandes, als sich seine traurigen Resultate entwickelten, wen-
deten sich die Sympathien Öelakovsky's auf die Seite der Polen,
) In einem Briefe vom IT. Jan. 1831 äussert Celakovsky : „Man sagt, dasB
aaa Theilen Polens wieder ein Königreich werden wird. Icli mochte es
wünschen — es wäre dann wenigstens ein ilavischer Hof mehr in Europa,
□nd die Küssen würden dabei nicht viel verlieren. SoUle es so werden,
8o würde ich meiner Treu' in Polen eine Professur oder ein anderes Amt
übernehmen, denn Slaven wären daselbst nütbig nach Verdrängung des Deut-
schen von dort." Sein Freund Kamaryt schreibt zu derselben Zeit : „Gäbe
Gott Glück dem Weissen Adler!" Im August 1831, bei Erwähnung der
Annäherung der russisohen Truppen an Warschau bemerkt Celakovskj:
„Möchte dies doch in guter und grosshcrziger Weise enden." S. ÖelakovskJ,
„Sebrane Listy", S. 287, 289, 290 {Prag 1865).
15*
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228 Fünft«« Kapitel. I. Die (Rechen.
und er sprach sie in seiner Zeitung aus. Die ÖBterreichische
Gen8ur sagte nichts dagegen; aber die ruBsische GesandtBchaft
in Wien mischte sich in die Sache, und OelakoTsky verlor zu-
gleich sowol die ProfeBBur wie die Redaction der Zeitung. Aber-
mals half Celakovky die Witwe des Fiireten Kinsky, intern sie ihm
zu ihrem Bibliothekar machte. In dieser Zeit wendete er sich
wieder der poetischen Thätigkeit zu und gab ausser dem er-
wähnten „Wiederhall ^eclüscber Lieder" die „Centifolie" („RüSe
stolistä", 1840) heraus. Die letztere geniesst ebenfalls grossen
Ruhm; es ist theils eine Lyrik aus persönlicher Empfindung, theils
eine reflectirende und dann etwas langweilige Poesie, übrigens
mit lebendigen Episoden, wenn sich der Verfasser den nationalen
Interessen zuwendet. Die Bedürfnisse der ^ecbischen Literatur
nötbigten auch äelakoTsky zu einer doppelten Thätigkeit: er war
Dichter und Philolog, indem er an einem etymologischen Wörter-
buch arbeitete, und die officielle üebersetzung der Criminal-
gesetze machte u. s. w. Im Jahre 1842 berief man ihn schliess*
lieh auf den slaTischon Lehrstuhl nach Breslau, wo er sich
mit einem andern gelehrten Cecheu, dem berühmten Physio-
logen Purkyne, befreundete. 1849, bei der Aenderung der poli-
tischen Verhältnisse, konnte er auf dasselbe Katheder nach
Prag übersiedeln: hier beschäftigte er sich ausschliesslich mit
Philologie, gab einige Hülfsmittel zum Studium der slavischen
Sprachen und eine Sammlang gesammtslavlBcher Sprichwörter
(„UudrosloTi ndroda stovanskeho v prfsloTich", I8Ö2) heraus.
Nach seinem Tode wurden seine „Vorlesungen über die ver-
gleichende slavische Grammatik" herausgegeben, und zuletzt die
„Vorlesungen über die Anfänge der Cultur und Literatur der
slavischen Völker", welche bis zum Jahre 1100 reichen.'
Die Poesie Celakovsky's war ebenfalls panslaristiscb. In den
allgemeinen Ideen kommt er mit Kollär überein und arbeitet
für die slavische Annäherung, indem er der (echischen Literatur
national-poetische Züge anderer Stämme aneignet. Im Speciellen.
in den eigentlich dechischen Verhältnissen, machte der sehr ein-
drucksfähige Charakter Celakovsk^'s, gereizt durch die Misge-
schicke des Lebens, zu einem besondern Zug seiner Schriften das
I Cteni o poEatcfoh vzdflanoBti a literalury narodSv fllovassktch" (N<>-
voEwkA Bibl., XXI, Prag 1877).
_..., Google
Franz L. Öelakovsk^. 229
beiseende Epigramm, von dem, wie ea scheint, auch jetzt noch
nicht alles veröffentlicht ist. *
Dies war der Charakter der bedeutendsten Vertreter der
zweiten Epoche der Öechischen Renaissance. Die Sache bewegte
sich noch auf rein literarischem Gebiet; die schriftstellernden
Patrioten erklärten die nationale Idee als ein historisches Recht,
als eine sittliche Pflicht des Menschen gegen die Heimat; sie
arbeiteten an dem Werkzeug der Literatur, der Sprache, um sie
der neuen Bildung anzupassen. Es war schon nicht mehr die
Zeit der treuherzigen Idylle, aber immerhin noch vorwiegend
eine Zeit des IdealismuB; die Patrioten waren noch ein unbe-
deutender Theil der Gesellschaft, aber geleitet von einer Auf-
gabe, traten die bessern Leute in einen solidarischen Kreis zu-
sammen und erreichten ihr Ziel. Die Cechen sehen mit Stolz
auf diese Periode ihrer Literatur, die thatsächlich eine der be-
merkenswerthesten Erscheinungen der ganzen slavischen Bewe-
gung ist, — es war dies die moralische Auferstehung einer fast
erstorbenen Nationalität.
Der Weg war gebahnt; in der weitem Entwickelung der Li-
teratur, bei den Schriftstellern zweiten Raines dieser und der
folgenden Periode, finden wir nur eine Fortsetzung des Begon-
nenen. Der Mangel an Kräften verursachte es, dass die Schrift-
steller der ersten Epoche der Renaissance nicht selten sehr un-
gleichartige Specialitäten vereinten, — KolUr will Alterthumsfor-
scher sein, um das von ihm besungene alte „Slavien" zu finden;
■ J. Hal^, „Fr. Lad. Öelakovakj" (PrE« 1842). J.E&nui, ^ivotapuao-
benf Fr. Lad. Celakovakeho" (Prag 1855). Die Coirespondeuz Celakovsk^'s
mit seinen Freunden, Kamaryt, ChmelenskJ, VinarickJ, io Sebranfi Listy
(Prag 1866; 2. Anfl. 1869). Eine andere Correspondenz mit Wenzel Stanik,
im Öaaopia 1871 — 72; Briefe Celakovaky's an PurkynS, ebend. 1878.
Einige Briefe aua den Jahren 1823 — 28, ruBsisch oder Sechisch in mssi-
ecbem Alphabet, abgedruckt in Zaderackij's „Slav. Eiegodnik", S. 286—
295 (Kiev 1878).
Seine poetischen Werke wurden gesammelt in der Ansgabe ; Fr. L. Ce-
lakovsk^ho Spiaäv bisnickjeh knihy ieetery (Prag 1847; NovoCeskä Biblio-
ttJka, 5. VIII): I.Die Centifolie; II. Wiederhall ruBsiacher Lieder; Ill.Wieder-
liall CeohiBcher Lieder; IV. VennisoUte Gedichte; V, Epigramme; VI. An-
thologie (aus slavischeu nnd fremden Literaturen), — in einem Bande.
Eine neue Ausgabe von CelakovakJ'B Werken erscheint in Kober's „Nä-
rodni Knihovna" (Prag).
ü,g:.._.u., Google
280 Fünftes Kapitel. L Dia Öeohen.
GelakoTsky befasst sich mit Philologie; SafaHk übersetzt „Maria
Stuart", Jungmann das „Verlorene Paradies", der Physiolog Pur-
kyne übersetzt Schiller. In den dreissiger und vierziger Jahren
breitet eich die Literatur aus; die Zahl der Schriftsteller wächst,
ihre Thatigkeit specialisirt sich mehr; der Umfang des Publikums
vergrÖssert sich: aus dem Volke gingen häufig auch Leute hervor,
die selbst an der Renaissance mitarbeiteten; in der Mittelklasse
zeigt sich Interesse für das eigene Volksthum in der Form des
„Patriotismus" (vlastenectvi).
Die £echische Poesie begann sich damals mit besonderer Liebe
den volksthümlichön Motiven , den historischen Reminiscenzen
zuzuwenden. Zwei der angesehensten Schriftsteller jener Epoche,
jüngere Zeitgenossen Safank's, Kollär's, Palacky's, Wocel und
Erben haben ebenfalls einen in der Poesie wie in der Alter-
thumskunde gleichbekannten Namen. Johann Erasmus Wocel
(1803 — 71), Sohn eines Beamten in Kuttenberg, zeigte früU
besondere Begabung, in der Kindheit hatte die Lektüre c«cbi-
scher Bücher, alter und neuer, in ihm das patriotische Ge-
fühl entwickelt, und obgleich die Schulen, welche er durchlief,
rein deutsch waren, erhielt es sich dennoch. Schon auf dem
Gymnasium schrieb er eine Menge Verse und dramatische Stücke;
die letztem improvisirte er bisweilen, indem er die Rollen den
Kameraden ohne weiteres dictirte. Diese Schöpfungen vernich-
tete er selbst; nur das hat sich erhalten, was von ihm heimlich
durch seinen Vater an einen Verleger gelangte (die Tragödie
„Harfa", Königgrätz 1825). Nachdem er seine Universitätsstadien
in Prag begonnen, setzte er sie in Wien fort, wohin er sich im
strengen Winter zu Fuss begab, in der Hoffnung, hier mehr
Subsistenzmittel zu finden. Ein glücklicher Zu&ll gab ihm eine
Lehrerstelle im Hause der Grafen Öemin, dann des Marquis Pal-
lavicini, des Grafen Stemberg, Salm-Salm, Harrach; er lebte mit
ihnen in Ungarn, am Rhein u. s. w. Lange von der Heimat weg-
gerissen, trat er zuerst als Novellist in deutscher Sprache auf (in
den Zeitschriften: Der Jugendfreund, Der Gesellschafter, Oester-
reichisches Wunderhorn). Im Jahre 1834 wandte er sich jedoch
unter dem Einäuss der Lektüre der Böhmischen Chronik Pelzel's
nationalen Themen und der nationalen Sprache zu, und schrieb
eine epische Dichtung, die „Premysliden", die infolge von Censur-
verschleppungen erst im Jahre 1839 erscheinen konnte.' Der
' PtemjBlovoi. B&mÜ epiokä. Prag 1889; 1869; 1879 (Spiay, Bd. 2.).
ü,g:...uJ,C00glC
Joh. E. Wocel. 231
Verfaeser batte seine Muttersprache etwas vergessen, aber die
Dichtung batte nichts destoweniger grossen Erfolg, dank ihrer
Grundidee — dem Streben nach einer freiem Bewegung des natio-
nalen Lebens. In diesen Jahren erschienen, wie gerufen, die Ca-
pitalwerke der öechischen Renaissance: Safarik's „Alterthümer",
„Kollär's „Wechselseitigkeit" (1837), der erste Band von Palacky's
„Geschichte von Böhmen" (1836). Die cecbiscbe Bewegung, schon
früher der polizeilichen Aufsicht unterworfen, erweckte jetzt auch
die Feindschaft der deutschen Publiciatik. Die Cechen vertheidig-
ten sich in ihrer Literatur, die jedoch nicht an die Gegner ge-
langte. Wocel trat zu ihrer Vertheidiguog in einer Beihe deutscher
.\rtikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung auf.' Vom Jahre
1842 an liess er sich in Frag nieder, um sich ganz der ge-
lehrten und literarischen Thätigkeit zu widmen, trat sofort in
den „patriotischen" Hauptverein und allmählich in alle litera-
risch-patriotischen Anstalten Prags ein — in das Museum, die
Matica, die Gelehrte Gesellschaft, die Bedaction des „Casopis"
u, 3. w. Im Jahre 1843 gab er „Schwert und Kelch" („MeC a
kalich"), eine B«ihe historischer Gedichte über die ruhmyollsten
Ereignisse des 14. und 15. Jahrhunderts in Böhmen, heraus.^
Dieser poetische "Cyklua schloss mit dem „Labyrinth des Ruh-
mes" („Labyrint slävy", 1846). Schon früher hatte Wocel ein
deutsches Buch über die böhmischen Alterthümer herausgegeben *,
das den Anfang der gelehrten Thätigkeit bildete, welche sein
späteres Leben ausfüllte. Im Jahre 1848 — 49 nahm er eben-
falls theil an den Ereignissen, war Mitglied des Reichstags.
1800 erhielt er den Lehrstuhl der böhmischen Alterthumskunde
und Kunstgeschichte an der prager Universität und ward der
eigentliche Begründer dieses neuen Gebiets der (echischen Lite-
ratur. Er schrieb eine Reibe von Abhandlungen über das böh-
mische Alterthum und die böhmische Kunstgeschichte und als
Resultat seiner Untersuchungen über das Alterthum erschien das
Werk: „Die Urzeit Böhmens" („Pravek zeme feske", 2 Theile,
1866—68), das bedeutendste Buch der cechischen Literatur auf
dem Gebiete der Alterthumskunde. Wocel gehören auch viele
*AngBb. Allg. Zeitung, von 1839 bis 1846. Ueber diese Polemik siehe
,,CaBtipiB" 1819: „Naie iaiaul6 boje".
' Neue Ausgabe, 1874 (Spisy, Bd. l.|.
' „Gnmdzüge der böhm. AltertbuniBknude" (Prag 1845).
., Google
232 FüdAcb KftpiteL I. Die Öechen.
werthvolle Artikel im Gebiete der Geschichte, dee Hechts, der
^thetischen Kritik an. ' Er var überhaupt einer der ernste-
sten Gelehrten und gebildetsten Männer der cechischeo Gesell-
schaft, und grosB ist sein Verdienst in der Hebung des National-
gefuhls — Bowol durch seine Poesie wie durch seine wissen-
schaftlichen Arbeiten.^
Der andere verdiente Dichter und Gelehrte, Karl Jaromir
Erben (1811 — 70), studirte auf einem Provinzialgymnasiam und
an der prager Universität und nahm früh an den kleinen lite-
rarischen Journalen theil. Nach Abscbluss seiner juridiEchen
Studien trat er iu den Staatsdienst und balf ausserdem Pa-
lack^ bei archivalischen Arbeiten, schrieb alte Urkunden ab,
sab Archive durch und sammelte derartiges Material in allen
Gegenden Böhmens. Viel von dem Gesammelten ging in Pa-
lacky's „Archiv Öesky" über. Im Jahre 1848 sandte ihn der
„NationalansBchuss" nach Agram, von wo er den Oechen über
die Thätigkeit des kroatischen Landtags berichtete; 1849 nahm
er an der Comission theil, welche unter der Leitung Safank's
an der Herstellung einer fcechischen juridischen Terminologie
arbeitete; im Jahre 1850 ward er zum Archivar des Bohmi-
Bchen Museums erwählt, und im folgenden zum Archivar der
Stadt Prag ernannt, was er auch bis zuletzt blieb. Seine
Thätigkeit zerfiel in verschiedene Richtungen. Er war erstens
Herausgeber alter Urkunden und Werke der alten Literatur';
femer Ethnolog und Sammler von Volksliedern und Volksüber-
' Dieae Artikel eiud zerstreut im „Casopia", in der ZeitBohrirt „Pamätk;
arohaeologicke a miatopiane", in den deutschen Denkaobriften der bOhmi-
acben GelehrtengeBellaohaft, den Deokachriften der Wiener Akademie.
' Eine panegyriache Würdigung beider Richtungen e. in der Schrift
von Wenzel VIfekr „Tniby vlastenecke", S. 3fi5— 376 (Prag 1879). Vr.
Ratki über Wocel, in „Rad jugoalav. ahad.'-, 1873, Bd. XXII; E. ämidek,
„Upominka na pnblioiatickon Eianost J. E, Wocela", im Casopia der mth-
risohen Maiica, 1876.
* Dahin gehört: „R^esta diplomatioa neu non epiatolaria Bohemiae et
Moraviae" (bis sjam Jahre 1358. Prag 1855; eiD groBaes Werk, übersua wiohlii
für die böhmiache Geachichte). Femer die Publicalionen: des 2. Bande« der
„Auswahl aus der teohischen Literatur" („VJbor etc."), von BartoK' Chronit.
der Werke Thomas StitnJ'a, der Legende von der heiligen KatbariDB. il(r
Eeiae Harant's von Poliio, der Cechischen Werke von Huaa.
.....Gooj^lc
Poetische Literatur. 233
tiefernngen *; Alterthumsforscher (der besonders die gesammt-
slavische Mythologie erforschte) und böhmiBcher Historiker,
eodlich Dichter. Beim Sammeln der Lieder und der Erfor-
schung des Volkslebens und Volkscharakters fand er in den
Tolkstbiunlichen Motiven den Inhalt für seine Balladensamin'
lang, den „StrauBS aus Volkssagen" („Kytice z povceti nä-
rodnich", 1853, 2. Aufl. 1861), der von den cechischen Kri-
tikern in Bezug auf treue Wiedergabe des Volksgeistes als eine
Perle der Poesie und als Muster eines rein cechischen Stils und
fechischer Sprache hochgeschätzt wird. An ihm schätzte man
auch die Bemühungen um eine geistige Annäherung der slavi-
Bcheo Stämme und Bah in der letzten Zeit in ihm den Haupt-
Termittier zwischen dem CechiBchen Volke und den andern
Slaven,*
Hierauf führen vir nur in der Kürze eine Reihe Dichter die-
ser Generation an. Der Zeitfolge nach muBS zuerst Milota Zdirad
Poläk (eigentlich Matthias*, 1788 — 1856, gestorben als öBter-
reichiscber General) genannt werden, der dem Charakter seiner
Werke nach den Uebergang von der alten idyllischen Schule zur
' „Pisne Därodni v Cechäch" (3 Bde., Prag 1842—45; 2. Aofl. 1852—56) ;
dastelbe 3. Aufl.: „Prostonarodiii Geeke pienf a Hkadia", 1862. Zu den Lie-
dern warden atich die Melodien bersuBgegeben, gesammelt von Erben «elbat,
3 Ufte., 1844 — 47, uod dos 4., 1860. Endlich eine Sammlung verschiedener
■Isvischer Märchen in den OriginalBprachen : „Sto proBtonärodcich pohädek
etc. -V näFeSioh puvodnich", auch nnter dem Titel: „Slovanskä titanka"
(4 Hefte in 1 Bd., Prag 1863—65).
' Seine geBammtBlaviBcheD Interessen kamen zum AnBdruok auBBer in der
erwähnten „Slovanskä fütanka" in einer zweiten Schrift: „Tybrane b^e a
poTäBti närodni jin^cb vitvi Blovanskjoh" (Frag 1869; in Matice lidu). Ein
umfangreioheB Material ist von ihm für die gesammtBlaTisohe Mythologie
gesammelt. Er übersetzte aus dem Rn sBis oh en Nestor' b Ännalen, 1867; das
Lied vom Heereszug Igor's und die „Zadonitina", 1869.
Eine Biographie Erbeo'B erschien Bcbou zu seinen Lebzeiten, im Alma-
nach Jdäj", für 1859, S. 95— 113, verfaset von Wenzel ZelenJ. S. femer
Kvßty, 1861; Nekrolog von Fr. RaCki, in Rad jogosl, akad., 1871. XIV,
110—130; N. Lavrovskij, „OEerk zieni u d^jatebiosti Erhena", in Z;um.
Min. Nar. Prosv., 1871.
' Damals wurde es bei den patriotischen SchriftsiellerD üebraucb, ihre
gewöhnlichen Namen in andere, altCechiache oder literarieche umzuändern,
welche einen symboliBchen Sinn hatten, oder es wnrden beide Namen
nebeneinander gebraucht, der wirkliche und der kimetliohe.
ü,g :.._.. ..Google
234 Fünftes Kapitel. I. Die ÖecheD.
neuen, nationaleo und „patiiotiBchen", bildete. Er stand ia gros-
scm Uuhm als Verfasser der Dichtung „Die Erhabenheit der
Natur" („Vzneäenost prirody", Prag 1819), welche eine Bescbrei-
hung der verschiedenen Schönheiten der Natur enthält. Hier
findet man poetische Begeisterung und kühnen Stil; was die
Spraclie betrifft, so kämpfte Polak noch mit Schwierigkeiten
und war in vielem Jungmann zu Dank verpflichtet, der 80^-
tältig die Sprache der Dichtung verbesserte und die BünleitnDg
zum grösBten Theil selbst in Hexametern schrieb. *
Die nächsten Zeitgenossen und Freunde Celakovsky's wareu;
Joseph Vlastimil Kamaryt (1797—1833), Priester, Sammler
geistlicher Volkslieder, der auch selbst geistliche und weltliche
Lieder im volksthümlichen Ton verfasste; Joseph Krasosla»
Chmelensky (1800— 1839), Dichter und „Patriot" S; Karl Vina-
ricky (1803 — 1869), Priester. Ferner Johann Pravoslav Hon-
bek (1805 — 1854), Professor der cechischen Sprache und Lite-
ratur an der prager Universität seit 1839, schrieb grössere unJ
kleinere Dichtungen, übersetzte aus dem Kussischen und Pol-
nischen, und ist besonders durch zwei Werke bekannt: „Grab-
mäler slavischer Dichter" („Hroby bäsnikü slovansk^ch") und
die humoristische ,, Reise einesDichters in die Unterwelt" („Ceato
bäsnikova do pekel". ' Franz Jaroslav Vacek (1806 — 69, er
heisst auch Eamenicky), Priester, Verfasser von Liedern in
volksthümlichem Geiste, welche sehr gefielen; Wenzel Jaromir
Picek (1812 — 51), ein sentimentaler Dichter, Verfasser von
ihrerzeit sehr beliebten Liedern mit patriotischer Tendenz; Bo-
leslav Jablonsky (1813 — 81, eigentlich Eugen Tupy), Priester,
einer der beliebtesten Cechischen Dichter: „Lieder der Liebe"
(„Pisne milosti"), „Vermischte Gedichte" („Smisene bäsne"),
„Die Weisheit des Vaters" („Moudrost otcova"); er ist Lyriker,
' Eine vollständige Auegabe der Werke Poläk't erschien in Png, IftS,
in zwei Theilen: I. Die Erhabenheit der Natur und verschiedene Qediefatt:
IL Reise nach Italien.
' Unt«r andenn gab er im Verlauf von fünf Jahren einen beeondern
„Vfnec ze zpSvfl vlastenskych uvitj a obftovanj dfvkwn vlaatenak^, '
prfivodem fortopiana" (Prag 1835—89) heraus. Der Kraus (venec) i»t *M
patriotischen Stücken aller damaligen C-echiaohen Dichter „geflochten", obA
den „patriotischen Jungfrauen" gewidmet
' Scbrane Spixy (4 Thle. Prag 1857—69), mit einer panegyriicben Bio-
graphie von K. Sabina.
...., Google
Poetiaohe Literatur. 235
Didaktiker und Patriot.' Wenzel Stulc fgeb. 1814), Propst
Ton Vysehrad, Herausgeber eines geistlichen Journals, bekannt
durcb seine patriotischen und religiös-mystischen ,, Erinnerun-
gen auf den Wegen des Lebens" („Pomnenky na cestach ii-
Tota", 1845), durch die Uebersetzung von Mickiewicz' „Wallen-
rod" und neue Sammlungen von Gedichten („Perly nebeskc" —
„üimnilische Perlen", ,,Dumy Ceske" — „Böhmische Elegien",
„Harfa Sionekä" — „Zionsharfe ", 1865 — 67), wo die patriotische
Idee wieder mit der Idee der (katholischen) Kirche verbunden
ist; der Verfasser sucht nachzuweisen, dass PatriotismuB, Katho-
licismus und Freiheit nicht nur nebeneinander bestehen können,
sondern einander ei^äuzen.^ Baron Drahotin Maria Villani
(1813 — 83) gab zwei Sammlungen Gedichte („Lyra a mec" —
„Leier und Schwert", 1844, und „Vojenske zpevy" — „Kriegs-
lieder", 1846, 1862) heraus. Als satirischer Dichter und Hu-
raorist genoss Jaromi'r Bubes (1814 — 1853) besondern Buf.
Er begann früh zu schreiben und erlangte bald Popularität
durch seine scherzhaften und patriotischen Gedichte, die eine
beliebte Lektüre in den gesellschaftlichen Unterhaltungen (den
bei den Cechen sogenannten deklamovänky) waren, wegen ihrer
leichten Form dem grossem Publikum gefallen konnten und ihm
patriotisches Gefühl einöössen mussten. Im Jahre 1842 begann
er mit Fr. Hajnis und W. Filipek ein humoristisches Journal :
„Palecek, milovnik zertu i pravdy" („Der Däumling, Liebhaber
von Scherz und Wahrheit") herauszugeben und schrieb noch
einige Erzählungen („Pan amanuends na venku" — „Der Herr
Amanaensis auf dem Dorfe", „Harfenice" — „Die Harfenspie-
lerin"), wo er Kenntniss des Lebens und ein warmes Gefühl mit
Humor vereinigt. ' Aehnliche Hoffnungen weckte schon früher
' Seine „BäBnS" (Gedichte), zum ersten mal 1841 herausgegeben, erreich-
ten in vermehrtem Bestände die füufte Auflage, 1872.
' Seinen katholischen PafriotismuB hat Stulc durch die That bewiesen,
sie er einmal mit den hberalen Patrioten im Jahre 1861 von seinem Stand-
punkt aus g^en das Ministerium Schmerling in der Zeitung „Pozor" auf-
trat, womit er sich eine Geldstrafe und zweimonatliche Gefaugnisshaft
•Seine Werke, „Spisy", erschienen in Prag (4 Thle., 1860—61; 2. Aufl.
1862). Von ihm ist das hekannte patriotische Gedicht: „Ja jsem Ceoh"
(„loh bin ein Cecho"), rnssiBch von N. Berg in „Poezija SJavjan", S. 373
—374.
:....., Gooj^lc
236 Fünftes Kapitel. I. Die Öechen.
ein anderer Schriftsteller, Joseph Jaroslav Laii(;er (1806—1846;
seine „Koprivy" — „BrenueBBcln", „Kukopia Bohdanecky" — „Die
Handschrift von Bohdanec", „Selanky" — „Idyllen"), aber er gab
bald die literarische Thätigkeit auf.
Isolirt steht Karl Ignaz Micha (1810—36) da, ein früh-
verstorbener talentvoller Dichter, dessen man jetzt als Vorläufers
der gegenwärtigen Dichterscbule gedenkt. Er besass die Be-
dingungen einer grossen Thätigkeit; er begann in dem gewöhn-
lichen patriotischen Stile — mit kleinen Gedichten, historischen
Erzählungen: „Knvoklät", „Cikäni" — „Die Zigeuner", welche
einen bedeutenden Erzähler in der Manier Walter Scott's ver-
sprachen. Aber Mächa war eine schwärmerische, concentrirte
Natur, immer der Reflexion ergeben, und es machte sich an ihm
der EinfluBS der ByroQ'schen Poesie stark hemerklich; ihn be-
herrschte die Disharmonie zwischen dem Ideal und der ViiA-
lichkeit, zwischen der Natur und der menschlichen GesellschafL
Diese Stimmung kam in seinem Hauptwerke „Mäj" zum Ausdruck,
welches von der pedantischen Kritik unfreundlich aufgenommen
wurde, aber um so mehr die Jüngern Generationen begeisterte.
Diese negative Tendenz soll aber nur vorübergehend gewesen
sein und Mächa war eben daran, zu einer realistischem poetischen
Thätigkeit zurückzukehren, als ihn ein vorzeitiger Tod ereilte.'
Zugleich mit einer reichen Lyrik entwickelten sich auch an-
dere Richtungen der Poesie. Das 6echische Drama war nicht
reich an Talenten, hatte aber Schriftsteller, welche den Bedärf-
nissen der nationalen Bühne genügten. Oben war von den Brü-
dern Tham die Rede, den Begründern des iechischen Theaters
■ im vorigen Jahrhundert. ^ Nach ihnen war ein eifriger Arbeiter
' „Mäj", ein lyriech -episch es Oediolit, erachien im Todesjahr Mächt'ii
1836, als 1. Band von Mäoha'n SchrifUn („Spiati K. H. Mäohy dU pimi");
er war aacb der einzige. Im Jahre 1848 war eine vollständige Antgabe
seiner Werke begonnen worden, blieli aber wieder beim 1. Bd. tteheo,
der einige Gedichte und eine umfangreiche Biographie enthält. Endlini
erschienen seine „Gesammelten Schriften" („Sebrane Kpisy") in Frag, 1863-
Deutsche Uebersetzung: „Miicha's Ausgewählte Gedichte" von Alfred Wald»«
(Prag 1862).
Uel)er die Biographie vgl. uoch: „Upominka na K. H. Mächo, K. S.".
im Almanacli „Maj", 18."i8, S. 29.'>— 317.
' Uelier die Anlange des Fechiaohen Theaters s. Johann H;l'bl, ..Bi*-
torie Ecskelio divadla" (Prag 1810); Leo Blas s (Karl Sabin»), „Das Theater
und Drama in Böhmen bis zum Anfang des 19. Jahrbonderts" (Pn^ IST!)-
ü,g :.._.. ..Google
Drama. 237
auf diesem Felde Johann Nepomuk Stepänek (1783—1844),
Ver&sser einer Menge originaler und übersetzter Stücke, die im
al^emeinen keinen grossen literarischen Werth hatten, aber,
was wichtig war, der beginnenden Bühne Material gaben. Ste-
pänek führte natürlich auch das nationale Element ein und nahm
Stoffe aus der böbmiscben Geschichte. ' In literarischer Be-
ziehung hatten weit mehr Werth die Arbeiten seiner Nachfolger
— Klicpera und Tyl. Wenzel Clemens Klicpera (1792—1859)
war ein überaus fruchtbarer Schriftsteller. Er hinterliess gegen
fünfzig Stücke, Tragödien und Komödien; seine Stoffe nahm er
schon bewusster aus der Geschichte und dem zeitgenössischen
Leben, seine Stücke sind ehen&lls nicht frei von grossen Män-
geln, aber er verstand es doch, Interesse zu erwecken, sodass
vor allem er es war, welcher der ^chischen Bühne einen festen
Grund legte. ^ Er schrieb auch scherzhafte Gedichte und histo-
rische Erzählungen.^ Joseph Cajetan Tyl (1808— 5Ö) war ein
Schriftsteller mit einem leichten und lebhaften Talent, übrigens
mehr in der Erzählung als im Drama. Schon vor Abschluss
seiner Studien schrieb er einen Roman („Statny Beneda", 1830),
für den er vom Verleger als Honorar — einen abgetragenen
Rock bekam. Aber seine Hauptleidenschaft war das Theater,
dem er sowol als Regisseur wie als Dramaturg und Schauspieler
diente. Tyl übersetzte und schrieb mehr als 40 Stücke. * Im
> Zum Beiep. „Die Belagerung von Prag durch die Schweden" („Oble-
zeni Prahy od Svädu"), „Bfetislav". Sein populareteB Stuck war die Ko-
mödie „Der Ceche und der Deutscbe" („Cech a NEmec").
* Yoa Beinen Tragödien sind besonders bekannt „Sobfslav", von den
Komödien: „Divotvomy klobouk" („Der wunderthätige Hut"), „Rohovin
CtverrohJ" („ßohovin Viereck"), „Ziäkuv mef" („Das Schwert ZiäkaV),
„Lhä}" a jelio rod" („Der Lügner nnd sein Geschlecht").
^ Von den nächsten Zeitgenossen EUcpera's verzeichnen wir noch' die
Namen Fr. Tarinsky'e (17%— 1852) und S. Maohä&ek's (1799— 1816; die
Komödie „Zenichove" — „Die Bräutigame", und die Tragödie „Z&vii z
Falkeniteina").
'* Die bekanntesten Bind: „Pani Marjänka, maUca pluku" („Frsn Marianka,
die Mntter des Regiments"), „Strakonick^ dudäk" („Der Dudelsackpfeifer
von Strakonitz"), „JiHkovo vidfni" („Die Vision Jifik's"), „Paliiova dcera"
l,4^eB Mordbrenners Tochtei*") und „Johann Hubs". In einem seiner Stücke
findet sich das berühmte Lied: „Kde domov mSj" (Wo ist mein Vater-
land), das bei den Oeohen fast zur Nationalhymne geworden ist.
ü,g :.._.. ..Google
238 Fünftes Kapitel. 1. Die Ceohen.
Jahre 1833 überoalitn er die Kedaction der Zeitung ,^iitdy a njoi"
(„SoüBt und jetzt", deren Titel im folgenden Jahre in „Kvety" —
„Blüten" umgewandelt wurde), wo er unter anderm eine Polemik
mit Celakovsky's „V^ela" führte, später gab er einige andere
Journale heraus. Einen besondern und den gelungensten Zweig
seiner Thätigkeit bildete die Erzählung und der Roman, mei-
stens historische und patriotische Themen behandelnd. Aber
die von Tyl dargestellte Vergangenheit ist nicht so sehr histo-
risch restaurirt, als fingirt, und seine Art des Patriotismus rief
zuletzt Witzeleien hervor. '
Als populärer Schriftsteller hatte Tyl ein unzweifelhaftes Ver-
dienst in der cechischen Literatur, indem er im Publikum pa-
triotische Interessen weckte, doch die Eilfertigkeit und Zersplit-
terung seiner Arbeit liess ihn nicht zur Goncentrirung kommeii
und vollendetere Werke liefern; aber sein unbestrittener Vomig
bleibt eine leichte Erzählung und Sprache.'
Joseph Georg Kolär (geb. 1812), einer der bekanntesten
Cechischen Schauspieler, ist auch dramatischer Schriftsteller
(die Tragödien: „Monika", „Magelona" und besonders „Zizkova
Smrt" — „ZiSka's Tod", die 1850 grossen Erfolg hatte und dann
verboten wurde) und einer der besten Uebersetzer — er über-
setzte Goethe's „Faust", einige Dramen Schiller's und Shake-
speare's. Ferdinand Mikovec (1826- 1862} war ein kenntniss-
reicher Alterthumsforscher und dramatischer Schriftsteller, dem
die Tragödie „Untergang des Geschlechts der Premysliden" (,,Zi-
■ Für den besten Roman gilt „Dekret KutnoborBk^" („Daa Decret to«
Kuttenberg") ans den Zeiten des Hnss, übersetzt in „Russk. V^stnik", 1S^
Nr. 2—4. Ale Muster von Anachronismen verzeichnen wir z. B., dus tt
einen gelehrten deutsohen Professor und dessen schwärmerische Tochter
^nz so darstellt, als wenn sie zu unserer Zeit lebten und sogar dieMi
Professor zu Anfang des Ib. Jahrhunderts beim Frühstück KaJTee trinken
lässt, der erst im Iß. Jahrhundert nach Europa gebracht wurde.
' „Sebrane Spisy" {„Gesammelte Werke", i Thie., 1844). Zweit« Sinini-
lung (Prag 1857— 59); dabei eine Biographie, verfasst von Wenzel Filipet
Zweite Ausgabe dieser Sammlung {Prag 1867). Abweichende AeoBsemngB«
Jak. Maly'B b. in den Biographien Tyl's {Slovnik NauCnJ) und Celakovrtt'«-
Eine bessere Biographie Tyl'a von Elise Kräsuohorska, in der ZeitMhrift
„OsvSta", 1878, Nr. 2—3, Ö— 7; die neueste und vollatändigit« von J. 1-
TiirnovBkJ (Prag 1881),
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Erzählung. 239
hnba rodu PremyslOTskeho") und „DemetriuB Ivanoviö" („Dimitri
Ivanorit"), d. i. der Zareviö DemetriuB angehört.^
Eeicher ab das Drama war das Gebiet der Erzählung, wo
die fecbiBchen Schriftsteller eifrig bowoI die Form des Walter
ScottWhen Romans ale die Novelle und Skizzen aus dem Volks-
leben cultivirten. Hier müssen abermals genannt werden: Klic-
pera, Tyl, Rubes, J. G. Kolär, K. I. Mächa. Der Zeit nach gilt
für den ersten Begründer der cechischen Novellistik Johann Hein-
rich Marek (1801 — 53; Pseudonym Jan z Hvezdy), ein Priester.
Er trat früh in der Literatur auf mit Gedichten, erlangte aber
eineD beBondern Ruf als Verfasser romantischer Erzählungen
und historischer Romane (am bekanntesten: „Mastickär" —
„Der Quacksalber" — ans den Zeiten Heinricb's von Kärnten
und „Jarohnev z Hradku" aus den Zeiten Georg Podebrad's).
Eine strenge Kritik eines seiner Romane, verfasst von Tyl (im
„Caeopis", 1846), soll auf ihn eine solche Wirkung ausgeübt
haben, dass er infolge davon Beine literarische Tbätigkeit ein-
stellte.^ Karl Sabina (1813—77), einer der thätigsten Schrift-
steller, hatte ein eigenes literarisches Schicksal. Schon in den
dreissiger Jahren trat er als Erzähler und Fublicist auf. Die pu-
blicistiscbe Thätigkeit zog ihm vielfache Untersuchungen, Aneste,
Gefängniss, zuletzt ein Todesurtheil zu, an dessen Stelle eine lange
Kerkerhaft trat, aus der er nach achtjähriger Dauer begna-
digt wurde. Auch mit seinen Romanen hatte er kein Gluck. Zu
Anfang der vierziger Jahre schrieb er den Roman „Die Hussiten".
Die Censiir forderte fünfmal seine Umarbeitung und erlaubte ihn
endlich, als er in einzelne Erzählungen zerstückelt war („Obrazy
z XV a XVI stoleti" — „Bilder aus dem l.'t. und 16. Jahrhun-
dert", 1844). Ausser einer Reihe Novellen und historischer, hu-
moristischer, sittenschildernder Romane arbeitete er auch für
das Theater. Oben ist sein Buch über die Geschichte der be-
cbischen Literatur genannt worden. Aber diese ganze vieljäh-
rige, fruchtbare und gefahrvolle Tbätigkeit endete dem Anschein
nach sehr bedauerlich. ^ Ein sehr fruchtbarer Novellist war auch
Prokop Chocholousek (1819 — 64). In der Jugend reiste er nach
> £r verfaBste äea Test zd „Staro^itnosti & pamütky zeme Ccake", Prag
1858 — 63. 1. Bd. Den zweiten Battd bearbeitete K. Zaj:
' Zäbavne Spiay, Prag, 1843—47, zebn Hefte.
■ Biographie in Slovuik Nautnj', uod in den Naelilrugen, s. v.
..., Google
240 Fünrtea Kapitel. I. Die Cechen.
Italien, besuchte Dalmatien und Montenegro, deren Keautniss
ihm später für seine Bomaue zu statten kam ; im Jahre 1848 und
den folgenden Jahren wirkte er als patriotigcher Publicist, was
ihm bedeutende Unannehmlichkeiten seitens der Behörden zuzog.
Er war vorliegend historlBcher Romanschriftsteller, nicht nur
auB der böhmischen, sondern auch aus der südslavi&chen, ja sogar
aus der griechischen, veuetianischen und spanischen Geschieht«.
Besonders bekannt sind von seinen Komanen: „Die Templer in
Böhmen" („Templäri v CechÄch"), „Die Tochter Otakar's" („Dcera
Otakarova"), „Der Hof des Königs Wenzel" („Dvür kräle Väclava")
■ und eine Sammlung von Erzählungen aus der südslavischen Ge-
schichte: „Jih" („Der Süden", 1862). Allein selbst fiechische Kri-
tiker rechnen ihn zwar zu den besten Belletristen seiner Zeit,
aber geben doch zu, dass es ihm sowohl an Originalität wie an
historischem Colorit fehlt, i Ludwig Itittersberg (1809—1858;
„Rozbroj Premyslovoü" — „Der Zwist der Premysliden" a. a.)
war zugleich Publicist.
Endlich folgt die Erzählung, entnommen aus dem Volksleben
und auch fürs Volk geschrieben. Zu Ende der dreissiger Jahre
begann Jos. Ehrenberger (geb. 1815), Priester, moralische Er-
zählungen herauszugeben, in denen sich auch gelungene Züge
aus dem Volksleben fanden.* Bei weitem höher an Talent und
zahlreicher sind die Werke Adalbert Hlinka's (geb. 1817, Pseu-
donym Franz Pravda), der, ebenfalls Priester, eine Menge Er-
zählungen aus dem Volksleben geschrieben hat, welche in Zeit-
schriften zerstreut und theilweise auch gesondert herausgegeben
sind. ' Manchmal verfallen seine Erzählungen in den Predigt-
ton, werden weitschweifig, aber es gibt auch andere, nach wei-
chen ihn £echiscbe Kritiker mit Auerbach vergleichen. Allein
die erste Stelle auf diesem Gebiet gebührt unbestritten einer
Schriftstellerin, die überhaupt eine der besten Erscheinungen der
iRQBiiBch übersetzt: „Kosovo Pole. IstoriCeskfya pov^Bt etc." (Ki«w
1876).
' Im Jahre 1849 lenkte seine in „Närodni Noviny" abgedruckte &»li-
luDg: „Wie iah aus einem Cechen ein Deutscher uod dann wieder «na
einem Deutschen ein Ccohe wnrde" („Jak jsem eo gtal z Ceoha N Smoem etc.^i
die Aufmerksamkeit auf sieb.
'„Povidky z kr^e" („Erzählungen vom Lande", 5 Bde.. 1851-58);
„Uritcl z Milesovio" („Der Lehrer von MileBovio", 1866) u. a.
...., Google
ErKäUnag. 241
6echi8chen Literatur bildet, — Boiena Nemcova (1820 — 62,
geb. Barbara Pankl). Ihr Vater, ein kleiner Beamter, war von
Gebart ein Deutscher, die Mutter eine Öechin. Die Erziehung
lag in den Händen der Mutter und auch der GrOBsmutter,
welche sie dann in der bekannten Erzählung mit dieaem Kamen
darstellte. Sie heirathete früh, 1837, ebenfalls einen Beamten,
mit Namen Jos. Nfimec, und da derselbCj oftmals seinen dienst-
lichen Aufenthaltsort wechselte, konnte Frau Nemec verechiedene
Gebiete Böhmens und der Slovakei sehen und sich mit dem
Volkeleben bekannt machen, wie es selten einem Schriftsteller
gelingt. Ihr literarischer Geschmack wurde zuerst durch die
deutsche Literatur, Goethe und Schiller, gebildet; die erste Er-
zählung schrieb sie deutsch, aber verbrannte sie und fing bald
an fcechisch zu schreiben (vom Jahre 1839 an), — wozu sie ins-
besondere die patriotischen Erzählungen Tyl's anregten. Zuletzt,
im Jahre 1842, Hess sie sich mit ihrem Manne in Prag nieder;
hier wurde sie gleich mit dem Kreise der patriotischen Schrift-
steller bekannt und von ihnen machten sie vor allen Nebesk^
und Dr. Üejka mit der literarischen Theorie vertraut und wiesen
sie auf Stoffe aus dem Volksleben und der Volkspoesie hin. Vom
Jahre 1843 an begannen in Journalen ihre Gedichte zu erscheinen,
darauf Volksmärchen und ethnographische Skizzen, auch Erzäh>
lungen aus dem Volksleben. • Bald verliess sie wieder Prag und
lebte in der Provinz und auf dem Lande, Inzwischen war ihr
Mann infolge der Ereignisse von 1848—50 in den Verdacht „po-
litischer Umtriebe" gekommen, stand zwei Jahre lang in Unter-
suchung und verlor zuletzt 1853 seine Stellung; die Familie kam
in Noth; die Gesundheit der Frau Nemec begann zu wanken,
und angestrengte Arbeit für die Familie untergrub sie end-
lich ganz. Ihre besten Werke sind: „Die Grossmutter" („Ba<
bi£ka", auch ins Russische und andere Sprachen übersetzt), „Das
Gebirgsdörfchen" („Pohorska vesnice"). Wir fügen noch hinzu,
dass sich ihr Interesse auch auf das nationale Leben anderer sla-
vischer Stämme — der Russen, Bulgaren und Serben — ausdehnte
' „N4rodni bächorky a, pov^sti" („Volkamärchen und ErzäLlungen",
1846); ,3al>i&ks, obnizy venkovskiho zivota" („Die Grosamutter", 183.'));
^dhonVi. TeBnioe" („Das Gebii^dorfobeu", 1B56); „Slovenske pohädky r
povSgti" („SlovakiBohe Märchen und Erzähl nugeo", 1S56); „Sebrsur SpUy"
(„GcBsmmelte Sohriften", 8 Thle. 1862-63).
Pxm, SUTiMh* LiMratartn. 11,3. lg
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242 Fünftes KapiteL I. Die Öeohen.
undsiclimit sehr Ternünftigeii Ansichten iiher Leben und Geaell-
Bcbaft vereinte. Die Werke der Frau Nemec zeichnen eich über-
haupt durch grosse Vorzüge aus — durch eine bedeutende Kennt-
niss dee VolkslebenB und der Volkssprache, durch leichte Erzäh-
lung und Innigkeit-, sie fühlt tief die poetische Seite des einfachen
Volkslebens, weiss sie mit anziehenden Sitten- und Charakterzügen
Torzufuhren, und in der Erzählung empfindet man das aufrichtige
und überzeugte Streben nach dem Wohle des Volkes und den
Wunsch, ihm zu dienen. Die Werke der Boiena N^mcova iraren
der Reflex ihrer persönlichen edeln and poetischen Natur, — die
auch dem Verfasser persönlich eine freundliche Erinnerung ge-
blieben ist. I
Der angeführte Inhalt der Cechischen Poesie, des Dramas nad
des Uomans, Tervollständigt sich durch eine beträchtliche Mei^e
von Uebersetzungen aus den europäischen und den andern slan-
sehen Literatureni Shakespeare fand eifrige Uebersetzer, wie auch
andere Schriftsteller ersten Ranges. Femer besitet keiner der
andern stavischen Stämme so viele Uebersetzungen aus den ver-
wandten slavischen Literaturen. Den Öcchen waren in diesen
Jahren und später in Uebersetzungen bekannt Pnskin, Lermontov,
Gogol, Turgenev, Kolcov, Nekrasov; Vuk Kai-adSi£, Vukotinovii,
BogoviÄ; Mickiewicz, Zaleski, Konteniowski, Rzewaski, Brodntfski,
Syrokomla u. s. w. *
Die Dichtung KoUär's bestimmte auf lange Zeit die Kichttuig
der Cechischen Poesie, indem sie in ihr die nationalen und
panslavistischen Bestrebungen festigte. Kollär sprach sein Pro-
gramm mit erhabenen und entschiedenen Worten aas: „Das
Kleinere muss immer dem Grossem, Hohem unterthan sein:
die Liebe zur Heimat der Liebe zum Vaterland. Die Ströme,
Flüsse und Bäche ergiessen sich ins Meer; die einzelnen Länder,
Gebiete, Stämme müssen sich in die Nation ergiessen. Alle Slaven
' Siehe Slovnik NanEuf, s. v.; „Bozens NEmcova, biogrofiCeakij oltaV
(RuBBk. VSstnik, 1871, 93. Bd., S. 5C-80).
■ BesonderB Arbeitete in dieser Bedebung der fleissige Salinft«t«IIer
Jakob M&l^ (geb. 1811), der die „BiblioMka z&bavn^ho Eteni" („Bibüotbek
der Unterbai ttmgslektüre") heranegab. ADsserdem ÖbersetiU er eine gaue
Eeihe bistoriBoher und nnterbaltender Sobriften, war zweiter Redtetenr des
Slovnik NanCnj, und gibt in den letzten Jahren ein kleines Convenatiaiu-
Lexikon beraus: „StniCnJ vieobeon^ Slovnik vEcn;f".
...., Google
FatriotismuH. 243
haben nur Ein Vaterland," „Die festen Grenzen des Vater-
tandfls, welche die Bosheit zn berühren sich fürchtet", sagt er
in seiner Dichtung, „liegen in den Sitten, der Sprache und den
einmüthigen Bestrebungen." Dieses Vaterland ist das pansla-
yiatische Vaterland, und es wurde zum allgemeinen Ideal; es
wurde damals auch toq Dichtem anderer slavischer Stämme
angenommen, sobald sich bei ihnen die nationale Frage erhob.
Aber zu den unbestimmten mystischen Erwartungen des Pansla-
vismuB gesellte aich, als ihre erste reale Stufe, die Forderung,
das nähere nationale Gefühl zu wecken, das eigene Volksthnm,
dessen Sprache, Literatur und Sitten zu heben.
Diese Motive wiederholt dann die Masse der öechischen Dichter,
welche die ruhmYolle Vergangenheit besangen, Liebe zur Heimat,
zu deren Sprache und Sitten, zum panslavistischen Vaterland
predigten. Den Fnsstapfen Kollär's folgend, der seinen Lands-
leuten den Rath gab, ihre Sprache und Sitten zu wahren („Nechte
ctzfch, mluvte vlastni re6i!" — „Lasst die Fremden, sprecht in
eigener Sprache!"), fordern die Öechischen Dichter ihre Landsleute
beharrlich anf, ßechisch zu sprechen und die Heimat zu lieben.
Eine Dichterin ermahnt ihre Mitbürgerinnen, „mit dem ersten
süssen Kuss in die Seele ihrer Kinder cechische Laute und heisse
Liebe zur Heimat einzuäivssen — ihnen die Namen der ruhmvollen
Väter zn nennen und an das Blot zu erinnern, das für das Recht
vergossen worden ist". Rühes widmet ein ganzes langes Gedicht
(Ja jsem Cech) dem Ausdruck eines begeisterten patriotischen Be-
wuBstseina: „Ich bin ein Oeche, und wer ist mehr? Der trete
vor und lasse sich hören u. s. w."
Jahlonsky spricht seine Bereitwilligkeit zum Kampf fürs Vater-
land aus, und versichert, dass er in sich „Löwenblut" (der Liiwe
ist das Wappen des Königreichs Böhmen) fühle: „Wundert euch
nicht, meine Lieben, dass ich für die Nation stets zum Kampfe
bereit bin, dass Löwenblut in diesen Adern strömt; dass ich für
das Vaterland — für diese Mutter ■ — mit allen Elementen kämpfen
möchte, — ich bin mit Leib und Seele Üechel u. s. w."
Ein anderer Dichter fragt, wo die Grenzen des slavischen
Reiches seien? Er sucht sie dort, wo Zar Lazar im rühmlichen
Kampfe unterging, sucht sie an der Donau, wo der ruhm-
volle Zrinyi kämpfte; an der Moldau, wo Zi^ka seine Krieger
zum heiligen Kampf für das Volk führte; an der Weichsel; auf
der mssiBchen Erde, wo die Flammen Moskau ergriffen — und
16*
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344 Fünftes Ktqtitel. I. Die Öeohen.
alle diese Grenzen umfassen noch lange nicht das slavische
Reich. Endlich findet sie der Dichter: „Dort, wo die Sprache
des Sohnes der SUva der Ehre der Väter gedenkt, reiner SioD
und warmes Herz fürs Vaterland kühne Thaten verrichtet, die
Verbrüderten Liehe eint — dort steht das slavische Reich 1"
Diese Grenzen, welche durch „reinen Sinn", „warmes Herz",
„brüderliche Liebe" bestimmt wurden, erscMenen damals als
eine starke Grenze des angenommenen slavischen Reichs.
Thatsächlich war die Grenze freilich nicht ganz zuverlässig,
aber das wurde von dem damals eben erst erwachten und od-
er&hrenen Nationalgefühl nicht bemerkt. Die slavische Ein'
heit schien gesichert zu sein und die Poesie ward nicht müde,
ihre Aufrufe zu wiederholen. Der russische Iicser wird eich
dabei nicht schwer an ähnliche Aufrufe Chomjakov's, Tjut^ev's
und anderer Dichter der slavophilen Schute erinnern. Es ist
begreiflich, dass die nationale Antipathie gegen die Deutschen
wuchs: die alten Feinde, welche in der Vergangenheit soviel ge-
schadet hatten und in der Gegenwart die Nationaliät bedrohten,
wurden den Patrioten noch verhasster, und obgleich die öster-
reichische Gensur sehr sorgsam die Literatur im Zügel hielt, so
konnte der Leser doch zwischen den Zeilen die wirklichen Ge-
danken der patriotischen Schriftsteller lesen. Kollär rieth den
treuen Söhnen des Vaterlandes „den verrätherischen Drachen siit
Füssen zu treten"; in einem Dorfliede Gelakovsky's erzählen die
Landleute, dass sie Lein gesäet haben für ihre Weiber, Rosen
für ihre Mädchen und Hanf (zu Stricken) für gewisse Hallunken,
welche der Leser zu errathen hat. Es muss übrigens bemeikt
werden, dass, wenn die innern politischen Beziehungen zu den
Deutschen ernstlich zur Sprache kamen , die cechischen Pnbli-
cisten im allgemeinen eine grosse Mässigung zeigten, die auch
thatsächlich in versöhnlichen Handlungen zu Tage trat, als der
Umschwung des Jahres 1848 begann. Andererseits war den bes-
sern Leuten der Literatur immer eine grosse Hochachtung vor
der deutschen Wissenschaft geblieben und die Literatur ent-
wickelte sich, bei aller Originalität einiger ihrer Erscheinungen,
bei der scharf ausgesprochenen Tendenz zur Unabhängigkeit, »
ü,g :.._.. ..Google
D«s J»hr 1848. 245
iiittioiialem Cbarahter, im allgemeiuen unter dem niächtigen deut-
Bcben EinfluBs, oder unter dem allgemeinen europäischen Ein-
fluBS unter starker Vermittelung der deutschen Bildung. Mehrere
grosse 6echische Schriftsteller begannen sogar ihre poetische
Thätigkeit in deutscher Sprache — wie Wocel und Boiena Nem-
cova — viele schrieben ihre gelehrten Werke deutsch — wie
nach Dobroveky Safank, Palacky, KoUar, Toraek u. a.
Der übertriebene IdeälismuB und die Sentimentalität des da-
maligen „Patriotismus" riefen zuletzt eine Beaction in der Mitte
der Patrioten selbst hervor. In einer Kritik des Romans „Der
letjite öeche" von Tyl, dessen Fatnotismus sich besonders durch
Hulche Züge auszeichnete, fand Havli'^ek nöthig auszusprechen:
„Diese unaufhörlichen Reden von Patriotismus, von Patrioten
und Patriotinnen, mit denen uns unsere Schriftsteller seit vielen
Jahren unbarmherzig in Versen und Prosa verfolgen, und be-
lionders Tyl, fangen schon an uns überdrüssig zu werden. Es
wäre Zeit, dass es diesem Patriotismus gefiele, von der Zunge
in die Hände und in den Leib überzugehen, d. b., dass wir aus
Liebe zu unsenn Volke mehr handelten als von dieser Liehe
redeten ; denn vor lauter Erweckung zum Patriotismus vergessen
wir die Bildung des Volkes." <
In einer solchen Verfassung war die ^cbi&cbe Literatur, als
die Ereignisse des Jahres 1848 begannen. Die constitutionelle
Freiheit brachte sofort eine starke Bewegung in die nationale
Frage; die Nationalität, gesetzlich anerkannt, kräftigte sich plötz-
lich in bemerklicher Weise, weil zu ihr Leute übergingen, die
vorher schwankten und unentschieden waren. Dies zeigte sich
sogar in Wien. Es entstanden slavische politische Clubs, poli-
tische Zeitungen erschienen; die Fressfreiheit gab der Literatur
ein neues Interesse: sie wurde von politischen Betrachtungen,
patriotischen Aufrufen und Liedern überschwemmt. Aber es
war noch viel Unerfahrenheit vorhanden und die journalistische
Literatur hatte die Aufgabe, in ihrem Publikum ein gesundes
Verständniss der neuen politischen Verhältnisse zu entwickeln
und es an bürgerliche Selbständigkeit zu gewöhnen. Die cechi-
scben Politiker arbeiteten oft sehr vernünftig an dieser Aufgabe,
wenn sie auch damals zu sehr an die Erfüllung der slavischen
Hoffnungen und an den Bestand der constitutionellen Ordnung,
< teeki VEela, 1845.
■ ü,g:.z:...,GOOglC
246 Fünftes KapiteL L IHe Öeobeo.
die ohne jede sonderlicbe Anstrengung seitenB der Cechen selbst
erlangt worden war, glaubten. . . . Unter diesen Journalisten,
die sich aus frühern Dichtem, Alterthumsforschem und Ethno-
graphen gebildet hatten, war auch ein Schriftsteller von sehr be-
deutendem Talent. Dies war Karl Havliöek (oder Borovsky,
1821 — 56)- Als er in der Jugend ins erzbischöfliche Seminai
zu Prag getreten, versprach Havlidek mit seinen witzigen Ans-
föllen und satirischen Versen ein Ecblecbter Tbeolog zu «erden
und verliess zuletzt das Seminar zu seinem und seiner Lehrer
Befriedigung. Im Jahre 1842 begab er sich nach Moskau, wo
er etwa zwei Jahre als Hauslehrer im Hause des Professors Se-
vyrev zubrachte. Das Leben in Moskau binterliess eine Spar io
seiner Entwickelnng ; der kritische und oppositionelle Charakter
seines Geistes prägte sich hier noch mehr aus, er lernte die
gegenseitigen slaviscben Beziehungen besser verstehen und Ge-
walt und Willkür starker hassen. Im Jahre 1844 kehrte er
nach Prag zurück. Seine literarische Thatigkeit begann er mit
Artikeln und Briefen über Busstand, die zum ersten mal die
cechischen Leser mit der wahren Lage der russischen Verhält^
nisse bekannt machten, — obgleich ihm ein gewisser Theil von
den Begriffen der Slavophilen anhaftete, unter welchen er in Bnss-
land gelebt hatte. Unter anderm übersetzte er ins Öechische einige
Erzählungen von Gogol. Im Jahre 1846 ward er Redacteur der
„Prazske Noviny" und der „Viela", die mit jenen zugleich erschien.
Schon von dieser Zeit an gewann der talentvolle Schriftsteller
Popularität, die dann immer mehr und mehr wuchs. Havliiek
wusste die Aufmerksamkeit der Gesellscbaft zu fesseln, und äie
österreichische Regierung schickte sich schon an, seine Zeitung
zu unterdrücken, als die Märzrevolution dem kühnen Publidsten
vollends die Hände löste. Er nahm den thätigsten Antheil an
den Ereignissen des Jahres 1848 — 49 in Böhmen und begann,
vom Grafen Deym in materieller Beziehung unterstützt, vom
Jahre 1848 an die Herausgabe der „Närodni Noviny" — einer
Zeitung, die bald gewaltigen Einfluss auf die Neckische tie-
sellscbaft erlangte und überhaupt die beste von den slavi*
sehen politischen Zeitungen war, welche damals in Oesterreich
erschienen. In seinen politischen Ansichten hielt sich Havh'iek
|iD die erste Constitution und an das Programm Palacky's, aber
in diesen Grenzen war er ein hartnäckiger Vertheidiger des
nationalen Bechts gegen alle feindlichen Anschlage. Er fasste die
Karl HavlUek. 247
octroyirte Constitution vom 4. März 1849 eo auf, wie es sich
gebührte, als alle Samenkörner der darauf folgenden Reaction in
sich enthaltend, und trat in seiner Zeitung scharf gegen sie auf.
Die Regierung forderte ihn vor Gericht, aber die Geschworenen
gaben ihm recht. Darauf begannen fortwährende Verfolgungen,
welche Anfang 1850 mit dem Verbot der „Närodni Noviny"
endeten. In demselben Jahre begann er den „Slovan" („Slave")
herauszugeben, in Form einer Wochenschrift, in Euttenberg, da in
Prag die Herausgabe wegen des daselbst heiTs<diendeD Belage-
rungszustandes nicht möglich war. Aber der Kampf gegen die
Reaction war schon unmöglich: im Jahre 1851 ward HavliÖek
der Eintritt in Prag verboten, dann verbot man den „Slovan",
endlich verbannte man ihn selbst nach Brisen in Tirol. . . . Auf
die Zeit dieses Exils beziehen sich seine „Tiroler Elegien"
(„Tyrolske elegie"), die mehrmals ins Russische übersetzt wurden.
In der Verbannung ward HavHöek von einer schweren Krankbett
befallen; man gestattete ihm, in die böhmischen Bäder zu reisen,
aber nach Prag kehrte er erst am Vorabend seines Todes zurück.
Havliöek war zweifellos ein pnblicistisches Talent; in der kurzen
Zeit seiner Wirksamkeit hat er sehr viel zur Erziehung der Ge-
sellschaft in derjenigen Richtung gethan, in der sie bei ihren
nationalen Bemühungen am wenigsten vorbereitet war — in der
politischen Richtung. Sein klarer Geist, seine Einfachheit der Auf-
fitKung und Darstellung, sein Witz und Humor gaben ihm einen
grossen Einiluss auf die Masse, und die Wirksamkeit Havliiek's
ist historisch um so bemerkeuswerther, weil in seinen Begriffen
viel gesunder praktischer Sinn war, der ihn von schwärmerischer
Phantasterei fernhielt. Er gehört noch zur panslavistischen
Schnle, schätzt aber den Panslavismus nur in dem Grade, als er
wirklichen Mutzen bringen kann, ohne die Sonderentwickelung
der Stämme zu hindern. Die letzte Arbeit HavliÜek's, die zu
seinen Lebzeiten gedruckt wurde, waren „Erzählungen", über-
setzt aus Voltaire. '
Von den fün&iger Jahren an rechnen die £echischen Kritiker
im allgemeinen eine neue Periode ihrer poetischen Literatur. '
' Eine kurza Biographie Hftvliiek'B bei Rittersberg, „Espesni
tilovnifek novin. e. konverBafini" (Prag 1860); anBfnhrlioher im „SloTnik
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248 FflnfteB Kapitel. 1. Die Öeoben.
Und in der Tbat die Ereignisse des Jahres 1848 — 49 waren in
verscliiedeDer Beziebung ein Umschwung. Bis dahin strebte die
üechieohe Poesie vorwiegend, fast anssohliesslich, zu nation&l-
patriotischen Zielen: bei Kollar erhob sie sich zn dem feier-
Uchen Ton panslaviBcher Aufrufe, CelakoTskj führte Motive aus
der Poesie anderer slavischer Stämme ein, Wocel erweckte die Be-
miniscenzen der heroischen Zeiten der böhmtscheD Freiheit, Erben
bearbeitete die Volkspoesie, die poetae minores schrieben patrio-
tische* Erzählnngen, Dramen, Lieder u. s. w. Neben der Poe«e
gingen Bemühungen um populär-belehrende und billige Bücher
für das Volk einher. Und wirklich, es war viel geschehen. Das
Nationalgefübl wurde in einer beträchtlichen Masse des 6ecbi-
schen Volkes geweckt, in Prag und in der Provinz, wo sich in
den kleinen Städten und Dörfern schon Patrioten fanden, welche
bereit waren, die folgende Generation in demselben Geiste zu
erziehen.
Der Umschwung des Jahres 1848—49 gab diesem Natio-
nalgefübl freie Bahn, — freilich nur kurze Zeit fühlte sich
das Volk aufs neue nach drittbalh Jahrhunderten als ein freies
^echisches Volk. Die Keactiou fiel bald auf dasselbe mit
schwerer Enttäuschnng. Die patriotische Bewegung ward fast
wieder zn einem Verbrechen; polizeiliebe Aufsicht mischte sich
aufs neue in die kleinsten Kundgebungen des öffentlichen Le-
bens, hütete die Literatur vor schlechten Einflüssen, verbot die
Einfuhr „gefährlicher" Bücher aus dem Anstand (darunter waren
sogar russische!). Die Literatur sank plötzlich von ihrer frühem
NanEnf . S. such diu Abhandlung V. Zelen^'s, „Ze sivoto K. HavliEki-'
(„Aus H.'e Lelen", bis zu seiner Reise nftoh Rusclsad, in „Osv§U", 18TS).
Die wichtigem Artikel bus den „Karodni Noviny" sind geskmmelt io der
Ijohrift: „Duch Närodniuh Novin*' (Kutteuborg 1851). Uebersetzung der
„Tiroler Elegien" von Hilferding in „ßussk. Slovo", 1860, April; vou
N. Berg in „Poezija Slavjau", Ij. 380—384. Stellen aus dem Tagebuch Hh-
liCek's, Ende des Jahres 1840 in J. W. l'riS's Eeohia eher Zeitung „Blwut"
(Berlin 1868, Probenummer). Eine Auggabo seiner Werke hat V. Zelenj
begonnen: „Sebrane Spisy" (I.Bd. Prag 1870); daraus deutsch „DasFestiÜer
BechtgUnbigkeit " (in Moskau; mit einigen einleitenden Bemerkungen, im
„Ausland", 1877, Nr. 15), ferner russisch die zwei Briefe HavtiCek'e aus JIo«-
kau, in Zaderackij's „tilav. Eiegoduik", 1877, S. 117— 190. — Eine satirisoke
Dichtung aus dem NacUass Havlf6ek's , JCfest sv. Tladinira" {»Die Taufe do
heiligen Wladimir") wurde bu Pr^ 1877 mit Abbildungen henKugegeben.
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Die neue Diobtenobole. 249
Lebbaftigkeit berab, aber nacb einem gewissen Zwischenraum der
Apathie fing das Leben wieder an sieb in ihr zu regen — jetzt
in einer andern Richtung.
Nacb der Katastrophe, unter der Herrsobaft jeder Art von
Bedrückung, begann Bicb in der j^ecbischen Poesie eine andere
Stimmung zu bilden. Den alten „patriotischen" Idealismus
hatte man schon früher zu verspotten angefangen; es war auch
sonderbar, Dithyramben einem abstracten panslavistisohen Vater-
lande zn singen, das sich in schwerer Stunde thatsächlich nicht
gezeigt hatte; die neue Generation schien zu den frühem Mitteln
des nationalen Kampfes das Vertrauen verloren zu haben und er-
kaltete gegen sie nnd die alte poetische Tradition — und in
letzterm Punkte hatte sie nicht ganz recht. Andererseits fühlte
man, dass die Poesie selbständig werden müsse, nicht nur als
Mittel zur Erreichung von politischen Zielen, sondern dass
sie ihre eigene Rolle als Poesie erfüllen, ihren Inhalt zu altge-
mein menschlichen Ideen erweitern and als tendenzloser Aus-
druck der Individualität erscheinen müsse. In der Tbat he-
gaiin die neuiechisdie Poesie diese Unabhängigkeit zu suchen;
es war dies ein Schritt vorwärts, aber zuweilen keiu ganz
richtiger.
Gegen Ende der fünfziger Jahre reifte und organisirte
sich eine neue Uterarische Schule in diesem Sinne. Ihre Ver-
treter waren damals junge Leute; einige von ihnen erlangten
später grossen Ruhm und werden an die Spitze der neuen (Sechi-
scben Literatur gestellt. Der äussere Anfang der Thätigkeit
dieser Schule war der Almanach „Mäj", welcher zu Ebde der
füufidger Jahre erschien. Ihre innere Eigentbümlichkeit bestand
in einem Dienste der Poesie als reiner Kunst; der Mensch,
dessen inneres Leben diese Poesie darstellen wollte, war nicht
nur der „Ceche" oder „Slave" (wie früher), sondern überhaupt
der „Mensch". Für den Vortäufer dieser Poesie galt weder
Kollär noch Celakovsky, sondern eher der oben erwähnte Mächa.
Die Quelle und der Impuls, unter denen sich diese Poesie ent-
wickelte, war die europäische Literatur von selten ihrer allgemein
menschlichen Ideen und Schöpfungen: Shakespeare und Byron,
später Victor Hugo; der romantische Mysticismus, die Enttäu-
schung, die Flucht zur Katar wurden die gewöhnlichen Mo-
tive. Die neue Poesie war überaus fruchtbar; eine ganze zahl-
reiche Gmppe von Dichtem bearbeiteten am meisten die Lyrik,
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250 FAnfteB Ekpitel. 1. Die Öflobeu.
doch auch das Epos und Drama; endlich entwickelten eich No-
velle und Romau wie noch nie zuvor.' Ihre besten Früchte
waren freilieb diejenigen, in denen das Leben die Oberhand über
die Anregungen aus Büchern gewann.
Ehe wir zu dieser neuen Schule übergehen, verweilen wir bei
einem Schriftsteller, der als Uebergang zu ihr betrachtet werden
kann und eine besondere Seite der öffentlichen Bew^ping bei den
öechen ausdrückt. Es ist dies Joseph Wenzel Fri£ (geb. 1829,
Pseudonym Brodsk^?), Sohn von Joseph Fri£, einem angesehenen
Advocaten und Professor der Hechte an der prager Universität
Joseph Wenzel begeisterte sich früh an den patriotischen Ideen,
nahm Antheil an den Ereignissen des Jahres 184S, war Freiwil-
liger bei den Slovaken gegen die Ungarn, wurde aber, ver-
wundet, von den Österreichischen Truppen gefangen genommen,
1841) befreit, in demselben Jahre verhaftet wegen seiner Verbin-
dung mit der Revolutionspartei, 1851 durch ein Kriegsgericht in
18jähriger Festungshaft verurtbeilt, 1854 amnestirt, 1858 nach
Siebenbürgen verbannt, 1859 freigelassen unter dem Versprechen,
auszuwandern und nicht mehr in die Hdmat zurückzukehren.
Darauf lebte er in London , wo er mit Herzen bekannt wurde,
dann in Paris, wo er polnische Vorlesungen über die dechiscbe
Literatur hielt. Nach einem vieljährigen Emigrantenleben erhielt
er die Erlaubniss, nach Oesterreich zurückzukehren, ausser nach
Prag, arbeitete in Agram als Publicist, während des rassiscfa-türki*
sehen Krieges 1876 — 78 war er Gorrespondent einer (Jechiscben Zei-
tung in Petersburg. . . . Nach einem solchen Lebenslauf wird der
Leser errathen, dass die Poesie von Fri£ ultraromantisch sein
uiusB. Sein „Upir" („Vampyr") ist wirklich so; der Charakter
desselben ist eine ins äusserste Extrem geführte mystische Ro-
mantik, mit einer Welt jenseit des Grabes, mit ungezügelter Lei-
denschaft, nebelhafter Darstetlnng und vollständigem Widerstreit
gegen die Wirklichkeit.' Friti hat ohne Zweifel dichterisches Ta-
lent, eine kräftige, ausdrucksvolle Sprache, aber man wirft ihm
I Veber dio ueut:ru ^ochieulm Pueeie a. diu vorU-üffliuhu AbhuiUliing
vuu EI. KiäHQohorskn: .,Ubraz uov^jiiho b&auictvi (eskebo", im ..Cmv
l>iB", 1877.
* Nach dem .Ausdruck der El. Kidgnuhorskä ist dies ein ., überbyroni-
sirter Byron, ein Qberdämonisirter nDsmoun, ein mystisohes Gebriu *op
Krusitiski, ätowaoki, GoBEUcynski zusMumeugenominen" (CMopia 1877), S. 3(W
...., Google
Die neue Dichtereahnle. 251
Tor, dass er sich nicht von dem EinflusB romantiacher Ueber-
treibuDgen und zugleich von einer Unklarheit freigemacht habe,
die keinen nachhaltigen Eindruck hinterlaBst. Ausser der Lyrik
arbeitete er insbesondere im Drama: „Kochan Batiborsk^", „Va-
clav IV", „Hynek z Podebrad", „Ulrik Hütten", „Svatopluk",
„Lihusin sond" („Das Gericht der Libusa"), „Drahomira". '
An die Spitze der neaen literarischen Schale wird unbestritten
ein Dichter gestellt, «elcher den Stolz der neuem Öechischen
Literatur bildet. Vitezsla? Hälek (1835 — 74) war wie sehr
viele Cecbische Schriftsteller in einer Familie niedern Stan-
des geboren, besuchte das Gymnasium zu Prag und beendete
1858 den sogenannten „philosophischen Cursus". Dichter von
früher Jogeud an, trat er schon in demselben Jahre mit einer
lyrisch -epischen Dichtung „Alfred" auf, die auf ibn zuerst die
allgemeine Aufmerksamkeit lenkte, und mit einer Sammlung lyri-
scher Gedichte „Veierni pisne" („Abendlieder"). Im folgenden
Jahr gab er noch zwei grosse Gedichte „Mejrima a Husejn" und
„Kräsnä Lejla" (»Die schöne Leila") heraus; und im Jahre
1860 sein erstes Drama „Carevie Aleksej", dem eine Reihe
anderer folgte, von denen wir „Zävis von Falkenstein" und
„König Vukasin" verzeichnen. In den Dramen trat ebenfalls ein
bedeutendes Talent zu Tf^e, aber es war auch eine zu deatlicbc
Nachahmung Shakespeare's vorhanden, zu viel Lyrik und Mangel
an Scenerie. Die Hanptleistung Hälek's bildeten lyrisch-epische
grÖBsere und kleinere Dichtungen und die Erzählung; von den
grossere Diebtangen werden besonders geschätzt „Goar" (1864) ;
„6emy prapor" („Die schwarze Fahne", 1867); „Dedicove Bile
Hory" („Die Epigonen des Weissen Berges", 1869); ,,Devce z
Tater" („Das Mädchen von der Tatra", 1871); von den Balladen
— „Fiujtr Kaiina" („Der Gefreite Kaiina"), „Blaznivy Janousek"
■ Im Jahr 1855 gab er den Almanacli „Lada Niola", iu Gunf lijtil
,,Vybor bÄHui" (., Aus wähl von Gedichteo") lieraua; ferocr zu Paria im Vei'em
mit L. Leger daa Buch: „La Buhüme hietorique, pittorcsque et litteraire"
(Paris 186T). Zu Bei-lin begann er 1868 diu Wooheuschrift; „Blanik, lydeDuik
samoatatne omladin; Ceskomoravakä" (mit der Probcuumtner lU Nunimein)
hei'&UBZUgeben , in slaTisoh-demokratisobem Geinte. In Nr. 4 — !) „Bakunin
über da« Slsventhnm (im Jahre 1862}", die Dai'stellung einer besondem
Theorie, welche Revolution, SoeialismuB uud PaDslavisDius miteiuander ver-
bindet. Seine „Gesammelten Werke" („Sebrane Spiey") crBcheiuen seit 1879
in Prag.
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
252 Fünftes Kapitel, I. Die Ceohen.
(,,Der närrische Janouäek"). In Prosa hinterliess er den Roman
„Der Komödiant" and eine Keihe Er^hlungen aus dem Volks-
leben. Im Jahre 1866 — 72 redigirte er die iltustrirte Wocheo-
schrift „Kvety" und wirkte an Terschiedenen andern Journalen
mit. Seine lyrische Thätigkeit schlogs mit einer Sammlung Ge-
dichte „V prirodÄ" („In der Natur").
In seinen ersten Liedern besang H&lek die Freuden und Lei-
den der Liebe, die hohe Bedeutung der Poesie: sein Dichter ist
der bekannte romantische „Prophet", Lehrer der Wahrheit, des
Guten und Schönen. '■ Diese Vorstellung leitete ihn durch seine
ganze poetische Thätigkeit; aber seine lyrischen Themen sind
oft einförmig (z.B. in den „Abendliedern"), und die prophe-
tischen Aeusserungen yoll Selbatrertrauen, aber unbestimmt.'
In der epischen Poesie Hälek's wiederholen sich ebeDfalls
ijülche Züge der Romantik; so ist in der Dichtung „Dedicove
Dile H017" („Die Epigonen des Weissen Berges") dem historischen
Thema der politischen Verfolgungen eine unnöthige Pbantas^lc
■ Z. B. aus den „Abendliedern" (XLVIII):
Gesegnet der, welcher geaslbt ist Wm andern Hensoben Geheimnis« iit,
ZumSäi^erduroli dieHand des Herrn; Das Hegt vor ihm offen da,
Kr hat in die Gerichte Gottes geaoliaut Er ist der Führer des Volkes Göltet
Und in den mensohlichen Busen. ... lu« gelobte Land.
El' kennet den grosBun Welteopaalm ^' ist König grosser Königreiche,
Und den Gesang, den der V<^el singt, Er mt Priester der Erlösung der
Er versteht die Schläge des Herzens, Mensohheit,
Wenn es jauchat nnd wenn es weint. Und was in ihm an Schition liegt,
Das sind unendliche Sohönheiton.
' Z. B. in der Dichtung „In der Natur":
Im duftigen Gedicht der Blumenspraohe der Wiese,
In glänzender Ausströmnug niohtliober Welten
Lese ieh die Gesetse aller Gesetze,
Welche aus der uralten Hand der Natur hervorgegaugou siud.
Und der tjiugvögel träunierischu Wehklage,
DcB Süliraetterliuga Ui-sprung, der Völker Sehwiudcu,
Der Mcnsuhbeit Jauchzen und ScbmerEensmfc —
Das ist dieser Gesetze einzige Schrift u. b. w.
Oder:
Es mögen sich die Klüglinge streiten
Ueber Buchstaben und über Gesetze :
Mir ging die Feldblume immer
Ueber die Könige und die Salomone u. s, w.
..., Google
Die neue Diobteraohnle. 253
und Allegorie beigemischt, die den kräftigen Eindruck der ein-
facliern und realem Episoden nur hindert; „D£v£e z Tater" ist
wieder eine Dichtung mit schönen Einzelheiten und romanti-
schen Uebertreibungen. Zu eeinen bessern Werken gehören die
Erzählungen aus dem Volksleben , wo sich viel aufrichtiges Ge-
fühl and Liebe zum Volke findet, wenn auch wieder nicht ohne
Ueberfluss von Sentimentalität.*
Für den näct^sten Genossen Hälek^s in der Schaffang einer
nenen (echischeu Lyrik gilt Adolf Hejduk (geb. 183G). Er
studirte auf dem Polytechnikum zu Prag und Brunn und war
dann Professor an einer Aealschule. Als er 1S59 seine Gedichte
sammelte („Bäsne: Ciginske melodie, PisnS, Mie poT&£sk&"
u. s. w.), war er schon ein bemerkenswerther Vertreter der neuen
Schule. Femer folgten „Ji2ni zvuky" („Südliche Laute", 1864),
die Fmcht einer Beise nach Italien; „Lesni kviti" („Wald-
hlnmen"); das lyrisch- epische Gedicht „Milota", insbesondere
aber „Cymbäl a husle" („Cymbal und Geige"), das für sein bestes
Werk galt — es sind Bilder aus dem slovakischen Leben und
der Natur des Landes, reich an poetischen Gestaltungen. Li der
letztem Zeit gab er noch „DedÜT odkaz" („Das Vennächtniss
des Ahns"), ein allegorisches Gedicht, heraus, worin das Suchen
nach künstlerischer Schönheit, die Sehnsucht nach dem Ideal,
die Disharmonie mit dem Leben u. s. w., was überhaupt das
innere Leben des Dichters ausHillt, dargestellt wird: „Der Gross-
vater" — der Genius des Volkes — lehrt den Dichter eine Zauber-
musik. . . . Die öechischen Kritiker nahmen dieses Gedicht mit
grossen Lobeserhebungen auf.*
Weit mannichfaltiger ist die Thätigkeit des dritten Haupt-
schriftstellers der neuern Schule, Johann Neruda (geb. 18.^).
Es ist einer der fruchtbarsten fcecliischen Belletristen. Er be-
gann sehr frUh zu schreiben. Seine eisten Gedichte, uiitei' dem
Pseudonym .Tunko HoTora, erschienen im Jahre 18r)4; I8fi8 gab
er „Hrbitovni kvi'ti" („Kirchhofablumen") lierans und gründete zu
' Seit 1878 erscheint eine TollHtündi^e Kammlunt; ■l'^r Werke IIÄlek's
(„Sebrane Spiay"), bei denen eine von Ferü. Scbuln gcROhriebene Biographie
in Aunaicht gestellt ist. Artikel von £1. Krüanohorekii ül.er Ilulck im
Journal „OsvSta", 1878, 8. 8fi8— 874; 187D, S. 582-532.
' Bit^praphie in der Zeitsoiirift „STftozor'-. 1877, Nr. 7; Analyse der
letzten beiden Werke, ebenda 187C, Nr. Ö, und .,Osviita", 1879. IL 952— 95ß.
D,9:.z.u., Google
254 Fanftes Kapitel. I. Die Öeohen.
derBelben Zeit im Verein mit Hälek, Fri£, Barak den erwähnten
Almanach „Mäj". Vom Jahre 1865 an leitet er die Kritik and
das Feuilleton in den „N&rodnf Liety". Ausser journalistiBcheo
Arbeiten schrieb er einige Theateretücke , die Komödien: „Der
Bräutigam auB Hanger" („^enich z hladu"), „Verkaufte Liebe"
(„ProdanÄ täska"), „Das bin ich nicht" („Ja to nejaeiB"); die
Tragödie: „Francesca da Rimini". Schon als Student bereiste
er verEchiedene Länder Oesterreichs; im Jahr% 1863 begann er
eine Reihe ausgedehnterer Wanderungen in Europa, Kleinasien,
Palästina, Aegypten. Im Jahre 1864 gab er „Arabesken" („Ara-
besky") und „Pariser Bilder" („PafiJSske obrä^ky") und im Jahre
1867 das „Buch der Verse" („Knihy verlü") heraus. Die Frucht
seiner Reisen waren Erzählungen und Skizzen: „Verschiedene
Leute" („Riizni lide") und „Bilder aus der Fremde" („Obrazy z
ciziny"). Im Jahre 1866 gründete er im Verein mit H41ek und
gab einige Zeit lang heraus die Zeitschrift „KySty" („Blüten")
und 1873 erneuerte er mit demselben den „Lumir", um den
sich eine Gruppe der neuen Generation Ton Belletristen und
Dichtern sammelte, von denen weiter unten. Im Jahre 1876
begann er eine Sammlung seiner Feuilletons herauszugeben (bb
1879 vier Hefte), worin sich nach den Worten ^hischer Kri-
tiker Stücke finden, z. B. „Trhani", die „ihm den Ruhm eines
genialen Genremalers geben würden, wenn er auch nichts
weiter geschrieben hätte"; 1878 folgten die „Erzählnngeu von
der Kleinseite" („ Malostranske povi'dky")', die von einigen für
das beste Werk Neruda's gehalten werden. Zuletzt gab er „Kos-
mische Lieder" („Pisne kosmicke", '2- Auö. 1878)^ heraus in der
Art der Gedichte Hälek's („In der Natur"), aber diese Natur ist
astronomisch und kosmographisch. ... — Die Poesie dieser Lie-
der war uns wenig verständlich.
- Hälek war der erste Dichter der neuen Schule, aber Neruda
gilt für den eigentlichen Reformator der neuen ^echiscben Lite*
ratur. Ein vielseitiger, überaus fruchtbarer Schriftsteller, gilt
er vorzüglich für den Begründer der cecbischen Belletristik: er
sprach die Forderung des literarischen Fortschritts aus, die Koth-
' Üie „Kleinseite" ist ein Sttkdttheil vnu Prag jenseit der Moldau.
' HputBch von G. Paviifconski (Leipzig 188]),
...., Google
Die neue Diohteriohule. 265
wandigkeit, neaen Ideen und Formen Ranm zu gebeo, und stellte
Belbst Proben einer neuen Manier auf.'
Die genannten Schriftsteller stehen an der Spitze einer Ple-
jade von Dichtem und Novellisten: einige von ihnen haben
grossen Ruhm in der äechischen Literatur. Wir wollen sie mit
ihren Hauptwerken kurz anführen.
Gustav Pfleger-Moravsk;^ (1833—75) ist Lyriker, Drama-
tiker und Romat^hriftsteller: bekannt ist sein Roman in Versen
„Pan VySinsky" (1858 — 59), geschrieben unter deutlichem Kinfluss
von Mickiewicz und Pu^kin, mit humoristischer Färbung; am
meisten ist er als Romanschriftsteller geschätzt („Aus der kleinen
Welt" — „Z maleho aveta"). Der früh verstorbene Rudolf Mayer
(1838 — 65), dessen Talent von den 6echi8chen Kritikern hochge-
schätzt vrird -. bei dem erhabenen Charakter seiner melancholischen
Poesie sah man in ihm den eigentlichen Nachfolger Mächa '8.^ In
jungen Jahren starb auch Wenzel Scholz (1838 — 71; „üskoci",
,3t--Wenzelslieder" — „Zpevy svatovdclavsk^", „Unsere Hütten"
— „Nase cbaloupky"). Rohumil Janda (pseudonym Cidlinsk^,
Länsk^ u. a. 1831 — 75), Dichter und Novellist, ist besonders
bekannt durch die historische Dichtung „Talafüs z Ostrova".
Julius Vratislav Jahn (geb. 1838), dessen beste Gedichtsamm-
lung der „ Rosenkranz" ( „ Räzenec" ) war. Alois Adalhert
Smilovsk;^ (1837 — 83), Lyriker und dramatischer Schrift-
steller, insbesondere aber Erzähler aus dem Volksleben. Ja-
roslav GoU ist ausser verschiedenen Gedichten auch durch seine
historisch - literarischen Arbeiten bekannt. Jarosla v M a r tt n e c
(eigentlich Joseph Martin, geb. 1842) gab 1862 ein politisch-
literarisches Pamphlet „April" heraus und 1863 eine Sammlung
Gedichte „Der jungen Generation" („Mlademu pokoleni"). Fer-
ner Hanuä Venceslav Tßroa, der in der Dichtung „Jaroslav",
1871 den epischen Stil der Königinhofer Handschrift wiedergeben
wollte („BÄsne", 1872). . . .
In den letzten Jahren hat sich die cechische poetische Lite-
ratur durch eine neue Reihe von Schriftstellern erweitert, welche
die neue Richtung derselben ins Extrem geführt zu haben Rcheincn.
' Biographien: „Sloviiik DauEnj'', s. v,, Kalendäf von Arbes, 1879,
S- 84-87; Svfetoior, 1878, Hr. 42.
* Eine SammluBfc Heiner Oe<1ioIite mit Bin^raphie nah Job. Dnrdik,
1873, heraus.
...., Google
256 Fünftes Kapitel. I. Die deobea.
Wie zu Ende der fünfziger Jahre die Schule Hälek's mit dem
Almanach „Mäj" auftrat, so erschienen zu Ende der sechziger
Jahre neue Gedichtsammlungen, von denen der „Ruch" („Bewe-
gung") und der „Almanach der äechiechen Studentenschaft" („Al-
manach ^keho studentstva", 1868 — 70) am bemerkenswertbesten
waren. In zehn Jahren entstand ein neues Poetengescblecht, dar-
unter ein Talent, welchem die iechiscHe Kritik kühn das Epi-
theton „genial" beilegt.
Uehrigene ist der Dichter, dem die Mehrheit der' Stimmen
einen solchen Vorzug gibt, noch jünger als diese neue Dichter-
gruppe. Es ist dies Jaroslav Vrchlick;^ (eigentlich Emil Bohus
Frida, geb. 1853), der jüngste und zugleich kühnste und frucht-
barste Dichter der neuen Generation, auf den man mit vielen
Hoffnungen blickt. Sein Vater war Kaufmann; vom vier-
ten Jahr an war er bei seinem Onkel, einem Dorfgeistlichen —
anfangs wollte man nur durch die Landluft seine schwache Ge-
sundheit stärken, doch blieb er dann ganz bei seinem Onkel
und der bei diesem lebenden Grossmutter. Der Onkel, ein ge-
achteter Mann, bereitete ihn auf die Schule. vor und erzog ihn
im „Patriotismus"; nach den Worten von Freunden erscheint
dies Gefühl (Ür sein Volk Vrchlick;f so natürlich und ootb-
wendig wie die Luft — deshalb behandle er nach ihrer Dar-
stellung auch keine patriotischen Stoffe in seiner Poesie. Neun
bis zehn Jahre alt schrieb er schon Tragödien; er war sieb-
zehn Jahre alt, als seine Gedichte zum ersten mal im Dmck
erschienen — pseudonym, da er als Gymnasiast seinen wirk-
lichen Mameu nicht hinzufügen durfte. Später wurde das Pseu-
donyme Vrchlick^ sein gewöhnlicher literarischer Name. Er
Itereitete sich schon för das geistliche Amt vor, aber Krank*
heit nöthigte ihn, das Seminar zu verlassen; er studirte dann
Philosophie und Geschichte, nahm die Stellung eines Er-
ziehers in einer vornehmen Familie an und brachte mit
derselben ein Jahr (1875—76) in Italien zu. Nach Prag
zurückgekehrt, war er eine Zeit lang Lehrer, dann wurde er
zum Secretär des prager Polytechnikums gewählt.' Vrchlicky
gab in kurzer Zeit eine ganze Reihe von Sammlungen seiner
Gedichte heraus — lyrische wie: „Aus den Tiefen" („Z hlubin");
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Jarosiftv VrohliokJ. 257
„Träame Tom Glück" („Sny o ItÖBti"); „Ein Jahr im Süden"
(„Rok oa jihn"), Eindrücke und Bilder aus der italienischen
Reise; „Geist und Welt" („Duch a svet"); „Symphonie"; epische
Gedichte und Sammlungen solcher, wie „Vittoria Colonns" — aus
dem Leben Michel Angelo'e; „Epische Lieder" („Epicke Bdsne");
„Mythen" („Mythy", 2 Thle., 1879); endlich Uebersetzungen:
aus Victor Hugo, Leopardi; in letzterer Zeit ist von ihm eine
Uehersetzung Dante's erschienen.
Die 6echischen Kritiker hahen die höchste Meinung von der
Poesie Vrchlicky's, die Journale, den gelehrten „Casopis" nicht
ausgenommen, sind einstimmig in der Anerkennung seiner Genia-
lität.' Seine grosse Begabung unterliegt keinem Streit; die
Fülle seiner Thätigkeit zeugt von dem Beichthum seiner poeti-
Rrben Natur, — aber die Landsleute des Dichters bestiebt ge-
wöhnlich, neben dem Inhalt, die Form, die Schönheit der Sprache,
welche auf einen Leser anderer Nation stets weniger einwirkt;
den Landsleuten sind auch immer die nähern Verhältnisse der
Literatur, in denen ihr Schriftsteller auftritt, in Erinnerung.
Uns scheint der Massstab der äechischen Kritik übertrieben zu
sein, besonders wenn sie die Poesie Vrchlicky's zn einer euro-
päischen Bedeutung erhebt. Um zu dieser Bedeutung zu
gelangen, ist es aber nöthig, dass der Dichter auch als ein
Dichter seiner Nationalität, als slavischer Dichter auftrete, dass
er nicht hei einer einfachen Wiederholung des allgemein- euro-
päischen Gedankeninhalts bleibe. Den russiBchen Leser, der
an eine vorwiegend realistische Poesie gewöhnt ist, kann der
Umstand in Verwunderung setzen, dass ein Dichter, der in
kurzer Zeit mehrere Bände geschrieben hat, fast nur entweder
fremde oder abstract ideale Themen wählte, — was sogar iechi-
schen Kritikern aufgefallen ist: man empfindet darin eine gewisse
Einseitigkeit, vielleicht nur eine zeitweilige — der Dichter steht
ja erst im Anfang seiner Wirksamkeit.^ Das unterscheidende
Merkmal der Poesie Vrchlicky's ist romantischer Idealismus und
' Job. Dardik hat kein Bedenken getragen, im englischen Athen aeum
(1878, Ditc. W) über die erwähnten Sammlungen zu sagen: „These volu-
mes . . . give Vrchlioky a foremost place among the living poete not of
Bobemis onlj, but of Euiope."
* Die Cechiflchen Kritiker freuten sich, als Vruhliokj' in Beinen „Mythen"
zun ersten mal böhmisohen Boden betrat (OsT^ta, 1878, I, S. 423 fg.).
Pxrlt, SUTlioha Lltandiran. U, 3. IT
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258 Fünftes Kapitel. I. Die Öeoken.
Reflexion: der Dichter wendet sich fortwährend zu Fragen der
allgemein menschlichen Geistesentwickelung und GeBchichte. In
dieeem Sinne ist beBOnders cliarakteriBtiacl] die Sammlung „Geist
und Welt" („Duch a ST^t"), wo er das historische Leben des
menschlichen Gastes, von der primitiTen zur antiken Welt, dem
Mittelalter und den neuem Aufgaben der menschlichen Entwicke-
lung darstellen wollte; der Dichter ist durchdrungen Yon Sym-
pathie für die grossen Verdienst« der wahren Humanität, glaubt
an den künftigen Sieg des Geistes über die Natuj-, — aber diese
Poesie mit ihren welthistorischen Themen, grandiosen Perspec-
tiven, ins Weite gehenden Absichten, sehr abstracter Nator und
nicht auf böhmischem Boden gewachsen, ist eben eine von der
Lektüre angeregte bücherhafte Poesie; starken Einäuss Victor
Hugo's (besonders der „Legende des Siecles") hat man scbon
dann bemerkt.
Der zweite, nach der Meinung anderer aber erste Dichter
der neuen Schule nach dem Tode Hälek's ist Svatopink Öech
(geb. 1846); bekannt sind insbesondere seine grossem Dich-
tungen „Träume" („Snove") und „Die Adamiten" („Adamiti", die
bekannte Sekte des fun&ebnten Jahrhunderts). Das EracheiDen
der „Adamiten", im Jabre 18T3, war ein literarisches Ereigniss.
Die Öechen schätzen das Werk hoch wegen seiner künstlerischen
Composition und seiner ausgebildeten poetischen Form. Öech
ist auch ein sehr begabter Erzähler, worüber weiter unten.
Aus dieser Gruppe können noch genannt werden*. Ladislans
Quis (geb. 1846), ein Dichter, der sich patriotische Aufgaben
stellt, Liebe zur Freiheit besitzt (Sammlung von Gedichten „Z
ruchu", 1872); Joseph Wenzel Slädek (geb. I84ö), bei dem
ein elegischer Ton vorwiegt; das Leben in Amerika hatte
ihm warme Erinnerungen an die Heimat eingeäösst; er ist auch
Uebersetzer aus Byron („Bäsne", 1875); Rudolf PokornjF (geb.
1853), ein patriotischer Dichter mit Stoffen aus dem Volksleben;
Miroslav Krajnik (geb. 1850; pseudonym Starohradsky und
Jar. Eopeckj); Antal StaSek (Antonin Zeman), der bemerkeie>
werthe poetische Versuche über Stofle aus dem Volksleben lie-
ferte (Roman in Versen „Vaclav"), ausserdem im Roman thätig
war; und viele andere.
Von Dichterinnen dieser Zeit ist der populärste Name Elisa-
beth KFäsnoborskfi (EliSkaK., eigentlich Frau Henriette Pech,
geb.. 1847). Nachdem sie früh ihren Vater verloren, wuchs de
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Die neue Diohterschule. 259
anter dem Einäaes der talentvollen Mutter auf; in der patrio-
tischen Familie lernte sie vollkommen die fechische Sprache
kennen, in welcher sie niemals in der Schule unterrichtet wurde ;
in einem geselligen Kreise von Künstlern, der sich hei ihren
Brüdern versammelte, entwickelte sich ihr künstlerisch-literari-
scher Geschmack. Sie begann mit Gedichten: „Aus dem Lehens-
mai" („Z mäje äiti", 1870); „Vom Böhmerwald" („Ze Sumavy",
1873), der dramatischen Dichtung „Der Sänger der Freiheit"
(„Pevec volnosti"); dann gehört ihr eine Reihe schöner Erzäh-
lungen an. ' In den letzten Jahren Hess sie sich in Frag nieder,
nahm an den Unternehmungen der Frauenvereine (dem weiblichen
Arbeiterverein, gegründet von Karolina Sv^tlä) theil, leitete die
Redaction der „^enske Listy" („Frauenzeitung") , schrieb über
Literatur, Musik, die Franenfrage. Von ihrer Charakteristik der
neuem ^echischen Poesie werden vrir weiter unten reden.
Ea mögen noch erwähnt werden: Albina Dvoräk-Mräiek
(Albina Dvoräkova-Mrdikova, geb. 1850), Bertha Mühlstein
(Mühlsteinova, geb. 1849), Boäena Studnicek (Studnitkova),
Irma Geisl (Geislova) u. s. w.
In der dramatischen Literatur werden ausser dem Schrift-
steller der altern Generstion, Jos. G. Kolär, besonders geschätzt
die Stücke von Emanuel Bozdech (geb. 1841), obgleich er die
Stoffe seiner Dramen gewöhnlich aus der Geschichte fremder
Völker nahm : die Tragödie „Baron Görtz", die Komödien „Zkotiäka
statnikova" („Der Probirstein eines Staatsmanns"), „Sveta pdn
V änpanu" u. s. w. Franz Jeräbek (geb. 1836) dagegen be-
arbeitete vaterländische Stoffe; er betrat den Schauplatz der
Literatur zn Ende der fünfziger Jahre als Dichter und zu-
gleich Publicist , aber hauptsächlich gaben ihm seine drama-
tischen Werke Kuf (,,Die Wege der öffentlichen Meinung" —
„Cesty verejn^ho mineni", 1865; ,,Der Diener seines Herrn" —
„Sluiebnik sveho päna", 1871, eins seiner populärsten Stücke;
„Der Sohn des Menschen oder die Freu&sen in Böhmen" —
„Syn Moveka aneb Prusove v Cechäch", aus den Zeiten des
Siebenjährigen Krieges u. s. w.) > Ein talentvoller Dramatiker
ist auch Wenzel Vlfiek (geh, 1839), Verfasser einiger Komödien
und Tragödien, von denen „Eliska Premyslovna" besonders be--
' SvMozor, 1878, 3. X65, 207.
17*
ü,g:.z:.u.,GOOg[f
260 FönfteB Kapitel. I. Die ÖeoheD.
ka&Dt ist. Aus der Jüngern Generation: LadislauB Stronpei-
nick^, J. 0. YeBel^ u.a. Die dratnatischen Stücke yon Frii,
H&lek, Neruda, Pfleger worden schon oben erwähnt.
Aber besonders reich ist in den letzten Jahrzehnten das Gebiet
der Erzählung nnd des Romans in den verschiedenen Zweigen
derselben: Erzählungen aus dem Volksleben, der historiscbe und
sociale Roman , humoristiscbe Erzählungen. Die Ausdehnung
dieses Gebietes in der letzten Zeit steht offenbar im Zusammen-
hange mit der Belebung der äechischen Nattonalität, nachdem
die Verheemngen der Reactiou der fünfziger Jahre vorüber waren.
Aber obgleich diese Literatur der Gesellschaft oftmals als Schule
des „Patriotismus" diente, so läset sich doch nicht sagen, dass
der fechische Roman einen selbständigen Stil und eine reale
Darstellung des Lebens ausgearbeitet habe. Wie in der neuem
£echiscben Poesie der Einfinss Byron's und Victor Hugo's augen-
scheinlich ist, so ist in der Erzählung und im Roman, ausser
George Sand, besonders die Manier derjenigen fremden Schrift-
steller bemerkbar, die den Cechen am meisten bekannt sind, d. i.
der deutschen.
Am selbständigsten und interessantesten ist unserer Ansicht
nach die Erzählung aus dem Volksleben, wo der Gegenstand
seihst nothwendigerweise die grösste Einfachheit und Innig-
keit erforderte. Hier erscheint als würdige Nachfolgerin der
Bo^ena Nemcova eine thätige und verdiente Schriftstellerin, Ka-
rolina SvetlfL (eigentlich Johanna Muiäk, geborene Rott, geb.
1830). Die literarische Laufbahn betrat sie in dem erwähnten
Almanach „Mäj", 18äS. Darauf sicherte ihr eine lange Reibe
von Erzählungen und Romanen in Journalen und vbesondern
Büchern die erste Stelle in der Dai-stellung des Volkslebena.
Für die besten gelten: „Das Kreuz am Bache" („Kh'i n po-
toka"), „Das schwarze Peterchen" („ Cem^ PetKtek"), „Der
Dorfroman" („Veanicky roman"), „Der Nichtbeter" („Nemod-
lenec"j, „Einige Bogen aus einer Familienclironik " („N«ko-
lik arcbü z rodinnd kroniky"), Den literarischen Verdiensten
nach wird sie von den fiechischen Kritikern höher als Frao
Nemec gestellt, — was ganz natürlich wäre, da sie auf
schon gebahntem Wege gehen konnte; Svetlä ist fruchtbarer,
reicher an Phantasie, aber uns scheint, grössere Einfachheit
würde ihren Erzählungen nichts schaden, die manchmal nicht
.....Gooj^lc
Romas, Erzählung. 261
frei von weitschweifiger Romantik sind.' Auf diesem Gebiete
arbeitete mit Erfolg Ferdinand SchuU (geb. 1835), dessen Ro-
man „Der alte Herr von Domasic" („Star? pän z Domaäic",
1878) als ein gelungenes und wahrheitsgetreues Bild des Land*
lebens sehr geschätzt wird. Wir fügen noch hinzu, dass Schulz
auch ein bedeutender historiBcher Erzähler ist.' Oben wurden
erwähnt Wenzel SmilovskJ, Äntal Staäek; letzterer gab vor kur-
zem einen Roman „Das unvollendete Bild" („Nedokonfien^ obraz")
heraus, der ebenfalls durch die Darstellung deb Volkslebens be-
inerkenswerth ist. Es mögen noch genannt sein Wenzel Beneä
Trebizsky, Priester („Verführte Seelen" — „Bludne duäe",
1879) u, a.
Der historische und sociale Roman findet zahlreiche Vertreter.
Von den altem Schriftstellern arbeitete hierin viel J.G.KolAr, der
iibrigeus mehr Phantasie als historische Wahrheit besass. Janda-
Cidlinsky beschäftigte sich in seinen historischen Romanen
besonders mit der Epoche Geoi^ Podebrad's. Von den Schrift-
stellern der neuer» Generation erfreut sich eines besondem Hufes
der früher erwähnte Wenzel Vltek. Ihm gehört eine Reihe his-
torischer Erzählungen an: „Jan Paäek z Vratu", „Ondrej Puklice"
— aus dem Stadtleben Böhmens im 15. — 16- Jahrhundert; „Pani
l'icbnickä", „Dalibor" u. s. w. Des grössten Ruhmes aber erfreut
sich sein Roman aus dem zeitgenössischen Leben: „Der Lorber-
kranz" („Venec vavh'novy", in Oaveta, 1872, und dann besonders
1877), wo in der Erzählung von dem iunern Leben des idealisti-
schen Dichters und dem Kampfe mit seiner egoistischen Umgebung
Züge aus dem äecbischen Gesellschaftsleben und sogar ziemlich
leicht errathbare Porträts eingestreut sind. Die Werke Vlcek's,
seine Romane sowol als seine publicistischen Sachen, sind von pa-
triotischem Idealismus durchdrungen.* Joseph Georg Stankovsk^
■ Uebei- KftToiina Sv6tlä s. OsvEta. 1878. h<\. 11, S. 786 fg.; Kv*ty,
1880, Nr. 2; Svetozor, 1880. Der Name ist vou der ÜrtBohaft Svttla ge-
nommen, der Heimat ihres Mannes im nördlichun Böhmeu, wo anuli der
SchanpUtz der Handlnng ihrer beaBem Erzählungen iet.
' „ÖeSti vystähoyalci" („Böbmische Kxulanten", 1876); „Z d6jin poroby
lidn v Cechäoh" („Ane der Zeit der Leibeigenschaft des Volkes in Böhmen"
in Oaveta, 1871).
* Die letztem sind gessminelt in der Schrift „Patriotische Klagen"
(„Tozby vlastenecke ", Pr^ 1879). VlCek ist Bedsotenr einer der besten
(echischen Zeitschriften, der „Oevita".
Dig:.... ..Google
262 FüDflec Kapitel. I. Die Rechen.
(Ifi44 — 80), ein sehr frnchtbarer Schriftsteller, ist VerEaseer histo-
rischer Romane: „König und Bischof" („Kräl i bisknp") aas den
Zeiten Rudolfs II., nnd besonders „Die Patrioten der Theater-
bude" („Vlastencove z boudy") aus den ersten Zeiten der natio-
nalen Erweckung zu Ende des 18. Jahrhunderts, auch eines zeit-
genössiBchen Romans: „Der Reformator TOn Milevsko" („Milevsk;
reformätor") u, a. Ivan Klicpera, Sohn des früher erwähn-
ten dramatischen Schriftstellers, schrieb einige interessante his-
torische Erzählungen: „Böhmische Exulanten" („CeSti Tybnanci"),
„Die Schlacht bei Lipan" („Bitva u Lipan") n. a. Venceslava
Luzickä (,,Auf den Ruinen" — „Na zricenioäch" ; die Erzählung
„Die Mittagsfrau" — „Polednice", ti. a.); der früher genannte
Stroupeinicky u. s. w. •
Der sociale Roman hat sich in der allerletzten Zeit entwickelt,
weil die „Gesellschaft" selbst, d. i. der Mittelstand nnd theil-
weise der höhere, erst seit kurzem zur Öechisohen Nationalität
zDriickkehren. Die Grundlagen waren schon in der frühem Pe-
riode durch die „patriotischen" Erzählungen und Romane gelegt
worden; jetzt breitet sich der sociale Roman immer mehr aus.
Wir haben schon einige Schriftsteller genannt, welche auf diesem
Literatiirgehiet wirkten, wie Pfleger, Svatoplnk Cech, Vl&ek, Ka-
roUna Svetlä, El. Kräsnohorskd u. a. Wir nennen noch folgende
Namen: Sophie Podlipskä (geb. Rott, die Schwester ron Ka-
rolina, geb. I63it) schrieb einige Erzählungen und Romane, von
denen die hauptsächlichsten sind : ,tSchicksal und Talent" („Osad
a nadäni"), „Die Verwandten" {„Ph'buzni"), „NalioYsk^". Alois
Jirasek (geb. 1851, Lehrer zu Leitomischl), der von 1871 an in
der Literatur auftrat, verfasete eine Menge von Gedichten, Enäfa-
lungen ans dem Volksleben und Romanen in verschiedenen Jour-
nalen und besonders: „In der Nachbarschaft" („V sousedstvi", 1874) :
„Die Felsenbewohner" („Skalaci", 1875); „Das Geschlecht der Tn-
refiek" („Tureikove", 1876); „Am Hofe des Vojevoden" („Na dvore
vevodskem", 1877); ,, Eine philosophische Geschichte" („Filoso&kä
historie", 1878) aus den Ereignissen des Jahres 1848, und andere.*
Bohumil Havlasa (1852—77) führte ein kurzes, aber j^iantasie-
'Siebe die Bemerkungen Tieftrank'a: „Slovo o romiou a d^epüe
j^eskem" („Ein Wort über den cechiachen Boman und die teohisobe G«-
aobiobtsohreibang", im Oasopie, 18TS).
* Seine Biographie in SvetOEor, 1678, Nr. (9.
., Google
Roman, Erühlung. 263
volles Leben: er bereitete Bich zumEaufmannestande vor, wurde
aber fahrender Schauspieler; dann verschafften ihm seine Freunde
eine Stellung in einer Zuckerfabrik; im Jahre 1875 begab er
rieh als Correepondent der „Närodni Ljsty" nach der Herce-
govina, wo er die Abenteuer des Kriegs durchmachte. Nach
Hanse zurückgekehrt, begab er sich bald wieder auf Reisen —
nach Paris, in die Schweiz; der russisch-türkische Krieg zog ihn
nach Bussland; er ging in den Kaukasus als Freiwilliger eines
Dragoner-Ilegiments , war bei Zivin und Avliar und starb am
Typhus in Alexandropol, im November 1877. Dennoch vermochte
er in diesem kurzen und unsteten Leben viel zu schreiben: „Aus
dem Vagabundenleben" („Z potulneho iivota"), eine humoristische
Erzählung aus dem Leben der fahrenden Schauspieler, geschrie-
ben 1871; „Na nadrazi" („Auf dem Bahnhof'}; „Leben im Ster-
ben" („Zivot y umi'räni"); „Im Gefolge eines Abenteurerkönigs"
(„V dru^ine dobrodruha kiäle"), ein historiBcher Koman, das beste
seine Werke; „Stille Wässer" („Tiche vody") u.b.w.^ Ein anderer
fruchtbarer Schriftsteller ist Johann Jakob Arbes (geb. 1840).
Er wurde früh belletristischer Schriftsteller und Publicist. ' Nach-
dem er 1868 in die Zeitung „Närodni Listy" eingetreten, ward
er als ihr verantwortlicher Kedacteur dreissigmal wegen Ueber-
tretung des Pressgesetzes vor Gericht gestellt, übrigens aber nur
einmal zu einigen Monaten Gefängnise verurtheilt. Vor kurzem
sammelte er seine „Romanetta", die übrigens selbst nach den Aeus-
semngen fiechischer Kritiker überdiemassen willkürlich und phan-
tastisch sind. Einer der beliebtesten Erzähler der Gegenwart ist
der oben erwähnte Svatoplnk Öech („Povidky, arabesky i bumo-
reskj", 3 Bdchn., 1878 — 80); in seinen Erzählungen ist wirklicher
Frohsinn und lebendiger Witz, aber der „Humor" wird hier,
wie überbanpt in der feebischen Literatur, nicht im englischen
Sinne verstanden, den man in Russland angenommen bat, sondern
im populären deutschen, was zwei verschiedene Dinge sind. Endlich
mögen noch genannt sein Joseph Stolba (geb. 1846), Verfasser
einiger Komödien und „Humoresken"; Franz Herites (geboren
1851) u. a.
' BiographiBohe Nftchriuhten: Svfitozor, X878, Mr. 17— 18; Osvite, 1876,
Mr. 6.
., Google
364 Fünftes Kapitel. I. Di« Ceokea.
So war die breite Entwickelung der neuöechischen Kunst-
literatur. An der Lyrik, dem subjectiTBteti und freiesten Ge-
biet der Poesie, ist die vorberrschende Stimmung dieser Lite-
ratur besonders bemerkbar. Es ist die|_Tendenz der allgemein
menschlichen Ideen, des Eosmopolitismus , als dessen Vertreter
Vrchlicky erBcheint. Wir haben vorher bemerkt, dass das Ein-
treten dieser Richtung seinen Grund hatte, aber sie hat auch
ihre schwachen Seiten.
In der That, den wirklichen Kosmopolitiemus kann eine Li-
teratur nur dann besitzen, wenn die allgemein-menschliche
Erhabenheit des Inhalts die natürliche Frucht einer starken na-
tionalen Entwickelung ist. Die wahrhaft grossen Schrifteteller
von solcher Weltbedeutung waren gewöhnlich zugleich auch tief na-
tional, und waren gross, weil sie national waren, wie Shakespeare,
Moliere, Goethe, Schiller, Dickens, Byron. In jungen Literaturen
von wenig Umfang und nicht völliger Selbständigkeit kann die
kosmopolitische Tendenz nur kiinstlich und absichtlich gesudit
sein. Sie kann auch hier grossen Werth haben, nämlich einen
bildenden, indem sie in die specielle und beschränkt nationale
Literatur umfassende Ideen von allgemein meuBchlicber Bedeutung
hineinträgt. So war es z. B. in der russischen Literatur vom vori-
gen Jahrhundert an bis vor nicht langer Zeit. Aber auch znm
Zwecke der Bitdung ist es durchaus nöthig, dass der Kosmopoli-
tismus den nähern Boden, d. i- sein eigenes Volk, nicht ver-
gisst; überhaupt kann er natürlich und stark nur dann sein,
wenn das Allgemeiumenschliche mit dem Nationalen organisch
verbunden sein wird.
Aber die cechische Literatur ist durchaus nicht jung, — i»igt
der Nationalstolz, — sie zählt ein Jahrtausend, angefangen Tom
„Gericht der Libusa"; sie hatte die grosse Periode des Huseit^-
thums Aber, auch ohne über das 9. Jahrhundert des „Ge-
richts der Libuäa" zu streiten, ist die 6echische Literatur dee
iS — 19. Jahrhunderts ihrem Wesen nach eine neue Erscheinung:
vom Ende des vorigen Jahrhunderts an hat sie ganz von Anfang
an begonnen — mit grossem Erfolg für die nationale Wieder-
belebung, aber dafür noch zu wenig erreicht, dass sie sich schon
kosmopolitische Ziele stellen könnte.
Die neuere Schule stellte sich, wie wir bemerkten, der alten
bescheidenen, biedern, „patriotischen" Schule gegenüber ab
e ine höhere Stufe der Poesie und steht factisch über ihr in
ü,g :.._.. ..Google
KosmopolitisronB. 265
Bezug auf die Manoichfaltigkeit von Stoff und Form, aber die
alte Schale hat in vielen Beziehungen mit, man möchte sagen,
richtigerm Instinct die wahren Aufgaben der fiechiechen Lite-
ratur empfunden, und z. B. die Nothvendigkeit einer engern Ver-
bindung mit den nationalen Elementen und den — gesammt-
BlaviBchen. Die Wiederbelebung der j^echiscben Literatur selbst
empfing ihre Nahrung aus zwei Quellen: aus der Erinnerung an
die eigene Nationalität und die alte Zeit, und aus der Idee der
slaTiBchen Gemeinschaft. Die Sache ist aber lange noch nicht
zu Ende geführt: die Nationalität und die slaviBchen Beziehungen
sind auch jetzt noch nicht vollkommen zum Bewuestsein gelangt
und anerkannt, — wenn die Cechen die letztern überhaupt an-
erkennen werden; aber ohne dies bleibt Böhmen in materieller
und geistiger Beziehung eine Insel, der das Meer des Deutsch-
thnms immer mehr nnd mehr bedrohlich sein wird. Mit einem
Wort, die ^ecbiscbe Literatur kann sich nur zu einer allgemein
menschlichen Bedeutung erheben, wenn sie zuerst durch eine
wirklich breite Erforschung ihres nationalen Lebeng gegangen ist
und zweitens durch die Erforschung und feste Begründung der
gegenseitigen slaviscben Beziehungen, — auf welche die Cechen
bei andern Gelegenheiten selbst ihre HofTnungen bauen, die aber
bisher bei ihnen in einen gewissen Nebel gehüllt bleiben.
Dies wird auch in der ceuluBclien Literatur selbst empfunden. i>aliiii
gehören z. B. die Betrachtungen der Frau Kräenohorskä in dem erwähnten
Artikel dber die neuere cechiadie Poesie („Caaopie", 1877). Sie geht
Ton dem Giedanken aus — der durch die Autorität Ilugo's unterstützt
wird — , dass die Kunst nie sich selbst Zweck sei, sondern nur ein
Mittel der verschiedenartigen Bestrebungen, welche die Menschheit besser
und glücklicher machen wollen. Um eo weniger sei die üechiache Poesie
sieb selbst Zweck und der Beweis Jaför das, was sie in bemerkenswerthei'
Weise zur Zeit der cecbischen Wiederbelebung geleistet habe. Die Scbrift-
stelleHn vertheidigt mit grossem Eifer die alte poetische Schule von
Kollär, Celakovsky, Erben, Wocel, welche das todte Volk mit den
Klängen des cechischen Wortes beleben wollte, und dann Erfolg hatte
.... Die neue Poesie habe diese Vorgänger zu sehr vergessen, und
nachdem sie sich „Weltthemen" gestellt, habe sie aufgehört, die Heri-
scberiii in der geistigen Welt des cecbischen Volkes zu sein. Das Erbe
der alten Schule sei eher in den Roman und die Erzählung über-
gegangen, die dorn Leben und dem Volke nahe geblieben sind. Die
neue Poesie klagt über Kälte der Gesellschaft, aber woher kommt
diese Kälte? An Talenten fehlt es nicht; die öffentlichen Interessen haben
einen viel hreitern Boden als früher; unabhängige und gebildete Leute
ü,g :.._.. ..Google
266 FünfleB Kapitel. 1. Die flechen.
gibt eu in gröeserei' Zahl, — um bo weiter wirkend und feaseluder
könnte die Poefiie sein. ...
Und so liegt, wenn man sicli über Mangel an Interesse fär die
(neuere) Poesie beklsgt, der Grund eines geriogem Erfolgs derselben
nicht in der Gesellscliaft, sondern iu der Poesie selbst. Sie selbst hat
eich der Gesellscbaft entfremdet. Der Roman ist in dieser Beziehung
glficklicker. „Die Poesie", sagt Fnitt Kräsnohorskä, „kannte die Geister
ätärker anziehen mit denselben Mitteln, durch die jeder gute ßomaii
Popularität erlangt — es brauchte darin nur mehr veredelter Realiamua,
mehr Inhalt, mehr lebendige Wahrheit, mehr concretes Wesen zu aeiii;
und wie unser Leben seinen sittlichen und praktischen Kern augenscheiu-
tich in dem unaufhörlidien Kampfe fOr unsere nationale Existenz bat, so
mnss auch der Kern der cechischen Kunst — wenn sie die moderne uad
zugleich kosmopolitische Hdhe eines gesunden Realismus erlangen will —
das cechische Ideal und die nationale Tendenz sein, durdiaus nicht
irgendeine zerfahrene Unbestimmtheit, die niemals und nirgends einer
u Weltliteratur» Jene Weltbedeutung gegeben hat. . . . Eine jede Welt-
literatur ist eine National literatnr. Kein Mensch wird ohne hestimmte
Nationalität geboren, wie es kein Fleckchen auf Erden gibt ohne sein
bestimmtes Klima; Wissenschaft, Philosophie und Humanismus bewegen
sich allerdings in allgemein menschlichen, sogar kosmopolitischen Ge-
bieten — aber dennoch gibt es auf der Welt kein praktiach-kosmo-
politisches Leben, das nationale Gepräge wird nie zu einer abstracten
Allgemeiuheit verwischt, — im Gegentheil, wo die uraprüngliehe na-
tionale Eigenthamlicbkeit verwischt ist, ist dies nur durch den EinfloM
einer andern starkem und aggreasiveo Nationalität geschehen. Wenn
sonach ein Dichter aus dem wirklichen Leben herausgewachsen ist, so
ist dies unter dem Einfluss seines Volkes geschehen .... und er
musste entweder durch sich selbst (lyrisch) oder durch die von ihm
geschaffenen Gestalten (episch) eben den idealen Typus der Volkiati
darstellen. . . . Und uns zwingt zu einem begeisterten Sueben dee cechi-
schen Ideals nicht nur irgendein sentimentaler Patriotismus, eondem
das gebieterische Schicksal, und die anerbittliche Wirklichkeit;
die politische, geographische, sociale Lage unsere Volkes, die dringende
Thatsache der Noth und die unabvrendbaren Ziffern der Statistik,
— und solange diese Momente ihre Wesenheit nicht verlieren werden,
wird die Poesie nur dann mit dem Lehen des Volkes verwetfaonn leiii,
wenn sie aus demselben herausgewachsen und ihm entströmt sein wird
wie sein eigener warmer Hauch."
So lauten die Urtheile der ^ecbischen Kritik selbst Dieses
Urtheit gilt natürlich nicht durchweg, weil auch in der neaem
Poesie die alte Ueberlieferung nicht ganz verlassen ist; aber
im allgemeinen gibt es den Charakter der neoern kosmopoli-
tischen Poesie (z. B. ihrer Koryphäen: Hälek, Nemda und am
meisten Vrchlicky) und ihre wesentlichen Mangel richtig w»-
...., Google
KoBmopolitinnua. 267
der.* Aber andererseits Ut auch der cechiBcbe Romiiu noch weit
vom wahren RealismuB entfernt. Sein bestes Gebiet ist die Dorf-
geschichte, worin sich jedoch immer noch zuviel sentimentale Ro-
mantik findet, die zun Tbeil traditionell von der alten Schule her-
i-ührt, andemtheils von George Sand angeweht ist. Der sogenannte
„sociale" Roman leidet ebenfalls an einer eigenthümlichen Art ge-
ktinstetter Romantik, die dem Anschein nach am meisten den
Deutschen entnommen ist: einen solchen Eindruck machen sie auf
den russischen Leser, der mit dem wirklichen Realismus des eng-
lischen Romans, z. B. bei Dickens, Thackeray u. s- w., bekannt
und insbesondere an den ruseiscben Realismus seit den Zeiten
Gogol's gewöhnt ist. In der Mehrzahl der Cecbischen Romane,
die wir gelesen haben (und ihre Zahl ist nicht klein), setzt den
ruBsiscben Leser jener Mangel an realer Einfachheit in Verwun-
derung: die Personen sind conventionell, der Dialog besteht zu-
weilen aus schwerfällig rhetorischen Reden (wie z. B. in den
Romanen von Auerbach, Heyse and andern Deutschen); in der
cechischen Gesellschaft treten Grafen und Barone auf, die in
ihr in 'Wirklichkeit keinen Typus, sondern eine Seltenheit bil-
den ; die Handlung ist romantisch aufgebaut u. s. w. Dabei fehlt
auch bier jener Grundzug des Cechischen Lebens, auf den die
eben angeführte Kritik der (^chischen Poesie hinweist: beim
Lesen der Romane sieht man nicht den national-politischen
Kampf, der doch der herrsobende Zug der cechischen „Politik",
„Geographie", „Statistik" u. s. w. ist. Aber dafür muss man
zugeben, dass bei den Cechen die literarische Technik sehr aus-
gebildet ist: der Dialog fliesst gut, der Stoff wird gut ent-
wickelt und durchgeführt.
Die öechische Literatur' hat eine schöne Eigenschaft, die
iu Russland ganz vergessen ist, — das Gefühl der Solidarität,
infolge deren jedes einigermassen talentvolle Werk gleich be-
merkt und mit Beifall überschüttet wird: es — bereichert die
Literatur. Aber leider verliert diese schöne Eigenschaft nicht
selten das Mass: bei diesem „Reichthum" zeigt sich in der
Literatur eine übertriebene Vorstellung von ihrem wirklich vor-
handenen Inhalt, die Kritik erschlafft und damit verringert
' Vgl das Buch von Koaiua, „Hovory Olympsk^" ; sehr BchwerfiUlig
iu d«r Form (das Mittel der Darstellung iat der Diklog), ist e« nicht selten
dem Inhalt nach aehr interessant.
D,9:.z.u., Google
268 Fünftes Kapitel. I. Die Rechen.
sich zugleich das Streben iiacfa neuen Mitteln der nationalen £ut-
wickelung.
Indem wir uns zut- gelehrten Seite der öechiscben Literatur
wenden, gehen wir dem Plane ungers Buches gemäss im Speciel-
len nur auf die hiBtorisch- literarischen Forschungen ein. Hier
stand die 6echische Literatur von Anfang der Renaissance an
in der vordem Reihe und hat in einigen Beziehangeo ihre Stelle
nicht verloren. Es wirken noch jetzt einige Veteranen, jüngere
Zeitgenossen SafaHk's, Falackj's, Kollär's; es kam eine neue üe-
neration von Gelehrten empor, welche eifrig an der Erforschung
des iechiechen Alterthuros und des ftechischen Volksthums arbei-
ten. Wir nennen die wichtigem Namen.
An die Spitze der gegenirärtigen ^echiBchen Historiker wird
nach Palack^ der verdiente Forscher Wenzel Vladivoj Tomek
(geb. 1818) gestellt. Nachdem er in Prag Philosophie und die
Rechte studirt hatte, war er einige Zeit Advocat, aber sein Hanpi-
interesse bildete die Geschichte : seine ersten Arbeiten erschienen
schon im Jahre 1837. PalackJ machte ihm den Vorschlag, sich
mit der Geschichte der Stadt Prt^ zu beschäftigen, der BSif er^
nieister von Prag iotereseirte sich für die Sache, und Tomek
nahm zu diesem Zweck eine Stelle beim prager Magistrat ein.
Diese Arbeit beschäftigt ihn noch jetzt. Inzwischen gab er 1842
ein Buch über allgemeine Geschichte heraus, 1843 „Deje zem«
ceske" („Geschichte Böhmens") •, 1845 „Geschichte Oesterreichs"
(„Deje mocnarstvi rakouskeho"). Zum fünfhundertjährigen Ju-
biläum der prager Universität verfasste er deutsch deren Ge>
schichte.- Die Ereignisse des Jahres 1848 lenkten ihn in die
politische Thätigkeit ab; er war Mitglied des Reichsraths lu
Wien und Kremsier. Im Jahre 1850 erhielt er den Lehrstuhl
der österreichischen Geschichte an der pn^er Universität
1858 gab er ein Handbuch der österreichischen Geschichte
heraus*, dessen Hauptidee darin besteht, das« den Kern der
' Zweite Ausgabe, 11*60; dritte umgetubeitate, 1864.
' „Geschichte der pragor Dniveraität" (Prag 1848), Der VeriMaer be-
ganu auch dieses Buch fechinuh heraaszugeben, iu austubrliclieror Betrbei-
tung, es ersohien aber oar der l.Theit (Prag t8<y).
* PHraCnf knlha dejepisu RakoDskeho, 1. Theil, bis sur äcUavht b«i
MohU.
:.., Google
W. Tomek. — A. Gindaly. 269
Österreichischen Geschichte nicht das sogCDannte Stammland und
die Äblülngigkeit vom Deutschen Reich bilde, sondern da» alte
natürliche Band nnd die Gemeiueamkeit der Interessen derjenigen
Länder, die jetzt als Oesterreicb Terbnöden sind. Dies war
eine Entgegnung auf die Ansicht der Anbänger der deutschen
Einheit, dass eine Geschichte Oesterreichs (d. i. in irgendwelcher
Absonderung ron dieser Einheit) keinen abgescbloBsenen Sinn habe
und deswegen unmöglich sei. Seinen Standpunkt hatte Tomek
Kchon früher in einigen Artikeln über diesen Gegenstand verthei-
digt: ee ist derselbe Standpunkt, der Pnlacky veranlasste zu sagen,
und Jellachich zu wiederholen, dass, wenn Oesterreich nicht wäre,
man es schaffen müsste. ... Im Jahre 18.'}5 erschien der 1. Band
der „Geschichte der Stadt Prag" („Dejepis mesta Prahj"); 1865
„Grundlagen der alten Topographie Prags" („Zäklady stareho
mistopisu praiskeho"), eine ausführliche topographische Beschrei-
bung des alten Prag, die als Grundlage zur weitem Darstellung
seiner Geschichte diente. Im Jahre 1879 war die „Geschichte
Ton Prag" bis auf vier Bände gediehen, und zwar bis zum Tode
Sigismund's; zu Ende desselben Jahres erschien eine neue be-
deutende Arbeit Tomek's „Jan Zi&ka", eine Geschichte des be-
rühmten Helden der Hussitenkriege. Tomek ist ein im höchsten
Grade äeiseiger, ruhiger und genauer Forscher und seine ge-
nannten Werke bilden eine wichtige Ergänzung und nicht selten
Verbesserung der „Geschichte" Palack^'s. '
Ein Schriftsteller grossem Stils, den man sogar als höch-
sten Vertreter der gegenwärtigen böhmischen Geschichtschreibung
hinstellt, ist Anton Gindely {geb. 1829). Nachdem er an der
prager Universität Vorlesungen in der theologischen, philoso-
phischen und juristischen Facultät gehört, war er Lehrer an
einer Realschule, dann Professor der Geschichte an der olmützer
Univereität, nach Aufhebung derselben wurde er zu einer Pro-
fessur in Kaschau in Ungarn designirt, zog es aber vor, in
Prag an der Realschule zu bleiben. In den fünfziger Jahren
machte er eine Reihe gelehrter Reisen in Böhmen, Polen, Deutsch-
land, Frankreich, Belgien, Holland, Spanien behufs Sammlang
von Materialien für die böhmische Geschichte des 16. — IT. Jahr-
hunderts. Im Jahre 1862 ward er Professor der öaterreichiacheu
Geschichte an der Universität und Landesarchirar des König-
' Biogrephie in Svftozor, 1878, Nr. 23—25.
Diglizec.y Google
270 Fünftot Kapitel. L Die (^^ohen.
reicbs Böhmen. Das Resultat seiner unermüdlichen Foi'echangcti
war eine Reihe bedeutender Arbeiten, die vir zum Theil schon
angeführt haben, wie die „Geschichte der Böhmischen Brüder",
„Rudolf II. und seine Zeit" (beide deutsch), die einen Platt
unter den besten Werken der neuem historischen Literatur über-
haupt einnehmen können; ferner die in den letzten Jahren deutsch
und ^echisch herausgegebene „Geschichte des böhmischen Anf-
standea vom Jahre 1618" -~ „D^jinj (eskeho povstanf" (bisjetet
STheile), der mit dem Untergang Böhmens endete; „Geschichte
des Dreis&igjährigen Krieges in drei Abtheilungen" (Leipzig 18Ö3),
endlich viele wichtige Specialuntersnchungen, wie die Biographie
Blahoslav's, Geschichte des Emigrantenlebens Komensk^'s u. s. w.
Endlich begründete Gindelj die Publication der „Stare pamäti
d^jin (eskych" („Alte Denkmäler der böhmischen Geschichte"),
eine wichtige Sammlung von Quellen für die Geschichte des
16. und 17. Jahrhunderte', and gibt mit Fr. Dvorsk^ heranB
„Sn^my deskS" (Verhandlungen der böhmischen Landtage seil
1526).
Der haupteächlichste populäre Historiker war Kart Vladislar
Zap (1812 — 1870), ein Schriftsteller zweiten Ranges, aber sehr
thätig in der böhmischen Geschichte, Geographie und Alter-
thumskunde. Geboren zu Prag, brachte er von 1836 an acht
Jahre im Staatsdienst in Galizien zu, über das er ein inter-
essantes Buch schrieb. Seine Hauptwerke waren dann ein „Fah-
rer durch Prag" („Prftvodce po Praze", 1848; eine zweite Be-
arbeitung: „Praha, popsdni hl. mesta kräl.", 1868), und be-
sonders die „ Böhmisch - mährische Chronik" („Öeeko-morsTskä
Kronika"; illustrirt), eine populäre Geschichte Böhmens mid
Mährens, 1862 begonnen und in drei Büchei-n bis 1526 geführt;
nach seinem Tode vollendete dieses Werk Joseph Eorio, der
in drei femern Büchern die Geschichte bis zur Gegenwart führte.'
Von den Historikern Mährens muss Ant. Boiek (1802—47)
■ In dieser Kammliuig eraohienen: Die Deorele der Brfidergeiaeini.
lum DrDok vorbereitet von Emier; die Geschichte Panl SkäU's, hennigT-
geben von Tieftmnk; die Memoiren Wilhelm Slavata'i, von Joieph Jirc-
Gek; die Acta des katboliaohen und utraqniatiachen ConiiatoriDina. von Kl.
BorovJ.
' Im Jahra 1880 wurde von Kober die 2. Anagabe der „Chronik^ be-
gonnen.
.....Gooj^lc
Historiker. 271
genannt werden, von Geburt ein Mäbrer, seit 1831 Professor der
iechischen 'Sprache in OlmUtz, seit 1836 Hietoriograph Mährens
nnd später Vorstand des Archivs der mährischen Stände. Er
war ein fleissiger Sammler historischen Materials, Verfasser
einiger Werke über mährisohe Geschichte und Herausgeber
einer reichen Sammlung historischer Doeumente. ' Der Nach-
folger Bofiek's im Amte eines mährischen Bistoriograpben wurde
die gegenwärtige Haaptautorität in der mährischen Geschichte
Beda Dudi'k (geh. 1815), aus dem Orden der Benedictiner im
KloBt«r Gross-Raigem , der früher nur deutsch schrieb. Von
ihm sind wichtige arcbivalische Forschungen herausgegeben >; vom
Jahre 1860 an begann er das Werk: „Mährens Allgemeine Ge-
schiebte" deutsch herauszugeben, die in den bisher erschienenen
Banden bis zum Ende der Dynastie der PHmysliden, 1306, ge-
langt ist; 1872 begann die (echische Ausgabe dieses Baches („De-
jiny Moravy"). Gechische Gelehrte warfen den ersten Arbeiten
Dudik's die antislaviscbe Tendenz der Wiener Schule vor; in
diesem Sinne war sein Gegner ein anderer mährischer Gelehrter,
Brandl, von dem weiter unten die Rede sein wird. Im Jahre
1878 wurden, dank den Bemühungen Dadik's, ins mährische
Archiv die öechiscben Handschriften zuriickgeHefert , welche von
den Schweden im Dreissigjährigen Kriege erbeutet worden waren
und sich bisjetzt in den schwedischen Bibliotheken befanden.'
Die Geschichtsknnde richtete sich insbesondere auf die
' „Mähren unter Kaiser Rndolf 1." (Brunn 1835); „Pfahled knizat i
m&rkrsbat eto. v morkrabatTi moravakem" (,,Ueberaiokt der Füreten und
Hu-kgTftfen eto. im Markgrafthiun Mähren", Brunn 1850); „Codex diplo-
maticaa et epistolaris Moraviae", 6 Bde. (die letzteu zwei wurden nach
seinem Tode hentnegegeben). Wir vermerken, daes die Kritik später in der
KaminlQUg BoCek's gefölsobte Dooninente entdeokt hat, — nämUch die so-
genannten MoDse'Bohen Fragmente, eines mährischen Juristen und Histo-
rikero des vorigen Jahrhunderts {1783—1793). Ueber Botek h. D'EIvert,
.JUstor. Literatnrgesohiohte Mährene", ä. 362—372.
* Ceroni's Handsohriften Sammlung (im mährisohen Landeearobiv), 1850;
„Fonchnngen in Schweden für Mährens Oesohichte", 1852; „Iter Romanum"
— Foraohtu^n in römischen Archiven, 2 Theile, 1866.
■ SvStoaor, 1878, Nr. 26, 40. Viele Specialforscbungen Dudik'a wurden
gedmckt in der „Oesterreichischen Revue", den Denksehriften der Wianer
Akademie, im „Öasopis" der miUiriuihen Matica, in den Denkschriften der
böhmiBchen OelehrtengesellBchaft.
...., Google
273 Fünftee Kapitel. I. Die Ceohen.
Sammlung und Herausgabe von Quellen. Hier ist einer der th&-
tigsten Gelehrten Joseph Emier (geb. 1836). Nach "Beendigung
seiner Studien an der wiener Universität trat er in das damals
eben gegründete „Institut für ÖBterreicbische Geschichte" ein,
wo er eine gute Vorbereitung zu selbständigen Arbeiten in Ge-
schichte und Alterthumskunde empfing. 1861 nach Prag über-
gesiedelt, erhielt er eine Stellung am Landesarcbiv , dann am
städtischen, und wurde nach dem Tode Erben's, 1870, desaeii
Nachfolger in dem Amte eines Archivars der Stadt Prag. Vor-
her schon hatte er die Stellung eines Docenten der historischen
IIülfswisseuBchaften an der prager Universität erhalten. Er
legte eine ausserordentliche Thätigkeit in der Erforschung und
der Herausgabe von Denkmälern an den Tag.' Von 1870 an ist
er Kedacteur des „Casopis" des Böhmischen Museums. Anderer-
seits ist seine Thätigkeit als Professor bedeutend; es gehwg
ihm, eine Schule von Zöglingen heranzubilden, welche in den
Localarchiven Böhmens arbeiten und Liebe zu den historischen
Denkmälern erwecken.^
Für Mähren arbeitet in dieser Beziehung Vincenz Braudl
(geb. 1834). Seit 1858 Lehrer der Geschichte in Brunn, bemühte
er sich, in der Jugend Interesse für das Studium der Lande»-
geschichte zu erwecken.' Im Jahre 1861 wurde er Vorsteher des
Archivs der Markgrafschaft Mähren. Eine Reihe seiner histo-
rischen Artikel findet sich im böhmischen und mährischen „Ca-
sopis", in der Zeitschrift „Pam^tky archaeologicke a mistopisne"
' Im Jahre I8bi bereitete er zum Druck vor „Dekret; Jeduot; Bmtnke,"
(„Deorete der Brüdeninitat"), die Bp&ter von <Tiiidely henuugegebeB
worden; seit 1869 gibt er „PozÜMtaikj daek zemskjoh" („Ueberreat« der
Landtafelo"), die 1561 verbrannt waren, heraus; er ist Redaeteur der
„Quellen der böhmierben Geflchiohte" („Prameny d^jiu I^eak^ch"), die fnr
das Geld berauagegebeo werden, welches vom Volke für Poltick} geaammeli
wurde; nach Erben überaahm er die „Begesta Bohemieft" (3. Bd., Ur-
kunden und Acten bis (um Jahre 1310) u. s. w.
'Biographie: Slovulk NauCnJ, t. v.; Svetozor, 1877, Nr. 15.
' Er gab damals deutsch heraus „Handbuch der mährisohen Vaterl*od»-
künde", 1869. Im Jahre 1863 wnrde von ihm herauagegeben „Kniha pn>
ka^.deho Moravana" („Buch für jeden Mährer"). Später aobrieb er den
Artikel „Morava" (.Mähren) im „Hlovnik NanCnj", welcher auch geaondert
eriohien: „StruKnj pfehled vlastivMy Moravskä" („Kurxe Ueberticht der
Landeskunde Mährens", IStiü). „Olosearium illustrans Bofaemico-HoravicM
historiae fontes", 1876.
ü,g :.._.. ..Google
LiteratargescUolite. 273
— i^cbäologieche und topograplÜBche Denkwürdigkeiten" u. s. w.
Ein beBonderee Verdienst von ihm bilden die Publicationen im
altem Schriftwesen, wie z. B. die Werke und Briefe ^erotin's, das
Tobitschauer Buch („Kuiha TovaöoTskÄ") und anderer Denk-
mäler der alten Rechtsznstäode. Brandl ist einer der eifrigen
Vertheidiger des Alterthums des „Gerichts der Libusa".
In der Reihe der eigentlichen Literarhistoriker ist die
älteste Kraft Alois Adalbert Sembera (1807—82). Ein jün-
gerer Zeitgenosse der Begründer der öechischen Literatur, war
Sembera Zeuge und Tbeilnebmer ihrer damaligen Arbeiten und
Bestrebungen. Jurist seiner Bildung nach, bekleidete er in den
dreissiger Jahren ein juristisches Amt, dann eine Professur der
iechischen Sprache zu Brunn and Olmütz. Im Jahre 1848 nach
Wien in die Commission berufen, welche an der Feststellung
einer slarischen politisch-juridischen Terminologie arbeitete, ward
Sembera zum Professor der 6echischen Sprache und Literatur
an der wiener Universität und zum Bedactenr der öechisohen
Ausgabe des k. k. Gesetzbuchs ernannt. Eine literarische Thä-
tigkeit, in „patriotischem" Sinne, begann Sembera sehr früh, und
seine Arbeiten waren inBbesondere auf die historiBch-topogra-
phische Erforschung Böhmens und Mährens, auf das Torbistorische
Alterthum , endlich auf die Literaturgeschichte gerichtet. ^ In
den letzten Jahren, eben in der neuesten Ausgabe seiner Lite-
raturgeschichte, trat Sembera als entschiedener Gegner der Echt-
heit einiger znr alten Literatur gezählten Denkmäler, besondere
des „Gerichts der Libuäa" auf.
■ Dabin gehören: „Popis Moravy g, Slezska" (.^esobreibung Mährens
und Soblesiena"), &1b Erkl&mng zu einer groeaen Kiirte Mähreos (1 Blatt,
Wien 1863; 2. Ausg. 1870); „Parngti s znamenitosti mSsta Olomoaoe" („Denk-
würdigkeiten und Berühmtheiten der Stadt Olmiits", Wien 1861); „Zäpadni
Stovane v pravSkn" („Die Weetslaven in der Urzeit", Wien 1868, mit einer
Karte Deatfloblanda und Illyriene im 2. Jahrhundert nach Christas, — wo er,
nicht londerlich kritisch, beweist, dass die Cecben, Mährer und Slovaken
in ihren L&ndem seit vorhistorisohen Zeiten wohnen. Vgl. die Becendon
N. Popov'B in „DrevnoBti", 1870, III, 86u. fg.)j „Däjiny teEi a literatory
Ceek^'' („Oesohiobte der (echiaohen Sprache nnd Literatur", 18Ö8 — 61; 4. Auf-
lage der alten Periode, 1668; die „Geschichte der Literatnr" besteht aus
einem Terzeichnisa der Schriftdenkmaler und Schriftatelier nach Rubriken);
„Zükladove dialektologie Ceakoalavanakä" („Grandlagen einer 6eohiaoh-aloTa-
kisehen Dialektkunde", 1864). Seiner Ausgabe der Orthographie Hoss' haben
wir schon früher gedachL
Pms, SlkTiwiha LIlsntnreD, n, 1.
ü,S.., Google
274 Fünftes Kapitel. L Die ^chen.
Der thätigste von allen HiBtorikern der Cechiscbeu Literabu
und der eifrigste Vertheidiger der Echtheit der alt^echischeu
Denkmäler ist Joseph Jire^ek (geb. 1825). Er beendete seine
Studien an der prager Universität in der juristischen Facoltät
im Jahre 1849, gelangte früh iu den Ereis der tonangebenden
öechiscben Gelehrten, wie Palack^, Erben, Sa&rik (er wurde
dann Schwiegersohn des letztern) und betrat bald die literarische
Laufbahn; im Jahre 1849 leitete er für Wocel die Bedaction des
„üasopis", 1850 trat er in Wien in den Staatsdienst im Caltns'
und Unterrichtsministerium unter dem Grafen Leo Thun, betbei-
ligte sieb activ am „Videfisk^ Dennik" („Wiener Tageblatt"), der
damals von öechischeu Aristokraten gegründet wurde; arbeitete
in der Commission, welche unter der Leitung Safank'B an dei
Feststellung einer elayischen politischen Terminologie thätig war.
Im Jahre 1853—61 gab er eine Reihe Schulchrestomathien aus
der Öechischen Literatur heraus, beschäftigte sich mit deren alter
Geschichte, druckte seine Untersuchungen im „Svetozor", „Ros-
pravy filologicke" („Fhilolog. Abhandlungen", Wien 1860), io
den Denkschriften der böhmischen Gelehrtengesellschaft und im
,,öa80pis". Im Verein mit seinem Bruder Hermenegild (geb.
1827), — der einen ehrenvollen Namen als Verfasser des oben-
erwähnten Buches über das Blavische Recht in Böhmen und
Mähren und überhaupt als kenntnissreicher Jurist hat', — trat
er 1862 als Vertheidiger der Königinhofer Handschrift auf in
einer Schrift („Die Echtheit" u. s. w.), welche bis in die letzten
Jahre als eine unüberwindliche Widerlegung aller Zweifel an der
Echtheit dieses Denkmals galt. Wir haben schon oben (I, 560)
von der Betheiligung Jos. JireCek's an den literarischen Angelegen-
heiten der „Briider", der galizischen Russen, gesprochen. Im Jahre
1871 ward er im Ministerium Hobenwart Minister des Cnl-
tus und Unterrichts; während seiner Verwaltung, welche neun
Monate dauerte, wurde die krakauer Akademie gegründet und
trat für die £ecbiscben Schulen ein der Nationalität güustigei
Umschwung ein. Einige Zeit nach seinem Abschied siedelte er
nach Prag über, wo er den städtischen Mittelschulen vorstand
' Vor Inrnem eTschien eine neue Arbeit von HermeDepld Jireiek: „StoJ
zikooSv Slovanskjch" („Sainmluiig elav. Gesetze", Prag 1880), welche die
Denkm&ler der alten Oeaelzgebong fast aller sUvischen Stämme bietet, von
den alten Denkmälern des rasaisotien Rechts an.
.....(^lOOglc
Philologie. 275
ond Pi^ident der bölmuschen Gelelirtengesellscliaft varde.*
Er leitete femer eine neue Ausgabe der „Denkmäler der altiechi-
Echen Literatur'* (von ihm selbst wurde neu herausgegeben „Da-
limil" und „Divadelni hry" — „Schauspiele"). Er hat überaus
fleiseig in der Erforschung der alti^echischen Literatur gearbei-
tet: ee würde zuweit fuhren, seine diesem Gegenstande gewid-
meten nnd von uns oft citirten Arbeiten au&uzahlen. Wir
führen inabeeondere den zweibändigen „RukovSt" („Handbuch")
an, der ein an thatsächlicben Angaben reiches Sammelwerk
bildet, wie es auch für andere slaTiscbe Literaturen sehr er-
wäuBcht wäre.
Ein bemerkenswerther Schriftsteller, mit grossen Yerdiensten
auf diesem Gebiet, ist Wenzel Nebesk^ (geb. 1818). Er wurde
])ä Melnik im nördlichen Böhmen geboren, an deu Grenzen
des iechiscben und deutschen Volketfaums, waul in deutscher
Poesie und 'Wissenschaft erzogen, begann erst, als er die Uni-
Tersität Prag, 1836, bezog, die Lage der Dinge zn verstehen,
nud trat entschieden auf die Seite der ungerecht bedrängten
Nationalität. Nebeskj erwarb sich eine umfangreiche literarische
Bildung: schon vor der Universität las er fieissig Homer im
Original, die griechischen Lyriker und Tragiker, durchlebte die
Einflüsse der deutschen Philosophie und der deutschen Poesie,
beschäftigte sich mit Theologie, begeisterte sich an der halb
mystischen Naturphilosophie, von der er sich unter der Ein-
wirkung der wirklichen Naturwissenschaft befreite, als er nach
dem philosophischen Cursus Mediciu studirte. Seine litera-
rische Laufbahn begann er mit Gedichten und kritischen Ver-
suchen, einer epischen Dichtung („Protichüdci", 1841); im Jahre
1847 wurde er in dos politische Leben hineingezogen, arbei-
tete publicistisch mit HavHSek, war Mitglied des Beichsraths,
aber der Verlauf der Sache war ihm widerwärtig, sodass er sein
Mandat schon vor der Auflösung des Reichsraths zu Eremsier
niederlegte. Von 1850 bis 1861 war er Bedacteur des „äasopis*'
und SecreUir des Museums. Seine eigenen Arbeiten bewegten
sich in zwei Bichtungen: er schrieb historiech-ästbetiBche Gom-
mentare zu den Denkmälern der alt6echischen Literatur (der
EÖuiginhofer Handschrift, der Alexandreis, Tristram, Mäjov^ Sen
— Der Maitraum — , Legenden u. s. w.); andererseits übersetzte er
^ Biographie im älovnfk NanGu^, b. v.
ü,J?.*u., Google
276 Fünftes Kapitdl. T.' ITie Cechen.
Aristopfaanes, Aeschjlus, Terenz , lieughecbiBche Völkslieder,
schrieb über Shakespeare, die griechische Tragödie, die spaniHcben
RomaDzen n. s. w. Es wird bemerkt, dadb seine Kritik später
in Bezag auf einige Denkmäler der altcechischen Literatur sehr
beengt durch die Vonirtheile der öechischen literarischen Welt
war, die auch noch bis zu dieser Zeit stark sind.
Die. philologische Literatur bietet ebenfalls viele verdiente
Namen. Der älteste der gegenwärtigen öechischen Philologen
ist Martin Hattala (geb. 1821). Von Geburt katholischer Slo-
vak, studirte er auf ungarischen Schulen und begab sich zum
Abschluss seiner theologischen Studien nach Wien. Hier erst er-
wachte in ihm das Nationalbevmsstsein, und er begann eifrig
die slovakische Sprache zu studireu, und dehnte dann seine
Studien auf den nahen Öechischen und andere slavieche Dia-
lekte aus. Im. Jahre 1848 ward er Priester und gab bald eine
slovakische Grammatik in lateinischer Sprache heraus*; man
berief ihn als Lehrer der ^echisch-slovakiscben Sprache nach
Pressburg, darauf an die prager Universität, wo er seine Studien
durch die vergleichende Sprachforschung unter Schleicher ver-
vollständigte. Hier gab er seine hauptsächlichsten Werke heratis,
welche ihm den Ruf eines der besten slavischen Philolt^en
brachten, ä Im Streit über das „Gericht der LibuSa" und die
Königinhofer Handschrift trat er für deren Echtheit ein.*
■ Gr&mmatica lingaae slovenicae collatae onm proxime oognsta bobe-
mioa {Sohemnicii, 1850).
•Seine Hauptwerke: „ZtuIcosIovI jazyka staro- i noToteek^ho » do-
venekeho" („Lantlehre der alt~ und neuteobiscben und sloTitkiechen Spnche",
1864); „Sklftdbft jazyka ieskeho" („Syntax der CechiBcben Sprache% 1865);
„Srovn&vad mluvnice jazjka Ceskebo & slovensk^ho" („Vei^leiohande Gram-
matik der Eecbiscben und Blovakiachen Spracbe", 1857); „Slovo o polka
IgoreTfi" („Das Lied vom Heereszng Igor's", 1858); „PoEatkj mluTnice ilo-
venskä" („Anfangsgründe der slovakischen Grammatik", Wien 1860); r^
continuarum oonsonantium in Unguis slaviois mutatione" (Pragl867|; „Pof*"
teCne skoupeniny soublasek Eesko-slovenskjch" („Uripröngliohe leohiach-
slOTskiscbe Consonantengruppen", 1870) und eine Beibe von Journalartikdi«.
z. B. über die Beziebuugen der Sprache Cyrill's zu den jetzigen slaTiicben
Dialekten („Casopia", 1665); über die liistor. Grammatik der rues. Spracbe
von Buslaev (ebend. 1862).
' „Obrans LibuBina Souda ze gtanovieka filologiokäho" („Vertbeidigong
des Gerichts der Libnäa vom philologischen Standpunkt", im (Jasopis 18BS
— 1860). Eine Vertheidigung desselben Tom paläograpbiBChen, philol«^-
.....Gooj^lc
PHIolo^e. 277
Ein zweiter verdienter Fhilolog ist Johann Gebauer (geb.
1838), seit 1873 Docent der öechischen Sprache an der prager
Universität. Eine groBse Anzahl seiner Artikel über vergleichende
Sprachwiseenschaft und Geschichte der Literatur ist im „Öasopia",
im „Slovnik nanfinj?", im „Sbomfk videcky", in Jagiß' „Archiv"
zerstreut. Andere Werke erschienen besonders.^ Er übertrug auch
eine beträchtliche Anzahl bulgarischer Lieder aus der Sammlung
der Brüder Miladinov, russischer Bylinen, endlich litauischer und
italienischer Lieder, und übersetzte aus der Sanskritpoesie. Von
den jungen Philologen ist vor allem Leopold Geitler (geb. 1847)
zu nennen. Er studirte Sprachwissenschaft an der prager Uni-
versität anter Alfred Ludwig und Hattala, in Wien bei Miklo-
sich und Fr. Müller. Nachdem er mit einer Dissertation über
die gegenwärtige Lage der vergleichenden Sprachforschung (Öa-
sopis, 1813) begonnen, gab er in demselben Jahre die schon früher
erwähnte „Altbulgarische Phonologie" heraus, worin er auf Grund
des sogenannten „Volllaute" (polnoglasije) nachwies, dass die
russische Sprache in dieser Beziehung eine noch ältere Form
der slavischen Sprache zeige als die bulgansche und kirchen-
slavische.^ In demselben Jahre machte er eine Reise in das rus-
sische and preussische Litauen zum Studium der lebenden litaui-
schen Sprache: eine Frucht der Reise (beschrieben in „Osväta",
scheD nnd poetischen Standponkte ans in der Zeitung „Prager Moi^enpoat"
18&8— 59.
Die Äbbandlnsgen Hattala'e „üeber die gesammtBlaTische Literatnr-
Bpraohe" (OevSt*, 1871 — 72) und die neuere Schrift „Bnie jazyka Eeskeho"
(„Wetzstein der £ech. Sprache", Prag 1877) aiad voll von einer zu na-
mhigeu und onwiBBensohaftlichen Polemik.
' „Etfmologicke poEätky ^i^i" („Etymolog. Anlange der Sprache", 1868)i
„Die Blaviachen Sprachen, yergleichende Barlegang der hauptaächlichen
und chaxakteiiatiechsten Lautveränderangen and Flexionerormen " („Slo-
vanske jalzyky etc.", 1869); „Beiträge zur Geaohichte der Cechisohen Becht-
nohreibong und altiechiBohen Ansspracho" („PHapgvky k hlBtorii etc.",
1871, in Sbomik vfdeckj); „Abhandlungen über den Neuen Bath dea Smil
FIbSIu eto." („Üvoby etc.", 1873. Ebend.); „Einleitnng in die Eeohiaohe
Grammatik" („üvedeni etc."); „Lautlehre der (eohitchen Sprache" („HUako-
slovi etc.").
* Tgl. die Bemerkungen von A. Potebnja, im „Zum. Min." 1873, und
die Voronezer Filolog. Zapiaki, 187&. Zu den Reaultaten Geitler'a gelangte
später auch der deutsche Gelehrte Joh. Schmidt („Zur Geachichte des Indo-
g-erman. Vocsliemua", 1876).
ü,g :.._.. ..Google
278 Fünftes Kapitel L Die teohen.
1874) waren die „Litauischen Stadien". Im Jahre 1874
wnrde Geitler auf den Lehrstuhl der vergleichenden Sprach-
wissenschaft an die agramer Umversität bemfen. Im J&hre
1875 machte er eine nicht ganz gefahrlose wisseoschaftlidie
Reise nach Serbien und Macedonien bis znm Athos. Von den
letzten Arbeiten Geitler's erwähnen wir insbesondere seine Unter-
Buchungen aus Anläse der „Entdeckungen" Verkovi^'s; er hatte
die ganze Sammlung desselben in Händen und seine Meinung
neigt sich in hohem Masse zu Gunsten der Echtheit („Poeticke
tradice Thrakä a Bnlharü" — „Poetische Traditionen der Thraker
und Bulgaren", 1878, Öechisch und anch kroatisch). Sein neuesteG
und gröratee Werk ist: „Die albanesischen und slavischen Schrif-
ten" (Wien 1883), ein Versuch, den Ursprung der glagolitischeD
Schrift aus einer alten albanesischen Nationalschrift nachzn-
weiseu.
Der Baum gestattet uns nicht, die historisch-literarischen Ar-
beiten der Cechen eingehender anzuführen, und wir müssen uns
' mit einer kurzen Erwähnung derselben begnügen. In Bezog auf
Geschichte müssen noch genannt werden: Anton Bezek („Wahl
und Krönung Ferdinand's I. zum König von Böhmen*' — „Zto-
lenf etc.", 1878); Joseph Kalonsek („Die böhmische Krooe,
ihre Integrität und staatsrechtliche Selbständigkeit" — „Konma
fieskä etc.", Öasopis, 1870 u. a.); Karl Tieftrunk, Clemens
BoroT;f (geboren 1838, im Gebiet der Eirchengeschichte) , A.
Lenz (theologische Untersuchung über das Verhältniss der
Lehre des Hnss zur Lehre der katholischen Kirche), Jaroslaf
Goll, Zoubek u. a. In der Geschichte der Literatur und auch
der Alterthumskunde: Anton Bjbicka (Skuteösk;, geb. 1812).
Ton dem eine Menge Specialforschungen, besonders bic^raphi-
sche, herrühren; Wenzel Zeleny (1825 — 75), Joseph Truhlär.
K. Addmek' u.a. In der Alterthumskunde: Joseph Smoli'k,
Professor Smidek, Baum u. b. w. In der Philologie: Weniei
Zikmund (1816—73), Fr. Bartoä (geb. 1833), Ant. Matze-
nauer (ein Werk über die Fremdwörter in den slariscfaen
Sprachen), Johann Kosina, Anton VaSek, M. BlaiEek a. s.*-
' Wir erwähnen von den Arbeiten Addmek's be«onders ein Werk, wd-
oheo wir flbrigens nicht in Händen hatten: „Die Zeit der Eneclitirog nnd
der Anferveokung. Umacbau in der CuHurgeschiclite des EÖnigreioba Böh-
men im 11. and 18. Jahrhundert" („Doba poroby a vzkMEeni eto." Pr»g ISTOL
...., Google
Erforsohimg des SlaTentliums. 279
Die auf das Gesammtslaventhum und die gegenBeitigeo slayi-
echen Beziehungen gerichtete Forschung, in deren Begründung
der Sechischen Literatur ein groBBes Verdienst in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts zukam, bietet in der Gegenwart nur
wenig grosse Arbeiten; aber ausgenommen in der rassischen Lite-
ratur sind sie nii^enda so häufig wie bei den Cechen. Wenzel
KfiiSek (1832—82, war Director der Realschule zuTabor) stellte
eine synchronistische Uebersicht der slavischen Geschichte zu-
sammen. ) Der tfaätigste Schriftsteller in der Frage der sla-
riachen Gegenseitigkeit und Einheit ist Joseph Ferwolf (geb.
1841), der jetzt gleicbmässig der öediischen und russischen Lite-
ratur angehört. Nachdem er seine Studien in der philosophischen
Facultät der prager Universität absolvirt, war er seit 1864 Assi-
stent und ArctÜTar am Böhmischen Museum, im Jahre 1871 nahm
er den Lehrstuhl der slaviscben Geschichte an der Universität
Warschau ein, wo er noch jetzt wirkt. Er beschäftigte sich
früh rait der Erforschung der Verhältnisse der slaviscben Völker;
seine ersten Arbeiten wurden in verschiedenen ^echischen Publi-
cationen gedmckt. 1861 — 71 war er Mitarbeiter am „Slovnik
NauCny" für slavische Gegenstände, Soviel wir wissen, gehört
gerade Ferwolf die Redaction der Artikel über Gegenstände
ans dem Bereiche der ausser - ^echischen Slaven an ', wobei
eine beträchtliche Anzahl von ihm selbst geschrieben wurde.
Nachdem er 1871 eine Reise in Russland gemacht und in War-
schau festen Boden gefunden hatte, bemühte er sich um die
Verbreitung der gegenseitigen slaviscben Verständigung and be-
gann schon in dem Jahre 1872 viel in russischen Zeitschriften
über die neuere slavische Geschichte und Gegenseitigkeit zu
schreiben.' Ferner hat in der Reihe der ^echischen Schriftsteller,
I „DSjin; närodä alovanskych v prehleda aynchroiiistiokem se stmCa^
obrazem jioh oBvEty, literatury a utnEni etc." (Tabor und Jfeuhaiu 1871;
mit 30 genealogisohen Tafelo). Tgl. von demselben dieAbhandlnng: „Epocby
i obeah dfjiii närodS Blovansk^oh" („Die Epochen nnd der lohslt der Ge-
Bchiolite der Blavieohen Völker", im üasopia, 1877).
» Vgl. Slovnik NauGnJ, X, 547.
' Folgendes iat eine Beihe der haaptsäoblichen Arbeiten PerwolTs:
„Ueber die slavische Gegenseitigkeit" („0 vzsjemnoBti Blovanske", Prag
1867); „Briefe über Polen und Bussland" („Listy etc.", itn Casopis, 1872,
Heft 3); „Cechen und Polen im 16—16. Jahrhundert" („CeohoTe i Poläci
...., Google
280 FÜDfteB Kapitel L Dia (Rechen.
die über andere slaviscbe Stämme schrieben, der junge Gelehrte
Joseph Ronatantin Jire<Sek (geh. 1854, der Sohn von Joseph),
Docent an der prager Universität, jetzt im hulgariBcheo Unter-
richtsministerium thätig, sich schon einen ehrenvollen Namen er-
worben. Er widmete sich der Erforschung der Elaviscfaen Völker
auf der Balkanhalbinsel; schon im Jahre 1872 gab er eine „Biblio-
graphie der neubulgarischen Literatur" („Enigopis na blgarskata
kniSnina")* heraus; darauf ausser einer grossen Anzahl ein-
zelner Abhandlungen in „Öasopis" and „Osvita" die schon firöher
von uns erwähnte „Geschichte der Bulgaren", welche iecbiscb
und deatsch erschien, und zweimal ins Russische übersetzt ist'
Einige Kritiker urtheilten hart über einige Unvollständigkeiten
oder Fehler dieser Arbeit; aber wir schätzen sie hoch nicht
nur als die Arbeit eines jungen Gelehrten, sondern überhanpt
als einen bedeutenden Versuch einer Gesammtdarstellung der
bulgarischen Geschichte, wie sie die slavische Literatur noch
nicht hatte. Das Erscheinen des Buches fiel glücklich mit dem
Kriege zusammen, welcher den Grund zur bulgarischen Unab-
hängigkeit legte; es erhielt dadurch für die Bulgaren noch eine
eto.", in der ZeitBcbrift „OsvSta", 1873); „Die orientoliaclie Fi^e — ebe
slaviache Fr^^" („T^ohodni ot4zka et«.", ebend. 1878); „Die glavische Be-
wegDug unter den Polen 1800—1830" („Slovanakä huuti ete.", ebend. 1879).
Rnssiaoh: „Öeoben und RuBaen" („Öeobi i Rusakie", in ,3es5da<', 1872,
Nr. 6 u. 7); ,fiie slavisobe Gegeneeitigkeit von den älteaten Zeiten bis im
18. Jahrhundert" („Slavjanskiyft vzaimnoBt etc.", St. Petereb, 1874; im Zura.
Min. Nar. ProBV. and besonder«; eine reiohhaltige Znaammenstellnng einzelner
ThatBauben der gegenseitigeD Beziehungen der elaviBoben Stämme); „Die
GermanisimDg der baltisohen Slaven" („Germanizaeija Baltgskiob SUTJan",
St. PeierBbnrg 1876); „Die Waräger-RuBBen und die baltiBoben Slaven" („Vu^
jagi-Roi etc.", 2uru. Min. 1677, aus ÄnlasB der Büober tob GedeonoT
und Zabllin); „Alexander I. und die Slaven" („Alekaander I i Slavjane", in
Drevn. i Nov. RoBeija, J877, Nr. 12) ; „Die slavieche Bew^ping m Oeeter-
reioh 1800- 1848" („SlaTJanskoe dvifenie v Avstrii 1800— 1848 g.", in „EnMk.
RSE", 1879, Heft 7—9); „Die glaviBche Bewegung im Jahre 1848" („SUvjwi-
Bkoe dTÜenie 1848 g.", in „VSatnik Evropy", 1879, Heft 4).
Deutaoh: „Die Blaviscb-orientaliaohe Frage. Eine faietorisebe Studie"
(Prag 1878).
> Siehe darüber I. Bd. S. 129, Anmerk.
' Die eine Uebersettong ersuhieu za Warachan von Jakovlev; die lo-
dere tu Odessa von Bruun und Palanzov. Wiohtig ist die letalere, w
welcher der Verfasaer Berichtigungen und Ergänzungen geliefert bat
besouilere Bedeutung. — Endlich können noch als Schriftgtetler
über das Slaventhum genannt werden Fr. Kofinek (1831 — 74);
Joseph Ladislaus Pi6*; Primus Sobotka, Johann Cern^, Jo-
hann Lepaif n. a.
Sehr eifrig übersetzten auch die £echiBcben Schriftsteller auB
den Literaturen der übiigen Slaven; man kann Bagen, dass sieb
bei den Cecben die UeberBetzungsthätigkeit auf diesem Gebiet
mehr entwickelt hat als bei irgendeinem andern slavischen
Stamme. So gibt es aus der ruesischen Literatur Uebersetzun-
gen von Fuskin (Vincenz Bendl), Lermontov, Gogol, Ryleev,
NekrsBOT (Ign. Meissner), GonÖarov, Turgenev (Em. Vavra)
Sev^enko u. s. v. Aus der polnischen Literatur: Mjckiewicz,
Slowacki, Malczewski, Brodziäski, Syrokomla, auch Eorzeniowski,
Bjaszewski u. a. w. Was die südslaviscbe Literatur betrifft, so
gab Joseph Hole£ek UeberBetzungen bulgariBcher Lieder; Sieg-
fried Kapper (1821 — 79), ein prager Jude, Bchon lange durch
seine poetischen TJebertragungen serbischer Lieder in die
deutsche Sprache bekannt, gab 5echiBch ein poetisches Bild
des Kampfes des Südslaventhums mit den Türken nach monte-
negrinischen Volksliedern heraus.^ Es gibt UeberBetzungen aus
Ma2urani6, aus Gundulid, aus den BerbiBchen Märchen von Ka-
rad2i£ a. s. w. Eine ganze Sammlung von Uehersetzungen aus
der slaviscben Poesie gab Fr. Vymazal heraus („Slovanskä
poezie", 2 Thle.). Das Studium der andern slaviscben Spra-
chen verbreitet sieb, und es gibt -wieder bei den Öechen die
meisten Lehrbücher auf diesem Gebiete, in der letztern Zeit
insbesondere fiir die russische Sprache.
Aber die bedeutendste Frucht der international - slaviscben
Studien, wie überhaupt die bedeutendste Erscheinung der lite-
rarischen Bildung der Cecben ist der von uns oftmals citirte
„Slovnik Nauön^" („Wissenschaftliches Wörterbuch"). Ausser
dem gewöhnlichen Inhalt solcher encyklopädischen Nachschlage-
werke ist er besonders durch den reichen Schatz an Artikeln
über das Slaventhum wichtig. Die Kedaction des Werkes konnte
* lieber das FanilieDlebeD bei den Slovaken und den ung&risohen Rus-
sen, im „Öaeopis", 1878; seine umfangliclie Arbeit über die Slovaken (rus-
siaolt im Slsv. Sbomik) wird weiter unten angeführt werden.
* „Zpävy lidu srbskebo" („Lieder des serbischen VoUcea", Prag 1872
—78). Seine Biographie von Ferd. Schulz, in „Osvfta", 1879.
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282 Fünftes Kapitel. I. Die Öeohen.
mit vollem Recht im Nachwort sagen, daes vor allen osdem
Encyklopädien der ^chische „SloTufk Nan^ny" den Vorzog haben
werde, in slavischen Dingen die einzige zuverlässige Quelle zu
sein, weil — ohne von den fremdsprachigen Encyklopädien m
reden, für welche das Slaventhum eine unbekannte Welt ist
— thatsächlich keine andere slavische Encyklopädie (und ihrer
gibt es leider nur sehr wenige) ihre Aufmerksamkeit auf diese
Gebiete der Ethnographie und Geechichte in solchem Masse und
so gründlich gelenkt hat wie der (echische „Slovnik Naufny.'
Wir vermerken noch den ersten Versuch einer gesammtelaTi-
schen Bibliographie (worin jedoch die russische Literstar fehlt):
„Slovansk^ Katalog bibliografick^", welcher 1877 von Ä. Michä-
lek und Jaroslav Eloufek begonnen wurde. Bisjetzt erschienen
fünf Jahrgänge, 1877—81." Seit 1881 gibt Eduard Jelinek eine
den gesammtelavischen Interessen gewidmete Zeitschrift „Slovansky
Sbornik" heraus.
Die (Sechisch-mährische Journalistik ist sehr reich und man-
nichfaltig, besonders im letzten Jahrzehnt. Relativ genommen,
im Verhältniss zur Volkszahl des Stammes, dürfte sie im allge-
meinen bei den Üechen reicher sein als bei irgendeinem der
slavischen Stämme. Es gibt Zeitungen und Journale, Bovol
periodische Sammelwerke als Serien von Büchern in allen
Zweigen; die wissenschaftlichen Fächer, die Belletristik, die
kirchlichen Angelegenheiten, die Technik und die Gewerbe, die
Pädagogik haben ihre Fnblicationen. Von den wisEenschaftlichen
Journalen sind besonders bekannt, ausser dem „Casopis" des
Böhmischen Museums, die „Listy filologicke a paedago^ck^"
(„Philolog. und pädagog. Blätter"), „Pamatky archaeologicke i
mistopisne" („Archäolog. und topogr. Denkwürdigkeiten"), dei
„Casopis" der Mährischen Matica, die politisch-juridische Zeitnog
„Pr&vnik", Von den literarischen Journalen: „Osveta" („Auf-
■ Bd. X, 547—548.
' Ueber diesen Katalog (Jahrg. 1877—78) siehe die Abhtmdlnng in
,.BdT8enblatt Mr den dcutBohen Buchhandel", 1880, Nr. 103^ ein NMhtng
...., Google
tlärung"), „Kvety" („Blüten", von Vitesl. Halek, jetzt Svat.
Öech), „Lumir", der illuetrirte „Syßtozor" {„Weltrandschau")
u, B, V. Die Matica gibt Werke emeten literarisch-wissenschaft-
lichen Inhalts heraus; zur Herausgabe von populären und hei-
letristischen Büchern existirt eine besondere „Volks - Matica"
(„Matice lidu"). Endlich gibt ^ für die Belletristik eine ganze
Reihe von Sammelwerken: „Närodnj bihlioteka" („Volksbiblio-
thek"), „Libuäe, matice zibavy a nmeni" („Ijibusa, Matica für
Unterhaltung und Wissen"); „Salonni bihlioteka" („Salonbiblio-
thek"); „Lacinä knihovna närodni" („Billige Volksbibliothek")
u. s. w, Uebersetzungen aus fremder Poesie werden in dem
Sammelwerk „Poesie svetovä" („Weltpoesie") herausgegeben.
Die politische Zeitungsliteratur beginnt eigentlich erst mit
dem Jahre 1848- Nach Havb'cek machte die eintretende Reaction
eine Publicistik unmöglich, und eine neue Bewegung trat ein
nach den „Patenten" und „Diplomen" in den sechziger Jahren.
Die leitende Rolle in der politischen Literatur spielte Palack^ und
sein Schwiegersohn Franz Ladislaus Rieger (geb. 1818). Bei
der neuen constitutionellen Ordnung wollten sie ein Zeitungsorgan
zur Darstellung und Vertheidiguug ihrer Ansichten haben. Rieger
wurde die Herausgabe einer Zeitung nicht bewilligt, doch bekam
die Erlaubniss dazu Julius Gregr (geb. 1831), Jurist seiner Bil-
dung nach. Im Jahre 1861 begann seine Zeitung „Närodni Listy"
(„Nationale Blätter") zu erscheinen, welche in der That dem Aus-
druck der politischen Idee Falack^'s und Rieger's, d. i. des föde-
ralistischen Programms diente. Aber die volle Uebereinstimmung
der Führer der alten Generation mit den jungem dauerte nicht
lange, sodass die erstem im Jahre 1863 eine neue Zeitung, den
„Närod" („Nation") gründeten; spater brachte der „Pokrok"
(„Fortschritt") ihr Programm zum Ausdruck. Hier begann die
Trennung der „Altcechen" und „Jungfiechen". Der Grund der
Spaltung war der Hauptsache nach eine Verschiedenheit in den An-
sichten über die polnische Frage, die damals durch den Aufstand
auf die Tagesordnung kam, und die innere Politik. Die Jungöechen
sympathisirten mit dem Aufstande und verhielten sich sehr feind-
lich gegen Russland; den Altcechen galt dies für unverständig;
in den innem Angelegenheiten sprachen sich die Jung£echen
mehr demokratisch aus und verurtheilten das Bündniss mit der
Aristokratie, das ihre Gegner für nothwendig hielten zum Zu-
sammenhalt der nationalen Kräfte. Aber in allgemeinen Fragen
ü,g:.._.u.,GOOJ^IC
284 FünfteB Kapitel. T. Die Öecheo.
gingen beide Parteien auch ferner Hand in Hand; beide waren
Föderalisten und Vertheidiger des historiBchen Rechts der „böh-
mischen Krone". Ohne iibrigeuB ia weitere Details des politi-
schen Lebens der Öechen einzugehen, nennen wir nur die haupt-
sächlichsten politischen Kräfte und Schriftsteller. Einer der be-
kanntesten und einflussreichsten war Johann Skrejäcvsk^ (1831
— 83), der behufs eines erfolgreichen Kampfes mit der feindlichen
deutschen Journalistik von 1862 an die bekannte Zeitung „Po-
litik" herauszugeben begann. Sein Bruder Franz (geb. 1837)
gründete 1Ö67 die schon erwähnte illustrirte Zeitung „Svfitozor",
, Emmanuel Tonner (geb. 1829) nahm schon seit 1848 an der po-
litischen Bewegung theil; spater arbeitete er in den „Närodni
Listy", wo er 1863 eine Beihe von Artikeln: „Poläci a ÖechoTe"
(„Polen und Öechen") veröffentlichte, welche später besonders
erschienen und eben die Ansicht der Jungöechen über die pol-
nische Angelegenheit aussprachen, Karl Sladkovsk^ (1823 —
80), eine der bedeutendsten politischen Kräfte der £echischen
Gesellschaft, praktischer Politiker im demokratischen Geiste, der
viele Jahre seines Lebens im Kerker verbrachte und gegen
Ende desselben den griechisch - orthodoxen Glauben annahm.
Er galt fUr das Oberhaupt der Jungöechen. Vincenz Vävra
(1824 — 77), der ein stürmisches politisches Leben durchmachte,
unter anderm einige Jahre im Kerker sass, nahm 1849 den
thätigsten Antheil an den Ereignissen, war im Verein mit Dr.
Podlipsk;^ Kedacteur der damals gegründeten Zeitung „Noviny
Lipy Slovanske", darauf brachte er bei Eintritt der vollen
Reaction einige Jahre im Kerker zu, beschäftigte sich dann
aufs neue in der Publicistik und gab mit Dr. Fink die Zei-
tung ,,Hla8" („Stimme") heraus bis 1865, wo er sie mit den
„Närodni Listy" vereinte. Die extreme ultramontane Partei hat
ihr Organ in der Zeitung „Cech" mit der gewöhnlichen kleri-
kalen Tendenz. Endlich gibt es viele kleine populäre Journale
u. 6. w. Mähren hat einige eigene Zeitungen und seine „Matica".
Die ^echische Literatur spielt eine der Hauptrollen in der
neuern slavischen Renaissance, seit der Zeit, als in ihren Reihen
die ersten kräftigen Förderer derselben auftraten: Dobrovsk^,
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Die gegeovärtige Lage. 286
SaiaHk, Koll&r. Bis vor kurzem wirkten in' ihr die letzten Ver-
treter dieser ersten entscheidenden Periode, und hier haben sich
alsdann lebendiger als bei den andern die gesammtslavischen
Interessen erhalten. Wien, vo sich so viele slavische Elemente
TersammelteB, und Frag selbst, -wohin viele südslavische Jüng-
linge kamen, am ihre Bildung abzuschliessen, gaben auch eine be-
queme Gelegenheit zu gegenseitigen slavischen Beziehungen, und
den Weg zur Entwickelung des gesammtslavischen Interesses bei
den Cechen. Auf dieses Interesse leitete von altersher die na-
tional-politische Lage Böhmens. Mit dem Krwachen des natio-
nalen Bewussteeins der Stämme tauchte naturgemäss die Idee
von der Solidarität der Österreichischen Slaven auf zur gemein-
samen Vertheidigung der Stammeseigenthümlicbkeit und des
historischen Rechts ; während der Unruhen 1648 — 49 kam
diese Idee durch Thaten zum Ausdruck, wie z. B. der slavi-
Bche CongresB, die Verbindungen der Öechen mit den öster-
reichischen Serbo - Kroaten , die Absenduug (echiscfaer Frei-
williger zu den Slovaken als Hülfe gegen die Magyaren. Die
Theilnahmlosigkeit ßuselands und der russischen Gesellschaft an
der slavischen Frage (die Einmischung Busslands in den un-
garischen Krieg war ausschliesslich militärisch und dynastisch)
bewirkte, dass das Slaveuthum zum Zweck der Selbsterbaltung
es für nöthig hielt, nicht nur Oesterreich zu erhalten, sondern
„es zu schaffen, wenn es nicht vorhanden wäre" — dasselbe
Oesterreich, von dem es selbst so viel leidet.'
Die äussere Entwickelung des literarischen Lebens ist, wie
wir bemerkt haben, sehr bedeutend. Die weite Entwickelung
der Volksschule und der mittlem Bildung, worin sich die
Cechen mit bemerkenswerther Ausdauer den Gebrauch der Volks-
sprache erkämpft haben, lieferte den £echischen Büchern ein
grosses Contingent von Lesern. — Die schwere frühere Lage der
halbtodten Nationalität erforderte eine beharrliche, langsame
Arbeit, die sich mit kleinen Erfolgen begnügte; die fortwährentl
vorhandene Gefährdung der Nationalität, angesichts desFeic-
des, erinnerte an die Nothwendigkeit dieser Arbeit; die Cechen
haben eine bedeutende Ausdauer erlangt. Jede Errungenschaft
erfreute; die bescheidenste Arbeit wurde geschätzt; in der Litc-
' Dm Obige ist vor dem Eintritt des MiniBteriuma Tnaffe in Cialeitha-
aien gesohriebea. Der Uebergetzer.
...., Google
286 Fünftes Kapitel. 1. Die Ceohen.
ratiir entwickelte sieb das Gefühl der Solidarität, welche die
Bedentung der gemeinsamen Sache erhöht. Selbst die Män^l
der CecbiBchett Kritib, der geBellscbaftlicben und liteTarischeo,
aaf die wir Gelegenheit hatten hinzuweisen, rühren meist von
der fortwährenden Anwesenheit des Gegners her, aDgesichte
dessen man auf jedem Schritt nnd Tritt die Tbatsachen des
eigenen nationalen Lebens vertheidigen und dem eigenen Pu-
bliknm Vertrauen auf seine Kräfte einflössen mnss, — wobei
man manchmal leider einen weitem nationalen Horizont aus
dem Auge lässt.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass zu dieser Entwidcelnng
der £echischen Literatur die dentechen Einflüsse und die Ein-
flÜBse desjenigen Staatswesens, in welches die Cechen gestellt
sind, ihre Hülfe erwiesen haben. Die deutsche Schule diente der
6ecbi8cben zum Muster; daneben waren die reichen Quellen der
deutschen Literatur zur Hand; die constitutionelle Freiheit des
öffentlichen Lebens gab hei allen Schwankungen, die es in Oester-
reich durchzumachen hatte, doch schliesslich auch Raum für na-
tionale Kundgebungen. Die Cechen haben diese Verhältnisse be-
nutzt: die Freiheit der Versammlungen, der Bildung Ton Clubs
und Gesellschaften, deren es in Menge gibt; nationale Demonstra-
tionen feierten die Namen verdienter Patrioten, förderten die
patriotischen 'Unternehmungen.
Unter solchen Verhältnissen und bei dem geringem Interesse
an allgemein slavischen Fragen in den andern Literaturen war es
begreiflich genug, dass sich die öechische Literatur zuweilen an
die Spitze des slavischen Bewusstseins stellte. . . . Viele Sei-
ten und Eigenschaften derselben verdienen volle Achtung nnd
trugen viel zn ihrer Bedeutung für das Slaventhnm bei. — In
unserer Darstellung sind jedoch viele Desiderata angeführt, deren
Erfüllung sich mehr nnd mehr nothwendig macht, damit die
öechische Literatur ihre Bedeutung in der gesammtslaviscben
Frage behalten könne.
.yGoOgIf
II. Die SlOYalien.
Eine Literatur in der eigenen Sprache der Slovaken ist eine
neue Erscheinung, die kanm hundert Jahre zählen mag, eine
Erscheinung, bescheiden dem Umfang nach, aber sehr inter-
essant in Bezug auf ihre Entwickelung. Bis Ende des vorigen
Jahrhunderts bedienten eich die Slovaken auf literarischem Ge-
biet der Cechischen Sprache, wenn nicht des Lateinischen; ihr
eigener Dialekt war die Sprache des localen Volkelebens nnd
sachte Bich nicht auf die Höhe einer Literatursprache zu er-
heben. Das Auftauchen einer slovakischen Literatur, die Ab-
trennung der Slovaken von der Cechiachen Literatur ist eine
der interessanten Episoden der slavischen Renaissance und stellt
bisweilen eine nahe Parallele zu der Entwickelung der kleinrus-
sischen Literatur dar. Hier wie dort stritt man über das Recht
des „Dialekts" auf eine besondere Literatur; die Hauptnatio-
nalität hielt in beiden Fällen die Sprache des einen Stammen
für einen „Dialekt"; dagegen behauptete dieser, dass der Dia-
lekt eine „ besondere selbständige Sprache " sei ; in beiden
Fällen wurden die literarischen Bestrebungen des Stammes von
der Hauptnationalität zumeist mit Erbitterung oder Unwillen auf-
genommen, als verderblicher „Separatismus", als Verrath am
Ganzen angesehen, aber die Separatisten bewiesen, indem sie
auf der localen Literatur als einer Nothwendigkeit für die erste,
nächste Erweckung des nationalen Lebens bestanden, zuweilen
gleichzeitig ein weit eifrigeres Streben zum gesammtslavischen
Ganzen.
Der Name Slovak war, wie die slovakischen Schriftsteller
mit Wahrscheinlichkeit annehmen, eine neuere Umformung des
alten Namens des Gesammtstanunes: Slovenin (so bei Nestor,
dem UÖDch Cbrabr u. s. w.). Die elovakische Frau ist eine „^^O'
ü,g :.._.. ..Google
288 Fünftes Kapitel. II. Die Slovaken.
venka" (Slavin); das Land der SloTaken „Sloveneko" (Slavien).'
In ähnlicher Weise hat sich der alte Stammeename nur noch hei
den Slovenen (eigentlich Slovencen, korutaniBchen Slaven) erbalteii.
„Eb ist nicht zu verwundern", sagt ein slovakiscber Schriftsteller
und Patriot, „dass der Slovak, sohald iß ihm das nationale Be-
vusstsein erwacht, sich gleich als Slave fühlt und erkennt" . . .,
d. h. 'obgleich das slovakische Volk schon lange und auch im
gegenwärtigen Augenblick von Fremden äusserst bedrängt nnd
sehr arm ist, so scheint es den slovakischen Patrioten doch, daBS
der Slovak ein Slave xaV ^ox^^v sei. „Dabei helfen vielleicht
auch historische Reminiscenzen", bemerkt derselbe Schriftsteller:
„DieSlovaken nahmen früher als viele andere Slaven das Christen-
thum an, und zwar das griechisch-katholische, und noch daia
von den Slaven-Aposteln, den heiligen Cyrill und Method. Bei
dem slovskiecben Volke, auf seinem vaterländischen Boden,
legten die heiligen Briider die ersten Grundlagen zu einer slsr
vischen Literatur durch die Uebersetzung der Heiligen Schrift.
Bei den Slovaken entstand unter dem Fürsten BastisUv
und dem grossmährischen König Svatoplak der erste slavigcbe
Staat. Vielleicht entvrickeln der jetzige Verfall des slovakischen
Volkes und seine Bedrängung durch mächtige fremde Völker
in ihm unwillkürlich die Idee, dass nur siavisches SelbstbevrnsBt-
sein, slaviscber Geist und slavische Hülfe es aus den unaufhör-
lichen Verfolgungen und scbliesslichem Untergang retten kön-
nen. Es ist unleugbar, dass der Slovak tief fühlt und glaobt,
dass er unter dem tausendjährigen fremden Joche seine Natio-
nalität nicht verloren, sich nicht in einen Dentscben oder Ma-
gyaren umgewandelt habe nur dank der grossen Volkszahl und
Macht des slavischen Stammes, vor allem aber des russifichen
Volkes, das auf seine Bedränger Einfluss ausgeübt habe, wenn
auch nicht direct und unmittelbar, so doch schon durch seine
.' Dealialb Leisat daa Adjectivum für Volk und Sprache eigenttieh tlo-
venieoh, welche Bezeichnung auch in der alovakiBcben und EeoMschen Lil*-
ratur angewendet wird, und nicht alovakiBoh. Auch Pypin hat im Original-
text die Bezeichnung eloveniach angenommen, obgleich eonst im RuMiBchen
slovakisch häufiger ist Im Deutschen iet nur der Name Slovak gebrioch-
lieh, weshalb wir auch in der Uebereetzung die adjectiviBche Form slova-
kiBch beibehalten. Unter Slovenen (eloveniBcb) werden im Deutsofaen be-
kanntlich nur die Slaven in Erain, KäiTiten, Steiermark und Iitrien v<c-
Btanden (I, 369-395). Der DebenetMr.
Dig :..:.., Google
HiatoriBcIie Bemerkimgen. 289
drohende Existenz. Alles das übt anf den Slovaken, den Slo-
Tenen, die Wirkung ans, dass er sich nicht nur als Slovaken,
sondern zugleich auch als Slaven fühlt." '
Starker Fatriotismue ist immer ein wenig Poesie. Sie fin-
det sich auch in den angeführten Zeilen. Aber auch Schrift-
stellern anderer staTischer Stämme stellt sich das slovakische
Volk dar als begabt mit besondern Fähigkeiten zum Ausdruck der
gesammtslavischen Idee. So verhielten sich zu ihm besonders
die rassischen Panstavisten. Hilferding sagte schon zu Ende der
fünfziger Jahre in einer besonders schweren Zeit der slovakiscbeD
Bewegung, bei einem äusserst unsichem Bestand der Literatur:
„Die sloT&kiscbe Literatur stellt sich als eine Art ChaoB dar-,
aber ich zweifle nicht, dass sich aus diesem Chaos fruchtbare
Principien entwickeln werden."' Er schätzte die Wirksamkeit
Stür's überaus hoch, ohne noch das Werk za kennen, welches
später Yon Lamanskij rassisch herausgegeben wurde. Der letz-
tere sah in den Slovaken „fast den begabtesten und besonders
uns Bussen sympathischen Stamm". „Die nächsten Nachbarn
und Freunde der ungarischen Russen, die Slovaken, dienen als
VermittelungBglied einerseits zwischen Russland und den Mäh-
rem und öechen, andereraeits durch ihre zahlreichen und blühen-
den Ansiedelungen in Mittelungarn, zwischen der Theis und der
Donau, zwischen Russland und den Serben und Kroaten. Wenn
es der rosBischen Sprache wirklich beschieden ist, die gesammt-
slavischo' diplomatische Sprache zu werden, so wird ihre Aus-
breitung bei den Slaven vorzüglich durch Ungarisch -Russland
und die Slovaken erfolgen." '
Die slovakische Spraohenfrage wird verschieden aufgefasst
einerseits von den Cechen, andrerseits von den Slovaken. Nach
der Meinung der erstem ist dieser „Dialekt" ein abgerissener
Zweig der Cechischen Sprache und in den alten Denkmälern
der letztern (wir bemerken, dass die cecbischen Kritiker insbe-
sondere das „Gericht der Lihaäa" und die Königinhofer Hand-
schrift meinten) findet sich eine solche Aehnlichkeit mit dem
heutigen Slovakischen, daas sie einfach nur als Sprachvarietäten
• M. D., „SloTaki", in ^nm. Min. 1868, Aug. S. 558.
' Les SlavCB Oocidentaux, oder „Sobr. SoEin." II, 78.
' In der Ausgabe von Stär'B Werk: „SlaTJanstTO i mir bndnKago",
( Torwort Lamanskij'B, S. V u. VI.
Pt™, Bi»Ti«h. Li.«..«... n, a. ^19 ^ ^^ {^^qqqIc
390 Ffluft.aa EapiteL IL Die Slovaken.
eines Dialekts erscheinen ; „ der einfache Slorak würde die
altj^chische Sprache leichter versteheD , als der Ceche der
Gegenwart." ' Die slovakiscben Schriftsteller dagegen sprachen
gern von der Sonderstellung ihrSs Volkes und ihrer Sprache,
und Safafik selbst hielt in seiner „Gescliichte der slaTiEcken
Sprache und Literatur" die Slovaken für ein besonderes Volk
neben den Öechen und Polen, bebandelt ihre Literatur gesondert
und spricht seine Sympathie für die Ausarbeitung der slovakischeu
Sprache zu einem besondem literarischen Typus aus^, wenn er
auch später in seiner „Ethnographie", die Slovaken nur als einen
Zweig des öechoslovenischen Volkes und ihre Sprache als Dia-
lekt anerkannte, und sich in einem andern Falle, von dem weiter
unten die Rede sein wird, gegen eine Absonderung ihrer Literatur
aussprach. Die enge Zusammengehörigkeit dieser beiden Spra-
chen unterliegt keinem Zweifel, — aber dabei muss man zugleich
zu einer richtigen Würdigung des slovakischeu literarischen „Se-
paratismus" in die Bedingungen eindringen, welche einen solchen
hervorbrachten. . . . '
' SloTiük uanfin^, Artikel Slovioi. Debrigena Bpruh eine solche He^
nuikg schon Dobrovsk^ aus; in der S. Ansgabe der „Geschiobte der böhmi-
schen Literatur", 1808, sagt er: „Das Slovakisohe würde ohnehin, nena
man geringe Terechiedeaheiten der neaeru Sprachen weniger beachtet, mit
dem AltböhmiBohen zu einer Mundart zneammenschmelzen." Eine andere
Ursache, warum der Slovak die altCechiBohe Sprache besser verst^en «flrde.
besteht darin, daes die letztere, wie wir sehen werden, bei den Slonken
ganze Jahrhunderte lang EircheDsprache war, das MeuEechische aber ooter-
dessen viele Neubildungen einführte, die in der alten Sprache nicht beitsn-
deu, und abo auch den Slovaken fremd sind.
' Geschichte der slayisohen Sprache etc. S. 388—389 {1826). Vgl ?ii.
Slav. SbomJk, I, 150-151; U, 106.
' In Bezug auf Geschichte, Geographie und Ethnt^raphie der Sli>-
vaken eiehe; J. Rohrer, „Versuch über die BlaviBohen Bewohner Oertfr^
reichs" (Wien 1804). — L. Bartholomaeides, „Comitatus GömörieniB
notitia hist.-geogr.-Btalistica" (Leutechaa 1608). — Csaplovics, „QemUiir
von Ungarn" {2 Thle. Fest 18S9) nnd als Ergäniung dazu: „Ungarns Voi'
zeit und Gegenwart verglichen mit jener des Auslandes" (Preasburg ISä!)!.
— B. Pr. Cerwen&k, „Zrcadio Slowenska" (heransgeg. von U. J. Harbin-
Pest 1844).— MikuUI DQhnanj, „Historia povstauja «lovenskjeho > roks
1848" (Skalitz 1860). — SlavomU Öekanoviö, „Stav a dCje niroda u
zemi uberske" (Prag 1851). — M. D. (ein bekannter slovakisoher Sehrift-
steller), „Slovaki i Slovenskoe oko(je v Ugorfeinfi" (2om. Min. S»'-
ü,g :.._.. ..Google
Hiatorisob« Bemerkangen. 291
Die älteste Geechicbte des slovakischen Volkee ist wie ge-
wöhnlich „mit Finstemiss bedeckt". Man nimmt an, dass die
Slovaken io ihr jetziges Land zu Ende des 5. Jahrhunderts
nach Christi Geburt eingedrangen sind, als die Bugier, Heruler
und Gepiden von da weggezogen waren. In jenen JahrhuDderten
theilten die Slovaken wahrscheinlich die Geschicke der andern
Stammeszweige, der Cechen und Mährer, z. B, in der Periode des
Grossmähriscben Reichs; aber die Grenze der Slovaken gegen die
Mährer lag nicht dort, wo wir sie jetzt finden, sondern irgendwo
mitten in Mähren selbst, d. h. die Slovaken breiteten sich damals
weiter nach Westen aus als jetzt. Von demselben oder einem
verwandten Stamme war das sogenannte Fannonien besetzt: nach
PrOBT. 1868, AnguBt, 9. 556-645). — Franz V. Saeiuek, „Die SloTakea.
Eine ethnographische Skizze" {2. Aufl. Prag 1875; eine kurze, aber lehr-
reiche Broschüre). Die andern Werke dieeea Schriftstellera werden im Text
•Dgefnhrt. — „Slovaki i Bnaekie v BtatistikS Vengrii" (in Slav. Sbomik, I,
1875, 8. 621— 626). — Lftdislaif PiC, OCerk poHtiSeakoj i literaturnoj istorii
Slovakov za poBlSdnija ato Igt" (in „Rlav. Sbomik", I, 18Tf>, S. 89-206; 11,
1877, S. 101— 210). — A. V. äembera, „Mnoho-li jest Ceoha, Moravauft a
Slovikfl ft kde obfv^i?" (im Cechischen „Caaopia" und beaonders, Prag 1877).
— G. A. de Vollan, „Madjar; a nacionakiaja borba v Vengrii" (mit einer
ethnographieohen Karte UngaroB. St. Petersbni^ 1877). — Slovnik NauEn^,
Artikel Slov4oi (Slovaken). — Job. Borbis, „Die evangeliacb- lutherische
Kirche ÜngaroB in ihrer gesohichtlicbeu EDtwiokelimg nebst einem Anhang
über die Geaohichte der proteatantigohen Kirchen in den dentsch-alaviscdien
Ländern nnd in Siebenbürgen" (Nördlingen 1861). — DieGesohichtawerke über
Oesterreich; Bücher über die Geaobichte Ungarn« von Feaaler, Mfgl&th n.s.w.
— Agaton Giller, „Z podroiy po stowackim kraju" (1876. Dieae Schrift war
dem Verfasser nicht tai Hand).
üeber die Sprache: BernoUk, siehe im Text.— M. Hattala, dessen
hierher bezügliche Werke sehon oben angeführt sind. — A. V. Sembera,
„Zükladove dialektolc^e eeskoslovenake" (Wien 1864).— J.K. Viktorin,
„Grammatik der slovakiBohen Sprache" (Pest 1860; i. Aufl., 1878). — Emil
tetnf, „Stovenakä 6itanka" (Wien und Neusohl 1864—65). — J. Loos,
„Wörterbuch der deutschen, ungarischen vind alovakisohen Sprache" (Pest
1870).
Zur Literatorgeaohichte: P. 3. Sohaffarik, Geschichte der slavisohen
Sprache und Literatur, 3. 870—398 (Ofen 1826). - B. Tablie, Poeme;
Sloveniti veriovci, siehe im Text. — M. J. Hurban, „Slovenako a jeho
2ivüt literarni" (in Slovenskje Pohl'adi). — Lad. Pi6, in den oben auge-
fuhrlea Abhandlungen. — J, VlSek, „Literatnra na Sloveneku, j^i vmik,
rozvoj, Tfznäm a üapPchy" (Prag 1881).
ü,'?!, Google
292 FünftoB Kapitel. II. Die Slovaken.
Vernichtung des Avärischen Keicbes durch Karl den Grossen
nahmen dieses verwüstete Land Slovaken von den Karpaten und
aus Mähren ein; hier herrschten mäbrisch-slovakische Fürsten,
z. B. Pribina, Fürst von Nitra (Neutra), sein Sobn Kocel, später
Svatopluk. Am westlichen Ufer des Plattensees war nach ^chisch-
slovakischen Historikern im 9. Jahrhundert die Grenze zwischen
der kroatisch -sloveni^chen Mundart und jener der Uahrer und
Slovaken.
Das Christenthum erscheint auf slovakischem Boden schon
vor Mitte des 9. Jahrhunderts, aus deutsch -römischer Quelle;
darauf erst brachte Methodius die alaviscbe Liturgie nach Pan-
nonien. Aber die Liturgie in der Volks- oder Stammessprache
erhielt sich nicht lange und musste zuletzt der lateinischen wei-
chen. Grossmähren vereinte die slaviscben Kräfte nicht auf
lange. In den letzten Jahren des 9- Jahrhunderts begannen die
Einfälle der Magyaren und endlich machte im Jahre 907 die
Schlacht bei Pressburg dem Bestand Grossmährens ein Ende.
In der Mitte des 10. Jahrhunderts wurde das slorakische Land
den Magyaren vom höhmischen König Boleslav abgenommen
(und 973 in kirchlicher Beziehung dem damals gegründeten Bis-
thnm Prag zugezählt); im Jahre 999 wurde Mähren und dasSlo-
vakenland von Boleslaw Chrobry von Polen erobert, aber nach
seinem Tode entriss König Stephan von Ungarn dem polnischen
König Mieszko wieder das Slovakenland, das seit dem (1026 — 31)
bis zu diesem Augenblick zu Ungarn gehört. Die Geschichte der
Slovaken fällt weiterhin mit der Geschichte des ungarischen Staate
zusammen. Der letzte Schatten von nationaler Unabhängigkeit
der Slovaken war die Zeit des Matthias von Trencin, der nach
dem Aufhören der Dynastie Arpad (1301) auf unbekannte Weise
fast alle slovakischen Comitate in Besitz nahm und sie unab-
hängig regierte bis zum Jabre 1312, als er von Karl Robert
geschlagen vmrde. Mit Matthias von Trenöfn fielen die letzten
Reste slovakischer Selbständigkeit; die Volksüberlieferung hat
seinen Namen als den des letzten Repräsentanten und VertJiei-
digers der Freiheit (und der griechisch-katholischen Kirche) be-
wahrt; die Magyaren gewöhnten sich daran, das slovakische Land
einfach das ,4jand des Matthias" (Mätyas földje) zu nennen.
Unter der ungarischen Herrschaft behielten die einzeloen
Nationalitäten, welche Ungarn bildeten, gleichwol ihre Frei-
heit. Der bedeutendste der alten Organisatoren Ungarns, König
ü,g :.._.. ..Google
Historische -Bemerkungen. 293
Stephan (der Heilige) hatte den Grundsatz, dass „ein Reich
mit einer Sprache und einer Sitte schwach und zerbrechlich
sei"* und nahm nach diesem Grundsatz für Ungarn die natio-
nalen Institutionen der Slaven an, besonders die Gan- und
ComitatsverfaBSQDg, die sich bis heute erhalten hat; in den
Namen der Staatsämter Ungarns kann man leicht ihre alte
:>lavt8cbe Quelle erkennen. ' Die Nationalitäten waren gleich-
berechtigt, nnd darunter auch die Slaven, um so mehr, als
das Geschlecht Arpad in verwandtschaftliche Beziehungen zu
den benachbarten Fürsten trat und vom elaviscben Element
stark durchdrungen war ; das slovakische Volk hatte sein
Färstenthnm Neutra (Nitra), das von Fürsten aus königlichem
Geschlecht regiert wurde. Nach dem Aufhören der Dynastie
Arpad änderten sich diese VerhältDisse nicht, unter anderm
auch deshalb nicht, weil den ungarischen Thron slaviscbe
Könige, öechen und Polen, bestiegen. Andererseits wurde der
Zusammenstoss der verschiedenen Nationalitäten durch einen
sehr wesentlichen Umstand neutralisirt, nämlich durch die offi-
cielle Herrschaft der lateinischen Sprache. Es war augenschein-
lich schwer, die Sprache der Sieger für die neuen verwickelten
Verhältnisse des staatlichen Lebens und der Bildung zu organi-
siren, und das Latein, welches die Sprache der Kirche und kirch-
lichen Schule war, ward auch zur Sprache des politischen Lebens,
der Gesetzgebung, zuletzt sogar zur Umgangssprache. ■ — Der
Verfall der politischen Bedeutung der Nationalitäten begann
erst unter denHabsburgern; zuletzt erlitt die Gleichberechtigung
eine offene Beeinträchtigung, und mit den Gesetzen von 1790
wurde der Grund zu jener exclusiven Superiorität des magyari-
schen Volks und jener Identificining des ungarischen Staates
mit der magyarischen Nation gelegt, — welche zur Quelle
des hartnäckigen innem Kampfes in Ungarn in neuerer Zeit
' Die berühmtea Worte, welche er aeinem Sohne zur UnterweiBung
sagte; „Nam auiuB linguae, uniasqae moris regnum imbecille et fragile eet"
und ferner: „Grave enim tibi est bnjus olimatiB tenere regnam, nisi Imita-
tor conBuetadinis ante reguantium exstiteriB regiim. Quis Graecus regeret
lAtinos graeois moribus, ant quia Latinna regeret Oraecos latinis moribna?"
' Z. B. „nadvoniik" — m^. nädor {lat. Polatinug, comes palatii regii) ;
.,znpaii" — magyar. iap4n (Voreteher einer iupa, Gespansohaft); „tovamik"
— magyar. t&mok (lateinisch lavemicuB regia) u. a.
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294 Fünftea Kapitel. IL Die Slovaken.
und zur Ursache dee äussereten Elends für die slovakiscbe Na-
tionalität wurde.
Die Verbindung der Slovaken mit den öecben and Mähren)
wurde nicht unterbrochen. Eine ihrer denkwürdigsten Erschei-
nungen war Mitte des 15. Jahrhunderts die Herrschaft des
berühmten Ck»)dottiere Jiskra von Brandeis in den slov&ki-
Bchen Comitaten und die Verbreitung des HussitenthnmB da-
selbst. Jiskra wurde 1439 von der Königin Elisabeth herbei-
gerufen zur Vertheidignng der Rechte ihres minorennen SohDes
Ladislans. Er hatte vorher mit seiuen huEsitischen Scharen gegen
die Türken mit Erfolg gekämpft, wurde wirklich ein eifriger
Parteigänger Ladislaus' und blieb im Kampfe mit dessen Gegner,
Johann Hunyadi und später Corrinus, im Laufe von fast zwanzig
Jahren Herr des slovakischen Landes. Zu derBelben Zeit und
später regierten Anhänger Jiskra's und slovakische Magnaten
mehr oder weniger unabhängig verBchiedene Gebiete des Slo-
vakenlandes. Die Herrschaft Jiskra's wird seitens der Historiker
eben durch den slavischen Charakter des Landes erklärt, wo er
sich festsetzte, wie infolge eben desselben Charakters die slova-
kischen Comitate Einäuss auf die Berufung der iechiacben Kö-
nige Ladislaus und Ludwig übten.
In die Zeiten Jiskra's fällt auch die Befestigung des Hussi-
tenthums. Nach der Meinung slovakischer Historiker komite
es hier festen Fuss fassen, weil es einen vorbereiteten Boden
fand in der nicht ausgestorbenen Ueberliefemng von der alten
nationalen Kirche. In alter Zeit bestand hier eine slavische
Kirche und sie hatte wahrscheinlich zur Zeit des heiligen
Stephan grosse Ausbreitung; aber schon früh begann auch eine
Gegenwirkung des Katholicismus. Die ungarischen Historiker rech-
nen die Ausbreitung des „Christenthums" Stephan zu besondenn
Buhme an; die öecho-slovakiscben Schriftsteller meinen, seine
Wirksamkeit habe neben der Bekehrung wirklicher Heiden darin
bestanden, dass er Christen slavischen Ritus, die in den alten un-
garischen Literaturdenkmälern als „pagani" bezeichnet werden (wie
in der russischen umgekehrt die Katholiken — „poganaja latjd",
heidnisches Lateinerthum , hiessen) zum Katholicismus bekehrt
habe. Aber die Anhänglichkeit an den slavischen Ritns war so
gross, dasB der Kampf um denselben während der ganzen Periode
der Arpaden dauerte; und obgleich er später grösstentheils dem
Katholicismus wich, so behielt doch das Gedächtniss des Volb
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Historisobe Bemerkangen. 295
eine Abneigang gegen den letztem. Das Hussitenthum firiBchte
die alten Erinnerungen auf, und eine Menge von Kirchenbüchern,
velche ron den HuBsiten elngeföhrt Trurden, erweckte in den
Slovaken daa Streben nach einer nationalen Kirche.* — Die erete
Bekanntschaft der Slovaken mit den Hnseiten setzt man schon
in die Jahre 1425 — 30. Zur Zeit der Herrschaft Jiskra's siedel-
ten sich dessen hussitische Banden und herbeigerufene iSechische
Golonisten an verschiedeDen Orten des Slovakenlandes an; mit
den Truppen und Ansiedlern kamen cechische Priester und unter
den angegebenen Bedingungen sowie bei der Verwandtschaft der
Sprache und der Nationalitat breitete sich das Hussitenthum unter
den Slovaken selbst aus. Die Verfolgungen der Böhmischen und
Mähriscben Brüder, die Schlacht am Weissen Berge führten neue
Emigranten herbei, und schliesslich wurde der Gottesdienst in
<^cbiBcher Sprache bei den Slovaken fast allgemein. Später, als
sich die ßeformation Lutber's ausbreitete, fand sie natnrgemäss
auch bei den Slovaken Eingang (die dabei den (ecbischen Gottes-
dienst bewahrten) nicht nur im Volke, sondern auch unter dem
Adel, der unter anderm auch auf einen materiellen Vortheil bei
der Confiscation der Kirchengüter speculirte. Bei den Magyaren
breitete sich zu gleicher Zeit der Calvinismus aus. Der Katho-
licismuB ergab sich allerdings nicht leicht: gleich bei den ersten
Schritten wurde das Lutherthum verurtheilt'; aber der un-
mhige ZuBtand Ungarns, die Eroberung des grössten Theils des-
selben (der eigentlich magyarischen Comitate) durch die Tür-
ken (1541 — 1686) gestattete der katholischen Reaction nicht,
ihre ganze Macht zu entfalten. Gleichwol wirkte die Reaction
80, dasB sie einen Aufstand hervorrief, in welchem sich poli-
tische mit religiösen Interessen verbanden. Der Wiener Friede
1606, der Wahlreichstag zu Pressburg 1608, der Friede von Linz
1647, endlich das Toleranzpatent Joseph's II., und insbesondere
die Gesetze von 1790 machten der religiösen Verfolgung ein
Ende; der Protestantismos wurde gesetzlich anerkannt — obgleich
kleine Chicaneu des Katholicismus und der innere Zwist im
Protestantismus selbst nicht aufhörten.
Trotz der politischen Gleichberechtigung der Nationalitäten
> M. D., im Zarn. Min. 1868, Aug. S. 606.
* Latherani comburoator — war die Verordnung jener Zeiten, welche
im CorpnB Juris Hungarici anAiewahrt ist.
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296 Fünftes Kapitel. IL Die Slovoken.
nacli altem UDgariBcbem Staatsrecht, — auf welchem die slo-
vakischen Historiker gegenüber den ungarischen bestehen, —
wurde die Lage der Slovaken je weiter je schwieriger. Zu
den slavischen Institutionen gesellten sich schon toq den ereten
Jahrhunderten der ungarischen Geschichte an feodale, welche
allmähUch zu Toller Knechtung der Volksmasse führten: die
Bevölkerung des ungariBchen Staats theilte sich in zwei Schich-
ten, zwischen denen ein ganzer Abgrund tag — die eine war,
nach lateinischer Terminologie, der populus (die Aristokratie
and alles, was Adelsrechte genoss; wie bei den Polen nur die
Szlachta das „Volk", die Nation, war), die andere die misera
contribuens plebs, welche die ganze übrige Masse der BerÖlke-
rung bildete. Nur der populus hatte politische Rechte : auf den
Reichstagen sassen die höhere Geistlichkeit, die Magnaten und
der Adel. Die Bürger der freien königlichen Städte genossen
im Weichbild ihrer Stadt die Rechte, welche der Adelige be-
sagst aber in Bezug auf das Comitat galt eine solche Stadt
für einen Adeligen; in Bezug auf das ganze Land, im Reichs-
tag, hatten alle freien Städte zusammen nur eine Stimme.
Das Volk, nicht der erwähnte populus, sondern das wirkliche
Volk war dazu verurtheilt, alle Lasten zu tragen: sowol die
persönlichen Verpflichtungen gegen den Gutsherrn , als die
Staatssteuem und den Kriegsdienst. In der ersten Zeit ge-
nossen die Untertbanen mancherlei Erleichterungen, und ihre
Lage war erträglich; aber allmählich erwuchs aus ihrer Unter-
tbänigkeit die Vorstellung, dass Grund und Boden nurEigenthom
der Adeligen sei', auf dem die Bauern nur geduldet seien.
Seit der Goldenen Bulle 1222 bis ins 16. Jahrhundert wieder-
holten sich mehrmals Gesetze über die Freizügigkeit der Baneni
— ohne Zweifel deshalb, weil diese Freiheit thataäcblicb vom
Adel verletzt wurde.' Die Bedrückung des Volks führte m
einem Bauernaufstand in Südnngarn, der mit schrecklichen Hin-
richtungen, der Vernichtung einiger Zehntausende von Bauern
und einer neuen Gesetzgebung endete (1514). Die Freizügigkeit
wurde definitiv aufgehoben, die Bauern wurden in vollem Masse
' Der Ansdruck: domiuas terrestriB findet eich Bobon im Geaeti lom
Jahre 1405.
* Im 15. Jahrhundert hob das Gesetz aelbat viermal seitweilig die Frei-
zügigkeit auf — jedesmal auf ein Jahr.
...., Google
Historische Bemerknngcu. 297
leibeigen, mit dem üblichen VerluBt der bürgerlichen Rechte.
Diese elende Lage dauerte bis zu den Zeiten Maria Theresia'»
fort, unter welcher 1766 die sogenannte Urbarialverfassung ein-
geführt wurde; sie bestimmte zum wenigsten das Mass des
Bodens, den die Bauern benutzen sollten, und die Dienste, zu
denen sie dafür dem Gutsherrn verpflichtet waren. Der Reichs-
tag des Jahres 1836 stellte auf dieser Grundlage in aller Form
ein Statut über die Beziehungen der Gutsherrn und Bauern auf.
In beiden Fällen hatte die slovakische und russische Bevölke-
rung Vortheil bei der Vermessung des Landes, aber nicht hei der
Festsetzung des Maasses der Pflichtigen Arbeit.
Der Feudalismus, welcher zwar die nationalen Beziehungen
nicht direct berührte, reflectirte sich doch an ihnen in der ent-
Bcbiedensten Weise. Die Standesinteressen , d. i. die einfachen
materiellen Yortheile, standen, wie gewöhnlich, höher als die na-
tionalen; der slovakische Adel iiess sein Volk im Stiche, ging in
den ungarischen populus, d. i. in den ungarischen Adel über, und
schloss sich dann allmählich aach der magyarischen Nationalität
an. Das slovakisefae Volk hatte im eigenen Adel weder seine
Vertreter noch Vertheidiger. Als, vom vorigen Jahrhundert an,
eine absichtliche Magyarisirung begann, trat der Adel mit sel-
tenen Ausnahmen in die Reibe der „Magyaronen", und unter
diesen war z. B. Graf Zay einer der mächtigsten und schlimmsten
Verfolger seiner eigenen Nationalität.
Um zur neuem Zeit überzugehen, müssen noch zwei Umstände
angeführt werden, welche Einfluss auf das Schicksal der slova-
kiscben Nationalität hatten: die katholische Reaction gegen den
Protestantismus und die mit Ende des vorigen Jahrhunderts be-
ginnende Bewegung der magyarischen Nationalität.
Die katholische Reaction trat hier schon mit dem 16. Jahr-
hundert auf, insbesondere mit dem Erscheinen der Jesuiten.
Ihr energischster Vertreter war zu Ende dieses und in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Peter Päzmdny (aus einer
calvinistischen Familie), ein sehr eifriger Jesuit, Bischof von
Gran. Er bekehrte mit Erfolg Magnatenfamilien zum Katho-
licismus, brachte es dahin, dass der Kaiser eine Verordnung
über die Rückgabe der Güter, welche vom Adel in der Zeit der
Reformation in Besitz genommen waren, an die katholische
Geistlichkeit erliess, gründete zu Tymau zunächst eine Schule
Dig :..:.., Google
298 Fünftes Kapitel. IL Die Slovaken.
zur Erziehung adeliger Kinder, dann 1637 eine UniTersität, wo
er den Unterricht den Jesuiten übertrug.
Die ersten Erfolge ermuthigten die Katholiken, und sie
machten sich ohne Umstände an die Rekatholisation ; auf
die Gewaltthätigkeiten antworteten auch die Protestanten mit
Gewalt, und die religiöse Frage spielte nicht die letzte Rolle
in den ungarischen Revolutionen des 17- Jahrhunderts. Der
■wiener Hof sah nicht ohne Befriedigung auf die Kräftigung
des Katholicismus , aher verschiedene Umstände nöthigten zur
Vorsicht. Im Jahre 1681 musste der Kaiser Leopold die Frei-
heit der Bekenntnisse bestätigen, wenn auch wieder mit einigen
Bevorzugungen zu Gunsten des Katholicismus. Dieses Gesetz
war bis zu Joseph IL in Kraft.
Im Jahre 1773 verbot Maria Theresia den Jesuitenorden
-und gründete aus seinen Besitzungen einen Universitäts- und
Lehrfonds (die katholische Universität wurde von Tyrnao nach
Pest verlegt); Joseph IL hob einige andere Orden auf, aber der
Unterricht in den katholischen Schulen blieb in den Händen der
Geistlichkeit. Das „Toleranz-Patent" Joseph's IL und insbeson-
dere das Gesetz vom Jahre 1790 führten verständigere und ruhi-
gere Verhältnisse zwischen den Bekenntnissen ein; es war dies
ein bedeutender Umschwung, aber leider wirkten, wie vrir be-
merkt haben, innere Zwiste des Protestantismus selbst wieder
in betrübender Weise auf das Schicksal der slovakischen Na-
tional itat.
Sonach zeigte die vielfache Wiederholung der Gesetze über
die Glaubensfreiheit seit dem 16. Jahrhundert, dass es an einer
solchen fehlte, und es rang wirklich der Katholicismus damals
vieles dem Protestantismus, sowie zugleich der Nationalität ab.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besserte sich die Lage
des slovakischen Volkes verbältnissmässig: die Urbarialverf&ssuiig
erleichterte das Schicksal der Bauern ; der lutherische Tbeil der
Bevölkerung empfing eine grössere kirchliche Autonomie — in
diesem Thoile des Volkes trat denn später auch die lebhaftest«
nationale Bewegung hervor.
Aber von Ende des 18. Jahrhunderts erwachs der slovaki-
schen Nationalität ein neuer, unversöhnlicher und unbändiger
Feind — die Magyarisirung.
Seit der Gründung des Staats lebten die Magyaren im Laufe
von 800 Jahren unter andern Nationalitäten, ohne nur einmal
ü,g :.._.. ..Google
Histoiiaclie Benerknngen. 299
den Anspruch auf auascMiessliche Herrschaft ihres Volkethums
zu erheben. Sogar das positive Gesetz sprach Ton voller
bürgerlicher Gleichheit der Stämme (die Gesetze Matthias' II.,
1608 — 1609). Eine der Hanptgruudlagen dieser Gleichheit war
die Herrschaft der lateinischen Sprache, die, wie oben bemerkt,
Ton alter Zeit her, wegen der Unmöglichkeit, dass eine halbwilde
Sprache unter entwickeltem Völkern in Politik und Bildung herr-
schen konnte, von den Magyaren als Sprache der Kirche ange-
nommen worden war und dann zur gewöhnlichen Sprache nicht
nur der Schule, sondern auch der Gesetzgebung, vor Gericht,
in der Verwaltung, auf den Reichstagen und in den hohem
Klassen sogar zur Umgangssprache wurde. Zur Zeit der Refor-
mation war die magyarische Sprache nahe daran, ins kirchliche
Leben und in die Fresse einzudringen; aber die katholische Re-
action gab wieder dem Latein das Uebergewicht, Ein scharfer
Umschwung trat mit den theoretisch-liberalen und centralisti-
Bchen Plänen Joseph's II. ein. Das von ihm erlasBcne Gesetz
forderte, dass innerhalb dreier Jahre in allen Richtungen des
staatlichen Lebens die deutsche Sprache eingeführt werde; die
Comitate protestirten gegen diese ohne Zustimmung des Reichs-
tags gegebene Massregel, und das Gesetz wurde wegen der Schwie-
rigkeit der Ausführung nebst andern Neuerungen (ausser dem
Toleranz-Patent) aufgehoben. . . . Aber dies gab den Anstoss zu
einer nationalen Renaissance der Magyaren. Auf dem Reichstag
des Jahres 1792 wurde der Unterricht der magyarischen Sprache
für obligatorisch an den mittlem und hohem Schulen erklärt, —
damit es später möglich sei, die Beamten aus Leuten auszuwählen,
welche die magyarische Sprache verstünden. Die Unruhen der
Napoleonischen Kriege Hessen die innere Bewegung nicht zur
Entwickelung kommen, aber iu der Mitte der zwanziger Jahre des
gegenwärtigen Jahrhunderts erhob sich die Frage aufs neue. Sie
wurde auf dem Reichstag von dem berühmten, damals noch
jungen Grafen St-Szechenyi aufgestellt, dessen nationaler Patrio-
tismus grossen Eindruck machte und den Grund zu den weitern
nationalen Bestrebungen des Magyarenthums legte: schon im
Jahre 1827 wurde die ungarische Akademie gegründet, dann das
magyarische Theater, dann nationale Clubs. . . . Die Frage der
magyarischen Sprache erhielt sofort einen politischen Cha-
rakter. Bisher verstand man unter dem „Volke Ungarns", wel-
ches durch den Reichstag repräsentirt wurde, alle Bewohner Un-
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
800 Fünftee Kapitel. 11. Die Siovaken.
garng ohne Ausnahme, -welche politische Rechte genossen; aber
jetzt, als an die Stelle der lateinischen Sprache dee Reichstage
und der Verwaltung (welche die StammeBunterschiede ausglich
oder neutralisirte) die magyarische zu treten begann und der
Reichstag danach strebte , die letztere definitiv als Staata-
sprache zu befestigen, ward die frühere Gleichheit gestört und
der UDgarifichen Nationalität die ausschliessliche Superioritat
und Herrschaft zugeeignet.
Bald erschien -wirklich eine Reihe von Gesetzen, welche diese
Herrschaft befestigten, die Gesetze der Reichstage von 1830.
1832—36, 1839—40 führten allmählich die magyarische Sprache
in die Verwaltung, die Gerichtsbarkeit, die militärischen und
kirchlichen Angelegenheiten ein; der Reichstag von 1843 — 44 ver-
ordnete (He Einführung des Unterrichts in magyarischer Sprache
an den hohem und Mittelschulen; der Reichstag von 1848 dehnte
diese Vorschrift auch auf die Volksschulen aus.
Auf den ersten Blick erschien die Veränderung sehr natur-
geroäss und sie wäre es auch in vollem Masse gewesen für die
eigentlich magyarischen Länder, als die Entfernung eines sonder-
baren Ueberbleibsels des Mittelalters, als der Ersatz einer todten
Sprache durch eine lebende; aber die Reichstage, welche nur
die privilegirten Stände vertraten, entschieden ohne die Völker
und diese wurden eines wesentlichen Rechts beraubt: nämlich,
die nichtmagy arischen Völker konnten den Schutz des Gesetzes
und das politische Recht, Kirche und Schule, nor geniessen, wenn
sie magyarisch verstanden, und würden dieselben also nicht als
Bürger ihres Staats, sondern als Magyaren geniessen. In der
Praxis zeigte sich dies sofort, als die Gerichte und VerwaltnngB-
behörden aufhörten, Schriftstücke anzunehmen, welche nicht in
magyarischer Sprache geschrieben waren. . . . Die schroffe Ein-
führung der magyarischen Sprache in Schule und Kirche ver
letzte das Recht der Nationalitäten in der wesentlichsten und
empfindlichsten Weise.
Es ist begreiflich, dass sich mit dem offenen Auftreten dieser
Tendenzen der Widerstand der nichtmagyariscben Nationalitäten,
der Serben, Kroaten, Siovaken einstellte. Die letztern verhielten
sich zu der Sache verschieden. Die Katholiken, besonders die
Geistlichkeit, neigten sich dem Magyarenthum zu: die dechische
Sprache, welche von den protestantischen Siovaken in der Kirdie
gebraucht wurde, war in ihren Augen ketzerisch, hueeitisch, die
ü,g :.._.. ..Google
Historisobe Bemerkimgen. 301
slovakische zu ungebildet und niedrig; dabei bot das Magyaren-
tham auch materielle Vortheile. Andere verhielten sich die Pro-
testanten, die sich ganze Jahrhnnderte an das Cechische als die
Kirchen spräche gehalten hatten und nicht leicht ihre Nationali-
tät aufgeben konnten. Es erhob sich der Kampf zwischen den
slovakischen Lutheranern und den magyarischen Patrioten. Im
Jahre 1839 starb der Generalinspector der lutherischen slova-
kischen Kirche; den Magyaren gelang es, wie man sagt durch
allerlei Ungerechtigkeiten, an seine Stelle den obenerwähnten
Grafen Zay zu bringen. Zay war der eifrigste Magyaromane und
seine Verwaltung machte sich sofort durch Propaganda des
Magyarenthums im Kirchenwesen und durch Verfolgung der
patriotischen ^echisch-slovakiscben Schule bemerklieb.
Die magyarische Bewegung war ziemlich complicirt. Einei-
seits trug sie sich mit den Ideen des europäischen Liberalis-
mus: hier wurde sie zu einer oppositionellen und zuletzt revolu-
tionären Bewegung gegen den alten heuchlerischen Despotismus
Oesterreichs; sie bewies dabei grosse Energie, die auch bei den
slavischen Schriftstellern, selbst den extremsten*, Anerkennung
fand und noch berühmter in Westeuropa wurde — der Name
Kossuth's war ebenso populär wie der Garibaldi's. Aber an-
dererseits lag in der magyarischen Bewegung auch jene natio-
nale Exclusivität, von der wir sprachen: von dieser wusste
man in Europa wenig oder gar nichts und die Magyaren blie-
ben die Heroen sowie später die Märtyrer für die Freiheit.
Ihre Gegner wurden zum reactionären Lager gezählt: sie ver-
theidigten ja sowol die todte lateinische Sprache als die verwit-
terte Österreichische Monarchie, — aber sie vertheidigten sie
eben deshalb, weil sich ihnen in diesen Formen die einzige
Möglichkeit einer nationalen Existenz bot, und bei dem ma-
gyarischen Liberalismus, der nur eine magyarische Freiheit zii-
liess, ihrem Volksthum nur der Tod bevorstehen konnte. Oester-
reich war für sie gewjssermassen ein Keil gegen den magyari-
schen Keil.
Nach der magyarischen Theorie, — in welcher sich die ganze
abetossende Roheit der nationalen Unduldsamkeit überaus an-
Bcbaulich ausdrückte, — repräsentirten die magyarischen Bestre-
I Vgl. HilfsFdiag, Sobr. Soein., II, 115; b. auch K. Adämek, „Zä-
klady vj-voje Mad'arav" (Prag 1879).
...., Google
303' Fünftea Kapitel. II. Die Slovakea.
bungen die Sache der Cirilisation und der bärgerlichen Freikeit;
einen Widerstand dagegen stellte die Theorie als Obscurautis-
muB and Trägheit bin. Sonach wurde das Streben der Slo-
vaken den Magyaren in doppelter Beziehung verhasst — sowol
als Opposition gegen die politische Hegemonie wie als Feind-
schaft gegen die liberalen Ideen. Diese nnliberale Färbung
hat die antimagyarische Bewegung der Serbo-Kroaten und Slo-
Takeu in der Mehrzahl der westeuropäischen Darstellungen
dieser Angelegenheit behalten: die slavische Bewegung war reac-
tionär und „panslavistisch". >
Graf Zay bemühte sich, wie vir bemerkten, das Magyarische
auch in das kirchliche Leben der Lutheraner einzuführen oder
das letztere zu einem Weg für die Ausbreitung des Magyaren-
thums zu machen. £r speculirte darauf, dies durch eine cal-
vinisch-lutherische Union zu erlangen ; da die magyarischeD
Protestanten vorzüglich CalviniBten waren, die slovakiBcheD aber
Lutheraner, eo sollte auch hier die Union das formale Recht
für die magyarische Hegemonie liefern. Die Unionsvorschläge
fanden bei den Slovaken keine Sympathie ; auf den kirch-
lichen „Conventen" landen feindliche Zusammenstösse des ma-
gyarischen nnä slovakischen Patriotismus nnd Kirchenthums statt
— hier begegneten sich die Führer beider Seiten, wie Eossuth
und KoUär; Graf Zay »erfolgte offen die sloTakischen Professoren
und patriotischen Studentenvereine zu Pressbnrg und Leutschau.
'Appellationen der Slovaken an den „König", d. i. den Kaiser
von Oesterreich, hatten keinen Erfolg. In den vierziger Jahren
verschärfte sich der nationale Kampf immer mehr; das Ma-
.■ Dieaen Charakter der Beziebnngen begriffen Belbst so anfgekUrte Zeit-
genossen wie Herzen nicht, allerdings aus Mangel an Kenntnisa der Ver-
hältnisse. In der Folge waren einige slavophite Sehriftsteller ongelialteD
darüber, daes im UDgarisuben Krieg des Jahres 1849 das mssisohe Offiner-
uorpa, nie bekannt, sehr mit den Ungarn sympathisirte : diese Tbatsaobe
erklärt Bich aus verschiedenen Qründen, — erstens aus denselben, welebe
den Aussprach erteog^n: W§gier, Polak — dwa bratanki et«. (Der Ungar
und der Pole sind Vettern etc.); zweitens dadurch, daas das msaiidw
Offiziercorps keinen Begriff von den BeEieliuitgeD dieser sjmpatluKhen
Ungarn zu den Stamm es verwandten der Offiziere hatte; aber neben dieaer
UnkcnntnisB war andererseits auch eine begreifliche Sympathie fQr ein
Volk vorhanden, das für seine Unabhängigkeit gegen das in Rnssland nicht
populäre Oesterreich kämpfte.
...., Google
Historiache Bemerkungen. 303
gyarentham Bchreckte vor Gewaltth&ten nicht zurück; die bIo-
vakischen Führer hatten die brutalsten Verfolgungen zu er-
dulden. Unter den Magjaren gab es zwar aufgeklärte Patrioten,
die sich über diese Gewaltthätigkeiten ärgerten, wie der er-
vähnte Graf Szechenyi, wie der bekannte Historiker Ungarns,
Graf Majlath, — aber ihre Ermahnungen zur MasEigung, zur Ach-
tung gegenüber der fremden Nationalität waren yergeblich: man
hörte nicht auf sie. Die Erregung wuchs und endete mit dem
magyarischen Aufstand gegen Oesterreich im Jahre 1848 — 49,
und mit dem Aufstand der Slovaken gegen die Magyaren. •
Der ungarische Aufstand nöthigte auch die slovakiscben Pa-
trioten, in den offenen Kampf zu treten: sie nahmen theil am
slavischen Congress zu Prag, traten in Beziehungen zu den
Serben und Kroaten, zu dem Ban Jellachich, und hatten schliess-
lich auch, nachdem sie Freiwillige gesammelt, ihren Antheil an
1 Die EreiguiBse der dreUeiger and vierziger Jalira haben eine ganze
polemiache Literatur hervoi^ebraoht. Wir wollen eioigea daraus anführen,
was zum Theil mit der ti^er ei^ähnten polemischen Literatur ans Anlas»
des „lUyriemus" gemeinsam ist.
Die ungariiohen Zeitnngen der vierziger Jahre: Tarsalliodö, Szizadunk,
Pesti Hirlap (heransgegeben von Koasnth), Athenaeum u, s. w. — „Schreiben
des Grafen Karl Zay an die Professoren zu Lentschau" (Leipzig 1841 ; gegen
einen Brief des Grafen Zuj, der im Täraalkodö abgedruckt war). ^ Graf
Zay, „ProteatantiamuB, MagyariBmuB, Slaviamua. . . ." (Antwort auf das Vor-
hergebende). — Thomas VilägOBväry (JobannPaul Tomääek), „Der Sprach-
kämpf in Ungarn" (Agram 1841). — „Ungarische Wirr eo und Zerwürfnisse"
(Leipzig 1843; beide Schriften gegen den Magyarismua). — „Slavismus
und Pseudomagjarismus" (Leipzig 1842; gegen die Broschüre von Zay). —
(Lnd. Stür) „Die Beschwerden und Klagen der Slaven in Ungarn über die
gesetzwidrigen Uebergriffe der Magyaren. Vorgetragen von einem ungn-
riachen Slaven" (Leipzig 1843). — Graf Leo v. Thun, „Die Stellung der
Slovaken in Ungarn" (Prag 1843; Polemik gegen Pulszky). — „Vierteljahrs-
Bcbrift ans and für Ungarn. Heraasgcgeben von Dr. Emriuli Henazlmann''
(3 Dde., Leipzig 1613; von magyarischer Seite). — C. Beda, „Yertheidigun};
.der Deutschen und Slaven in Dngam" [Leipzig 1843; gegen die Vierte:-
jahrsschrift). — S. H****, „Apologie dea ungarischen Slaviamus" (Leipzig
1843). — L. Stör, „Das neunzehnte Jahrhundert und der Magyarismus"
(Wien 1846). — „Der Magyariamus in Ungarn in rechtlicher, geiobichtlicher
and sprachlicher Hinsicht u. s. w." (2. AuÜ. Leipzig 164«).— „M.M. Hodza
V. D. H., Der Slovak. Beiträge zur Beleuehtang der elavischeu Frage in
Ungarn" (Prag 1646; mit interessanten historisuhen Naohriohten). — Die
slovakischen Werke werden im Text angeführt werden.
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304 Fünftes KapiteL IL Die Slovsken.
den kriegerischen UnternehmougeD gegen die Magyaren. Aber
das Jahr 1S48 brachte auch dem eloTakischen Volke eine ge-
visee Freiheit: das Feadalwesen und die Leibeigenschaft wurden
aufgehoben; die Unterthanen erhielten bürgerliche Rechte; für
die Literatur trat die Pressfreibeit ein.
Wie alle Slawen, welche gegen die Ungarn zur Vertheidigung
Oesterreichs aufgestanden waren, so gewannen auch die Slovaken
nichts in ihrer politischen Lage, was das Verhältniss zum Ha-
gyarenthum betrifft. Das Becennium der Reaction nach l^iedei-
werfuQg des Aufstandes durch fremde, d. i. russische, Hände
war You einem Sinken der Bewegung begleitet, die auch Oeeter-
reich selbst zu statten gekommen war; aber während dieser Zeit
reiften neue Arbeiter für slovakischen Patriotismus heran. In
den sechziger Jahren wurde die Bewegung aufs neue lebendig; im
Jahre 1861 wurde die slovakische „Matica" gestiftet, es erneuerte
sich die Literatur und die poUtische Tbätigkeit, — aber pohtisch
bleibt die Nationalität immer noch schutzlos und dies zeigte sieb,
als in der Mitte der siebziger Jahre die Matica, in welcher sich
ein Centrum der nationalen Bildung der Slovaken bildete, toü
den magyarischen Behörden mit roher Gewalt geschlossen
wurde.
Hanptdateu der slovakisehen Gescbichte.
V. Jahrhuodert nach Christus. Termuthliche Anknnfl der Stov&ken
in ihr jetziges Land, nach Wegzug der Rugier, Hemler und
Gepiden.
830. Fürst Pribina von Neutra. Anachlusa des Gebietes von Nentn
an GroBsmährea.
660. Die erste urkundliche Erwähnung des Slovakenlaudes.
870. Methodius, Erzbiachof ron Mähren und Pannonien.
907. Einfall der Magyaren. Untergaog GroBsmährens; Unterwerfong
des Slovakenlandes durch die Magyaren.
955- Eroberung des Slovakenlandes aus der Hand der Magyaren dordi
Boteslav von Böhmen.
973. Gründung des Erzbisthums Prag, zu welchem das Land der Slo-
vaken gehörte.
975. Taufe des ungarischen Königs Geysa I.
999. Eroberung Mährens und des Slovakenlandes durch Boleslav Chrobiy
von Polen.
1000. Krönung Stepban's (des Heiligen) zum König von Ungarn und
Grandung des Erzbisthums Gran, mit dem ein beträchtlicher TbeÜ
des slorakischen Landes vereint wurde.
.....Gooj^lc
Die ältere Zeit, 305
]02fl. Stephan erobert vom polnüchen KSaig Mieiayriaw das Slovaken-
land, daa Beitdem za Ungarn gehört.
1222. König Andreas It.: Die Bulla Äurea, GrOndung der Staataver-
fasan ng Ungarns.
1301. Tod Andreas' III., des letzten aus der Dynastie der Arpaden.
1312. Niederlage des Matthias tod Trencin durch Karl Robert nnd der
definitive politische Verfall des slovakischen Landes.
1440—1463; 1458—1462. Jiakra von Brandeis; die Hussiten nnd das
Hussiteuthuni unter den Slovaken.
1Ö13. Bauernaufstand in Sfldungam.
1514. Niederwerfung des Au&tandes nnd EinfOhrnng der vollen Leib-
eigenschaft der Bauern.
1526. Schlacht bei Mohac. Ungarn wird unter Ferdinand I. (Anfang
der Dynastie Habsburg in Ungarn), Johann Zäpolya und die
Türken getheilt.
1696. Der Friede von Karlowitz. Definitive Rückgabe der ungarischen
Linder.
1705 — 11. Kaiser Joseph I^ König von Ungarn.
1712—40. Karl IH. (VI.).
1740—80. Maria Theresia.
1780 — 90. Joseph IL
1790 — 92. Leopold ü.
1792. Frana L
1804. Beginn des Kaiserthums Oesterreich.
1835. Ferdinand V.
1848. Franz Joseph.
Aus der altem historiscben Periode, aus den Zeiten des alt-
slsvischen GottesdieDstes, hat sich bei den Slovaken keiu ein-
ziges Schriftdenkmal erhalten ; nach der Tradition sind die
glavischen Kirchenbücher bei der Einnahme von Nentra durch
Matthias von Tren£in verbrannt. ^ Für das älteste Denkmal
des slovakischen Dialekts gelten die Kirchenlieder mit slova-
kischen Glossen von Wenzel Bzeneck^, vom Jahre 1385.^ Die
Kotwickelnng der ^echichen Cultur im 14. Jahrhundert lockte,
wie man annehmen rnnss, auch die Slovaken in die £ecliiBchen
> PiE, im Siav. Sbomik, 1, 100, Aumerk. Nach seinen Worten sind in
letzterer Zeit von Mitgliedern der nngariscbea Akademie einige aiavisohe
Urkunden gefunden worden, doch werden sie von ihnen versteckt gehalten.
Vgl. Slovnik nauEnJ, b. v. Sloväci, S. 58S. ÖeohiBoh-slovakiBche Urkunden
gibt es vom 15. — 16. Jahrhundert an.
> Blovnik, ebend.; JireFek, Rnkovif, 1, 118,
Ftpik, SUtIuIw Litentnrui. H, S. 20
ü,g :.._.. ..Google
306 FüuCteB Kapitel. IL Die Slovoken.
Schulen; wenigsteos trat der StammesTerband dadnrcli zweifellos
zu Tage, dass sich die Bewegung der Hussiten ins slovakische
Land verpflanzte. Ihre Ankunft bildete eine Epoche im religiösen
und literarischen Leben der Slovakea: mit den hussitischen
Kriegern und Ansiedlern kamen auch hussitische Priester; noter
den Slovaken begann die neue Lehre sich zu verbreiten und mit
ihr fechisclie Bücher, die jenen ganz Tersiandlich waren: äe
hatten dann später dieselbe Erälicer Bibel, die Cancionale nnd
religiösen Tractate. Die ^echische Sprache ward ron da an zur
Kirchen- und Büchersprache der Slovaken und ihre Herrschaft
dauerte fast nngetheilt bis ans Ende des vergangenen und den
Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Bei den sloTakischen
Protestanten ist die fiechische Sprache noch jetzt die Sprache
der Bibel und der Kirche; in ihr wird die Predigt gebalt«n;
Bücher solcher Art werden sogar heute noch in der alter-
thiimlicben Bechtschreibung gedruckt, welche bei den Öechen
selbst verlassen ist.
Im 16. Jahrhundert nahmen die slovakischen Protestanten
die Lehre Lathers an; Slovaken begaben sich zum Studium
nach Wittenberg, aber der Gottesdienst in slaviscber Spracht
erhielt sich unverändert. Die Verfolgung gegen die BöbmischeD
und Mährischen Brüder und der definitive Verfall des Pro-
testantismus in Böhmen nach der Schlacht am Weissen Berge
führte ins slovakische Land neue Emigranten; die BöhmiBchen
Brüder brachten ihre Bücher, ihren protestantischen Eifer mit,
legten Schulen aQ — die ^chische Literatursprache verbreitete
sich noch mehr.
Seit der Einführung des böhmischen Protestantismus bei
den Slovaken beginnt ihre eigene Literatur- nnd Schularbut.
Seit dem 16. Jahrhundert sehen wir schon eine beträchtlidie
Zahl guter Schulen: in Bosenau 1525, in Bänovci 1527, in Bait-
feld 1639, Leutschau 1542, Schemnitz 1560, Käsmark 157ä.
Altaohl 1576, Trenün 1582, Eperies 1594, Kaschau 1597 u. s. *-
Es waren dies nicht blos Volks- und Mittel-, sondern zuweilen
auch höhere Schulen, wo bekannte slovakische Schriftsteller und
Gelehrte als Lehrer thätig waren. Die Lehrertbätigkeit war ge-
wöhnlich die Vorbereitung zur Uebemahme von kirchlichen Aem-
tern und die Lehrer waren nicht seltei) Leute mit höbereT
Bildung, welche sie in der Heimat oder im Auslande erworben
hatten. Von 1574 an wurden hei den Hauptechulen Buchdmk-
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die ältere Zeit. 307
kereien gegründet: die ältesten bekannten öechischen Bächer,
die bei den Slowaken gedruckt wurden, sind: Luther's KatecIuB-
mus, herausgegeben in Bartfeld 1581, und Pruno's Katechismus
in Freistadtl 1581 oder 1583.
Da die Schule ihren Anfang toq einer religiösen Partei nahm,
die Bildung sich im Geiste derselben entwickelte und zu ihren
Zwecken bestimmt war, so ist es natürlich, dass die daraus
herrorgegangene Literatur, besonders in jener Zeit religiöser
Erregung, einen hervorragend religiösen Charakter hatte; und
wenn man noch hinzufügt, dass viele slovakische Schriftsteller
nach dem Gebraach der Zeit und des Landes lateinisch schrie-
ben, so ist es nicht zu verwundem, dass diese Jahrhunderte, bis
zur zweiten Hälfte des 18-, wenige Werke bieten, die in rein lite-
rarischer Beziehung interessant wären. Gewöhnlich sind es Ge-
betbücher, Katechismen, geistliche Lieder, Predigten u. s. w.
Dabei waren die ZeitTerhältnisse, im 16. — 17' Jahrhundert,
entsetzlich schwer: die Einfälle der Türken, die innem Kriege
zwischen Ferdinand und Johann Zäpolya, die gransamen Gesetze
gegen die Evangelischen förderten die literarische Thatigkeit
wenig. Die aus jener Zeit stammenden Kirchenlieder sind von
einem Gefühl der Trauer durchdrungen, welches Hülfe und Be-
freiung sucht. Verfasser solcher Lieder im 16. Jahrhundert waren:
Johann Sylvanus (gest. 1572); Georg Bäuovak^, Rector der
Schute zu Sillein (gest. 1561); der Geistliche Johann T^borsky
(gest. um 1576), Johann Fruno aus Freistadtl (gest. 1586) und
andere, dereu Lieder, 6echiBch geschrieben, sich in den evange-
lischen Gesangbüchern vorfinden. Auf diese Zeit beziehen Edch
auch einige historische Lieder, z. B. über die Niederlage bei
Mofaa£, über Nikolaus Zrinyi bei der Belagerung Szigeths 15fi6,
über das Schloss Murdn und andere, aber nicht sowol volks-
thümliche, als schriftgelehrte, wie ähnliche Lieder bei den Uechen
jener Zeit, und ebenfalls wieder techisch geschrieben. > Im 17.
Jahrhundert waren die Zeiten noch drückender: innere Zwiste,
politische Händel, religiöse Verfolgungen waren nicht günstig
für die Fortschritte der Bildung. Aber wir sehen noch einige
Schriftsteller, welche die letzten Ausläufer der iechiech-hnssi-
tischen Literatur bei den Slovaken bilden. So war, neben dem
' Einige kaben sicli in Handiubrifteb erhalten) andere sind nur nach
den Titeln iu ilen Canuiünaleii bekannt. Siehe Koltir, Nir. Zpiew., L
ü„^:, Google
308 FüDÜes EapiteL 11. Die Slovaken.
oben iD der ßechiBchen Literatur erwähnten LanrentiaB von Nu-
doier, einer der besten geistlichen Dichter jener Schule hier
der evangelische Prediger Georg Tranovsk^ (1591 — 1637),
von Geburt Schlesien seine „Cithara Sanctorum neb Zalmj
a, pisne duchoYDi stare i nove u. s. w." (Liptau 1635) wnrde
ah kirchliches Cancional nicht nur bei den Slovaken, soudem
auch bei den Evangelischen in Böhmen, Mähren und Schlesien
angenommen und ist zum Theil noch bis heute ein Kirchen'
buch der slovakischen Protestanten geblieben. In der „Citbara"
■waren einige Dutzend aus dem Deutschen übersetzte Lieder, 150
von Tranovsk^ eelbst geschriebene oder verbesserte. Nach der
Bibel war dies das verbreitetste Buch: von 1635 an hatte es
gegen zwanzig Auflagen, welche beständig die erste Sammlung
vermehrten. Vor Tranovsky sind als Verfasser von Kirchen-
liedern bekannt: Elias Läni (1570 — 1618), evangelischer
Superintendent, welcher seine Kirche eifrig gegen Päzmany nnd
die Jesuiten vertheidigte ; später: Joachim Kaiinka (1602—
78, von Ruiemberg, gest. in der Verbannung in Sachsen) u.a.
Stephan Pilarik (gest. 1678), Vorsteher einiger Brüderschaften
und später Aeltester, der um seiner Religion vrillen viele Ver-
folgungen und allerhand Ungemach in der Gebogenschaft bei
den Türken zu erdulden hatte, beschrieb unter anderm in Veisen
seine Abenteuer: „Sors Pilarikiana." ' Ferner Daniel HorÄiCka
(Sinapius), evangelischer Prediger und fruchtbarer Schriftsteller
auf dem Felde der religiös-erbaulichen Literatur, in der zweiteo
Hälfte des 17. Jahrhunderts; im Jahre 1673 ans der Heimat durch
religiöse Verfolgung vertrieben, brachte er zehn Jahre in Schle-
sien und Polen zu und fasste zuerst unter den Slovaken den Ge-
. danken von der Nothwendigkeit, die eigene Sprache zu bearbeiten,
von der grossen slavischen Völkerfamilie, von der Nothwendigkeit,
die eigene Nationalität zu erhalten u. s, w. Von seinen Werken
ist besonders interessant „Neoforum Latino-Slovenicum", 1678,
wo sich dreissig Dekurien slovakischer Nationalspricbwörter finden
und ein Vorwort, worin seine Gedanken über den Werth der al»-
vischen Nationalität dargelegt sind.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verfallt die Bildung und
Literatur unter den ungünstigen politischen Verhältnissen, und
' In SiUein, 1666; EWeite Autgabe: „PonauSnä pHhodj eto." Ton Bolin-
Blav-Tablio (äkalik ia04).
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die ältere Zeft. 309
belebt sich wieder vom Anfang des 18. Jahrhunderts an, dank
einigen gelehrten SchriftgtellerD, welche derselben ihre Anstren-
gungen widmen. Dahin gehört Matthias Bei (Belius, 1684 —
1749), eine der hedeutendsten Persönlichkeiten in der Ge-
scbichte der slovakischen Bildung und zugleich „magnnm decus
Unngariae". Er besuchte anfangs Landesschulen und studirte
dann in Halle; nach Hause zurückgekehrt, war er zuerst Rector
des Gymnasiums zu Neusohl, dann des Lyceums in Presshni^
(hier auch evangelischer Frediger) und gab diesen Anstalten
ein grosses Ansehen. Er war ein grosser Gelehrter, Kenner
der lateinischen, deutschen, ^echischen und angarischen Sprache
und er erlangte seinen Hauptmbm durch lateinische Werke
über Geschichte und Geographie Ungarns. ' Dabei schätzte
er zugleich seine Öechisch - slovakische Sprache hoch und sein
Hauptwerk in dieser Beziehung war die Revision der ßrüder-
Bibel im Verein mit Daniel Krman (Ausgaben: Halle 1722,
1745, 1766); er übersetzte auch das berühmte Buch von Joh.
Arndt, „lieber das wahre Christentbum" u. s. w. Sein Mitarbeiter,
Daniel Krman (1663 — 1740), studirte ebenfalls im Auslände
und war Superintendent in Schemnitz: er war lateinischer Schrift-
steller und äechisch-alovakischer Dichter in metrischer Form.
Wie Bei, wendete sich auch er der slavischen Vergangenheit zu
und wies auf die Stammeseinbeit der Slaven hin. * Er starb im
Gefängniss zu Presshui^, nach neunjähriger Haft, Femer ist in
der Reihe der ^echisch-slovakiscben Patrioten und Schriftsteller
Samuel HruSkovic (geh. zu Ende des 17. Jahrhunderts, gest.
1748) zu nennen: er studirte in Wittenberg und war evangelischer
Prediger und Superintendent; in der Literatur gilt als sein Ver-
dienst die neue Ausgabe von Tranovsk^'s „Cithara", vermehrt
auf tausend Lieder, darunter von HmSkovic selbst verfasste.
Wir nennen endlich Paul Dolesial, welcher in der Mitte des
18- Jahrhunderts wirkte: er war Verfasser einiger lateinischer
grammatischer Werke über die böhmische Sprache, besonders
' ,3oi)K^B6 antiquae et novae prodromns" (Noritnb. 17S3, fol-); „Vo-
titia Hnngariae novae bistorico -geographica" (1736—42. 4 Bde. and der
Anfang des 5.) etc. Auseerdem viele Lehrbücher für die damalige latei-
nisohe Sohnle und erbanliohe BücheT.
'In HandBchrift iat unter andenn ein Werk Krmao's erhalten: „De
Slavomin origine, disBertatio de ruderibas hiatoriarum eruta".
...., Google
310 Fünftea KapiteL IL Die Slovaken.
„Grammatica Slavico-bohemica" (1746, mit einem Vorwort von
Bei), der auch eine Sammlang elovakischer Sprichwörter beigefögt
ist, — und einiger ^Verbe in fiechischer Sprache.
Die eben angeführte literarische Thätigkeit kann, wie he*
merkt, als eine Fortsetzang der ^echischen HusEdten- und Brüder-
literatur gelten; — sie redete auch die Sprache der letztem.
In ihr reflectirt eich auch die damalige Gelehrsamkeit, beson-
ders die deutsche, welche die sloTakischen Protestanten direct
auf den deutschen protestantischen Universitäten schöpften; in
der Religion setzt sich der öechisch -deutsche Pietismus fort.
Beides wirkte in jedem Falle woblthätig, indem es höhere sitt-
liche Forderungen einflösste, welche die slovakischen Schriftsteller
direct zum nationalen Selbstbewusstsein föhrten. Leider war
ihre Wirksamkeit durch die politische Schwäche des slovakischen
Protestantismus äusserst erschwert: B^l, Krman, Hruskovic und
viele andere mussten religiöse Bedrückungen erdulden. Die
Poesie jener Zeit trägt auch den Stempel derselben: sie besteht
in der protestantisch-kirchlichen Dichtkunst der Cancionale nnd
Gesangbücher; das religiöse Gefühl war ohne Zweifel auftichtig,
aber in den geistlichen Liedern herrschte der Mysticismus vor,
ausgedruckt in prosaischen Vei-sen.
Gegen Ende des 18- Jahrhunderts besserte sich die Lage
der Dinge. Die literarische und gelehrte Thätigkeit vollzog ucfa,
wie wir sahen, fast ausschliesslich im Kreise der protestantischeD
Geistlichkeit, und eben für diese öffnete eich mehr Spielranm,
als eine grössere Bekenntnissfreiheit eintrat, die besonders durch
das Patent Joseph's II. proclamirt wurde. Aus der Zahl der ge-
lehrten und geistlichen Schriftsteller der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts mögen genannt sein: M. Holko (1819—1785)'
ein fieissiger Historiker, der einige lateinische Werke in Hand-
schrift hinterlassen hat, auch Volkslieder sammelte, die später
in die Sammlung Eollär's gelaugten ; sein Sohn war ebenfalk eis
gelehrter Schriftsteller, Begründer der Bibliothek zu Kis-Hont,
bei der sich auch eine gelehrte Gesellschaft bildete. * Lftdislavs
Bartholomaeides (1754 — 1825), Rector einer Schule, dannevan-
' ErodiU sooieta« Kie-Honteneis, welche eine SMOmlniig ihrer Arbeiten
herausgab: Solemnia Bibliothecae Kts-Hontensis, wobei sn<di einige !Mh<^
BloTftkiaohe Werke abgedniokt waren. Vgl. Kollär, N4r. Zpiew. I, Vor-
.....Gooj^lc
Die ältere Zeit. Sil
gelischer Geistlicher, welcher lateinische, deutsche und &echo-
sloYakische Bücher schrieb, sittlich-belehrenden Inhalte, insbe-
sondere lateinische, der Beschreibang (Ingarns gewidmete Werke,
vrelcbe eine wichtige Quelle bilden. Michael Institoris Mo-
soTsk^ (1733 — 1803), einer der eürigsteu Förderer des slova-
kischen Protestantismus und der Bildung, Verfasser von Predigten,
geistlichen Liedern u. s. w. in Cecho-slovakischer Sprache. Michael
äemian (1741 — 1810), der zu Hause und an den deutschen Uni-
Tersitäten Halle und Jena studirte, Prediger und Verfasser geist-
licher Lieder, einer kurzen Geschichte Ungarns; er veranstaltete
auch eine neue revidirte Ausgabe der Brüder - Bibel , 1787.
Andreas Plachy (1755—1810), ebenfalls Prediger, Dichter
geistlicher Lieder und auch Herausgeber eines wissenschaftlich-
literariscben Sammelwerks „Stare Noviny" („Alte Neuigkeiten",
Altsohl, 1755—86). Stephan Leska (1757— 1818), Prediger und
Snperintendent, geistlicher und weltlicher Dichter und slova-
kiecher Patriot, der schon in Beziehungen zu Dobrovsk^, Jung-
mann und andern Förderern der (Sechischen RenaisBance stand;
unter anderm stellte er eine Sammlung von Wörtern zusammen,
welche von den Magyaren aus der slavischeu und andern Spra-
chen entlehnt sind.' Georg Bibay oder Rybay (1754 — 1812),
evangelischer Prediger, der in Jena studirte und eine grosse
cechisch-slovakische Bibliothek sammelte; er arbeitete viel an
der Öechischen und slovakischen Sprache, aber seine Arbeiten
Illieben im Manuscript.
Sonach gesellen sieb in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts dem frühern, fast nur protestantisch -pietistischen Inhalt
der Literatur immer mehr wissenschaftliche Interessen zu — die
Erforschung des eigenen Landes, der Geschichte und die Hin-
wendung zur gesammtstavischen WurzeL Auf diesem Wege be-
gegnen sich die slovakischen Arbeiter mit der öechischen Re-
naissance und treten sogar in directe, persönliche Verbindung mit
derselben.
Aber ehe wir zu diesen neuen Beziehungen übergehen, müssen
wir einer andern Seite des literarischen Lebens bei den Slovaken
gedenken, nämlich der Thätigkeit der slovakischen Katholiken.^
i ElenchuB vocabnlomm Europeornm inprimis SUviconimM&gju'ici osub
(Pest 182Ö).
' Wir bringen die Zahl der Slovaken nach den GlaubensbekenntniBBen io
...., Google
312 Fünftes Kapitel. II. Die Slovaken.
Was wir bisher bespracheu, war das Werk der evangeliecben
Slovaken und bezog sich Dicht auf die Katholiken. Bei den letz-
tem trat eine eigene Literatur auf, geformt nach andern Hh'
Btem — denen katholischer Frömmelei. Zu Tymau, dem Cen-
trum der katholischen imd jesuitischen Propaganda, erschienen
Schriften, wie „Der Seraphinische Schatz" („Serafinsk4 poklad-
nice"), „Die goldene Qnelle des ewigen Lebens" {„Zlaty pramen
etc.") (zu Ende des 17. Jahrhunderts) n. s. w. Die katholischen
Bücher begannen sich von den protestantischen auch in der
Sprache zu unterscheiden. Den Katholiken galt für häretisch,
„hussitiscb", diejenige (echische Sprache, welche damals die
Schriftsteller unter den protestantischen Slovaken allgemein
angenommen hatten; deshalb beschlossen die Katholiken für
ihre Bücher den Localdialekt anzuwenden. > Man begann mit
einer willkürlichen Mischung (echischer und slorakischer Formen
und Wendungen und zu Anfang des 18. Jahrhunderts gab der
katholische Slovak, Alexander Macsay, seine Predigten schon
in ziemlich reiner slorakischer Sprache heraus.' Nach ihm
dauerte wieder jene Sprachverwirrung fort, welche die slovald-
schen Katholiken TOn den Protestanten trennen sollte, und gegen
Ende des Jahrhunderts ward diese Trennung schon zu einer
auegeprägten und bewussten Tendenz. Dieselbe befestigte Jos.
Ign. Bajza (1754 — 1836), dessen literarische Thätigkeit in die
Erinnernug. ^aHk zählt im ganzen gegen 2,750000 Slovakeii, davon l,9fi0000
Katholiken aa<l gegen 800000 Protestanten. Czörnig redacirt (mit Unrecht)
die ganze Zahl anf 1,780000. Nach den „Statist. Tabellen" Kur eUuu^;»-
phiechen Karte de« Peterab. Slav. ComiteB gibt es im ganzen an 2,980000
Slovaken, wovon an 1,580000 Katholiken und 640000 Protestanten- Swinek
(Die Slovaken, 2. Aufl., S. 13) zählt im ganzen gegen 3 Millionen SloTikes,
davon 2Vi Millionen compacte Bevölkerung, aber in der Zählung nach dem
OlaubensbekenntnisB (S. S3] findet sich irgendein sonderbarer Fehler.
' Es ist interessant zu vergleichen, daas zu Anfang der Eecbtsohen
RenaiBSanoe, schon in unserm Jahrhundert, die Cechisohen Patrioten die-
selbe Frage: „I>t die 5echisohe Sprache hnssitiech?" zu stellen nnd äanat
zu antworten hatten. S. die Memoiren Jungmann's im Cacopis, 18T1,
B. 273.
' „Chleby prvotin neb käzani na nedJle cel6bo roku"(,3rote derEnt-
linge oder Predigten auf die Sonntage des ganzen Jahres", Tjmaa 1716)-
Ueber die Sprache dieser Predigten vergl. Slovnik Nsn^n^, a. v. Beraottk;
Pii, in Slav. Sbomik, 1,119.
ü,g :.._.. ..Google
Der Beginn der Spaltnog mit den Öeohen. 313
Jahre 1783— 1'?20 fällt'; Georg Fandly (Juro F.), auch ein
katholisclier Priester, welcher Fredigten, historische UDd wirth-
schaftliche Bücher a. B. V. Bchneb^; aber vor allen Anton Berno-
läk (1762 — 1813). Er war katholischer Priester nnd schrieb in
slovakischer Sprache nur zwei, drei Werke, hatte aber hauptsäch-
liche durch eine Keibe grammatiEcher Arbeiten Einfiuss^ welche
die sloTakiBche Sprache der kathoÜBchen Schriftsteller regel-
recht fiziren sollten. Er rerfasste auch ein grosses slowakisches
Wörterbuch, das erst nach seinem Tode herausgegeben wurde.
Die Yon ihm auf solche Weise festgestellte und mit dem Na-
men Bernola^ina bezeichnete Schreibweise war eine Zeit lang
sehr verbreitet. Diese Bestrebungen, eine besondere Literatur-
sprache zu schaffen, begegneten überhaupt grosser Unterstützung
in der katholischen Geistlichkeit; die Grammatik Bernoläk's
wurde zur Grundlage genommen. Im Jahre 1793 bildete sich
zu Tyrnau ein katholisch -literarischer Verein mit dem Zweck,
Bücher in der neuen Sprache herauszugeben, deren Kauf für die
Mitglieder des Vereins obligatorisch war. Im Gegensatz zu ihm
bildete sich zu Pressburg ein Verein von Protestanten, von dem
weiter unten die Rede sein wird; übrigens zerfiel der Tyrnauer
Verein noch vor dem Tode Bernoläk's. Aus der Zahl der ka-
tholischen Geistlichen, welche den Fnsstapfen Bernoläk's folgten,
seien noch erwähnt Adalbert Anton Gazda (gest. 1817), Franzis-
kaoeTmÖnch und Prediger, der einige Predigtsammlungen heraus-
gab*; der Kanonikus zu Gran, Georg Palkovii (1763 — 1835), ein
grosser Protector der Anhänger Bernoläk's, der ihre Bücher ber-
> Rene mladenoa prihodi a akuAenosti (1T83); Slovenskä dvojuäsobnä
epigTBiDat& (SlovakiBche dopp eis innige Epigramme, 1794); Vesele üCinky a
reCeni (Fröhliche Thaten und Reden, 1795) u. b. w.
* D&vemä zmloava mezi mniohom a diablum o pi^^nich potatkaoh etc.
reholiüiukich („Yertraulichea Gegpräch zwischen Mönch und Teufel über die
ersten Anfange n. ». w. der Ordeueleute", 1789); Z JiHbo Fapänka HiBtorie
gentia Slavioae vytab („Anazug aaa Georg Pap&nek'a Historia geutia Slavicae",
1795); Frihoduä a sväteGn6 k&zne („Gelege Dheita- und Feiertagspredigten",
1795).
• Diaaertatio philologico-eritica de literis Slavorum jPoBonii 1787; und
dabfii: Linguae alavicae per regnum Hungariae usitatae orthographia); £ty-
mologia vocum alavicaniro (1791); Granimativa alavioa (1790, dabei eine
Sammluug von Sprichwörtern, aua DoleJal nnd von B. selbst gesammelt).
' FmctoB maturi, t. j. Zrale ovoce (179S); Hortua florum, t. j. Zahrada
kvetni (1798) u. s. w.
.....Gooj^lc
314 Fnuftes Kapitel. IL Die Slovakea.
ausgab uDd selbst eiae Uebereetzung der Bibel nach derVulgata
anfertigte'; Alexander Radnay (de Rudna a Divek UjEaln,
1760 — 1831), seit 1819 Füretpriiuas von Ungarn, der ebenfollB
die slovakische Nationalität beschützte und Predigten in slova-
kischer Sprache schrieb; unter seiner Mitwirkung wurde das
wichtigste Werk von Bemoläk herausgegeben, das nicht bei
Lebzeiten des Verfassers gedruckte slovakische Wörterbuch.'
Aber der bedeutendste katholische Schriftsteller, der schon als
ein Ruhm des ganzen Volkes gilt, war Johann Holl^ (1785—
1849). Er besuchte die katholische geistliche Schule und beendete
seine theologischen Studien in Tjmau; 1808 wurde er Priester
und verbrachte einen grossen Theil seines Lebens in Hadunic«
an der Waag, wo er sich buchstäblich im Schose der Natur,
unter einer Ungeheuern Eiche im benachbarten Hain, seinen
Phantasien und der Poesie hingab. Die Reibe seiner Werke be-
ginnt mit einer kleinen Sammlung von Uebersetzungen aus clas-
siscben Dichtem und mit einer Uebersetzung von Virgil's Aeneide.'
Im Jahre 1833 erschien sein erstes selbständiges und hauptsäch-
lichstes Werk — die heroische Dichtung „Svatopluk" (,^., wi-
Cazskä Basen w dwanästi Spewoch"). Im Jahre 1835 fo^te eine
epische Dichtung in sechs Gesängen, „Cyrillo-Methodiada".
Einzelne Dichtungen HoUy'S wurden im Almanacb „Zora", wel-
cher vom Jahre 1835 an erschien, gedruckt. Im Jahre 1841 — 12
erschien eine vollständige Sammlung seiner Werke, herausgegeben
von einem damals in Pest wirksamen Kreise von Liebhabern^;
' Svatä piemo Btar^ho i Dovebo zakona, podlft obeonebo latinakSho, od
HV. Bimako-Katoliobej cirkvi potvrd'enebo b prirovninim grtmtovnilio tekatu
(I, Gran 1829; II, 183?).
' Slovar Slovensky, Cesko-Latinsko-Kßmeeko-UherskJ: Ben lifliioon
Slavicum Bohemico-Latino-Germanioo-Ungarionm autore Ant. Bernolü,
nobili PftiinoDio SaUniczeDsi |Budae 1825—27, 6 Bände).
' „HoüliEne Bäafie Herdineke, ii^legiacke a Liricke t Wirgili», TeokriU,
Horoera, Owidia, Tirtea aRoraoa" („VerBuhiedene Gedichte, epische, lyriMbe
aus Virgil etc.", Tyrnau 1824); „Virgiliova Eneida" („VirgU'a Aeneis", Tf
nau 18:J8) — beide Bücher in Bchwabaeher Schrift gedruckt, wie auch die
folgende Dichtung. Sie alle wurden auf Kechnang eines „gewiteen Frenn-
tles der Bluvakisoben Literatur" herausgegeben. Es war dies der KiDDuikag
Ueoi-g Falko Vit.
< Basfie Gana Holleho. Widane od Spolka MUow&ikow ReCi a Liten-
luri Ölowenskeg, TVe itirooh zwazkocb (Pest 1841 — 42. Mit einer Bio-
graphie des Schriftstellers).
...., Google
Joli. Holiy. 315
darin wurde auch der metrische „Katolicki Spewnik" („Katholi-
sches Liederhuch"), der zu gleicher Zeit auch besonders heraus-
kam, aufgenommen. Im Jahre 1846 erschien von ihm eine
zweite Sammlung gereimter geistlicher Lieder. 1S63 kam eine
Sammlung ausgewählter Werke HoU^'s heraus, die von J. Vik-
torin Teraostaltet und dem „Andenken der 1863 vollzogenen
tausendjährigen Jubelfeier der glücklichen Ankunft Cyrill's und
Method's in den slovakischen Ländern" gewidmet war.'
Jobann Holl^, der bekannteste Name der slovakischen
Poesie, ist eine sehr charakteristische Persönlichkeit der sla-
viscben Renaissance. Sein ganzes Leben brachte er in der
stillen Umgebung seiner bescheidenen Landpfarre zu; aus der
Mitte des Volkes hervorgegangen, verliess er niemals sein
Land; er hatte keine andere literarische Bildung als diejenige,
welche die geistliche scholastische Schule bot, — daraus erklärt
sich die Manier seiner Poesie. Seine Stellung als katholischer
Priester gab ihm geistliche Lieder ein; aber danach herrscht
in seiner Poesie das Gefühl der Kationalität vor, in der Gestalt
jenes phantastischen national-slavischen Patriotismus, den wir in
der neuem öechischen Literatur besprachen und dessen höcli-
ster Ausdruck die „Slavy dcera" war. Für Holly war diese
„Släva", die fingirte Mutter des gesammten Slaventhums, fast
ein reales Wesen und keine romantische Abstraction; seine Poesie
ging nicht aus dem idealen Kreis dieser „SMva" heraus und
war fast ausachliesslich gerade auf die ersten Jahrhunderte des
Slaventhums gerichtet, welche dabei zugleich die ersten Jahr-
hunderte seiner Heimat waren, die einzigen ihrer nationalen
Selbständigkeit, Sein Land gilt ihm für den Mittelpunkt des
Slaventhums und seine Landsleute für dessen reinste Vertreter.
£r blieb denn auch in diesem Kreise: die zeitgenössischen Bestre-
bungen, Sorgen und Leiden des Slaventhums ezistiren gewisser-
maesen für ihu nicht; sein slavischer Patriotismus spricht sich,
wie bei Eollär, in Reminiscenzen aus, in der Personi£cirung der
„Sl&va" — der Mutter, welche über den Untergang ihrer Söhne
weint Solcher Art ist z. B. die „Trauer der Mutter Släva"
(„Pläß Matky SUvy")-. Die Mutter Släva klagt über den Verlust
ihrer zahlreichen Kinder, welche nicht nur die Gebiete des Bal-
tischen Küstenlandes besetzten, wo sie von den Deutschen ver-
> Jana Holläho Spisy bianiokä. So Üvotopisom u. s. w. (Peet 1863).
816 Fönfteg Kapitel. 11. Die Slovaken,
schlungen wurden, Bondem auch (nach der etwas problematischen
Uebei-zeugung patriotischer Alterthumsforscher jener Zeit) das
Rheingebiet, Belgien und Britannien. Die Mutter Släva denkt
an die für sie fröhlichen Zeiten jener Fülle ihrer Söhne nnd
weint über ihr folgendes Schicksal, — aber aie kennt die Ur-
sache dieses Schicksals: sie gingen unter, weil sie gutherzig,
friedlich, gerecht waren, weil sie nicht Kampf und Gewaltthat
liebten. Das Leben der alten Slaven stellte sich dem Dichter
als ein friedliches Idyll dar; sie waren bedrängt, weil ihre
Feinde schliniine Gewaltmenschen waren. . . . Dieser Inhalt
mag als zu naiv erscheinen; aber damals liebte man es im west-
lichen Slaventhum, sich diese Idylle vorzumalen: die neu begon-
nene nationale Poesie wandte sich an ein Publikum, welches
kaum der Naivetät der Volksmasse entwachsen war, nnd war
ihm Terständlich ; in dieser naiven Poesie tönte aufrichtige Liebe
zu allem Volksthümlichen , zur Einfachheit und Gerechtigkeit
durch. Die Form der Poesie HoU^'s war die Frucht seiner Bil-
dung: in den Classikem erzogen, nahm er in Bausch und Bogen
die Form der classischen Epopöe Homer^s, Virgil's und die
Klopstock's an: er schrieb seine Dichtungen in „Gesängen", sein
Vers war der Hexameter nnd Pentameter und vereinzelt — an-
dere classiscbe Metra.' Aber so gekünstelt und in der Form
verfehlt auch die Poesie Holl^'s war, sie wurde zu einem cul-
tarhistorischen Factum als eine Aeusserung des allgemeinen naä
localen slavischen Patriotismus: sie wurde gleichmäseig von bei-
den Parteien der slovakischen Patrioten anerkannt, den Katho-
liken und Protestanten: Holly wurde ein nationaler Dichter.
Wir kehren zur protestantischen Seite zurück. Die Rich-
tung Bernoläk's hatte, wie wir gesehen haben, specifisch -katho-
lische Charakterzüge: sie erkannte für die Slovaken die fechiscbe
Literatursprache nicht an, mit der sich die Traditionen desHas-
sitenthums und Protestantismus verknüpften und fortsetzten.
' Die LnndBleate des Dichters finden , daas Holl^ „Klopttock äberinß
Kowol im Inhalt seiner Gudichte als auch in der Form denelben, indein
er iich in dieser Bczieliuug Yirgil nähere, zuweilen sogar Hone'*
(Sliiv. Shornik, I, 138). Diese raralleÜairung, weither dann weiterhin
ilureh Vergleichungen hewieaen wird, bringt freilich in sonderbar« Weiw
Dinge zusamnien, denen nichts weiter gemeiDsam ist als die entlebnl«
Anssenseite.
...., Google
Boh, Tsblio. 317
Wie man von katholiBcher Seite die Schreibweise Bernoldk'e zu
verbreiten wünschte, so bestanden die protestantischen Slovaken
aaf der Aufrecfaterhaltuug der £echischen Ueberlieferung. Es
bildeten sich zwei bestimmte Parteien. Die Protestanten be-
fürchteten, dass die Trennung in der Literatur für beide Seiten
eine schädliche Schwächung der nationalen Einheit sein werde,
imd traten ihrerseits zu einer „Gesellschaft der 5echo-slovaki-
schen Literatur und Sprache" in Pest zusammen, mit der Ab-
sicht, die Reinheit und Einheit der (echo-slovakischen Literatur-
sprache zu bewahren und Volksbücher herauszugeben. Dies war
im Jahre 1801: die Haupturheber der Sache waren Tablic, Ha-
maljar, Bartbolomaeides , Godra und andere. Die Gesellschaft
hielt sich nicht lange infolge der damaligen unruhigen Verhält-
nisse sowie auch persönlicher Zwiste, aber das Resultat ihrer
Bemühungen war die Gründung eines Lehrstuhls der ^echo-slo-
vakisf^en Sprache am Lyceum zu Pressburg, der dann eine
Stütze der slovakiBchen Literatur wurde. Im Jahre 18J2 grün-
deten einige Patrioten (derselbe Tablic, Loviö, Rybay, Szeberinyi)
eine zweite literarische Gesellschaft — „Der Bergstädte", mit den
frühem Zielen; auch sie bestand nicht lange, gab einige Bücher
heraus und gründete einen Lehrstuhl der ^echo-slovakischen
Sprache zu Schemnitz. Den Lehrstuhl zu Pressburg nahm 1803
eip später bekannter Förderer der (echo-slovakischen Literatur,
eiD (zweiter) Georg Palkoviö ein.
Bohuslav Tablic (1769—1832), evangelischer Prediger, stu-
dirte an LaudesBchulen , dann in Jena. £r war einer der thä-
tigsten Schriftsteller bei den Slovaken in öechischer Sprache.
Ausiier moralischen, kirchlichen wie auch dem Volke praktisch
nützlichen Schriften waren seine Hauptwerke: „Poezie" (Waitzen
1806 — 12, vier Theile) — eine Sammlung von Gedichten; diese
aiod schlecht, aber das Buch hat grossen Werth wegen seiner
Beilagen, welche Nachrichten über slovakische Schriftsteller vom
16- Jahrhundert bis zu Anfang des 19. enthalten'; eine eben-
solche literarhistorische Bedeutung haben die „Slovensti VerSovci"
(„Slovakische Dichter", Skalitz 1805, Waitzen 1809, zwei Theile),
eine kleine Sammlung aus den Werken alter slovakischer Schrift-
' „Erinnerungeii dn die iecho-slovakiachen Dicliter, welche ia Ungarn
geboren wurden oder wenigstens dort lebten" („Pameti öeBkoBlovanBkych
bÄamtftv äto.'*)
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318 Fünftes Kapitel. II. Die Slov&ken.
steller. Später gab Tablic auch eine Uebersetzung von Pope's
„Versuch über den Menschen" und Boilean's „Poetik" herauB.
Tablic faad eine Stelle in der Dichtung Eollär's (Sl^v; Dcen,
Lethe, die Sooette 48 — 49, der ganzen Folge Sonette 435 — 436):
Koll&r verurtbeilt ihn , dasa er, obgleich ein reicher Mann , nichts l%r
die BDdung aeinea Volkes renuacht habe. In den Comnientaren za
Beiner Dichtung erklärt Kollär diese Verurtheilung und bemerkt: „Tablic
war 6in grosser Freund des Yolkea, aber — auch des Geldes. Wemi
jemand, so konnte er ein ewiges Andenken bei den Slovaken uai Cecben
hinter! aa Ben." Das Vennägen Tablic's ging in die Hände seiner magya-
riadien Verwandten aber; in ebendiesen Uändea soll auch seine grosse
cecho-sloTakiscbe Bibliothek untergegangen sein. Vergl. Hnrban, Po-
hl'adi, I, 92—95.
Georg Palkovifi (1769 — 1850; zu unterscheiden von dem
oben genannten Kanonikus Palkovif), ein protestantischer
Slovak, studirte an den Landesscholen , dann in Jena; nach
Hause zurückgekehrt, wurde er Lehrer und erhielt, wie oben
erwähnt, im Jahre 1803, den zu Pressbui^ errichteten Lehr^
etuhl der Öecho-slovakischen Sprache und Literatur. Diesen
Lehrstuhl hatte FalkofiÖ bis 1837 inne, wo er ihn zeitweiUg
an Stör abtrat — und er trug nicht wenig zur Ansbreitung
der elavischen Studien in jener ersten Zeit der „Renaissance"
bei. Er schiieb sehr viel (unter anderm belehrende und prak-
tisch nützliche Bücher für das Volk) und war der eifrigste Ver-
theidiger der fiechischen Ueberlieferung, — bis zu dem Grade,
dass er mit den Cechen selbst hartnäckig stritt, indem er die
Reinheit der altÖechischen Sprache gegen jede sie störende
Neuerung vertheidigte. Die Norm für PalkoTi6 war die Sprache
Veleslavin's, und er trat im Verein mit den Cechen Hnßykorek^
und Nejedl^ gegen die neue Schule in die Schranken, welche
Neuerungen in der Sprache und Rechtschreibung einführte, —
insbesondere gegen Jungmann. In der Folge vereinte sich jedoch
Palkoviö mit den Cechen der neuen Schule, um gegen die Be-
strebungen, eine besondere slovakische Literatur zu gründen,
aufzutreten. Am bekanntesten sind seine folgenden Werke: ,rDie
Muse von den slovakiscben Bergen" („Muza ze slovensk;^cb bor",
Waitzen 1801), eine Sammlung von Gedichten; „Vaterlandskunde^
(„Znämost vlasti uherak^", Fressburg 1804, nur der 1. Theil)
in Versen; 1812 — 18 gab er den „T^dennik" („Wochenblatt"),
ein kleines volksthümliches Journal, heraus; 1832— 47 ein zweites
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§s£iJrik. KoU&r. 319
Journal — „Tatranka", eine periodische Schrift Terschiedeoeii
Inhalts „für Gelehrte, Uebergelehrte und Ungelehrte", an der
1840 Stür und Hurban mitwirkten. Im Jahre 1808 gab er in
neuer Revision die fiecbische Bibel heraus. Endlich war ein sehr
wichtiges Werk für seine Zeit das böhmisch-deutsch-lateinische
Wörterbuch mit Hinzufügung tob mährischen und slovakiachen
Idiotismen. *
Eine besondere Anregung des Nationalgefiihls bei den Slo-
vaken wurde durch zwei Schriftsteller hervorgebracht, welche,
beide Slovaken von Geburt, damals die kräftigsten Arbeiter auf
dem Gebiete der ganzen slavischen Renaissance wurden. Dies
waren Kollar und SafaHk (slovakisch: Safarik). Die slovakischen
Historiker bemerken nicht ohne Grund, dass zur Entwickelung
dieser allgemeinen nationalen Richtung bei beiden der Einflns&
jener Reinheit und Unmittelbarkeit gewirkt habe, in der sich das
slaviscbe Element in ihrem heimatlichen Stamme erhalten hat.
In der That, die Slovaken, welche seit den ältesten Zeiten ihre
politische Unabhängigkeit verloren hatten, blieben doch in einer
vereinsamten Lage, bei der sich, besonders in den Gebirgsgegen-
den, viele Eigenschaften des Charakters und des Lebens unberührt
von dem EinÖuss fremder Stämme, der besonders bei den Oechen
so stark in die Augen fällt, erhalten konnten. Die Abwesenheit
jedes Gedankens an die Möglichkeit einer gesonderten politischen
Existenz bewirkte es, dass sich das nationale Streben der slova-
kischen Patrioten leicht in eine Idealisimng des Slaventhums
überhaupt verwandelte: sie hatten nicht wie andere Stämme eine
Vergangenheit, etwas historisch Denkwürdiges, was sie vernünf-
tigerweise hoffen durften zn restauriren, und die ganze Glut des
nationalen Gefühls, welche sich bei den andern eben hierauf
richtete, wandte sich bei ihnen an einen idealen Patriotismus,
an ein gesammtslavisches Vaterland, an den Panslavismus — in
dem oder jenem Sinne oder Umfang. Wir erwähnten, dass
bei den slovakischen Gelehrten lange vor Beginn der eigent-
lichen „Renaissance" Ideen dieser Art auftauchten. Genau so
traten in neuerer Zeit die charakteristischsten Panslavisten ge-
' Böhuiech- deutsch- lateiuBohes Wörterbuch mit BeÜti^ng der äen
Slovaken uud Mähreru eigenen Auedrücke und Redeuaarten (Prag 182U;
Freaaburg 1821, 2 Theüe). — Wir verzeiobneo noch eine deuteehe Schrift:
„Beetreitung der Neuerungen ia der böhmischeo Orthographie" (1830).
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320 Fanftes KapiteL 11. Die Slovaken.
rade bei den Slovaken anf: Kollär, dessen „Sl&Ty Dcera" und
„Slavische WechBelBeitigkeit" in der geBammten elarischen Welt
widerhallten, — als fast die einzige, wahrhaft geBammtslaviscbe,
poetische Kestauration der nationalen Einheit; Safafik, der in
ebenso gesammtslavischer Weise das slavische Alterthum restau-
rirte, eine Geschichte der elavischen Literatur sammelte und
die Elavischen Stämme ethnographisch zusammenzählte: — dahin
gehört auch, etwas später, der Panslavist Ludevit Stür, von
welchem weiter unten die Rede sein wird.
Weder Eoll&r noch Safarib dachten überhaupt au eine be-
sondere slovakische Literatur; dem einen wie dem andern er-
schien das BlovakischotfflUt nur als ein Theil des Öechischen
Stammes. SafaHk spricht sich in den Briefen an Eollar, 1821 —
28, mehrmals gegen eine Absonderung der slovakischen Literatur-
sprache Ton der £echischen aus^; er erinnert an die enge Ver-
bindung der Slovaken mit den öecben in Religion und Sprache
zu den Zeiten des Hussitenthoms, — ebendeswegen hielten sich
die evangelischen Slovaken bis heute noch an die öechische
Sprache, und die Katholiken verwürfen sie^; auch er zieht die
alten Verbindungen vor. Eine Absonderung der slovakischen
Literatur kam ihm schon deshalb nicht in den Sinn, weil er
überhaupt sehr dunkel in die Zukunft seines Stammes sah.*
Nichtsdestoweniger trugen gerade die Arbeiten Safafik's und
Eollär's zu den separatistischen Bestrebungen der slovaklBchen
Patrioten bei. Sie wirkten nicht blos auf das gesammtslaviGche
1 S. „ÖMopis", 1873, 3. 121-132.
' „Im 16. Jahrhundert waren bowoI die Cechen als niuere Slovaken
zugleich neu- oder rechtgläubig. Das ist ein teures Asdenkeiil Ei itt
nicht zu verwundern, daae sich auch heute noch die evangelischen Slovakeo
inr Eechiscben Sprache halten, die Katholiken sie vemerfenl Freilich iat
das gediegene Cechiach ans dem 16. und 16. Jahrh. hoBsitisch-evangeliBch."
Ebcnd, S. 389.
* „Ich habe keinen Grund", sagt er in einem Briefe vom Jahre 1SS4,
„vor meinen wahren und anfrichtigen Freunden zn verheimlichen, was klar
vor meinen Gedanken und meiner Seele eteht, d. i. dass ich nicht die ge-
ringste Hoffnung habe, es werde jemals unter untern ungarischen Slo-
vaken besser werden. Meintm Herzen ist ea sehr schmerzlich, dass ich
diese Oeberzeugung durch keine Erwägung widerlegen kaunj was ich auch
in Gedanken dagegen vorbringe, alles wendet eich zn ihrer BesUtigung-
— Wenn ihr anders meint, wohl ench, wohl euch; ich kann mich leider
niemals mit euch in diesem Glttcke vergleichen." Ebend. S. 388.
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J. Koll&r. E. Ktum&ny. 321
Gefühl, — welches besondere die Dichtung KoUär's weckte,
Bondem anch aaf den slovakisclien Localpatriotismus. In der
ersten Zeit hegte SafaHk selbst den Gedanken einer grössern
Besonderheit seines Stammes. In der „Geschichte der slavi-
echen Literatur" widmete er einen besondem Abschnitt der
Geschichte, Sprache und Literatur der Slovaken; ohne für sie
eine besondere Literatur zu fordern, verlangte er doch, dass in
der mit den Cechen gemeinsamen LiteraturspracLe den Eigeo-
thümlichkeiten des slovakischen Idioms gebührende Beachtung
geschenkt werde.* Safarik und Kollär kommt auch das Haupt-
Terdienst in der ersten Erforschung des slovakischen Volksthums
ZQ. Oben sagten wir, dass eine der ersten Arbeiten Safarik's zur
Erforschung des Slaventhumg eine Ausgabe slovakischer Lieder
war (1823 — 27), die später von Kollär neu herausgegeben und
sehr vennehrt wurde (1834—35).
Im Verein mit Safarik und KoU^ vrirkte Karl Eozminy
(1806 — 66), einer der verdientesten slovakiBcben Patrioten. Nach-
dem er zu Hause, dann an deutschen Universitäten studirt, war
er später Professor der evangelischen Theologie an der wiener
Universität und Superintendent des Pressburger Kreises und
nahm eifrigen Antheil an den politischen Angelegenheiten und
der Literatur seines Volkes. Er schrieb viel fiir das Volk und
gab 1836 — 38 in decfaiscber Sprache zu Neusohl ein kleines
Journal „Hronka" heraus, wo unter anderm zum ersten mal die
Abhandlung Eoll^'s über die slaviscbe literarische Gegenseitig-
keit erschien.
In den dreissiger Jahren begann, -wie wir oben erwähnten,
die nationale Bewegung der Magyaren sich besonders zu kräfti-
gen, und parallel damit taucht die nationale Reaction auf: wie
es zu jener Zeit bei den Berbo-Kroaten geschah, so begann jetzt
eine besondere Bewegung auch in der slovakischen Literatur.
Die nationalen Theorien der „Renaissance" waren ihr günstig.
Nachdem die slovakischen Patrioten die Vertbeidigung der natio-
nalen Rechte ihres Volkes übernommen, begnügten sie sich
schliesslich nicht mit dem iechischen Slaventhum ihrer Literatur,
and begannen auf ihrem specifisch slovakischen Charakter zu
bestehen, — wollten nicht „Cecho-Slovaken" sein, sondern ein-
' S. die Vorrede zu „Pjeni gwStBke" („Weltliote Lieder", 1828) und
„Ge«chichte der tlav. Sprache und LiterBtnr", S. 389—890.
PiPiK, BUTliohe Lltsratuira. 11,3. 21 , . ,
ü,g :.._.. ..Google
322 FünftBH Kapitel. II. Dia SloVaken.
facb und auBHchlieBslidi Slovaken. So wurde der früher von ka-
tholischer Seite proclamirte Separatismae jetzt auf andern Grund-
lagen auch TOD den Protestanten verkündet.
Anfangs hielten sich die protestantisch -slovakischen Patrio-
ten noch an den ftüheru iecho-sloTakischen Boden und erst
später, als die Bewegung selbst stärkere Wurzel im Fablikum
zu fassen begann, suchten sie für dieselbe auch eine rein volks-
thümli che Form zu finden, und gelangten zum literarischen Sepa-
ratismus.
Unter dem Einfluss der Anregung, welche die Arbeiten Kol-
Mr's und SafarCk's brachten, begann sich in der jungen Genera-
tion der Sloraken Interesse an der Erforschung des Slaveathums
zu entwickeln. Mit Ende der zwanziger Jahre bilden sich an
den Lyceen und Gymnasien unter der Jugend literarische Ver-
eine; der hauptsächlich ste war der, welcher bei dem slaTischen
Lehrstuhl zu Pressburg errichtet wurde; andere waren in Leut-
Echau, Eperies, Käsmark u. a. Jene Pressburger Gesellschaft
hinterliess insbesondere ihre Spur in der Entwickelung der slo-
vakischen Literatur. Die Mitglieder des Vereins, aus der akade-
mischen Jugend bestehend, beschäftigten sich unter Leitung Pal-
koTÜ's nicht nur selbst mit dem Studium des Slaventhums, sondern
bemühten sich auch um Eröflnung anderer solcher Vereine und
unterhielten mit ihnen Beziehungen. Die Verschiedenheit des
Bekenntnisses trennte schon die jonge Generation der Patrioten
nicht mehr.
Zu derselben Zeit sammelte das Interesse an der Literatar
die Slovaken auch ausserhalb der Schule in Vereine. Dahin ge-
hört die literarische Gesellschaft, welche 1834 zu Pest von dem
slovakischen Patrioten Martin HamuljÄk (1789 — 1859) mr
Ausbildung der slowakischen Sprache und Literatur gegründet
wurde. Der Zweck derselben rief grosse Sympathie in der
katholischen Geistlichkeit hervor; an ihr nahmen sogar 6i-
-schöfe theil, — obgleich der Protestant Koll&r Präsident der
Gesellschaft war. Dieselbe gab während ihrer zehnjährigen Exi-
stenz vier Bände des Almanachs „Zora" (1835, 1836, 1839, 1840).
eine Sammlung der Werke Holl^'s u. a. heraus. Mitarbeiter ao
der „Zora" waren HoU^, Hamiilj&k, Godra, Äello u.a.* Die
■ Letzterer gab auoh besouderB vierBäbdcben eigener Oedichle her«»:
„B&«dS od Ladowjta 2ella" (Peat 1642; in £echischer Sprache). & irt din
LiterariHche GeBellschaften. 323
preasburger Studenten (Samo Ghalüpka, Ludevit Stür, M. Hodäa,
Groesmann a. a.) gaben auch eine Sammlung eigener Gedichte
heraus: „Früchte des GoetuB der Schüler der äecbo-slovakischen
Sprache in Pressburg" („Plody etc.", 1836) wieder im pansla-
vistischen Geiste KolUr'B.
Inzwischen verdächtigten die Magyaren, die damals hartnäckig
ihre eigene Propaganda führten, die sloTakische Bewegung und
im Jahre 1837 hob die Stattbalterei die studentischen litera-
rischen GeBellschaften auf. Sie hörten formell auf zu beBtehen,
aber die slovakische Jugend ging auch femer in dieser Richtung
vor, geleitet von eifrigen Patrioten. In Pressburg wurde 1837
zu Palkovifi's Adjunct der später berühmte Ludevit Stur er-
nannt, der zu den Hauptkräften der eben aufgelösten GeBell-
schaft gehört hatte; als er sich 1838 zur Vervollständigung seiner
gelehrten Bildung nach Halle begab, vertrat ihn zeitweilig, 1838 —
39, ein anderer Patriot, Pravoslav Öervenäk; im Jahre 1839 kam
Star zurück. Zu Leutschau wirkte in ähnlicher Weise der Pro-
fessor Michael Hlavä^ek u. a.
Benjamin Pravoslav Gervenäk (1816 — 43), welcher in der Heimat,
dann in Halle studirt«, war einer der wärmsten Anhänger aeiner Na-
tion. Von seinen Werken wurden herausgegebeii: eine Schrift Über
Kirchengeachichte, aus dem Deutschen umgearbeitet und mit der slavi-
sdien Kirchengesciuchte vervo 11 stand igt (herausgegeben ohne seinen Na-
men, 1842), vor allem aber „Zrcadlo Slovenska" („Der Spiegel des Slo-
vakenlandes"), in cechischer Sprache nach seiuem Tode von M. Hurban
heranagegeben (Pest 1644) mit ausführlicher Einleitung und der
Biographie Gervenitk's. Handschrift blieb eine Geschichte dee Slaven-
thnms, welche von ihm fttr den Unterricht in Pressbiirg verfaast wurde.
Der „Spiegel" enthält Nachrichten über die älteste Periode der Slovaken,
über die alte heidnische Mythologie, eine kurze Ueberaicht der weitem
-Geschichte, Bemerkungen über den Charakter der Slaven und speciell
der Slovaken, endlich Aber die Lage der letztern in neuerer Zeit unter
dem Druck der Magyaren. In dieser letztem Abtheilung (S. 98 — 126)
finden sich interessante Angaben, die dem Historiker der Slovaken zum
Bilde der damaligen Verhältnisse dienen kdnnen.
Im Jahre 1840 gaben die Mitglieder des literarischen Zirkels
zu Leutscbau, unter Leitung von Hlaväfiek, einen kleinen Alma-
nach heraus, worin Proben ihrer literarischen Arbeiten gesammelt
der Hauptsache nach eine zuweilen ziemlich gelnngeue Wiederholung der
patriotischen und pauukvistiauhen Themen Kollär's.
üi^i?.., Google
S24 Füuftea Kapit«t. II. Die SloTtaten.
waren („Gitrenka 6ile w^boni^gäi präce uiencfi Cesko- Stören-
sk^cli A. W. LewoCskJch"): auch diesmal waren die Gedichte
der Studenten voll Äeusserungen über slavische Brüderlichkeit,
Gegenseitigkeit, künftigen Ruhm. Die magyarischen Zeitungen
sahen darin Erregung von Haas gegen das Magyarenthum and
Drohung, Graf Zay schritt officiell ein, mit formellen De*
Bchuldigungen gegen die leutscbauer Professoren. Daraas ging
eine ganze Polemik hervor, welche in magyarischen und deut-
schen Zeitungen und Broschüren geführt wiirde; seitens der Slo-
vaken traten darin insbesondere Caploviö, Stür, Hodia, Hurbao
auf. Ueber Stür ward 1843 eine Untersuchung Terhängt and
er wurde seines Lehrstuhls enteetzt. Die sloTakischen Studen-
ten bemühten sich um seine Kiickkebr, verliessen, als ihre Be-
mühungen fruchtlos' blieben, Pressburg, siedelten nach Leutschan
über und traten hier wieder zu einem literarischen Verein zu-
sammen; doch wurde auch dieser bald von den Behörden auf-
gelöst. Nach einiger Zeit reichten die Studenten der pester
Universität dem Statthalter eine Bittschrift um Errichtung eines
Katheders der slavischen Sprachen ein; die Bitte blieb natür-
lich unerfüllt und gegen die Studenten, die jene Frechheit be-
gangen hatten, ward eine Untersuchung eingeleitet.
Unter solchen Bedingungen waren besondere Anstrengungen
zum Kampfe mit dem Magyarenthum erforderlich, und die Thätig-
keit der Patrioten nahm besonders zwei Richtangen: einerseits
wurde, soweit möglich, ein offener politischer Kampf gegen die
magyarischen Frätensionen, von dem wir schon gesprochen haben,
geführt, die Vertheidigung des eigenen Rechts bei der wiener
Regierung, welche sich als machtlos erwies, und in der deutseben
Presse (die Broschüren von Stür, Uod^ u. a.) betrieben; der Kampf
in den kirchlichen Angelegenheiten gegen die von Graf Zay vot>
geschlagene Union fortgesetzt u.s. w.; andererseits erwuchs defi-
nitiv das Streben, eine besondere Literatur in der slovakiscben
Volkssprache zu gründen. — Es ist bekannt, woran zuletzt die poh-
tiscben und nationalen Bestrebungen der Magyaren scheiterten.
Die slovakiscben Patrioten fühlten lange, dass sich die Dinge
zu einem revolutionären Zusammenstoss zuspitzten, und traten
gegen die magyarische Bewegung auf: obgleich die Losung der
magyarischen Bewegung die „Freiheit" war, und obgleich die
Slovaken selbst zum Tbeil Vortheil daraus ziehen durften (die
Aufhebung der Leibeigenschaft, die Freiheit der Presse), —so
ü,g :.._.. ..Google
Verfolgungen. 325
wurde doch im allgemeinen als Bedingung der Freiheit die Ma-
gysrisimng hingestellt. Die slovakischeD Führer standen auf
Seite der wiener Regierung >, und als die ungarische ReTolution
ausbrach, standen sie selbst — Leute der Literatur, Frofeesoreu,
Priester — an der Spitze des beiraffneteo Aufstaudes ihres Volkes
gegen die Magyaren. — Hierzu musste das Volk vorbereitet,
das Selbstbewusfitsein in den Massen geweckt, und um mit dem
Volke in einer ihm verständlichen Weise reden zu können, in
dessen eigner Sprache geredet werden — hierin liegt der Haupt-
grund jener separatistischen Bewegung, welche bei den Slo-
vaken toi dem Jahre 1848 scharf hervortrat und gegen welche
sich äechische Schriftsteller als gegen einen nationalen Verrath
erhoben.
Ohne in die Einzelheiten dieses politischen Kampfes einzu-
gehen , wenden wir ans zu den literarisch thätigen Männern,
die, wie erwähnt, häufig auch die politischen Führer waren.
Im Vordergrund steht der Name Ludevft Stiir's. Er ward
1815 zu Uhrovec im Trentschiner Comitat in einer evangelischen
1 Der erwühute Cerven&k schrieb schon im Jahre 1842: „Man sagt:
■werdet Magyaren, weil nnr damit unter udb Freiheit nnd Bildung er-
blühen wirdn, oder genauer zu reden, «nnr dadurch vermag eich Ungarn vom
österreichi sehen Hofe loamreiBBen und selbständig und berühmt in Eu-
ropa an werden». Aber aus allem geht klar hervor, dass die Magya-
ren diese Freiheit nur für sich haben wollen, weil es den Slowaken nicht
freisteht, etwas Aehnliches für sieb zu thun. . . . Aber aus allen diesen
Redereien geht nichts anderes hervor als nur das Eine, dass sich solche
Eiferer eine üngebnndenheit und eine Lage der Dinge wünschen, wo
keine Obrigkeit über ihnen wäre nnd kein Höherer nnd Stärkerer zur
bQrgerliohen Ordnung nnd znm Qehorsam anhielte. . . . Was sind das für
Frennde der Freiheit nnd der Bildung, die b. B. die Bearbeitung der slova-
kiechen Sprache nnd die slovakiscben Bücher so schel ansehen, welche die
evangelischen Slovaken und die Calvinisten gewaltsam uniren wollen und
zwar nur so, dass sie von Anfang an magyarisirt werden? — 0 erbärmlich,
erbärmbch ist diese Freiheit, schimpflich nnd ihres Namens unwürdig
die Selbständigkeit nnd kläglich die Bildung, welche nur durch Terratb
g^en das königliche, rechtmässig herrschende Haus, nur dadnrch bestehen
können, dass sechs Millionen Menschen (d. i. den nichtmagy arischen Be-
wohnern Ungarns) ihrer natürlichen, ihnen von Gott gegebenen, im Laufe
eines Jahrtausends von den Königen nnd der Landeabehörde unverletzten
und unter so viel Dnmhen, Erschütterungen nnd Schwankungen des Vater-
landes bisher soi^^ltig bewahrten Rechte beraubt werden!" (Zroadio,
S. 104—105).
.....Gooj^lc
326 Fünftes Kapitd, U. Die Slovaken.
Familie geboren, besuchte das GymnaBium zn Raab, dana das
preesbui^er Lyceum, wo sein ält«rer Bmder Karl, später eben-
falls als slovakiscber Patriot und Schriftsteller bekannt, femer
Samo Chalüpka seine Genossen waren, und wo etwas später
Hurban, Hodza und andere Förderer der slorakischen Wieder-
belebung studirten. Das pressburger Lyceum war, wie wir &<Aon
bemerkten, die Hauptpflanzschule der sloTakischen literarischen
und patriotischen Bewegung. Stür war eine feurige Natur und
wurde unter dem Einfluss der Werke SafaHk's und Kollär's eins
der eifrigsten Mitglieder des Pressburger akademischen Vereins.
In demselben (unter der Leitung von Palkovii) war zuerst Samo
(Jhalupka, dann Stür Vicepriisident. Im Jahre 1837 wurde er
Palkoviö' Adjunct auf dem Lehrstuhl, 1838—39 studirte er in
Halle, dann kehrte er nach Pressburg zurück. Er war die
Seele des Studenten -Vereins am Lyceum and erlangte einen
grossen Einfluss auf die slovakigche und serbische Jugend, indem
er in ihr das Nationalgefiihl weckte. Aber seine glänzende Pro-
fessur war nicht von langer Dauer; im Jahre 1843 war er schon
gezwungen, sie niederzulegen. Dies wendete ihn definitiT der
Literatur zu. Stür hatte schon früher an fiechischen Journalen
wie „Kvgty", „Vlastimil" und in slovakischen Publicationen in
iechischer Sprache wie „Hronka", „Tatranka" mitgewirkt. Jetzt
gab er zu Leipzig die oben genannten Schriften in deutscher
Sprache heraus zur Vertheidigung der Rechte des slovakiscben
Volkes gegen die magyarischen Angriffe, nahm thätigen Antheil
an dem neuen patriotischen Verein „Tatrin", der 1844 unter
dem Vorsitz Hod^a's gegründet wurde und sich zur Aufgabe
machte, mit allen gesetzlichen Mitteln die literarische und wirth-
schaftliche Bildung des sloTakischen Volkes zu fördern.' Der
Verein suchte die Protection der wiener Regierung, aber die
Verhältnisse waren so verwickelt und gespannt, dass die slovaki-
scben Patrioten nur mit grösater Mühe ihre patriotischen Unter-
nehmungen fortfuhren konnten. Schon in den ersten viersiger
Jahren bemühten sie sich um die Genehmigung einer slovakischen
Zeitung. Bis dahin hatten die slovakischen Patrioten kein ein-
ziges Organ zur Vertheidigung der Interessen ihrer Nationalität
gehabt: man musste deutsche Broschüren in Leipzig drucken, in
' Ueber den Tatrin s. Hurban, Pohl'adi 1851, II, H— 58; Hodla,
DobrDo hIovo Slovikoin, 1817.
...., Google
Luderit ätür. 327
die „Allgemeine Zeitusg", in kroatische Zeitungen schreiben;
aber wenn es auch auf diesem Wege möglieb var, theilveiEe den
Gegnern zu antworten, so war es doch unmöglich, das eigene Volk
mit der Lage seiner Sache bekannt zu machen. Eine Zeitung
in der eigenen Sprache war durchaus nothwendig. Stür erlangte
schlieBslich die Genehmigung, wenn auch mit manDichfacben Be-
schrenkungen, und vom August 1845 an begannen unter seiner
ßedaction die „Slovensk^ narodnie Novini" („Slovakische Natiooal-
zeitung"), mit der literarischen Beilage „Orol Tatranski" („Der
Adler von der Tatra") zu erscheinen. Als die Zeitung zu-
erst geplant wurde, hielten Stür und seine Freunde noch an der
cechiechen Büchersprache fest, aber in dem Verein „Tatrin"
wurde schon bald dieser Gegenstand verhandelt und die Patrio-
ten kamen zu der Ueberzeugung, dase es nothwendig sei, in
der Sprache des Volkes zu schreiben. Die „Slovenske Novini"
begannen in der Volkssprache zu erscheinen, wobei Stür den
frühem Tymauer Dialekt (der theilweise mit dem Öecbischen
gemischt ist) mit dem weit reinern slovakischen Dialekt seiner
Heimat , des Trentschiner Comitats , vertauschte. Ein Jahr
früher war die Volkssprache von seinem Freunde Hurban im
Atmanach „Nitra" (2. Band, 1844) angenommen worden.
Die Annahme der Volkssprache brachte zum Theil die eyan-
gelischen Slovaken der katholischen Seite näher: die Patrioten
beider Parteien versammelten sich gemeinsam im „Tatrin"; der
Dichter der katholischen Slovaken, Holl^, der in seinen letzten
Lebensjahren stand, sprach seine Befriedigung über die Bestre-
bungen des Stür'schen Kreises aus und segnete seine Unterneh-
mungen. Aber andererseits führte die Annahme der Volkssprache
zu einem feindlichen Zwiespalt sowol inmitten der Slovaken
selbst, als mit der fiechischen Intelligenz. Es sympathisirten
mit der Neuerung nicht: erstens sehr viele von den katholischen
Slovaken, welche für die „Bemolat^ina" eintraten oder es vorzogen,
in Freundscfaaft mit den Magyaren zu bleiben; zweitens verhiel-
ten sich feindlich dagegen die Patrioten der altem Generation,
welche die (echiscbeDlleberliefemngen und die öechische Bücher-
sprache festhielten ; endlich sahdie öechische Intelligenz hierin einen
wirklichen Verrath an der den Öechen und Slovaken gemeinsamen
nationalen Sache. Stür und seine Freunde hatten einen ganzen
Storm seitens der Öechen und ihrer slovakischen Bundesgenossen
auszuhalten, unter welchen gegen Stür selbst Kollär und Safafik
ü,g :.._.. ..Google
328 FüutieB Kapitel. II. Die Slovaken.
auftraten. Um seine Neuerung zu vertheidigen, gab Stür zwei
Schriften heraus: „Nauka reci slovenskej" ( „ WiaseuBchaft der
elOTakiBchen Sprache") und „Näreöje SlovenBkao alebo potreba
pisanja V tomto u. s. w." („Der Blovakische Dialekt oder die Noth-
wendigkeit, in diesem Dialekt zu schreiben", FreBsburg 1846).
Das Böhmische Museum gab gegen Star ein Buch heraus, wo zu
säiner Verurtheilung eine lange Reihe von Meinungen und Aeusse-
rungen alter und neuer Schriftsteller beider Stämme zu Gunsten
der literarischen Einheit der Cechen und Slovaken zusammenge-
tragen war, •
Aus dem, was wir über die Lage der Slovaken gesagt haben,
kann man theilweise ersehen, welche von den beiden Parteien
recht hatte. Schon in den zwanziger Jahren hatte SafaHk die
Nothwendigkeit anerkannt, in der 5echischeu Büchersprache der
Slovaken rein slovakischen Eigenthümlichkeiten Itaum zu ge-
wahren, um sie dem Volke zugänglicher zu machen. In der
That konnte die 5echische Sprache den Slovaken nicht voll ge-
nügen, und zwar je weiter je weniger: sie gelangte zu den Slo-
vaken als fertige Bücher- and Eirehensprache in den Zeiten des
Hu&sitenthums; aber die neue öechische Sprache, — als sich die
iechischen Schriftsteller daran machten, sie mit neuen, oftmals
wörtlich aus dem Deutschen übersetzten und bisweilen äusserst
gekünstelten Worten und Wendungen zu „bereichem", — wurde
für diejenigen unverständlich, welche nur mit den alten For-
meu in den Grenzen des alten Inhalts bekannt waren. Deshalb
mochte auch Palkovi5 mit gutem Grund ao eifrig die literarischen
Ueberlieferungen Veleslavin's gegen die neuen (echischen Schrift-
steller vertheidigen. KolUr versuchte slovakische Elemente in
die Sprache der „Slävj Dcera" hineinzutragen. Die Kirchen-
bücher der protestantischen Slovaken haben sogar hie heute die
ungeschickte, von den Cechen in alter Zeit angenommene Schreib-
' „Hlasowä o potFebfi jedüot; Bpieownebo jazjka pro Ceohy, HonTUij
ft Slov&kj" (Prag 1646, VIII u. 340 S.) Hier sind angeführt AeniMnin^
von Iiaorentios voq Nuiloier, Arnos Eomessk^, Hstthia« Bei, Dobrovik^,
Tablio, Palack^, Jangmann, §afaKk, Jona« Zäborsk^, Koller, Sembera, F»l'
koviS, Sam, Ferienöik, Paul Joeephi, Szeberinji u. b. w., endlich ftllerlei ge-
sammelte Aeuaserangen von Slovaken Tersohiedener Oegenden. Eine api-
führliche DarstelluDg der atreitigen Punkte jener Frage findet sich bei Pia,
Slav. Sbomik, II, 101 — 1^. Viel interessantes polemiscbes Material über
diesen Gegenstand bei Hnrban, „Poh]'adi".
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Ludevit §tiSr. 329
weise beirahrt. Die (ecbische Sprache könnte bei den Slovaken
lebensfähig sein, wenn sie früher ausserhalb des Gebiets der
rein kirchlichen Literatur Boden gefasst hätte; aber sie war
nicht die Sprache des öffentlichen ofBciellen Lebens und die ärm-
lichen Mittel für Schulen bei den Slovaken gaben ihr nicht die
Möglichkeit, sich in der ganzen Volksmasse zu verbreiten. Fer-
ner mieden die weit zahlreichem katholischen Slovaken die ^edhi-
Bche Sprache ganz als hussitisch.' Unterdessen kamen für das
nationale Leben der Slovaken kritische Momente; zur Verthei-
dignng des nationalen Rechts mussten die Volksmassen selbst
herangezogen werden, und es war sehr natürlich, dass die theo-
retischen Erwägungen über die £echo-slovakische nationale Ein-
heit vor den dringenden Bedürfnissen der Zeit und dem nähern
Interesse des Volkes zurücktraten.
Endlich hegte Stur selbst eine umfassendere Idee. Ihn
fesselte jene £echo-slovakische Einheit nicht, um welche sich
die cechische Intelligenz bemühte, weil er es schon damals
für nothwendig hielt, nach einer weit umfänglichem Einheit zu
streben, nämlich der gesammtslavischen , welcher sich die eine
wie die andere Nationalität im Verein mit dem übrigen gleich-
berechtigt anschliessen sollte; unterdessen würde sich eine £echo-
slovakische Einheit in dem Sinne der öechischen Intelligenz nur
zur Kräftigung der Öechen, zum Nachtheil der Slovaken voll-
ziehen und würde, indem sie den Cechen ein neues Contingent
von einigen Millionen slovakischen Volkes hefert«, diese veran-
lassen, zu sehr auf ihre eigenen Kräfte zu bauen, sie in ihrem
partiellen Provinzialismus bestärken und im Endresultat der lite-
rarischen Einheit des Gesammtslaventhums schaden, welche (nach
den Ideen Stür's) eben das gemeinsame Ziel werden sollte nicht
nur als Ideal, sondern als Mittel der Rettung. . . .
Die Zeitung Stür's soll in der geistigen und gesellschaftlichen
Entwickelung der Slovaken Epoche gemacht haben ; es wachs das
nationale Bewusstsein, man begann verschiedene nützliche Unter-
nehmungen zu begründen — Mässigkeitsvereine , Urbarmachung
wüster Ländereien, Sparkassen u. a. w. Inzwischen wurde Stiir
> Am dieBen Punkt rnnsste auch die SechUche Literatur stoBBen. Vgl.
in den Memoiren Jnngmsnn'B die AbhaDdluugj „Jazyk Zeeikf huaitsk^-li ?"
(„let die Eeohische Sprache hnssitiseh") im Öasopis, 1871, S. 273; über dae
künstlich Geschraubte der neuen techiachen Sprache (Ebend., 8. 274—275).
...., Google
330 FünfteB Kapitel. U. Die Slovaken.
1847 von der Stadt AltBohl zum Reichstagaabgeordneten gewählt
und betrat bo direct den Schauplatz der Politik. Er verthei-
digte ale talentvoller Redoer energisch die Rechte seineE Volkes
auf dem Btürmischen Reichetag zu Pressbargj aber die Erre-
gung der Magyaren führte schon zum offenen Aufstand und die
Lage Stür's wurde gefährlich; er stellte die Heraasgabe der
Zeitung ein, gab seinen Sitz im Reichstag auf und fioh nach
Wien, nahm dann am slawischen Gongress in Prag theil, trat in
Beziehungen zu den Kroaten und Serben, zum Ban Jellachich, und
rüstete slovakische Freiwillige nach Ungarn aus. Die Magyaren
setzten einen Preis auf seinen Kopf.
Nach 1849 lebte Stür zurückgezogen, mit der Erziehung der
Kinder seines Bruders Karl (1811 — Öl; auch eines sloTakischen
Schriftstellers und Patrioten) und mit literarischen Arbeiten
beschäftigt: „Zpevy i pisnl" („Gesänge und Lieder", Pressbnrg
1853), und besonders die bekannte Schrift, schon in £echi-
scher Sprache: „Ueber die Volkslieder und Märchen der
slavischen Stämme" („0 närodnich pi'snich a povestech plemen
slovanek^ch", Prag 1853). Er arbeitete an einem grossen
historischen "Werke über das SlaTentham, das unTolIendet blieb.
Er starb an einer Wunde, die er sich aus UnTorsichtigkeit
auf der Jagd zugezogen, im Jahre 1856. Er hinterliess noch
ein bemerkenswerthes Werk, welches in den Jahren 1852—53
deutsch geschrieben wurde und eine ausführliche und begeistert«
Darstellung seiner Tbeorie des Panslavismus enthält; dieses
Werk wurde russisch von V, l. Lamanskij herausgegeben: «Das
Slaventhum und die Welt der Zukunft. Eine Botschaft an die
Slaven von den Ufern der Donau" (russ. : „Slavjanstvo i mir bn-
duBcago etc.") • Diese Tbeorie ist ein neuer interessanter Be-
leg der panslavistischen Ideen, welche sich in der nationalen
Bewegung der Slovaken aussprachen, und steht den Theorien
des russischen Slavophilenthums sehr nahe,'
■ In „Ctenija" der Moak. Gesellschaft, 1867 und besonders. Ueber du
Werk 8. „VSstnik Evropy", 1878, November, S. 334 fg.
' Eine Biographie ätür's wurde von seinem Freunde und GenoMen
Hurban erwartet; aber sie ist noeh nicht eraobienen.
Jetzt kann angeführt nerdeni Die Biographie Stür's in Ruask. BesMa,
18«0, Heft 1, VermisohteB, S. 51—60; Slovnfk NsuSny, 8. v.; K. A. Jeoi,
,,fierbake gjmnftaialne towaratwo w Budyiiige wot 1839 Uaö do 18M" (i»
(«801)18 der iaueitzer Macioa, 1865); Pi6, in Slav. Sbomik I— U. Die Ideen
ü,g :.._.. ..Google
Ludevit Stör. J. Hurban. 331
Stür gehörte zu den bedeuteodsteD Trägern der gesammten
slavischen KenaiBsance. Im Ändenkea seiner Landsleate steht
er in hoher Achtung als der verdienteste Urheber der neuem
nationalen Bewegung bei den Slovaken. „Seine wissenschaft-
liche Bildung", sagt ein zeitgenössischer sloTakiscber Patriot,
„seine umfassende Bekanntschaft mit der slavischen Welt, sein
hochsittliches Leben, seine feurige, binreissende Bede, mit einem
Wort seine ganze Persönlichkeit hob und begeisterte die Ju-
gend so sehr, dass man getrost sagen kann, das ganze jetzige
nationale Erwachen der Slowaken ist fast unbestritten sein Werk.
Aus den jungen Leuten des pressburger Instituts bildeten sich
so viele Apostel des SlaTenthums heran, als Mitglieder waren.
Die jetzt wirkende Generation sind entweder Genossen oder
Schüler Stür's oder Schüler seiner Schüler.'"
Ein würdiger Mitarbeiter Stür's war Joseph Miroslav Hur-
ban (geb. 1817). Er studirte auf dem Pressburger Lyceum und
nahm eifrigen Antbeil am Studentenverein ; auf Kosten des letz-
tern bereiste er 1839 Böhmen und Mähren zu literarischen und
patriotischen Zwecken und beschrieb später seine Reise; 1840
wurde er evangelischer Geistlicher, Seine erste Schrift war die
Beschreibung der Reise: „Cesta Sloväka ku bratrüm slovanskym
na Morave a t Öechäch 1839" („Reise eines Slovaken zu sei-
nen slavischen Brüdern in Mähren und Böhmen-', Pest 1841);
mit dem Jahre 1842 begann er den Almanach „Nitra" (6 Bänd-
ehen, 1842—54, und ein 7., 1877) herauszugeben, worin ihm
selbst einige Gedichte und Erzählungen angehören.^ Das erste
Bändchen der „Nitra" erschien in £echischer Sprache, abei-
vom 2. Bändchen, 1844, begann Hurban slovakisch zu scbrei-
StDr's über die NotbweDdigkeit einer gesonderten Entwiokelung des sloraki-
ivhen Volktthams nnd aeiDer Literatur s. ia seinen erwähnten Schriften vom
Jahre 1846, in dem posthumen, von Lamanakij heranegegebenen Werke; sie
Bind aach in einem intereesanten Briefe btür'B an Pogodin vom Jahre 184<)
dargelegt („Piima k Pogodinn iz elav. zemel", 8. 465—467).
> M. D., im „iam. Min, Mar. ProBV.", 1858, Aug., 8. 619. Vgl. die
nocli enthusiastischere AeuBsernng von Pauliny-Töth, in deeBen „Unter-
haltungen" (s. die Erzählungen: äkola a zivot; Tri dni zo zivota. Ludevita
Störovho).
' Im CecMschen Journal „KvSty" 1844 erschienen eeine „Svatoplnkovci,
anebo pid Hie velkomoravgk£" („Die Nachfolger Svatopluk's oder der Unter-
gang des GroBsmähriBchen Reiches") und besonders, Prag 184S.
...., Google
382 FöDftes Kapitel. II. ]>ie Slovaken.
ten — es war dies das erste Auftreten der Stür'schen Schule.
Harban nahm alsdann thätigen Antheil am „Tatrin" und an der
Zeitung Stür's and im Jahre 1846 begann er selbst ein wissen-
schaftlich-literarisches Jonmal „SlovensVje Pobradi"' herane-
;£ugeben, im allgemeinen sehr interessant und wichtig, als Aus-
druck der damaligen slovakischen Bewegung und als Material
zu ihrer Geschichte. Hier findet sich z. B. eine umfangreiche
Abhandlung von Hnrban selbst: „Slovensko a jeho üvot lite-
rärni" („Das Slovakenland und sein literarisches Leben", in drei
Heften des 1. Theils), die ausfuhrlichste Darstellung der Lite-
raturgeschichte der Slowaken, welche bisjetzt existirt. Zu gleicher
Zeit schrieb er ein Buch über die Union ^ gegen die erwähnten
Bestrebungen des Grafen Zay — indem er vom theologisch-histo-
rischen Standpunkt den Unterschied zwischen dem Lutherthnm
und dem Calvinismus darlegte und die Unmöglichkeit einer
Union beider nachwies. Dieses Buch brachte ihm den Titel eines
Doctors der Theologie von der Universität Jena ein, sowie heftige
Feindschaft und Polemik von seiten der Magyaren und ihrer
Partei. Neben der literarischen Tbätigkeit arbeitete Hnrban für
die praktische Bildung seines Volkes; schon im Jahre 1840 grün-
dete er in seinem Kirchspiel eine Sonntagsscbule uud verbrei-
tete die Mässigkeitsvereine. Zugleich mit den literarischen Ideen
Stür's theilte Hurban auch dessen politische Ansichten, spielte
in den Ereignissen von 1848 — 49 eine nicht weniger bedeutende
Rolle und zeigte sogar noch mehr unerschrockene Energie als
Yolksredner und Führer. Als Kollar und seine Freunde im
Kampfe ermüdeten, stand Hurban mit Stur und Hodia an der
Spitze des Volkes, in dessen Mitte sie durch kühne Vertheidi-
gung seiner Sache grossen Einäuss erlangten. Hurban und seine
Freunde traten in Beziehungen zu den Sechiscben and serbo-
kroatischen Patrioten und organisirten den slovakiscben Auf-
stand gegen die Magyaren. Hurban insbesondere gewann grosse
' Der ausführliche Titel: „Slov. Pohl'odi na vedi, amefija a literttnm"
(I.Theil, Heftl— 5, SkaliU 1846, 1847, IWl; 2.Thl., Heft 1-6 [vomW.Jnli
18.^1 sdJ. EbeBd.1851; 3. Tbl. [mit verändertem Titel: „SlovensW PoU'ady
ua literatüru, umenie a zivot" und in Wochenheften], Mr. 1 — 2fi, Tyman
1852; 4. ThI., Nr. 1—», TjTnau 1852).
' Unift Sili apojenf Latheränä a Ealvin}^ v Ohräch, vysvStleni etc."
(Ofen 1846; in fiechincber Sprache).
...., Google
J. HnrbuL 833
Popularität unter eeineo Landsleuten: er war im wahren Sinne
des Worts der Mann des Volks, für den die nationale Frage
kein abstractes Theorem und kein literarisch con&truirtes Ideal
war, sondern eine unmittelbare That; er war für sein Volk reli-
giöser Lehrer, Schriftsteller, politischer Kämpfer und KriegfUhrer.
Nach den Unruhen der Bevolutionszeit kehrte Hurhan in sein
Kirchspiel Hlubokä zurück, um wieder als Pastor und Schriftsteller
zu wirken. Er setzte die „Pohl'adi", den Almanach „Nitra" fort,
gab 1855 ein Lehrbuch der evangelischen Theologie heraus,
mischte sich 1861 wieder thätig in den damals ausgebrochenen
Streit über die Lage der evangelischen Kirche.' Von seinen bel-
letristischen Arbeiten seien erwähnt die historische Erzählung:
„Gottäalk" (in Nr. 7 u. 8 der „Slovan. Besedj", 1861), „Piesne
na teraz" (Wien 1861) und viele Gedichte in öecbjschen und slo-
vakischen Journalen und Almanachs. Viele Lieder Hurban's sind
fast zu Volksliedern geworden. In den letzten (6. und 7.) Bänd-
chen der „Nitra" kehrte et zur fiecho - slovakischen Sprache
zurück, was auch ^echische Dichter in die Zahl seiner Mitarbeiter
zog, wie Hejduk, Bud. Pokorn^ u. a.' Mit dem Jahre 1864 be-
gann er die „Cirkewni Listy" („Kirchenzeitung") herauszugeben,
den Angelegenheiten der evangelisch -lutherischen Kirche gewid-
met, in der gewöhnlichen altfechischen Sprache der evangeliscb-
slovakischen Kirche, in alter Orthographie und schwabacher
Druckschrift.
Michael Miloslav Hodia (geh. 1811), evangelischer Prediger
wie Hurhan, entstammte auch dem Kreise des Fressbarger Ly-
ceums der dreissiger Jahr« und ging denselben Weg wie die
obengenannten Patrioten. Seit 1837 Geistlicher, nahm er zu
Anfang der vierziger Jahre thätigeu Antheil an den kirchlichen
Angelegenheiten der Slovaken, an der Gründung des „Tatrin"
' Hierauf bezieht eich dae Buch: „Die evangelisch-lutherische Kirche
in ihren innem Elementen und Kämpfen mit besonderer RüukeJcht auf dne
aiovakische Volk, das sein Heil in dieser Kirche aucht" („Cirkew EnaDge-
licko-Lutheränskä w jejich wnitrnicb iiwlech etc." 2 Bde, Skalitz 1861; in
Gechischer Sprache, mit alter Orthographie und schwabacher Schrift).
' Die „Kitra", hieaa in slovakigoher Sprache im Titel weiter; „Dar
drahim krajanom Slovenskim obetuvam" („Geschenk den lieben alovaki-
teheu Landsleuteo dargebracht"), Cechiaoh „Dar doeräm a aynum Sloveuaka,
Morsv;, f)eoh a SIezaka obftovany" („Geschenk den Töchtern and Söhnen
der Slovakei, Mähren«, Böhmens und Schlesien« da^ebracht").
ü,g :.._.. ..Google
334 Fünftes Kapitel, lt. Die Slovaken.
und überhaupt an der nationalen Bewegung; 1848 gehörte er
zu den eifrigsten Führern des Volks, auf das er durch sein be-
geistertes Wort grosse Wirkung übte. Sein erstes literarisches
Werk waren volkstbümliche Erzählungen, dann Schriften über
die Frage der slovakischen Literatursprache', welche Hodza
unter anderm gegen die Angriffe der feechischen „Hlasy" ver-
theidigte. Nach Erlass des Kirchenpatents 1859 führte Hodäa
■wieder einen hartnäckigen Kampf mit der magyarischen Partei
in der Kirchenfrage.
Das Erwachen des Nationalgefühls, welches bei den Slova-
ken Yom Ende des vorigen Jahrhunderts au und dann in den
zwanziger und dreissiger Jahren bemerkbar ist, sprach sich
auch in der poetischen Literatur durch eine Fülle neuer Erscfaei-
nungeu aus, die zeigte, welche sittliche Kraft gerade im na-
tionalen Selbstbewusstsein liegt. Nach Holl^ und besonders
Kollär taucht eine ganze Reihe von Dichtern mit der Bewegung
der dreissiger Jahre und in Verbindung mit dem Kreise des
Pressburger Lyceums auf; Hurban und Stur waren zum Theil
auch Dichter.
In der Reihe der patriotischen Dichter dieser zweiten Gene-
ration war der älteste Samo (Samuel) Chalüpka (1812—83)-
In seiner Familie herrschten Liebe zum Volksthum und litera-
rische Gewohnheiten: sein Vater, Adam, evangelischer Geistlicher,
schrieb Gedichte; der ältere Bruder, Johann, ebenfalls Geistlicher,
war dramatischer Schriftsteller. Samo fand schon auf dem Gym-
nasium einen Lehrer, der ihn früh sowol mit der öecho-slovaki-
schen Literatur als mit der Geschichte des Slaventhums bekannt
machte, sodass Samo ein schon vorbereiteter Leser der „SHvy
"Dcera" war. Auf dem pressbui^er Lyceum war Chalüpka ein
Führer unter seinen Mitschülern. Darauf lebte er einige Zeit in
Wien, wo er mit Studenten anderer slavischer Nationalitäten be-
kannt wurde. Im Jahre 1834 wurde er Geistlicher und erhielt 1840
die Pfarre zu Hornä Lehota, wo Tor ihm sein Vater 40 Jahre ge-
wirkt hatte. Das Leben in der Bergöde hinderte ihn nicht, sich
' Nämlich in UteiniBcher Sprache: „EpigeneB SloTenica«. Liber pri>
inua. TeDUmen orthographiae Blovenicae" (Leut8ohaul847); „Dobrno bIotc
Sloväköm" {„Ein gates Wort an die Slovaken«, Ebeod. 1847); „V6tin o slo-
venCina" (Ebend. 1818), gedruckt nach der Abäudemng der CeoBiir und
später mit Beifügang der von der Ceusnr geBtriohenen Stellen.
...., Google
Somo Chalüpka. A. SlidkoviB. 335
an den patriotischen Unternehmungen zu betheiligen; er war auch
einer der ersten, welcher die Frage der neuen Literatursprache
erhob. Die Gedichte Chalüpka's erschienen schon in den vierziger
Jahren in Sammelwerken, Journalen und Almanache; sie wurden
erst später gesammelt („Spevy Sama Chalüpky", Neusohl 1868).
Es sind kleine epische Stücke, Balladen und lyrische Gedichte,
die in gleiches Niveau mit den Werken von Erben und Öela-
kovskjf gesetzt werden, und thatsächlich vielleicht hinsichtlich
der Kraft und Einfachheit höher als diese stehen, da sie von
der sentimentalen Romantik der Öechischen Dichter frei sind;
das slavische Gefühl ist bei Chalüpka, wie überhaupt bei den
bessern slovakischen Schriftstellern, ebenfalls weit natürlicher. . . .
Chalüpka besitzt im Manuscript eine Sammlung von Volkssagen
und abergläubischen Meinungen, welche BoÜena NSmcova benutzt
hat, als sie bei ihm zu Gaste war, Er ist mit andern slavischen
Literaturen bekannt, hat das slavische Alterthum studirt und
fügte z. B. seinen Gedichten eine Reihe antiquarischer und histo-
rischer Anmerkungen bei.
Andreas Slädkoviö (1820—72; sein Familienname ist Bra-
xatoris) war der Sohn eines evangelischen Lehrers, der in der
slovakischen Literatur durch eine Geschichte seiner Vaterstadt
Krupina (1810) bekannt ist; diese Stadt war auch der Geburts-
ort von Andreas. Die Familie war zahlreich und arm: Andreas
war das achte von 14 Kindern. Seine Schulbildung erlangte er
unter äusserster Armuth, zuerst in Schemnitz, wo Slädkoviö einen
Uterarischen Verein mit nationalen Zielen gründete mitten unter
feindlichen Zusammenstössen mit den magyarischen Studenten;
im Jahre 1840 ging er ins Pressbui^er Lyceum über, und der
Vater konnte ihm nur zwei Papiergulden auf den Weg gehen.
Hier fand wieder eine lebhafte Tbätigkeit statt im Kreise der
GenoBseo , unter dem Einäuss der Poesie Kollär's und der
Vorlesungen Stür'e. 1842 begab sich Slädkoviö zum Studium
der Theologie nach Halle, kehrte nach zwei Jahren zurück,
lebte von Privatunterricht, und erhielt 1847 eine evangelische
Pfarre. Im Jahre 1849 war er der Verfolgung der Magyaren
ausgesetzt, von welcher ihn nur die Nachricht vom Vorrücken
der russischen Armee befreite. Bald wurde er eine der Haupt-
personen der nationalen Bewegung in seiner Gegend. Er gilt
für einen Dichter ersten Ranges in der neuern slovakischen Lite-
ratur. Die ersten Gedichte druckte er in Huiban's „Nitra", als er
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336 Fünftes Eapitel. II. Die Slovak^.
nocti auf dem Preseburger Lyceum war; aber EeinBubm begimit
erst mit der Dichtung „Marina", herausgegebea zu Pest 1846.
Ihr MoÜT ist eine unglückliche Liebe des Dichters selbst: das
Mädchen, welches er liebte, heirathete auf Antrieb ihrer Mutter
einen andern; zu diesem Motiv gesellten sich Einflüsse der „Släv;
Dcera", — sodass „Marina" nicht nur oder vielmehr nicht so
sehr eine lebendige Person ist, als eine Idealisirung der Liebe,
übertragen in eine höhere sittliche Sphäre, verschmolzen mit
religiösem Gefühl und der Liebe zum eigenen Volke; deshalb
erscheint die Dichtung zu allegorisch und abstract, aber trotz-
dem und trotz der Unebenheit der poetischen Form wird sie
hei den öecho-slovakischen Kritikern hochgeschätzt. Sein Haupt-
werk ist „Detvan", — ein Mittelding zwischen Epos und Idjll.'
Der Stoff bezieht sich auf die Zeiten des Matthias Corvinus:
der Held, Martin, stammt aus der Detva, einer slovakischen
Berggegend in Nordungarn, und in die einfache Geschichte
der Liebe dieses Bergbewohners und seines ruhigen Lebens,
das durch eine gewaltsame Werbung zur königlichen Armee
unterbrochen wird, sind Bilder der Bergnatur, des nationalen
Lebens und nationaler Charaktere verflochten. Sich mit „Det-
van" bekannt machen — sagen die 5echo - slovakischen Kri-
tiker — heisst die Slovaken kennen lernen; aber man bemerkt,
dass den fremden Leser der vollkommen passive Charakter des
Helden in Verwunderung setzen wird, „Dem ausläudiscben Leser^,
sagt einer dieser Kritiker, „erscheint der StofT des tDetvan*
allerdings etwas Bonderbar, und Slädkovi6 hätte sich ohne
Zweifel auch Helden anderer Art aus jener Zeit herauraucbeu
können, als die Slovaken unter dem Einfluss der öechen eben
zu nationalem Leben erwacht waren, — Helden, die zu verstehen
und mit denen zu sympathisiren es für den ansländiBchen Leser
leichter wäre; aber er hat uns eine getreue Darstellung des slo-
vakischen Volkscharakters gegeben, des Lebens und der Denk-
weise des einfachen Slovaken, des Bergbewohners, dessen Lob
es war, ein tapferer Krieger zu werden und sein Blut für ein
Land zu vergiessen, das für ihn nicht seine Heimat bildet." . • ■
Weit schwächer ist „Milica"' aus dem serbischen Leben, in
Byron'scher Art, und „ Svätomärtiniada , närodni «5)08" (P«9t
' Dieae Dichtung erschien im 5. B&ndchen der „Nitrk", 1853.
* Im AIni»naoh „Eoukordift", 1668.
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Janko Kral'. 337
1861), eine Beschreibimg des politischen CongreBses der Slo-
vaken 1861 , zu Thuröcz Sz. Marton. Aber poetische Vorzüge
leigt wieder die letzte Dichtung „Gröf Mikuliä Subi6 Zrinsk^".
Endlich gehören SlädkoviC riele kleine, bisweilen sehr schöne
Gedichte aa,^
Eine originelle Persönlichkeit war der slovakische Dichter
Janko Krär (geb. um 1824). Er studirte auf dem pressburger
Ljceutn und hatte die Absicht, in die Kanzlei eines Advocaten zu
Fest einzutreten, aber eine solche BeschäfliguDg passte nicht für
seine lebendige und äusserst originelle Nator; im Jahre 1848
verwickelte er sich in die politischen Unruhen, soll den Commu-
nismuB unter den slovakischen Landleuten gepredigt haben, in
der Meinung, dase er dadurch stärker auf sie wirken werde, sam-
melte die Jugend und bereitete einen Aufstand vor; von den Ma-
gyaren ergriffen, wurde er zum Tode durch den Strang verur-
theilt und nur durch die Fürsprache Jellachich's gerettet, brachte
aber bis 1849 im Gefängniss zu Pest zu. Nach Berichten zu
achliessen, war er ein wunderlicher Phantast: er führte ein va-
girendes Leben, konnte nicht lange in einer menschlichen Woh-
nung bleiben, verbrachte die Zeit in der Einsamkeit, in den
Einöden der Karpaten, soll bis nach Bessarabien umhergeirrt
sein — dabei überraschte er durch sein Talent und seine um-
fangreichen Kenntnisse; er pflegte kein Buch bei sich zu haben,
aber er war der französischen und englischen Sprache wohl mäch-
tig, kannte Shakespeare vorzüglich; ein von ihm magyarisch ge-
Bchriehenes Lied hält sich noch bis jetzt im Volke. Koll&r, Stiir
nnd andere Schriftsteller pflegten ihn zu besuchen, wenn sie er-
fahren, wo er war. Bei solcher Lebensweise gelangte die poe-
tische Thätigkeit KrÄl's nur zufällig in die Presse, — er ver-
brannte gewöhnlich selbst, was er schrieb. Nach seinen Aben-
tenem in Ungarn hielt er es nicht für sicher, dort zu bleiben.
■ Eine Biograpliie SlädkoviE's s. bei Pii, Slav. Sbornik, II, 129—183;
204 — 206; Vit. Hondek, im Eechiechen „SyStozor", 1878, Nr. 19— 20. Vgl.
^vätenie pamiatk; slovenKk^ho baenika Andreja Slidkovita (Brasatoriaa),
eiena Eakladatel'a Matice Slovenakej etc., 7. Avg. 1872" (Thuröoi; Sz. Har-
ton 1872).
SlädkoviE's Gedichte wurden von Viktoriu herausgegeben: „Spisy baa-
nicke" (Nensohl 1861, uen« Anag. in der Eechisohen „Natioaslbibliothek"
Kober'fl).
Fnn, SUtUoIu UMiMortD. 11,1 22
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338 Fünftea Kapitel. IL Die SIoTftken.
und lebte einige Monate bei einigen Freunden in Mähren, aber
darauf ging er heimlich von ihnen fort und ist seitdem spurlos
verschwunden. Seine Gedichte sind in mährischen und slovaki-
schen Pnblicationen zerstreut, unter andern in der „Nitra". Die
Gedichte KrÄl's wie Chalüpka's zeichnen sich durch die anziehende
Einfachheit ihres volksthümltcben Tones sowie durch eine ans
ihnen heraualenchtende Liebe zum eigenen Volke aus.'
Johann Botto (geb. 1829) studirte inLeutschau, dann ander
pester Universität and wurde darauf Landmesser. In Leutschau
wurde er ergriffen von der patriotischen Stimmung der nach
Pressburg übergesiedelten Schüler Lud. Stur's. Sein HauptwerV
ist eine Dichtung über „JanoÖik", einen beliebten Helden der
nationalen Ueberliefemng und der Poesie, mit dem Ideeii von
nationaler Selbständigkeit and Freiheit verbunden sind. Oben
bemerkten wir, dass sich (echische Dichter in der letzten Zeit
manchmal an Land und Leben der Slovaken wendeten und
dort Nahrung für ihre Poesie suchten: Halek, Hejduk, Eud.
Pokorn^. Die beiden letztern betbeiligten sich auch an slova-
kischen Publicationen und haben jetzt die Idee gefasst, eine
„öecho-slovakische Bibliothek" („Knihovna £esko-Blovenski")
herauszugeben, in der Absicht, die Cechen mit der Literatur der
Slovaken bekannt zu machen and die Bahn zur WiederhersteUang
einer Einheit zu brechen. Die „Lieder" („Sp5vy") Johann Bot-
to'e waren der erste Band dieser PublicatioD (1880).^
Von den slovakiachen Novellisten steht Johann Ealin^äk
(1822 — 71) im Vordergrande. Sohn eines evangelischen Geist-
lichen, studirte er zuerst in Leutschau, wo damals der oben er-
wähnte slovakische Patriot Hlavä^ek wirkte, dann am Lyceum
zu Pressburg unter Stür. Hier war er als Lehrer tbätig. Im
Jahre 1843 wurde er mit in die Untersuchung gezogen, welche
i Slovnik Nftufin^, b. v.; Pi6, SUv. Sborn., H, 128—129, 143-145;
Hnrban, in „Nitra", 7. Jalirg. 1877, 364-865.
* Rud. Pokern^ legte eeiaen Gedankea über den Gegenstand b irr
Broechüre „Literämi eboda Cesko-alovenskä" („Die lilerariBche Einigaog der
Cechen nnd Slovaken", 1880) dar, die der VerfasHer während »eioer Arbeii
leider nicht zur Hand hatte. — In demselben Sinne gab Jos. Holo^'^
eine Broachüre heraus: „Podejme ruku Slovaküm" („Lasst hob dea Slova-
ken die Hand reichen", 1880). Die Eeohischen Patrioten überUasen dt-n
Slovaken den Gebraach ihrer Sprache in der poeüschen Literatar, >ber
empfehlen für wiaeenBchaftliche Arbeiten die Gechisohe Sprache.
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gegen Palkovifi, St6r, Francisci begonnen war; hierauf studirte
er bis 1845 in Halle. Vom Jahre 1846 an war er Director des
Gymnasiums zu Modern und Teschen und stand in der Reihe
der vornehmsten Patrioten : sein Einfluss dehnte sich auch auf
die Belebung des slavischen Elements im germanieirten Schlesiea
aus; um seine Sache zu fördern, trug er kein Bedenken, nach
Deutschland zu gehen, um Hülfe für die arme studirende evan-
gelische Jugend bei dem König von Preussen zu suchen. Es ist
kein Wunder, dass ihn die Behörden los sein wollten, und im
Jahre 1866 gab man ihm den Abschied. Der Abbruch seiner
Thätigkeit war ihm lästig; nachdem er sich in Thuröcz Sz. Mar-
lon niedergelassen, begann er vom März 1870 an ein Journal
„Orol, ^asopis pre z&bavu a pouCenie" („Der Adler, Zeitschrift für
Unterhaltung und Belehrung") herauszugeben, starb aber schon
im folgenden Jahre. Gerade am Todestag Ealindäk's erschienen
seine „Erzählungen" (als I.Heft des „Sloveuskjf nar. Zäbavnik").
Die Herausgabe des „Orol" übernahm nach ihm sein Hauptmit-
arbeiter Andreas Truchl^ SytnianskJ.
Endlich ist von den Männern dieser Generation noch zu er-
wähnen Samuel Tomäsik (geb. 1813)- Evangelischer Geistlicher
seit 1833 und Patriot schrieb er in Fejerpataky's „Pozomfk", in
„Hronka" und „Tatransk^ Orol", war Verfasser sehr beliebter
weltlicher und patriotischer Lieder, Mitarbeiter am neuen eran-
gelischen Gesangbuch and Verfasser von Erzählungen (erschie-
nen im „Sokol" von Pauliny-Toth , von welchem weiter unten).
Er ist der Dichter des bei den Cechen berühmten Liedes: „Hej,
Slovane" („Auf, ihr Slaven! etc."), welches zuerst in slovaki-
fleher Form erschien.*
' Hej Sloväoi I eite naSa alovenakä reE ige,
Dokial' naSe veruä srdce za näK närod bye:
Zije, iije ducb aloveuBk]', bnde zit navek;;
Hrom a peklo, mame vaie proti n&m sü vztekyl d. s.w.
(Äaf Slovakeul Noch lebt unsere alovakisclie Sprache, bo lange unser
treues Herz fSr unser Volk schlägt: es lebt der slovaldsohe Geist, er
wird ewig leben; Donner und Hölle, vergeblich ist euer Toben gegen
Dieses und andere patriotisclie slavische Lieder finden sich in dem
Sammelwerk ; „Veuiec uärudnich pieeni slovensk^cb. Vyü a v;dal M. Cb.
üfl, Google
340 Fünftes Kapitel. IL Di« SloToken.
Die Ereignisse des Jahres 1848 — 49 erfiillten nicht die Hoff-
nungen, welche die Führer der Slovaken hegten. Nach Unter-
drückung des ungariBchen Aufstandee bemühten sich die Slovaken,
in den Staatedienst zu kommen, um ihrem Volksthnm eine Stütze
zu geben, und im grössten Theil der Gomitate wurde das Slova-
kische als officielle Sprache eingeführt; im Jahre 1850 wurde
diese Sprache in den Mittelschuleo zum ersten mal nicht obliga-
torischer Lehrgegenstand — und 1855 auch obligatorischer; in
einigen rein slovakischen Gymnasien wurden mehrere Gegenstände
in öechischer Sprache vorgetragen. Allein sobald sich der Stand
der Dinge für die Wiener Regierung gebessert hatte und sie auf-
hörte, die Magyaren zu fUrchten, gegen welche die Slovaken ein
Werkzeug gewesen waren, verloren die letztem auch die wenigen
gewonnenen Vortheile; die bewährtesten Patrioten wurden in rein
magyarische Ortschaften versetzt. Inzwischen änderte sich auch
die politische Lage der Magyaren. Im Jahre 1860, 20. October,
wurde das Magyarische in Ungarn ofEcielle Sprache. Als die
Gewalt in die Hände der Magyaren zurückkehrte, erklärte man
diejenigen, welche unter Bach in den slovakischeD Comitaten
gedient hatten, für „politisch todt" und entfernte sie in Ge-
stalt einer „Epuration" ans dem Dienste.
Nach jener heftigen Bewegung, welche sich in den rier-
ziger Jahren vollzog, führte die allgemeine Reaction, welche in
den fünfziger Jahren eintrat, auch bei denSlovaken eine Periode
des Stillstandes herbei. „Das Decennium der Jahre 1850 — 60",
sagt ein slovakischer Historiker ■, „war zum grössten Theil auch
für die Slovaken ein Jahrzehnt voller, gewaltsam aufgedrunge-
ner Lethargie. Aber dieses Decennium that den nnschätzbaren
Dienst, dass es die vorhandenen jungen Kräfte reifen liess,
auch politisch, und politische Reife ist in Ungarn eine nothwen-
dige und kostbare Sache. Es weckte die schlummernden, on-
Drabym bratom & Beatrani sloveoekjfm, v B&mote i v dmiatvdoli rodol'nbydi
venonaD^" („Eraoz slovakischer VolkBlieder", NeuBohl 1862).
Der altere Bruder des geoannteD Dichters Johann Paul (welcher «ich
EechJEch TomUek sohrieb, geb. 1802) hielt mit SaliÜk und KolUr tn der
Einheit der LiteratnrBpraohe fest, aber ataud frenndliofa au den alovtküch-
pfttriotieehen Bestrebungen der neuem Zeit, ond vertheidigte ala Fablieüt
die Sachs seiner Landeleute in Ungarn.
■ M. D., im ^urn. Min. 1868, Aug., S. 639.
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OrÜDdnng der Matica. 341
entschiedenen Kraft« und befreite sie von dem magischen Zeichen
des Magyarenthums ; auch weckte es viele neae, frische, jugend-
liche Kräfte."
Im Gebiete der Literatur var das bedeutendste Ereigniss der
folgenden Zeit die Gründung der slorakischen Matica: mit dieser
Institution war bei den West- und Südslaven gewöhnlich eine
Belebung des Volksthnros verbunden.
Im Jahre 1861, 6. — 7. Juli, fand in Thnrocz Sz. Marton eine
zahlreiche slovakische Volksyersammlung statt mit dem Zweck,
eine Denkschrift über die Forderungen des slovakischen Volkes
zur Vorlage an den ungarischen Reichstag zusammenzustellen.
Die Forderungen bestanden in der Aufrecbterhaltung der natio-
nalen Eigenart der Sloraken im slorakischen Gebiet Ober-
ungams, in der nationalen Gleichberechtigung und folglich in der
Herrschaft der slovakischen Sprache innerhalb des erwähnten
Gebietes im öffentlichen und politischen Leben , in Kirche und
Schule. Der Reichstag und einflussreiche Magyaren (wie De41c,
Tisza, Eötvös) sahen die Sache mit mehr oder weniger Feind-
schaft an, und die Patrioten entschlossen sich, die Denkschrift
durch eine besondere Deputation dem Kaiser and König zn
überreichen. Die Deputation kam im December 1861 zu
Stande, und der katholische Bischof Stephan Moyses fand es
möglich, an ihre Spitze zu treten. Die Deputation erreichte
nichts, aber die Versammlung selbst wirkte in belebender
Weise auf den nationalen Patriotismus. Auf derselben Versamm-
lung wurde beschlossen, eine literarische Gesellschaft unter dem
Namen Matica zu gründen, es wurde ein Statut verfasst, die
allerhöchste Bewilligung erwirkt — mit verschiedenen Beschrän-
kungen des Projects, — und am 4. August 1863 kam in dem-
selben Thuröcz Sz. Marton eine zweite Volksversammlung zu
Stande, wobei die Gründung der slovakischen Matica feierlich pro-
clamirt wurde. Zu ihrem Präsidenten wurde der Bischof Moyses
erwählt, zum geschäftsfuhrenden Viceprasidenten Kuzmäny, und
zum Ehren- und lebenslänglichen Vicepräsidenten Johann Fran-
cisci; im Jahre 1866, nach dem Tode Kuzmäny's, nahm dessen
Stelle der bekannte Schriftsteller Wilhelm Pauliny-Töth ein.
Die eifrigsten Theilnehmer an dieser Satihe waren Francisci
und Pauliny-Töth. Johann Francisci (literarischer Name Janko
RymaTsk^, geb. 1822) war ein etwas jüngerer Zeitgenosse Stür's,
Hnrban's, HodSa's und Patriot derselben Schule. Er stu-
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343 Fünfles Kapitel IL Die Slovaken.
dirte in Leutschau und PreGsbnrg, clen HauptzuflachtBorten der
damaligen patriotischen Bewegung in der jungem Generation.
Das Nationalgefühl erwachte bei ihm früh; er sammelte mit
vielen Freunden Volkslieder, Ueberlieferungen, Gewohnheiten-, in
Pressburg festigte sich diese seine Richtung und damit zugleich
begannen kleine und grosse Verfolgungen. In jene Zeit fällt
sein Gedicht „Mojim vratomikom" („Meinen Zeitgenossen", ge-
druckt in Hurban's „Nitra" 1844), gewidmet zwanzig Genossen,
welche — nach der Entfernung Stiir's vom Pressbui>;er Lehr-
stuhl — im strengen Winter tod Pressburg nach Leutschau
flohen. Francisci wurden auch die Vorträge über die slovakiache
Sprache und Literatur in Leutschau verboten. Hier nahm er
am „Tatri'n" theil und gab „Slovakische Märchen" („Sloveaskje
povesti", 1845) heraus. Später studirte er die Rechte, und be-
gann den juristischen Dienst, als die Revolution des Jahres 1848
susbrach. Er trat in die Nationalgarde in seiner Heimat, aber
als er sich im Verein mit St. Daxner und Mich. Baknlini wei-
gerte, gegen die Serben und Kroaten zu ziehen, und nach ihnen
auch die sIovakiBchen Freiwilligen das Gleiche thaten, wurden
Francisci und seine Freunde zum Tode durch den Strang verur-
theilt; die Niederlage der Magyaren verwandelte ihre Strafe in
GefängnisB, aus dem sie das Einrücken Windiscbgrätz' in Pest
befreite. Später trat er in die Reiben der slovakischen Volon-
täre ein. Nach Niederwerfung des magyarischen Aufstandes er-
neuerte er seinen Dienst in der Verwaltung und verstand es,
sich selbst die Achtung der Magyaren zu erwerben. Im Jahre
1861 begann er die „Peät-budinske Vedomosti" herauszugeben,
worin er die Rechte seines Volkes eifrig vertheidigte, und io
demselben Jahre kam nach seiner Idee jene Volksversammlung zu
Thuröcz Sz. Marton zu Stande, von der wir oben gesprochen haben,
und wo er einstimmig zum Präsidenten erwählt wurde; sein
Freund Daxner war Verfasser des von jener Versammlung an-
genommenen Memorandums über die Forderungen des slovaki-
schen Volks.
Eine andere bemerk enswerthe Kraft zum Theil dereelbeD
Schule war Wilhelm Pauliny-Töth (1826— 77). Sein Grossvater,
Vater, Onkel, waren evangelische Geistliche; nachdem er früh
seinen Vater verloren, blieb er in den Händen der Mutter, einer
feurigen Patriotin, welche den Knaben mit der Lektüre der
,,Slävy Dcera" erzog; aber als er zwei Jahre in die magyarische
ü,g:.._...,GOOJ^IC
W. Paullny-Töth. 343
Schale gegangen war (um die Sprache zu lernen), ward er unter
dem EiuflnsB seines Lehrers so von den magyariBchen Dichtern
begeistert, dass, als er zu seiner Mutter zurückkehrte, sich diese
entsetzte, als sie in ihrem Sohne einen voltetändigen Magyaren
erblickte. Der Fehler mueste verhessert werden und die Mutter
gab Wilhelm auf das Gymnasium zu Modem, welches Karl Stur,
LudevifB Bruder, leitete. Aber der Einfluss der ersten Schule
erhielt sich lang'e; seine patriotischen slovakischen Freunde ge-
denken mit Bedauern seiner Vorliebe fiir die Magyaren, seiner
Ansicht, dasB an den schlechten Beziehungen des Magyarenthums
zum Slaventhnm nicht die echten Magyaren schuld seien, son-
dern die Magyaronen, Renegaten, entarteten Slaven. Erst gegen
das Ende seines Lehens soll sich Pauliny überzeugt haben, dass
dieser Unterschied nicht besteht. Vom Gymnasium trat Pau-
liny ins Lyceum zu Fressburg ein, wo er noch Ludevit Stür
Torfand und durch dessen Person begeistert wurde ^; hier
machte er sich mit dem ganzen Kreise der slovakischen Patrioten
bekannt, nahm am „Tatrin" thejl, bereiste des Land. Im Jahre
1846 begab er sich als Erzieher nach Serbien, kehrte aber bald
in die Heimat zurück. Die Unruhen des Jahres 1848 trafen
sich an Paaliny in sehr trauriger Weise: er lebte in Eremnitz
unter Magyaren, Und auf die Beschuldigung, dass er am slo-
vakischen Aufstand theilgenommen habe (von dem er thatsach-
lich nichts wusste), verhaftet, musste er zwischen dem Galgen
und dem Eintritt unter die Honv^ds wählen. Er zog das letz-
tere vor und nahm an einigen Treffen bis zur Niederlage der Ma-
gyaren durch Jellachich thei] ; darauf blieb Fauli'ny in Pest, half
zur Befreiung von Francisci, Dazner u.a. und ging in die slo-
vakische Landwehr über. Nach Unterdrückung des Aufstandes
lebte er in Pressbarg und arbeitete an der „Pressburger Zei-
tung", die damals in unparteiischem Geiste geleitet wurde und
eine zuverlässige Quelle für die Geschichte jener Zeit (1849 — 51)
bildet. Im Jahre 1850 trat er in den Verwaltuugsdienst ; 1853
ward er nach dem Bach'schen System, eine Nationalität durch
die andere zu unterdrücken, zum Commissar im rein magyari-
schen KecskemSt ernannt, lebte dort bis 1861 und wusste sich
durch seine gemässigte und gesetzliche Handlungsweise die Ach-
' Oben Bind die liebevollen Remini scenzen an Stör in Paaliny'B Er-
zählungen erwähnt worden.
...., Google
344 Fnnft«s Kapitel. II. Die Slovaken.
tuBg der Magyaren zu erwerben. Hier heirathete er die Toch-
ter eines dortigen Adeligen, von welchem anf ibn der anga-
rische Adel überging und der Zusatz zu seinem Familiennamen
— Töth. Er hing immer noch an den Magyaren, sah aber,
dass dem „Magyarenthum der Kamm wächst", nach dem Aus-
druck seines Biographen Hurban, und hielt es für nötbig, wieder
für die Sache seines eigenen Volkes aufzutreten. Vom März 1861
an begann er in Fest das satirische Blatt „öemokiüainik" („Hexen-
meister") herauszugeben, wo er sich noch sympathisch zu der
neuen Bewegung der Magyaren yerhielt, aber seit der Versamm-
lung zu Sz. Marton ward es ihm klar, dass diese Bewegung sei-
nen Landsleuten nichts Gutes verspreche und seine Satire wen-
dete sich nun vollständig gegen die Magyaren. Von 1862 bis
Ende 1869 leitete er neben dem „ÖemoköaJnik" die Herausgabe
des Jonmal „Sokol", und dieses Unternehmen erlangte ebenfalls
eine grosse Popularität. Fauliny nahm dann thätigen Antbeil
an der Gründung der slovakischen Matica, und ward nach dem
Tode Kuzmäny's, im Jahre 1866, geschäftsführender Vicepräsident
derselben und Bedacteur von deren „Letopis". * Er nahm femer
Antheil an den kirchlichen Angelegenheiten der Evangelischen,
da er zum „Senioralaufseher" im Neutraer Kreise gewählt wurde,
arbeitete in Angelegenheiten der Schule n. s. w. Seine tbeilweise
von uns angeführte literarische Thätigkeit war sehr mannicbfal-
tig: er war populärer Dichter, sehr beliebter Erzähler, gelehrter
Publiciet. Seine in den Journalen und Sammelwerken zerstreuten
Erzählungen mit patriotischer und moralischer Tendenz sind
überhaupt lebendig geschrieben mit localem Colorit.'
1 Letopis MaticeBSlovensk^j. Jahrg. L Wien 1864; II. Thnröei Sa
Marton, 1870; weiterhin war Pauliny Redactenr: Band III— XI, in Skaliü
aoA TharäcE Sz. Marton, 1867— 74. Mehr erschien vom Letopia nicht, «eü
auch die Matica geschlossen wurde.
* Sie sind gesammelt in derPublication: „Besiedk;" („Unterhai tungea'.
4 Bde. Skalitz 1866—70), Es sind darin auch Uebersetzungen aiu andern
Sprachen, nnter anderm auch aus dem Russischen — aber leider, aus F. Bul-
garin. Die Gedichte wnrden^naoh dem Tode PauUny's von aeiner Tochter
gesammelt: Biane Viliama Panliny-Totha. Sobrala jeho dcera Maria (Thor.
St. Marton 1877).
., Google
Katholische Sohriftsteller. 345
Die Schriftsteller, von deaen wir bisher gesprochen haben,
gehören dem evangelischen Theil des slovakischen Volkes an und
waren die Hauptvertreter des slovakischen literarischen „Sepa-
ratismos", der von den Cechen so verurtheilt wird. Aus dem
Gesagten dürfte man wol ersehen, dass der „Separatismus" keine
zufällige Laune war, sondern ein natürlicher Trieb, ja sogar
eine Nothwendigkeit, weil in den kritischen Momenten der ersten
Selbsterkeuntniss , welche das slovakische Volk durchlebte, das
Bedürfniss eintreten musste, direct zu dem eigenen Volke, also
in der Sprache desselben zu reden. Es ist begreiflich, dass
gerade die besten, talentvollsten und energischsten Leute von
diesem Streben beseelt waren. Es ist auch begreiflich, dass,
als dieser Beweggrund zurücktrat, die eifrigsten patriotischen
Schriftsteller sich wieder der Sechischen Sprache zuwenden konn-
ten. So wurde Cecbiscb herausgeben das bekannte Buch von Star
„Ueber die slavischen Volkslieder und Märchen"; so gab Hurban
die letzten zwei Bändchen seiner „Nitra" (VI u. VII) schon in
(Sechischer Sprache heraus. Aber der Separatismus dauerte gleich-
wol fort.
In den letzten Decennien trat auch im katholischen Lager
eine besondere Thätigkeit zu Tage. In Bezug auf die Sprache
brachte einen neuen Umschwung hervor der von uns schon
firöher genannte fechisch-slovakische Philolog Martin Hattata.
Der erste „Separatismus", hervorgerufen von BemolÄk, wie oben
erwähnt, machte den Tymaner Dialekt zur Büchersprache. Tyr-
nan war einer der Hauptpunkte der katholischen Bevölkerung
und katholischen Bildung; der Dialekt, dem Öechischen nahe-
stehend, galt nicht für echt slovakisch, deshalb vrarde, als
die Literaturfrage von Stür aufs neue gestellt wurde, anstatt
deeselben der Trentschiner Dialekt eingeführt. Hodia, der aufs
neue die Frage nach der rein-slovakischen Sprache erörterte,
emp&hl den Liptauer Dialekt. Jetzt führte Hattala noch ein
neues Element ein — den Altsohler Dialekt; in seinen Werken,
angefangen von der lateinischen „Grammatica lingnae Slovenicae",
1850, ist die slovakische Sprache von seinem Standpunkte aus
grajnmatisoh genau fixirt und diese Fiximng ist jetzt die herr-
Bcbende.
In der Beihe der katholischen Schriftsteller sind besonders
bekannt Pal&rik, Viktorin und Radlinsk^. Johann Pal4rik
(Pseudonym Beskjdov, geb. 1822), seit 1847 katholischer
346 Fünftes Kapitel. U. Die Slovaken.
Priester, gründete 1850 zu Schemnitz ein kirchliches Joamal
„Cyrill a Method", wo er für grössere kirchliche Freiheit und
für Wahrung der Volksinteresseu in kirchlichen Dingen eintrat,
zog sich deshalb eine Verurtheilang seiner Obern, eine monat-
liche Haft im Klostergefangniss zu und vurde gezwungen, einige
seiner Schriften zu viderrufen. Im Jahre 1851 nach Pest ver-
setzt, gab er das genannte Journal in andere Hände und lei-
tete hier einige Jahre die „Katolicke NoYiny", wo er unter
an denn das Becht einer slovaki sehen Literatursprache gegen
die Anhänger des Cecbischen vertheidigte. Eine besondere Ab-
theiluDg seiner literarischen Arbeiten war seine dramatische
Schriftstellerei — unter dem erwähnten Pseudonym. Ihm ge-
hören die Komödien: „Incoguito", „Drotär" („Der Drahthin-
der"), „Smierenie" (,,Die Versöhnung"), die grosse Popularität
geniessen wiegen der treuen Darstellung des slovakischen Lebens
und gelungenen Durchfuhrnng des dramatischen Stoffes. Er gilt
für den eigentlichen Urheber des slowakischen Theaters; seit
dem Jahre 1858 treten bei den Slovaken Dilettantenvereine auf
und besonders beliebt sind die Komödien von Palärik. ' Er
war auch thätiger Theilnebmer an den Fublicationen geinee
Freundes Viktorin und veröffentlichte 1864 in dessen Almanacli
„Li'pa" seine Theorie der slavischen Gegenseitigkeit. Anbäoger
der Stammesautonomie, tritt er für den slavischen Föderalismns
gegen Centralisation und Absolutismus ein; Ansichten solcher
Art, von ihm schon früher in der Presse und auf der Versamm-
lung zu Sz. Marton 18G] ausgesprochen, zogen ihm Angriffe der
Gegenpartei zu, unter anderm in Pauliny's „Öernokna&oik". In
den letzten Jahren arbeitete Palärik an Elementarbücbern für
die katholischen Schulen.^
Josef Viktorin (geb. 1822), studirte auf katholischen SohD-
len, gelangte unter dem Einäuss Palärik's zum nationalen Pa-
triotismus, wurde 18^5 mit Stur bekannt und ward Hitarbeiter
der damals gegründeten „Stoveuske Noviny", Dies zog ihm, wie
Palärik, die Beschuldigung des „Fanslarismus" und eine Unter-
suchung zu, wie sie früher gegen Stür in Pressburg geführt
worden war. Trotzdem wurde Viktorin 1847 Priester; znßiUig
' „Drama ticke Spiay" (Dramatische Werke", Peel 1870). Seine Komödien
wurden auch in serbisch- kroatischer Sprache mit Erfolg anfgefahrt.
' Biographie im „Slovoik naoenj".
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EalholiaoHe Scbriftateller. 347
ward ihm dne katholische Pfarre in der Nachbarschaft von
Harban zutheil, mit dem er eich auch befreundete. Dies war
abermals ein Änlaas zu Beschuldigungen von magyarischer Seite,
nud im Jahre 1848 kam er ins Gefängniss. In den fünfziger
Jabren schloss er sich derjenigen slorakischen Partei (D. Lichard,
Paldrik, Radlinsk^ u. s. w.) an, die sich damals unter der Pro-
tection des Ministers Grafen Thun abermals um die Verbreitung
der cechischeu Sprache bemühte, gegen Hurbau und dessen Partei.
Viktorin nahm thätigen Antheil an der Polemik, die sieb über die-
sen Gegenstand zwischen den Zeitungen „VidenskyDennik" (dem
Organ der öecbischen Aristokraten), „Praiske Noviay" und Hav-
IKek's „Slovan" einerseits und Hurhan's „Pohl'adi" andererseits
entspann. Im Jahre 1858 gab Viktorin den Almanacb „Kon-
kordia" heraus, wo seine Artikel 6echiscb, die Palarik's aber
slovakisch geschrieben waren. Darauf gab er den Almanacb
„Lipa" heraus (3 Bücher, 1860, 1862, 1864), wo er wieder auf
die Seite der Separatisten trat, zum Aerger der Cechen. Von
Beiner slovakischen Grammatik war schon oben die Bede. Vik-
torin ist ein eifriger Patriot, der sich zugleich um die Entwicke-
lung der slovakischen lAteratnr (er gab die Werke von Jobann
Holiy, und die von Zäborsky heraus) und um die Erhaltung
ihrer Verbindungen mit der 6echischen Literatur bemüht.
Wir haben schon Andreas Radlinsk^ (gest. im April 1879)
genannt: er war vorwiegend kirchlicher Schriftsteller und Jour-
nalist und gab zu verschiedenen Zeiten die „Katolicke Noviny
pre dom i cirkev" („Katholische Nachrichten für Haus und
Kirche"), die erwähnte Zeitschrift „Cyrill a Method" (mit der
Beilage: ,,Priatel' äkoly i literatury" — „Freund der Schule und
Literatur"), Predigten u. a. w. heraus. Er war einer der eifrig-
sten Vertheidiger der Absonderung der slovakischen Literatur.
Oben haben wir Palärik und Pauliny-Töth als dramatische
Schriftsteller erwähnt. Schon früher trat auf diesem Gebiet der
früh verstorbene slovakische Schriftsteller Nikolaus (Mikuläs)
Dohnäny (gest. 1852) auf, dem das Drama „Podmaninovci"
(herausgegeben in Leutschau 1848) angehört. Aber insbesondere
ist ein fruchtbarer Dramatiker der wol älteste von den slova-
kischen Scbriftstellern der Gegenwart, Jonas Zäborsk;^ (geb.
1812). Seine Ausbildung war durch Mangel an materiellen Mit-
teln erschwert; aber er empfand früh national-patriotischen
Eifer, und sandte, gereizt durch die Angriffe der Renegaten auf
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348 FQnftes Kapitel. II. Die Slovaken.
die Sache des Voltes, an Eollar eine Ode „An die Slovaken"
(,,Na SloväkoT"), die auch in der damals erscheinenden „Zora"
(1836) abgedruckt ward. Alsdann brachte er ein Jahr in Halle
zu mit StÄr, Cervenak und Grossman. Nach seiner Rückkehr in
die Heimat gab er „Bäjky" („Fabeln", Leutschau 1840) heraus.
Nachdem ihn ebenfalls Beschuldigungen des Panslavismus be-
troffen, und er ausserdem materielles Misgeschick zu erdulden
gehabt hatte, blieb er nicht standhaft gegen die Ueberrednngen
— zum Katholicismus überzutreten. Im Jahre 1848 setzten ihn
die Magyaren ins Gefängniss unter der Beschuldigung, dass er
einen Aufstand plane; thatsächlich sympathisirte er gar nicht
mit dem Aufstand, indem er keine Hoffnung auf denselben setzte,
sodass Stör um deswillen eine unversöhnliche Feindschaft gegen
ihn fasste. Wir bemerken, dass Z&borsky vorher auch seine
„Stimme" in jenes Sammelwerk gegeben hatte, das vom Böh-
mischen Museum gegen die literarischen Neuerungen Stär's her-
ausgegeben wurde. Im Jahre 1851 gab er eine Sammlung Gedichte
heraus („Zehry, Basne a dve Keöi", Wien 1851, in welche auch die
frühem Fabeln übergingen); sie fanden aber ein so strenges und
ungerechtes Urtheil seitens M. Dohndny's und Kalin^äk's in Hnr-
hnn's Zeitschrift', dasa Zäborsk;? aufhörte zu schreiben. Erst in
den sechziger Jahren kehrte er wieder zur Literatur zurück mit
einer langen Reihe von jetzt schon slovakischen Dramen: zwei
derselben wurden unter dem Pseudonym Vojan Josefoviß in der
„Lipa" 1864 abgedruckt; ferner gab Viktorin dessen „Bäsne dra-
matick^" („Dramatische Gedichte", Pest 1865), dann seine „Pseu-
dodemetriaden" („Läedimitrijady öili hörky Liedimitrijovake t
Rusku", Pest 1866) heraus, d.h. eineReihe von neun Dramen, welch«
die Ereignisse des Interregnums von der Ermordung des Zare-
witscb Demetrius bis zu den ersten Jahren der Regierung Michael
Romanov's darstellen. Endlich wurden 17 Stücke von Pauliny-
T6th herausgegeben in den Beilagen zu dessen Journal „So-
kol".' Auch schrieb ZäborskJ Erzählungen, kleine satirische
> Slov. Pohl'adi, I, 185—198 {1861). Die Sohrift von ZäborekJ i»t in
üeobiHcber Sprache geschrieben mit Beimisobaug von elo*akiecbeB El^
menteu, da er für eine literarische Tereinigung mit den Öeohen eintrtt;
die Kritiker fanden, dass er nur der Eechischen Sprache Gewalt antbne,
woför ihm auch die Ceohen niobt danken würden.
' NeneJAnsgahe: „Divadelne hry" (Skalits 1870).
...., Google
Die Wirksamkeit der Matioa. 349
Artikel u. s. w. Allein das Hauptwerk Zaborsk^'s bilden seine
zahlreichen Dramen : ihr Inhalt ist im allgemeinen der alten Ge-
schichte der Slovaken entnommeii, und man rechnet ihm zu beson-
derm Verdienst an, dass er unter Vermeidung der gewöhnlichen
Liebesthemen sieb um eine getreue Darstellung der Ereignisse
bemüht — er schickt Beinen Stücken historigcbe Erzählungen
über den Gegenstand des Dramas voraus, die zuweilen sehr lang
sind. Diese Popularisirung der Geschichte mag in der Tbat
als ihr Hauptwerth für eine Literatur gelten, die an solcher
Lektüre nicht reich ist.
Die Gründung der slowakischen MaÜca war eine neue Be-
lebung des Volksthums : die Matica begann ihr Jahrbuch , Jjetopis"
herauszugeben; ihr flössen beträchtliche Spenden an Büchern,
Alterthümem und Geld zu. Im „Letopis" (zwei Hefte jähr-
lich) wurden Abhandlungen insbesondere über Alterthümer,
Geschichte, Topographie und das nationale Leben der Slova-
ken gedruckt; Mitarbeiter waren ohne Unterschied die Schrift-
steller beider Bekenntnisse — so traten hier auf J. L. Holuby,
Fr. Sasinek, P. Z. Hostinsk;^, Sam. Tomäsik, Jonas Zähorsk^, Hur-
ban, Samo Ghalüpka, Michael Godra, Dan. Lichard u. a. In den
Jahren 1860 — 70 erschienen nicht wenige Zeitungen und Jour-
nale: „Pelfbudinske vedomosti" von Francisci, Mich. Feren^ik,
die sich spater in die „Narodnie Noviny" in Thuröz Sz. Marlon
umwandelten; „Orol" („Der Adler"), Zeitschrift für Unterhaltung
und Belehrung von Ealinfiäk und Sytuiansk^; „Obzor" („Um-
schau"), Landwirthschaftliche Zeitung von Liebard; Slovenske
Novinj; „Cirkveni Listy" („Kirchenzeitung") von Hurban; „Cyrill
a. Method" von Radlinsk^; „Priatef ludu" („Der Volksfreund")
u. s. w. Die magyarische Regierung hielt es zur Gegenwirkung
gegen diese patriotische Literatur für nöthig, ein slovakisches Organ
zu haben — in früherer Zeit waren dies : „Krajan" („Landsmann"),
„Koruna" („Krone"), „Vlastenec" („Patriot"), aber sie konnten
sich nicht halten ; jetzt spielt diese Rolle die politische Zeitung
„Svomost" („Eintracht").
Die Matica war das einzige Centrum der national-literarischen
Interessen und erlaugte immer mehr Popularität in diesem Stnoe
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350 FünTtea Kapitel. II. Die Slovaken.
Allein ihre Tage waren schon gezahlt. Im Jahre 1874 hatten
die Slovaken eine neue schwere Verfolgung zu erdulden. Zu
Ende der sechziger Jahre gelang es ihnen, drei slovakische Gym-
nasien zu errichten (ein katholisches, zwei protestantische), welche
eine Hoffnung der nationalen Bewegung waren, weil sie eine
Erziehung in der heimischen Sprache geben konnten. Die ma-
gyarische Partei erreichte es, dass diese Gymnasien als „pan-
slavistisch und dem UDgarischen Staate gefahrlich" einer Unter-
suchung unterzogen, und obgleich diese die Ankl^e nicht be-
stätigte, doch alle drei geschlossen wurden; gleich darauf wurde
auch die Matica einer Untersuchung unterworfen und ihre Thä-
tigkeit eingehalten. Ihre Sammlungen und die Bibliothek wurden
sequestrirt.
Dies war ein gefahrlicher Schlag für die Nationalität, die
hier mit ihren bescheidenen Mitteln ihre nationalen Schätze ge-
sammelt hatte und durch jähe Gewaltthat verlieren musste. . . .
Die slovakische Literatur stellte sich Hilferding zu Ende der
fünfziger Jahre als ein „Chaos" dar. Einen solchen Eindruck
dürfte sie auch jetzt wieder machen. Die localen Kräfte haben
keinen Schutz gegen das Magyarenthum ; die slavische „Gegen-
seitigkeit" ist wie gewöhnlich nicht da; die eifrigsten Patrioten,
wie Hurban, geben die slowakische Sprache zu Gunsten der
öechischen auf,
Nicht lange vor ihrer Schliessung nahm die Matica noch eine
wichtige Publication vor: ein Archiv alter öechisch-slovakiscber
Urkunden uqd Schriftdenkmäler * und eine Sammlung von Volks-
liedern. Der Bedacteur der erstem Publication war der fleissige
Schriftsteller und warme Patriot Franko Viktor, oder Vitazoslar.
Sasinek (geb. 1830). In einer armen Familie geboren, war er
im 16. Jahre schon ein Kapuziner Laienbruder, 1853 wurde er
Priester, trug kirchliche Gegenstände in verschiedenen katho-
lischen Schulen vor, erhielt 1863 die Erlaubniss aus dem Orden
zu treten, und 1864 ernannte ihn der erwähnte Bischof Moyses
zum Professor der Dogmatik am Seminar zu Neusohl und mm
Prediger an der bischöflichen Hauptkirche. Sasinek legte eine
ausserordentliche Thätigkeit an den Tag, nahm Antheil au allen
' Archiv Btarjch SeBko-alovenak^oh liBtin, plamennosti s dejepiEn^cK
püvodin pre dejepjs a üteratiiru Slov&kov (2 Bde. Tliurücz Sz. Uuloa
1872-7S).
.....Gooj^lc
Suiaek. T^tuukf. 351
patriotischen Unternehmungen, wie z. B. an der Gründung der
„Peit-budinske Vedomosti", an der Gründung der „Matica",
schrieb viel in Versen und Prosa in slovakische und nichtslova-
kische Zeitschriften, verfasste lateinische Lehrbücher, geistliche
Liederbücher u. s. w. Endlich trat er als der hauptsächlichste
Historiker der Slovaken hervor: von ihm sind ein^e Werke über
die Geschichte des Slovakenlandes und Ungarns, und es gibt
fast kein Heftchen des Letopis der Matica, das nicht eine anti-
quarische oder geschichtliche Abhandlung von ihm enthielte. '
Mit dem Aufhören der Matica- Zeitschrift hat Sasinek eine
eigene Zeitschrift unternommen, welche der sloYakischeo Ge-
schichte, Topographie, Alterthumskunde und Ethnologi« gewid-
met ist.'
Aber auch in dieser unsicbern und schwierigen Lage glimmt
der nationale Patriotismus fort. In der oben genannten deut-
schen Schrift hat Sasinek auch dem nichtslovakischen Publikum
von den rohen Gewalttbaten gegen seine Nation erzählt; die
Patrioten hegen Hoffnung auf die Gerechtigkeit ihrer Sache.
Die Freunde des slovakischen Volkes begrüssten mit grosser
Sympathie ein neues Lebenszeichen in der slovakischen Literatur,
das Schriftchen „Tatry a More" („Die Tatra und das Meer",
Thuröcz Sz. Marton 1880), eine Sammlung lyrischer und epischer
Gedichte eines Dichters der neuen Generation, Vajansk^ (Pseu-
donym). Die Tatra ist die Heimat des Dichters, das Meer ist
das Adriatische, wo er Länder des verwandten Slaventhums be-
sucht hat. In seinen Gedichten finden sich Anklänge an die
romantische Manier der üecben, sie sind ungleichtnässig, haben
aber viel selbständigen Charakter und poetische Originalität;
der nationale Patriotismus spricht sieb in scharfen Zügen aus,
besonders in der Dichtung „Herodes", dessen Name dem Erb-
' Seine haupiaBohlicheteti geBohiohtlicheu Werke sind folgende: „Dejiny
drievnjch närodoT na ÜEemi terajSieho Uhoreka" („Geachichte der alteii
Völker auf dem Gebiet des heutigen Ungarn", Skalitz 1867 mit Karte ;
2. Ausg. Thoröcz Sa. Marton 1878), — „Dejiny pofiatkov terajSieho ühorBka"
(„Geschichte der Anfänge des jetzigen Ungarns", SkalitK 18G8, mit Karte).
— „D^iny kr&l'ovatva Uhorekeho" („Geschichte des KönigreiohB Ungarn."
1. Bd. Das Hans Arpad, 1009—1800, Neusohl 1869. 2. Bd. Versohiedene Dy-
naetien, 1300—1526. Thnröcz Sz. Marton lh71— 77).
' SloTenskJ letopis pre historiu, topografiu, archaeologiu a ethnografiu.
Der 1. Jahrgang oder Band erschien Skalitz 1876; der 2. 1877.
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352 Fünftes KapiMl. IL Die Slovaken.
feinde, dem Magyaren, gegeben iet. öecbische Kritiker le-
griissten die Schrift Vajansk^'ä mit grosser Sympathie, konn-
ten sich aber der Frage nicht enthalten: „Ob für immer das
enge Band zerrissen sei, welches einst die öechen und Slo-
vaken zu einem mächtigen £echo-slovaki&chen Volke vereinte.
Ob sich niemals mehr diese nationale Einheit erneuern lasse
und ob dies nicht ihnen und uns und dem ganzen Slaventhom
nützlich sei.'"
Die Frage verwickelt eich durch neuere Nachrichten über
begonnene Auswanderungen der Slovaken nach Amerika noch
mehr.
» 8. Kvety, 1880, Januar, 8. 110—122. 128.
.yGoOgIf
m. Die Volfcspoesie bei den Cechen, Mährern und Slovaken.
Die historischen Nachrichten über die Volkspoesie der Cechen,
wie auch der Mährer und Slovaken, sind für die alte Zeit sehr
dürftig. Bei den alten lateinischen Chronisten, von KoBmas von
Prag an, in einigen altcechischen Werken finden sich Erwähnun-
gen über den Gesang von Liedern, aber aus diesen Angaben
kann man fast nur die nackte Thatsache der Existenz einer
Volkspoesie abstrahiren, die man auch ohne dies schon a' priori
annehmen könnte. Die Grundfrage, -welche hier entgegentritt,
besteht darin: existirte bei den Cechen (in historischer Zeit) eine
epische Poesie? Man hat sich an die Ansicht gewöhnt, die
Epik sei eine nothwendige Begleiterin alter Zeit, und bei den
Cechen wurde sie nicht blos vorausgesetzt, sondern auch durch
Thatsachen nachgewiesen, nämlich durch die Existenz von „Li-
buSa's Gericht" und der Königinhofer Handschrift. So kehren
wir wieder zu der früher bebandelten Frage zurück.
Wir können den gegenwärtigen Stand der Frage genügend
priicisiren, wenn wir zwei entgegengesetzte gelehrte Meinun-
gen anführen. Die eine wird in der Schrift von Jos. und
Hermenegild JireCek, „Die Echtheit etc." dargelegt, worin
tlaa Epos der genannten Denkmäler vertheidigt und die dürf-
tigen Erwähnungen der alten Denkmäler über die Volkspoesie
in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine epische Poesie be-
stand. Die andere Meinung ist von Jagi<5 • ausgesprochen
worden, der (IS76) zwar die Echtheit jener Denkmäler nicht
direct leugnet, aber deutlich seinen starken Zweifel daran zu
erkennen gibt nnd entschieden in Abrede stellt, dass es nach
' In der erwähnten „Gradja etc.", in russischer Tleberaetzunfi in Zh-
.lorackij'a „Slav. E/eÄodnik" für 1878, S. 179—193.
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354 Fünftes Kapitel. III. Öecho-Slovaken.
ihnen erlaubt sei, irgendwelche Schlüsse über die Existenz einer
Epik in historisch bekannter Zeit bei den Cechea zu ziehen, und
indem er die Erwähnungen über die Lieder in den Chronikec
analysirt, in ihnen auch nicht die geringste Andeutung gerade
auf das Epos findet. Im Resultat seiner sehr bündigen Unter-
suchungen sagt Jagi6: „Mit Recht kann man bezweifelt), dass
das iechische Volk im 13- und 14. Jahrhundert eine andere
Volkspoesie hatte, als jetzt. Ich meine die Kategorie, den
Charakter, den ganzen Typus und nicht den Inhalt der einzelnen
Lieder. Der Inhalt gleicht den Blätternr,die im Herbst Tom
Baume fallen, und im Frühling neu ausbrechen, aber ebenso
wie früher. Dies lässt sich wenigstens durch einige kleine Zeug-
nisse beweisen. In den handschriftlichen Sammlungen der welt-
lichen, nicht volksthümlicben, sondern Eunstlyrik gibt es noch
hier und da ein durch und durch volksthümliches oder als
Nachahmung eines solchen gesungenes Lied. . . . Woraus ent-
nehmen wir, dass dies Volkslieder sind? Eben daraus, dass
sie der gegenwärtigen volksthümlichen Lyrik so wunderbar ähn-
lich sind. Folglich hat das 6echische Volk in fünfhundert
Jahren nicht im geringsten den Charakter seiner Volkslyrik ver-
ändert . , . ."
Ohne die ganze Argumentation Jagi6's anzuführen , bemerken
wir nur, dass sie bisher von der fiechischen Kritik nicht um-
gestosscn ist, sondern im Gegentheil die Zweifel am altfechj-
Bchen Epos wachsen.
Positive Zeugnisse über volksthümliche lyrische Lieder gehen
bis ins 14. Jahrhundert zurück. In den Handschriften haben sich
sehr viele erhalten, wenn auch nicht vollständige Lieder, so doch
ihre Anfangsworte oder Anfangsverse — der Melodie halber.
Die Sache verhält sich so: die Compoiiisten kirchlicher Lieder
passten ziemlich häufig den Rhythmus derselben der Melodie
von damals allgemein bekannten und beliebten Volksliedern an:
die geistlichen Dichter erwarteten ohne Zweifel, ihre Lie*ler
würden sich besser im Gedächtniss halten, wenn sie nach einer
bekannten Melodie gesungen würden. Deshalb wurde in den
handschriftlichen und später in den gedruckten Sanunlungeo von
Kirchenliedern gewöhnlich vermerkt, dass das Lied nach dem
und dem Volksliede gesungen werde, das dann mit dem ersten
Vers angeführt war. Ausser dem Rhythmus erhielt sicK so
auch die Melodie: in einigen Cancionalen wurde der Anfang des
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die Volkapoesie. 355
Volkaliedes angeführt, in andern die Melodie in Noten daznge-
Bchrieben, in noch andern geschah beides nebeneinander. Ausser
den Cancionalen gibt es noch andere Aufzeichnungen auf leeren
Blättern und Umschlagen von Handschriften, die wie zur Zer-
streuung von langweiliger Arbeit gemacht sind, z. B. manchmal
in schweren lateiniechen Tractaten u. s. w. Auf diese weltlichen
und Yolksthümlichen Lieder in alten Handschriften haben die
Öechischen Gelehrten schon lange ihre Aufmerksamkeit gelenkt,
Z.B, Palacky (im „Oasopis", 1H27}, dannHanka, Jungmann,
Safafik, Hanns, aber mit der grössten Vollständigkeit sind
diese Zeugnisse und Stücke von Liedern in speciellen Arbeiten
von Feifalik und Jiref^ek gesammelt.'
Es ist begreiflich, dass dio Dürftigkeit der erhaltenen Ueber-
reate keine feste Grundlage bietet, um über das Alter und den
Grad der Productivität der Volkspoesie bei den Cechen einen
SchlusB zu ziehen; diese Fragmente geben nur die Möglichkeit
über ihren Typus in den gegebenen Epochen zu urtheilen. Es
ist begreiflich, dass die Öechen auch schon Jahrhunderte lang
vor diesen Zeugnissen ihre Volkslieder als den natürlichen
Ausdruck des persönlichen Gefühls, der Religion, der Feste
hatten; es ist sehr wahrscheinlich, dass schon in alten Zeiten
wichtige historische Ereignisse, die das Volk bewegten, auch
Lieder zum Preise und zur Verurtheilung hervorriefen — wie
' Julius Feifalik, AltfeuhiBche Loiohe, Lieder iiud Sprüche des XIV.
und XV. Jahrhunderts {in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie,
Bd. XXXIX, 627 — 743); vgl. aueh die andern Untersuchungen dieses Schrift-
stellers fiher die altfechische Literatur. Hier sind fOrn XIV. — XV. Jahr-
hundert 99 lyrische Gedichte verzeichnet, der Mehrzahl nach aus der Euost-
lyrik, doch sind auch einige augenscheinlich rein volksthümliche (vgl, S. 041
— 1>46) darunter, für weiche Feifalik inshesondere die Nummern XXI — XXVI
seiner Sammlung hält. Jirerek, „Zbjtky Geskj'ch pisni närodnich ze XIV
ilü XVllI v&ku" (im Üsopis, 1K7i), S. 44-59). Hier sind an 133 Anfangs-
veree gesammelt und zum theil gnn/e Lieder naiAi alten Sammlungen, Cau-
cioaalen n. s. w.
Die frühem Arbeiten zur Sammlung vim Liederfragmenten sind in
diesen Abhandlungen angefiihrt. S. auch Rukovfl, 11,121; VJbor z liter.
eeeke 11, 639— G4G; MalJ vjbor, S. 93-99. Vgl. noch ein Lied, das nicht
in diese Saramlaugen jielangt ist: Mistr Lepiü, maudr} hmJ'ii^, aus einer
Handschrift des 15. Jahrhunderts, bei Safaf'ik, „Klasohräni" (im f'asopis
1848, H, '271— 27-2; in den Gesammelten Werken ist dieser Text nicht vor-
hält den).
ü,g:..^" Google
366 Fünftes Kapitel. IIL Cecho-Slovakeu.
eine Masse von Liedern der letztern Art in der huseitischen
Epoche aufkam und trotz aller Verbote im Lande circulirte als
Echo der Stimmung in der GeaellBchaft und im Volke. — Aber
alles das gelangte, besonders in alter Zeit, nicht zu schriftlicher
Aufzeichnung: die alten Chronigten waren gewöhnlich Scbriftge-
lehrte, die mit mehr oder weniger Verachtung solchen Er-
scheinungen des Volkslebens gegenüberstanden; dabei TCrurtheilte
die Kirche bei den Cechen, wie auch bei den Küssen und über-
haupt im Mittelalter, die Volkspoesie entweder als eine Spur des
Heidenthums, was sie nicht selten auch war, als eine Unterhal-
tung, die mit der neuen ascetischen Moral in Widerspruch stanrl.
oder direct als eine obscöne Sache, was die Lieder wahrschein-
lich zum Theil auch in der That waren. '
Der bei den öechen früh begonnene lateinisch-deutsche Ein-
fluss führte in den gebildeten Kreisen die Kunstpoesie ein, die
aufs neue die selbständige Volkspoe&ie in den Hintergrund
drängte. Den Gebildeten schien die Poesie des Volkes nicht der
Beachtung werth, und die einzigen Leute, welche sich für die-
selbe interessirten , waren diejenigen, die zwischen den zwei
Schichten standen, dem höbern Stand und der Schule auf der
einen und dem Volke auf der andern Seite. Dies waren die
„Schüler" (zäk), „Vaganten", die nämlich aus der mittlem und
ni ed er n Klasse hervorgingen und dem gewöhnlichen Leben, seinen
Sitten und seiner Poesie noch nahe standen. Sie waren auch
selbst Verfasser von Liedern, deren nicht wenige in den alten
Sammlungen von Liebes-, Scherz- und maccaronischen Liedern
verzeichnet sind, und die Volkslieder, welche sich aus jenen
Zeiten erhalten haben, erscheinen gewöhnlich in Sammelbändea
' Aus dem 15. Jahrhundert führt Feifalik (S. G43, Acmetk.) ein interps-
aautea Citat aus einem unbekannlen Autor an, der im Gt^geutheil unwillig
war, dass man zu Beiucr Zeit „die guten Volkalieder" verbot, und die
liederlicben nicht verbot; er verurtheilt die Leute, qui bonas valgares e»n~
tiones probibeut, quae sunt ex lege dei, sanotis evangeliis ac epistoUa et
prophetiB et apostolicia dictis compositae, 6t non prohibent cantue mere-
tricum, qui ad lasciviam et adalteria provocant et«. Die Sache verhält sirb
so: im 15. Jahrhundert verliot die Kirche diese „guten Lieder'*, «elclic
Gegenstände aus der Heiligen Schrift behandelten, um Anlässe zur KeUer«i
zu vermeiden; aber sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wahrscheinlich nicht
auf die gewühnliehen Lieder, unter denen auch solche vorkommeu mocit^n,
die als cantus nieretricum uhnraklerisirt sind.
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Die Volkapoedie. 357
mit ernsten Schulexcerpten u, s. w,, unter welchen auch fröhliche
Lieder aufgezeichnet sind.
Das8 Lieder, welche in den alten Sammelwerken angeführt
oder erwähnt werden, wirklich volkstbümliche waren, schliesst
man aus ihrer Manier und den Angaben der Melodie, die für
allgemein bekannt gilt, und endlich aus der Aehnlichkeit ihrer
Anfänge mit Liedern, welche noch jetzt bei den Cechen, Mäh-
rern und Slovaken bestehen. *
Man kann naturlich nicht behaupten, dass jene alten Lieder ge-
lude dieselben sind wie die heutigen, mit denen sie eine Aehn-
lichkeit haben. In den ältesten Liedern zeigt sich manchmal bei
gleichem Anfang ein doppelter oder dreifacher Rhythmus, d. h. es
gab auch damals schon bedeutende Varianten; es ist kein Wun-
der, dass der Rhythmus der alten Lieder nicht immer mit dem
der neuern übereinstimmt. Man kann nur annehmen, dass das
alte und neue cechische Lied dem Typus nach gleichartig waren,
dass es wenigstens Tom 14. Jahrhundert einem Baume glich,
auf dem sich mit jedem neuen Frühling neue Blätter zeigten.
Soweit man nach diesen wenigen üeberresten von ganzen
Liedern und Anfangsverseu schliessen kann, war die jVolkspoesie
bei den Cechen schon seit dem 14. Jahrhundert im Vergleich
mit andern slavischen Stämmen stark modernisirt. Dies v&tg
sehr natürlich bei den Begegnungen mit den lateinisch-deutschen
Einflüssen, die von altersher im Sechischen Leben wirkten und
seine alten Stammesunterschiede verwischten. So drang in Böh-
men schon früh mit den deutschen Sitten die deutsche höfische
Poesie ein; am böhmischen Hofe waren deutsche Minnesänger,
joculatores, und schon im 12- Jahrhundert vrird ein ,joculator"
mit cechischem Namen „Dobreta" erwähnt; es treten die er-
wähnten „Vaganten" auf — sie popularisirten allmählich die
Kunstpoesie der Liehe und des Scherzes, welche sich schliess-
lich in das Gebiet des Volksliedes einzudrängen begann. Es
ist bekannt — unter andenn aus der Erfahrung des Volkslebens
in RuBsland, — dass sich die Dorfpoesio zwar bei isolirtem
Leben fest an die Tradition hält, aber bei Begegnung mit dem
Stadtleben ziemlich leicht vor einer relativen Bildung, vor neuen
Sitten weicht. Die Fülle von Kunstliedern, die gelegentlich der
politischen Unruhen des 15. — 16. Jahrhunderts gedichtet wurden*
■ Beispiele siuho iu dcu „Ei'gäuzungen uud Beri(;htiguugcii".
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358 Föaftee Kapitel. DI. Cecho-Slovaken.
die Zunatune der „Vaganten", lassen annehmen, dass das Volks-
lied bei den Öechen in hohem Grade von den Einflüssen der
deutschen Sitten und der Kunstdichtung berührt war; dies sprach
sich sowol in seinem Inhalt, dem schon jene natürliche Naive-
tät fehlt, wie wir sie bei Stämmen finden, welche weniger von
städtischer und fremdländischer Civilisation berührt sind, als in
der Form aus, wo dem Verse wahrscheinlich schon früh der
Reim beigegeben wurde.
Eine neue und consequente Beachtung der Volkspoesie fällt in
den Anfang des jetzigen Jahrhunderts. Das erste Beispiel dieser
Art will man in den „Prvotiny" („Erstlinge") von Ilromädko ini
Jahre 1814 finden, wo die serbische Liedersammlung von Vuk uud
die russische von Prac angezeigt waren und auf die Nothwendig-
keit, äecbiscbe Lieder zu sammeln, hingewiesen wurde. Darauf
wurde 1817 bekannt, dass man bei den Slovaken an eine solche
Sammlung gehe, und in demselben Journal begannen slovakische
Lieder zu erscheinen. Hanka versuchte eine Uebersetzung ser-
bischer Lieder herauszugeben, um alsdann seine Landsleute mit
der Volkspoesie anderer slavischer Stämme bekannt zu machen,
aber das Unternehmen hatte keinen Erfolg und ward nicht fort-
gesetzt. Endlich erweckte ein besonderes Interesse an dem Gegen-
stände das Erscheinen des „Gericlits der Libusa" und der Königin-
liofer Handschrift, und die erste Arbeit über Volkspoesie, die
Erfolg hatte, war das früher genannte Buch von Celakovsky,
wo ausser (ecliiscben, mährischen und slovakischen Liedern Pro-
ben der Volkspoesie fast aller slavischen Stämme mit techischer
Uebersetzung gegeben wurden.' Im Jahre 1825 wurde schon eine
bedeutende, wenn auch wenig correcte, Sammlung von Melodien
herausgegeben. Im Jahre 1834 liess Jar. Langer im „Casopis"
einige Lieder erscheinen , welche sich auf Hochzeits- und andere
Gebräuche bezogen.
Noch zu der altern Generation der cechischen Patrioten ge-
hörte ein eifriger Sammler von Alterthümern, nationalen Ge-
bräuchen und Poesie, Wenzel Krolmus (oder Grolmus, 1787 —
1861). Unter dem Einflüsse der ersten ficcbischeu „Patrioten",
besonders Jungmann's, aufgewachsen, reiste er schon während
I ' Sluvanskt närodni piaDÜ (3 Bde. Prag 1822—29). Kioe Auswahl daraus
in deutscher Uelieraefzung : Slavische Volkslieder, von Jos. Weniig lU*"«^
1830).
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Die Volkspoesie. 369
der Studentenzeit im Lande herum und studirte Alterthum und
Volksthum. Nachdem er 1815 Priester geworden, lebte er in
Provinzialstädten , erlangte bald grosse Popularität im Volke,
sogar unter den Nichtkatboliken ; endlich nahm er sich vor, die
katholische Agende ins Cechische zu übersetzen und nach ihr
Gottesdienst bei Nichtkatboliken zu halten. Dieser Umstand
und überhaupt seine besondere Popularität zogen ihm nicht wenig
Ungelegenheiten mit seinen Obern zu, die ihn von Ort zu Ort
versetzten und ihm zuletzt 1843 den Abschied gaben. Alter und
Kränklichkeit hinderten ihn nicht an der Volksbewegung des
Jahres 1848 Theil zu nehmen. Er arbeitete viel in der Alter-
thumskunde, besonders an Ausgrabungen, und lieferte viele
Alterthümer für das Böhmische Museum und Privatsamm-
lungen, gab auch viel Material zu dem Buche Kalina's. ' In
dieser Alterthumskunde war er ein äusserst eifriger Forscher
und — Phantast: er üprach mit Ueberzeugung von dem vor-
historischen Alterthum, fand Spuren von Opfern für Cernoboh,
entdeckte ohne Mühe altcechische Runen und las sie mit Leichtig-
keit u. s. w. Der Verfasser lernte ihn zu Endo der fünfziger Jahre
als hinfälligen Greis kennen, der jedoch auflebte, wenn er von
seinem Lieblingsthema, dem böhmischen Alterthum, zu sprechen
begann. Er war der Typus eines alten „Patrioten". Wissen-
schaftliche Kritik hesass er sehr wenig, aber seine ethnogra-
phischen Arbeiten hatten ihrerzeit nicht geringen Werth, wenn
auch zuweilen nur als Anregung von Fragen: es kam ihm nicht
darauf an, in der böhmischen Alterthumskunde von Vishnu und
Siva, von Cernoboh u. s. w. zu reden, das alte Slaventhum stellt
sich ihm in der Gestalt der „Slavia" dar, — aber über das Volks-
leben seiner Zeit gibt er nicht wenige schätzbare Nachweise,*
' M. Kaiina von Jäthensteiu, „Bübmens heidnische Opferplätze,
Gräber und Alterthümer" (Prag 183G).
'Sein Hauptwerk; „Staroteake povÖsti, zpävy, hry, obyCeje, Blftvnosti
i näpSvy ohledem na bajeBlovi tesko-slovanskc, jez sebral V. S. Sumlork"
(seiu Käme verkehrt gelesen, „Altfeohiacbe Erzählungen, Lieder, Spiele,
Gewohnheiten, Feste u. 6. w.", 13 Hefte oder 3 Bände. Prag 1846— 61);
„Posledni BoziStG Cernoboha s mnaiiii naSkalsku v kraji Boleslavekem" (, JHe
letzte Opferstätte Cemobohs mit Runen in Skalsko im BunzUner Land",
Pr^ 1857); „Agenda EcBki" {„Cechische Agende", Prag 1818).
Vgl. noch Aber ihn inTomek'sUnterBuchungea über das „Gericht der
Libuäa".
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
360 Fünftes Kapitel. III. Ceoho-Slovaken.
Für ein claHsisuhes i^uch gilt die von uus früher erwähnte
Sammlung öechischer Volkslieder vou K.Jar. Erben: zum ersten-
mal erschien seine Sammlung 1842 — 43; die dritte Ausgabe in
den sechziger Jahren. • Erben befasste sich auch mit der andern
Seite der Volkspoesie — dem Märchen; wir haben oben sein
hierher gehöriges Buch genannt. Auf die Märchen irar schon
früher die Aufmerksamkeit gelenkt worden: es erzählten und
bearbeiteten sie z. B. Jakob Maly^ Bozena Nemcova, J. K.
TyP und besonders J. K. z Radostova, welcher in den fünf-
ziger Jahren ein umlängliche Sammlung cechischer Märcbeu
herausgab.* Leider bleibt sehr häufig der Leser — und mit
ihm auch der Forscher — ohne Anweisung, in wie weit sich
die Sammler an die originale Erzählung des Volkes gehalten
haben, d. i. wie viel darin rein ethnologisches Material und wie
viel literarische Bearbeitung ist.
Zu Anfang der siebziger Jahre bildete sich in Prag ein Verein
von Freunden des VolksthumB, dem Anschein nach hauptsächlich
aus der akademischen Jugend, unter dem Namen „Slavia", der die
Sammlung und Herausgabe von Erzeugnissen der Volksliteratur
unternahm und später unter der Leitung Gebauer's stand. Der
Kreis dieser Erzeugnisse war der, den schon Krolmus bezeichnet
hatte, und die „Slavia" nahm zur Regel, in ihre Sammlung nur
Nichtpublicirtes oder neue Varianten aufzunehmen. ^ Unter an-
derm lenkten die Herausgeber auf den Rath Gebauer's ihre Auf-
merksamkeit darauf, dass man bei der Niederschrifl volksthüni-
licher Erzeugnisse die Unterschiede der Localmundarten bewahre.
' Prostouärodni Ceske pfunS a rikadla (Cechiaclie Volkelieder und Siirüchu,
Prag 1862—64, ein starker Band).
* Närodoi Eeske pohädky a povesti (Cechisühe Volkemärchen und Er-
zählungen, Prag 1838), nnd namentliuh: Sebrane bäohork; a povSati narodai
(OeBammelte Volkemärchen und Erzählungen, Frag 1845).
■ DrobnSjlI povfdky prostonärodni (Kleine volksthümlicbe Enäliliuigcu,
in Beinen GeBatnmelten Werken).
' Närodni pob&dky (Volksmäroben, 12 Hefte. Pra^; 1856— 58; S- ^a&.
iu 2 Bdn. Prag 1872).
' Närodn! pobadky, pisni^, hry a obyEcje. Vydävä pc(i komise pru
nbiräni när. pohädek etc. litcrärni feinickj spoiek „Slavia" v PraiB (1- Ab-
thcilg. 4 Hefte, Pr^ 1873—75; 2. Abthlg. mit dem auHführliuhen Titel:
„Nirudni pienf, pohädky, poveati, i^ikadla, prislovi, potclcadb, ubycejc
väeobeune a zejmena prävni", i Heft«, Prag 1877—78).
...., Google
Die VolkBiiocBii. 361
Für Mäbi-en ist dur hauptsächliehstti und bedeutendste
Sammler Franz Susil (1804—1868). Von Geburt Mährer, seit
1827 PrieBter, dann Professor der Theologie zu Bmnn, war er
in Mähreu einer der ersten Wecker des national-slaviscben Pa-
triotismus und lange nachher sein hauptsächlichster Vertreter.
Er war claesischer Gelehrter, Theolog, Dichter und Ethnolog,
auch ein eifriger Förderer der Gesellschaft des heiligen Cyrill
und Method (Dedictvi sv. Cyrilla i Methodeje), welche für die
national •patriotische Literatur arbeitete. Er gab eine Antho-
logie TOD UeberBetzungen aus Ovid, Catull, Properz und Musaus
heraus, 1861; ein sehr geschätztes Werk über die öechische
Prosodie, 1861; eine Uebersetzung des Neuen Testaments, die
für eine der besten Erzeugnisse der ^echiscben theologischen
Literatur gilt. Seine eigenen (geistlichen) Lieder sind schwer-
fällig in der Form, aber von einem warmen patriotischen Ge-
fühl durchdrungen. Er nahm sich früh vor, VolkUeder zu sam-
meln, da er Besorgniss hegte, dem Cechischen Stamm drohe
Untergang , wie dem Baltischen Slaventhum ; später fesselten
ihn die poetischen Schönheiten dieser Erzeugnisse. Seine erste
Sammlung erschien im Jahre 1835 — 40; die 2. Ausgabe, 1860',
zählt zu den besten Sammlungen slavischer Lieder in Bezug auf
die Fülle des Materials, die Genauigkeit der Aasgabe, den Reich-
thum an volksthümlichen Melodien. '
Ein anderer fleissiger Sammler ist Beues Method Kulda (geb.
1820). Ebenfalls Mährer von Geburt, studirte er auf dem Semi-
nar zu Brunn und bildete sich überhaupt unter dem Einäuss Susil's
aus; seit 1845 Priester, ward er ebenfalls ein warmer Förderer
der nationalen Sache, nahm an den patriotischen Unternehmun-
gen in Mähren und später in Böhmen, sowie an der Gesellschaft
des heil. Cyrill und Method theil; im Jahre 1870 ward er Ka-
nonikus zu Vysehrad in Prag. Seine literarische Thätigkeit kam
zunächst in religiösen und belehrenden Büchern für das Volk
zum Ausdruck — in demjenigen katholischen Geiste, der von
' Moravake narodiii piaoe s näpävy do tcxtu vhidSuJini (Brüun ISliO,
ein )p-OBaer Band von 800 S. Tuxt in zwei und drei Spalten mit der Me-
lodie für jodca Lied).
' Vgl, Aber den Charakter der Wii-ksatiikcit der kalbuliaeliun Ueiatliub-
k«it und der Oesollschaft des heiligen Cyrill und Method bei Uilferdiug,
Sobr. SoEin. II, 99—100.
D,9:.z.a., Google
362 Fünftes Kapitel. III, Cocho-SIovaken.
HüferdiDg verurtlieilt wird, aber sich dadurch zur Genüge er-
kliirt, dasa die katholische Geistlichkeit iii Mähren die Haupt-
stütze der nationalen Bewegung bildete; zweitens in sehr werth-
vüUen ethnologischen Arbeiten. Seine „Volksmärchen und Er-
zählungen aus der Umgegend von Boscnan" oder der sogenann-
ten mährischen Walachei erschienen als besonderes Buch im
Jahre 1854; darauf gab er 1870 — 71 in dem damals gegründeten
„Casopis" („Zeitschrift") der mährischen Matica „Volksaber-
glauben und Gebräuche" aus demselben Kreise heraus. Beides
vereinte er dann in einer neuen Ausgabe. ' Die mährische
Walachei zeichnet sieb nach den Worten Kulda's durch eine
besondere Reinheit des cechiscb- mährischen Volkstbums aus,
und der Sammler bemühte sich, die Volksmärchen in ihrer
ganzen volksthümlichen Echtheit zu überliefern. Ihm gehört
auch eine interessante Darstellung der cechischen Vo Iks-
bochzeit mit ihren Gebräuchen, Reden, Liedern und deren Me-
lodien an.'
Früher als Kulda sammelte mährische und schlesische Volks-
märchen Matthias Mikäicek, in den vierziger Jahren.^ Seit
1880 gibt Fr.M. Vräna mährische Volksmärchen und Erzählun-
gen in Heften heraus, und er bemüht sich besonders, sie getreu
nach dem Volksmunde wiederzugeben.^
Der ersten Forschungen über die Volkspoesie der Slovakeu
haben wir oben gedacht, als von den Arbeiten Safarik's und
KoUär's die Rede war. Zu jener Zeit waren dies bei den SIo-
vaken und Cechen die Männer, die am lebendigsten die Volkspoesie
empfanden und am bewusstesten die Nothwendigkeit ihrer Er-
forschung erkannten. Nach der Liedersammlung Safank's, l>'23
' Moravske näroiloi pohädky, povesti, obyCeje a povevy (2 Bde, Prag
lSU — lr>). In der Vorrede (I, S. 14) gedenkt Kulda mit Befriedigung der
sympathischen Acusserung Hilferding'a über sein Werk.
' Svadba V mirodü teHko-alovanskem Ci Bvadcbni obyCeje, teti, pru-
niluvy, pHpitky a 73 svadcbuidi pisni a näpiSvä etc. (ülmütz 1863; ä.Ausg-
18Hli; a. Au8g. 1875).
' Shirka povCsti inoniv8l(>'ch i sleKskych [4 Hefte, Olmütx 1843-4»;
a. Ansg. 1850). — Närodni bächorky (2 lieft«, Znaini 1845). — Pohidky ■
povidky lidu moravskebo (Brünu 1847).
< MoravBke uävodni pohadky ii povSsti (Brunn 1860 fg.)
..., Google
Dio Volkspocsic. 363
— 27, folgte die umfangreiche zweibändige Sammlung KollärV
Schon in der „Slävy dcera" feierte Eollar den Beichthum des
slavlEchen Liedes; in den Erklärungen zu seiner Dichtung liihrte
er eine Reihe Zeugnisse selbst von ÄUBländern über diese poe-
tische UeberfüUe an.' Die Ausgabe der Lieder ist mit grosser
Sorgfalt ausgeführt: sie ist überaus manniclifaltig und diese
Mannichfaltigkeit ist in der Anordnung des Materials nuancirt;
den Liedern sind viele historische und ethnographische Erklä-
' Närodaie Ziiiewänky tili pjsuS Bwütskü Slowäkä w UbräcL gak po-
»politiiho liJu tak i wjääjuh atawüw, aebrane od mnulij'cb, w pofädek uwcdcüiJ,
wynw&tlenjnii opfttfeue a wydaue od Jana Kollära (W, Biidjnf, 1834—35).
Vor dieeeo Ausgaben waren einige nlovakiache Lieder abgedruckt wonlcn
in dem Joamal Hromädko's und in Celakovakj'a Sammlung alav isolier
' Im Vorwort zum zweiten Bajid aeiner „Slovakiscben Lieder" weial
Safarik ebenfalls mit Stolz auf die wunderbare Verbreitung von Liedern
t>ei den Slovaken hin, die einen allgemeinen slaviacben Zug bildet und der
selbst den Feinden dea Slaveutliums niulit unbemerkt bleiben konnte. Ein
Deutsoher, Yerfasaer des Buchea: „Freymüthige Bemerkungen einea Ungare
über »ein Vaterland" (Teutachland 1799) — aagt: Eine auBaerordentlioho
Liebe zum Gesang bildet einen weaeutliolieu und aoliünen Zug der Slaven.
Luatig iat ee über die Felder zu geben zur Zeit der Ernte: da singt allca.
Selten trifft es sich, daas eine slaviauhe Frauensperaon aoliweigt: sie schwatüt
oder Hingt. In deatsclieu Stüdtcn, wo slavische Mädchen dienen, kehren
sie immer am Morgen, wcon sie eiuh mit Gras beladen, in Gruppen sin-
gend zurück. Die Slaven haben hierin einen entsuhiedenen Vorzug vor den
Deutschen, die Keiehard mit Recht sauglose Deutsche genannt bat.
Safi^k führt noch ein andei-ea deutaoliea Zeugnisa an aus dem „Gemein-
nützigen und erjieitcrnden Ilauakulcnder für das OeatciToichiache Kaiserthum
auf das Jabr 1823" (Wien), wo eine Weinlese zu Tokay beschrieben wird:
Die merkwürdigate von den Gruppen fleissiger Arbeiter bilden die Ungarn.
Obgleiuh aie ebenso wie die andern Arbeiter aus jungen Burschen und
Mädchen bestehen, ao biirt man doch von ihnen selten ein Volkalled. Fröh-
licher gellt die Weinlcae vor sich bei den Zipser Doutseben.- Al>cr das
["egste Leben erhebt siuii bei den i^lovaken, die hierher vou den Bei^n zur
Weinlese herabkoraiticu. Sie verbringen keine Minute ohne ihre Lieder
in den nianuichfaltigstcn Melodien anzustimmen. Und die slovakiscben
Volkslieder sind wirklich interessant, theils wegen ihrer beaoudem Melodie,
die zuweilen überaus angenehm und durch die Gefügigkeit der Sprache
verschönert ist, thcila wegen ihres Inhalts, Ihre elegiaohen Lieder siogeu
die Slovaken mit rührendem Gefühl und nur einige fröhliche Lieder singen
sie mit voller Stimme. Der grösste Theil ihrer Lieder könnte dem Künst-
ler viel Material zu den vorzüglichsten Variationen geben.
...., Google
364 Fünftea Kapitel. HI. Cecho-Slovaken.
niiigeii beigefügt. Kollär beklagte sich, dass viele seiner Land-
leute seinem Unternehmen sehr kalt begegneten, aber zugleich
zeigte es sich, dass die Lieder schon seit Mitte des vorigen
Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Patrioten auf sich ge-
lenkt hatten, und Kollär konnte aus alten Aufzeichnungen einige
interessante Denkmäler der alten Poesie entnehmen.'
Wir verzeichnen noch eine Tvenig bekannte, kleine Sammlung
slovakisclier Lieder, die noch früher als die Sammlung Kolldr'G
von L Sreznevskij zu Charkov nach den Worten dahingelangter
liausirender Slovaken zusammengestellt wurde.'
Mit der Gründung der slovakischen Matica wurde auch eine
neue Sammlung von Erzeugnissen der Volksliteratur unternom-
men ^, die nach der Schliessung der Matica nicht fortgesetzt zu
buiii scheint. In dieser Ausgabe sind die Eigenthumlichkeiteii
der localen Volkssprache beobachtet.
Die erste kleine Sammlung slovakischer Märchen veranstaltete
iu den vierziger Jahren der schon früher von uns genannte Fran-
cisci, unter dem Pseudonym Rymavsk^.* Eine zweite Samm-
lung unternahmen zu Ende der fünfziger Jahre August Horislav
Skultety und Paul Dobsinsky.* Letzterer begann uuläugtit
die Herausgabe einer neuen Reihe slovakischer Märchen, diu
* SafaMk äussert« sich später über die Saminlung Kollar'e: „Dies ist
oiu reicher Schatz von Liedero, wulil geordnet, correct gedruckt Dod mit
den nothwendigeu Erläuterungen versehen , ein Schatz , wie sich eines
solchen in diesen UeziehuDgeu kaum ii^cndein anderer Zweig des Slaven-
thnrns rühmen kann. Dass der Herausgeber ausaer reineu Volksliedem iu
seine Sammlung auch einige andere, von gelehrten Yerfassem stammeodu
und im Volke beliebte Lieder aufgcnummen hat, ist schon auf dem Titel
angegeben und wird im Buche selbst ausführlicher erklärt." S. Casopis, IStfi,
oder Sebrane Spiay, III, 409.
' Slovackija pSsni (Charkuv 1832. 16. ÜO S.).
' Sbumik SlovcuHkJuh näruduich pieaui, povesti, piislovi, porckadicl
häiluk, hier, obyCajov a puvior. (1. Bd. 1870; 2. Bd., l.Ucft 1B74. Thuröcz
Sz. Marton).
* Slovcnskjc povesti. U»)iorjadau a vidau Janku Himavaki (Leutschau
1845).
' Puv^ati prastaryeh bäjetnych ÜnaÜv. Sloveusku povCsti (8 Ueft.
BoBCUBu uud Schcmuitz 1858—61).
.,Güoglf
Die Volkapoeeie. 3(i5
nicht in die erste Ausgabe gelangt waren ', zum Theil unter Bei-
betialtung der Looalmuniäarten.
Von der Volkspoeeic des techischen Stammes gibt es, wie wir
gesehen haben, gar manche und gute Sammlungen, aber ilirc
historische Erforschung ist bisher noch sehr ungenügend, bo-
sonders von dem kritischen Standpunkte aus, der sich in der
neuern ethnologischen Wissenschaft heraus arbeitet. Ausser den
erwähnten speciellen Commentaren zu den Liedern und Ueber-
liefemngen, ausser einzelnen Seiten, wo aus der Volkspoesic
Material für die slavische Mythologie genommen wurde (wie in
iten Untersuchungen von öafarik. Erben, Hanus, der russischen
Mjthologen), ist die Volkspoesie der Oecheu, Mährer und Slo-
vaken noch nicht in ihrer gesammten historischen Entwickelung
dargestellt worden. Einer der ersten Versuche einer allgemeinen
Charakteristik wurde in dem Buche von 0. M. Bodjanski.):
„lieber die Volkspoesie der slavischen Völker" („0 narodnoj
poezii slavjanskich plemen", Moskau 1837) gemacht. Ein ähn-
liches allgemeines Werk stellt das Buch von Ludevi't Stür über
tUe Volkslieder und Märchen der slavischen Stämme dar ' :
lobendig geschrieben, gibt es nur eine Darstellung der allge-
meinsten Eigenschaften der slavischen Volkspoesie und weist nur
in wenigen Warten auf ihre Unterschiede bei den verschiedenen
SUimmen hin (S. 142—144).
Nach IStür scheint es kein zweites zusammenbssendes Werk
weder über die slavische Volkspoesie im allgemeinen, noch im
besondern über die cecbo-slovakischen Stämme zu geben. Wir
wollen einige Specialarheiten anführen.
Die slovakischen Patrioten schätzen ihre Volkspoesie beson-
ders hoch, aber diejenigen, welche ihre Bedeutung erklären woll-
ten, verstanden sie zumeist in einem abstracten, etwas mystischen
Sinne. Janko Rymavskj' sah in den Märchen eine Manifestation
des selbständigen slavischen Geistes und Prophezeiungen über
die Zukunft der Slaven. Auf Grund der Märchen verfassto ein
' Prostonäroilnic Slovenske povesti. Ufporjadnl a vydävä Pavol I>olj-
iSinsky 1. lieft, Turocz S(. Marlon 18H0 (ein kleinns Schriftchen),
' 0 näroduich pinnieh n povi'Btei^h pimiien nlovanfikych (Pmtt tSTiS),
l>iPBes von uns schin früher erwälmtc Buch vrurile ursprünglich nlovakiscli
(feschrieben nnil dano von Kalinfiik ina C'ecbische übersetzt, (Vgl. iJo-
biinsky, Üvahy etc. S. 4.)
...., Google
366 Fünftes Kapitel. III. Cecho-SIovaken.
anderer Schriftsteller, Peter Zäboj Kellner-HoatinskJ, eine
Darstellung der „Slovakischen Glaubenswissenschaft" {„Slovenski
Veronauka", Gross-Revüca 1872). P. Dobsinsk^ schrieb „tJyahy
o sloTensk^ch poveatiach " ( „Beti-acbtungen über slovakische
Märchen", Thuröcz Sz. Marton 1871), wo auf Grund der Mär-
chen eine ganze Volksphilosopbie aufgeföhrt wird, nach den Ru-
briken: Das Fabelhafte der Erzählungen, Gotteskunde, Welt-
kunde, Menschenkunde, Die Verhältnisae des Menschen, Das Schick-
sal u. s. w, , aber es fehlt an elementarer, kritischer Bearbeitung
und z, B. der Ausscheidung der eigentlich slovakischen Besonder-
heiten aus dem allgemeinen Märchentypus. '■
Bei den öechen sind Forschungen über die Volkspoesie eben-
falls selten; aber hier finden wir schon andere ForschnngK-
methoden. Wir nennen insbesondere das Bach von Sobotka:
„Das Pflanzenreich und seine Bedeutung in den Volksliedern.
Erzählungen, Fabeln, Gebräuchen und abergläubischen Anschau-
ungen der Slaren. Ein Beitrag zur slav. Symbolik" („Bostlinstvo
a jeho vj?znam v närodni'ch pi'sni'ch etc.", Prag 1879). Primus
Sobotka hat seit lange seine Untersuchnngen über die slaviscbe
Symbolik begonnen^ und erweiterte sie zu einer erschöpfenden
Abhandlung über die Pflanzen in der slavischen Volkspoesie. Er
nahm die Lieder und Traditionen aller slavischen Stämme zur
Grundlage und benutzte als Richtschnur die neuen Untersnchun-
gen über MytHologie und Ethnographie, darunter auch einige rus-
sische. Sein Buch bietet viele interessante Vergleiche, Vor kor-
zem erschien der Anfang einer weitern Arbeit Sohotka's, über das
Thierreich in der Volkspoesie. Ein sehr interessantes Thema "rählte
J. Dunovsky in einer Abhandlung „Ueber das deutsche Volks-
lied im Verhältniss zum slavischen"^; sein Ziel ist, zu unter-
suchen, wie sich im Liede der gegenseitige Einfluss beider Stämmp
geltend gemacht; wie sich der fremde Stoff unter Annahme dos
slavischen Gewandes verändert hat, wie ins slavische Lied viele
fremde, zuweilen den slavischen Charakter geradezu ins Gesicht
' Wir führen noch die Artikel im „Letopis" der elovakiacben Mali''"
an: S^Binek, Slovania a hndba, III-IV, Heft 1 , S. H-20. Jsn Bfli».
„Myälienky o vj'vine niirodnej hudby b slovenHkeho appvu", X, Hrft i-
S. 10-29.
' In „Osv5ta", lö72.
' Im Jmimal „Kvf-ty" 1879, Heft 7—12.
., Google
Die Volkapoesic. 367
schlagende Elemente gelangt sind, wie in schon vollständig ger-
manisirten Ländern ein eigenthümlicher Strom ursprüngliclien
slavischen Alterthums durchschlägt. Der Gegenstand ist sehr
wichtig und verdiente eine eingehendere Untersuchung. Dann
bleibt noch zu bemerken übrig, dass sich einzelne Beschrei-
bungen des Volkslebens, einzelner Specialitäten der Volkspocsie
u. B. w. in wissenschaftlichen und populären Journalen zerstreut
finden.'
Sonach ist eine ernste Erforschung der techischen Poesie
kaum erst im Beginnen. Stür, dessen Buch noch immer eine
Autorität bleibt, stellte hei Bestimmung der relativen Bedeutung
der Volkspoesie der slavischen Stämme die altfechische Poesie
in den Vordergrund, dann die kleinrussische, serbische und zu-
letzt die russische. Wie weit man geneigt ist, dieses Verhaltniss
noch jetzt aufrecht zu erhalten, kann man aus den Ansichten
Jagic's ersehen. Stür bemerkte nur, dass die spätere fechische
Poesie ihre frühere Selbständigkeit und ihren alten Reichthuni
verloren habe.
Man darf annehmen, dass die cechische Poesie, — so weit
jetzt die historischen Zeugnisse und Erwägungen reichen — ein
Epos, wie es der russische, serbische und bulgarische Stamm be-
sitzen, gar nicht gekannt hat; sie war ausschliesslich lyrisch, mit
einem mehr oder weniger reichen Elemente von Festliedern,
worin sich auch ihre hauptsächliche Alterthümlichkeit erhalten
hat. Die frühen Einflüsse fremder Sitten, des städtischen Le-
bens, der Schule, verwischten mehr und mehr ihre ursprünglich
slavischen Züge, die sich, wie gewöhnlich, weit lebendiger dort
' S. z. B. im „('aaopis" der mährisclien Matica {l>is 1883, 13 Jalirpän^l •
die AHikd von V. Hrandl; Fr. Uartoä, Tliom. Simbera u. a. w.
Eodliiili bc/ielien siuli auf die feuliisulio Volknpocsio verachicdeiio Arlieilcii
iD deutsch LT Sprache, wie üebereetzuiigeu vou Occliiacli od Liedern (Wenzigl,
von Märchen und Traditionen {Waldau, Weuzig, Grohmann), ethnograplii-
Bche Werke der Ida von Düriugsfeld und des Baron Reinsberg u. s. w.
Wir vcrzeicbnen noch das Urtbeil über die f echieche Volkspoesie in dem
Buche Chojecki'B, „rechja i Czochowie", 1, 209— 2l.'>. Interessant ist eine
AeuBscrimg über die EecUisohen Scliriftsteller , die naeh der Meinung t'ho-
jecki'fl fast alleKachahmer des Volksliedes sind, aber alle nur aelten »einen
Charakter richtig wiederzugeben verstehen: „Es war dies ein Bauer de«
Thealera, hübsch aufgeputzt, aber nur mit so viel innerer Wahrheit, wie
sieh davon auf die Bühne bringen liess."
...., Google
368 FüDftea Kapitel. III. Cechö-Slovaken.
erhielten, wobin jeneEinBüsse nicht drangen: so findet eich tod
diesem Ursprünglichen mehr in den Liedern der Hährer nnd
Slovaken. Dam Anschein nach hätte die hnssitische Periode
Material zn einem neuen Epos geben können: aber diese Bewe-
gung war als eine kräftige nationale Bewegung innerhalb des
Volkes selbst in zwei Parteien getheilt; es gab keinen einheit-
lichen allgemeinen Aufschwung, — wie er z. B. in den Kosaken-
kriegen war, welche das neue Epos der Kleinrussen schufen, ja
überhaupt war die Periode einer frischen , inhaltreichen Volks-
poesie schon vorüber.
Es genügt, die (^echischen Lieder, z. B. die Festheder mit den
russischen zu vergleichen, nm zu sehen, dass die 6echiBchen eine
weit neuere Formation bilden: in ihnen ist bei weitem schwächer
vertreten oder fehlt ganz jenes archaische Element, das so viele
Nachklänge altnationaler ethischer Anschauungen und poetiscben
Gefühls, 80 viel naive Tiefe und unverfälschte Schönheit in sieh
fasst. Die Neigung zur Poesie lebt noch im Volke, aber sie
schafft Lieder, die schon den neuen Verhältnissen des ganzen
Volkslebens entsprechen — bis zu dem Grade, dass der liebende
Jüngling und das liehende Mädchen in einem mährischen Liede als
„galan" und „galanka" (1) auftreten ; die Einmischung neuen Inhalte
war von einer Veränderung in der Form begleitet, z. B. von einer
Theilung in regelmässige Strophen, vom Reim. Schon längst ist
bemerkt worden, dass sich das 6echische Lied unter deutschem
nnd stadtischem Einfluss auch in seinem Ton in ungünstiger
Weise verändert hat. . . . Bei alledem hat das Volkslied der
Cechen, Mährer und Slovaken, wo Bich seine Alterthümlichkeit
besser erhielt, und dann die Märchen, Ueberlieferungen und aber-
gläubischen Meinungen noch viel echte l'oesie und originellen
Typus bewahrt. Es ist zu wünschen, dass der national-poe-
tische und cnlturhistorische Inhalt aller dieser ETzeugnisse end-
lich einen erfahrenen historisch - ethnographischen Erforsoher
linden möge.
.yGoOgIf
Seclistes Kapitel.'
Diu Baltiseke SUTenthnm. — Die LanBttzer Serhen
oder Wenden.
Die Lausitzer Serben oder Wenden in der preuesischen und
«ächetschen Lausitz sowie ferner die pommerachen Slovincen nnd
Kainken am östlichen prenssischen Ufer des Baltischen Meeres
bilden jetzt einen kleinen Bruchtheil einer einst weit verbrei-
teten slavischen Bevölkerung, welche den ganzen Norden des
heutigen Preussen bedeckte, im Norden an das Baltische Meer, im
Westen an die Elhe (zum Theü diese sogar weit überschrei-
tend), im Osten an Böhmen und Polen grenzte. Diese Slaven, in
einige grosse und in eine Menge kleiner Stämme getheilt, und bei
den neuem Historikern nach der geographischen Lage das Balti-
sche oder Polabiscbe (d.i. ander Elbe gelegene) Slaventhum ge-
nannt, bildeten niemals ein nationales und politisches Ganzes. Wann
sie zuerst im Baltischen Küstenland nnd an der Elbe aufgetreten
' In dieiem Kapitel, soweit es die Landsleut« des Uebenetzera, die
l^ausitzer Serben, betrilR, bat derselbe mit Zustimmung de« Herrn VerfctB-
»en eiaige Aenderungen und Ergänzungen Torgenommen, tbeila auf Grund
eigener Erialirung, theila snf Grund von Materialien, die ibm einige seiner
li^ndaleute zur Yerfügung stellten. Da es sieh dabei nnr um Ricbtigstellung
und Ergänzung von Thatsaoben handelt, die dem Herrn Verfasser nicbl ?.\i-
gänglicb waren, oder erst in die Zeit nach Erscbeinen des Originals fallen,
so hat derselbe die gegenwärtige Fassung des Abschnitts nach Einsicht in
den Inhalt gebilligt. I>ie Einscfaiebungen im Test und Anmerkungen unter
demselben, welche vom Ueliersetzer herrühren, sind durcU Einachluss in ( ]
(»«merklich gemacht.
PTr», SIsTlnh« LlterltOT«!!. 11,2. 24 / .
ü,g :.._.. ..Google
370 Seohstei Kapitel. Das Baltische Slaventhum.
sind, darüber bietet die Greschichte keine zuverlässigea Angaben;
doch ist die Hypothese sehr wahrBcheinlich , dase sie von Osten
nach Westen aus den LäDdem an der Weichset vorgedrungen siud.
Das Baltische Staventhum zerfiel in drei Hauptgrappen: das nord-
westliche Land nahmen die Obotriteo ein, im Osten und Süden
von ihnen wohnten die Luticen und Wilzen, jenseit der Oder die
Pomorjanen (Pommern). Die Lausitzer Serben bildeten eine ver-
wandte aber getrennte Gruppe, welche auch zum Theil ein an-
deres historisches Schicksal hatte.
Den Stammeseigenthumlichkeiten nach gehörte das Baltische
Slaventhum eigentlich zum lechischen Zweige — wie schon Nestor
zum Gesam ratstamme der Lechen anerst die Poljanen (d. i. die
eigentlichen Polen), dann „andere Lechen", als die Luticen,
Mazovsanen oder Mazuren und Pomorjanen oder Pommern
rechnet. Aber während sich die östliche Hälfte des lechischen
Stammes zu dem polnischen Staate vereinigte, blieb die west-
liche Hälfte zersplittert, sie gelangte nicht nur su keiner Einheit,
sondern lebte fortwährend in einem verzweifelten innem Streite,
und bereitete dadurch ihren Untergang vor. Historische Ueber-
lieferungeb berichten von den natürlichen Reichthümern der
Jjänder des Baltischen Staventhums, von blühenden Handels-
städten des Küstenlandes, vom Unternehmungsgeist der slaviscben
Seefahrer, Kaufleute und Abenteurer; die Sage hat die Ueber-
lieferutig von den Reicbthümern Wolins noch weiter ausge-
schmückt; in letzterer Zeit suchen russische Historiker hier, in
den Gebieten des Baltischen Slaventhums, jene kühnen und ener-
gischen „Waräger-Russen", welche den Grundstein zum russi-
schen Reiche legen sollten.
Allein alles das ist zu Staub geworden und uotei^egangen.
Die Geschichte des Baltischen Slaventhums ist ein hartnäcki-
ger, tragischer Kampf mit den Germanen, mit Normannen.
Dänen und Deutschen, ein Kampf, der sich mehrere Jahrhsn-
derte lang hinzog und mit dem Untergang des Slaventhums
endete. Die Gefiihr einte die Stämme nicht; es gab Versuche
gemeinsamen Handelns, aber häufiger ging Feindschaft gegen die
Deutschen mit gegenseitiger innerer Feindschaft einher, und die
Deutschen fanden bei dem einen Stamme Hülfe gegen den andern-
Karl der Grosse führte gegen sie einen systematischen Krieg; in
seinem Heere kämpften schon Slaven gegen Slaven. Der Kampf
war jetzt schon kein blosser Kampf feindseliger Stämme mehr,
ü,g :.._.. ..Google
HistfftiBohe Bemerknngea. 3?1
sondern zagleich ein religiöser: das christliche Germanentbum
bemühte sich, die Slaveo politisch zu überwinden sowie zugleich
daa Christentlinni bei ihnen einzuführen. Es gab aufrichtige und
selbstlose Prediger des Evangeliums, wie der berühmte Bischof
Otto von Bamhei^, aber häufiger war die Einführung des
Christenthums eine Folge der kriegerischen Unterwerfung. Die
Zwietracht inmitten des SlaventhnmB selbst, die locale Ezcln-
Birität, die Unfähigkeit zu gemeinüamem Handeln machten nur dem
Feinde die Sache leichter; Dänen und Deutsche nahmen immer
mehr slavischen Boden in Besitz, hatten die Botmässigkeit über
slaviscbe Fürstentbümer und in der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts war das Baltische Slaventhum entweder durch die
Deutschen ganz unterworfen oder stand doch in voller Abhängig-
keit von denselben.
Der Untergang des Baltischen Slaventbums wurde von
neuem slavischen Historikern immer als eine traurig - gross-
artige tragische Lehre dargestellt. Die Ursache des Verfalls
lag im Baltischen Sljiventhum selbst: sie bestand in „der Sorg-
losigkeit der Existenz, der geistigen Schwerfälligkeit, dem Man-
gel an Sorge um die Zukunft, in einer gewissen instinctiven
Abneigung, sich dazu zu bequemen, Berechnungen von langer
Hand anzustellen, Umschau zu halten und seine Stellung zu
erwägen, um dann auf der Bahn bewussten Handelns zu einem
fest bestimmten Ziele vorwärts zu schreiten; — ein solches histo-
risches Gebrechen hatte andere im Gefolge; consei-vatives
Festhalten am ererbten Culturzustand und Stagnation, das
Unvermögen , private Interessen dem Gemeinwohl zu opfern,
Neigung zu Feindschaft und Zwietracht zwischen den einzelnen
Gauen." '
Der allgemeine historische Sinn jener Ereignisse war das Zu-
sammentrefTen zweier verschiedener Stufen der historischen Ent-
wickelung. Die Deutschen hatten mit der Annahme des Christen-
thums und der römisch- christlichen Bildung und eben hierdurch
ein moralisches und geistiges Uebergewicbt erlangt. Das Slaven-
thum vermochte nicht, diesem einen gleicliwerthigen Inhalt gegen-
■Kotljarevtkij, „Drevuosti jurid.byU BoltSlavjait" (Prag 1874). VgU
' intereeaanteu Bemerkungen über die Baltisoheu Slaven von Chomja-
V in den Briefen an Hilferding (in Bartenev's ,,Rus»ikij Archiv").
..., Google
372 Sechstes Kapitel Du Baltische Slareuthnm.
überzuetellen, und nachdem ee sieb jenem XJebergewiclit uiiter-
iforfen, unterwarf es sich aacb dem Werkzeug desBelbeu — der
dentscben Nationalität. Die üiihe Annahme des Gbristenthnms
und die Staatenbildnng bei den Üechen und Polen brachte- hier
aacb den Strom der Gennanisirung zum Stillstand.
Mit dem definitiven Siege der Deutschen begann in der ganzen
Ausdehnung der Länder des Baltischen Slaventbums eine Periode
schneller Gennanisirung. Die Einbürgerung des ChristenÜiumR.
welches selbst schon «ine Folge der Ueberwindung war, besei-
tigte die religiösen Motive des Kampfes, welche bei den heid-
nischen Slaven von so starker Wirkung gewesen waren, und
hatte die deutsche Golonisirung im Gefolge, welche dem natio-
nalen Wesen und später der Existenz des Slaventhums selbst
den letzten Schlag versetzte. — Sobald die politische Herr-
schaft den Deutschen gehörte, ging die Golonisirung mit raschen
Schritten vor sich. Das Land, in jenen Jahrhunderten von einer
Menge Wälder und Sümpfe bedeckt, hatte viele unbewohnte
Strecken ; die hartnäckigen Kämpfe verringerten die Bevölkerung
noch mehr, und als in den neuen Ländern der Boden an die
deutschen Bitter vertheilt wurde, stellte sich mit diesen auch
eine dentsche Bevölkerung ein. In die Reihen des deutschen
Vasallenadels ging vor allem der slaviscbe Adel über; die
Geistlichkeit bestand ausschliesslich aus Deutschen; die Städte,
die frühern slavischen sowol als die neuerbauten deutschen,
erhielten deutsche Bürgerschaft mit deutschem Recht. Die
Slaven blieben Dorfbewohner, damit waren alle Bedingungen
einer vollständigen Germanisirung gegeben. „Der slaviscbe
gemeine Mann hörte in der Stadt, auf der Burg, in Kirche
und Schule, von seinen Lehrern, den Priestern, schliesslich
-auch von den ihm benachbarten Bauern nur die deutsche
Sprache. Letztere begann mehr und mehr auf den slavischen
.Dialekt einzuwirken, der, da er nur ein Besitztbum des ge-
wöhnlichen Volkes war, nicht zur Literatursprache warde. Der
deutsche Einfluss berührte zunächst die formale, lexikale Seile
der slavischen Sprache, die eine Menge fremder Worter anoabm;
weiterhin erfasste er aber auch die materielle Seite der Sprache,
ihren grammatischen und syntaktischen Bau, sodass schliesslich
|die slaviscbe Sprache ein verstümmeltes, hässliches Conglomerat
darstellte, das ganz und gar von deutschem Geiste durclizogra
war. In der heimischen Sprache redeten zum grössten Theil nur
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IlistoHscho Bemei'kungeD. 373
die alte» Leute, die' Jugend aber begann sie zu vergesgen und
die Sprache ihrer Herren und Lehrer Torzuziehen." ^
Schon die Enkel des berühmten Niklot, eines der Fürsten
der Baltischen Slawen, nahmen deutsche Sprache und Sitten an
und forderten die Kräftigung des deutschen Elements gegenüber
dem slavischen. Die forstlichen Familien, welche sieb erhalten
hatten, germanisirten sich überhaupt gern, schrieben lateinische
und deutsche Urkunden, umgaben sich nach deutschem Brauch
mit einem Hofstaat u. s. w. Der letzte Vertreter des Fürstenge-
schlechte zu Rügen, Yyslav oder Vyleslav, zu Anfang des 14- Jahr-
hunderts, wurde sogar ein deutscher Minnesäuger. Der Fürst
Barnim von Stettin, einer einst reichen slavischen Stadt, um
Mitte des 13. Jahrhunderts, war schon ein entschiedener Partei-
gänger des deutschen Elements und ein Feind seines Stam-
mes; ein deutscher Dichter lobte ihn als „sauften Fürsten von
Stettin'^. Hier kam beispielsweise die slaviscbe Herkunft des
Fürstengeschlecbts nur in dem einen Merkmal zum Ausdruck,
dass dieses Geschlecht fortwährend slavische Namen anwendete
— bis zu seinem Erlöschen im 17. Jahrhundert.
In der ersten Zeit nach der Unterwerfung schloss man die
Slaven noch nicht vom öffentlichen Kecht aus; sie durften z. B.
städtische Bürger sein, aber mit dem 15. Jahrhundert beginnen
directe Ausschliessungen der Slaven aus dem Stadtrecht und den
vrichtigem Zünften. Später wird das Slaventhum schon geradezu
verachtet: slavische, „wendische" Abkunft hatte Verlust von
Rechten zur Folge; „wendische" Sprache und Sitte wird zum
Gegenstand des Gespöttes. Das slaviscbe Volk begann sich vor
dem Fremden zu verstecken, die junge Generation Tüblte sich
zu dem uobeengteu deutschen Leben hingezogen, und die Natio-
nalität starb ab.
Die Germanisirung ging sehr rasch vor sieb. Nachdem sie
im 13- Jahrhundert begonnen, war sie der Hauptsache nach schon
im 15. Jahrhundert beendet, hier früher dort später, je nach
ilcu verschiedenen örtlichen Verhältnissen. Mitte des 15. Jahi^
hundert» finden sich schon sehr wenige Slaven zwischen Elbe und
Oder; sie hielten sich länger im Gebiet der Niederelbe; im süd-
westlicheu Theil Mecklenburgs gab es noch Slaven bis zu An-
fang des 16. Jahrhunderts, und jenseit der Elbe in Lüneburg
■ Perwolf, Gernianizaoija n. b. v,., S. 28.
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874 Sechstes Kapitel. Das Baltische Slavcntlium.
bis An&ng des IS-; Ueberreste der Pomorjanen oder Pommern,
Kasnben und Baltischen Slovincen haben eich noch bis zn ansern
Tagen erhalten ....
Dae Schicksal der Baltischen Slaven hätte in unserer Dar-
stellung übei^angen werden können. Wenn sich auch Andeu-
tungen von der Existenz eines Schriftwesens bei ihnen finden,
so hat es doch wahrscheinlich keine Literatur gegeben. Anderer-
Beits kann aber das Baltische Slarenthnm einen Platz in der
Geschichte der slsvischen Cultur finden aus mehrern ßründen.
Erstene nach der negativen Seite: es ist eine Ruine, welche
von dem Untergang eines ganzen Stammes Zeugnies gibt, eines
Stammes, der rein slavisch, einst mächtig war, aber dann
schnell zerging. Der Proceas des VerschwiDdens lässt sich ver-
folgen, doch bleibt letzteres immerhin rätheelhaft wegen der
Schnelligkeit, mit der er sich vollzog. In neuerer Zeit bat dieses
historische Schicksal die slavischen Patrioten immer schwer be-
trübt; sie sahen darin eine Lehre, welche vor innerm Zwist anter
den Brüdern warnt; aber man darf auch die andere Lehre nicht
vergessen, welche vor Sot^Iosigkeit um die Zukunft und gei-
stiger Schwerfälligkeit warnt. Zweitens verdient das Baltische
Slaventhum hier Beachtung als ein Gegenstand, der in den letzten
Jahrzehnten besondere Aufmerksamkeit in der wissenschaftlicheii
Literatur der Slaven erregte.
Dem Baltischen Slaventhum ist in letzterer Zeit eine reiche
Literatur historischer und philologischer Forschungen gewidmet
worden, welche die Vergangenheit dieser Ruine zu restauriren
suchen. Die Untersuchungen stützen sich vor allem auf die Chro-
nisten, welche den Kampf der Deutschen mit diesen Slaven nnd
die Bekehrung der letztern zum Christenthum beschreiben; aber
ausser jenen Nachrichten kann man das alte Gebiet der slavi-
schen Fürstenthümer auch nach einer Menge von slavischen geo-
graphischen Namen bestimmen, die sich noch in weit spätem
Urkunden erhalten haben , ja theilweise noch jetzt in mehr
-oder weniger verstümmelter Form existiren ; auch haben sich,
wenn auch nur bruchstücksweise, Zeugnisse von der Sprache
der Baltischen Slaven erhalten, welche es möglich machten, die
Stammeszugehörigkeit derselben aufzuklären. Nur von ihrem
östlichen Zweige haben sich noch jetzt, freilich auch im Scbirin-
den begriffene, Nachkommen in den Kasuben und Slovincen
erhalten, vom westlichen und mittlem Zweige sind nur wenige
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HUtoriBohe Bemerkuagen. 376
Fragmente der Sprache geblieben, die sieb zufällig erhalten
haben.
Hier hielt Sich das Blaviscbe Element am längsten in Lüne-
burg. Zu Anfang des 18- Jahrhunderts kannten nur noch alte
Lente die Sprache ihrer Väter. In Wustrow wurde 1751 der
letzte Gottesdienst in slaTischer Sprache abgehalten. Nach dem
ZengnisB von Potocki und Adelung ^ starb die slavische Sprache
gegen Anfang des 19. Jahrhunderts definitiv aas; doch behanp-
tete noch am 1836 der deutsche Gelehrte Wersebe, dass es
noch za jener Zeit alte Leute gegeben habe, welche alariscb
konnten.
Zum ersten mal wurde die Aufmerksamkeit auf diese Ueber-
reste des Volksthums und der Sprache der Baltischen Slaven,
schon als einen Gegenstand wissenschaftlichen Interesses , von
dem berühmten Leibniz gelenkt. Auf seinen Wunsch schickte
ihm der Pastor zu Lüchow, Georg Mithof, 1691 einige Nach-
richten über jene Slaven nebst einer kleinen Sammlung von
WÖrtera und Gebeten; sie vrarden erst nach Leibniz' Tode von
Eckardt herausgegeben („HiBtoria studii etymolog." Hannover
1711). Darauf sammelte Johann Pfeffinger in Lüneburg im
Jahre 1698 einige hundert Wörter, das Vaterunser und ein Hoch-
zeitfigedicht in „wendischer" Sprache, welche auch bei Eckardt
herausgegeben sind. Aber die reichste Sammlung veranstaltete
der Pastor Christian Henning zu Wustrow, der schon lange
Nachnchten über die slavischen Bewohner, seines Kirchspiels
gesammelt hatte, indem er Wörter und Phrasen aus dem Munde
des Bauern Johann Janieschge aufzeichnete; diesem Wörterbuch
fügte er kurze Nachrichten über das „wendische Volk" und ins-
besondere die Lüneburger Wenden bei, 1705. Die folgenden
Sammler wie Johann Parum-Schulze (1658 — 1734), Domeyer,
Pastor zu Dannenberg (in den Jahren 1743 — 45), und andere be-
nutzten der Hauptsache nach die erwähnten drei Vorgänger.
Schliesslich begannen sich für die Reste der „Wenden" die
neuem slavischen Gelehrten zu interessiren, wie Dobrovskj^
(in ,,Slovanka"), Öelakovskjf, welcher das ganze genannte Ma-
terial in ein vollständiges Wörterbuch gesammelt haben soll,
(lo(^h ist seine 18;J0 nach Petersburg gesandte Arbeit verloren
■ Voyage dan« qaelqitCB parti'en de la BaBse-Sflic, 1795; Mitbridatei
(1806, 1809—17).
...., Google
376 ättohatee Kapitel. Die Loniitzur Serben.
gegangen; inabesondere aber Pfui, HiHerding und Scblei-
cher, denen die Hauptarbeiten in der ReKtaurirung der Sprache
der Liineborger Wenden oder der alten Drevjanen angehören.
&chlie8Blich verzeichnen wir noch die Arbeiten über die Ge-
schichte des Baltischen Staventhume im allgemeinen. Sie wurden
insbesondere seit dem vorigen Jahrhundert begonnen, von deut-
schen Gelehrten, welche ihre Localgeschichte zu erforschen Buchten,
und bei den Anfangen derselben auf Slaven sties&en. Wir führen
in der Anmerkung das durch ihre Arbeiten gelieferte reiche Ma-
terial an; jene Arbeiten werden noch jetzt eifrig fortgesetzt
In der neuem slavischen Literatur ist, von Safank (in seinen
„Alterthümem") angefangeu, schon eine ganze Reibe bedeutender
Forschongen über das Battische Slaventhum vorhanden, deren
Verfasser abermals Hilferding, ferner A. Pawiüski, A. Kot-
Ijarevskij, J. Perwolf u. a. waren.»
'Die Lilerfttur über das Baltische Slaventhum bildet >ine umfioglicfae
Maaae biatorischer Quellen und neuerer Unterauohungea. Die alten Nach-
richten finden tioh bei den lateiniBOh^dentsolien und d&niRohen Chroniaten
und Speoialhiatorikern, wie: Einhard, Biop«ph Ku-l'a dea Groaaen and
Chroniat, geat. SW; Widukind, auhrieb um 967— %8; Thietmar von Merae-
bnrg, geat. 1016; Adam von Bremen, schrieb um 1075; der Mönch Ebon,
Biograph Otto'a von Bambei^, achrieb um 1161 ; Herbord, um dieselbe Zeit;
Ilclmold, aohrieb 1172; Saxo Urammattcua, aohrieb um 1181 — 13U8 u. ».;
ferner in alten Urkunden, die in umfaasendea Ausgaben gesammelt sind,
z. B. von Leibniz (Scriptores rerum Brunsw.), Fftbriciua (Urkunden
!Mr Geacbichte des Fürstenthums Rügen), Hasielbaoh und Koaegarten
(Codex PomeraDiae diplomatious), Klempin und Prümers (PomroerMhes
Urkundenbuch), Langebek (Scriptores rei-um Danic&rum), Riedel (Codei
diplomatious Brandenburgenais), Raumer | Reges ta historica Brandenburg.!,
Sudendorf (Urkundenbuch zur Gesch. der Herzöge von Braunschveig nud
Lüneburg und ihrer Lande); [Jahrbücher des Vereins für mecklenburg. Gt-
Bchichte und Landeakunde (seit 18SG] i A. Brückner, „Die slaTiMben Anaic-
delangen in der Altmark und im Magdeburg] toben" (Leipzig 1879)] o. s. v.
Zahlreiche Forschungen über Loaalgeaohiohte eracheinen schon seit
dem vorigen Jahrhundert, ja sogar noch früher in den Arbeiten deutscher
Gelehrter, die sich von alteraher eifrig mit dem tlrforachen der Geachichte
ihrer einst dem Baltischen !jlaventhum aborobcrien Länder bt:«chä(tiKt(.'n.
Wir nenuen z.B. äohwartz, „Einleitung znr Geographie der norddeulsch-
alaviachen N'ation" (Ureifswald 1T4&). — Lütsow, „Versuch einer ]Kvg-
malischen Geschichte von Meoktenhurg" (Berlin IS27— 35). — Barthold,
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HiBturJBühe fiemerknogen. 377
Die Renaissance des kleinen StammeB der Lausitzer Serben oder
Wenden in der säübsiechen und preuasiechen Lausitz bildet eine der
„GeBohiohte von Räg«D und Pommern" [4 Bde. Hamboi^ 1839 — 46). —
Gieaebreoht, „Wendische Gesohichten" (a Bde. Berün 1843). — Wigger,
„Mecklenbui-gwche Annsien bia zum Jahre 1066" (Schwerin 1860); — end-
lich eine Reihe epeoieÜer, melir local er Forschungen, die wir nur theilwuisc
üDführen können, wie: Fidicin, „Dae Territorium der Mark Brandenbui^" ;
Klöden, „Entstehang der Städte Berlin und Kölln"; Jaoobi, „Slaven-
ond Teutschthum in ouHur- und ftgrarhiBtorisoben Studien, beBonders aas
Lftnebnrg und Altenburg"; Hammeratein, „Der Bardengau"; K-Andree,
„Wendiache Wanderstudien" u. a. Deateobe Gelehrte haben ihre Aufmerk-
«ajnkeit ancb auf die beaondere ethnographische Seite des Gegenatandee
gelenkL Die slaviechen Stämme dieser Länder babeu nach Verlust der
Sprache nicht ganz ihre ethnographischen Unterschiede verloren und be-
wahren aie noob in Zügen des Volkslebens nnd den Ueberlieferungen. In
dieser Beziehung haben Foracbungen angestellt: Hennings, „Das Hanno-
versohe Wendland" (Lüchow 1862); „Sagen und Erzählungen aus dem Uan-
noversohen Wendlande" (Ebend, 1864); Köhler, „Volksglaube im Voigt-
lande"; E. Ziehen, „Wendische Weiden; Erzählungen aus dem wendischen
Volksleben" (Frankfurt 1854); „Geschichten und Bilder aus dem wendischen
Volksleben" (2 Bde. Hannover 1874).
In den alaviachen Literaturen haben sich nach SafaKk („Staruzil-
uoati"; „Slov. Nirodopis", S. 107— 109) besonders russische Gelehrte mit dem
Baltisoben Slaventfaam befasat. Von nenem Werken vgl. hinaiobtlieh der
Geschichte: A. Hilferding, „Istorija BsHijskioh Slavjan", (1. Bd. Moskau
1855, und vollständig in Sobr. Sofin. 4. Bd. St. Peterabut^ 1874). — A. Pa-
vinskij, „Polabakie Slavjane" (St. Petereb. 1871).— F, J. Fortingkij,
„Titmai- Merzeburgakij i ego ohronika" (St, Petersb. 1872). — A. Kotlja-
revskij, „Drevnosti prava Bali. Slavjan" (Pre^l874); „Kniga o drevnostjacli
i iatorii Pomorakich Slavjan v XII v£k5" (die Erzäbinngen von Otto von Bam-
berg in Beang auf slaviache Geachiohte und Alterthümer. Prag 1874). Vgl.
Ziltwitz, „Die drei Biographien Otto's von Bamberg" (in Forschungen
zur deutschen Gesch. GoUingen 1876. XV L). — J. Lebedev, „PoalEdnj^a
borba Balt. Slavjan protiv onfme&enija" („Der letzte Kampf der baitischen
Slavea gegen die Gciiuanisirung", 1. Thl.: Der Kampf der Obotriten und
Lntioen gegen Heinrich den Löwen und Waldemar L; 3. Tbl.: Uebersicht
der Quellen der Geschichte der Balt. Slaven von 1181—70. Moskau 1876).
— J. Perwolf, „Qermanizaoija Balt. Slavjan" (St. Petersb. 1876). — [Sie-
uiawaki, „Poglfd na dzieje Slowian zaohodnio-pöhiocnych miedzy Kabq
(Elbf) a granicami dawnej Polaki od czaeu wyatfpenia ich na widownig
dziejowf sd do ntraty politycznegQ bytu i znamion narodowycli" (Gneaen
1881).]
Bezüglich der Sprache: Bnrmeiater, „lieber die Sprache der früher
in Mecklenhui^ wohnenden Obotriten-Wenden", (Rostock ,1840); dasselbe
...., Google
378 Sechites Kapitel. Die Laueitzer Serben.
intereBsantesten Episoden der gegenwärtigen slavischen Bewegung.
Das Völkchen der Lausitzer Serben, von altere her von den Deut*
sehen unterworfen und umringt, hat seine Nationalität zu bewahren
vermocht und hat ihr in letzterer Zeit, besonders seit Ausgang der
dreisüger Jahre dieses Jahrhunderts, so grosse patriotische Bemüh*
ungen zt^ewendet, dass es allem Anschein nach seinen Bestand ge-
sichert hat, wenigstens bekundete es sein Volkstbum so eifrig, wie
es noch nie während seiner tausendjährigen Abhängigkeit geschah.
Diese Renaissance begann ebenso selbständig, wie bei den andern
Nationalitäten; sie entwickelte sich aus den eigenen örtlichen Be-
dürfnissen des kleinen Stammes, — sohloss sich aber dann, als
sie schon einen festen Grund in seinem eigenen Bewusstsein ge-
funden hatte, der gesammtslavischen Bewegung an und betrat
die Bahn der slaviscben Gegenseitigkeit. Vertreter der slavischen
Bewegung, Gelehrte verschiedener alavischer Stämme, wie Fa-
lacky, Maciejowski, Stür, Milutinovic, Sreznevskij, Bodjanskij
(später Hilferdiug, Lamanskij, Zmorski, W. Bogustawski u. a.) be-
suchten das neuentdeckte Feld nationalen Lebens, berichteten
darüber in der slavischen Publicistik, und halfen so auch den
Lausitzern selbst ihren nationalen Zusammenhang mit den übri-
geu Völkern des Gesammtstammes zu finden. Seitdem gehört
der vergessene Stamm zur Gesammtsumme der slavischen Na-
tionalität und die gelehrte slavische Pilgerschaft vergisst nicht,
ruBBiscb in „Trudy Rosa, Akiid." (1841, IV, S. 1— öS). — J.E. Wocel, ,4'»-
mätky Lutiok]?oli Slovanfl" (im CaBopin Ceek. M., 1849, 2. Bd. S. 104—1271.
— A. Hilferding, „Pamjatniki nar££ija Zalabekiob I>revljan i Glinjan''
' (St. Petersb. 18&6); dasselbe deutaoh unter dem Titel: SprEohliche Denk-
mäler der Drevjaner Dud Glinjaner (Bautzen 1861). — Hauuaoh, „Zar
Literatur und Geschichte der slaw. SpracLen in Deutachlanil, nameutliah
der Sprache der ehemaligen Klbeslaven oder Polaben" (in Miklosich's Sla«.
Bibliothek, 2. Bd., Wien 1858. Eine ausföhrliahe bibliographische Ueber-
sieht der Sammlungen des alten baltischen Dialekte). — Pfui, „Pomniki
Putobjan S^owjaaSäinj" (im „Öasopis" der lansiteisoh-ierb. MaJioa, 1863,
S. 28-67, 69-138; 1864, S. 189-196, 199-241). - J.Bandouin de Cgnr-
tonay, „0 drovno-polskom JMykS do XIV st" (Leipzig 1870). — A. Schlei-
cher, „Laut- und Formenlehre der polabischen Sprache" (St. Petersb. 1871.
Vgl. iiurn. Min. Nar. Prosv-, 1873, 168; 11, 424-446). — S. Miknokij.
„Oatatki jazyka polabakich Slavjan" (St. Peterab. 1871). — Vgl. aach die
oben angeführten Nachrichten über die Ueberreste der Slaven in Yoromtrn,
die Eaiuben (II, 1, 483).
...., Google
nbtorischc Bemerkungen. 379
anf ihren Reisen Bndyiin (Bautzen) zu besuchen, wo sich die
Bildnngsthätigkeit dieses kleinen Stammes concentrirt.
Die jetzigen Lausitzer Serben bilden einen kleinen Ueber-
rest derjenigen Slaren, welche einst den Norden des beutigen
Deutschland bewohnten, doch waren sie, wie oben bemerkt, auch
schon in alten Zeiten eine besondere Stammesvarietät den eigent-
lichen Polabisohen Slaven gegenüber.^ Zwischen Saale undHulde,
zwischen dem jetzigen Leipzig und Dresden, nach Norden zu wahr-
scheinlich bis „SerbistS" (jetzt Zerbst) und südlich bis zu den
böhmiscben Bergen wohnten die Serben mit ihren verschiedenen
Unterabtheilungen; von ihnen aus jenseit der Elbe die Mit(Saner
um Bndysin; von den letztem nach Norden zu, in den Niede-
rungen, die iMÜ&aner u. s. w. Diese kleinen slavischen Völker-
schaften sind den mittelalterlichen Schriftstellern schon vom 6. —
7. Jahrhundert an bekannt und vom 8. — 9. Jahrhundert an werden
sie unter dem allgemeinen Namen der Wenden (Winiden, Wene-
den) oder Serben (Sorben, Surben), sowie unter speciellern Stam-
mesbenennungen erwähnt. Später ward in Deutschland der Name
Wenden, bei den Slaven der Name Lausitzer (Luii6ane) der
herrschende, während sich die Lausitzer Serben in ihrer eigenen
Sprache auch heute noch nur Serben (Serbja, Serbjo) nennen.
Nach den rorhandenen spärlichen historischen Daten zu schlies-
sen, zeigte das Leben der Lausitzer Serben die bekannten Züge
der slavischen patriarchalischen Demokratie; aber die einzelnen
Gemeinden wohnten nach slaviscber Gewohnheit gesondert ohne
genügenden Verband untereinander, und der Mangel an Einheit
Öffnete der deutschen Herrschaft den Weg, die sich schon seit
Karl dem Grossen ihr Ziel in diesen slavischen Ländern steckte.
Von da an wurde dieser Theil der Polabischen Slaven allmählich
unterworfen, zuerst die Serben unter Heinrich I., dann dteMil£a-
uer und LuziJ^ner unter Otto dem Grossen: gegen das 11. Jahr-
hundert hörte ihre Stammesselbständigkeit anf. Die Hoheits-
' Wir bringen die Btatistiaohen Zahlea in Erinnemog. Die LaDeitzer
Serben, nach Budilovit („Statist. Tablic]r", 8t. Peterab. 1875) im ganzen
gegen 136000, zerfftllen in zwei Stämme, Ober- und NiederlaDsitzer, nud
gehören zwei Staaten und znei GlaubenebekenntniBBen an. Oberlanaitxer
Serben gibt ee 9iKK)0, von denen 52000 za Sachsen, 44000 in Prenaaen
gehören; sie mnd ProteHtantcn mit Ausnahme von 10000 Katholiken. Nieder-
lansit7.er Serben gibt es gegen 40000 Protestanten, in Prensaen. [Die Zäh-
lung von 1880 läaateine Gesammtzabl von 160000 annehmen.]
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3gO Sechstua Kapitel. Ui.e Lausitier Serben,
rechte über das Lausitzer Land waren dann noch lange Gegeo-
stand von Streitigkeiten und es ging aus einer Hand in die andere
über: es kam an di6 Markgrafen von MeisBeu und Brandenburg,
stand unter der Herrschaft der Polen, gehörte lange (bis zum
eigenen Untergang Böhmens) der böhmischen Krone an ~^ die
übrigens die elavische Nationalität dee Landes vor deutscher
Unterdrückung nicht schützte — zuletzt kam es an Sachsen, machte
die Schrecken des Dreissigjährigen Krieges durch, ward zwischen
Sachsen und Preuseen getheilt, denen jetzt auch die noch vor-
handenen Theile des lauBitzisch-serbischen Volkes angehören.
Die deutsclie Unterwerfung hatte zur nächsten Folge eine
Knechtung des Volks und einen allmählichen Untergang der
Nationalität. Das unterworfene Land wurde unter die Landes-
herren, die Ritter und die Kirche, vertheilt; die &dien Landleote
wui-den zu leibeigenen Bauern, waren aller Rechte beraubt, mit
Arbeiten und Abgaben überlastet, das schutzlose Opfer von Raab
und Gewalt. Etwa« besser war die Lage derer, welche dem Landes-
herrn unmittelbar nnterthan waren — aber die allgemeine Lage des
Landes bot ein Bild schrecklicher Bedrückung und Rechtlosigkeit,
jtugleich mit dem Vei-fall der Volksfreibeit begann der Verfall des
Volksthums selbst: die fortwährenden Beraubungen; dieUebersie-
delung von Slaven in deutsche Länder, wo sie unter der fremdeo
Bevölkerung verschwanden (am Rhein und Main, in Baiem und
sogar in Holland); die deutsche Colonisation , welche die Städte
und die den Slaven entrissenen Ländereien besetzte; derEinfluse
der Kirche, welche lateinisch und deutsch sprach; endlich die ge-
wöhnliche Wirkung der Herrschaft eines fremden Stammes — alles
das erdrückte mehr und mehr das slavische Element, welches nur
in der geknechteten Landbevölkerung lebte und für die Deutschen
Gegenstand äusserster Verachtung war. Die gegenseitige Feiud-
Schaft war so gioss, dass der Sachsenspiegel verordnen musste,
dass „ein Wende nicht gegen einen Deutschen und umgekehrt
nicht dieser gegen jenen vor Gericht Zeugniss ablegen könne,
da es bekannt sei, dass jede Partei zum Schaden der andern be-
reit sei, jede Unwahrheit durch einen Eid zu bekräftigen". Im
13. Jahrhundert hielt sich die serbisch-wendische Sprache noch im
kirchlichen Gebrauch und vor Gericht, aber gegen das 14- Jahr-
hundert hin war die deutsche Nationalität schon so erbtarkt,
dass von da an die deutschen Fürsten die wendische Sprache
aus den Gerichten zu verdrängen begannen: im Jahre 1427
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Historisohe BemerkuDgeu. 3S1
geschah dies auch zu Meissen, dem ebematigen Oentrum des ser-
bischen Volkes. Gegen die Zeit der Kefonnation hin hatte sieh
das Gebiet der Lawsitzer Serben schon sehr vennindert; der west-
liche Theit desselben war schon definitiv germaniairt, die Grenze
der deutschen Sprache ging nach Osten weit über die Elbe
hinüber und das Andenken an die Slaven erhielt sich (wie in
den Gebieten der Niederelbe, Oder und an der Ostsee) nur in
den Ortsnamen. Die Reformation hatte eine gewisse Hebung des
slavischen Volkethums zur Folge, aber auch nach ihr ward das
wendische Gebiet immer kleiner.^
Das Christenthum drang ins Gebiet der Lausitzer Serben dem
Anschein nach von zwei Seiten ein. Die Predigt des deutschen
Katbolicismus hatte hier bei weitem nicht den wilden Charakter,
mit dem sie zu den Baltischen Slaven gebracht wurde, und die-
sen Umstand erklärt man damit, dass die Lausitzer Serben schon
zum Christenthum vorbereitet waren durch diejenige Missione-
thätigkeit, welche von dem der orientalischen Kirche angehören-
den Slaveothnm über Polen und Böhmen gekommen war, und sich
demgemäsB schneller unterwarfen. Die Lausitzer Serben standen
schon im 9. Jahrhundert in Verbindung mit dem Grossmahri-
scheu Reich, gehörten sogar eine Zeit lang zu demselben (wie
sie später in Verbindung mit den öechen standen) und deshalb
meint man, daes das byzantinisch -slavische Christenthum des
Cyrill und Method aach in ihr Gebiet gedrungen sei. Die Tra-
dition sagt, der heilige Konstantin sei in die Gegend von Görlitz
gekommen und habe dort, wo sich jetzt der Hainwald befindet,
an der Stelle eines heidnischen Tempels eine christliche Kirche
errichtet. Bis vor nicht langer Zeit hielt sich der Gebrauch
einer frommen Pilgerfahrt zu einem alten Kreuz auf dem Jauer-
iiiker Berge am Tag des heiligen Wenzel, des Königs von Böh-
men — die protestantischen Bewohner schlössen sich der katho-
lischen Procession an und man sang; „Herr erbarme dich unser",
vielleicht entstanden aus dem Gebet, welches sich unter dem
Isamen des Gebets des heiligen Adalbert (Hospodine pomiluj
ny) bei den Cecben als Andenken an den alten slaviscben Gottes-
dienst erhalten hat. Es ist bekannt, dass bei den Lausitzern
auf der rechten Seite der Elbe, welche ihr Volksthum unter dem
' Verffl. dift Karten, welche den Werken von BogDstawski und Bich«id
Andre«« beigegeben nirnl, und die Ergänzungen Itürnik'B: im „Slav. Sboroik",
...., Google
382 Sechatea Kapitel Die Lftusitzer Serben.
politischen EinflusB deröechen und Polen besser bewahrt hatten,
die slavische Sprache im kirchlichen Unterricht nicht nur im
11. Jahrhiindert, unter dem Bischof Benno von Meissen (gest.
1106), sondern aach noch im ]2. und sogar im 13. Jahrhundert
angewendet wurde, als noch die lau&itzisch- serbische Sprache
einen Vertheidiger an dem Bischof Bruno hatte, der von jedem
Priester Kenntniss der serbischen Sprache verlangte.* Die
Historiker haben auch die Bemerkung gemacht, dass diejenigen
Prediger des GhristeDtbums bei den Baltischen Slaven, die sich
der slavischen Sprache als Mitte] bedienten, tod den benachbar-
ten Lausitzer Serben kamen : so schrieb der Bischof Boso von
Merseburg (971) Blavisch; ein anderer, Werner (1101), Hess sich
Bücher in slaviscber Sprache anfertigen; der Bischof Bruno von
Altenburg (1156) nabiu, als er sich zur Bekehrung der Obotriteu
aufmachte, fertige slavische Predigten mit und las sie dem Volke
Tor.^ Mau nimmt übrigens an, dass diese slavischen Bücher
kaum in der eigentlichen serbisch-wendiscbeD Volkssprache ge-
schrieben gewesen sind: weui^tens finden eich in der Sprache
der Lausitzer Serben Spuren von Einflnss der altslavitichen nnd
öechiscben Sprache, die trotz alles spätem Einflüsse« des Dent-
scheu noch bemerkbar sind. Die ursprüngliche Aehnlichkeit der
Dialekte mochte Bücher in einem andern slavischen Dialekt den
Lausitzer Serben zugänglich machen, besonders bei den politi-
schen Verbiodungeo und der Nachbarschaft, welche sie mit den
Öechen vereinten. Dass Cechiscbe Bücher in einer spätem Periode
des Mittelalters bei den Lausitzer Serben in Umlauf waren,
unterliegt kaum einem Zweifel. Das älteste bekannte kleine
Denkmal der lansitzisch-serbischen Sprache ist ein wendischer
Bürgereid aus der Zeit vor der Reformation (s. Casopis 1875,
S. 49).»
> W. BogoBtawaki, S. 187.
' Sresnevalfij'a htoriG o&erk (a. outen) S. 34.
* Zur Geaoliichte und Ethnographie der Lanaitzer Serben vgl.: SafiKk.
Altertliflmer, % 43 — 44. Gebhardi, „Geacbiohte aller wenduDh-BlaviBcben
Staaten" (4 Bde. UaUe 1790). — Känffer, „Abriae der oberluu. (ie-
scbicbte" (3 Bde. Görlitz 1603). — Chr. Knauthe, „Derer Oberlusitier
Sorberwenden Klrcbengeschiohte" (Görlitz 1767). — Worbs, „Gescliichte
der Niaderlausitz" (2 Bde. ZQlliohau 1824). — Sobeltz, „Getchicble der
Ober- nnd NiederlaDaitz " (Halle 1847, nnd Fortsetzung im „LannUer Ma-
. gazin"). — K. JenE, „PowjeBÖ wo serbakiob kralaob" (im Casopis M»*>ey
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Anfänge Aee Schriftthum*. 383
Nach den erwähnten unklaren Andeutungen über ein sla-
vi&ches Schriftweeen bei den Lausitzer Serben, und dem an-
gegebenen kleinen Ueberrest eines solchen sind Versuche, die
Berbskaje, 1849). — W. BognsIkWeki, „Uyn dxiejöw aerbolniyokioh" (Pe-
tersburg ISUl). — Slovnik naufny, a. v. Lnzice, Srbove LuziCti. — Engel-
hardt, „ErdbeecItreibuDg der Mark Ober- und Nieder! auütz" (2 Bde. Dres-
den 1800). — Jakub, „Serbeke Home tuüicj" (Bautzeo 1848). — Köhler,
„Geachicbte der Oherlausitü " (Görlitz 1864). — R. Andres, „Wendische
Wanderatudien. Zur Kunde der Lausitz und der Sarbenwenden" (Stuttgart
1814. Mit einer etfanogr. Karte. Gegen ihn H6mik in „Slav. Sbomik"). —
V. Tiasot, „Voyage aux paya annei^a" (Paris 1876. Darlegung des Inhalts
und einige Bemerkungen im Journal ,^uiii5an", 1877).
Zmt Sprache: A. Seiler, „ Kurzgefassto Gi-ammatik der aorbenwendi-
aclien Spi-acbe nach dem BudiBain er Dialekt" (Bautzen 1830). — J. P. Jor-
dan, „Oramniatik der wendisch -serbiacben Sprache in der Oberlausitz"
(Prag 1S41; nach dam System Dobrovskf s). — F. Schneider, „Grammatik
der nendiaoben Sprache katholischen Dialekts" (Bautseu 1858), — J. £.
Smoler (deutsch Schmaler), „Kleine Grammatik der serbiach- wendischen
Sprache in der Oberlausilz" (Bautzen 1853 u. ö.); „Pi«mfnjenja serbskeje
r JCe wot 13. do IC. iftatotetka" (im Journal Luiiean, 1864, Nr. 5, S. 24—26).
— CT. Pfui (deutauh Pfuhl), „Lant- und Formenlebre der oberlau aitzi ach-
wendischen Sprache. Mit besonderer Rücksicht auf das Altslaviscbe" (Bautzen
1867). — [G. Liiebaoh, „Syntax der wendischen Sprache in der Oberlauaitz"
(Bautzen 1884].] — K Novikov, „0 vainf^iiob osobeunostjaoh luziokioh
uarSCij" (Moskau 184if). — F. Miklosich, in der „Vergl. Grammatik". —
Böse, „Wendisch - den tKclies Handwörterbuch nach dem obertausitzer Dia-
lekt" (Grimma 1840).— J.E. Schmaler, „Deutsch- wendiaches Wörterbuch
mit einer Darstellung der aJlg. wendiBcbeo Rechtschreibung" (Bautzen 1843.
XXXIS, 160 S.). — J. G. Zwahr, „Niederlausitzisoh-wendisch-deuteohes
Handwörterbuch" (Spremberg 1847. Xn, 476 S.). — Pfol, „Serbaki rfow-
nik" („Wendisches Wörterbuch." Unter Mitwirkung von H. Seiler und M.
Hömik. Bautzen 1866. 8. XXV, 1210 8. Wendiaoh-dentaoh mit deut-
Bohem Wortregister).
Zur Literatur: I. S reznevskij, „latoriieskij o£erk serbo-luziokoj
literatury" (in 2um. Min. Nsr. Prosv. 1844, Mai, S.26— 66). — E. JenE,
„Stawizny serbskeje rfiie a narodnoaöe" (im (^asopis Mac. Serb. 1849 — 54)
nnd eine Reihe anderer historiaoher sowie auch bibliographischer Artikel
in derselben Publication. — A.Hilferding, „Narodnoe vozroidenie Serbov-
LnäiEan v Saksonii" (Russk. BesSda, 1856, X, Vermisohtes S. 1—35; Sobr.
Satin., 11, 19—49). — W. Bognalawski, in dem angeführten Werke; über
die neuem Zeiten benutzte er, wie Hilferding, die Mittbeilungen von Smo-
ler.— F. Douoha, „O postupu närodnoati Srbäv Luzlckych" (im Öasopis
fesk. Mus., 1845). — M. Uornik, „Re6 a pisemniotvi Inliokyoh Srhäv"
(im Caaopia Eesk. Mua,, 1856); ,^isty Jana Kollara do LniSio" (Ebend. 1861)4
ü,g :.._.. ..Google
384 fieobsta« Kapitel. Die Lansitzer Serben.
Sprache derselben za literarischem Gebrauche zu Terwenden,
orst von der Reformation an bekannt. Die bussitiscbe Be-
wegung der Oechen fand hier keinen Widerhall; der gebil-
dete Theil des Volkes war schon deutsch und hielt sich in
dieser Eigenschaft damals eifrig zum Katholicismus; die Land-
bevölkerung var zu sehr unterdrückt und blieb an der Bewegung
der Kreuzziige gegen das Hussitenthnm und die TaboritiBchen
Heere unbetheiligt. Dagegen hatte die Reformation Lnther's, ah
eine deutsche Sache, weitgebenden Erfolg im ganzen Lande, der
sich auch an der slaTiscben Bevölkerung desselben widerspiegelte.
Im 16. Jahrhundert var das lauattzisch- serbische Volksthnm
schon in äusserstem Verfall, aber das Streben nach Verbreitung
und Befestigung des Protestantismus nöthigte jetzt, sich der
Volkssprache zuzuwenden, und gab Anstoss zur ersten litera-
rischen Thätigkeit in der lausitzisch -serbischen Sprache, wenn
man einige religiöse Schriften nach erangelischem Bekenntniss,
denen sich dann auch einige ähnliche Versuche der katholischen
Geistlichkeit anreihten, eine Literatur nennen kann. Von dieser
Zeit an erscheinen Sammlungen von Uehersetzungen einzelner
Stücke der Heiligen Schrift, von den nothwendigen Gebeten, Legen-
den, geistlichen Liedern u. s. w., welche von den Geistlichen zum
Volke übergingen. Es gibt eine Nachricht, der zufolge schon za
Anfang des 16- Jahrhunderts ein lausitzisch-serbischer Katerhis-
„EDtstebniig nnd bisherige Thätigkeit der Ma6ioa Serbeka" (iD„Neue«Liiii^
M^tSEin", 39. Bd.); „Lu^yoianie" (in der polniaohen WocheiiBohrift„Watt«''
inPoueo, 1874, Nr. 16fg.)j „MinuvSee deijatil^tie u Serbov-LniiEiD" (imSUv.
Sbornik. St. Peterab. 18TT, 11, 85-99); „0 poalednim pftilet! u toüek^eb
■Srbäv" (in Jelinek'a Sbornik Slovansky. Prag 1861, S. 79 — 84); «aeh noe
Keihe kleinerer hiatoriacb-Uteroriscber Artikel imÖssop)BMa^.Serb.,Jftbrg.Sfg.
— H. Dnfman, „Pismovstwo katboUkieh Serbon" (BantEen 18G9. Eine
nehr genaue Bibliographie der Bücher nnd biognipbieohes Verieiebnisa der
Schriftsteller. Forttetzung davon im Cuopis Haö. Serbek. 1873-74). —|P-
A. Ko£ubinikij, in „OtEet; o pnteieBtvii" (Odessa 1876). — K. Jene.
„Pismowatwo a spisowarjo delnjoluSiBkich Serbow. Wot (1548) 1674— 18Sl>"
(im ^^asopis Ma6. Serb., 1880, S. 73—164, und bewodera, Leipzig ISBI)--
J.E. Smoler'a wendiaobe Ueberaetzung des obigen Abaobnitt« mit eioigra
berichtigenden Bemerkungen a. d. T. „Stawizny loÜiko-Berbsk^e Ütentnry.
Z kuihi A. N. Pypina a W. D. SpaaowiEa tlstorija alavjauskioh litmitor-
2. izd.o pfetoii) J. £. Smolef" (im LniiHn, 1879—81, Nr. 11—13 nnd li««m-
der», Bautzen 1881). — K. Grol, „Iz poi^zdki k LniHriuiam" (in litMija
fit. Petersi). a)av. bli^[otv. ObSPeatva, 1888)]. '
ü,g :.._.. ..Google
Anfönge den Schriftthiims. 385
mus gedruckt wurde, doch hat sich bisher noch kein einziges
Exemplar dieser Ausgabe gefunden. Später gibt es in den Samm-
lungen übersetzter geistlicher Lieder auch wendische Originale.
Das älteste nennenswerthe Denkmal der lausit^isch-serbischen
Sprache ist ein handschriftlicheB Neues Testament vom Jahre
1548 (in der königl. Bibliothek zu Berlin), dessen Uebersetzer
Nikolaus (Miklawuech) Jakubica war. Die Uebers^tzung ist
nach dem Lutber'schen Text gemacht mit Benutzung der Vulgata
und dabei unter sehr starkem Einftuss der t^chischen Ueber-
setzung, was ohne Zweifel darauf hinweist, dass es der lausitzisch-
serbiscben Sprache damals an Mitteln des Ausdrucks mangelte.
Die Sprache der Uebersetzung galt anfangs für oberserbiech
oder für einen mittlem Dialekt zwischen dem ober- und nieder-
serbischen; allein nach der eingehenden Untersuchung A. Les-
kien's ei'wiea sich der Text als niederserbisch, ohne jedoch
mit irgendeinem der jetzt dort bestehenden Dialekte zusam-
menzufallen.' Danach ist das erste bekannte gedruckte Buch
ein Gesangbuch mit einigen Gebeten und dem Ijutherischen
Katechismus, herausgegeben in niederserbischer Sprache tob
dem evangelischen Pastor Albinus Moller. 1574- Dann gab
1610 Andreas Tharaeus einen niederlaii sitzischen Katechis-
mus heraus unter dem Titel „Enchiridion Vandalicum".' Im
oberlausitzischen Dialekt ward das erste Buch, Luther's klei-
ner Katechismus, schon 1597 von dem Geistlichen Wenzel
Worjech (Warichius) herausgegeben. Danach Hess 1627 der
Geistliche Gregor Martin eine Uebersetzung der sieben Buss-
psafanen erscheinen. — Dies ist das Hauptsächlichste, was aus
' Eine kleine Probe dieses Heuen TeBtameuts gab zuerst Jeut (,.^*i"
fitarSej eerbekaj mkopisttj", im Caaopis Mw'. Serb., 1862), dftnn wurde der
J.Brief des Jakobua" von Hprmann Lotse hei'ansgegebeu (Leipzig 1867:
itum kund ertj übrigen .lubiläum diT Laasitzer Predigei^esellBohaft, der
t(anze Text S. IG— 2^); zuletzt gab A. Leskien aus diescc HandeuLrift äan
Kvangelinm de» Marcus in Jagic's Archiv, I, 161—249 (1876) beiaua, mit
imilanglioher Untersuchung über die Sprache, Bemerkungen über den Ueber-
setzer S. 202. W. Nehring führt in demselben Archiv (S. 514) noch
eia altes niederlaiisitüisch - sarhisches Bruchstück aus der ersten Hälfte de»
lA. Jahrhunderts an.
' Eine Beschreibung des einzigen vorhandenen Exemplar« gab Hörnik
im Casopis 1869; philologinuhe Analyse von A. Leskien in Jagif's Archiv,
II, 126 — 129.
F»», SUrlicha LlUritiirBn. 11,3. 25
ü,g :.._.. ..Google
.3S6 Sechstes Kapitel. Die Lauaitzer Serben.
der erBten Periode der literariechen Tbatigkeit der Lausitzer
Serben belcannt ist. Es wird bemerkt, dase die letztem beiden
Scbriften mit gegenüberstebendem deutscben Text gedruckt «aren,
nicht nur für die deutschen Geistlichen, sondern auch um das
Volk an die deutsche Sprache za gewöhnen. Aber der Protestan-
tismus verbreitete sich weit schneller als die Germanisirong, und
dies nöthigte schliesslich dazu, für Bücher in der Volkssprache
zu eorgen, um das Volk im Glauben zu befestigen.
Das 17. Jahrhundert brachte neue Nothstände über das Volk,
und die Nationalität verfiel immer mehr; der Dreissigjäbrige Krieg
und der ganze Verlauf der Ereignisse waren der Germanisiruiig
sehr förderlich ; aber zu Ende desselben Jahrhunderts riefen die
Bedürfnisse der religiösen Belehrung eine literarische Bewegung
berror, deren bemerkenswerthester Vertreter Michael Brance),
(oder, wie er auf deutsch hiess, Frenzel*, 1628 — 1706), eyangeli-
scher Frediger zu Postwitz in der Oberlaueitz, war. Er hatte zum
ersten mal ein richtiges Verständniss für die Bedürfnisse des VoUes
und für die Nothwendigkeit, die Sprache wiederherzustellen, und
arbeitete fleissig an der Uebersetzng der Heiligen Schrift: er über-
setzte das Neue Testament und einige Tbeüe des Alten, wobei er
auch Öechieche und polnische Texte benutzte. Unterstützt von den
Landstönden, stellte er eine Druckschrift für die lausitzisch-serbi-
Bcben Bücher her mit einer von den Cecheu entlehnten Orthogra-
phie, druckte kirchliche und erbauliche Schriften für das Volk, gab
1670 das erste Bruchstück seiner Uebersetzung aus der Heibgen
Schrift heraus, das Evangelium des Matthäus und Markus, IfiJQ
den Psalter, der später viele Ausgaben hatte, und erlebte im
Alter die vollständige Ausgabe seiner Uebersetzung des Neuen
Testaments. Aber seine Orthographie gab er später auf nnd
nahm eine andere an, welche Pastor Bierling in der Schrifl:
„Didascalia seu ortbographia vandalica" (1683) vorgeschlagen
hatte. ^ Diese letztere war wirklich etwas vandalisch, nämlich
' [Wie die OrlBnamen sind auch die Familien n amen bei den LausiUer
Serben durch die Aemter, Kaoüleien u. e. w. meist verdeutscht oder nillkürlicb
verdreht worden: Smolef in Schmaler, llörnifc in Hornig, Pjech
(= Petrus) in Feuh, Uolan in Holland, Era«-6ik (= Schneider) m
KrautstUok (t) u. a. und gelten nun so officiell im politischen liehen, wUi~
reud sich daneben im Volke selbst die nrsprilngliohen slavischen Namen rtio
erhallen haben und allein angewendet nerden. Daher der oft doppelt«, hti-
matliohe und deutsch-officielle Nnme wendisolier Personen.]
» [Ueber Bierling und seine Sehrift im Caaopia M. S. 1883, 8.119-127.)
nifi Fumilie Frenifll. 387
plump nacb dem Deutschen zugerichtet, und sie blieb im wesent-
lichen bis io die letzte Zeit die Orthographie der Protestanten,
welche diese von den Katholiken trennte , die freilich auch
erst in den letzten Jahrzehnten ein correctes orthographisches
System annahmen. Die Thatigkeit Frenzel's brachte ihm gros-
sen Bubm bei seinen Landsleuten und die lausitziscben Historiker
meinen, dass wenn das, was Frenzel that, früher geschehen wäre,
eine weit grössere Zahl Ton Lausitzer Serben bei ihrer Sprache
gebliehen wäre. Frenzel hatte gewissermassen auch schon Vor-
gefühle der slavischen Ifenaissance; in diesem Sinne int der
Brief von Interesse , welchen er , bei üeberreichung seiner
Uebersetzungen, an Peter den Grossen schrieb, als dieser lf)97
durch Sachsen reiste: Frenzel weist mit besonders warmem Ge-
fühl auf die Bande der Verwandtschaft hin, welche sein Volk
mit den andern Staven und dem grossen Moskauer Reich ver-
binden.' Die Arbeiten Frenzel's blieben nicht ohne Fortsetzer
und von seiner Zeit an rufen die Sorgen um die religiöse Bil-
dung des Volkes fort^hrend neue Arbeiter hervor. Der Sohn
Michaels, Abraham Brancel oder Frenzel (1666—1740), wen-
dete sich, nachdem er seine Bildung; auf der UniTersität Wit-
tenberg empfangen, der historischen Erforschung seines Landes
und Volkes zu und schrieb ein grosses Werk „De originibus
linguae Sorabicae libri IV" (169-3 — i>6); seine andern Werke:
„De diis Slavorum et Soraborum in speci'e", „De vocabulis pro-
priis Sorabicis pagomm" (topographischen Inhalts) wurden fn
Hoffmann's „Scriptores rerum Lusaticarum" (1719) herausgegeben.
In seinem grössern Werk zeigte er. obgleich er darin viel Mühe auf
die Vergleichung der slavischen Sprache mit der hebräischen nutz-
los verschwendet hat, doch ein für jene Zeit bedeutendes antiquari-
schem Wissen und eine bemerkenswerthe Kenntniss der slavischen
Dialekte. Viele andere lateinische Werke von ihm, z. B. ein „Lan-
sitzisch-serbisches Wörterbuch", eine „Oberlausitzische Geschichte",
eine „Naturgeschichte der Oberlausitz", ein „Niederlausitzisches
■ Diener BHpI' ixt lausilziach-serbi^iuh nnd Intcinisuh abgedruckt bei
SrcKnavBk ij, S. 41 — 45. Anmevk.; [lateinisch, deutsch und wendisoh bei
Knauthp, KircbenKeschit-hte, S, 428—439]. Ueber M. Frenzel vgl. Jen^,
.,Mich. Frencel a jeho zanluSby wo serbske piamowntwo" (im Casopis Mai-.
Serh. 1871, S. 13 — 79); M. Hörnik, „RW a prawopis M. Freuela jih-d
run> 20O l.Hami" (Ebend. 1870, 5. 5ß— 61).
25«
ü,g :.._.. .,G00^1C
388 Sechstes Kapitel. Die Lausitzer Serben.
Wörterbuch" blieben Han<)»chri(ten , welche theilweise von spä-
tern HietorikerD benatzt worden sind. ' Bei allcD schwache»
Seiten der damaligen Gelehrsamkeit sind die Arbeiten des Jün-
gern Frenzel bemerkenswertb wegen ihres Strebens nach einer
gesammtslavischen Forschnng und wegen des Einflusses, wel-
chen sie zu ihrer Zeit darin hatten, dass sie die Aufmerksam-
keit auf das Studium der Sprache und des Volkes lenkten.
Er erwartete für seine Nation eine bessere Zukunft und fleissige
Arbeiter — quos lioguae Sorabicae dulcedo ac necessitas mecuni
in 8ui amorem atque Studium rapiet. Die Erenzersche Familie
lieferte noch zwei gelehrte Schriftsteller: Michael Frenzel, <len
Jüngern (1607 — 1752), dessen „Dissertatio de idolis Slavorum" in
ebendemselben HofTmann'schen Sammelwerk abgedruckt ist; und
Salomo Gottlob, Sohn Michael Frenzel's des Jüngern (1701 — 68).'
Diese Tbätigkeit der Lutheraner trieb, wie es scheint, auch
die Katholiken an, sich um das Studium der Sprache und um
Bücher für das Volk zu bekümmern. Die erste Grammatik ver-
fasste der Jesuit Jakob Xaverius Ticiaus (gest. 1693), dessen
„Principia lingnae wendicae, quam alii vandalicam vocant", 1679
in Frag erschienen. Dann war ein thätiger Schriftsteller Geoi^
Augustin Swetlik oder Swötlik (1650—1729), der kirchliche
Schriften herausgab, nach der Vulgata die ganze Bibel übersetzte,
die aber Manuscript geblieben ist; auch gab er das erste und zwar
lateinisch-lausitzische Wörterbuch 1721 heraus. Seit der Zeit der
Frenzel erschienen insb^ondere viele Werke über die Geschichte
und Sprache der Lausitzer Serben, z, B. die oberlausitzischen
Grammatiken von Matthäi (Bautzen 1721) und Schmutz, die
Wörterbücher von ebendemselben Schmutz und Swetlik, ein
niederlausitzisches Wörterbuch von Fabricius (im Manuscript)
u.a., eine Geschichte der Gebräuche der Niederlausitzcr Serben
von TiveriuE (lateinisch und niederlausitzisch, Manuscript).
> |ln der üathsbililiothek zu Zittau befinden iti<;b 10 dicke Foliinl«»
solchen baud»cbriftl. Nacblasscs von A. Frenxel; ('hnraklcrintiken und Aus-
üüge darouB von E. Muka, u. d. T. „Fi-encelisDa" im Casopis Mti. S*rh.
Jahrg. 1880-82. Andere Folianten olwudeMelben Frenwl (luni Theil Al-
Hchriften der Zittauer) in der Itibliothek der Oberlaas. UosellBubaTl der
WiBBenschafteii zu Cfirlitz und in der k. Oeffentlicben lliblintbek in Dresden.]
• (Vgl. über die Frenzeis: G.W. Schubert, „Chronik der (ieschlechUr
Frenzel und Sohletter" (r>reBdpn 1843).]
.....Gooj^lc
Dan 18. JahrfatinaeH. S89
Im 18- Jalirliundert vermehrte sich die Menge der Bücher, die
der religiösen Bildung des Volkes gewidmet varen, wenn auch
ihre Zahl noch sehr bescheiden hleibt. Frühere Bibliographen
zählen bis 1700 kaum 20 lausitzisch-serbische Bücher, von 1700 —
1800 gegen 200; wenn neuere Forschungen auch diese Zahl ver-
grössert haben, so gibt sie doch annähernd genau die Zahlenver-
hältnisse dieser kleinen Literatur an. Im 18- Jahrhundert wurde
zum ersten mal eine vollständige Uebereetzung der Bibel ge-
druckt: das Alte Testament war in den oberlausitzi&chen Dialekt
übersetzt worden durch die vereinigte Arbeit der Geistlichen
Johann Lange, Matthäus Jokus, Johann Böhmer und Johann
Wauer. Nach elfjähriger Arbeit, in welcher sie ihre Ueher-
setzung mit der polnischen, böhmischen und slovenischen Ueber-
setzung verglichen, ward ihr Werk 1728 gedruckt; neue Auflagen
mit geringen Äeuderungen erschienen 1742, 1797, 1820, 1823,
1849, 1857, 1860, l*i8I.' Das Neue Testament wurde nach der
Uobei'setzung Frenzel's gedruckt. — Für die Niederlausitzer
Serben unternahm ein' ähnliches Werk der evangelische Geist-
liche Gottlieb Fabricius (1679—1741), ein Freund von Abraham
Frenzel, von Geburt Deutscher, der in Giessen und Halle stu-
dirt hatte und zuletzt Superintendent in Eottbus war. Er gab
in niederlausitzisch- serbisch er Sprache Luther's kleinen Katechis-
mus und eineUebersetzung des Neuen Testaments heraus (1709).
^eine Arbeit kam erst durch Fritze zur Vollendung, welcher das
Alte Testament 1797 herausgab. Die ganze Bibel erschien 1824.
Ausser den Uebersetzungen der Heiligen Schrift bestand die
Literatur, die das Volk in der Erhaltung seiner Nationalität för-
derte, in geistlichen Liedern und Predigten. Geistliche Lieder
(klierluse, d. i. kyrie eleison) waren in der Masse des Volkes sehr
verbreitet und bestanden schon seit Anfang des 17- Jahrhunderts
in beträchtlicher Anzahl, in Uebersetzungen von Prätorius, Ast,
Mättig und Wauer und vermehrten sich mit jeder neuen Aus-
gabe. Für die katholischen Serben ward eine Sammlung ähn-
licher Kirchenlieder von dem schon erwähnten Swetlik gemacht;
uauh ihm schrieben Kirchen- und Schulbücher Kilian, Martin
' [Die letzte Ausgabe von 1881, mit eimgeu Verbeaaerungeu, besorgten
H. Imiä, K. JenC, Johann Aug. Sykoia; dabei eia Vorwort von H.
Intis über dii: Ueauhiukte der oberl, Hcrb. Bibel (iiuuh busoDdcru u. d. T.
„Pudeiidicujtt Bürbskeje bibliji;", liautnen 1S81).]
ü,g :.._.. ..Google
,^90 SeohBtes Kupitcl. Die LnuBitzer Serheu.
tiolian, Hancka, Walde — letzterer veranstaltete die grösste
SatnmluDg von KircheiiliederD : ,,Spewawa JezuBOwa winica", („Der
sangluetige Weinberg Jesu", 1787). In niederserbiacher Sprache
wurden geistliche Lieder zum ereteu mal von Hauptmann her-
ausgegeben, von dem weiter unten noch die Rede sein wird.
AIb ein wichtiges Mittel zur Stütze der Nationalität und za
einiger Bildung der Volksmasse diente die Predigt. Sie ent-
wickelte sich übrigens ziemlich spät, und gewann erst seit Mi-
chael Frenzel, der in seinen Predigten religiöse Belehrung mit
patriotischem Gefühl vereinte, Einfluss. Unter den Predigern
waren ansser Frenzel vor andern bemerkenswerth die Pastoren:
Pjech (Pech), Georg Mjefi (Mohn), Walde n. a., obgleich
sich dieselben, da sie deutsche Muster nachahmten, nicht durch
Honderliche Originalität und Reinheit der Sprache anszeich-
neten. Die Predigt hatte ohne Zweifel einen grossen Einfluss
auf die Erhaltung der Nationalität. Die Historiker bemerken,
dass „sich kein einziger lausitzisch-serbiscber Bezirk gennani-
sirt hat, wo fortwährend in der Volkssprache gepredigt wurde"
— und dass dem gegenüber Kirchspiele ohne solche Predigt
das Gefühl ihrer Nationalität verloren und schliesslich deutsch
wurden.^ Der Predigt in der Volkssprache kam insbesondere
zu statten die Errichtung des lausitzisch-serbischen Seminars
(für die Katholiken) zu Prag und der Predigergesellschaften,
welche seitens der lausitzisch-serbischen Studenten der Theologie
au den Universitäten Leipzig und Wittenberg gegründet wur-
den. Die äussern Verhältnisse waren für diese nationale Bewe-
gung sehr ungünstig; die deutschen Behörden und die Geistlich-
keit wollten dieselbe aus alter Abneigung gegen die Wenden in
nichts fördern, aber die Sache kam doch zu Stande durch die
bescheidenen Mittel der armen Jugend und durch wenige Privat-
leute. Das prager Seminar wurde 1704 eröffnet; hier fanden und
finden noch ihre Ausbildung die Geistlichen für das kleine Häuflein
der katholischen Wenden. Protestantische PredigergesellBcbaften
wurden zu Leipzig 171C und zu Wittenberg 1749 errichtet; sie
hatten mit einer Menge Schwierigkeiten zu kämpfen, Armuth
hinderte die lausitzisch-serbischen Landleute sehr, ihre Söhne auf
die Universitäten zu senden; die Gesellschaften hurten bisweilen
auf einige Zeit wegen Mangels an Mitgliedern auf; nichtsdestoweni-
' B.igu^luwKki, S.-211.
Diglizec.y Google
Das 18. Jahrhandert 391
ger unteretutzten sie die Predigt in der uationalen äprache sehr
Dod damit die Nationalität selbst.'
Alle diese Anstrengungeii sicherten jedoch der lausitzisch-
serbischen Literatur immer noch keinen festen Bestand, nicht
einmal in jenen bescheidenen Verhältnissen, wie dieselben im
18. Jahrhundert bestanden. Der Siebenjährige Krieg lastete aufs
neue mit schwerer Noth auf den Lausitzern: das Volk verarmte,
das deutsche Element erstarkte, die Predigergesellschaften ver-
fielen, wie die zu Wittenberg. Die Literatur, nur aus kirchlichen
Büchern bestehend, gab dem Nationalgefiihl keine grosse Stütze
und ein etwaiges einzelnes Anftlackern des Patriotismus, wie
z.B. beim 50jährigen Jubiläum der Leipziger Predigergesellschaft
im Jahre 17t)6, hatte nur einen momentanen Einlluss. Vom
Siebenjährigen Kriege an begannen immer weniger lausitzisch-
serbische Bücher zu erscheinen.
Die Lage der Niederlausitzer war noch trauriger. Ihnen
fehlten sogar solche Mittel, wie sie ihren Nachbarn zu Gebote
standen. Seit Gottlieb Fabricius bis 1740 wurden in uiederlau-
sitzisch - serbischer Sprache nur wenige Büchlein gedruckt; der
König Friedrich Wilhelm 1. konnte die Lausitzer Serben nicht
leiden und ergriff sogar Gewaltmassregeln zur Vernichtung
ihrer Nationalität, — bei den Wenden, welche zu Preussen ge-
hörten, wurde die Volkssprache aus den Schulen, ja sogar aus
den Kirchen vertrieben. Die Sache besserte sich dort auch spä-
ter, nach dem Tode dieses Königs, sehr wenig: Bücher wurden
selten gedruckt, und die, welche z.B. der Pastor Wille, ein ge-
borener Deutscher, der die Nothwendigkeit von Büchern für das
Volk erkannte, schrieb (in den Jahren 1746—71), beschränkten
sich doch nur auf den Katechismus und einige Uebersetzungen
aus der Heiligen Schrift. Der obengenannte Hauptmann, ebenfolls
Deutschßi' von Geburt, lausitzisch - serbischer Prediger zu Lübbe-
nau, vei'fasste die erste niederlausitziscbe Grammatik („Nieder-
lausitzisch-wendische Grammatica", 1761) und eine Sammlung
von geistlichen Liedern „Lubiiowski szarski Sambuch" — „Lübbe-
nauer serbisches Gesangbuch", 176SJ), die jetzt jedoch nicht mehr
in Gebrauch ist. Nach Wille und Hauptmann schrieben in diesem
Dialekt die Brüder Fritze (Fryco), beide Geistliche. Der ältere
' Hebet' die Leipziger OeeellBchaft vgl. JentBoli, „Geschichte der Lau-
Bitzcr Predige i'geBeliacItaft" (Buut/en 1866) uud im CoBopia, 18(i7, S. -165—540.
...., Google
392 Seubstes Kapitel. Die Lausibter Serbeu.
von iLueii, Gotthilf Gbri^Üieb Fritze, gab 1774 den Lutiier'schuii
Kfttechismus und einige andere erbauliche Schriften heraus, der
andere, Johann Friedrich, führte, wie oben bemerkt, die Fabri-
cius'gche Uebersetzuug der Heiligen Schrift zu Ende, und er-
reichte dabei eine beträchtliche Vollkommenheit der Literatur-
sprache. . . . Allein dabei blieb es auch fast ganz, und wenn
schon die Oberlaueitzer Serben, welche mehr Mittel zur Verthei-
digung ihrer Nationalität hatten, von der Germanisirung litten,
so wirkte diese bei den Niederlausitzern noch unvergleichlich
stärker; im Laufe des letzten Jahrhunderts (1750 — 1850) wurden
gegen 50 Kirchspiele deutsch.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts brachte das
luteresse am Volkstbum auch ernste gelehrte Arbeiten, wenn
auch in lateiuischer und deutscher Sprache, z. B. über die Kirchen-
geschichte und Literatur der Oberlsusitzer Serben von Knauthe
(deutsch), über ihre Gebräuche von Hörcanski; über das sla-
vische Alterthum von dem oberlausitzer Gelehrten Karl Gottlob
Anton (1751 — 1818)', welcher auch ethnographische Nachrich-
ten sammelte und wol zuerst die Aufmerksamkeit auf die Erfor-
schung der lauBitzisch-serbischen Volkslieder lenkte. Eine Samin-
luDg niederwendischer Lieder (im ganzen nur 20 Originale, da
mehrere wiederholt aufgeschrieben sind) empfing er von einem
sächsischen Girier, der sie von den niederwendischen Soldat«D
seines Regiments hatte aufzeichnen lassen. Diese Lieder wurden
später in die Smolef'sche Sammlung mit aufgenommen.^ Die
deutschen und lateinischen Bücher Auton's, seiner Zeitgenossen und
Voi^änger, dienten dem lausitzisch-serbischen Volke zwar nickt
direct, waren aber doch ohne Zweifel nützlich als theoretisches
Werkzeug seiner Wiederbelebung, indem sie die Sorge um die
Nationalität bewusster und kräftiger machten. In diesem Sinne
sind zwei jetzt selten gewordene Schriftchen interessant. Der Ver-
fasser des einen, Georg Körner, ein Deutscher, Pastor zuBockau,
'Vgl. über ihn Slovuik nauEu^, s. v. Lauaitz. MsgiLziu, 1843, K. 193.
'[M. H6riiik,„KukopiaAatoDa'MCasr.pisl881)i3.E. Smolef'aCeWr-
scUung, S. 11 Anmerk.; A. J. ParozewBVi, „Jau Enieet Smoler", S- ^*
(WarBohaii 1883). AuUin sellist war ein Deutscher und der wendi»cben
Ijpraclie uioht mächtig. Von seinen Sohriflen ist bemerkeuBwertb: ,4^'*^
Linien eines Versachü über der älteaten Slaven Ursprung u. a. w." (3 Bde-
Leipzig 1783—89).]
.....Gooj^lc
Du 1». JubrbunJert. 3<.)3
Buclit die y^ichtigkeit der lausitzisch-Eerbisclieu Sprache uud ihre»
Nutzen für die Wissenschaft Dachzuweisen'; er spricht von der
Ankunft der Wenden in Europa von Osten her, von verBcbiede-
nen wendischen ^'ölkerBchaften , von der Wichtigkeit dieser
Sprache in der Theologie, Geschichte, Geographie, Alterthums-
kunde u. s. w. , und gibt zuletzt bibliographische Angaben über
wendische Bücher seit dem IQ. Jahrhundert. Neben phantasti-
scher Philologie finden sic]i in dem Schriftchen interessante Be-
merkungen. Ein anderes anonymes Schriftchen^-. „Gedanken
eines oberlausitzer Wenden über das Schicksal seiner Nation
mit flüchtiger, doch unparteiischer Feder entworfen nebst An-
merkungen" (Bautzen 1782. 8- 33 S.) spricht zur Vertheidignng
des wendischen Volkes vom Standpunkt der „Aufklärung" des
vorigen Jahrhundert«. Einst war es ein grosses Volk; jetzt
ist es wenig zahlreich, weil es, besiegt, alhnählich Sitten und
Sprache des Siegers angenommen, und sieb mit ihm zu einer
Nation verschmolzen hat: man kann leicht den Schluss ziehen,
dass endlich auch der letzte Rest desselben sich gänzlich in
Deutsche verwandeln wird — aber so sei es immer auf der Erde
gewesen; es ändern sich die „zufälligen Unterschiede und Namen",
aber die Menschen bleiben immer dieselben, d. h. Menschen,
welche alle von einem Gott ihr Dasein haben; deshalb hält der
Vernünftige jeden fiir seinen Mithruder und achtet jeden Men-
schen, welches Stammes er auch sei, wenn er nur der Gesell-
schaft nützlich ist und seine Pflichten erfüllt.
Allein Erwägungen solcher Art besserten die Lage des lau-
sitzisch-serbischen Volkes wenig, und bei den, wenn auch wenig
zahlreichen Patrioten, hörte die Soi^e um Erhaltung der „zufalli-
gen Unterschiede" nicht auf.
31it den Napoleonischen Kriegen ward die Lage des lausitzisch-
serbischen Volkes aufs neue eine äusserst schwierige. Das Land
wurde verwüstet und der Triumph der Deutschen nach den Frei-
heitskriegen unterdrückte das lausitzisch - serbische Volksthum
' M. G. Kürner, „ Philologisch -kritisclie Abhandlnng von der wcnilj-
achcn Sprache und ihrem Nutiieu in rlon WisaeiiBuhaflcn" (Leipzig lT6*t.
12. 74 S. Den Mitgliedern der Lauaitaer VredigcrgeBeÜBchaft zu Leipzig
zu deren fnnfzigjäbi'igcm Jubiläaro geiridraet).
' [Nach Jeoi wahrBuhcinÜeh von Uürrauaki verfsasl. S. t'asopia 187,'),
S. lÖ-J
...., Google
394 Set^hetcB Kapitel. Diu LauritKer äerbcu.
noch mehr; die gebildeten Weadeo s^teu sich von ihm lo»; das
Volk war Terlassen, sodass ihm dem Anschein nach nahe Ver-
nichtung drohte. Die Predigergeaellscbafteu hörten abermals anf,
uud die zu Wittenberg ward nicht mehr erneuert, da auch die
dortige Universität aufhörte, indem sie 1817 nach Halle verlegt
wurde. . . . Aber gerade von dieser Zeit an, welche so wenig Hoff-
nung bot, beginnt eine Entwickelung der lausitzisch-aerbischen
Nationalität, wie es eine solche bis dahin noch niemals gab. 8ie
schlieset sich später der slaviscben Renaissance an, welche ihr
eine gewisse moralische Selbständigkeit mittheilte und zu neuen
patriotischen Anstrengnngeu anspornte. Zu Anfang des JahrhuB-
derte sind insbesondere zu nennen der Fastor Georg Mjen
(Mohn), welcher, um die Geschmeidigkeit seiner heimischen Sprache
zu zeigen, in lausitzisch- serbischer Uebersetzuug einige Ab-
schnitte aus Klopstock's Messias herausgab und ein langes didak-
tisches Loblied der wendischen Sprache in Hexametern schrieb;
femer Johann Dejka (Doecke), welcher den ersten Versuch einer
lausitzisch-serbischen Zeitung machte, indem er 1809 — 1812 monat-
lich den „Serbski powjedar a kurir" („Serbischer Erzähler und
Gnrier") herausgab. * Nach den Napoleonischen Kriegen wurde der
hauptsächlichste Vertreter der lausitzisch-serbischen Wiederbe-
lebung der ehrwürdige Pastor Andreas Lubjenski (Lnbeoaky,
1790—1840} zu Bautzen. Schon als Student in Leipzig stellte
Lubjenski die Predigergesellschaft wieder her und bemühte sich,
seinen Commilitonen einen weitern Begriff von ihrem Berufe
beizubringen, indem er sie, wenn auch noch nicht ganz be-
wusst, auf die Interessen des Volksthums hinwies. Der Anfang
war schwer und Lubjenski verlor oftmals die Hoffnung auf eine
Wiederbelebung, hielt seine Zeit für die letzte des tausitiisch-
eerbischen Volkes, aber hörte nicht auf zu arbeiten, veranstal-
tete eine neue Ausgabe der Bibel, schrieb und druckte Schrifleu
religiösen und moralischen Inhalts, Gedichte und geistliche Lieder,
historische Erzählungen u. dergl., beschäftigte sidi mit der Ge-
schichte und Ethnographie der Lausitz, sammelte grosses Ma-
terial zu einer oberkusitzisch-scrbischen Grammatik und zu
' [Ein Versuch war allurdiugB achon vorher, 1790, gemacht worden,
doch wurde gleich die erste Munimer jener Zeitsehrift wol infolge de«
damaligen PrivilegienweeeDi von der Behörde verboten. Vgl. Jtof im
CaBopis 1876, S. 17.]
.....Gooj^lc
l
Audreas Seiler. 395
einem Wörterbucli. In der Vertbeidigung des serbiBch-wendiseheii
Volksthums stand ihm zur Seite Bein College und Freund Friedrich
Adolf Klin (Klien, 1792 — 1855), der nur deutsch schrieb', aber eif-
rig för die nationalen Rechte der wendischen Bevölkerung eintrat.
Klin war Advocat, nahm als Stadtrath zu Bautzen eine Stellung
in der Verwaltung des Kirchen- und Schulwesens ein, war Mitglied
des sächsischen Landtags und seiner Vertretung in den Landtagen
von 1833 — 34 haben die Lausitzer Serben die Erhaltung der Volks-
sprache in der Schule zu verdanken, was für sie ein grosser Sieg
war. Bei den Katholiken gab gleichzeitig mit Lubjenski der Gister-
zienser Tecelin Met zu Rö^ant (Rosenthal) geistliche Schriften
heraus. Den Uebergang zu einer neuen Bewegung bildet die
Tbätigkeit von Andreas Seiler (Zejler, 1804 — 1872). Schon als
Student der Theologie auf der Universität Leipzig erneuerte er
abermals, nach Lubjenski , die wendische Abtheiinng der Leip-
ziger Predigergesellschaft unter dem Namen Sorabia und er-
mahnte eifrig zum Dienst für das eigene Volksthuin. Im Jahre
1826 wurde er in Leipzig mit Palack^ und Sima Milutinovic
bekannt und ihr Einflusa entwickelte seine eigenen Bestrebungen
noch mehr. Schon auf der Universität fasste er den Plan, eine
handschriftliche Zeitung herauszugeben, worin die Arbeiten der
von ihm errichteten Gesellschaft und seine eigenen poetischen
Versuche gesammelt wurden; die Zeitung hatte grossen Erfolg
und Abschriften davon circulirt«» im gesammten Gebiet der Lau-
sitzer Serben. Die Bekanntschaft mit Slaven anderer Stämme
veranlasste Seiler, das Slaventhum zu studiren, was später der
lausitzisch-serbischen Literatur so grossen Nutzen brachte. [Eben-
falls scbon als Student begann ev ein Wörterbuch seiner heimat-
lichen Sprache zu schreiben, dann verfasste er eine Grammatik
derselben {Bautzen 1830), später aber traten seine wissenschaft-
lichen Arbeiten in den Hintergrund vor seinem poetischen Schaf-
fen , durch das er einen so grossen Einfluss auf sein Volk er-
langte. Ueberhaupt blieb er, wenn auch oft verborgen, lange
der factor movens aller wendischen Bewegungen und Bestrebun-
gen. Der Erfolg seiner Poesie liegt darin, dase sie sich ganz auf
dem Niveau des heimatlichen Volksthums bewegt, und nichts in
dasselbe hineinträgt, sondern barm- und tendenzlos die gegebenen
■ {Seiu EioführuDi^surtikel im ('asupiu M. tj. 1848, I, 5—27 ist von Pfui
iuB WendiBcbe übersetzt, ü. Kmoler'e Uebersel^ung, S. 14, Anm. 2.]
39(1 Secliates Kajjilel. Diu LausiUer Serben.
VcEhältnissG schildert und in plastisclien Genrebildern zur An-
schauung bringt: seine Poesie ist ein wirkliches Spiegelbild des
Volkes selbst, mit seinem biedern, gottesfürchtigen , aber nicht
bigotten Sinn, mit seiner Treue gegen die Obrigkeit, ,,die preus-
sische und die sächsische", und flösst diesem selbst Liebe
zur Heimat und zur Huttersprache ein, welche letztere Seiler
kannte und künstlerisch zu handhaben wusste in einer ursprüng-
lichen Fülle und Feinheit, wie keiner seiner Zeitgenossen. Fer-
ner aber wurde der Erfolg ancli dadurch sehr gefördert, dase
viele Lieder Seiler'B von ihm selbst und von seinem Lands-
mann, dem talentvollen Componisten Karl Aug. Kocor (deutsch
Katzer, geb. 1822, Lehrer und Cantor zu Kittlitz bei Löbau) in
Musik gesetzt, dann in den Schulen und bei festlichen Gelegen-
heiten, namentlich bei den nationalen Concerten, deren Haupt-
programmnummern sie zu bilden pflegten, gesungen und so in
Text und Melodie zo wirklichen Volksliedern wurden. Meist
schrieb der Dichter für den Componisten, doch kam auch der
umgekehrte Fall vor, daes erst eine Composition vorhanden war,
und dann der Dichter, angeregt durch dieselbe, einen Text dazu
verfasate; so entstand z. B. die beliebte Polonaise „Serbska Meja"
(„Der Wenden Maienfest"), welche gesungen und getanzt wird.'
Seiler schrieb Lieder und grössere Gesänge (wie „Der Früh-
ling", „Die Ernte", „Die wendische Hochzeit" u.a., Oratorien,
die meist componirt sind und auch wirklich zur Auffuhrung ge-
langten), Lieder im Volkston, Fabeln in Vers und Prosa, Sati-
ren, geistliche und patriotische Gedichte, Balladen u. a.' Femer
' [AuBser der „Serbaka Meja" (Gi-imma g. a,, iu den vieraiger Jabreol
sind vou Kocor gedruckt; „SeciiB wendische Lieder für Tenor oder Sopran
mit l'iaiiofortcbcgleituug" („Wsc spüwow aerbekici u. s. w,", Baatcen 18611;
„Kranz ober- und niederwendischer Volkslieder mit PianofortebegleituDg^
(„Winc uarodnjoli apSwow ete." Eliend. 1868); „Drei wendische Tänie"
(Leipzig bei F. Kahnt). Muaikkeuuer, nieht blos unter den eigenen Landi-
Icuteu des ComponisteD, bedauern, dsss gerade die gröeecrn CompoBitioneu
Kouor'a bisher wegen Mangel an einem Verleger nicht im Druck crseheiucu
konnten. Die Biographie Kocor'a im &eiib. „SvStozor", 1883, Nr. 35.]
* (Eine Gesainmtauagabe der Werke Seiler'a nnler BedaotioQ vou K.
Muka: „Handrija Zcjlerja Zhromadzeiie ^pisy. Zrjadowat a nuda) Emit
Muka. Z uaktadom eerbekeje atudowaueje mlodosf e" (1. u. 2. Bd. Bantcen
IIWI). Das Ganze iet auf fflnf Bände berechnet. Der erste Dwid enthält
auuh einig« von Seiler selbst compouirte Melodie». Einige üebenetittDgen
ü,g :.._.. ..Google
AnilreftB Seilnr. 397
sammelte er Volkslieder, VolltssprichwÖrter und Volksgebriluche,
nahm an der Bearbeitung von Pful'g Wörterbuch tbeil. Es sei
uns noch gestattet, das Urtheil eines polnischen Autors (Graf
Mieroszowski) über die Poesie Seiler's anzuführen: „Ich lese
diese reizenden Idyllen mit ganz besonderm Vergnügen — lieb-
lich sind sie wie Primeln, Maiglöcklein, Vergissmeinnicht, Stein-
nelken und andere kleine zarte Feldblumen, die uns durch ihre
Grazie, Niedlichkeit und bescheidene Eleganz erfreuen. Es ge-
hört eine grosse Kunst dazu, wirklich Schönes und Edles in das
Gewand des Volksliedes derart zu kleiden, dass es beim Volke
auch Anklang finde — und Seiler hat, glaube ich, diese Kunst
im höchsten Grade besessen. . . . Ich kann ihn nicht besser ehren,
als dass ich seine Gedichte neben das kroatische Heldengedicht
„Osvjetniki" („Die Bächei") meines lieben Freundes und bosni-
schen Dichters Fra Grgo Martit stelle." ']
Eine neue Periode der serbisch-lausitziscben Wiederbelebung
beginnt mit Ende der dreissiger Jahre (1838), wo als Förderer
derselben einige junge eifrige Patrioten auftraten, die für ihre
Bestrebungen auch die Männer der altern Generation, wie Klin
und Jakob', zu gewinnen wussten und sich nicht nur die kirch-
liche Belehrung des Volkes, sondern überhaupt seine Bildung und
die Besserung seiner politischen und socialen Lage angelegen sein
Hessen, sowie der nationalen Entwickelung die Verbindungen
und die Sympathien mit dorn gesanimten Slaventhum zur festen
Grundlage gaben.
Seilir'Bcher Diulitungen: deutsch iü den ,. Kränzen wendisclier Lieder" (Text-
liücher zu den Concerten); russisch in „Poezijn Slavjftn"; f-echUch in Vy-
mazaTs „Slovanskä pnpzijp" (Hrünn 1874).}
' lAiiiea IH83, Nr. 11. — Seiler'» Nekioln(r \oii M llirniV im (a
«.piK, 1874, S. 63—64; JenC, „PFehlnd spisiiw H Zijleijn Fbei I S >H—
(13; Ililferdiug, im nngeluhrten Artikel; Slovnik unu n) b t in dcii ti
f^ünzungen; die Zeitni-hrift „£D>iii';ftU", 18(2, 187r>
' [KrnBt Traugott J&kob (Jakub, 1800— 18.H) pro teetaa tischer Geist
lieber, tiess eine Reibe Predigten und religiöse Schriften drucken nn 1 gai
eine atisführliche Statistik der wendischen OberlaiiRitz heians ( Serbak
Home tuäicj", Bnut/en 1848), Auch ist er Begr ndcr der wendiscfaei
Uott<-edieii8te in Dresden (seit 1848 alljäfarlioli viermal) für die zablreiclien
in nod um Dresdeu zeitweilig als Arbeiter, Dienstboten u dergl ver
weilenden Wenden. Nekrr.1og von H. Imii im üsopis 1855 S 14-51]
CiOOqIl
398 Seclisl.es KapiUl, Die Ijnusitzer Serben,
Der bedeutendste und populärste aller Vertreter der lausitzisch-
serbiscbeu Renaissauce ist Johans Ernst Smoler (ruseiacb Smoljar,
deutscb Scbmaler, geb. 1816)-' Sobn eines Landschullebrers im
Dorfe Merzdorf (Luco), später in Lohsa (^az), begann Smoler schon
im 14. Lebenejabre als Schüler des GymnaBiums zu -Bautzen unter
seinen Iianddeuten auf dieser Anstalt Interesse fUr die lausitziscb-
serbische Sprache zu wecken, welche dieselben dem Deutschen en
Liebe Tergassen; seine Ferien brachte er auf Wanderungen unter
den Lauaitzer Serben zu, erforscht« vollständig das Volksleben,
die Gebräuche und die Beste des Alterthums, beging das ganze
Gebiet der Lausitzer Serben, erlangte zuerst Kunde, bis zu welchen
Orten die wendischen Ansiedelungen reichten, und verzeichnete
deren Grenzen auf einer Karte. Im Jabre 1836 bezog Smoler die
Universität Breslau, um Theologie zu studiren, und hatte hier
das Glück, seine slavischen Kenntnisse zu erweitern und seinen
Eifer zu beleben durch die Bekanntschaft mit dem berühmten
Physiologen und cechischen Patrioten Purkyne und später mit
dem Dichter Celakovk^, der in Breslau den Lehrstuhl der sla-
vischen Sprachen erhielt. Damals studirten in Breslau auch
noch andere Lausitzer, Deutsche und Wenden; auf Veranlassong
eines derselben, Rössler (ein Deutscher, später Gymnasiallehrer in
Gels und Mitglied des Frankfurter Parlaments, er floh 1848 nach
Amerika und starb bald darauf) gründete Smoler, der eben im
Begriff war, einen „Wendischen Verein" zu stiften, daselbst einen
„Verein für lausitzische Geschichte und Sprache" mit einer wen-
dischen und deutschen Section, und eröffnete denselben mit einem
Vortrag über die lausitzisch-serbischen Volkslieder; zum Protector
des Vereins wurde zuerst der Historiker Stenzel, später Purkyne
erwählt.^ Im Jahre 1839 gründete die lausitzische Jugend einen
neuen wissenschaftlichen Verein am Gymnasium zu Bautzen (So-
cietas sorabica Budissina) ', dessen Haupturheber die eifrigen lau-
■ [Seine Biographie im Slovnik iiaui-Dj. VIU, 7()ti — 707; in der feth-
ZeiUohrift „Kvüty", Jahrg. 1868; vonA. J. Parezewnki, in der polniacheti
Zeiteohrift „Ktosy", Jahrg. 1881; letztere auoh besonders u. d- T. „.lau fJTjest
Smoleir. Uatfp narodowego odrodMnia Göroyeh l.uiyc" (Waiwhsu 1883.
67S.); W. Bognslawski, „fcuÄycKsnie: Smolar i Honiik" (in 11. GIin»ki's
polnischem Kalender „(Jwianda", 1882, S.CO— 68. St. Peteral.urg)-!
' [Smolei-'s Ueber«., S. 15, AiimeikuDg; bei Parcsewaki, ».a-O-S-ia.)
' l'eber ihn K. Jenf, „Serbske (tymnasialne tow«r«two w BndySinjf
wot 183<( hftf- An 1«(!4" (im rasopis 18ft'.).
.....Gooj^lc
.Toh. E. Smoler. f{!)9
sitzischen Patrioten Mosak KtoBOpolaki (deutsch MosigvonÄeh-
renfeld, geb. 1830, später Uebersetzer von SafaHk'a „SUt. Alter-
thnmern" ins Deutsche) * und H. Imiä waren. Der Besuch Stiir'H
entflammte den patriotischen Aufschwung der serbisch-wendi-
sohen Jugend noch mehr. Er berichtete ihnen von der gesammt-
slavischen Brüderlichkeit, erinnerte eie an ihr Alterthnm, weckte
nationalen Eifer.' Danach kam ein Brief von dem berühmten
Verfasser der „Slavy dcera" und dann eine Anzahl Öechiscfaer,
sloTakischer, serfaiBch-kroatischer Bücher, welche den Grund zu
einer kleinen slavischen Bibliothek am Gymnasium zu Bautzen
legten. Die Leipziger Universität bezogen die Bautzener Gym-
nasiasten schon als überzeugungstreue Anhänger ihrer Nationa-
lität und gründeten auch hier einen wendisch-slavischen Verein.
Unterdessen setzte Smolef seine Studien des wendischen Volks-
thnms fort ond konnte schon 1842 im Verein mit Leopold Haupt,
dem Secretar der Görlitzer Gelehrten gesellschaft, eine Ausgabe dei-
ober- und niederlausttzisch-Berbischen Volkslieder veranstalten, die
mit allen Erfordernissen eines wissenschaftlichen Apparats versehen
ist. ' Bei dieser Puhlication ward Smoler von dem damals dort
lebenden nissischen Gelehrten Sreznevskij unterstützt; in dem
Werke wurde die neue (echische Orthographie angenommen. Die
Betheilignng Haupt's war eigentlich nur eine nominelle ; er hat keine
Lieder gesammelt, konnte überhaupt kein Wort wendisch; der von
ihm versprochene und dann auch gelieferte Beitrag erwies sich
als die dürftige Anton'sche Sammlung niederlansitzischer Lieder,
welche die Gesellschaft besass; auch wusete Haupt keinen Ver-
leger zu beschaffen. Smolef* musste sich in allem selbst helfen;
„damit aber Haupt bei dem ganzen Werk doch etwas thue, Hess
' [Die ihm in Safarik's Briefen au Pogndin („Pisma k Pogodian" II,
322 n. a.) zugeichriebcne Schrift „Slaveu, RuSBen, Germaneu" (1(^2) liat je-
doch Kloeoiiölaki nialit zum Verfasser, der überhaupt nichts Derartiges ge-
schrieben hat. S. Smolef'a Uebers., S. 18, Anraerk.]
' Stör Bohricb damals einen Artikel über die lausitzisuh- serbische Na-
tionalität, der in Dubrovskij's „Dennica" üborset/t ist.
• „Pjesnitki Hornioh a Delnich l^u^skioh Serbow, wudate wot L. Uanpta
a J. £. Smolerja — Tulkslieder der Wenden in der Ober- und Niederlaositz.
Herausgegeben vun L. Haupt und J. £. Schmaler" (2 Bde., Grimma 1842
— 43. 4.). Be^egeben sind den Liedern eine kurz« historische und gram-
inati seh -dialektische Einleitung, geographische und statistische Nachrichten,
Beschreibung des Vnlksthnms der Laiisilzer, eine Karte und andere Beilsgen.
ü,g :.._.. ..Google
400 Kcclintes Kapitel. Die L&UBitzer Sei-Iten.
ihn Smoler die von ihm vorher gefertigte deutsche Uebersetzung
ins Yersmass des Oiigioals briogeii und die Vorrede (iclireiben". '
Diese Pablication, eioe der besten in der slavischen Literatur,
und die neuen slavischen Verbindungen der Patrioten lenkten auf
die Lausitzer Serben die Aufmerksamkeit der slavischen Literstur,
und es wurde ihr Platz in der slavischen Renaissance anerkannt.
Smoler wendete sich jetzt einer andern ÄuFgabe zu — nationales
Bewusstsein in der Volksmasse selbst zu verbreiten; ihr muss-
ten Lektüre und die Mittel einer gewissen Bildung verschafft
werden.
Diesen Gedanken hatte schon 1842 ein anderer lausitzischer
Patriot gefasst, der als Schriftsteller und Journalist des Slaven-
thums bekannt ist. Johann Peter Jordan (geb. 181^) studirte
anf dem Gymnasium und der Universität zu Frag und begann friili
»eine publicistisi^e Thätigkeit in der bekannten damaligen Zeit-
schrift „Ost und West". Er war nächst Seiler einer der ersten
unter den Lausitzern, der sich mit der Sammlung von Volksliedern
befasste und auf deren Wichtigkeit hinwies. In den vierziger
Jahren arbeitete er viel hinsichtlich der slavischen Frage in der
deutschen Literatur. Damals fand, wie wir früher anläsehch der
Cechen, Slovaken und Serbo-Kroaten bemerkt haben, in Oester-
reich eine starke nationale Gärung statt; in der deutschen, ma-
gyarischen, ja sogar der europäischen Publicistik war viel von
den Gefahren des „Panslavismus" die Rede, — und zur Abwehr
der Feinde des Slaventhums war es nöthig, in der deutschen Li-
teratur zu antworten. Dahin gehörte „Ost und West", dahin
die publicistische Thätigkeit eines Wocel, Palnck^, Stür, Hodza.
der Grafen Matthias und I^eopold Thun; ihnen schloss sich von
Seiten der lausitzischen Patrioten, welche in den Kreis der sla-
vischen Sympathien eingetreten waren, Jordan an. Er begann
zu Leipzig die „Slavischen Jahrbücher" herauszugehen, welche
viele wichtige Nachrichten über die Slaven enthielten.* Darauf
bekleidete er den Lehrstuhl der slavischen Sprachen und Litera-
turen au der dortigen Universität, aber sein slavischer Patriotis-
mus machte ihm viele Feinde in der deutschen Journalistik, und
' [Smolef'n Uebera., S. 17, Anmerk.; TarcBewski a.R.0., 8.31—3^.1
' Unter nnderm hat ei- auch rüe Broschüre „Der £weifac)ic Puitlavii-
mtiB. Mit ADinerkuiif(i?ii eti"," (Leipzig 1847) gexohriehen. Vgl. „Pümii k
. Pogwlimi" n. a. 0,
.....Gooj^lc
Smoler. .lordan. 401
als Jordan 1848 offen für die Interessen des Österrcicliischen
SlaventbumH eintrat, gelang es, ilin von der Universität zu vcr-
clrängen. Er begann damals eine deutsche Zeitung in Prag her-
auszugeben, war Mitglied der „Slovanskd Lipa" (Slavigche Linde),
7.0g sieb aber nach Eintritt der Reaction von der literarischen
Thätigkeit zurück, [die er erst in vorgerücktem Alter zu Wien
wieder anfnabm als Jonmalist im slavischen und später im ka-
tholischen Interesse. 1881 war er der Führer einer Pilgerfahrt
von katholischen Slaren nach Rom.]
Im Januar 1842 begann Jordan die kleine lauKitzisch-serbische
Zeitung „Jutnitka" (,,Morgenröthe") herauszugeben; aber die
Sache gelang nicht, unter andemi deshalb, weil sich die dessen
angewohnten Leser von der verbesserten (wenn auch nach fechi-
schem Muster vereinfachten) Orthographie, die Jordan in seiner
Grammatik (1841) vorgeschlagen hatte. abgeKtossen fühlten. Im
zweiten Halbjahr übernahm Seiler die Herausgabe unter Mit-
wirkung von Christian Kulman (1805 — 69), Verfasser von Ge-
dichten und zahlreichen kleinen Volksschriften, Smolef, Pjenck
(gest. 1849) u. a. Die neue Zeitung ,,Tydzeiiska Nowina" („Wochen-
blatt") ging besser und gab der Landbevölkerung, auf deren Ge-
schmack sie berechnet war, zum ersten mal eine Lektüre. Von da
an hat sich die lausitzisch-serbische Literatur einen treuen, wenn
auch bei der nicht grossen Zahl der Bevölkerung nur relativ
zahlreichen, Krei» von Lesern gesichert. [Neben der „Tydieiiska
Nowina" erschienen 1848 noch kurze Zeit der „Serbski Nowin-
kar", redigirt von Bartko und Pjekaf, und gegen Ende 1848 bis
I850eine Wochenschrift für die Katholiken, „Jutnicka", redigirt von
Jakob Ka^ank (geb. 1818, gegenwärtig Kanonikus Senior in
Bautzen) unter Mitwirkung von M. Jacslawk (gest. 1862; lie-
ferte Poesien), M. Cy?. u. a.] Nach Beschaffung von Zeitungen
fassten die lausitziscben Patrioten auf Anregung Sraolef's den
Plan, auch eine Matica (Madica) zu gründen, nach Art der
andern slavischen Institutionen gleichen Namens. Sie ward unter
Mitwirkung des erwähnten Klin wirklich gestiftet und 1847 von
der sächsischen und bald darauf auch von der preussischen Bp-
gierung bestätigt. Vom nächsten Jahre an begann der „Gasopis"
(„Zeitschrift") derMacica zu erscheinen, welcher der Erforschung
der lausitzisch-serbischen Geschichte, Ethnographie u. s.w. gewid-
met ist; in ihm traten die Namen neuer Förderer der Natio-
nalität auf, welche das von Seiler und Smoler begonnene Werk
pTrH, SliT liehe LUerBtaian. II, 3. 21!
ü,g :.._.. ..Google
402 Sechstes Kapitel. Die Laneitzer Serben.
fortsetzten. Dahin gehören Wjelan, der Philolog und Dichter
Pfui, Karl ,Ienc, Rostok u.a. Die eigentliche Aufgabe der Ma-
6ica bestand in der Herausgabe nützlicher Bücher, besonders zar
Lektüre (Ur das Volk. Unter ihren PublicatioDßn ist besonders
wichtig die schon erwähnte Statistik der Oberlansitz -von Jakob ',
und das „LausitziBch-wendieche Wörterbuch" von Pfnl, imter
Mitwirkung von Seiler und Höroik; [Schriften Iura Volk Ton J.
B. Mufiink (Erzählungen), J. Pohon6 (eine Geschichte Mapo-
leon's I.), M. A. Kral (ein Gartenbuch) u. a.]
Die Unternehnnungen der serbisch-wendischen Patrioten fanden
grosse Sympathie in der Volksmasse, welche in den national-serbi-
schen Gesangsfesten (seit 1845), in den Öffentlichen Versammlungen
der Ma^icB zum ersten mal das offene Auftreten ihres Volksthams
sah. Leute der alten Generation, die früher nie etwas Aehnliches
gesehen hatten, schlössen sich der jungem Generation an, und wie
bescheiden auch die Mittel der wendischen BevölkeruBg waren,
die Unternehmungen der Patrioten hatten einen TerhäHnissmässig
grossen Erfolg. In dieser Verfassung traf die Lausitzer Serben
das Jahr 1848. Die allgemeine Erschütterung mnsste sie sn
oder anders mit berühren. Einerseits erregte sie die nationale
Bewegung des benachbarten österreichischen Slaventhums; an-
dererseits lasteten auf ihnen die Fnitensionen der deutschen
Demokraten, welche zn einer politischen und socialen Reform
aufforderten, aber die Nationalität der Wenden negirten. Die
Führer der Wenden sahen klar ein, dass ihr kleines Volk in
keinem Falle eine Rolle spielen könne, und richteten die
Sache sn ein, dass das serbisch -wendische Volkstbnm im Resul-
tat Ton den politischen Wirren unberührt blieb; und davon hatte
es Vortheil. Vertrauensmänner der damals errichteten serbisch-
wendischen patriotischen Vereine benutzten die Verhältnisse and
verfassten eine Petition, die sich mit zahlreichen Unterschriften be-
deckte, des Inhalts, die wendische Sprache möge im lanaitzischen
Gebiet dieselben Rechte erlangen wie die deutsche, also in der
Schule, Kirche, hei den Behörden und vor Gericht. Die Isu-
' [Das Werk cntliült unt^r snderm auch eine Bibliographie oberlansitz isch-
aerbisolier Drucke bie zum Jahre 1848, wobei ilie Werke proleBt&ntieeber
Verfasser von E. Jen& und die katbolisoher von M. Kni'ank zneammeu-
gestellt Bind. Ferner wurde noch Jakob unteratütEt von Smoler, Seiler
ü,g :.._.. ..Google
Job. E, Smolef. 40.T
sitzisch-serbische Deputation wandte sich mit ihrer Petition nicht
an den Landtag, sondern an das Ministerium and den König;
die TOB dem Lande verachteten höchsten Gewalten wurden durch
die Ergebenheit der Wenden gewonnen ; in den dresdener Ereig-
nissen 1849 bUeh das lausitziech-serhische Regiment dem König
treu, — und deshalb ward die Ergebenheit des lausitziscH-serhi-
schen Volkes nicht vergessen. Nach Wiederherstellung der Ordnung
that die sächsische Regierung jener Petition zum Theil Genüge,
und gewährte der lausitzisch-serbischen Sprache Rechte in der
Volksschule, in der Kirche und vor Gericht. Ganz ebenso ver-
hielten sich die lausitzisch-serbiechen Patrioten auch in den Zwi-
sten der Feudalen mit den städtischen Demokraten, ond indem
sie die Partei der erstem ergriffen, förderten sie wieder ihre
speciellen Interessen und verbesserten die materielle Lage der
Landbevölkerung bedeutend.
Die officielle Anerkennung de» serbisch-lausitzischen Volks-
thnms in Sachsen, die Beachtang desselben seitens der Mitglieder
der königlichen Familie ', der Eifer der wendischen Führer gaben
dieser früher vergessenen und verachteten Nationalität eine ganz
neue Physiognomie. Sie trat jetzt aiif die Bühne dps öffentlichen
Lebens; das serbisch-wendische Buch ward zu einer Nothwendig-
keit für den Landmann, die moralische Befreiung von drückendem
Joch, die zum friedlichen Ausgleich gelangten Beziehungen zu den
Grundherren vrirkten zu einer Besserung der materiellen Lage
— der Wohlstand in den Dörfern nahm zu , und die Lausttzer
Serben wurden die besten Landwirthe des Landes; der'Werth
von Grund und Boäcn stieg in kurzer Zeit um das Mehrfache.
Auch die Zahl der Leser wuchs; Smoler's Zeitung hatte in den
ersten Jahren nach 1849 gegen 1200 Abonnenten — eine sehr
betrilchtliche Ziffer bei einer Gesammtzahl von nur 90000 der ge-
sammten oberlausitzisch-serbischen Bevölkemng. Im Jahre 1854
fasste die Ma^icA den Entscblass, zum ersten mal einen lausitzisch-
nerhischen Kalender herauszugeben; es wurden zwei Auflagen zu
je 1000 Exemplaren abgesetzt. „Nach diesem Verhältniss", be-
merkt Hilferding, „hätten wir im europäischen Russland min-
destens eine Million Exemplare." [Dieser Kalender („PredÄenak"
' [Der jetzige König Albert von Saclisen niihm seinerzeil nh Prinz hei
Smolef anderthalb Jahr Unterricht in cler wendischen Sprache. H. bti Par-
czewRki a.a.O., S. 54.1
u,'*_.., Google
' 404 SeclisteB Kapitel. Die Iiau^itücr Serben.
— „Der Garnmann") ci-echeint seitdem alljährlich nnter der
Tortrefflichen Redactton des protestantischen Pfarrera ß. Räda
in durchscbnittlicher Auflage von je 5000 Exemplaren. Daneben
erscheint seit 1868 ein kathoKscher Kalender „Krajao" („Der
Landsmann") in 1000, und in neuester Zeit noch ein dritter ,:Po-
lan a Holan" in Hoyerswerda in 2000 Exemplaren.]
Viit kehren zu der Tbätigkeit Smolef's zurück. Er war un-
ermüdlich in Arbeiten, welche das erste Bedürfniss einer Lite-
ratur bildeten; er Rchreibt für die Zeitung, verfasst Gespiücbe
(1841), ein deutsch-wendisches Wörterbuch (1843), eine kleine
Grammatik (1850), ül}er8etzt CelakoTsk^'s „Oblas pisni ruskj'ch"
(„Widerhall russischer Lieder", 1846), die KÖniginhofer Hand-
schrift (1852). Daneben gingen gesammtelaviscbe IntereBsen, als
ihm Jordan 1846 die Redaction der „Slavischen Jahrbücher" über-
trug. 1848 siedelte er nach Bautzen über, übernahm von Seiler
- die Redaction derTydfeäskaNowina, welche jetzt einen politischen
Theil erhielt (seit 1854 heisst sie „Serbske Nowiny"), und gibt sie
noch heraus. Ausserdem war Smolef^ einige Jahre Redacteur de^
„Öasopis" der Ma£ica, des kleinen Jonmals „iMiii^u", in den
fünfziger Jahren redigirte er eine neue Serie der „Slawischen
Jahrbücher" (1852 — 58), dann die „Zeitschrift fnr slavische Li-
teratur, Kunst und Wissenschaft" (1862—65) und das „Central-
blatt für slavische Literatur und Bibliographie" (1865 — 68), wobei
er wieder seinen nationalen Patnotismus mit den weitem Inter-
essen des GesammtslaTeotbums rerbindet. In den lausitzischen
Publicationen schrieb er über die heimische Geschichte, Sprache
u. s. w.; ferner übersetzte er einige Werke Ton Hilferding ins
- Deutsche. • . . . Endlich wendete er seine Thätigkeit noch ein«*
neuen Sache zu, deren Wichtigkeit keinem Zweifel unterli^.
Im Jahre 1863 gründete er die buchhändlerische Firma Schmaler
& Pech, welche lausitzisch-serbische Bücher heransgab und den
Grund zu einer gesammtslavischen Buchhandlung legen sollte.
' Wir führen noch die Broachören Smolef's au: „Wetchei ist die Lekrr
des sthaDuiaD lachen Symbolums von der dritten Ferson der Gottheit etr."
(dentscb und wendisch, Bautzen 1861. i.); „Die slfiviscben OrtaDamcu ik
der Oberlaiieit;!" {Ebeod. 1867. 4. Znm dreihundertjährigen Jubiläum d*!
GymnasiuniB ED Bautzen); „Die Schmähaohrift de« Schmied emcitters Sl4»rii
gegen die BpraohwiBsenschaftlichen Wenden, beleuchtet vom Standpunkt dn-
■WiBsenHchaft und Wahrheit" (Ebend. 18C8).
:....., (^lOOglC
Joh. K. Smolef. 405'
Der Compagüon Smolei's Johann Traugott Pjecii (deutsch Pech,
geb. 1838), besuchte das GymnaBium zu Bautzen und die Uni-
versität Leipzig, studirte die slaviBcben Dialekte und leitete 1863
—69 die genannte Firma mit Smolef in Bautzen; 1870 siedelte
er nach Leipzig über, ohne jedoch die Idee einer slavischen
Centralbucbhandlung aufzugeben. ' Die Nothwendigkeit eines
solchen centralen Punktes ist zweifelloB, und wenn es zu einer
Fixirung desselben bisher noch nicht gekommen ist, so spricht
dies nur dafür, wie schwach zur Zeit noch in der slaviBchen
Welt die Bedürfnisse gegenseitigen literarischen Verkehre sind.'
' Wir ver^teiulmeu die in dieBcr Saclie iuteressanten, als Manuecript ge-
(Imokteo Brosohüren Pjeoh'a: „Die Buohliandlung von Schmaler & Pech in
Leipzig {früher ia Baatzen), ihre WirkBfljnkeit und Stelluog im Blatischen
Baohbaudel, sowie die UediDgungen iliros feroeni Gedeibeoa" (Leipzig 1873);
„Die Nolhwendigkeit der ErrichtuDg einer slavisoheD BaobhaDdluDg in
Leipzig, dftB Programm derselben, sowie die zu ihrem Betriebe erforder-
lichen Mittel" (Leipzig 1874. 4.)
' {Da ea eich hier nm die peraüuliehen Beatrehungen dee lleberBetzcrs
bandelt, so sei es diesem gestattet eine Bemerkung zu machen-.
Die oben ausgesprochene Betrachtang des Verfassers über einen centralen
Punkt für den slaTieohen ßnchhandel könnte nur erklären , warum ein
Koleber Punkt innerhalb des slavischen Uebiets und für die Slaven
selbst noch nicht entstanden ist; nicht aber, wamm er im europäischen
Buchhandel überhaupt noch nicht beateht, oder doch noch nicht mit dem
klaren Bcwusstsein hingcBtellt und entwickelt ist, wie cb den gegebenen
Verhältnissen nach der Fall sein könnte, und nie es thatsächlich die buch-
händlerische p, sowie die ihnen zu Grunde liegendeu wisse uBchaftlichen und
literarisuheu IntercBsen Europas (die Slaven wechselseitig mit inbegriffen)
erfordern. Diese Frage ist eben mehr von geschäftlicher, technischer Seite
aufznfaaaen, als von nationaler (gani ebenso wie mau t. B. auch gramma-
lische Fragen nicht mehr vom „nationalen", sondern vom spraohwisaen-
EcbafÜichen Standpunkt« beurtheilt), und in dieser Beziehung ist der einzige
Urund, wamm es bisher noch nirgends eine wohloi^nisirte Blaviaoha Buch-
hftudlung gibt (möglich ist sie zur Zeit nur in Leipzig, in Verbindung mit
der sonstigen bocbbandleriBchen Bedeutung, die dieser Platz fbr Osteuropa
hat nnd — noch lange haben wird), der, dasa es bisher nicht viele Buch-
bändler gab, welche das geBammtslavische Gebiet intelleotnell beherrschten,
und dasB es diesen wenigen nicht gelingen wollte, die einem solchen Unter-
nehmen entsprechende finanzielle Grundlage zusammenzubringen. Auch hier-
von die Ursachen aufzusuchen, würde zu weit fähren; es genügt, zu con-
atatiren, wie die Frage eines centralen Punktes (oder richtiger centralen
Geschäfts) für den slavischen Buchhandel in Wirklichkeit steht.]
ü,g :.._.. ..Google
40(J SechBtcB Kapitel. Die Laositzer Serbcu.
lu seiner heimatlichen Literatur war Pjech besonders als Mit-
arbeiter am ,^u£i^n" und an der „Euiica" tbätig, unter anderm
übersetzte er in die kuBitzisch- serbische Sprache südserbische
Volkslieder, ErzählnDgeu von Turgenev, Havlicek, 0, W. Holmes,
einiges aus deutschen Dichtem u. a. ; auch ist er in der deut-
schen Literatur thätig.
Die Wiederbelebung des Berbisch-lausitztschen Volkstbums
verlief freilich nicht ohne Anfeindungen seitens deutscher Eiferer,
und Smolef als der Hauptvertreter der Bewegung hatte vor allen
die Angriffe derselben zu erdulden. Einen der Anlässe dazu bot
die Betheiligung zweier oder dreier Lausitzer Serben \ darunter
Smoler, am Moskauer slavischen Congress. Smoler erschien in
der deutschen Presse als „Vertreter einer panslaTistischen Agita-
tion", als „Vorkämpfer des moskauischen Byzantinismus" ' u. b. w.
Wenn man bedenkt, dass andern oder sogar denselben deutschen
Eiferern die Sache der Lausitzer Serben für entschieden gilt ", —
so bieten die boshaften Ausflllle, welche man gleichwol gegen sie
von deutscher Seite richtet, ein wenig erbauliches Schauspiel.
Einer der thätigsten lausitzisch- serbischen Patrioten und
Schriftsteller ist Michael Hörnik (deutsch Hornig, geb. 1833,
in der Oberlausitz ). >'^ach der Dorfschule besuchte er das
Gymnaaium zu Bautzen, von 1847 an ein solches zu Prag
als Zögling des Wendischen Seminars (Convicts) daselbst und
hörte 1853 — 56 an der Universität Theologie, wobei er sich
zugleich mit den slavischen Dialekten befasste und auf dem
Seminar die heimische Sprache seinen Landsleuten vortrug.
Von 1856 an katholischer Geistlicher, war er Vicar, Kaplan,
seit 1871 Pfarrer zu Bautzen. Vom Ende der fünfziger Jahre
an und noch jetzt arbeitete er viel in der oberlausitzischen Li-
teratur. Anfangs gab er die „Monatliche Beilage" („Mesa^na
priloha") zu Smoler's „Serbske Nowiny" heraue und 1860 be-
' [Ee waren Eür Ewei. IWi- üebere.]
' Vgl. Greiizboten 1867, Nr. 24, S. 433—441 (Der PanBlaTiBmns in
Bautzen); Allgem. Zeitang, 1667, Nr. 206 — 307. Beilogea (Sl&viaches •!■<<
der LanBitz).
' „Es handelt aiuh beim Untergang der wendiBobeii Sprache id Atr
Lausitz um keinen Kampf — dieser ist lange entschieden — und nur von
Iriedliubem EiDBchlafen kann die Kode Bein; keine nationale Gehässigkeit
liegt hier vor ii. s. w." R.Andree, „Wendisohfl WanderalBdien", Vorwort.
...., Google
Mich. Hörnik. 407
gann er die kleine literarische Zeitschrift „fcuiiäan". Im Jahre
1862 gründete er mit einigeo katholischen Geistlichen die Ge-
sellschaft des heiligen Cyrill und Method zur Herausgabe billiger
und nützlicher Bücher für die katholischen Wenden; Organ des
Vereins war der „Katbolski Posol" („Katholischer Bote"), der
1863 ebenfalls unter Redaction von Hörnik begann. Ein ähn-
licher Verein: „Wendischer lutherischer Bücberverein" (Serbske
lutherske knihowne towaf8two)~war in demselben Jahre für die pro-
testantischen Wenden errichtet worden — da die Ma£ica ihren Sta-
tuten gemäss keine confessiouellen Schriften herausgeben konnte.
Hörnik nahm dann an der Bearbeitung des lausitzischen Wörter-
buchs thei], übersetzt« belehrende Schriften, schrieb viel im „Öa-
Bopis" der Ma6ica, besonders über das wendische Volkstbum und
das alte Schriftwesen, and ist seit 1868 Redacteur des 6asopis,'
wo sich viele seiner kleinen Arbeiten über Geschichte und Sprache
der Lausitzer Serben befinden. Er schrieb auch in dag „Neue
Lausitziscbe Magazin", und in slavische Journale, wie den cechi-
schen „Casopis" und neuerdings den „Slovanskj Sbomik", die
polnische „Warta", den russischen „Slavjauskij Sbornik", in
den 6echiBchen „SloTuik nauCn^", correspondirte in (echische
Zeitungen. Hörnik ist einer der besten Kenner seines Volkes
und der Geschichte desselben; er sucht eine moralische Ver-
bindung desselben mit der grossen slavischen Welt zu unter-
halten und ist als Vertreter des katholischen Theils der Lau-
sitzer-Serben bestrebt, die katholischen Bücher zu verbessern,
sowie die Schriftsprache und deren Orthographie zu regeln.
[Endlich machte er sich noch dadurch um das heimatliche Schrift-
wesen sehr verdient, dass er wissenschaftliche und nützliche
Bücher, deren Erscheinen bei dem kleinen heimatlichen Publikum
oft kaum möglich wäre, anf eigene Kosten drucken liess, z. B.
Laras' Psalmenübersetzung, Libs's Syntax, mehrere Volkslieder-
sammlungen u. a.'
' Obeu Hiud eiuige Hciner Ai'beiUu nugefiihrt. Wir vurEeictmeu noch
folgende für die Geschichte der lauBitziBch-aerhiachen Literatur ioteresBanien
Artikel: „Staruserbske atowa w magdebnrgskiin rnhopisfi 12, IStst." (nAIt-
wendische Wörter in ciaer magdehurgiechen Htuidschrift des 13. Jabrhna-
d«rts", im Casopis, 1875, 8.80—82); „Serbska pHsaha, pomnik rS6e z treäeje
Blw6r£e IB. Iftut." („Eine wendiauhe Eidesfoiniel aus dem dritten Viertel du«
15. Jahrhundcvts", im Bautzcuur Stadtbuch. Ebeudss. S. 49—58); „Jakub
.....Gooj^lc
408 tSoobstes Kapitel. Die Lausitzcr Serben.
[In ähuliclier Weise wie Hörnik für die Katbolikeu wirkt
Friedrich Heinrich Imis (deutecb Itnmisch, geb. 1819, Pfarrer
zu Göda) für die Protestanten. Nachdem er schon seit den »ier-
ziger Jahren an den nationalen Bestrebungen seiner Landslente
eifrig tbeilgenommen ', gründete er 1862 den schon genannten
„Wendisch-lutherischen Bücberverein", dessen Vorstand er auch bt,
gab für denselben ein grosses Predigtbuch* heraus, schrieb die
Jahresberichte u.a. Seine Hauptmitarbeiter bei dem Verein siud
Johann August Sykora (deutsch Sickert, geb. 1835), Verfasser
von Tolksthiuulichen Geschichten und Erzählungen auf biblischer
oder kirchengeschichtlicher Grundlage ^ M. Domaska (religiöse
Lieder)^ Georg Jakob u.a. Femer leitete Imis die neue Aub-
gabe der Bibel, übersetzte die Kirchenagende, ist Vorstand der
„Wendischen Prediger Conferenz" in Sachsen, leitet ein Seminar
Ticinue a jeho räSnica z 1. 16T9" (., Jakob Ticinus und seioe Grammatik vuni
JaTire 1679", Ebenii,, 1879, S. 9—17), [ferner eclirieb Hörnik «bor Tharäns,
Clioinauus, Ticin'e Katecliisinus, über ein Buob in der Sorauer Mundart, über
„.\usbildimg der oberwendi sehen Scbriftsprache und ihre AnnUierungr •"
die niederwendieohe" („Wutworjenje etc.", Ebend. 1880, S. 155— 164) u. s. w.)
ErgSnzuDgen und Varianten zu Volksliedern.
Biographie bei Du&iuau, Pismowstwo, S. 5G — 6S (mit auBiÜhrlicheni
Verzeichniss der Artikel Hörnik's Ins 1869), [femer im Slovnfk naut-nj ». v,
in den tech. ZeitBoliriften „Kv.'ty" (18G8), „Svetozor" (1875, Nr. 50). in den
polnischen ..Ktosy" (1881) und (mit Smoler) im Kalender „Gwiazda" (1882l|
Noch eei bemerkt, daee Horaik eine ,X'itanka" („Ansgewählte LeBestüebe"!
aus der ober lau sitKisuhcu Literatur nusamroengegtellt hat (Bautzen 1663; mit
einem kleinen wendisch -deutschen Wörterbuche).
' [Unter andenu redigiite er die Zeitschrift „ZemiEka" („Moi^nttem").
1.— 3. Jabi^. Bautzen 1849-51; 4. Jahi-g., Hoyerawerda 1853.]
' [„Domjaea klflka. Epistolske prfdowanja cyteho eyrkwingkeho Itl».
Wudat H. ImiB" („Die Hauakanzel. Epistelpred igten u. s. w.". Bautzen IRiB.
1080 S. in gr. 8). Yorlier erscliien: „Domjaoy wottar. Zestaja) H. Imii"
(„Der Hausaltar". Gebetbuch. Bautzen 1867).]
' [In „Boze dzeco" („Das Christkind-', Bautzen 1883; Nr. 70 der Schriften
des Weud.-Iuther. Büchcrverein«) ist eine Hinneigung zu den apokrjpbeD
Erzählungen des Mittelalters bemerkbar. Von Büchern solcher Art ist tat
früherer Zeit schon das „Nikodemus-Evangelium" („Nikodemusowa kniik*"-
Bautzen 1S43) vorhanden, das noch gegenwärtig eine beliebte Lektüre de«
Volks bildet-l
' [„ZioDske litosy. Kherlu&owy poklad za dougacu uutmosc. Wudil
M. Domaika" („Zionsstimmen u. s. w.", ^ Bde. Bautzen 1868 und 1S79|;
der ii weite Bund enthält nui' eigene Uiohtnngen von Domaika.]
.....Gooj^lc
Heinr. IniiB. 409
fiir junge Theologen, woriu er sie in der Handhabung der wen-
dischen Sprache für den Gottesdienst unterrichtet, und lässt sich
überhaupt die Förderung der national -kirchlichen Interessen
seiner protestantischen Landsleute warm angelegen sein. ^ Im
„Öasopis" schrieb er einiges über heimatliche Volksgebräuche
und synonyme Wörter.^
[In der Poesie bleibt Seiler nach volksthümlichem Inhalt und
Form unerreichter Meister. Neben und nach ihm wirkten: Jo-
hann Wehla (Pseudonym Eadyserb und Zarin), fruchtbarer und
formgewandter Dichter, besonders in der Ballade; Johann O^sla
in der Lyrik und Epik^; Karl August Fiedler in der Lyrik,
besonders im Sonett und in Gelegenheitsgedichten; Pfui, Ton
dem weiter unten, Wafko, die Dichterin Emilie P. (Pfnl)
u. a. Andreas Ducman übersetzte Schiller's „Lied von der
Glocke"; Johann £artko Kömer's „Nachtwächter" mit An-
passung au die localen Verhältnisse;] Jan z Lipy sechs Sonette
von Shakespeare (in Casopis 1875, S. 78—80) nnd die Tragödie
„Julius Cäsar" (im Manuscript).* [Dazu kommen noch einige Volks-
dichter (Leute aus den einfachen Verhältnissen des Dorflebens,
ebne höhere Schulbildung), die ihre lyrischen und Gelegenheits-
gedichte in den ,,Serbske Nowiuy" veröffentlichen. Der älteste
und thätigste von ihnen ist Peter Mtönk (deutsch Müller, geb.
1805, einfacher Bauer evangelischen Bekenntnisses). Er singt
meist lange Lieder (khlrluse) im Geiste des kirchlichen Gesang-
buchs, die in neuerer Zeit gesammelt sind.*]
Der „Casopis" der MaiSica wurde von 1848 an unter Redac-
tion von Smoler herausgegeben, dann seit 1854 von Jak. Buk
(geb. 1825, katholischer Hofkaplan in Dresden), von 1868 an
von M. Hörnik. Diese kleine Zeitschrift, deren jährlicher Uru-
' (Vgl. Imiä's Schrift: „Die innere Mission unter den Wenden. Vortrag,
gehalten im Evangel. VereinEhaiise iu Breslau" (Bautzen 1881).]
' [Biograjibisclie Notizen und Verzeichniss bis dahin verfaaster Schriften
in W. Haan, „Säi;hsiai;heE) Schriftsteller-Lexikon" (Leipzig 1875). Letzteren
Werk enthält ferner ebensolche Notizen über Jak. Buk, Andr. DuCniau, 11.
Hörnik, K. A. Jent-, Pfui, M. Rostok, Sykora u. a]
* [„Kral PFibyfitaw. Lyrisko-episka baseri" („König Pribyslaw. Lyrisoli-
epische Dichtung") im Casopis, 1868, S. 8—56, und besonders.]
* Vgl. die polnische Zeitung „Wiek" 1876, Nr. 263 im Feuilleton.
' [P*tr Mlüuk, „KhMuse ii sp.^wy" (G Hefte, Bautzen 1879. Ü.
a58 Seiten).]
ü,g :.._.. ..Google
410 Sechstes Kapil«l. Die LausiUer äerbco.
fang aus zwei Heften zu je fünf Druckbogen besteht, ist das
Hauptorgau der lauBitziecb-serbischen Literatur, an welchem
gleicbmäesig Protestanten und Katlioliken arbeiten. [Ihr Haupt-
zweck ist die Erforschung des Volksthums in Sprache, Gescbiclite,
Literatur, Älterthümern, doch werden darin auch Poeeien, darunter
auch niederlausitzische, veröffentlicht. SprachwissenschafUiche Ab-
handlungen verfassten Smolef, Buk, Pfui, Hämik. Christian Traa-
gott Pfui (deutsch Pfuhl, geboren 1835) war ProfesBor am Vitz-
tbum'schen GjmnaBium zu Dresden, musste aber An&ng der sieb-
ziger Jahre Krankheits halber sein Amt aufgeben und lebt seitdem
als Professor emeritus in Neschwitz bei Bautzen. Sein vortrefflicheB
Wörterbuch und seine „Laut- und Formenlehre", die erste, welche
wissenBchafllicbea Anforderungen genügt, sind schon angeführt
worden. Ausser im Caeopis schrieb er auch im £n2ican und
LuSica, in deutschen Fachzeitschriften und Journalen; besonders
geschätzt ist seine Zusammenstellung und Erklärung der sprach-
lichen Denkmäler der Klbeslaven („Pomniki Polobjan ^owjansäny"
im Casopis 1863 und 1864).' TJeberhaupt ist Pfui ein eifriger
Förderer seines Volksthums; er ist auch Dichter, und sein pa-
triotisches Lied (aus dein Jahre 1853):
üoty taddte, ja was ^ntuu:
Ja sym mso w aerbskim kr^u,
Hdiez mi bydli wutroha;
Mlodnozelens tj atrooa,
Wokfewjace aerbske hoca,
Wf a6e moja domizna! u. h.w.^
' [Wir führen uooli folgeude Artikel au: „Hornjotuüski serbski prawo-
pis z krötkim r^&niEuym pFehladom" („Oberl&usitsiaoh-BerbiBobe ßeoht«chrci-
buug etc" im Öasopis 1848, S. 63 — 127); „PSnijeöake prswidU ■ n^kotrc
pSanje" („ PrOBodisehe Regeln und einige Gedichte", Ebcud. 1853— H, S- 3
— 24) j „Homjohiziaka serbeka rMnica na pHrunowacym stejiSfu" („Oberlau-
81 tzisch -serbische Grammatik auf vei^leicheudem Standpunkte". Einleitang
und Lautlehre. Eilend. IStil, S. 1—95; auuh besoudere, Baatzen 1862); vom
Jahrg. 1878 an eine Reilie von Artikeln über granimatiache Fragen, Wort-
ci'klärnngen mit Perepectiveu in die Urgeschichte, die ohne Zweifel von
lotcrease sind, aber freilich auch bei der Schwierigkeit des Gegenstände*
der Skeplik manniohfacben Spielraum Insaen: „NfSto ze atonjajiakeje atarinj''
(„Etwas aus dem slaviachen Alcerthum"); „(^owjek a tit" („Der HwMrh
und die Sprache"); „Za stary alowjeany syalem" (Eine Apologie von I*»-
broveky'a Verbaleystem) u. a.; endlich noch deutsch „Lausitziech-vendischc
Studien" (in dou Baut^iier Kachiichlen. Sountagabeilage 1883, Nr.28— 301.)
' [Apoatropbe an die wendischen Boi'ge und Fluren bei einer Rück-
kehr iD die Heimat.]
ü,g :.._.. ..Google
Pfui, Jenf. Dutnian. 411
ist, wiederaufgenommen von der jüugern Generation, auf dam Wege
ein Volkslied zu werden; neben Originalen lieferte er vortreff-
liche poetiBche Uebersetznngen und in neuerer Zeit hat er begon-
nen, Stoffe ans heimatliclien Volkseagen poetisch zu bearbeiten. —
Ein unermüdlicher Sammler auf biBtoriBcb-antiquariBchem und
bibliographJBcbem Gebiet, weshalb er auch wiederholte Reisen,
besonders in der Niederlausitz, machte, iet Karl August Jene
(deutsch JentBch, geb. 1828, Pfarrer in Pohla). Seinem Eifer
insbesondere hat es die Bibliothek der Ma6ica zu danken, dass
sie eine fast vollständige Sammlung aller ober- und nieder-
serbischen Drucke und anderer für die locale Forschung wich-
tiger Werke besitzt. Ueberhaupt ist er der Historiker seiner
Heimat. Die Resultate seiner Arbeiten veröffentlichte er in
zahlreichen Artikeln des „Casopis"*, auch verfasste er einige
Tolksthümliche Erzählaugen.] Histonscbe Artikel veröffentlich-
ten im öasopis ferner K. A. Fiedler, Herrn. Ferd. Wjela u. a.;
Bibliographie der katholischen Wenden, Beiträge zur Lexikogra-
phie u.a. Andreas Du5man (geb. 1836), der auch Volksschriften
und eine grosse Legendensammlung verfasste'; über naturwissen-
schaftliche Gegenstände schrieben Michael Bostok (geb. 1831;
besonders zum Zweck der Herstellung einer naturwissenschaft-
lichen Terminologie), Peter Dnöman (Arzt, Bruder von Adreiis).
Endlich sind im „Casopis" verschiedene Erzeugnisse der Volks-
poesie abgedruckt. Die Hauptoammlung bleibt aber immer
das oben erwähnte bedeutende Werk von Haupt und Smoler.
Im „Casopis" theilten dazu Ergänzungen . mit Seiler, Hörnik,
Röla, H. Jordan* und besonders Ernst Muka, von welchem
' Oben eind schon einige Artikel von Jent angeführt. Wir fuhren ferner
nn: „Spisowarjo hornjoluziekich evangelBkioh Serbow wot 1597 haC 1800"
(„SohriftBteller der evangelischen oberlauoitziecheD Serben von 159T — 1800",
im J»brg. 1865, S. 3—42); Debeisicht der lau sitzisoh-serbi sehen Literatur
für 1861-65 (Jahrg. 1866), für 1866— 70 (Jahrg. 1870), für 1871— 70 (Jahrg.
1876); Ueber die oberlaiisitziach-s erbischen Protestanten, welche in andern
Spraohen aehrieben, bia 1880 (Jahrg. 1875); „Zemrjeöi spisowarjo hornjo-
luziskieh evangelskich Serbow wot 1800—1877" („Verstorbene Schriftsteller
der oberlausitz. evangel. Serben", Jahrf^. 18T7); über die handschriftliche
Literatur u, a.
' [„Ziwjenja Swjatyeh po rjedie cjrkwinskich stawiznow spiaal Handrij
DnEiuau" (11 Hefte. Bautzen 1664—73. 800 Seiten.]
' Niederlausitzischc Lieder mit Melodien, 1874, S. 65— !)8.
...., Google
412 SeL'hBtea Kapitel. Die LauniUer Serben.
weiter unk-n. Seiler und Buk Bammelten Sprichwörter; H. Jordan
niederlausitziache Volksmärchen (im „Öasopia", 1876, 1877, 1879).
Eine andere wichtige Publication iet der kleine „Lu^can, ca-
sopis za zabawu a pownfienje" („Der Lausitzer, Zeitecbrift für
Unterhaltung und Belehrung", von 1860 an), dessen Redacteur»
Höruik, Smoler, K. A. Fiedler (geb. 1835, Seminaroberlebrer zu
Bautzen, schon als Dichter genannt) * und zuletzt wieder Smolef
waren (einen Druckbogen monatlich). Die scbon genannten
Schriftsteller arbeiteten auch am „Luzican", wo an Stelle der
historisch-philologischen Oegeustande die leichte Lektüre vor-
herrscht; man schreibt der Zeitschrift daher auch einen grossen
Einfluss auf die Ausbildung der Sprache und die Weckung des
lutereBses für die Literatur in ihrem Publikum zu. Der „haii-
can" erschien bis 1877, dann in etwas veränderter Gestalt in
den Jahren 1878 — 81 (im ganzen 13 Nummern), worauf er mit
der daneben entstandenen „Lipa Serbeka'* zu einem neuen Organ
uuf breiterer Grundlage und unter Mitwirkung einer neuen Gene-
ration von Patrioten verschmolzen wurde.
[Diese junge Generation bildete sich unter den studirendeu
Wenden zu Anfang der siebziger Jahre: sie belebte vor allem
die studentischen Vereine in Leipzig und Prag und veranstal-
tete alljährlich in den Ferien eine Hauptvereanunlung der stu-
direuden Jugend irgendwo auf heimatlichem Boden. Endlich
gründete sie 1870 für sich eine besondere Zeitung, die „Lipa
Serbska" („Wendische Linde"), erst autographirt (in Leipzig),
dann in Typen gedruckt (zu Bautzen), als Organ der „Jung-
Serben", welche Bezeichnung jedoch nicht die oppositionelle
Nebenbedeutung hat, die man anderwärts mit dem Begriff „Jung-"
zu verbinden pflegt; es waren eben nur junge Leute, die in ihrer
Weise ihren Patriotismus bekunden wollten. Die Zeitschrift wurde
freudig begrüBst und erschien bis 1881 neben dem „Luäi^n".
Da vereinigte man die ihrem Programm nach im wesentlichen
' [Fiedler gab unter aoderui heraus; „TowarSny sp^WDik za scrb»bi lud.
ZuBtBJo) K. A. Fiedler" (GeaellBohaftaliederbuoli mit Melodien. Bautzea lÜT^l.
Ea enthält 103 Lieder, darunter viele Volkslieder. Auch machte er sich an
die Arran^rung der weadiaeheu (iesangafeete durch EiuübuDg der Sänger.
Leitung: der ProboD u. a. w. sehr verdient und gab eine Beschreibung eini-
ger ilieaer Gesau)^feBte: „Serbeke epSwaueke swjedzenje wot l£ta 1645 ha£
do li-ta 1S51" (('lasopis 18*50, S.Ol-UU).]
...., Google
Die junge GenerntJon, 413
gleichen Zeitschriften in einem neuen Organ, der „^^uüca" („Die
Lausitz"), das seit 1882 monatlich unter [ledaction von Ernst
Maka (deutech Mucke, geb. 1854) erscheint, der schon die
autographirte „Lipa Serbska" mit Geschick rcdigirt hatte. Muka
besuchte das Gymnasium zu Bautzen und studirte in Leipzig clas-
siRche Philologie und slavische SprachvissenBchaft unter Leskien.
Seine Ferien benutzte er zu Wanderungen unter seinen Lands-
leuten, besonders in der Niederlaugifz, lernte die dortigen Ver-
hältnisse und Sprachvarietäten gründlich kennen, sammelte eifrig
Volksüberlieferungen und fing zeitig an, die Resultate seiner Ar-
beiten in den heimatlichen Zeitschriften zu Teröffeutlichen.' Nach
AbschluRs seiner Studien verbrachte er einige Zeit in Zittau,
wo er sich unter anderm mit der Durchforschung der daselbst
aufbewahrten Maniiscripte A. Frenzel's beschäftigte, wurde
dann Gymnasialoherlehrer in Bautzen und wirkt seit 1883 als
solcher in Chemnitz. Seine Mitarbeiter sind ausser den schon
genannten altem des „Ln^-iÖan" von der Jüngern Generation:
Jakob Bart (geb. 18.'')7), katholischer Geistlicher; er redigirte
schon 1878 — 81 die „Lipa Serbska", konnte sich aber, weil in
Prag seinen Studien obliegend, nicht als Redacteur nennen, wes-
halb ihn J. E. Smoler nominell vertrat. Sein Gebiet ist die
Kunstdichtung; unter anderm verfasste er ein wendisches Ori-
ginaldrama in fünf Acten aus den Zeiten der Einführung des
Christenthums bei den Wenden: „Na hrodiSis«;«" („Auf dem
Burgwalle", Bautzen 1880), das erste Erzeugniss dieser Art in
der heimatlichen Literatur. Auch schrieb er patriotische No-
vellen. Syman (pseudonym) liefert lyrische Dichtungen im Volks-
ton; Ernst Holnn unter audorm Reiseskizzen; Nikolaus Bjed-
Tich Humoresken; J. Kapler, J.T. Scholze (Solta), M.Ren^,
Laras, LibI u. a. Auch finden sich in der „fcuüca" Stücke in der
' [Von ihm geBtimmelte Volkoliedcr im Casopia 1372, 1873, 1876—77
und besonders gedruckt: Delnjolii/ieke pesoje. Zhromadzil £. Muka (Bsutzen
1877); ferner im fasopis 1882, S. 113-161 (nieder wendische), 1883, S. 3-
58 (im Grenzdialekt und oberwendiBche ) und hp.sonders gedruckt: „Do-
dawk k ludowym pf sDJam. Zhromadzil £. Muka" (Bautzen 1883 ; mit CU Me-
lodien). Ueber seiue Wanderungen iu der Nicderlausitz die iDlerenaateii
Berichte ,JJröhowaiiki a dundanki po Üelnich Serbacb" („Kreuz- und Quer-
zOge etc.") in „tn^ica" 1883, Nr. 4, 6,-7; eine Rt«tiatitcl)e TTebersicbt der
Verhältniise in der Niederlausitz im Jahre 1880: „DelnjoluÜBke Serbowstwo
w IWe 1880" (f'BSopis 18R4, 1. Hft.); und andei-e Arbeiten.]
ü,g :.._.. ..Google
414 Seobstefl Kapitel. Die Laueitzer Serben.
niederwendi sehen Sprache, wie die Zeitschrift überhaupt eine gei-
stige Vereinigung zwischen den Ober- und Niederlausitzer Serben
anstrebt. Johann Laras (geb. 184Ö) übersetzte fiiiher schon
die Psalmen aus dem Hebräischen („Psalmy", Bautzen 1872);
Philipp Rezak gab unter dem Titel „Nasa wowka" („Unsere
GroBsmutter", Bautzen 1883) eine freie, den heimatlichen Ver-
hältniseen angepasste Bearbeitung der beliebten cechischen Er-
zählung „B^'bi^ka" von Bozena Nemcova heraus; Georg Libs
(deutsch Liebsch), katholischer Geistlicher und Schüler Hattala's in
der Sprachwissenschaft, verfasete in deutscher Sprache eine dem
letztern gewidmete „Sjntax der wendischen Sprache der Ober-
lansitz" (Bautzen 1884. 8. 240 S.). Ausser dieser literariscben
Thätigkeit setzte die junge Generation noch ein Unternehmen ins
Werk: die Mittel zu einer Gesämnitausgabe der Werke des bis-
her grössten heimatlichen Dichters, Seiler's, zu sammeln. Zu
diesem Zweck beschloss sie, „ins Volk zu gehen", nationale Cod-
certe und TheaterauffUhruagen unter der Landbevölkerung za
veranstalten — eine dort bisher unerhörte Erscheinung.' Das
Volk hatte aber Freude an diesen Unternehmungen, gründete
allmählich selbst gesellige Vereine mit Dilettantentheatem und
GesangsTorträgen, und der Hauptzweck wurde erreicht. Es kam
ein Fonds zusammen und man konnte 1883 mit der Herausgabe
der Werke Seiler's beginnen, die auf fünf Bände berechnet ist.
Die Redaction übernahm wieder E. Muka und bisher liegen die
ersten zwei Bände vor. Auf dramatische Auffuhrungen war die
lausitzisch-serbische Literatur bis dahin so gut wie gar nicht
eingerichtet gewesen; nur zwei solche Stücke lagen vor: W.
Klicpera's „Rohovin Viereck", aus dem Cechischen ühei'setzt von
J. (''esla (1862) und Körner's „Nachtwächter" in der Bearbeitung
J. Bartko's (1863); es wurden daher eifrig neue Stücke übersetzt
aus dem Deutschen (u. a. It. Benedix' „Process", übersetzt von
J. Kral), Cechischen, Polnischen, und ihre Herausgabe begonnen
unter dem Titel „Serbske dziwadlo" („Wendisches Theater", Hir-
her 5 Nummern) unter Redaction von Muka und Bart.]
Den erwähnten Publicationen sind noch hinzuzufügen die
kirchlichen Zeitschriften „Missionski Posol" („Miesionsbote")
' [Anch in BautKen kamen wendische TheaterauiTührnngen nur t>elt«n
vor; die erste solclie fand ISG'2 in der dortigeu geselligen Vereiniininf;
„Scrhska Bjesada" (gegründet IftW) statt,]
.....(^lOOglC
Die preuasisobc OlierlausitK. 41Ö
von P. Richter, seit 1882 von M, Domaäka und G. Jakob (für
die Protestanten) und „Kathohki Posoi" {„Katholischer Bote"),
zuerst von M. Hörnik, später von Luscanski, dann Röla,
jetzt J. Skala redigirt, für die Katholiken, eine landwirth-
schaftliche Zeitung „Serbski Uospodaf" („Der wendische
Landvirth") von G. Kuhas (welche drei Blätter der länd-
lichen Leser halher in schwahacher Schrift gedruckt werden).
Neben ihnen erscheinen in besondern Ausgaben fast nur Schul-
bücher, Katechismen, Gebetbücher, geistliche Lieder, endlich
einige wenige historische Schriften und weltliche Lieder. Die
Zahl der Bücher ist bescheiden, meist auch ihr Umfang; sie
sind fast ausschliesslich auf ein volksthümliches Publikum be-
rechnet und erfüllen ihre Aufgabe. *
Zur Förderung der nationalen Sache hat die lausitzisch-scr-
bische Ma£ica zu Bautzen ein Grundstück erworben, worauf ein
geeignetes Haus für die Zwecke der Gesellschaft errichtet wer-
den soll, den Gewinn daraus will man zum Nutzen der Volks-
bildung und Literatur in beiden Theilen der I.au6itz verwenden.
[Dem Mangel an Geistlichen, überhaupt an Personen von gelehr-
tem Bernf, sucht ein 1880 gegründeter „Verein zur Unterstützung
studirender Wenden" (Towai'stwo Pomocy za studowacych Ser-
bow) in Bautzen abzuhelfen.]
Das, was wir bieher von der neuem Bewegung des eerbisch-
wendischen Volkstbums gesagt haben, bezieht sich specicll auf die
Oberlausitzer Serben in Sachsen. Der Theil der Oberlansitzer,
welcher zu Preussen gehört, geniesst zwar nicht die ofßciellen
Vortheile, die von deren Landsleuten in Sachsen erlangt worden
sind, nimmt aber doch an deren Erfolgen theil, indem er mit
ihnen die gleichen Interessen der Volksbildung hegt. Bautzen ist
auch für sie das moralische Centrum geblieben, dem sie zuneig-
ten. [Als Förderer der nationalen Interessen in Kirche und Schule
hat sieb hier besonders Julius Eduard VVjelan (geb. 1817 zu
Schleifa bei Muskau und seit 1852 Pfarrer daselbst), einer der
bewährtesten und ältesten wendischen Patrioten , hervorgethan.
' Näheres ülicr die neuere I>(ige des iBiiBitüiacli-Berbinchen VolliBthunifi
findet der Leser in dem Artiliel Hörnik's, im „Slav. Rhomik", II und
Jelinek'e Slov. Sliornifc, 1881; ferner im r-ecbischen Journal „Osvf^ta", 1871
(Artikel von K. Adamek) und 1879.
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41(> SecliatcB Knpitcl. Die T.
Er war schon GenosBc Smolei'-'s auf dem Gymnasium in Bautzen.
1831 — 36, dann mit ihm in Breslau und Mitglied des Lausitzi-
schen Vereins daselbst. Nach Beendigung seiner Studien beklei-
dete er einige Zeit die Stellung eines Hauslehrers in Polen; in den
sechziger Jahren machte er aus Interesse an den slavischen Din-
gen eine Reise durch Böhmen, Ungarn, bis nach Serbien. Im
„Casopis" tritt er zuerst als Uebersctzer südsertischer Volkslieder
auf; später veröffentlichte er dort eine werthvolle Abhandlung über
den Dialekt Beiner Heimat, der eine Zwischenstufe zwischen dem
Oberlausitzischen und Niederlausitzischen bildet und. weil vom
Weltverkehr wenig berührt, einen sehr alterthümlichen Typus be-
wahrt hat.' Femer lieferte er Beiträge in Poesie und Prosa zum
„fjU^i^an" und zur „Kuzica", die oft einen ernsten, philosophi-
schen Ton annehmen und, obgleich in der oberwendischen Schrift-
sprache geschrieben, doch Spuren des Dialekts von Wjelan's Hei-
mat tragen. Auch schrieb er zur Vertheidigung seiner prenesi-
schen L&ndsleute in deutschen Blättern. 1880 wurde nach säch-
sicliem Muster unter Wjelan's Vorsitz eine Conferenz wendischer
Geistlicher der preussisclien Oberlausitz errichtet, hauptsächlich
zur Abhülfe des Mangels au wendischen Geistlichen, der dort
besonders gross ist, allein diese Conferenz musste nach zwei-
maliger Zusammenkunft ihre Sitzungen vertagen, weil sie von
denKegierungsorganen als „inopportun" bezeichnet wurde.* Aus
demselben Muskauer Grenzgebiet stammt noch ein anderer eifri-
ger Patriot und Schriftsteller, Heinrich Jordan (geb. 1841), der
in der oberlausitzischen und seit seiner Versetzung als Lehrer
und Cantor nach Papitz bei Kotthus in hervorragender Weise
auch in der ntederlausitzischen Literatur thatig ist. Zur erstem
' [„Namjpüno-MiüakowBka nobnozka Berbii'iuy'* („Der Grenzzweig Aea
Wi-iiilenthiims hei Muskau", im f^asopis, ISfiO, S. 67-93); nach einldten<1eii
Dpinni'kuiigen (über die Grenzen, das Alter, die Literatur des Dialekt«) fol-
gen ZuBammenatelluDgen der EigeuthUnilichkeiten in den Lauten , Fonnpo
und Worten, nehnt alplialipt. VerzeiclinisB von Idiotisnieu. Jakuliica'« Hand-
Kohrift dea Xeuen IVstament* wird noch zum (Jrenzdialekt gerecbnet, doch
aiiH der Sprache naeligewicaen, daaa der Verfaaser vrenigstenfi kein Hiiikaiiir
Bflin konnte.l
' [Uelier die gegenwürtige Lage der Dinge in der preussim'beii (Hwr-
lauBitz vcrgl. den Üeriebl Wjelan's iu „LuÄie«" IsaS, Nr. Itl.I
...A^oogle
Die Nie Verlan ei tz. 417
gehören mehrere Schulbücher und Erzählungen fürsVolk.i Aach
ist Jordan Mitarbeiter an den oberwendischen Zeitschriften. Seine
Sammlungen von Volksüberlieferungen wurden schon erwähnt.
[Noch ungunstiger sind die Verhältnisse bei den Niederlau-
sitÄem. Wir sahen, dass schon früher ihre Lage weit schlimmer
war; die Kirchspiele kamen immer mehr in die Hände von deut-
schen Geistlichen, weil es an wendischen mangelte oder die vor-
handenen in deutschen Gebiet«n angestellt wurden.' Leute mit
höherer Bildung waren gleichgültig, ja sogar feindlich gegen ihre
Nationalität. Diese Feindschaft tritt besonders seit Anfang des
gegenwärtigen Jahrhunderts hervor. Niederwendische Geistliche
bemühen sich, die Frage zu lösen, wie man die Wenden ihre
Sprache vergessen lassen könnte, sehen in der letztern nur Scha-
den für Staat, Kirche und Schule.' Wendische Lehrer, oft selbst
nicht vollständig des Deutschen mächtig, suchen mit Wuth jedes
wendische Wort aus der Schule zu verbannen. Kein Wunder,
dass dadurch das Volk eingeschüchtert wurde und apathisch zu-
sah, wie seine Nationalität immer mehr sank. Doch fanden sich
auch in dieser trostlosen Zeit einige Männer, die sich der Be-
dürfnisse des Volks erinnerten. Dahin gehört insbesondere
der Lehrer David Traugott Kopf (Glowan, 1787—1865, geb. im
Grenzgebiet bei Hoyerswerda). Er gab 1800 ein niederwen-
disches Gedicht über den preussischen Krieg heraus, von dem
in sechs Wochen 5000 Exemplare abgesetzt wurden — ein Be-
weis, wie begierig das Volk nach Lektüre griff, obgleich Aas Ge-
dicht „mehr Prosa als Poesie war nnd von Germanismen strotzte".
Ferner gab er dem sogenannten Begriihnissliederbuch durch zwei-
malige Herausgabe desselben (1806 und 1816) seine endgültige
Gestalt, übersetzte Predigten, Erbauungsbücher, Tractate, besorgte
mit K. Jen£ die oberwendische Bibelausgabe der britischen Ge-
' [„Serbsko-niniBka Citanka" („Wendisub-deuUcliei Leiebuch", HoyerB-
werdn 1866 n. ö.); „WjetSa Eitanka" („Groseerea Lesebnoh". Ebend. 1870);
„N«jrje>iie ludowe bajki" („Die BoliÖDSten Volksm&rchea". Ebend. 1883) u. a.]
' [Letzteres gesoliah auch aooh in neuerer Zeit. Der Hangel an Geist-
lichen hei den Wendeii hat überhaupt nicht darin Beinen Grand, dasB es den
wendischen Jünglingen an Interesse für Studien, damnter auch die theologi-
schen, mangelte, sondern darin, dass sie sich während der Studienzeit auf
deatschen Unterriohtsanstalten leicht der Heimat entfremden und die Mutter-
Hp räche vergessen.]
' [Beispiele bei JenC, Pismowatwo S, 40 u. 41.J
ü,g:.... ..Google
418 Sechatea Kapitel. Die Laueitzer Serben.
Bellschaft (1860) und schrieb zahlreiche Artikel in dentscben
pädagogischen Zeitschriften. ' Der Pastor Johann Sigismond
Friedrich Schindler (gest. 1841) gab mit Rücksicht auf die da-
maligen Bedürfnisse des Kriegs ein „Kleines deutsch - wendisch-
russisch -polnisches Wörterbuch" (Kottbus 1813, 40 S.) heraus;
ferner biblische Geschichten, die erste Gesammtausgabe der nie-
derwendischen Bibel (1822 — 24), endlich ein grosses Fredigtbuch
(1829) mit einer Widmung an den preussischen Cultusminister
Ältenstein, aus der zu ersehen ist, dass Schindler 1^8 lor seine
Bemühungen um das wendische Schriftwesen vom preossischen
Cultusministerinm eine sehr anerkennende Zuschrift und 100 Tbir.
Gratiöcatioa erhalten hatte. Christian Wilhelm Bronis (1778 —
1881), Pfarrer, forschte viel über Älterthum, Sprache, Sitten und
Gebräuche der Wenden und veriasste zahlreiche Artikel im Lau-
sitzer Ha^azin und in andern deutschen Zeitschriften. * Beson-
ders unterstützte er auch Smoler bei Herausgabe von dessen
Volksliedersammlung , indem er nitht nur niederlanaitzische
Lieder zu derselben beitrug, sondern auch philologisch -anti-
quarische Abhandlungen für den Anhang verfasste. Beiträge
niederwendischer Lieder zu Smoler's Werk lieferten femer der
Pfarrer Heinrich August Bronis (gest. 1878), ein jüngerer
Bruder des erstgenannten, Jobann Post (geb. 1811), Eomor.
Auch der P&rrer Gottlob Markus (gest. 1880), ein Genosse
Smol^'s in Breslau, sammelte 1837 — 40 niederwendische Volks-
lieder, doch wurde seine Sammlung erst nach seinem Tode von
M. Hörnik herausgegeben.^ Der Pastor J. G. Zwahr hintorliess
ein „Niederlausitzisch-wendisch-deutscbes Wörterbuch", das nach
seinem Tode sein Sohn J. C. F. Zwahr herausgab (Spremberg
1847).* Christian Friedrich Stempel (1787 — 1867), Pastor in
dem Städtchen Lübbenau, der letzte, der daselbst wendisdi pre-
' [Seine Scbrift: „Das Leben der sortiisuhen Lehrer Christian uod Da-
vid WonanaB (d. i. Olowanus) oder der Sieg des Glanbeni" (Berlin 1890) ist
eine Art Selbstbiographie des Verfaeeera.]
* [Wir fübreu unter andern die apolagetiache Abhandlnng an: „Ver-
dient die wendieohe Mundart in der NiederlangitE den Vorwurf de« Barba-
rismas?" (im Laus. Magazin 1846, 23. Bd., S. 241 fg.) und die Sohrift „SU-
visobe Familiennamen in der Niederlauiitz" (Bautzen 1862).]
■ [Im Caiopis 1681 und beeondera (Bautien 1882).]
' {Das Werk igt in wiesen schuft lieber Beziehung weoig genügend,
a. Chr. W. Bronis (LauaitsiBchee Magazin 1847, S. 18).]
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Die Niederlausitz. 419
digte, sammelte und schrieb viel in seiner Muttersprache, doch
blieb faet alles Manuscript und ging zum Theil verloren, wie
z. B. ein Epos in zwölf Gesängen: „Pytanje za starym mjasecom"
(„Das Suchen nach dem alten Mond oder die Unterdrückung
der Lansitzer Serben"). Manuscript blieb auch ein anderes Epos
„Te tri rychle trubaly: zuk, gtos a rec" („Die drei schneiten
Posannen: der Laut, die Stimme, die Rede")' und Uebersetznn-
gen aus Theokrit. Gedruckt ist nur eine metrische Uebersetzang
von Phädrus' Fabeln, welche Smoler mit einem oberwendiscben
Vorwort herausgab.^ Doch hat diese Arbeit, oft schwerfällig in
der Sprache, ein mehr philologisches Interesse. Direct für das
Volk war überhaupt die Thätigkeit dieses und der nächstvorber-
gegangenen Autoren wenig fruchtbar; für das letztere selbst er-
schienen in der ganzen Zeit von 1829—48 ausser neuen Auflagen
der Gesangbücher nur einige wenige Tructätchen.
[Erst die Wirren von 1848 brachten auch einige Bewegung zn
den Niederlausitzern. Um sie vor demokratischen Einflüssen zu
schützen (eine übrigens ganz unnöthige Fürsorge bei dem sehr
loyalen Sinn der wendischen Bevölkerung), wurde mit Unter-
stützung der hochconservativen Partei eine niederwendiscbe Zei-
tung „BramborskiSerhskiCasnik" gegründet. Sie erschien, wöchent-
lich einmal, zuerst unter Redaction des Pastors J. Kowka (gest.
1863), 1852— 63 unter der des Pastore Christian Pank (geb. 1808);
obgleich sie manchen vortrefilichen, ja sogar patriotischen Artikel
brachte, brach sie sich docli nur langsam im Volke Bahn in-
folge von dessen Lethargie und Scheu, und wol auch infolge sei-
nes Unvermögens, etwas Wendisches zu lesen, da in der Schule
nur Unterricht im deutschen Lesen ertheilt wird. Aus demselben
Grunde und wol auch wegen Mangels an richtigem Verständniss
für die Bedürfnisse des Volks vermochte auch ein 18ö0 gegründeter
Verein für die Niederlausitz (Serbske towarisstwo Dolojcneje Lu-
üyce) unter dem Vorsitz des conservativen Rittergutsbesitzers von
Werdeck nicht zu gedeihen; der Verein gab nur vier kleine
Scbriftchen fiirs Volk heraus, darunter eine ganz vortreffliche
Belehrung über die Zwecke desselben von dem genannten
• [Stüolte daraus im Litiiictkn 1861—64.]
' [Faednjsowe btunii^ki z tatynskeje do aerbslieje ricy dotojuojch Luijc
p^e)o£oDe ptez Clir. Fr. Stempla. Hudawsr J. E. Rmoler (BaaUeii WA.
VIII, r»6 S.).]
J!:, Google
420 SechaleB Kapitel. Die LauBitzer Serben.
Pank •, die aber allein nicht helfen kounto, und hörte nach andert-
halbjährigem Bestand wieder auf. 1849 wurde am Gymnasium zu
Kottbus ein ebensolcher Verein der patriotischen Jugend gegrün-
det wie in Bautzen; 1857 ward hei dem genannten Gymnasium
der Unterricht in der wendischen Sprache eingeführt, üeberhanpt
begannen allmählich die EindÜBse der Oberlansitz einzuwirken.
Der erste, der hier Bahn brach und mit Bewnsstsein eine neae
Richtung vorzubereiten begann, war Johann Friedrich TeSnar
(deutsch Tescbner, geb. 1829 als Sohn eines Försters in der
Niederlausitz), gegenwärtig der populärste Mann bei den Nieder-
lausitzer Wenden. Schon 1849 auf dem Gymnasium zu Kottbus
war er der Begründer des obengenannten Vereins seiner Genossen,
studirte dann in Halle und Berlin Theologie. Nach Abschluss
seiner Studien ward er 18ö7 DiakoituB an der wendischen Kirche
zu Kottbus und begann sofort seine literarische Thätigkeit, die
er auch fleissig fortsetzte, als er 1862 auf deutsches Gebiet, nach
Nieda bei Görlitz, berufen wurde, wo er noch gegenwärtig als
P&rrer wirkt. Seine erste Sorge war, die Sprache der Bücher
zu verbessera und eine consequente, dem niederlansitziscben
Idiom entsprechende Orthographie einzuführen. Dazu hatte er
gleich Gelegenheit bei den neuen Ausgaben der Gesangbücher
(1858 und 1860). Bei einem derselben hatte er sogar die Ano-
malie zu beseitigen, dass es bislier in sechs Auflagen mit deut«cbem
Titel erschienen war, jetzt erat erhielt es den gebührenden wendi-
schen: „Serske duchowne kjarliäe U.S.W." In demselben Jahre rer-
anstaltete er auch eine neue Auäage des Fahricius'schen Neuen
Testaments (von der britischen Bibelgesellschaft in öOOO Exem-
plaren gedruckt), wozu er die Jakubica'sche Handschrift verglich,
die aber, weil in einem zu abweichenden Dialekt geschrieben,
für diesen Zweck keine Ausbeute gab.* Seine Hauptwerke sind
ein grosses Predigtbucb, das wegen seiner einfachen, Tolksthüm-
lichen Sprache rasch Absatz fand und bald eine zweite Auflage
nöthig machte, und ein Andachtsbuch.' Ausserdem gab er ein-
I [To Berske Towariäatwo. Co wono jo a co wono co (Kottbus 1860).
Jenb gibt als Grund dea VerfallB an, dasB „wol von Anfang an kein freier
nendiacher GeiBt in dem Verein geLerrsobt habe". S. PiemowBtwo, S. 9.]
' [Persönliclic Mittheilung Teänaf's.]
' [„Ten kn^z jo moj paBty#! abo pratkarske knigt; na evangelije celego
Jita" (Kottbus 1869. 8. 727 S.; 2. Aufl., 1879). „Nowe bjatowarate knislj
äjknym serskim domam etc." (Hoyei-swerda 1857).]
...., Google
TeSnaf. Kosyk. 421
zelne Predigten, eioe deutscli-wendische Ausgabe der Lieder des
preussiecben Schulregulativs berauB, schrieb io deutsche Zeit-
Bchrifteo über wendische, nameDÜich kirchliche Angelegenheiten
u. s. w. Die Redaction des „Casnik" übernahm 1864 nach Fank
der Lehrer Christian Swjela (geb. 1836), zugleich Verfasser von
Gedichten, Volksbüchern, Uebereetzer von Predigten. Martin
Grys (gest. 1878), Lehrer, veröffentlichte einige Liedereammlun-
gen und trat selbst als Liederdichter auf. Eine nene verbesserte
Ausgabe der ganzen Bibel mit Tesnaf's Orthographie ward vom
Pfarrer Haussig (Deutscher von Gehurt, gest. 1870) unter Mit-
wirkung von Tesnaf, der auch die Vorrede schrieb, Chr. Älbi-
nus, Fr.Sadow, Paul Friedr. Bronis", Sohn von Heinr. August
Bronis, und Pauk nntemommen und 1868 zu Halle auf Kosten
der Preusaischen Hauptbibelgesellschaft gedruckt. 1872 siedelte
der Oberlaasitzer Heinrich Jordan in seine Stellung in der Nie-
derlausitz über, erlernte schnell die dortige Sprache und begann
eine fruchtbare Thätigkeit in der Schule, io der Presse und durch
Herausgabe von Volksschriften. Den vollen Umschwung führten
aber erst zwei Dichter herbei, die es verstanden, wie Seiler in der
Oberlausitz, die Volksseele zu berühren: Kosyk und ein deutscher
Gelehrter und zugleich niederwendischer Dichter, Dr. Sauerwein.
[Matthäus (Mato) Kösyk, Sohn eines wendischen Bauern, geb.
18- Juni 1853 zu Werben, besuchte 1867—72 das Gymnasium zu
Kottbus, nahm dann eine Stellung an der sächsischen Eisenbahn,
zuletzt in Leipzig ein. Hier wurde er mit einem niederlansitziscben
Landsmann bekannt, fing mit demselben an wendisch zu reden
und gewann dadurch Interesse an seinem Volke, das noch ge-
kräftigt wurde, als er zufällig bei einem Antiquar Safarik's „Ge-
schichte der slavischen Literatur" fand, die ihm zum ersten mal
einen Einblick in das slaviscbe Schriftwesen eröffnete. Dabei
dichtete er aber deutsch und schrieb unter anderm eine deutsche
Tragödie, mit der er jedoch bei den Theaterdirectoren kein Glück
hatte. 1877 ging er zu seinen Aeltern zurück. Hier ward er
einmal in die Oberlausitz gesandt, um dort einem neuberufenen
Pfarrer bei Erlernung der niederwendischen Sprache behülf-
]icb zu sein, und von da an begann er wendisch zu dichten.
Seine geschätzteste Arbeit ist „Die wendische Hochzeit im Spree-
' [VoD ihm eine niederwentlieche üeberactzung von Goethe's Erlkönig:
„BtudDik" (CnsopiB M. S., 18TT, S. 110) u. b.)
ü,g :.._.. ..Google
422 Seubsteg Kapitel. Die Lauaitzcr Surbcu.
wald" („Serbska swaiba w Blotach", Hoyerswerda 1880), ein
poetisches Bild ans dem Leben des wendischen Volkes in drei
GesäDgen und in Hexametern geschrieben, nach Art von Voss'
Luise und so sehr an dieselbe erinnernd, dass Landsleute des
Verfassers anfangs geglaubt haben, er habe Stellen daraus über-
setzt. Doch hat sich bei näherer Prüfung alles als Original,
nicht als Copie erwiesen. Eine zweite grössere Diebtang Kösyk's,
ein Epos von 100 Strophen in Ottaverime, „Der Verrath des
Markgrafen Gero" („Prerada markgrofy Gera") ' reisst alte histo-
riache Wunden auf, von denen man im Interesse einer humanem
Zukunft auch in den Beziehungen der Völker zueinander wün-
schen möchte, dass sie vergessen werden könnten. Doch müsstc
dann freilich auch von der andern Seite die Greaelthat Gero's,
der 939 dreissig wendische Fürsten zu einem Gastmahl einlud,
sie trunken machte und dann ermorden Hess, nicht als patrio-
tische Heldenthat hingestellt werden. KolUr's poetische Gerech-
tigkeit setzt Gero zwischen die slavische und die deutsche Hölle
und lässt ihn die Qualen beider erdulden. Kleinere Gedichte
EÖByk's der mannichfaltigsten Art finden sich in den niederl&u-
sitziBchen und oberlausitzischen Publicationen. An seinen Ar-
beiten wird neben poetischer Innigkeit und Schwung eine durch-
aus correcte und volksthümtiche Sprache gerühmt; Wörter, die
ihm mangeln, entlehnt er zum Theil aus dem reichem oberlau-
sitzischen Dialekt. Leider bat Kösyk Ende 1883 seine Heimat
verlassen, um sich in Nordamerika im lutherischen Seminar zu
Springfield (Staat Illinois) zum Pfarramt unter den dortigen
Deatschen vorzubereiten.
[Der deutsche Gelehrte Dr. Georg Sauevwein, Sohn eines
protestantischen Geistlichen zu Gronau in Hannover, besitzt
neben poetischer Begabung ein seltenes Sprachtalent, und wenn
Herder die Stimmen der Völker sammelte, und das historische
Recht auch solcher Völker anerkannte, die von der Geschieht«
in den Hintergrund gedrängt sind, so geht Sauerwein selbst
zu diesen Völkern, dichtet und singt mit ihnen in ihrem eige-
nen Idiom und kämpft für ihre nationalen Rechte zum wenigsten
in Kirche und Schule. Er studirte in Göttingen orientalische
Sprachen und Sanskrit, lebte dann wiederholt in England, gab
1870 ein Bändchen englischer Gedichte heraus, um England sar
> (Im Ü'ioi.ig 18K1, ». !K)~113 and liesooders (Bautzen I68ä).]
ü,g :.._.. ..Google
Dr. Sauerwein. 423
UnterstiitzuDg Deutschland» im Krieg gegen Frankreich anzuregen.
Mit England behielt er fortan regelmässige Verbindungen durch
seine linguistiechen Arbeiten. Von frühester Jugend an fasete er
aber eine besondere Zuneigung zu den slavisch-litaiiischen Völ-
kern im Osten Deutschlands, indem er Ueberreste von Colonien
wendischer Kriegsgefangener kennen lernte, welche unter Hein-
rich dem I.öwen in Hannover angelegt worden waren, und wenn
auch nicht die Sprache, so doch Charakter, Sitten und Gebmuche
ihrer Heimat bis in die Gegenwart bewahrt haben. Die lieblichen
Volkslieder der litauisch-slavischen Welt, deren Studium er sich
in der Folge eifrig hingab, machten einen tiefen und dauernden
Eindruck auf ihn, sodass er schliesslich selbst unter diese Völker
ging und mit ihnen lebte und kämpfte. In der Kiederlausitz
nahm er längere Zeit seinen Wohnsitz im Spreewald, im Dorfe
Burg, erlernte in erstaunlich kurzer Zeit die Sprache und weiss
sie in Poesie und Prosa zu handhaben besser als mancher Ein-
geborene. Seine bisher nur zum kleinen Theil gedruckten nieder-
lausitzisch -wendischen Lieder treffen den echten Volkston und
reihen sich dem Besten an, was in dieser Sprache geschrieben
ist.i In einem derselben sagt er von sich: „Ich bin deutsch
geboren . . . aber habe ein wendisches Herz; die Wenden sind
meine Brüder." Im Interesse seines eigenen deutschen Vater-
landes wünscht er und spricht es mit beredten Worten aus, dftss
der übelverstandenen Nivellirung ein Ende gesetzt werde, dass
man aufhöre, so „treue und folgsame" Völker, wie die Wenden
und Litauer, ihrer Muttersprache zu berauben und dadurch der
sittlichen Verwahrlosung preiszugeben. Er meint, „ein Volk, so
gesund an Körper und Geist — ein Volk mit so frischen und
immer noch neu entstehenden Volksliedern — ein Volk mit so
lebendiger und in seinem ganzen Leben zum Ausdruck gelangen-
der Poesie — ein Volk, das eine so originelle Poesie, wie die
eines Seiler und Kösyk erzeugt habe — ein Volk, das noch ein
so gesundes nationales und religiöses Leben habe wie das wen-
dische — ein solches Volk sähe nicht danach aus, als ob es
bald sterben wolle oder müsse" — ausser nach dem Grundsatz:
„denn ich bin gross und du bist klein", vor dem er aber unter
Hinweis auf die göttliche Nemesis mit der ernsten Stimme eines
' [„Serlwke etucVi" (im ('aaopis 1877, S. 75—88) und besonders (Bautzen
1877).J
ü,g :.._.. ..Google
424 SeohsteR Kapitel. Die Lausitzer Serben.
Propheten warnt.' Die vortretflichen „Spreewaldlieder" Sauer-
wein'b in deutscher Sprache, deren sich der Verlasser dieser Zei-
len (d. i. der Uebersetzer des Buches) mit VergDÜgen erinnert,
als ihm einmal einige derselben vom Dichter selbst Torgelesen
wurden, scheinen noch nicht gedruckt zu sein.^ Aus der Nieder-
lausitz begab sich Sauerwein zu den Litauern und Masuren in
Ostpreuseen, auch dort in Poesie und Prosa zur Belebung des
Volts wirkend, doch, wie es scheint, zum Theil nicht ohne starke
Anfeindung seitens der Nationalen selbst.* Zuletzt lebte er meh-
rere Jahre im hohen Norden, in Norwegen, ebenfalls mit der
Poesie und Sammlung von Volksiiberlieferungeu beschäftigt.
[Es lässt sich nicht verkennen, dass die Tbätigkeit Sauerwein's
einen grossen Einäuss auf die Wenden nicht nur in der Nieder-,
sondern auch in der Oberlausitz gehabt bat. Die Niederlausitzer
erhielten in den siebziger Jahren noch einen neuen Freund und
Förderer ihrer Interessen in dem Polen Alfons J. Parczewski,
der das Land bereiste*, niederwendiscbe Schriften auf seine
Kosten herausgab, sowie hauptsächlich die Anregung dazu gab.
' [Vgl. Saaerwein'd intereaBsutä Artikelserie „litt eine gewaltsame A(u-
rottnog der Mutterapraohen gerecht and weise vor Gott und deuHenacheo?*'
(„Je gwattne wutupjenje macefiiycli riiov etc.", in Ijuzioa 18B3, Nr. 7, 8, 12.)]
' [Doch bat Sauerwein, wenigstens zum Theil, seine ADsicbt«n über den
Spreewald, der auch der Nivellii'ung und Ausbeutung verrallen sollte, und
die damit verbundenen etUnograpbi seilen VcrhsItnisHe in halb st^benhafler,
halb ernsthafter Weise in einem altgriechieehen Gedicht in Hexametern
(„Fragment aus einem alten Codex reacriptus Spree waldeusis") mit metri-
scher deutscher Uel>erset2ung „Der Spreewald" (Qöttingen 1881) bei Gel^en-
heit der elften deutseben Authi'upo logen Versammlung in Berlin ansge-
sprocheu. lu der Widmung an den Vorsitiieuden dieser Versammlung, den
berühmten Prof. Virohow, i-uft er aus:
„Rettet und schützt die ^atui', es geziemt sich für Anthropologen . - .
Rettet und schützt, oonservirt nur die Wasser, nur Wiesen und MensoheD",
was zugleich die Tendenz der Schrift bezeichnet]
* [Vgl, Sauerwein's poetischen „Nachruf an den (litanisohen) Pfarrer
Jacob; zu Memel" (Tilsit 1881) , der zugleich aufs beste den Dichter lelbat
uharakterisirt. Seiu Beruf, „den keiner soll bekritteln", ist:
„Von Volk zu Volk das Höchste zu vermitteln."]
' [Vgl. darüber seinen Artikel „ Z Dolnjch £uiyc. Kilka aarysöw i
wspomnien" („Aus der Niederlausitz. Einige Skizzen und Erinnerungen";
in der warsohauor Zeitung „W^drowiec^, 1880) und besonders, lum Tbcil
oberwendisuh übersetzt im „Luzifan", 1879-80, Nr. 10]
ü,g :.._.. ..Google
Die XiederlauBitt. .425
einen ueucii Hterarisclien Verein für die Niedeilausitz zu giüuden,
diesmal, um ihm mehr Festigkeit zu geben, im Anscblnss an die
oberlausitziscbe Maöica Serbgka, als eioe besondere Abtheilnng
(wotred) derselben. Dieser Verein, „ Dolnoluäjski Wotred Ma-
i^ice Serbskeje" oder kurzweg „Kniglowne Towariästwo" (Bücher-
verein) constituirte sich 1880 unter dem Vorsitz TeSnar's und
vereinigt die bisber zersplitterten Kräfte zu einem gemeinsamen
Ziele. Neben der Herausgabe mehrerer Volksschriften ist seine
Hauptthat, dass er den Verlag des grossem Gesangbuchs er-
warb, und es in einer gänzlich neuen, nun sehr gelungenen Be-
arbeitung herausgab. Für das Jahr 1880 begann zum ersten
mal ein niederwendischer Kalender („Fratyja") zu erscheinen,
die ersten drei Jahi^änge auf Kosten des eben genannten Par-
czewski, die folgenden im Verlag des Büchervereins. 1881
wurde der „Caanik" unter Vergrössening des Formats in die
„Bramborske Nowiny" umgewandelt; zugleich traten neben Swjela
noch Jordan und Kösyk in die Redaction ein. Auch die wissen-
schaftlichen Arbeiten fanden ihren Fortgang. Ein Pole, Alexander
Petröw, gab eine niederlausitzische Lautlehre („Gtosownia",
Krakau 1874) heraus und bat ein 'Wörterbuch dieses Dialekts
im Manuscript fertig, Beiträge zur Lexikographie lieferten fer-
ner H. Jordan und G. Kjika im Casopis der Mai-ica Serbska.
Die Jablonowskische Gesellschaft zu Leipzig schrieb 18H3
einen Preis von 1000 Mark für die beste niederwendische Gram-
matik aus. Der Oberlausitzer K. Jenj: veröffentlichte 1881 die
erste vollständige Bibliographie des niederwendischen Schrift-
wesens mit biographischen Angaben über die Schriftsteller.' Die
besten Arbeiten über das älteste Denkmal der niederlausitzischen
Literatur, die Handschrift Jakubica's, hatten schon früher zwei
deutsche Gelehrte, H. Lotze und A. Leskien, geliefert, von denen
der letztere die Sprache des Denkmals zuerst als wirklich nieder-
lausitzisch, wenn auch einem nicht mehr gesprochenen Dialekt
angehörig, feststellte. Ueberhaupt hat das Schriftwesen der
Niederlausitzer, deren eigene Söhne oft die grimmigsten Germa-
nisatoren in Kirche und Schule waren , nicht wenig der Thätig-
keit deutscher Männer zu verdanken, die erst die wendische
> [Das oft citii'te „Pismowstwo" u. s. w. („Das Schriftthum und die
Sohriftsteller der niederlau». Weaden [1548] 1574 — ISeO") im Casopii und
besouderi, s. oben S. 384.1
:.., Google
42Ö SecliatcB Kapitul. Die Lausitzer Serben.
Sprache mitMübe erlernten, dann sich aber warm der Intereseen
des Volkes annalimen. Dahin gehören neben altem Namen,
wie Fabricius, Hauptmann, Wille, Lademann (gest. 1809), der
ein niederwendisches Gebetbuch und eine deutsche, aber für die
Localgeschichte wichtige „Kircbengeschichte der Stadt und Herr-
schaft Kottbus" (Kottbns 1798) yerfasste, aus neuer Zeit die
schon erwähnten HausBig und Sauerwein, sowie insbesondere nocb
Moritz Albert Ebert (1832—77), Sohn des bekannten Bibliogra-
IjhenF. A. Ebert. Aus Liebe zu einer altlutberischen wendischen
Gemeinde in der Niederlausitz, der es an einem Seelsorger man-
gelte, erlernte er zunächst die niederwendische Sprache, später
auch die oberwendische, in welcher er schliesslich bis ans Ende
seines Lebens als Pfarrer wirkte. Er hinterliess im Manuscript
eine „Grammatik der uiederwendischen Sprache", die jedoch nur
die Bibelübersetzung berücksichtigt.
[Ein Umschwung zum Bessern in der Niederlansitz ist seit
1880 unverkennbar eingetreten; doch aber bleibt die Lage immer
noch sehr schwierig. Der Uangel an wendischen Geistlichen
dauert fort; Ende 1883 waren nur noch elf Pfarren mit wendi-
schen Geistlichen besetzt; vier waren ganz unbesetzt, und fünf
sind in den letzten fünf Jahren an deutsche Geistliche überge-
gangen. Gebildete Leute, wie Kösyk, wenn sie nicht gerade
Geistliche und Lehrer sind, finden schwer einen Beruf in ihrer
Heimat, und müssen anderwärts ein Unterkommen suchen. Unter-
richt im wendischen Lesen findet nach wie vor in der Schule
nicht statt, und wenn man auch in neuester Zeit in anerkennens-
werther Selbstbülfe diesem Uebelstand durch ein „Lehrbuch für
solche, die ohne Schulunterricht wendisch lesen lernen vollen" '
abzuhelfen suchte, so ist dies doch immer nur ein wenig genü-
gender Ersatz für den lebendigen Unterricht eines Lehrers. Kein
Wunder, dass die Patrioten manchmal von dem Gedanken be-
schlichen werden : „unser Volk stirbt!"' Aber andererseits spornt
doch wieder zur Thätigkeit an, dass sich in der Niederlausitz
noch sehr riel ursprüngliches wendisches Wesen im Charakter des
' [„CyUnka, to jo potuoo 7a takich, kenz kgS biez iulskeje hncby serbske
cytaiie nabukoui" (Bautzen 1883), verfaset von U. Jordan, heraiugegelHni
auf Eotten vonA.J. Parczewaki.]
' [Vgl, z.B. daaOedioht Köayk's, „Nejmjeniy slowjaiuki narod" („l>er
kiciuste slnviache Volkegtainm") im (jasopie 1878, S. 143— 147-]
...., Google
Die gegcuwHi'tigu Lage. 427
Volkee, iu der Kleidung, in den Sitteo und in deo Gebräuchen
erhalten hat — mehr als irgendwo in der Oberlansitz; daas das
Volk trotz aller Schwierigkeiten ein lebhaftes Verlangen nach
wendischen Büchern bekundet, was die neuem Erfiährangen und
besonders der überraschend Bchnelle Absatz des Teanaf'schen
Predigtbuchs gezeigt haben; dags die Belebung der Nationalitäten
im Geiste der Zeit liegt; dass die grössten Widersacher des nieder-
lausitziscb- wendischen Volks (und im geringern Grade auch des
oberlsusitzischen) n^bt die Deutschen als solche, nicht die Re-
gierungen im Princip sind, sondern die Doctrinare und Halbgebil-
deten auf beiden Seiten, insbesondere aus dem eigenen wendischen
Lager, welche für die Bedeutung der Nationalität im sittlichen
Leben eines Volkes noch nicht den richtigen Maassstab gewon-
nen haben. Alle diese Umstände geben der Hofiiung Kaum,
dass es allmählich bei beharrlicher Arbeit doch Tielleicht mög-
lich sein wird, die vorhandeueu grossen Schwierigkeiten zu über-
winden, und der neugegründete Verein ist entschlossen, „wen-
dische Bücher herauszugeben, solange noch eine Seele danach
verlangen wird" (Teänaf).]
Wir haben früher erwähnt, dass die deutsche ethnologische
Literatur ihre Aufmerksamkeit auf die Volksüberlieferungen in
den Ländern gerichtet bat, welche schon germanisirt sind. So
ward das wissenschaftliche Interesse auch durch die Volksüber-
lieferungen der Lausitzer Serben angeregt. In der letztem Zeit
sind drei Arbeiten solcher Art erschienen, welche besondere Be-
achtung verdienen. Erstens das Buch von Veckenstedt' —
eine reiche Sammlung von Ueberlieferungen, Sagen, abergläubi-
schen Gebräuchen, der Hauptsache nach gesammelt bei den Nieder-
lausitzeni, zum Theil auch bei den Oberlausitzem, sowie solchen
„Wenden", welche schon deutsch reden, aber die wendischen
Traditionen vollständig bewahrt haben. Zweitens zwei Bücher
' „Wendische S^en, Märchen uod abergläubiaohe Gebräuche. Geaatn-
melt and nacfaerzäUt vou Edmund Veckenetedl" (Graz 1880. XVI u.
499 S. ; am Soblusse Proben der lauBitziBchen Dialekte).
.._..., Google
428 Sechstes EapiteL Uio LaasiUer Serbeu.
von W. vou Schuleubui'g'; das erstere enthält die Ueberliefe-
rungen und Erzählungen der Niederlausitzer , aufgezeichnet im
Spreewald und beBondere dem Orte Burg von einem Dilettanten,
den der Keiz dieser Erzählungen fesselte, und der, obschon mit
der Volkssprache bekannt, sie doch in deutscher Beproductiou
der dortigen Wenden niederschrieb. (S. XVIII.) [Das andere ent-
hält eben solche Au&eichnungen aus der Niederlausitz und dem
Muskauer Grenzgebiet.]
Wir führen noch das Buch des bekannte^ Tissot an, der sich
für die LauEdtzer Serben interessirte behafs politischer Polemik,
und Erzählungen aus dem wendischen Volksleben von Fidus,
Ellen Lucia, Frida Francesco (vgl. Luzifian, 1877, S. 108—111),
[J. V. WUbrandt's Epos „Der letzte Wendenkönig" (Leipzig 1882)
und U. J. Jahn's Dichtung „Slavina" (Ebend. 1882).]
Die W^iederbelebuDg des lausitzisch- serbischen Volksthums
bildet alles in allem eins der wunderbarsten Beispiele der sla-
vischen Bewegung. Dem kleinen Stamme, nur die niedere
Gesellschaftsklasse bildend, aller materiellen Mittel entblösst,
drohte von alters her vollständige Germanisirung — aber der all-
gemeine Strom der nationalen Bewegung hob auch diese kleine
Nationalität. Sie tauchte wieder an die Oberfläche empor, mit
Versuchen zu einer besoudern Literatur, ja sogar deren zwei;
und hat, wie wir gesehen haben, in kurzer Zeit ihr Ziel zu er-
reichen vermocht; die Literatur entspross aus der Sympathie
für das Volk und hat dem Anschein nach feste Wurzel geschlagen.
Aber hier ist auch die Kehrseite der kleinen Literaturen sehr deut-
lich zu sehen: diese Literatur ist verurthellt, elementar zu bleiben,
sich im wesentlichen auf Schriften für den ersten Unterricht und
auf populäre Lektüre zu beschränken. Die geringe Volkszahl des
Stammes selbst und der deshalb beschränkte Umfang dieser (und
jeder andern, ihr ähnlichen) Literatur gibt keine Möglichkeit einer
starkem Entwickelung: ihr wissenschaftlicher Inhalt wird durch
die Nachbarschaft der deutschen oder eventuell einer andern
slavischen Literatur erdrückt; ihre Poesie ist in die engen Gren*
zen des Volksthums gedrängt, für das sie bestimmt ist; echliesB-
' „Wendisohe Volkss^cn und Gebräuche aus dem Spreewkld. Von
WiUbald von Sohulenburg" {Leipzig 1880. XXIX u. 312 S. ZulelztPra-
ben des DiederlauBitziaeben Dia]ektB). („WendiBuheii Volksthum in Sftg«,
Brauch und Sitte", von demselüeu (Berlin 1882).]
., Google
Die g^enwärti^e Lage. 420
lieh hat uherhaopt ein Buch, das iiher das Niveau des Elemen-
taren und Populären hinausgeht, kaum eine Möglichkeit materiell
zu bestehen — nur wenige werden es kaufen. Eine höhere Bildung
und weitergreifende Poesie bleiben nothwendigerweise einer frem-
den Sprache vorbehalten — sei es die deutsche, sei es ein anderer,
stärkerer slariscber Dialekt. Die ^'Literatur ist also bedingt durch
die elementare Beschaffenheit der Volksbildung, und unter sol-
chen Verhältnissen wären die slavischen NationaDitcraturen offen-
bar nicht im Stande, die Civilisation zu fördern, wie dies die
panslavistischen Romantiker der Jahre 1830 — 40 hofften. Aber
welches Schicksal steht ihnen bevor, und haben diese kleinen
Literaturen ein Recht auf Existenz? Ohne Zweifel, schon des-
halb, weil sie bestehen, weil sie ein tiefes Bedürfniss erfüllen
— die Erhaltung der nationalen IndiTidualität; femer thnn sie
das schöne Werk, dass sie in einem gewissen Grade Kenntnisse
ins Volk bringen, sittliche Belehrung in der heimischen Sprache
geben. Das Hervortreten weiterer Bildungsbedürfnisse wird auch
die Grenze dieser Literatur sein, Über welche hinaus zu wirken
sie nicht im Stande ist. Was aber dann? Im vorliegenden
Falle kann eine kürzlich gemachte Erfahrung klare Andeutungen
geben. Für gleichgültige Leute liegt der Ausgang ins deutsche
Leben nahe, welches die Lausitzer Serben in geistiger und ma-
terieller Beziehung eng umfangen hält. Für diejenigen aber, die
anf das nationale Besitzthum ihres Volkes einen Werth legen,
bleiht nur der eine Ausweg übrig — sich den Interessen des Ge-
sammtslaventhums anzuschliessen ; denn nur auf dem Boden der
slavischen Gegenseitigkeit werden sie volle Sympathie für ihre
nationale Sache finden. '
Die Förderer der lausitzisch-serhischen Literatur verrichten
in den kleinen Verhältnissen ihres Volkes und hei den beschei-
' [Der Uehersetzer zweifelt nicht, daas den Bestrebungen seiner Lftnilg-
leute auch die Sympathie anderer gebildeter Völker ztitheil werden wird,
nicht bloe der Slaveu allein. Ein zumoiat aus Ackerbauern bcBtehendes
Volk iflt durcli die ihm in neuerer Zeit vermittelfl der Sationalspracbe ge-
botene Lektfire eo sehr in der modernen Bildung fortgeBehritten , daas es
seine beimatlichen Bücher und Zeitschriften mit Nutzen üest, mögen sie
auch noch so diatingiiirten Inhalts sein, und sie kauft, wenn sie anch üum
Theil der eleganten Ausstattung halber ziemlich theuer sind. Die Zeit
scheint nicht fern zu sein, wo der wendische Bauer sogar Stücke am
den grossen Dichtem der Weltliteratur in der eigenen Volkssprache lesen
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430 SecbatpB Kapital. Die I.au>iti!er Serben.
densten Mitteln ein Werk, das alle Hochachtung verdient. „E
pur si muovel" schrieh einst Kraezewski, als er von der kleinen
Literatnr der LauBitzer Serben sprach, „neigen wir das Haupt
vor ihnen."
und verstehen wirJ. (Einige solche UebersetzuDgen wurden oben ange-
führt.) Mit Eineicht und Geschick spielt nnd singt er in aeinen natio-
nalen Dilettanten theatern und GesaugfBconoerten. Eine solche inlellectnelle
SelbattbStigkeit in einem so kleinen, fast schon verloren gegebenen Volke
darf wol als nicht gewöhnlich bezeichnet werden. Feind derselben könnte
nnr »ein, wer im Selbaterhaltungstrieb kleiner Volker überhaupt si-hon ein
Verbrechen, sieht; wer aber gereeht urtheill, wer zugibt, das» kein Volk,
auch das kleiaste nicht, verpfliohtet ist, sich selbst auFsugeben, der wird
der Art und Weise, wie hier die Selbst erhaltung erstrebt wird, wenn nicht
Sfmpathie. so doch zum mindesten eine gewisse Achtung nicht versagen
können.]
.yGoOgIf
Siebentes Kapital.
nie Renalsunce. ■
Die Wiederbfllebang der slavischen Literaturen, welche eine
so charakteristische und oft so auffallende Erscheinung in dei*
Geschichte derselhen seit Ende des vorigen Jahrhunderts bil-
dete, führte zuletzt zu einer Thatsache, welche die Aufmerksam-
keit Europas auf sich lenkte. Nach der logischen Entwickelung
des Begriffs selbst mussten sich die partiellen Wiederbelebungen
der Stämme im weitem Verlauf zu einem allgemeinen Resultat
zusammenschliessen, nämlich — der idealen Renaissance des ge-
sammten slavischen Volksthums, die nicht nur in der Literatur
und der Poesie, sondern auch in der nationalen Bildung und im
politischen Leben zum Ausdruck kommen musste. Die Idee eines
slawischen Bundes oder einer slavischen Einheit war in der That
schon lange in den Seelen der slavischen Patrioten aufgeblitzt;
die slavische Solidarität trat in Thatsachen zu Tage; dies
wurde auch von fremden Beobachtern bemerkt — Freunden und
Feinden.
Es gab eine Zeit, und sie ist noch nicht lange vergangen,
wo das Wort Panslavismus fortwahrend nicht nur im Munde
der slavischen und russischen Politiker und Patrioten, sondern
' Dm gegenwärtige Kapitel ist noch nicht «ler Schluse uuBers g&ozen
Werkes: der Verfasser hat noch die groBBrusBische Literatur darzustellen.
Aber das Werk ist abgesuhlosseD hinsichtlicli der West- und Südsldven.
Dies Kapitel ist ein Tbeil des letzten Kapitels der ersten Auflage mit er-
gänzenden Bemerkungen.
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433 Siebentes Kapitel.
auch äer westeuropäischen Politiker war. Der PanälaTismus er-
Rchicn damals als eine neue Macht, fähig, die politische Phy-
siognomie Europas zu veranderu; den slavischeo Patrioten galt
diese Kraft als schon fast völlig gerüstet, eine neue Periode der
europäischen Civilisation zu beginnen an Stelle der des abge-
lebten Westens; die russischen Slarophilen hofften auf eine solche
Perspective noch mehr, und meinten, dass gerade dem russi-
schen Stamm eine glänzende Rolle vorbehalten sei. . . . Dabei
war damals schon der „Panslavismus" ein äusserst unbestimm-
ter Begriff, sogar für diejenigen, welche seine eifrigsten Prediger
waren. In Einem waren dem Anschein nach alle einig: dies war
die unausbleibliche, künftige (mehr oder weniger nahe) Yer^
einigung des Slaventhums zu einem grossen Ganzen. Aber wie
sie zu Stande kommen, worin das Wesen der künftigen Einheit
bestehen sollte, darUber gingen bei den Slaven selbst die Mei-
nungen sehr auseinander. Die einen nahmen an, das Slaven-
thum werde einen grossen Bund gleichberechtigter Nationen bil-
den; andere (die polnischen Panslavisten) stellten Polen an die
Spitze dieses Bundes; wieder andern schien es, dass sich die
„slavischen Bäche ins russische Meer ergiessen werden", tind dass
sich zum Mittelpunkt der slavischen Welt das russische and
griechisch-orthodoxe Moskau gestalten werde u. s. w. Mit einem
Wort, es öffnete sich ein weiter Spielraum fUr Ansprüche der
nationalen Selbstliebe; jede grössere slavische Nation rechnete
darauf, sich in dieser Zukunft Ruhm zu erwerben; Die Cechen
erwarteten, sie würden die eigentlichen Führer des künftigen
Slaventhums sein, weil sie sich für die Vordermänner der slavi-
schen Bewegung hielten; die polnischen Panslavisten (deren es
übrigens überhaupt nur wenige gab) hofften, in dem künftigen
BündnisB die Unbilden ihrer frühern Geschichte auszugleichen;
die moskauer Slavophilen rechneten auf die politische Macht Russ-
lands und hofften, sie werde diejenigen slavischen Völker wieder
auf den rechten Weg bringen, welche sich in alter Zeit von
ihm abgewendet hätten, als sie in Verbindung mit dem „Lati-
nismus" traten u. s. w.
Andererseits erzeugte der Panslavismus seit den dreissiger und
viei-ziger Jahren die verschiedenartigsten Meinungen in West-
' europa und erregte besonders die Besorgniss der Deutschen in
Oesterreich. Da im Panslavismus die Frage der Selbständigkeit
dos Slaventhums, der nicht nur culturellen, sondern auch poli-
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die Benais aauce. 433
tiEcben Beft'eiung von deutscher Herrschaft, eine der Haupt-
fragen war, so wurde der Panslavixmus für die Deutschen zu
eiuem Gegenstand hesondern Hasses. Ihnen folgend begannen
auch in Westeuropa viele zu glauben, der Panslavismus könne der
europäischen Civili&ation bedrohlich werden, gewlBsermassen durch
eine Art neuen Mongoleneinfalls. Indem man die Kräfte des vor
kurzem noch vergessenen und verachteten Slaventhums über-
schätzte, meinte man in Europa, die slavischen Völker könnten
sich beim ersten AVink an Russland anschliessen , vor dem man
sich in Europa in den vierziger Jahren so fürchtete, und dann
in dichter Masse gegen Europa vorgehen. Man begann so-
gar an eine Rettung Europas vor der Katastrophe zu denken.
Die Deutschen begannen stärker von der deutschen Einheit zu
reden; andererseits versprachen die Ungarn ein Wall Europas
gegen den slavischen Einfall zu sein; einige Schriftsteller der
polnischen Emigration schlössen sich nicht ganz consequent dem
westeuropäischen Liberalismus an und behaupteten, eine solche
Rolle sei Polen am angemessensten, das an der Spitze eines sla-
vischen Bundes stehen und diesen von Riissland abwenden
könne. . . .
Die Frage des Panslavismus rief eine ganze Literatui- hervor,
worin entweder die Erwartungen des Panslavismus ausgesprochen,
die verschiedenen Möglichkeiten seiner Entwickelung vorausge-
sehen und beurtheilt, oder die Mittel bedacht wurden, seine gc-
lahrlicbe Ausbreitung zu hemmen.
Worin bestand die wirkliche, reale Bedeutung der Sache,
aas der solche HofTnungen und Befürchtungen hergeleitet
wurden?
Der Panslavismus gehört zu den am meisten charakteristischen
Erscheinungen der nationalen Idee. An ihm trat auch das zwei-
schneidige Wesen derselben deutlich zu Tage: der Panslavismus
vereinte in sich sowol Beispiele nationaler Begeisterung, die ge-
eignet war, einer geschwächten und eingeschüchterten Gesell-
schaft moralische Kraft zu geben, als auch Irrthümer und Vor-
urtheile, die den wesentlichsten Interessen derselben schaden,
wenn die Gesellschaft ihre exclusive Nationalität über alles stellt.
Die Idee der Vereinigung ist eine neue Erscheinung in der Ge-
schichte der slavischen Nationalitäten. Trifl't man sie auch schon
früher als dunkeln Instinct an, so war sie in ihrer bewusstcn
Form das Resultat der Renaissance seit End<? des vorigen Jahr-
-""■"■"•■'■•■■"•'"-■'■•'■ „.:*, Google
434 Siebentes Kapitel.
hunderts. Die Renaissance kam im Slayeathum zum Ausdrack
durch das Auftreten neuer, durch die ErDeueniug alter Litera-
turen, durch das Streben, das Volk aus seiner moralischen Apathie
herauszubringen, die Bildung zn heben, die in Vergessenheit ge-
kommenen nationalen Traditionen wiederherzustellen — und
war im Anfang noch weit vom FaDslavismus entfernt. Aber der
Gedanke an eine gesammtslavische Einheit, an die Wiederer-
weckung des nationalen Lebens im Gesammtbestand des Stammes
war ein sehr begreifliches Resultat dieser partiellen fiev^nng
der einzelnen Nationalitäten. Einerseits gaben die ersten Erfolge
der nationalen Bestrebungen Nahrung fUr einen patriotischen
Idealismus, der einen Ersatz für Jahrhunderte der Prüfung suchte.
Andererseits wurde der Panslarigmus praktisch nothwendig: die
Idee des Gesammtslaventhums sollte die Bestrebungen der ein-
zelnen Nationalitäten kräftigen, die nicht umhin konnten, ihre
Schwäche zu erkennen, angesichts wilder Feinde, wie der Türken,
und nationaler Gegner, wie der Deutschen, Magyaren, Italiener
u. B. w. Im 18. Jahrhundert bildete die politische Erhebung
Russlands seit Peter dem Grossen einen der stärksten Factoren
der slavischen Renaissance. Im 19. Jahrhundert war dieser Ein-
flusB noch entschiedener.
Dieses Bewusetsein der eigenen Schwäche war in der That
Bo drängend, dass sich jede einzelne Nationalität durchauB eine
Stütze suchen musste, in moralischer und materieller Beziehung.
Sie begannen daher der Kräfte des ganzen gewaltigen Stammes
ZQ gedenken, und in der Mehrzahl der Nationalitäten gingen die
panslaristischen Bestrebungen eben aus dieser Quelle hervor, und
aus keiner andern. Nach der Meinung der eifrigsten Pansla-
Tisten lebte das Gefühl der Stammeseinheit von alters her in
den slavischen Völkern und wartete nur auf den günstigen Mo-
ment, um sich in seiner ganzen Kraft auszusprechen, und die
Einigung des durch unglückliche Zufälle der Vergangenheit ge-
trennten Stammes sei das gemeinsame Ideal des Slaventhums.
Uns scheint im Gegentheil, dass die Idee der Stammeseinheit,
wie sie die extremen Fanslavisten darstellten, ein Werk neuerer
Zeit war. Sie gewann Boden nur als letztes Mittel des Kampfes,
den die Gesellschaft zu führen hatte, insbesondere gegen dea
fremden Druck.
Die slavischen Völkerschaften verhielten sich in dieser Be-
ziehung sehr verschieden.
ü,g :.._.. ..Google
Die Renaisaani^p. 435
PaiislaTistische Tendenzen drangen am wenigsten bei den
Polen ein, weshalb man sie nicht selten eines Mangels an sla-
vischem Patriotismus bescbuldigt; aber die Sache erklärt sich
einfacher dadurch, dass sogar bei dein Untergang der politischen
Selbständigkeit den Polen so viel Nationalstolz oder Selbsttäu-
schung blieb, dass sie nicht an eine Gefährdung ihres nationa-
len Lebens dachten; sie waren überzeugt, dass sie nicht nöthig
hätten, deswegen zu der Hülfe eines gesammtslavischen Bundes
ihre Zuflucht zu nehmen. Bei den wenigen Anhängern des
Panslavismus in Polen erscheint derselbe meistens als Unterlage
ebendesselben nationalen Stolzes: Polen könne einem slaviscben
Bunde beitreten, aber nur, wenn es die erste Rolle spiele. . . .
Für die andern Slaven, die westlichen und südlichen, stand die
Sache anders. Wenn ihnen überhaupt eine politische Zukunft
bcrorstand , so erkannten sie , dass die Erreichung derselben
für sie unmöglich sei ohne irgendeine Vertretung oder ohne ein
BündnisB mit andern Völkern, welche sich in dei'selben Lage be-
fänden. In den vierziger Jahren, als dem Anschein nach der
politische Kampf um das eigene nationale Recht naher rückte,
wiesen die westslavischen und speciell die kroatischen und Cechi-
schen Publicisten mit bedeutungsvollem Tone auf den „slavischen
Riesen" hin, der sieb „von Kamtschatka bis zum Adriatischen
Meere" erstreckt; die Betbeiligung Russlands an der Befreiung
Serbiens zu Anfang dieses Jahrhunderts bestärkte sie in der Hoff-
nung, dass eine ähnliche Einmischung der mächtigen Stammes-
genossen ihnen auch jetzt helfen könne. Aber im ungarischen
Krieg trat Russland nicht in ein Bündniss mit dem Slaventhum,
sondern gerade mit dem Regiment der Habsburger. In den An-
gelegenheiten der griechisch-orthodoxen Serben des Eürstenthums
■war wieder nicht der Panslavismus die leitende Idee, sondern
die Sympathie aus der Zugehörigkeit zu der gleichen Kirche und
private politische Speciilationen Rasslands auf der Balkanhalb-
insel.
Bei den Cechen war der Panslavismus insbesondere eine Sache
der wissenschaftlichen Theorie und der Poesie. Die Idee der
gesammtslavischen Einlieit that in ihrer Literatur ohne Zweifel
eine Wirknng, indem sie im Kampfe gegen die drohende Ger-
manisirung Muth gab; aber die Cechen besassen genug Kennt-
niss der Geschichte, um keine praktische Verwirklichung des
Panslavismns zn erwarten. Thatsiichlioli rechneten sie in den
ü,?81., Google
436 Siebentes Kapitel
Ereignissen von 184S — 49 nur auf eine Solidarität des öster-
reichisclien Slaventhums in einem in Bezug auf die Habs-
burger rein congervativen Sinne; sie suchten nichts weiter
als die Erhaltung jenes Oesterreichs , das seinem SlaTenthum
durchaus nicht sonderlich wohlthätig war. Sie hatten aber in
der Hinsicht recht, da&s unter den gegebenen Verhältnissen
Oesterreich immerbin eine gewisse Garantie für ihre Nationa-
lität gegen den reinen Germanismus war, und dase auf den ab-
stractea „slavischen Biesen" in der Praxis zu rechnen Kin-
derei wäre.
In Hussland hatte der Panslavismus wenig Erfolg: die Mehr-
zahl derer, welche sich überhaupt für politische Fragen in-
teressirten, blieb ihm vollständig fremd. Man eignete sich ihn
nur in einem kleinen Kreise an, der seit den dreissiger Jahren
von den slavischen Nationalitäten zu sprechen begann, von der
Brüderlichkeit, welche die Russen mit ihnen verknüpfe u. s. w.
Aber diese Propaganda (in den Händen Fogodin's) zeichnete sicli
nicht durch Takt aus, sodass man sich über sie lustig zu macheu
begann, wie über einen phantastischen Einfall; der denkende Theil
der Gesellschaft war mit näherliegenden Fragen des russischen
Lebens beschäftigt: mit den Interessen der Bildung, der Erfor-
schung des Volkslebens und der Geschichte, der Leibeigenschafls-
frage. Um die Nationalität, die bei dem westlichen Slaven-
thum im Vordergrund stand, brauchte sich die Gesellschaft nicht
zu kümmern; sie stand unverletzt da und konnte nicht geschä-
digt werden, und der Panslavismus hatte in der i-ussischen Ge-
sellschaft um so weniger Wurzel, als die „Politik" damals for
die Gesellschaft eine streng verbotene und darum in der That
wenig entwickelte Sache war. Ein Beispiel der Strenge des Ver-
bots haben wir in der Geschichte des Kostomarov'schen Kreises
gegeben, — dessen Ansichten damals sogar nicht einmal in die
Presse gelangten. Worauf gründete sich aber hier der Pan-
slavismus? Seine Hauptgrundlage war nationaler Idealismus:
der Gedanke, dass sich die slavischen Bäche ins russische
Meer ergiessen würden, war bei den russischen Panslavisten sehr
populär, obgleich es nicht einmal leicht war, diesen Gedanken
offen auszusprechen (ausser Pogodin, der ihn jedoch auch nur in
confidentiellen Denkschriften an die ohern Behörden darl^te).
Dass die panslavistischen Manifestationen der dreissiger und
vierziger Jahre vor allem eben durch äustiere Umstände hervor-
Die Rrnftii<saiicp. 437
gerufen wurden, welche uöthigteu, Biindniüs und Hülfe zu suchen,
wo es auch sei, nicht aber dnrch principielle in den Stämmen
selbst liegende Strebungen, welche nach der Meinung slavischer
Romantiker immer in den Völkern gelebt hätten (und also auch
eine feste, unveränderliche Kraft darstellen sollten), — kann man
aus dem chronologischen ZusammenfalleD der intensivsten Kund-
gebungen mit den politischen Ereignissen (in den vierziger Jah-
ren) und noch mehr daraus ersehen, dass die Kundgebungen
der Brüderlichkeit und Einheit weit seltener waren als die des
äussersten Particularismus, der Entfremdung, endlich einer wirk-
lichen, bisweilen sogar erbitterten Feindschaft im praktischen
Leben der slavischen Völker. In diesem praktischen Leben sehen
wir leider sogar ein ganzes Kreuzfeuer gegenseitiger Antipathien.
Mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. den historischen Verbindungen
Rnsslands mit dem Südslaventhum, deren Grundlage die Glaubens-
einheit war, begegnen wir unter den slavischen Stämmen entweder
Entfremdung oder Feindschaft. Es kann fast als Regel gelten,
dass man die entfernten Stammesgenossen nicht kennt, mit den
benachbarten in Feindschaft steht. Von solcher Art ist die
Feindschaft zwischen den Russen und Polen, die nicht ganz ver-
deckbare Abneigung zwischen den „Moskalen" und den „Chochols"
(Kleinrussen), die unverdeckbare zwischen den „Lechen" und
den Kleinrussen; ferner verschiedene Grade der Abneigung zwi-
schen den Serben und Bulgaren, und sogar in den Grenzen eines
Stammes — zwischen den Serben und Kroaten, den Cechen und
Slovaken u. s. w. Wirkliche Begegnungen (ausserhalb des literari-
schen Gebiets, wovon weiter unten) sind zwischen den Stämmen
äusserst selten und da, wo sie vorkommen, selbst unter fried-
lichen Verhältnissen zu oft mit Misgeschicken und Misverständ-
nissen verbunden, sowol in wichtigen wie in geringfügigen Ange-
legenheiten. Wir erinnern an die Begegnung der Russen (nicht
solcher, die durch die Theorie vorbereitet waren, sondern ge-
wöhnlicher Leute) mit den Serben und Bulgaren in den letzten
Turkenkriegen, oder an die Episoden mit f echischen und galizi-
schen Philologen an russischen Gymnasien unter dem Ministe-
rium des Grafen Tolstoj.
Die angeführten Erscheinungen sind sehr natürlich. Das
alles ist die Folge der frühern Geschichte, welche, im allgemei-
nen gesprochen, die slavischen Stämme in vollständiger Trennung
voneinander verbracht haben, thells aus Nothwendigkeit , indem
ü,g :.._.. ..Google
438 Siebeatea Kapitel.
sie in schwer zu überwindende liistorischc Beziehungen verwickelt
waren, theils eben wegen der geringen Entwickelung des Gefühls
eines gemeiQBamen Interesses und StammeBvei-bandes unter ihnen.
Wenn die panslavistiscben Romantiker recht hätten, wäre diese
Erscheinung undenkbar. Wenn sie aber unwiderleglich durch die
ganze Geschichte des Slaventbums bis in die letzte Zeit hindurch-
geht, 60 muss man die Tbatsache nehmen, wie sie ist, und sie
durch das erklären, wodurch sie wirklich ihre Erklärung findet.
In alten Zeiten ist das Slaventhum in den ÄnsiedeluDgeu aus-
einandergegangen — wie das ohne Zweifel alle Völker gethau
haben — von dem Wunsche geleitet, bessere Ländereien und
grossem Wohlstand zu finden, und man kümmerte sich wenig
um die Erhaltung oder Constituirung von Beziehungen zu ent-
fernten Stammgenossen ; im Gegentheil mau trennte eich nur zu
oft auch von den nächsten aus gegenseitiger Feindschaft und l'ro-
vincialismus. Schreckliche nationale Nothstände waren das Resul-
tat dieser Zersplitterung der Stämme in ihrem Verhältniss zu-
einander und in ihrer eigenen Mitte. Das Baltische Slaventhuia,
zahlreich und wohlhabend, vei-scliwand vollständig; das Südslaven-
thum verfiel einem fünf hundertjähi-igen Joch; die Cecheu 'wurden
gehrochen und haben sich kaum erhalten; Polen wurde getheilt;
Russland erduldete das tatarische Joch, eine Zerstückelung seiner
alten Einheit und wurde zu einer grossen Nation wiederhei^esteUt
um den Preis eines orientalisch -byzantinischen Despotismus seit
dem IG. Jahrhundert, der strengen Beform Peter's des Grossen
u. s. w. Auch im gegenwärtigen Moment schwindet das Slaven-
thum in Freussiscb-Poleu, in Bosnien und der Hercegoviua —
und das in hohem Grade aus Maugel an Solidarität.
Wenn sonach das Slaventhum historisch getrennt war; wenn
im gegenwärtigen Moment seine Solidarität und sogar die gegen-
seitige Bekanntschaft noch schwach sind; ein gemeinsames natio-
nales Interesse auf politischem Boden (mit wenigen und dabei
immerhin unvollständigen Ausnahmen, wie der letzte Krieg) noch
nicht besteht, — so haben wir ein Itecht, die romantischen
Betrachtungen über die slavische Einheit und speciell über den
slavischen ,, Beruf" Russlands nicht zu theilen und uns nur auf
die historiBchen Facta zu stützen. Die „slavische Einheit" ist
weder eine Ueberlieferung von alters her, noch eine prädesti-
nirte „Aufgabe" des Slaventbums: sie ist ein Bewusstsein, das
man eben im Begriff ist zu gewinnen, aber noch nicht fertig
ü,g :.._.. ..Google
Die RenaisBance. 439
gewonnen hat — das Bewusstsein von der Nothweudigkeit eines
Bundes, der durch Stammes-, zum Theil auch durch Glauhens-
einheit indicirt wird, in Gestalt verwandter Aufgaben der natio-
nalen Bildung und in Gestalt ähnlicher Gefahren von äussern
Feinden. •
Mit den populären Auslegungen der slavischen Einheit nicht
übereinstimmen bedeutet aber natürlich durchaus noch nicht die
Existenz eines Gefühls der Stammesverwandtschaft selbst leugnen.
Ein solches Gefühl besteht von alters her als Instinct, als Volks-
überlieferung; aber Instinct und Ueberlieferuug mussten, da sie
in den realen Verhältnissen keine Nahrung fanden, erschlaffen
und zu einem Besitz der Schriftgelehrten allein werden. Die
slavischen Literaturen geben von den ältesten Zeiten an nicht
wenige Zeugnisse von dem Gefühl jenes Zusammenhanges der
Stämme. Der älteste russische Chronist hat eine klare Vorstel-
lung von den verschiedenen Zweigen des slavischen Stammes und
ihren Beziehungen, es sind ihm zum Theil auch die Ueberliefe-
rangen von ihrer alten Völkerwanderung bekannt. Um dieselbe
Zeit haben der lateinisch - cechische Chronist Kosmas von Prag,
der lateinisch-polnische Martinus Gallus (Anfang des 12. Jahrhun-
derts); alsdann die spätem Historiker: Dalimil, Pulkava hei den
Cechen (14. Jahrb.), Boguchwal bei den Polen (13. Jahrb.) u. s.w.
mehr oder weniger einen Begriff von der Ausbreitung des ge-
sammten Slavenvolkes; die £echisch- polnische Sage schuf sogar
drei Brüder, Cech, Lech und Bus, welche die slavischen Haupt-
stämme des Mittelalters personiöciren. In der russischen Anna-
listik setzt sich Nestor's Kenntniss des Slaventhums nicht fort,
und dieJ^achrichten über dasselbe waren zufällig und lückenhaft;
wie z. B. der bekannte Simeon von Susdal auf seiner Beise zum
Florentinischen Concil die Kroaten kennen lernte und bemerkte,
dass bei ihuen die Sprache aus Bussland, der Glaube aber latei-
nisch sei; aber von deuSüdslaven wusste man mehr, und in die
I Eine ausfülirlicLere Darstellui^ dieser Fratte bat der Verfasser in dei
Abhandinngen gegeben: „Der PanBlavismiis in Vergangenheit und Gegun
wart" (im Vistnik Evropy, 1878).
...., Google
440 SiebeutiiB Kapitel.
i'ussiscimn liistorisclieti Sammelbäude fanden Niu;hriclit«ii aus
südslavischen Qaellcn Eingang. Vom 15. — IG. Jahrhundert an
entwickelt sich in der historischen Literatur desWeBtslaventhunis
immer mehr Gelehrsüinkeit, und die Frage von der Herkunft des
eigenen Volkes -wird schon mit gelehrten Zeugnissen und gelehrten
Legenden ausgestattet. In dem schon früher (II, 2. S.118) von uns
erwähnten techischen Buche': „Krätke sebrani u. s. w," („Kurze
Snmmlung", um 1439) erscheint neben historischer Fabelei
auch eine gewisse Kenntuiss des übrigen Slaventhums; die pol-
nischen Historiker aus jener Zeit, wie Dlugosz, Cronier, Miecho-
wita, Bielski, der polnisch-russische Stryjkowski waren ^um Theil
auch den russischen Schriftgelehrten bekannt, und dienten zum
Ausgangspunkte für die russischen Anfänge der Gescbichtscbrei-
hung im 17.— 18. Jahrhundert. Mit dem 16. — 17. Jahrhundert
treten Nachrichten über das gesammte Slaventhum bei den sei--
biscli-kroatischen (icschichtschreibern auf: dahin gehören Maoro
Orbini, Lucius, der Eagusaner Gradi*^, der Kroat Faustin Vrau-
iic (Verantius). Eine phänomenale Erscheinung war der bekannt«
Georg Krizanic, den man mit vollem Recht den ersten Pansla-
visten nennen kann. Die dalmatinischen Dichter, wie Gunduli^,
Ignaz Djordji^, Kati^-Miosiß gedenken in ihren patriotischen
Ergüssen mehr oder weniger des gesammten Slaventhums. Der
Slovene Bohoric gibt in seiner Grammatik 1584 schon Proben
verschiedener slawischer Dialekte, und danach erwähnen die Ver-
fasser von slavisclien (Jirammatiken und Wörterbüchern nicht
selten der Aehnliclikeit der Dialekte und der ^'erwandtBchaft der
Stämme.
Mit dem 18. Jahrhundert, als die nationalen Interessen der
slaviseben Stämme noch schliefen, und einige slavische Völker-
schaften, wie die Oecheii in Oesterreich, die Serben und Bul-
garen in der Türkei, sich im äussersten Verfall befanden, tritt
die Kenntnjss des Slaventhums zum ersten mal in wirklich ge-
lehrter Form auf. Die Grundlagen dieser wissenschaftlichen
Erkenntniss waren unter directem Eiutluss der europäischen
Wissenschaft und Bildung gelegt worden, — bei den dalma-
tinischen Serbe - Kroaten in deren italienischer Form, beiden
Ccchen, l'olen und Russen in der deutschen. Von den mittcl-
ftltcrlichcn lateinisclien Historikern angefangen, bricht in der
■westeuropäischen Literatur die Reihe historischer und geogm-
pbischer Arbeiten nicht ah, welche jetzt eine wichtige Quelle
ü,g :.._.. ..Google
Die It«ua)«BaDce. 441
zur Erforschung verschiedener Länder und Jahrhunderte des
Sluventliums bilden, wie z. B. für Altrussland die Reisen von
Marco Polo, Herberstein, Fletcher, Olearius u. a. Einige dieser
Arbeiten, wie z. E. das berühmte Buch von Herberstein, waren
schon fast gelehrte Untersuchungen. Dieser Literatur scbloss
sich auch die lateinische Geschichtschreibung der slavischen Völ-
ker an, deren wir eben gedachten. Im IK. Jahrhundert kommt
es zur ersten systematischen Formulirung der historischen Frage.
So war in der russischen Literatur, abgesehen von einigen Ver-
suchen russischer Schriftsteller, die Begründung einer strengen
kritischen Geschichte — vor Karamzin — das Werk des berühmten
SchlÖzer und seiner deutschen Vorgänger und Nachfolger, wio
Itayer, Herrn. Fr. Müller, Stritter, Krug, Lehrberg, In der Ge-
schichte des westlichen und südlichen Slaventhums waren ein
wichtiger Anfang und kräftiger Impuls die deutschen Arbeiten
Ton Engel, Gebhardi, Thunmaun, Meinert, Adelung, die italieui-
sclie des Abbe Fortis, die geschichts-philosophischcn Betrachtungen
Hcrder's u. s. w. ; in der alten Geschichte des Südslaventhums die
Arbeiten der Gelehrten italienischer Schule, wie Assemani, Itan-
duri, Farlati.
Das Slaventhum hatte im 1h. Jahrhundert keine eigene selb-
ständige Schule. In Russlaod bestand die deutsche Akademie, die
eben erst gegründete Universität zu Moskau mit einer grössern
Ansalil aus Deutschland verschriebener Professoren, die Kiewer
Akademie mit lateinischer scholastischer Gelehrsamkeit. Diu
))olniscbcn Schulen vereinten Scholastik mit deutscher Gelehr-
samkeit. Die cechische Universität in Prag war unter der Lei-
tung der Jesuiten, und später deutsch; die katholischen Slo-
vahen waren in de» Händen der Jesuiten, die Protestanten stu-
dirten auf deutsehen Universitäten (besonders in Halle, Jeua,
Wittenberg), die dalmatinischen Serbo-Kroateu auf italienischen.
Die Serben und Bulgaren hatten nicht nur keine Schule, sondern
. nicht einmal die Möglichkeit, sich ii^endwo zu bilden. — Sonach
weckte die westeuropäische Schule, die lateinisch- deutsche und
die italienische, die historische Wisshegierdc und gab die wissen-
scliaftlichen Metboden der Forschung an.
Unter dieseu Einflüssen hegiuut in der westslavi&cheu Lite-
ratur mit dem |S. Jahrhundert eine rührige und selbständige
Arbeit, pjns der ersten Bildungsbedürfnisse war die Localge-
ü,g :.._.. ..Google
443 Siebentea Kapite .
Bcfaiclitc, deren Anfänge zur Frage vom GeBammtelaventham
führten; dahin gehören die Arbeiten über die GoBchichte ver-
schiedener slaviBcher Stämme von Linhart, Pejafevid, Mikocsi, Ka-
tan^i6 u. b. v., die noch alle deutsch und lateinisch gescbiieben
sind. Die patriotische Anhänglichkeit an die eigene Sprache und
die Nothwendigkeit Bie vor fremden Uebergriffen zu vertheidigen,
riefen eine Keihe von Apologien hervor, welche von der Altertböm-
lichkeit und der grOBsen Verbreitung der slavischeo Sprache,
von ihrem Buhme, ihren Vorzügen und ihrem Reichthum bandel-
ten. Hierher gehören die früher erwähnte „Apologie" von Balbin,
Seb. Dolci („De illyricac liuguac vetustate et amplitudine", 1754),
Fr. Appendini („De pracstantia et vetustate linguae illyricae", bei
Stulli's Wörterbuch 180G) u. a, Nach speciellen Erörterungen
über das slaviBche Alterthum folgen Versuche zueammenfassender
Arbeiten, wie z.B. die Bücher von Joh. Chr. Jordan („De origini-
buH älavicis", 1745), K.G. Antou, die früher erwähnte „Geschichte"
des Ärcbimandriten Raifi. Mit besonderer Lebhaftigkeit ging diese
gelehrte Bewegung des 18. Jahrbunderts bei den Cechen vor sich
— -aber anfangs fast nur in lateinischer und deutscher Sprache:
es gehören hierher die Arbeiten von Dobner, Fortunatus Durich,
Voigt, Felzel u. a. und vor allen Dobrovsk^, der überhaupt da-
mals der haupteächlichste Vertreter dieser Bewegung in der ge-
sammten slavischcn Welt war. Neben ihm gab einen zweiteu
bedeutendem Gelehrten der sloveniscbe Stamm in der Person
Kopitar's, eines Freunde» und jungem Zeitgenossen Dobrovsky's.
Bei den Polen war zu Ende dos vergangenen und zu Anfang des
jetzigen Jahrhunderts das Interesse an der slavischen Geschichte
bedeutend angeregt, mehr als in der folgenden Zeit: wir nennen
die Arbeiten des Grafen Jos. Ossoliüski (1748—1826), des Grafen
Joh. Potocki (1761 — 1815), ferner Naruszewicz, Zorian Choda-
kowski, Rakowiecki, Bandtkie und besonders Surowiecki, und auf
dem Gebiet der Sprache den berühmten Bogumil Linde. In der
russischen Literatur wurden gleich heim ersten Anfang einer
kritischen Geschichte die südslavischen Beziehungen des alten
Russlands bemerkt: Karamzin widmete in seiner Geschichte einen
besondcrn Abschnitt dem alten Slaventhum ; Vostokov wurde einer
der hauptsächlichsten Begründer der slavischen Philologie; Ka-
lajdoviä gab wichtige Untersuchungen über das alte bulgarische
Schriftwesen; Koppen, später Pogodin, legten den Grund zu
ü,g:...u.,GüOJ^IC
Die Renaissance. 443
persönlicheu gegenseitigen Verbindungen in der slaviechen ge-
lehrten Welt a. B. w. '
Mit dieser ersten Periode der gelelirten Erforschungen des
älaventhums fiel, seit Ende des vorigen Jahrhunderts, die lite-
rarische Wiederbelebung zusammen; aber das hauptsächlichste,
in der That zur Zeit einzige, für alle verschiedenen Stämme
gemeinsame Interesse war jenes wissenschaftliche Gebiet. Die
Untersuchungen vom Ende des vorigen und Anfang des gegen-
wärtigen Jahrhunderts waren fast ausschlieeslich der Alterthums-
kunde, zum Theil auch der Ethnographie gewidmet; sie waren
jedoch sehr wichtig für die Entwickelung der „Renaissance" —
weil sie der folgenden Generation die Möglichkeit eines gemein-
samen Ueberhlicks des slavischen Ganzen gaben. Die Arbeiteu
Dobrovsky's hatten schon diesen gesammtslavischen Charakter;
er war der erste Encyklopädist der slavischen Dialekte und ward
die erste gemeinsame Autorität.
Das zweite und dritte Decennium des 10. Jahrhundert» erwei-
terten diese Kenntniss des älaventhums beträchtlich: derselben
widmet ihre Arbeiten eine immer grössere Zahl gelehrter Kräfte,
und es treten neue Anregungen ein, mit denen sich neue Seiten
des Gegenstandes offenbaren. Zu der Beihe solcher Anregungen
gehörte das Erscheinen der serbischen Lieder von Karadzif. Sie
machten Eindruck auch ausserhalb der slavischen Literaturen,
wurden zum Gegenstand nationalen Stolzes bei den Slaven und zu
einem neuen Werkzeug der Renaissance, das einen hohen Begriff
von dem Werth der originalen Volkspoesie einflösste. Bald er-
schienen bei den Cechen das „Gericht der Libusa" und die Kö-
uiginbofer Handschrift, die wieder einen grossen Einfluss nicht
nur in der cechischen, sondern auch in den andern slavischen
Literaturen hatten. Aus verschiedenen Gebieten der slavischen
Welt wurden neue Untersuchungen zusammengetragen, neue Fra-
gen angeregt; die Wissenschaft war jedoch zerstreut und lücken-
haft und es waren generalisirende, zusammenfassende Arbeiten
erforderlich.
' KäliLToa darüber b. in dem Bucbe von Perwolf und über die neuei'e
Bi'naisaaneu und den Panglaviamus, überhaupt deu Artikel desselben Ver-
fassers im „Slovnik Kaufnj", s. v, Slovane, VIII, Rl«— 644. Der Theil dieses
Aitikels, welcher sieb speeiell auf die Literatur bezieht, ist vussiseb über-
setzt im „aiav. Eicgudnik", I, 49—90 (Kiew 18745).
...., Google
444 Siebcnles K&pitel,
Eine solche verallgemeinerte und einheitliche Erforschung des
Slaventhums ei-scbeint zum ersten mal in den Arbeiten Safank's,
der eine um so grössere Autorität wurde, als er durch seine mit
Liehe ausgeführte Uehcrsicht der slarischen Literaturen, der Eth-
nographie, der Alterthiimer, den slavischen Studien zuerst eine ge-
wisse Popularität ausserhalb des frühem Kreises tou Spccialisten
gab. Die Tbätigkeit tiafarik's und der Gelehrten seiner Zeit
bildete eine neue Periode der geBammtsIaTischen Forschung, in-
dem sie einen weit umfangreichern Kreis von Gegenständen, Le-
sern und Forschern umfasste als jemals früher. — Aber wenn
in der mit Dobrovsky abgeschlossenen Periode die gesamrot-
slavische Frage fast nur auf dem Boden der Alterthnrnsknodo
aufgeklärt wurde, so blieb sie doch auch in den Arbeiten Sa-
fafik's und seiner nächsten Zeitgenossen eine literarische An-
gelegenheit: die Zahl der Proselyten mehrte sich, aber die
Frage trat aus dem Gebiete der Gelehrsamkeit und der Roman-
tik wenig in das wirkliche Leben hinaus.
Weiter unten werden wir der gelehrt-romantischen Theorien
der slaviscben Renaissance gedenken. — Es war augenscheinlich,
dass, wenn von slavischer Einheit und Brüderlichkeit, Ton einer
speciiisch slavischen Civilisation die Rede sein sollte, sich noth-
wcndigcrweise die politische Lage des Slaventhums ändern musste,
da ein Erfolg dieser AH nur auf dem Boden nationaler Frei-
heit erreicht werden konnte. Politische Bewegungen zum Schatx
der nationalen Rechte des Slaventhums begannen auch wirklich.
Der polnische Aufstand, die Zwiste der Kroaten und Slovaken
mit den Ungarn, welche sich zur Eroberung ihrer nationalen
Selbständigkeit vorbereiteten, wurden ein Gegenstand europäi-
schen Interesses; besonders unter dem Einäuss der deutsch-ma-
gyarischen Publicistik begann man in Europa vom Panslavismus
7,M reden, welcher die Ruhe Europas bedrohe, und erinnerte
an die (nicht glückliche) Prophezeiung Napoleon's, in fünfzig
Jahren werde Europa republikanisch oder „kosakisch" sein. Die
deutschen Patrioten drangen auf einen Einschluss Oesterreichs
in die deutsche Einheit, sahen eine nationale Bewegung der
türkischen Slavcn voraus, fassten den Verdacht, der Panslavismus
sei ein Traum und eine Intrigue Russlands. ... Es kam schliess-
lich das Jahr 1848. In den Ereignissen dieser Zeit waren offenbar
die wichtigsten Interessen berührt, aber augenscheinlich ist es
auch, dass die Wirklichkeit bei weitem weder den Erwartungen
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Die KeniUBtancei 445
der elaviBchen Patrioten noch denon ihrer Feinde entsprach. Die
BlaTiBche Welt stand nicht wie Bio Mann auf und gegen Europa
wurde kein Kosakeneinfall gemacht. Der Blavieche Congres» zu
Prag rief die spöttische Bemerkung hervor, die „gemeinBlavischc
Sprache" sei die deutsche. Das feierliche Manifest der Vertreter
des Slaventhums (ß. h. des österreichischen) überzeugte Europa,
dass es tou ihm nichts zu befürchten liahe. Die Kroaten und
Slovakeu hatten, wie der Erfolg zeigte, nicht für ihre Nationa-
lität gekämpft, die nichts gewann, sondern für ihre Treue gegen
das Hans Hahsburg. Polen wich jeder politischen Thätigkeit
ans. Die türkischen Slaven blieben ruhig. Russland unterstützte
in Oesterreich die geeetzhche Ordnung Die Magyaren spot-
teten später über die Kroaten, daas Ungarn durch seinen Auf-
stand gegen Oesterreich weit mehr gewonnen habe, als diu
Kroaten durch die Vertheidigung desselben; die Lage der Kroa-
ten ist eine solche, dass sie auch jetzt noch wie früher gegcu
die magyarischen Prätensionen zu kämpfen haben. In schwerer
Lage fühlten sich nach Wiederherstellung der „Ordnung" die
Öechen und andern Slaven in Oesterreich. Das Programm Pu-
lacky's soll ein Werk voll Einsicht sein, weil nur Oesterreich
dem Slaventhom einen Schutz vor der Germanisirung und den
Magyaren geben könne — aber man musste die Voraussetzung
machen, dass Oesterreich wirklich auch dem slavischen Element
Raum gewähren wolle ....
Alles das hatte gezeigt, dass das Bewusstsein der politischen
Solidarität noch sehr schwach war, selbst im Österreichischen,
durch ein Staatswesen verbundenen Slavönthum; von einer Ver-
bindung mit andern Stämmen war gar keine Rede. Dieser Zeit,
vor 1848, gehören auch meist die idealistischen Manifestationen
der slavischen Romantik an.
Die Ereignisse des Jahres 1848—49 waren für das Slaven-
thum einerseits ein Miserfolg — sie brachten nicht die erwar-
teten politischen Vortheile und waren eine Enttäuschung für die
Idealisten; aber es war dies gleichwol eine (wenn auch nicht
vollständige) Probe der gegenseitigen Eintracht der Stämuic, und
die Theorien mussten nach der Erfahrung verändert werden.
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446 Sie1>eiite« KnpiteL
Ohne bei der rein politischen (oben zum Theil angefahrtes)
Publicistik zu verweilen, wollen wir uns nur der Haupttbeorien,
die in jener Epoche im Umlauf waren, erinnern. Besonders po-
pulär waren diejenigen, die aus t^cchiscber Quelle stammten, von
KoUär und den gelehrten Ideen ^afafik's und seiner Zeitgenossen,
seit dem dritten Becennium des gegenwärtigen Jahrhunderts.
Die historischen und antiquarischen Forschungen brachten
schon seit jener Zeit in die elavische gelehrte Welt ein gewisses
moralisches Band ; die Slariaten verschiedener Nationalitäten
fanden einen gemeinsamen Boden und ihre Spcialarbeiten nah-
men eine gesammtBlaviscbe Färbung an. Die Zeitgenossen Safarfk's
und die jüngere Generation, welche unter jenen Einflüssen stu-
dirte, wie Palack^, telakovskj?, Erben, Wocel, Haciejowskt, Preiss,
Bodjanskij, Sreznevskij, Grigorovifi u. a. waren schon ein mehr
oder weniger solidarischer Kreis einer Richtung. Die nationalen
Bestrebungen der einzelnen Stämme wurden zum Ganzen gerich-
tet; Stütze und Schutz für die einzelne, oft kleine Nationalität
lehrte man in der ganzen slaviscben Völkerfamilie suchen, die in
der gemeinsamen Sache durch Sympathie und Eintracht stark sein
sollte. Die Untersuchungen über die älteste Geschichte stellten
bis zu einem gewissen Grade das Bild des alten Slaventhums
wieder her, das in der Feme poetische Farben annahm, und
deckten insbesondere den gemeinsamen nationalen Charakter,
die verwandtschaftlichen Züge des Culturlebens und der Ueber-
liefemngen, und eine weit engere Verbindung, ja sogar Einheit
der Stämme im Alterthum auf. Ganz von selbst stellte sich die
Idee einer Bestaurirung dieses verlorenen Zusammenhanges ein.
Zur Unterstützung trat noch die philosophische Theorie des na-
tionalen Berufs und der Aufeinanderfolge der Rassen und Völ-
ker in weltgeschichtlicher Stellung und Bedeutung auf. Wenn
einem jeden grossen Stamme die grosse historische Aufgabe zn-
getheilt ist, in seiner Existenz eine gewisse Idee auszudrücken,
so ist es klar, dass eine solche besondere Idee auch das Slnven-
thura auszudrücken und zu erfüllen habe, die Idee aber wird
durch die nationalen Eigenschaften bestimmt, auf die schon
durch die Forschungen über die älteste Geschichte hingewiesen
wurde. Vielen schien es, dass die Völker des westlichen Europa
schon ihre Bestimmung erfüllt hätten, dass ihr Leben sich jetzt
nur noch auf der Bahn kalter Verstandcsmässigkeit, des Materialis-
mus und geistigon Verfalls bewege, und dass ihren Platz in der
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Die Ranaidsanoe. 447
Führung der Civiüeation der noch unverdorbene slavische Stamm,
voll frischer Kräfte, eiunelimen müsse, für den die Zeit gekommen
sei, seine historische Mission zu erfüllen.
Unter diesen sich veröcchtenden Eingebungen und Eindrücken
des nationalen Patriotismus, der Alterthumskunde, der philoso-
phisch-historischen Theorien wurde eine idealistische Stimmung
geschafTen, zu deren vollständiger Definirung noch auf ein Ele-
ment hingewiesen werden muss — das wirkliche Vorhandensein
einer innem frischen, wenn auch unklar erkannten und durchaus
nicht gefestigten Kraft. In der regelrechten gesunden Entwicke-
lung dieser Kraft, welche aus der Annäherung an das Volk,
und aus dem Streben seinem Wohle zu dienen entsprang, würde
auch die Zukunft der ganzen Bewegung liegen. , , .
Nach dem Gesagten ist es begreiflich, dass in der ersten Pe-
riode ihrer Entwickelung die gesammtslavischen Bestrebungen
nicht so sehr politische Doctrin, als patriotische Poesie waren.
Wir brauchen nur an die patriotischen Dichter und Idealisteii
der verschiedeneu slavischen Stämme in unserer vorangehenden
Darstellung zu erinnern — wie Venelin, Bakovskij, Karadii^,
Bischof Muäicki, Vladyka Peter II., Milutinovic, VukotinoviC
und die andern Vertreter des „jungen Illyriens"; Vodnik; Kol-
lar, OelakoTsky, Jablonsky, HoU^, Sladkovii, Gbalüpka, Star,
Staszic, WoronJcz, Mickiewicz, Seviienko, Kostomarov «. s. w.
Von allen Seiten der slavischen Welt ertonten Kufe begeister-
ter Hoffnung auf die Zukunft des eigenen Stammes und des
gesammten Slaventhums, Kundgebungen von brüderlicher Liebe,
Gegenseitigkeit und Einheit. An der Spitze stand das Gedicht
Kollär's, das bedeutendste Werk dieser ganzen Periode und eine
in ihrer Art in der ganzen neuem Literatur Europas einzig da-
stehende patriotische Dichtung, erbaut anf nationaler Begeiste-
rung und Alterthumskunde. Wir haben von ihrem Inhalt ge-
sprochen, und fuhren nur noch an, wie der Dichter die von
ihm gehoffte und zwar nicht ferne Zukunft ausmalt: nach
hundert Jahren treten die Herrlichkeiten des Slaventhums
ein, dessen Leben sich wie eine Ueberschwemmung ergiessen,
dessen Sprache mau in den Palästen und selbst im Munde
seiner Gegner hören wird, und dessen Sitten und Lieder an
der Seine und Elbe herrschen werden u. s. w. Bei den Dich-
tern und Gelehrten der jungem Generation bildete sich eine
grosse Hochachtung vor dem „Volksthümlichen" aus, was allein
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448 Siebeut«« KapiUl.
bei den slavisclieu Stämmec ursprünglich und anvermiscbt na-
tional geblieben war: die Sammlung von Karad£i6 zeigte, welche
Schätze dieses Volk besitzt; Kollär und äafarik bestätigten dies
dnrch ihre Sammlung; neue Arbeiter gingen damals nach ihrer
Weise „ins Volk-' (Stanko Vraz, SvezneTkij, Grigorovii, Holo-
vackij, Kostomaiov, Wöjcicki, Milutinovic, Kurelac, Smolef u. s. w.)-
Das„Yolk8tliümliche" erschien ihnen höher als das Givilisirte, sie
sahen darin unverdorbenes Urväterthum, eine durch Jahrhunderte
rein nationalen Lebens gekräftigte Tradition; die kleinen Litera-
turen, welche damals aus dieser patriarchalen Sphäre geschaffen
wurden durch Leute, die derselben angehören, und für den Kieis
ihrer Begriffe, schienen innerlich höher zu stehen als jene grossen
Literaturen mit ihren künstlichen Anforderungen , die sich von
der Einfalt des volksthümlichen Lebens entfremdet hatten und
dessen Bedürfnisse nicht befriedigten. £s war dies eine ganze
Romantik eigener Art; sie begeisterte ihre Parteigänger, band
sich aber (z. B. in der russischen Literatur) wenig an den all-
gemeinen Gang der Uterarischen Ideen; durch die enge Exclu-
sivität und Einseitigkeit dieser Romantik wurden viele gegen die
slavische Bewegung, mit der sie sich identificirte , kühler. In
einer gewissen Verbindung, aber unabhängig von der gelebiteii
Romantik war der Standpunkt der eigentlichen Slavophilen, der
von den Brüdern Kireevskij und Chomjakov ausgearbeitet und in
seiner Anwendung auf das Slaventlium besonders von Hilferding
entwickelt wurde. Die Gedanken dieser Schule wurden in ver-
Bchiedeiien Nuancimngen ausgesprochen. Das Slaventhum sei
das eigentliche „erwählte Volk"; es sei berufen, eine neue voll-
kommenere Civilisation zu begründen. Gegenwärtig sei es zer-
splittert, — aber es müsse sich einigen, um im Stande zu sein,
seine historische Bestimmung zu erföllen. Das Slaventhum sei im
Altertham unter zwei feindliche Welten gelheilt worden: das
griechisch-orthodoxe Christenthum und den „Latinismus"; aber
seinem Wesen nach müsste es ganz griechisch-katholisch sein:
es habe keine Verbindung mit Rom gehabt, wie die romanischen
und germanischen Stämme; es habe das Christenthum zuerst aus
der byzantinischen Orthodoxie empfangen, welche dem Stammes-
charakter entsprochen habe und in der allein die verlorene t^n-
heit aufs neue gewonnen werden könne. Die ganzQ Geschichte
des westlichen Slaventlmms sei ein innerer Kampf des wahrhaft
slavischen IVineips gegen das ihm feindliclie Trincip der westlichen
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Die BeuaiBBanoe. 449
Kirche und Civilisatian. . . . Die ruaeiscben Anhänger der roman-
tischen Schale — jene friedlichen Gelehrten {Bodjanskij, Grigo-
roviC, Preise, Sreznevskij), welche die westeuropäischen Ankläger
des Panslavismns als Agitatoren, Emissäre der nissischen Regie-
rung hinstellten, rührten die Politik nicht an, ja mieden sie mit
besonderer Sorgfalt (sie fand zu Hanse in Russland überhaupt
keine Aufmunterung); — aber es ging auch nicht ohne politische
Erörterungen ab. VAne der ersten der Zeit nach war die Schrift
des Grafen Gurowski, 1830—31, der am polnischen Aufstand be-
theiligt war, aber gleich dtirauf ein Anhänger Riisslands wurde,
dem er eine panslavistische Politik rieth. Die Schrift Gurowski's
galt geradezu für das Programm der russiarben Politik, was sie
freilich nicht war. Nach seiner Meinung sind die südlichen und
westlichen Stämme des Slaventhums Zweige, die sich von ihrer
Wurzel getrennt haben, infolge ihrer Abtrennung unfruchtbar und
durch ihre Verderbntss der Wurzel selbst schädlich : das einzige
Mittel, sie zu heilen — sei, sie mit der gesunden slaviscben Wurzel
zu verbinden, welche sie zu ihrem eigenen Nutzen völlig in sich
aufnehmen und so ein slavjsches Ganzes herstellen solle. Aehn-
liche Ideen über die Einigung des Slaventhums, aber in Gestalt
einer allslavischen Liebe und in etwas grob-schmeichlerischen
Dithyramben legte Pogodin in seinen coniider.tiellen Denk-
schriften an den Grafen Uvarov dar — es war dies eine besondere,
frühe Fraction des moskauer Slavophilenthums , demselben in
vielem nahestehend, in vielem unähnlich, und leider niemals direct
von diesem desavouirt. — Der bekannteste Ausdruck der polnischen
Ideen in der slaviscben Frage war die Theorie, deren extremster
Ausdruck der „Messianismus " Mickiewicz' war. Nach dieser
Theorie stellt die slavische Welt zwei Seiten dar — eine positive
und eine negative; in der erstem lägen die l'rincipien der slii-
vischen Zukunft und des menschlichen Fortschritts, der Brüder-
lichkeit der Völker, und in ihr werde die Erfüllung desChristen-
thums erfolgen, das ist — Polen; die andere, despotische, zer-
störende Seite, sei Russland, für welches der polnische Dichter
die dunkeln Farben nicht spart. Die grosse Aufgabe, die Mensch-
heit vorwärts zu fuhren und der christlichen Idee vollen Aus-
druck zu geben, gebort Polen (wie nach der Ansicht der Slavo-
philen — Russland): deshalb liege auch das Heil des Slaven-
thums in Polen, das den ersten Platz in dem Bündniss der
slavischen Nationalitäten einzunehmen habe. Ferner fanden die
Ptpim, Slavitche LIUnluieB. 11,3. 29
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450 Siehentex Kapitel,
slavopbilen Erwartungen von der Zukunft Ruaslands bei einem
Sdiriftsteller Widerhall, der einer der Bchärfsten Gegner dieser
Schule war, nämlich bei Herzen; er meinte, dass das russlBcbe
Volk mit seinem Gemeindepi-incip als erneuerndes Element für
Europa auftreten werde, wie ein solches die Slavophileu und die
weatslavischen Idealisten (Kollär, Stür) in der ganzen innern
Natur des slavischen Stammes überhaupt sahen.
Die angeführten Frohen der Theorien und poetischen Träu-
mereien wiederholen sich bei Gelegenheit noch bis heute in der
russischen und den andern slavischen Literaturen. Di^e eigen-
artige slavische Romantik steht mit der echten westeuropäischen
Romantik in unzweifelhafter Verwandtschaft. Beide waren sozu-
sagen der jugendliche Ausdruck eines neu aufkeimenden Bewusst-
seins. Die Phantasien und Excentricitäten mögen uns nicht ver-
borgen sein; aber immer wird das Streben zum „Volkstbümlichen",
d. i. in letzter Linie das Streben, die Bedeutung des Volkes zn
heben, ihm Achtung für seine Ueberlieferong, folglich für seine
moralische Autonomie einzuflössen , und es schliesslich als voU-
herechtigten Factor in das nationale Leben einzuführen, höchst
sympathisch bleiben.
Die Romantik eilte, wie gewöhnlich, der Wirklichkeit voraas,
anticipirte die gewünschte Zukunft. Aber was stellten die sla-
vischen Literaturen thatsächlich dar?
/u Anfang zeigten wir, dass auch im historischen Alterthnm
die vermeintliche slavische Einheit nicht so beträchtlich war.
wie es die Romantiker vermeinten. Im Gegentheil, in histori-
schen Zeiten begegnen wir schon einer Zersplitterung — in geo-
graphischer, politischer, ethnographischer, kirchlicher Beziehung,
in Bezug auf Bildung und Schriftwesen — die je weiter je mehr
anwachsen musste. In der Periode der modernen Renaissance
vermehrt sich diese Verschiedenheit und Spaltung. Bei allen
Kundgebungen der Brüderlichkeit der Nationen markirte sich die
Renaissance vor allem durch das Auftreten eiuer ganzen Reihe
erneuter oder ganz neuer Literaturen, die hartnäckig auf dem
Recht ihrer Sonderexistenz bestanden. Die Erscheinung war ganz
natürlich, und dieses Recht konnte man nicht leugnen. Der gaiue
Sinn der Renaissance bestand darin, daas in den Völkern das
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Die ReuBiBBaDoe. 451
Selbstbewussteein geweckt wurde, und, um es zu entwickeln,
ninsste maa mit dem Volke iu seiner eigenen Sprache reden, die
Ueberlieferungen seiner alten Gultur und Poesie sammeln und
bearbeiten; wenn die „Nationalität" überhaupt ein theures Be-
sitzthum ist, so lässt sieb ihr Recht auf eine literarieche Ent-
wickelang schwer negiren. So trennte sich die Literatur der
Renaissance, zu Anfang noch arm an Schriftstellern und Pu-
blikum, arm an Sprache und Inhalt, in eine Menge von Zwei-
gen, und ein jeder wollte selbständig sein. Hier musste biswei-
len alles von neuem »ngefangen werden, vom Alphabet und der
Schriftsprache an, und ein kleiner Stamm sagte sich zuweilen
freiwillig von einer nahe verwandten Literatur los, um eine eigene
zu haben, um die eigene Nationalität zu entwickeln. So trenn-
ten sich von den Cechen die Slovaken ab, obgleicli die Dialekte
einander sehr nahe stehen, obgleich in früherer Zeit die Slovaken
die ^echische Literatur benutzten und ihr aus sich selbst viele
Schriftsteller gaben. Die Literatur der Serben fuhr auch femer
fort, sich in eine cyrillischer und eine lateinischer Schrift zu spal-
ten, obgleich fast gar kein Unterschied in der Sprache war; selbst
die Literatur der griechisch-orthodoxen Serben spaltete sich fast
wegen der Orthographie Vuk's, die im Fürstenthum verboten
wurde. Eine besondere Literatur hatten die Kroaten, eine beson-
dere dieSlovenen. In den dreissiger Jahren begannen neubulga-
rische Bücher zu erscheinen. Die gatiziscben Südrussen haben bis-
her noch keinen Entschluss gefasst, ob sie sich an die russische
oder ihre eigene Volkssprache halten sollen, in der man in Klein-
russland zu schreiben begann; sie haben bisher auch die Frage
der Orthographie noch nicht entschieden. Bei den Lausitzer
Serben traten zwei Literaturen auf; eine für einige Zehntausende
von Ober] au sitz er n , eine zweite für einige Zehntausende von
Niederlausitzern u. s. w.
Wir haben gesehen, dass die reinen Romantiker consequent
waren, sie lobten die Verdienste der kleinen Literaturen und
ft-euten sich über ihre Vermehrung. In der That, tritt eine Li-
teratur auf, so bedeutet dies, dass ein Volk mehr aufgelebt ist.
Aber andere begannen sich zu beunruhigen, — nicht nur solche,
denen neue Abspaltungen den Umfang ihres literarischen Ein-
flusses schmälerten (wie sich die Cechen gegen die Abtrünnigkeit
der Slovaken wappneten), sondern auch diejenigen, welche die
allgemeine Lage der Dinge im Auge hatten. Das Gefühl der
29* , . 1
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4Ö3 SiebentcR Kapitel,
Unrube war auch nicht oliue Grund. Dieser literarische Tharni-
bau in der Literatur konnte wie zu Babylon mit einem voll-
ständigen Auseinanderlaufen drohen. Welcher einstimmige £n-
thusiasmus auch diese Literaturen beseelen mochte, es war schwer,
für sie eine weite Zukunft zu erwarten: jede in den Grenzen
eines verhältnissmässig kleinen Stammen gefesselt, tnussten sir
sich von vornherein zu der beschränkten Kolte elementarer und
populärer Bücher verurtheilen , und in den Gegenständen der
höhern Bildung und der Wissenschaft nur fremde stärkere Lite-
raturen wiederholen, — für ein starkes Talent, für einen star-
ken wissenschaftlichen Geist wird es an Raum fehlen; er wird
entweder seine Thatigkeit nach den Verhältnissen seiner Sphäre
einschränken oder diese zu Gunsten einer umfassendem Natio-
nalität verlassen müssen. Die Geschichte der slavischen Litera-
turen hat eine Menge Beispiele der letztern Art geliefert.
Die „Renaissance" schreckte vor dieser Schwierigkeit nicht
zurück, und KoUär, indem er sich auf die vier Hauptliteraturen
beschränkte, hielt es für möglich, sie mittels seiner Theorie der
„Gegenseitigkeit'' zu einer künstlichen Einheit zu verbinden.
Seine Schrift über diesen Gegenstand hatte grossen Erfolg und
die „Gegenseitigkeit" erschien als eine volle Aussöhnung der
wechselseitigen alavischen Schwierigkeiten. Ihren Partei^ngem
kam es nicht in den Sinn, dass für die Mehrheit nie eine phi-
lologische Gelehrsamkeit möglich sein wird, wie die Keuntniss
von vier Dialekten, und selbst, wenn sie möglich wäre, zu ein«r
wirklichen Annäherung der Stämme jener antiquarisch -ethno-
graphische Idealismus durchaus noch nicht ausreichen würde,
von dem die Romantiker damals vorwiegend erfüllt waren. . . .
Aber wie es sich nachher in der Praxis zeigte, dass die
„Gegenseitigkeit" die slavische Verschiedenheit nicht auf vier
Hauptcentren brachte und die kleinen Literaturen stärker und
schneller wuchsen als die „Gegenseitigkeit", so rief sie auch
starke theoretische Einwürfe hervor. Es waren kaum 15 Jahre
seit dem ersten Erscheinen der Ideen Kollär's über die G^en-
soitigkeit vergangen, als ein absichtlicher und bedachter Separa-
tismus in derselben Nationalität auftauchte, zu der Kollär ge-
hörte, gegen diejenige, welcher er sich angeschlossen hatte, —
der Separatismus der Slovaken gegen die ^echische Literatur.
Wir haben oben gezeigt, dass nach der Idee ätür's die Einfüh-
rung der slovakischen Sprache in die Literatur nothwendig war.
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Die KeDaiBBiini.'F. ^53
Dicht nur in Anbetracht des nächsten Nutzens für die Volksbil-
dung, »ondem auch dem ganzen Princip nach: Stür wünschte
nämlich nicht eine Goncentriruug der geistigen Thätigkeit der
Slaveii in vier Literaturen, weil sich damit die Stainmestheilung
definitiv befe^itigt hätte und das westliche und südliche Slaven-
thum auf immer zum Provinzialismus verurtheilt wäre, — wäh-
rend für das dringende gemeinsame Wohl eine volle Einheit noth-
wendig war, die sich ätür nur in einer dem gesammten Slaven-
thum gemeinsamen Literatursprache darstellte. Als solche Sprache
erschien ihm die russische.
So verloren Von einem weiter schauenden und realem Stand-
punkte aus die Ideale der frühem Romantik uicht nur ihren Reiz,
sondern erschienen sogar als direct schädlich. In ähnlicher Weise
überlebte sich in der russischen Literatur, inmitten der Sla-
visten selbst, der romantische Standpunkt. Man meinte früher,
die slavische Welt sei so voll von Einheit und Brüderlichkeit,
trage eine solche Bürde fremden Joches, dass sich Russland nur
zu i-ühren brauche, damit z. B. Oesterreich zerfalle und an dessen
Stelle ein grossartiges slavisches Bündniss unter der Leitung
Russlands erwachse (Pogodin); man meinte, das Slaventhum sei
gerüstet, an die Stelle der abgelebten europäischen Civilisation
zu treten; man schätzte die kleinen slavischen Literaturen um
ihrer patriarchalischen Einfachheit willen hoch ( Sreznevskij )
u. 8. w. Es machte sich jetxt ein neuer Standpunkt geltend,
von dem aus die früliern Erwartungen keinen Raum mehr hatten.
Von diesem Standpunkt aus (den in Russland besonders ein
Slavist der Jüngern Generation, V. Lamanskij, vertrat) zeigte
es sich, dass die gegenseitigen Zuneigungen des Slaventhums
nicht so stark sind; dass die Klagen der österreichischen Slaveii
über die Deutschen nicht ganz gegründet sind, da die Deut-
schen in Oesterreich, wenn auch weniger zahlreich als die Sla-
vcn, doch darin ein homogenes und sowol durch Geschichte
als durch Bildung das stärkste Element bilden, die Slaven aber,
wenn auch zahlreicher, in sieben gesonderte Nationalitäten zer-
fallen, und diese letztern selbst „als kranke Organismen er-
scheinen", weil die einen von ihnen stark gennanisirt, die an-
dern durch gegenseitige Feindschaft gespalten sind, welche die
Slaven schwächt und die deutsche Herrschaft kräftigt. Es wurde
bemerkt, dass sich bei der slavischen Intelligenz in Oesterreich
der Panslavismus ruhig mit der Ergebenheit gegen die Habs-
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454 SiebenteB Kapitel.
burgisclie Dynastie vertrug, welche ein historischer Feind der
Slaveo war; es wurde (in den sechziger Jahren) auf die Ver>
kebrtheit dieser Intelligenz hingewiesen, welche Oesterreicb im
Süden Erfolge wünschte, die Erwerbung Bosnien» und der Her-
Gegovina — in der Hoffnung, Oesterreich werde ein slavisches
Reich werden, obgleich diese Erwerbung die wirkliche Lage der
slavischen Dinge in Oesterreich und die biBtorische Ueberliefe-
rung der Dynastie nicht im geringsten ändern konnte. Man
sagte endlich, die kleinen Literaturen hatten keine Zukunft, weil
in unserer Zeit die Wissenschaft eine Macht geworden sei, ohne
welche sich keine einzige Nationalität halten könne, und den
kleinen Stämmen stehe bevor, entweder allmählich ihre Natio-
nalität zu verlieren oder als Organ der Bildung eine der stamm*
fremden Sprachen anzunehmen, oder aber, unter Beibehaltung
der Stammesbesonderheit, in der Literatur die russische Sprache
anzuwenden. >
' „Die SlsveD iu Oesterreich verdienen nur den Namen vou Völker-
aubaften nnd als solche müsBeu sie sich durchaus den Deutschen
unterwerfen, die mit vollem Beoht eine Nation genannt werden müssen;
denn Bieheu Völkersuhafteu: Polen, Kloinruasen, Ceoben, Slovaken, Serben,
Kroaten, Sloveneu, welche etwas über 15 Millionen slavischer Bevülkerang
in Oeütcrrcich bilden, sind jede für eich so schwach und gering an Zahl,
dasB keine einzige von ihnen gegenwärtig eiuen unahhäugigen starken btaat
und eine selbständige Bildung und Literatur in ihrer cinheimisohen Sprache
hervorbringen kann. Wenn die polnische nnd Ceohisohe Literatur zuweilen
reich heissen, so ist dies ganz relativ zu nehmen: sie sind sehr arm und
nichtig im Vergleich zur deutschen, englischen, frauzÜBischeu, italienischen
und selbst spanischen Literatur. Mau darf nicht vergessen, dass die cechi-
sehe und polnische Lilei-atiir im 15., 16-, 17. und 18, Jahrhundert auf einem
weit grossem Raum bearbeitet wurden tvls jetzt. Was die SBdslaven be-
trifft, 90 bilden sie eine Föderation, das gemeinsame Organ einer hohem
Bildung kenn bei ihnen nur die mssiBohe Sprache sein. Die Slaven in
UeEterreieb wollen aus patriutisebem Gefühl niuht zugeben, dass sie sich
den Deutschen gegenüber in dem Verhältniss von Völkerscbaften zu einer
Nation befinden. Hier führt sie zum MisvcrBtäuduiBs derGedanke, dass sie
zu einem grossen Stamme vou 80 Millionen gehören, aber sie beachten, wie i-~
scheint, gar nicht, dass von diesen 80 Millionen 50 Millionen dem etnti^n
ruBsi sehen Stamme angehören, der sich schon eine Schriflcpracbe erarbeitet
hat, und die übrigen 30 Millionen in acht Völkerschaften aersplittert sind.
von denen jede ihre eigene Literatur hat und die sich in den ungünstigatea
äussern VerbältniBsen befinden". . . .
.....Gooj^lc
Die ReDoisBancc. 466
Die Romantik, von der wir spraclicn, war ein iiatürlicLer
AuBbruch des Nationulgefütils in der Periode der Wiederbelebung;
dass man bei ihr nicht stehen bleiben konnte, ist aus den oben
angefulirten ÄDBichten zu ersehen, die nicht in feindlichen Lager,
HOtidem auf eigenem Boden erwachsen sind. Bei der Abwesen-
heit einer politischen Frage, welche die Stämme in einem gemein-
bamen Interesse vereinigen konnte, blieb als einziger Ausdruck
der pauülaTistischen Bestrebungen die Poesie und die Alterthumb-
kunde übrig, welche die Frage in einer idealistischen Färbung
hielten nnd zu oft nur die Phantasie reizten. Leider kannten
die Slaven trotz der brüderlichen Kundgebungen und der Pre-
digt TOD der Gegenseitigkeit einander in der That doch sehr
wenig; so war es in den dreissiger Jahren, und so ist es fast
noch bis heute, — eclatante Beispiele solcher Unbekanntschaft
führt derselbe Schriftsteller an, welchen wir eben citirten. Die
gegenseitigen Beziehungen waren sehr wenig entwickelt und be-
schränkten sich auf Specialisten oder gelegentliche Begegnungen,
In den dreissiger und vierziger Jahren machten die mssbcheu
Stavisten wichtige gelehrte Reisen in den slavischen Landern —
aber in dem Sinne eines gegenseitigen Bekanntwerdens der Stämme
war das Resultat nicht gross und es wurden sogar nicht wenige
falsche Vorstellungen erzeugt.'
In der Folgezeit bat sich die wissenschaftliche Kenntnis» deti
Slaventhums sehr ei-weitert, aber sie bleibt immer noch auf einen
kleinen Kreis von Specialisten beschränkt, und wie im allge-
meiuen in der russischen Gcsellscbuft die Kunde des innern
Lebens und der Literatur der verschiedenen slavischen Stämme
sehr dürftig ist, so ist bei den West- und Südslaven die Kennt-
nis8 des russischen Lebens und der russischen Verhältnisse noch
beschränkter.
' Z. lt. kamvu iu KuEdlaud maiiuiuhriii;be ücukiuvbc Eiu8oitigkeit«u in
(Il'Ii Urtlicilen über versuhicduoti sUviBcbo Gcgcustandu iu Umlauf, Einsoi-
ligkeitcu, die Gugar eiu so grosser Keuuur des Slavcntliuiiis wie Uilferdiug
aonahni; bei den ('ecbcu hciTseliteu iiutcr dem Eiuflaes der Begegnangeu
uud Beziehungen mit Leateu Dur eiuea Kreises seitdem uod noch gegen-
wärtig sehr sonderbare Voi'slclluugen über ruBsisehe Literatur und russiECheii
Leben, diu von ihnen porsöutieh Tast gar uiebt erforseht wurden u. b. w.
.y Google
456 Siebeutes KapiteL
Auf diese Weise bleibt die ganze überuuH grossti Verschiedea-
heit, welche die GcBchicbte in den TerEchiedeneo Gebieten der
slavischen Welt geschaffen hat, nicht nur den Stäntmen, sondern
auch den gebildete« Kreieen der Geaellschaft unbekannt. Des-
halb spricht sich das Gefühl des Zusammeuhanges mit dem Ge-
sammtslaTentbum eben fast nur als Gefühl aus, kommt etoss-
weise zum Vorschein (wie selbst in den Ereignissen der Jahre
1875 — 78), wenig begleitet von der Forderung ernsten Studiums,
beständiger Aufmerksamkeit und beständigen Interesaes: es lassen
sich daher auch die Offenbarungen dieses Gefühls nicht leicht vor-
aussehen — sie können kommen, können aber bei ähnlichen An-
lässen auch ausbleiben. Klar ist jedoch, dass, wenn sich dieses
Gefühl zu einer bewussten Empfindung entwickeln, zu einer „Ein-
heit" (in welchem Grade auch immer, sei es poUtJBcber Solida-
rität, Bildungseinheit, ja einfach wissenschaftlich-literarischer
Verbindung) fuhren soll, dazu die zufälligen und unvollständigen
literarischen Beziehungen, wie sie bisher bestehen, durchaus
nicht ausreichen. Es muss die Möglichkeit einer unmittelbare»
Bekanntschaft und Besprechung vorhanden sein; mau zog den
SchlusB, dass vor allem „eine gesammtslaviscbe Literatursprache-'
nöthig sei.
Wir werden hier die verschiedenen Versuche, das Problem
dieser Sprache zu lösen, wie sie bisher gemacht worden sind',
nicht durchnehmen und nur bei der Hypothese verweilen, die in
Russland am meisten verbreitet ist, dass nsjnlich das Russi-
sche diese Sprache werden müsse.
Zur gegenseitigen Verbindung bedürfen die Slaven einer ge-
meinsamen Literatursprache^ zum Widerstand gegen die fremden,
erdrückenden Einflüsse bedürfen sie der Unterstützung einer weit-
reichenden moralischen Kraft. Dieses Mittel und diese Kraß,
die ihnen helfen werde, eine Nation zu werden, könne ihnen
nur die Annahme der russischen Sprache als Sprache der Bil-
dung und der Literatur liefern. Nur auf diese Weise können
sie ein festes Centrum finden, um das sie ihre zersplitterten
Kräfte sammeln könnten. Die F^inführung der russischen Sprache
würde auch die innern Fragen des westlichen und nördlichen
■ Hinsichtlich der Kinzelheiteit verweigen wir üen Leser auT den .Ar-
tikel „Der literar. PanBlavismiiH" (iiibb. im „Vöstnik Kvrop." 1879; dent^rb
in „RusBische Revne", XIV. Bd., 1879).
...., Google
Die RenaiHatice. 457
älaventh Ullis vorwärts biiDgeu, die StamcaeEfeincIscliuft versöliueii
und die Müglichkeit geben, mit dem EinäuBB anderer Nationen
zu kämpfen, welche jetzt auf dem Slaventhum lasten. Vor allem
könnten und sollten die Bulgaren und Serben die rassische
ijprsche als Sprache der Wisaeuschaft und der höhern Bildung
annehmen — wobei sie ja ihre Sprache in der Verwaltung, bei
Gericht, in der Schule, in der poetischen Literatur und in rolks-
thümlich praktischen Biichern behalten könnten ; darauf auch die
andern Slaven. Das russische Volk solle hierin seinen „armen
und schwachen Stammesgenossen" helfen, vor denen es »ich
diu'ch äussere Macht und „Reichthümer an geistigen Kräften^' aus-
zeichne (Lamanskij).
Kundgebungen von dieser Nothwendigkeit einer gemeinsamen
Literatursprache (oder in einer engern Grenze: einer gemein-
samen Sprache der höhern Bildung und Diplomatie, d. i. einer
Sprache der gegenseitigen ölfentlichen und literarischen Beziehun-
gen) erfolgten schon öfter nicht nur von russischer Seite, son-
dern auch von andern Slaven , und zwar besonders zu Gunsten
der russischen Sprache. Die Form der Kundgebungen bestand
meist im Ausdruck der Ueberzeugung von der Wichtigkeit dieser
Frage, und dann in Einladungen, diese Annahme der gemein-
samen Sprache zu vollziehen. Wir selbst theilen die Ueberzeu-
gung, dasB, wenn es möglich wäre, die Einbürgerung einer solchen
gemeinsamen Literatursprache zu bewerkstelligen, dies ein grosser
Gewinn für die Slaven sein würde; aber wir waren auch immer
der Meinung, die Frage sei so schwierig und viel umfassend,
das8 darin alle privaten Wünsche der Art machtlos seien; sie
wird auch nicht durch das Medium der Literatur, sondern durch
weitgreifende historische Bedingungen, durch die Richtung des
gesammten politischeu Lebens des Slaveuthums und Kusslauds
und durch den Gang ihres Bildungslebens entschieden werden.
Theoretisch betrachtet, stellt sich zuerst die Frage ein: ist
es denn nothwendig, dass die slavischen Stämme durchaus eine
Nation bilden? Die slavischen Stämme des Westens und Südens
könnten sich bis zu einem gewissen Grade concentrireu (z. B. die.
südlichen Stämme in eine Gruppe , die cechoslovakischen in eine
zweite, die Polen in eine dritte) und Sonderleben führen, wie
es die Schweden und Dänen gesondert vom Deutschthum fuhren.
Die Nationalität ist eine Naturkraft, die nicht nach abstracten
Erwägungen lebt und wirkt, sondern nach dem eigenen innern
ü,g :.._.. ..Google
458 SiebenUs Kapitel.
Streben and zwiagendüu äUBSurn Umständen. Welche zwingende
Macht würde hier den natürlichen Instinct der Selbsterhaltung
der Nationalität Ubarwinden und hesonderE das weatlicke Slareu-
thum uütbigen, die ruseische Sprache unzunehmen?
Eine solche Wahrscheinlichkeit könnte man noch für die Bul-
garen annehmen, da die Sprachen einander einigermasseu nahe
stehen, die nationale Religion dieselbe ist, auch Nachbarschaft
und jetzt politische Verbindungen vorhanden sind (wenn die letz*
teru sich zu gesellschaftlichen entwickeln). Sie ist schon geringer
für die Serben, die geographisch weit zerstreut, in religiöser Be-
ziehung getheilt sind, zum Theil schon lange deutsche Eiutlüstiu
erfahren haben. Noch geringer ist diese Wahrsclieiulichkeit für
die Gechen, bei welchen anter Erhaltung der gleichen Dynastie
und bei den gleichen Bedingungen politischer Nachbarschaft, die
Annahme der ruesiscben Sprache mit ihren Folgen eine völlige
Uüvolution wäre ; und bei einem Umschwung zu Gunsten der Föde-
rativverfassung, der nicht unmöglich ist, werden sich die slavi-
schen Stämme in Oesterreich vielleicht noch eifriger die Erbaltaug
ihrer ethnographischen Eigenthümlichkeiten angelegen sein lassen.
Die russische Sprache soll nach den Worten der Theorie den
West- und Südslaven unter auderm den Vortheil bringen, dass
sie die Möglichkeit gibt, Russland kennen zu lernen, das ver-
gleichende Studium der sisviscben Sprachen, des Volkslebens und
der Volkspoesie u. s. w. erleichtert. Ohne Zweifel ist das der
FhII; aber, was wir oben über die verwunderliche Unkenntniss
Itusslands bei den Slaven gesagt haben, zeigt, dass der Grund
der Unkenntniss tiefer liegt als in dem Unvermögen, russische
Bücher za lesen. Die Cecben und überhaupt die österreichi-
schen Slaven könnten wenigstens deutsche Werke oder Ueher-
setzuugen über Kussland lesen; aber wir haben Grund anzuneh-
men, dass auch diese Literatur bei ihnen sehr wenig bekannt ist,
— dessen zu gescbweigen, dass es in der ganzen weatelavischen
Literatur nichts über Russland gibt, was solchen, von Auslän-
dem geschriebenen Werken nahe käme, wie den Büchern von
Mackenzie Wallace oder Ramheau. Die Slaven — könnte man eher
sagen — kennen nicht deshalb Russland nicht, weil sie nicht rus-
sisch lesen, sondern umgekehrt, sie lesen nicht, weil sie Russland
nicht kennen, fern von ihm sind und kein wirkliches, bewusstes
Interesse für dasselbe haben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass
diese Unkenntniss ein grosser Mangel der slavischen Intelligenz
ü,g :.._.. ..GOOJ^IC
Die ReosiaaADce. 459
ist; aber er ist offenbar nicht oboe Ursache. Wahi-scheinlich
fanden die Slaven in der ruBsischen Literatur (wie sie bisher
war, und wie lange wird sie noch so bleiben V) etwas Kremdarti-
geb oder etwas Ungenügendes: Fremdartiges, weil ihnen das rus-
sische Leben selbst und die russische Geschichte nicht nahe
stehen, und Ungenügendes, weil denjenigen Slaven, die in ihr
Stoffe einer „höhern Bildung" suchen würden, die russische Lite-
ratur diese in ihrer gesuchten und gebührenden Vollständigkeit
nicht geben könnte.
Dies fuhrt uns zu dem Argument der Theorie, dass die rus-
sische Sprache „sozusageu mit jedem Jahrzehnt immer mehr den
Chai-akter einer Wettsprache erlange, wie das Englische, Deutsche
und Französische". Wenn die russische Sprache wirklich eine
solche Bedeutung erlangte, so würe dies der stärkste Beweggrund,
der ihr die literarische HeiTScbaft auch in der slavischen Welt
verschaffen könnte. Ob es dazu kommen wird, und wann, lassen
wir auf sich beruhen, und wollen nur einiges darüber bemerken,
welche Umstände eine Sprache zur ,, Weltsprache" machen, und
ihr die Möglichkeit geben, Sprache der höhern Bildung bei Stäm-
men zu werden, die eigentlich eine andere Sprache benutzen.
Erstens sind einige slavische Sprachen nicht gar so ohnmäch-
tig zum Dienst der „hohem Bildung" — z. B. die ^«chische und
polnische; auch bei den Cechen hat sich in so kurzer Zeit eine,
wenn auch sehr künstliche, so doch mannichfaltige Literatur-
sprache- entwickelt, dass sie dieselbe um so mehr schätzen und
stolz auf sie sind. Von der polnischen Sprache braucht man
gar nicht zu reden. Und wenn die Cechen in die Nothwen-
digkeit versetzt würden, ihre Sprache aufzugeben, so würden
sie — bei einer Lage der Dinge, die der jetzigen ähnlich wäre
— als Ersatz dafür eher die deutsche als die russische Sprache
nehmen. Slavische Gelehrte, und sogar eifrige Patrioten, wen-
deten von alters her und noch bis heute die deutsche Sprache
an, wenn es sich um weite Interessen der Wissenschaft und Po-
litik handelte (Dobrovsky, Kopitar, Safarik, Palacky, Koltär,
Wocel, Miklosich, Tkalac [Weber], Utiesenoviii, Jagi6 u. v. a.);
auch die russische Sprache hat noch sehr viel zu thun im Ge-
biet der höhern Bildung, um in der slavischen Weit die zur
Ueberwindung der verwandten Sprachen und des im Öster-
reichischen Slaventhum sehr verbreiteten Deutschen die nöthige
Autorität zu erlangen.
ü,g :.._.. ..Google
460 Siebentes Kapitel.
Die franzoäische, deaUcbe, engliecbe Sprache heissen mit
Ilecht Weltfipraclien , weil sie tbatsäcblich eine grosse Rolle in
der Geschichte der allgemein-menschlicben Entwickelung spielten
und weil sie auch eine überaus weite äussere Verbreitoug haben.
Die Kenntniss derselben ist für denjenigen unentbehrlich, der
sich „höhere Bildung" aneignen oder mit Erfolg für dieselbe
arbeiten will. In diesen Sprachen sind die tiefsten Probleme
nnd Lösungen des modernen Gedaokens ausgesprochen, bedeutend
nicht nur in der bcsondem nationalen Sphäre, sondern überall,
wo es sieb um die Ideen: Gott, Natur, Mensch, GeBellscbaft,
Wissenschaft, Kecbt u. s. w. gehandelt hat. In der antiken Welt,
der Vorgängerin unserer Civilisation , gehörte diese sogenannte
allgemein-meDschlicbe Bedeutung der griechischen Sprache und
Literatur an; dann ging diese Bolle auf die lateinische Spraclie
über und sie blieb lange die Sprache der hohem Bildung, bis
aiiH Ende des Mittelalters und bis zu einem gewissen Grade
sogar noch später. Die Weltbedeutung dieser Sprachen war
eine solche, dass in der Peiiode der westeuropäischen Beuais-
!>ance das Studium des classischen Alterthums einen neuen Um-
schwung in der Entwickelung der europäischen Bildung hervor-
brachte. In neuerer Zeit kommt eine solche Bedeutung der fran-
zösischen, deutschen und englischen Sprache zu, durchaus nicht
deshalb, weil dies Sprachen grosser Länder und Völker sind
(China ist grösser als sie alle zusammen), sondern weil diesen
Völkern die Arbeit der höchsten menschlichen Erkenntniss und
die grössten Werke der Poesie angehören; ~ durch diese Kraft
gewinnen die genannten Sprachen auch ausserltch eine Welt-
verbreitung, indem sie neue Theile der Welt in ihr Bereich auf-
nehmen.' England schritt an der Spitze der europäischen Ent-
wickelung vom 17- Jahrhundert an; im Ig. Jahrhundert setzte
das Werk der englischen Denker die französische Literatur fort,
die eine gesammteuropaische wurde; vom Ende des 18. nnd im
10. Jahrhundert gesellt sich zu ihnen die tiefe und bedeutungs-
volle Thätigkeit der deutschen Wissenschaft und Poesie. Das
ist das Gebiet, auf welchem sich die russische Sprache eine
„Weltbedeutung" zu erobern hat. . . . Die einfache Wahrheits-
liebe muss bekennen, dass die russische Sprache noch weit bis
zu einer solchen Bedeutung hat. Die russische Literatur hat im
letzten Jahrhundert viele bemerk euswerthe Erscheinungen ge-
schaffen, die tbatsäcblich das Recht geben, von ihr eine kräftige
ü,g :.._.. ..Google
Pip RenaiBMiQce. 461
Entwickelung in dei' Zukunft /u erwarten, eine Entwickelung in
den Verhältnissen der eiiropäiBclieii Hauptliteraturen, — aber
jetzt ißt sie noch weit davon entfernt, und ihre Werke, reich
durch innern Werth und hochwichtig in ihrer eigenen Mitte,
haben für andere Völker immer noch ein mehr ethnologischem
Interesse. Wer in der russischen Literatur Früchte einer „höhern
Bildung" suchen wollte, würde bald seinen Irrthum einsehen und
sich zu andern Quellen wenden, wo er tbatsächlich diese Früchte
frischer und vollständiger finden wird, als in der russischen un-
vollständigen und ungetreuen Wiedergabe. . . . Zur Erlangung einer
Weltbedeutung mues sich eine Literatur durch grosse Werke der
Wissenschaft und der Poesie auszeichnen, die mit aller Freiheit
philosophischen Denkens und nationaler poetischer Schöpfer-
kraft erfüllt sind; und dazu sind durchaus Bedingungen des
öffentlichen Lebens nöthig, wie man sie bisher in Russlnnd nirht
hatte und noch jetzt nicht hat. Auf die Nothwendigkeit solcher
Bedingungen wies schon Stür hin, als er {vor fast 30 Jahren) von
der Nothwendigkeit sprach, dass dieSlaven die russische Sprache
als allgemeine Literatursprache annähmen, und als zur Zeit des
. moskauer slavischen Congresses, I8C7, in der russischen Presse
aliermals von der Annahme der russischen Sprache seitens der
Slaven die Hede war, wurden sogar aus dem Lager der Slavo-
philen einige sehr kräftige Ii^nwendungeu gemacht, die aus der
Lage der russischen Wissenschaft, des öffentUcben Lebens und
der Cultur genommen waren.' In welcher I-age sich die russi-
sche Presse befindet, und oh bei derselben eine Literatur mög-
lich ist, die autoritativ fiir Völker sein könnte, welche (wie z. B, die
Cechen, die Österreichischen und preussischen Polen, die öster-
reichischen Serbo - Kroaten , ja sogar die Bulgaren) europäische
Pressfi-eiheit haben, darüber halten wir es für überflüssig, uns
des weitern zu verbreiten.*
I Vgl. Htür, „Slftvjanstvo i mir buduH-ago", S. l'ii, 181-182; dieZei-
tiinfc „Hoskva", 1867, Nr. 86, 97.
' Wir fübreri nur als Beispiel an, dasa in ilen letzUiii Jabreii in die
ru«Bisohe Presse so gemässigte Werke Dicht gelangen konnten, wie clan
Buch von Lecky über die Gesehiclite des Rationalismus und sogar das 1ic-
kniiDte Buch von Finia)' ijber die Geschichte von Byzanz. Andererseil»
war bei den Serben z. It. eine Uebersetj:ung des BiioLeü von Renan möglioh
AVir bemerken noch, dass in Russland bis in die li^tzte Zeit die Publi-
calinnen dpr galiKiscIi-russinphen Litt-ratur, die Zi'it Schriften der österreicbi-
.....Gooj^lc
463 Siebentes Kapitel.
Wenn eich also auch die KenntniBS der russischen Sprache
unter den Slaven verbreiten würde, so würde doch bei der
rechtlosen Lage der Presse, bei der Unfreiheit der Wissen-
schaft, die russische Literatur in keiner Weise die Abhängigkeit
des Slaventhums von der deutschen oder einer andern Bildung
und Literatur beseitigen, und die Annahme der russischen Sprache
seitens der Slaven ist undenkbar. Oder es miisste sich denn die
russische Literatur bis zu einem Grade heben, dass sie frei für
eine „höhere Bildung" arbeiten könnte, und dann läuft die Sache
auf die Frage von den Eigenschaften der mssischen Cnltur hio-
nus. Dies nicht zu sehen, ist nur möglich, wenn man die Augen
den Thatsachen gegenüber absichtlich verschliesst.
Endlich angenommen, die russische Literatur habe diejenigen
Culturbedingungen erlangt, von denen wir sprachen, habe die
Freiheit der Wissenschaft und die Freiheit der Presse erlangt,
so würde dies ohne Zweifel ihre Entwickelung und ihren Ein-
fluss im Slaventhum überaus fordern; aber auch dann darf die
Frage noch lange nicht für gelöst gelten. Wenn man sagt,- die
russische Literatur wachse (trotz aller Schwierigkeiten) mit „je-
dem Jahrzehnt", so wachsen ebenso oder noch stärker auch die-
jenigen Literaturen, mit denen sie zu rivalisiren hätte, und mit
jedem Jahrzehnt wird in den neuen slavischen Literaturen das
Gefühl ihrer Besonderheit kräftiger, die um so wertbvotler für
diese Stämme werden muss, je grösser die Anstrengungen sind,
mit denen dieselbe gegen den Einfluss fremder Völker von ihnen
gewahrt wird.
Die Schriftsteller der altern Generationen haben schon über
diese Gegenstände nachgedacht und die verständigern von ihnen
wiesen in dieser Frage noch auf eine Seite hin, die ohne Zweifel
überaus wichtig ist, nämlich dass eine geistig -literarische Ein-
heit nur durch grosse historische Thaten erlangt werden könne,
deren Einfluss vom gesnmmten Slaventhum empfunden wnr>
den sei.'
Botaen Serben (x. B. die „Straza"), niciit zugelassen wurden ; in den aeehnfc^r
Jahren {r. o.) geschah dasselbe mit den patriotischen Publicniionen der Bal-
garen, von polnischen Büchern gar nicht zu reden.
' Safatik schrieb aus AnlasB einer „gesammtalaviichen" Sprache und
Schrift schon 182G; „Welcher TOn den Blavisohen Dialekten nad welches
slaviflche Alphalipt die grsut) mit sin vi sehen sein werden, das wird nicht die
ü,g :.._.. ..Google
Die ReD&iManoe. 463
Wenn es sich fügte (auc)i unserer Ansicht nach wäre dies
ein grosses Glück für die slavischen Völker), dass dies« Eini-
gung in Literatur und Bildung zu Stande käme, so möchten wir
auch meinen, dass das literarische Bindeglied nur die russische
Sprache sein könnte — nicht nur der grossen Volkszahl halber,
nicht nur wegen der politischen Bedeutung, worin das russische
Volk der einzige kräftige Vertreter des Slaventhums ist {oder
sein könnte) — sondern vor allem aus Erwägungen, die sich auf
die Literatur beziehen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass in
unserer Zeit ein breites und festes nationales Leben nicht mög-
lich ist ohne eine kräftige Entwickelung der Wissenschaft, dass
„sich ohne Wissenschaft keine einzige Nationalität erhalten kann"
(d. i, eine, die durch eine rivaltsirende Cullur berührt wird); die
überaus complicirte Wissenschaft unserer Zeit erfordert grosse
materielle Mittel, und diese Mittel kann nur eine starke Na-
tion bieten. Auf dieser Grundlage und bei den reichen Ga-
rantien, die von der russischen Wissenschaft und Poesie schon
geboten werden, möchten wir meinen, dass das ethisch-nationale
und Bildungscentrum des Slaventhums nur Russiand sein könne
— aber dies versteht weder die russische Gesellschaft (wir spra-
chen oben von der Lage der russischen Wissenschaft und Lite-
ratur), noch die slavisclie Welt richtig, und bei der letztern ist
dieses Nichtverstehen um so entschuldbarer, als es sogar den
Russen selbst an Verstandniss fehlt.
Sonach herüben die Erfolge des russischen Einflusses in der
slavischen Welt und die Richtung der nationalen Entwickelung
des Slaventhums wesentlich auf der Stellung der Wissenschaft
und überhaupt der Bildung, der Cultur und Literatur in Russ-
iand selbst. . . .
Wenn sich die Bedingungen nicht bald ändern und nicht dir
Möglichkeit einer breiten und freien Entwickelung der nissiKclien
Bildung eintritt, so ist schon früher ausgesprochen und taucht
jetzt der Gedanke bei den Parteigängern des Slaventhums selbst
Feder euUcheiden, äaa cotsubeiilet uar da» Schwert; Stmme vou Blut wer-
den die Züge der Buuhstabeu graben — dort, wo ihrer am meUton fliesaen
werden, dort wird die geaammUlsvisohe Spraehe und das gexainmtalaviBehc
Alphabet eulKteheo" (im rechisclifn „fasopis" lfi74, S. fiSl. Vgl. die Worte
Kopitar'ii und Dolirnvskf's, eitirt von V, Lftmnnnkij im Zur, Min. Xnr. Priisv.,
1HH0, Juni. ». ätr..
...., Google
464 Siebentos Kapitel.
wieder auf, dass die slavieche Bewegung auch ohne Russland
vor sich gehen kann. Leider kann man nicht sagen, dass die
letztere Zeit zu dieser Meinung keine Veranlassung gäbe, beson-
ders da Oesterreich dem Anschein nach geneigt wird, das natio-
nale Recht der Slaven, ihre locale Autonomie und Sprache an-
zuerkennen. Eine Verbesserung der politischen Lage kann sehr
wahrscheinlich das politische und darauf auch das titerari-
sche Interesse für Russland und — für die slavisclie Einheit
schwächen. . . .
Nach diesen Phantasien über die slavisclie Einheit unter der
Hegemonie Russlands erübrigt es noch, einige Worte über eine
Thatsache zu sagen, welche den Gegensatz zu jenen Phantasien
bildet und nicht selten eifrige Anhänger der Einheit beunruhigt
hat — d. i. über die gegenwärtige Spaltung der slaviscben Lite-
raturen. Es scheint, als ob dieselbe immer mehr wachse. Eb
gab Gelegenheiten, wo selbst die Förderer nnd Enthusiasten
der slavi&chen Renaissance gegen neue Literaturen auftraten,
indem sie vergassen, dass die ganze Erneuerung des nationalen
Lebens der Slaven aus ebenderselben Quelle hervoi^egangen ist,
welche die neuen kleinen Literaturen hervorbrachte. So traten
die Oechen in dem früher genannten Sammelwerk („HIasove")
gegen die slovakische Literatur auf; so war man in Russland
ungehalten über die kleinrussischen literarischen Versuche. Ueber
beides haben wir schon früher eingehend gesprochen. Die Frage
von der Existenzberechtigung der kleinen Literaturen ist dort
undenkbar, wo das Recht der Literatur überhaupt keinem Zweifel
unterworfen wird. Wenn jene Literaturen auftauchen, so haben
sie damit schon ihr Recht; wenn die Förderer derselben die Kräfte
ihrer Nation überschätzen, so tritt dies von selbst zu Tage; eine
zwangsmässige Gegenwirkung gegen die Entwickelung derselben
Rchadet sowol dadurch, dass sie in die Stammesbeziehungen eine
neue Dosis von Feindschaft hineinträgt, als auch dadurch, da«8
sie Kundgebungen der Nationalität beengt und erstickt, die von
den ersten Förderern der Renaissance als knospende Blüten des
ethisch-nationalen Bewusstseins hocbgeschätzt wurden. Die Lite-
ratur eines grossen Volkes, die auf dem Wege ist, in die Reihe
der Weltliteraturen einzutreten, würde sich nur bereichern, wenn
Hie Hchwesterliteraturen neben sich hat, über die sie gleichwol
herrschen würde, aber durch Bedrückung derselben compromit-
tirt sie ihre eigene Würde. Die Herrschaft einer Sprache nnd
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Die RenaiBBuice. 466
Literatur muss durch die Kraft ihrer inoem Autorität erlangt
werdeo, aber nicht durch Zwang und RegieniogsmasBregelu.
Während der letzten Jahrzehnte haben sich die allgemeinen
Verhältnisee der BlaTischen Literaturen wenig geändert. Noch
immer sind ihre Kräfte zu ungenügend; wie früher droht slavi-
schen Völkerscliaften die Oefahr fremden Joches oder dieees
drückt sie noch und der Verfall der Nationalität dauert fort;
die „Gegenseitigkeit" ist schwach; jene elementaren Ziele, die
den Literaturen der sl&?i&chen Völker vor Augen stehen soUten
und in der gegenseitigen Annäherung, Uebereinstimmung and
Versöhnung liegen, siud bei weitem noch nicht erreicht. Aber
vieles ist geschehen, und Zeichen einer bessern Zukunft sind
vorhanden.
Das bedeutendste Ereigniss der letzten Jahre war der Ein-
tritt einer neuen freien Nationalität, der bulgarischen, in den
slariscben Kreis; es war dies ohne Zweifel aach eine gewichtige
Thatsache des slaviscben Bewusstseins. Zwar gibt es in diesem
Ereigniss noch Unklarheiten, es gibt darin „unenträthselte Er-
scheinungen" für fremde, ja für einheimische Beobachter; es ist
noch schwer zu sagen, auf welchen Wegen darin die slaTische
Solidarität gewirkt hat, aber sie hat gewirkt. Man muss an-
nehmen, dasB das jetzt Räthselhafte immer mehr zu einer sicht-
baren und bewussten Kraft werden wird. Von bulgarischer Seite
wirkten bei der Abwerfung des Joches und der Aufstellung der
neuen Ordnung die alten und die jungen Patrioten mit, welche
in der Kirchenfrage gelüjnpft, in der Literatur und in dfir
Schule gearbeitet, die Pläne zur Befreiung geschmiedet und sich
mit ihnen in der Emigration abgemüht hatten. Ein zweites
wichtiges Ereigniss war die Tor kurzem erfolgte ^ Erweiterung
der nationalen Gleichberechtigung in Oesterreich. Auf dem Ge*
biete der Literatur ist eine neue Entwickelung der gelehrten
Thätigkeit zn vermerken, die sich durch die Gründung zweier
slawischer Akademien — in Agram und Krakau — aussprach
und überhaupt durch die Ausbreitung der historisch-ethnographi-
schen Literatur. Die slavischen Forschungen wachsen in ver-
schiedenen Richtungen und weit mehr als früher zeigen sich
Beispiele gegenseitigen und gcsammtslavischen Studiums. Naoh
ptria, alailuhaLIMralDno. 11,». 3Ü
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466 Siebentes Kapitel. Die Heimisaance.
der ersten Generation der SlaTisten, an deren Spitze Ssfenk
als Gelehrter und Kollar als Dichter des Fanslavismas standen,
und in deren Reihen die ersten russischen Professoren der
„slavischen Dialekte" einfluesreich arbeiteten, wirkte und wirkt
eine Reihe bedeutender Gelehrter, wie Miklosich, Jagi£, Hilfer-
ding, Lamanskij, MakuSev, Kotljarevskij, Raöki, Perwolf a. a. mit
gesammtslaTischem Interesse auf verschiedenen Gebieten des
historisch- philologischen Wissens. In dem Kreise der gegensei-
tigen Forschungen erinnern wir insbeeonders an die Arbeiten
Bogi§i6's auf dem Gebiete des Gewohnheitsrechte der Südslaven,
der Gesetzgebung von Montenegro, und auf die Arbeiten Ton
KonstAntin Jire£ek dem Jüngern, der den Bulguren eine Ge-
schichte ihres Vaterlands gerade im Moment ihrer Be&eiung gab.
Nicht wenige nationale Illnsionen sind noch vorhanden, aber
die historische Erfahrung häuft sich und lehrt, sich kritischer
zur Vergangenheit und zu der gegenwärtigen Wirklichkeit za ver-
halten.
Noch sind alte Feindschaften nicht ausgesöhnt (and werden
wol auch noch lange nicht versöhnt werden), aber man kann
doch wenn auch nur die Anfänge einer noch nicht dagewesenen
Erscheinung bemerken, nämlich Versuche einer von beiden Sei*
ten ausgehenden Versöhnung zwischen zwei BruderstämmeO, zwei
historischen Feinden — der russischen und der polnischen Na-
tion, Versuche, die man nur mit den besten Wünschen begrnssen
kann, und die sich vermehren sollten in dem Verhältnis», als
sich eine unparteiische, d. i. wahrhaft historische Kritik ent-
wickelt.
Mit dem Wunsche, dass eine solche historische Kritik der
slavischen und darunter der russischen gelehrten Welt und Ge-
sellschaft die wahren Interessen des Slaventhume klarmachen
möge, schliessen wir unser jetziges Werk.
7. (19.) Juli 1880.
.y Google
Er^nznngen und Berichtigungen.'
Zum I. Band.
S. &. C. Courbiere, „HiBtoire de Ja litUrature cooteroporaine ohei
lea Slaves" (Paria 1879).
S. 12. F. MikloBich, „Die alaviBoheD Elemente im Neugriechisohen"
(Wien 1870).
S. 28. F. V. Kuba, „Sravnitelnjja etimologiSeekija tablioy slaTJan-
Bkich jaiykov" {2 Bde. St. Petereburg J877— 78. 4.)
8. 36. Die Anfübrang der weitern roaaiaobeii Arbeiten über Cyrill nnd
Hetbod, insbesondere der in den letztem Jahren encbieneneu, hat oicb
der VerfasBer für den grosaruBBisohen Theil dea Werkes (den dritten Band)
vorbehalten.
S. 39. [Z. 2 u. 3 T. u. sUtt solidarjsohe Haft 1. Oeaammtbürgachaft.)
S. 51. Watteubaoh, „Beiträge sur Geschichte der ohristlioheD Kirobe
in Mähren" (Wien 1849). — £• Dümmler, „Die paunoniacbe Legende".—
L. Leger, in seiner Schrift „Le Monde Slave" (1873), S. XXX— XXXL
S. 62. [Zeile 7 v. d. statt „sitaend an den Weichsetn" 1.: „an der
Weichsel".)
3. 66. V. Teplov, „Materialj d^ja sUtistiki Bolgarii, Frakii i Make-
donii" (St. Petersburg 1877. 4) mit einer Karte der Vertbeilnng der Be-
TÖlkerung nach Glanbensbekenntnissen. — Reisen in den slaTisohen Ge-
bieten der eoropäisohen Türkei: Bnssisohe Uebersetznng des Werkes von
Maekenzie und Irby, mit einem Vorwort von Gladstone (2 Bde. St.Pe-
teraburg 1878). — „Narody Turoii. Dvscat 16t prebyvanija sredi Grekov,
Bolgar, Albanoev, Turok i Anujan" (aus dem Engl. 2 Bde. St. Petersburg.
1679). — L. Dobrov, Jnznoe Slavjanatvo. Tnrcija i sopemiEeBtvo evropq'
akich, pravitelstv na Balkanskom poluostrovi. Istoriko-politiEeskie oCerki"
(St. Petenburg 1879). — K. Jireöek, „KnÜectvi bnlharskÄ" (im Journal
„Ost6U", 1878, Nr. 5—6). — Zum Werke von F. Kanitz, „Donaubu^nrien
und der Balkan", ist zu bemerken, dasa sieb im S.Bande eine Originalkarte
ili tat iranla*. In [ ] i<Mhlau«n< Katiien alnd hier DBr dio Ergliunngan mi^Mhellt,
dem OrlglnsliieTk beigegabm lind, und big lum Abichlo» dH»lb«n im lihn IMO
. D« Uabamtsar nlsabt«, ai dabni btwindtn luian ni dUrftu. dt « Ibm kkom mSr
wOTdan mtia. Kr aie Foliwalt etwu EnchOpfandai in bieten.
ü,f.-., Google
468 Ergänzungen und BeriohligungeD.
im Mansstab von 1 : 420000 befindet. — Während und nach den EreigniRsen
von IWIC—IH JRt in der BlaviBclieD und europäischen Literatur eine gance
Ueihe von Werken erschienen, die eich direot oder indirect anf die Balkan-
nlaven bezieben. Es würde zu weit führen, sie alle an&nzäblen, ond sum
Theil würden aie auch über den Zweck dieses Buches hinausgehen, da ihr
Hauptinteresse in der Politik liegt.
S. 67. Ä. Knnik i baron V. Rozen, „IzvMija Al-Bekri i drngich
avtorov o Rusi i Slavjanach" (St, Pet«rgburg 1878. Auf S. 118—161 Ober
die VerwandtBohaft der Chagano-Bulgaren mit den Tachnwosohen nach einem
slftvisch-bulgariBchen Imenik u. a. w.)- — F- Brun, „Dogadki kasatelno uia-
stija Rueskich v d&lach Bolgarii v Kill i XIV Btoietijaoh" (im ium. Min.
Nai'. Prosv. 1878. Deo., 227—238). — Matv6j Sokolov, „Iz drevnej irtorii
Bolgar" („Aus der alten Geschichte Bulgariens". I. Die Bildung der bul-
garischen Nationalität. 11. Die Annahme des Christenthums durch die bul-
gariBoben Slaven. St Petersbui^ 1879). ~ F. Uipenskij, „ObrasoviLnie
vtorago bolgarskago carstva" (OdesBa 1879. Zapigki NovoroaB. nniv. XXVH;
mit Beigabe von noch night publioirten Doaumenten); desselben Terfassers
bibliothekariBclie Unterauchunffen von Denkmälern der Spradie and der
bulgarischen Geachiobte im Zur. Hin. Nar. Prosv. 1878—79. — Archim.
Antouin, „Pofzdka v Rumeliju" (3i Pet«r8burg 1879. 4). AuafOliriiebe
Reoension von P. A. Syrkü im £ur. Min. S. Prosv. 1680, Juni-Juli.
S. 74. St. Novakoviö, „Bngari i njihora kitjiievnost " (im Jonrnal
„Ota6bina", 1875. 1. Jahrg. Oct., Nov. und Deo.)— [V. JagiiS, „Ueber die
Sprache und Literatur der heutigen Bulgaren" (in Deutsche Rundichan 1880^
flr. 10, S. Ö7 — 71). — Alex. Teodorov, „Povaha literomi binnoalj oavobose-
uäho Bulbarska" (in Jebnek's Slovanskjf Sbomik, 1883, Nr. 6 n. 7, S. 279— S84 ;
343—347; umfasst die literariBcbe Thätigkeit der Jahre 1877— 88).]
S. 144. Zu Paysius vergl. noch in der Abhandlung von Lamanskij,
„Bolg. slovesnost XVUI vSka" (im 2uni. Min. Kar. Prosv., 1860, IX,
107-123).
S. 150. „Gabrovako-to uEiliite i negory-tä prvy popeCiteli" (Eonataoti-
nopel 1866). — Der FrieBtermönoh Neofit von Ryl gab heraus „Opisuiie
bolgarskago svjaSCenuago monutyrja Ryl'ukago" (Sofia 1879).
S. 154. Zur Literatur der bulgarischen Kirohenfroge ffigea wir nodi
einige bulgarische und nichtbulgarisohe Publicationen hinzu: 'AkoFtdisi? ctf
Tit X6yoi Tov xüpiou £. XopaätoSiipi] (67 S. «1860. PredsUvitet' b%lganki
H. P. H. Minioglu». Uebersetznng aus dem Bolgariaohen). — Tonvanw k
fospodam predstaviteljam i nastojateljam ot brail'aki^o obibeatv* 1861,
25. Nov. (gedruckt in Belgrad. 16 S.). — Oproverzenie na vcraienieto na
velikata cfkva protiv izdadenytS ot pravitelstvotö proekty za relenieto na
bülgarskija vüproB. Perevel ot prvoobraznoto H. Mioh^lovBkij, 47 S. (gedmekt
in der Druckerei der „Makedouija"). — Okru£no pitmo svjatago bülgarokago
Bynoda küm samoBtojatelnyty pravoBlavno oerkvy. T otgOTor na okmina-
tn pntriarSeskn pisiiin küw ajiStyty cerkvy I. P. fi. (Konatantinopel 1871.
27 S.) lind dniBelbe aucli griecliisch: 'EtkuxXw? 'EtclotoX^ etc." (Konstutti-
iiopel 1871. 3ii S.|. — Izbranietu na bülgarskyj ekzaroh (Konstantinopel, in
der Ituchdruckcrei der „Mnkedonijn", 1872. 32 S. kleinen Fortnats). — Vü
ü,g :.._.. ..Google
Ergänzungen und Berichtig angen. 46d
uDvuiijata na Feuer i izverienijata ma (Konet, in deraelbeu Di'uckem,
1872. 36 S. ebenso). — „Pigmo do bülgarBkyj ekznrch" (Antim I) Vülka
NejSovk, nojftbr. 1872, Bejogln {8. 8 S.). — Ti otxoufi. itaTpwtpxeio» xtü
Dt BouXydfK üiti E. KauooxoXdßou (1874 a. 1. Die Schrift eines griecliiscbcn
Mönches vom Athos zn Gunsten der Sache der Bulgaren).
Diese Werke sowie auch noch einige andere (Bpäter auzuffihreude) sel-
tene bulgariKohe Bücher wurden dem Verfasser von P. A. Syrkü mitge-
tbeilt, einem jungen Gelehrten, der eine interessante Reise nach Balgarien
in den Jahren 1878—79 machte und von dem die Wissenschaft wichtige
Arbeiten in der Erforschung der Balkanslaven, in alter und neuer Zeit, er-
warten darf.
S. 162. Ljuben Karavelor (geb. 1834) sUrb zD Rustachuk 21. Jan.
1879. Den bulgarischen Patrioten schätzten auch die Serben sehr als Ver-
mittler zwischen der bulgariBchen nnd serbischen Intelligenz. Vgl. „Zastava",
1879, Nr. 18 und „Srpska Zora", 1879, Nr. 2.
S. 163. In der Reihe der nenera Schriftsteller ist noch zu nennen T.
Ch. Stander, dein eine Anzahl populärer Schriften sehr mannichfaltigeu
Inhalte angehört, wie religiöse und p^agogische Belehrungen, Erzählungen
(z. B. „Ru£ica et Elograda, drevno sübytie" ~ „Die Rose von Elograd, ein
Ereigniss ans alter Zeit", 1870), historische Dramen (z. B. auf die Ereignisse
des letzten Krieges), Sittenkomödien (u. a. auch „Bikonsfild, emSSna pozoriitna
igra"— „Beaoonafield, ein Lustspiel"). Kjra Petrov, Lehrer und Patriot,
der vor Beginn des Rnssiseh-Türkischen Krieges ei-mcrdet wurde, war auch
popnlärerSchriftRteller(Qber sein Schicksal siehe weiter unten in der Schrift
von Radoslavov). Nikolaus Zivkov, patriotischer Dichter. Aber der beste
neuere Dichter scheint I. Vazov zn sein: „TqgitS na Bqlgarija" („Die Kla-
gen Bulgariens", Bukarest 1877) und „Izbavlenie, sovremenni stichi" („Die
Errettung, eeitgenöss. Gedichte", Bukarest 1878).
Wir fuhren noch einen Schriftsteller der bulgarischen Protestanten an,
Andreas S. Canov, der in den siebziger Jahren religiös-erbauliche Bücher
in Wien herausgab. Von ihm ist auch „Bulgarija v istoinij vüpros" (Philip-
popel 1879). Eine belehrende Schrift übersetzte auch Frau Marie A. S.
CauoT.
Aus dem Kreise der Protestanten erschien seit den sechziger Jahren
zn Sonstantinopel eine Reihe von Schrien ähnlichen Inhalts , die sich
durch protestantischen Rationalismus und Pietismus auszeichneten: „Papa-
ta i rimsko-katolifieska-ta cerkva" („Der Papst und die römisch-katholische
Kirche") 1861; „Idi pri Isusa" („Komm zu Jesu") 1863; „ KalngerstW
(„Das Hönchswesen", Wien 1867; gegen dasselbe); „Slovo za post" („Ein
Wort aber das Fasten", gegen dasselbe. 3. Aufl. 1868) n. a.
Der Protestantismus hat viel gethan durch Erweokung des Interesses
für Bildung und Schale.
S. 163— 165. Zu den Werken Rakovakij's nennen wir noch; Bölgar-
skij vSroizpoTideu' vüpros s &nariotit£ i golimaja meCtajna ideja panelinizma"
(„Die bulgarische Glaubenafrage mit den Fanarioten und die grosse phan-
tastische Idee des Panhell eniarnns" mit gegenüberstehender rumän Ische rUeber-
setzung, kl. 4. 111 S.); „Bülgarski t§ hajduti etc." („Die bulgarischen Haj-
ü,g :.._.. ..Google
470 Ergäiuiungen und Beriohtigaligen.
daken. Ibr Aofaug uud ihr beständiger Kampf mit den Törken seit dem
TTntergaDg Bnlguieos bis zur Q^enwarl", (1. BäDdohen. Bakarest 1867.
gr. 8. 39 S.). Leider blieb es nur beim ersten Bändcheu, vo die Rede Tom
alten bulgarisohen Reioh ist; es Bellten im ganzen fünf werden und im
fSaften sich eine „ BeBofareibmig der Entwiokelang des Volksgeistes nnd
der maläDgliohem Bewegung des politiBohen Lebens von 1831 — 67" finden.
Die allgemeine Ansieht Rakovakij'B über die Bedeutung de« Hajdukenthums
ist in der Torrede kurz angeführt. [„E^nR bülgarskago jazyka. Izd»va gn
Eiro-StojanoT." (Odessa 18S0).]
S. 164. Zur Literatur der bulgariaoben patriotisehen Emigration erwibnen
wir die Publicationeu des bulgarischen Ceotralcomil^: „La Bulgarie devant
l'Europe" (Jass; 1867). — „Les plaies de la Bulgane" (Galatz 1867. T^. SUv.
Zarja, 1867, S. 179). — „UstsT na b%lgarskijat revotjuoionni oentrftlni komi-
tet" (Genf 1870. 21 S. kleines Format). Der Zweck des Comit6 ist, „Bul-
garien durch eine Revotation la befreien, moralisch und mit den Waffen in
der Hand". — B«lgarski glas". Ot B. R. C. K. (d. i. vom Bnlg. Revol.-
Centr.-Comite, Genf 1870. 8. 24 S. Aufruf zur Befreiung).— AL A. Cer-
nev, „RusCuSkite ttmnici ili bnlgM-skata revolueya nal667-a godina" (Bu-
karest 1876. kl. a 142 S.) lieber das H^dukenwesen: N. D. Eozlev,
„Istorija naHegdut Siderja i na n^ovut bivolGolja. Po narodno predwaie"
(Odessa 1876). — Endlich erwähnen wir noch die interessante Schrift von
R. Radoslavov: „SIMstvija ot Krimejskata vojna na 1S&4— 56 god. Za
pamjat na 1676 god. po vüstaaieto t Tmovakoto okr^ie, opisanie naTmov-
skytS tmnicy" (Tmovo 1878. kl. 8. 73 8.)
S. 165. Die Biogntphie M. S. DrinoT's im 5eaL „Svätoior", 1877,
Nr. 21.
S. 171—172. Statt Brüder Miladin 1. Brüder Hiladinov.
S. 178. Es scheint, dass schon vor Erscheinen des „Veda" Proben vun
Liedern daraus nach den Mittheilungen von Johann Safarik und Doaou in
dem Buche von Alb. Dumont („Le Balkan et l'Adriatique". 2. ed. Paris
1874, S. 164—173, 878-380) gegeben worden sind. Der dem Slaventhum
gewidmete Tbeil des Buches ist übrigens sehr oberflächlich. Geitler'i
Buch über die ganze Sammlung von Verkovic haben wir oben erwähnL
Wir nennen noch die Broschüre: Dr. Fligier, „Ethnologische Entdeckun-
gen im Rhodopegebirge" (ans „Mittheil, der Anthropol. Gesellschaft in Wien",
IX). Die räthselhafte Frage dürfte der neue Band von Liedern rar Ent-
scheidung bringen, welchen Terkoviä in St. Petersburg herauszugeben ge-
denkt. [Er ist inzwischen erschienen: „Teda Slovenah. Obijadni pesni ot
jaaiEeako vremja. IJpazeni so ustno predanie pri Hakedonsko-Rodopdd-te
Bülgaro-Pomacl Sobrani i izdani Stefanom II. Verkoviäem. Knig» IP*
(St. Petorabu^ 1881. 8. XVI, 583 8.).)
Zu den Werken des letztem fugen wir noch hinsu: „Opisanie byta
Bolgar, naselji^niCich Hakedoniju" („Beschreibung des Lebens und Wesen*
der Bulgaren, die Macedonien bewohnen" (Moskau 1868. 46 S.; ans den
„izvestija'' der moskauer Universität).
S. 180. Zur Volksliteratnr erwähnen wir noch: vier „bulgariicbe Volki-
märcben", die sich von der Sammlung der Brüder Miladinov erhaltMi babm
.....Gooj^lc
ErgänzuDgen und Beriobtigungen. 471
nod vou K. ^(iiuifoT) (in den Voronezer „Filolog. Zapiaki" 1866, Heft
4—5, ä. 85 — 92) mitgetheilt sind. — Zboruik ot razni bülg&rsk; uarodni
prikuky i piam. SübraU i izdali 0. U. N. LaSogln, N. M. Aatardziev
(Rastiobok 1870; zorn Theil bekannt«, Enm Tbeil neue). — TonCo M»ri-
DOT, „BlgKraka narodni gatanki. Blgarska m^drost" („Bulgarisohe Volke-
räthiel". I.Buch [BroHcböre]. Sofial879), dem Fürtten Uoiidukov-Korsakov
gewidmet Bemater befinden nah vom VerfasHer selbst gefertigte Bäthsel,
die jedoch glüeklioberweiee am Ende des Bnchee als solche bezeichnet sind.
— Wir erwähnen noch UebersetzDngen in die Eeehische Sprache von Joa.
IIole£ek, „Jnnäcke pisnf närodu bulharBkeho" (Frag 1875; PoeBia BvStovä
Tni) and in deutscher Sprache von 0. Rosen, „BulgariBohe Volkedichtun-
gen. Gesammelt und ins Deutsche übertn^en" (Leipzig 1879).
S. 181. Die Befreiung hat in Bulgarien eine belebte Thätigkeit, eine
grusES Oämng der gesellsobaftlichen Elemente hervorgerufen, die sich in
der Literatur, vonüglioh in der politischen Zettnng^presse ausspraeh. Die
alten Arbeiter bekamen freie Hand, es traten neue auf: viele Zeitungen
wurden gegründet, die zum Theil bald wieder eingingen, zum Theil sich
aber auch hielten. Wir führen die hauptsäehlichetea an: „Bolgarin" („Der
Bulgare"), gegründet in Ramänien, erscheint in Rustschuk; die „Marica",
1878 von DanoT gerundet, ersaheint in Philippopel-, die „CSlokupnaja Bol-
garija" („Das gesammte Bulgarien") wurde von Slavejkov in Tmovo, später
in Sofia heraasg^eben, bat aber zu erscheinen aufgehört; der „Osten", („Der
Stachel") eine satirische Zeitung, enohien einige Monate ebenfalls von Slavej-
kov iuTmOTO zur Zeit der Nationalversammlung (Sobronie) und ist interessant
f3r die Qeschichte derselben; die „Vitola" erschien iu Sofia; der „Bolgarskij
Glas", ebendaselbst; der „Naroden Glas" („Volksstimme") von Man&ev, er-
soheint noch in Philippopel; die „Bolgarskaja Illjustracija" 1880— 82 inSofi«.
T. H. Stantev, Lehrer an der Hauptsohule zu Tmovo, welcher 1872—73 ein
geistliches Jonmal „Slava" herausgab, be^nn 1879 den „Slavjanin, naroden
list za naaka" („Der Slave, Tolksblatt fSr die Wissenschaft") herausii^ebeti.
P. L Bleskov gab 1877 — 78 „Slavjansko bratttvo, politiGesko-literatnmo spi-
sanie" (,JKe ilavisohe Brüderlichkeit, eine politisoh-literarisohe Zeitschrift")
heraus. [Eine Monatsrevue „Nauka" erscheint seit 1881 in Philippopel.
1882 emenerte V, Stojanov in Sofia das früher von ihm in Broila heraus-
gegebene „FeriodiEeeko Spisanie" zur Ei-forschung der heimatlichen Sprache,
Geschichte, Ethnographie. „Seljanin" („Der Landmann"), eine Wochenschrift
des Priesters Ignaz von Ryl seit 1879. „Dacbovnoe Citanie" („Geistliche
Lektüre"), eine Uonataschrift des Bischofs Clemens Braniokij von Tmovo,
seit 1881 u. a.]
Es ersohienen populärgesohichtliche Bücher, wie die bulgarische Ge-
schichte von T. äiikov; „Rossko-tnrska vojna 1877—78" („Der Russisoh-
Türkisohe Krieg 1877—78", Skizzen und Erzählungen. Tmovo 1879) von
S. S. BobCev, der auch russisch schrieb: „OEerki ie bjta Bolgar" („Skiz-
zen aas dem Leben der Bolgareu", Russk. VCstnik 1879).
Die politische Frage zwischen den Serben und Bulgaren über Makedo-
nien und Oberalbanieo, nämlioh welchen von beiden die Bevölkerung dieeer
Länder angehört, ist erhoben, sowie Fragen der Geschichte und Ethnographie.
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472 ErgsnEnugen und Beriohtigangen.
DshiD gehören dieBÜchur: De«pot Badiovic (aus HskedoDieii), nEojoj do-
veoskoj griiDi pripadigu Sloveni u Gor^joj Albudji i Hskedoaiji" („Zu wel-
ohem alavisoben Zweige gehören die Slaven in Oberalbaniea nnd in Hkce-
donien", Belgrad 1878. 48 S.). — Dim. Alekeijevic (aas Raotoka bei
I>ibre), „Staro-Srbi" („Die Altoerben", Belgrad 1878. 48 8.). Indem «e
zDgeben, dau ein gewiasea QoBDtnin bulganBober Bevölkenmg ia diesem
Lande Torhanden ist, finden beide Sohriftsteller, dass die Benohner diMea
Landes eine besondere Gattung von Slaven bilden, die sowol der Gesohiohte
als der Ethnographie naeh zu den Serben, aber nicht £o den BnlgtireD
gehört.
Dem Dialekt nach verzeiohnen wir die Bücher: „Qolim« bülgaraka
Eitanka ili vtora-ta 6jast na biilgarskyjt bukraf, na nar^&ie po-vraxnmitelno
za Makedonskyti Bülgory. NarSdil Edin Makedoneo" („Grosses bnlgtrischoa
Lesebuch n. s. w., in einem den makedonisohen Balgaren verständlioben Di»-
lekt", faerauBgegebeo von Andreas ÄnastasoT Bfaeneo. KonaiantiDopel 1868);
,^ratko zemleopisanie" („Kune Geographie", KonHtanlinopel 1868; in dem-
Beiben Dialekt und von demselben Herausgeber).
Uebcr das neue Bulgarien Tgl. NemiroviE-DanÖ enko, „Poslö vojtty"
(„Nach dem Kriege", St. Petersburg 18S0).
S. 184. Die Artikel von N. Popov: „Serbija posIS parUslotgo mira"
(in „Beseda" 1871, Heft, VI, S. 165-224); „Serbija i PorU v 1861—67 g."
(im „VSstnik Evropy", 1879, Heft 3—3).— Jastrebov (ehemalieher msai-
Bohar Consnl inPrisrend), „Podatoi ta istoriju srpske orkve" (Belgrad 1879;
sehr wichtige Beiträge zur serbischen Kirchengesohiohte). — Frhr. v. S oh v e i -
ger-Lerchenfcld, „Bosnien, das Land und seine Bewohner, gesohicht-
lioh, geographisch, etlinograpbisoh nnd aooialpoli tisch geeohildwt" (Wien
1878). — Arthur J. Evans, „Illyrian Letters" (London 1878). — üeber die
Serben in Ungarn s. J. H. Schwicker, „Politische Geschieht« der Serben
in Ungarn. Nach arohivalisohen Qnellen dargestellt" (Budapest 1880. Die
Geschichte derselben seit 1690, d. h. ihrer Einwanderung, bis 1193). Tob
demselben Schwicker ist die deutsche UebersetEUng «iaes Bnobes von Hon-
falvy: „Ethnographie von Ungarn" (Budapest 1877), wo sich Naohriohten
über die Serben, Bulgaren, Ungarn und die Slovaken finden; und das Buch
Eillay's, „Qesohiohte der Serben" (Budapest 1878). — Gavr. Titkovic,
„KritiEki pogied na proilost Srba u Ugarskoj" (im „Glunik", 1870—71).
S. 218. Zur Geschichte der Kroaten: I. N. Smirnov, „OEerk istorii
ohorvatskago gosodaratva do pod5inenija ego ugorskoj koron& Istoriöeskee
izsISdovanie po istoEknikam" (Kaaan 1880).
Zur Literatur: Meloh. Luoiauoviä, „Storia della letteratnra slavs
(serba e oroata) dalle origini fino ai giomi nostri'l (1. Bd. Spalato 1880l
Dieser Band umfasst die alte und mittlere Periode der serbisch-kroatisohcB
Literatur). — Femer ist noch nachzutragen S. Ljubic, „Ogled&lo kujüevne
poviesti jugoalavenskc", II. 1869.
S. 228. Z. 12 V. u. statt Ka£ic 1. EadCic.
S. 230. Vgl. A. N. Veeelovskij, „Chorvatekna pCsni o Radotlav«
Pavlovice i italijanskija poemy o gn^voom Rado" (im „Zum. Min. Nar. Protv."
1879, Januar).
ü,g :.._.. ..Google
ErgänznDgen n&d Beriohtignugen. 473
S. 248' Ueber das Geditsht Gunduliü'g die Uulerflachang toh Romiui
Brandt: „latoriko-litersturnfj nzbor poemy Ivuna Gundulida oObidui'"
(Kiew 1879); vgl. noch über die CompoBitiou deg „Oamui" die Abliuidlaiig
TOD Lukas Zora im „Rad", 1877. Bd. XXXIX. Eine Ergänzung zur Er-
kläruDg des „Oaman" von 8t NoTakovi«, im „Slovinao", 1879, Nr. K.
S. 249. „Dubromik ponovljen, epos n XX pjevanja i Oidone tragedija
Jaket« Palmotiöa Gjonoriäa", heran Bgegeben vom Buchhändler Prettner (Rm-
gnsa 1878).
S. 260. Trtiö. Pjesme Fraige Ereta markeza Frankopana, kneza
trSaGkog». Icdao Ivan EoBtrea6iö (^ram 1871.)
Frankopan var der letzte Abkönunling dieses Getchlechti. Seine Sobwe-
■ter, Anna KathartDa, eine geistvolle Frau, wkf die Gemahlin Peter Zrinyi's
und int all kroatiaehe Sobriftatellerin bekannt. Frankopan kam gemeinsam
mit Zrinyi vma Leben (hingeriobtet tu Wien 1671, 30 Jahre alt). Seiuo
Gedichte lyrieehen und besondere erotiBoheD Inhalts zum Theil in der Form
Ton Yolkstiedem sind nicht bedentend, als Naohshmungen von Italienern,
aber historisob merkwürdig; rie sind in kroatisoh-slavonisohem Dialekt ge-
BohriebeD.
S. 262. Z. 6 V. a. statt Lovrenliiä 1. LaTreniSid
S. 269. £. GaokeviE, „^isn Dosifeja Obradoviäa po ^o avtografii i
razbor ego proizvedenij so storony jazyka i soderianija" (in den „IzvesUja"
der «araekaner Universität 1879, Nr. 6—6).
S. 277. |Z. 21 V. o. statt VegeUö 1. Veziliö. Z. 19 v. u. statt Simi6
L Simi.!.]
S. 986. Die Meinung Safiüik's (1822) gegen die Schroffheit der Vnk'-
Bohen Keform in der Correspondenz mit Kollir im „öatopis" 1873, S. 124.
— Wir luhren noch die Abhandlung von Ljubea Karovelov an: „Vnk
St. K»radäi6 in den Voroneier „Filolog. Zapiaki", 1867, I, 1—16; früher
nooh der Artikel von Jagic: „Zasluge V. SL Eanuiüda" (Agi-am 1864).
Nor nach Cilaten ist uns die Broschüre bekannt: N. Rozen, „Tuk St.
Karodiiä" (Belgrad 1864).
Naoh den Materialien Karadiiä'e erschien: DeatBch-aerbiaohe« Wörter-
buch" (Wien 1877).
S. 288. Luoiau Muiioki und seine literarische ThLtigkeit bilden den
Gegenstand einer Abhandlung von Dj. Rajkovid im „Letopie" der aerbi-
Hcben Hatioa, 1879, Bd. ISO. 1877 wurde in Serbien der hundertjährige "^
Geburtstag Muiicki'a gefeiert.
S. 288. A. Had£i<!, „Matica srpska (1826-76)" (im„Letopis" der H»-
tiea. Ebend. 1880; zur funfrigjährigen Jnbdfeier des Inatituta). Im „Le-
topia" erschien auch eine Selbstbiographie Sava Tekelija's. S. auch J,
Subboti«, „2ivot Save Tekelije" (Ofen 1861).
S. 994. Svetialav Tuloviä, „9ima Milutinoviö Sarajiija pssnik srpski"
(in (inpid'B „Ooditnioa", U. 280—848).
S. 297. Die Bit^:rephie Zm^-Jobann Jovanovid (geb. 1888), den seine
Landslente in die Reihe der besten gegenwärtigen Dichter der Serben stel-
t^n, ja aogOT für den ersten lialtcn, im Journal „Srpska Zora", 16T9, Nr. 1,
Eine Samnilnng seiner Werke erschien kürslioh in Neusatz.
...., Google
474 ErgünzuDgen und Beriobtigimgen.
In der neaera und gegenvärtigeo serbucheu Journftlistik «tod die popa-
Uraten Nameo: Jftk. Igi^atoviö, Milorod Sab5snin, Georg Jakiid (ualüigBt
geatorbeu) und Steplua Hitror Ljnbiia. Der letitere, 1878 geotocben,
begann erst gegen Ende aeinei Lebens za schreiben und erlu^^ durch
seine Erzählungen Mii dem Leben nnd der alten Zeit der Cmogoren und
Dalmatiner (.J'ripoviesti omogorBke i primorske", Bagnea 1876) eine grooae
Popularität nioht nur bei den Serben, sondern auch bei den Kroaten, die ihm
aus politisoheu Gründen nicht besonders gewogen waren. (Nekrolt^ im
hroatisoben^Vienao"; Eriunerui^ von Theodor Stefanovi^ Tilovaki im „SIbt.
Älmanaoh", 1879). Eine Beihe ErEählungen von Ljabüa wurde in den letz-
t«u Jahren in der Srpska Zora gedraokt.
Ausserdem geniesaen mehr oder weniger Popularität die Ersählnngen
von Stephau V. Fopoviü („le srpskoga iirota" — „Aas d^n aerbiachen
Leben", Neusatz 1880 — ans der ehemaligen Vojvodina), Panta Popovic,
Viadan Djordjeviö (Ojorgeviö) („Sknp^ene Fripovetke" — „Gesammelt«
Eraählnngen", 2. ÄuH., 1879), Lata Kostid.
Die Gedichte („Peame") von Branko RadiSeviä ere«^enen in 6. Aufl.,
1879. Erinnerungen an ihn in „Srpska Zora", 1879, Nr. 3.
S. 298. Ueberselsung des Bnofaes von Dm. Milakorie, „Storia del
Montenegro del oavaliere Dem. Milakoviu, tradozione de G. Ang. KaznaCic"
(Ragnaa 1B79).
Berichtigong: V. Petrovie, „Istonja 0 Cemoj Gorä" ist nicht 1854,
sondern 1754 erschienen.
S. 302. Noch eine kurze Biographie von Peter IL von Tuk Vr£evic
im Journal „Slovinac", 1878, Nr. 7. — Briefe Peter** II. in „Ötoiija'' der
Moak. GeseUsohaft der Getoh. u. Alterth., 1847, T. Heft, Vermiaehtet, 8. 31
—dS; in der Correspondenz von Stanko Vrax; irgendwo in der „Knaskaja
Starina".
S. 304. Jov. Sandetii!, „2ivot i rad dra Boiidara Petranovica" (Ra-
gnsa 1879; aas dem Joornal „Slovinac"). — Eine knrse Biographie Bas's
•/ im „Slovinao", 1879, Nr. 17.
S. 80&. Auf Bosnien beziehen sieh folgende durch die Ereignisse n
Ende der eiebEiger Jahre hervorgenifene Sohrifteu: „Bosna je srpska ili
odgovor na aRazgovore» Don>Mioh. Pavlinovida i dva pisma proC A. A-
Migkova o Bosni" (2. Aufl. NensatE 1878). — L. Potroviö, „Krvavi dam
u Bosni. latiniti dogad2«j iz srpsko-tnrskog rata", 1878. — Vasa Pelagic,
„Istorija bosansko-hre^ovaoke bone a «vezi sa srpeko-i nuko-tunkim rn-
tom" (Budapest 18S0).
S. 811. Von St. Novakoviö ist noeh eine Baih« wichtiger und inter-
Ms^ter Arbeiten erschienen: „Srpska Granatika" (L 3. 1. TU. B«lgnd
1879); Forschungen aber die hiatorisehe Geographie Serbiens (in ÖBpic*!
„Godünioa"); über DaniJHo'a Plan einea serbitoh^kroat. Wörterbmdu (im
„Rad", I87a XLV); „Pripovetka o Aiekaandrn Velikom" („Die Alexand««^
sage", eine serbische Bedaotion derselben. Belgrad 1878); „Ledian grad i
Poljaoi n srpskoj naroduoj pojeiiji" Uy^'^ Burg Ledian und die Polen in
der serbischen Volkipoesie", im „Leiopii" der serb. Matica 1879, ISO. Bd.
Vgl. darüber in „Pifana kPogodinn" den Brief SafaHk's 11,892). „Ein Bw-
ü,g :.._.. ..Google
ErgänzniigeD und Beriohtigungen. 475
trag Bur Iiiteratnr der aerbigolieu VolkipoMie" in Jftgi6 „Arohiv", 3. Bd)
H. 3t2. Milan Mi1i6eri6 gab in den letiten Jahren noch einige Werke
neuer Art heraus: „JnnnuB i Fatima ili tunka sila aama sebe jede" („Jur-
noB und Fatima oder die lürkiBohe Uaobt lehrt iiioh selbst auf. Eine Eo
lähtong aus der Befreiung der sechs Kreise, 1832—31", Belgrad 1879 und
„Zinini Veteri" („Winterabende. ErxHhlungen ans dem Volksleben in Ser-
bien" Belgrad 1879; sie wurden von der serbi sahen Kjitik mit grouemLob
aufgenommen). Femer „Selo Zloselioa u. a. w." (Belgrad 1880; der Ver-
fasser berührt darin die nationalpoti tische Frage).
Die Biographie Müiieviö's im .^vätosor", J878, Hr. 7.
S. 912. Die Biographie Öedomil Mijatoviö's, Nationalökonom und
Historiker (geb. 1842), in „Srpska Zora", 1880, Nr. 1.
S. 334. Ueber Giq s. noch: „OUcr3ftoe pümo doktoro G^a k M. P,
Pogodinu i dokumenty k nemu" („Offenes Sendsehreiben Gafs an Pogodin",
iu Sovremeuniga LGtopiä 1867, Nr. 21. — N. Popov, „Ljudevit G%j vRossü
V- 1840 godu" (in Drevn. i Novsja Rossija, 1879, Hr. 8).
8. 326. I. Mazuranid's „Smrt Smail Öengiäa" nusiach von A. Luk-
janovskij unter dem Titel: „Cemogore; ili smrt Smail-agi Cengiöa"
(Pskow 1877).
S. 881. Eine kurze Biographie von Anton von Kaznatic (1781—1874)
im „Slovinao", 1879, Hr. 14. Dessen „Pjesme raziike" („Versohiedoue Lie-
der") mit Biographie erschienen bei Frettner (Ragasa 1879.
S. 833. Eine kurze Biographie Preradoviö's im „Slovinac", 1879,
Nr. 16.
S. 335. Ceber Eugen Kvatemik, die Geschichte seiner Abenteuer in
der Zeitung „ZasUva", 1878, Nr. 55— Ö6.
S. 337- Ueber die kroatisohe Bewegung vgl. noch „Hrvati od Gaja du
godine 1S50" („Die Kroaten von Qfy bin zum Jahre 1850") von Ivan Hü-
tet i 6 und „Hrral^a narodna zadaSa" („Die nationale Aufgabe der Kroa-
ten") im Atmanach der kroatischen Omladina: „Hrvatsld Dom" (Agram
1878, S. 162—207 u. 234—242).
8.339. Die Biographie Jagiä'a im Seehisohen „SvStoior", 1877, Nr.44;
im dalmatinischen „Slovinac", 1880, Nr. 10. — Eine knne Biographie F.
RaEki's im „Slovinac", 1879, Nr. 11.
S. 342. Einige ergänzende Worte Aber die serbJsoh-kroatisehen Pobli-
oationen. Bei den Serben kam seit 1878 die wiasenaohaftliohe Publi^tion
„Godi£nica" hin2ni, herausgegeben aus einen Fonds, den Cnpiä sn Unterneh-
mungen der Wissensohaft und Bildung vermacht hatte. Die illuHtrirte
,3rp«)» Zora", herausg^eben von Theodor St Vilovaki seit 1876, verfolgt
nnter anderm die Neuigkeiten der andern slavischen Literaturen. Seit 1880
wnrde von Viadan Djor4jevi6 (Gjoi^eviö) die Herausgabe dee wissenachaft-
lich-Uterarischen Journals „OtaCbina" in Belgrad emeuert. Es wurde die
unabhängige Zeitung „Videlo" und seit 1878 eb Neusatt das freisinnige
Journal „Straia" nnter Kedaotion von L. Pa5n gegründet.
In Dalmatien, so Baguta, erscheint der „Slovinac", worin sich neben
lateinisoher Dracksohrift aaoh die cyrillische £ndet: er bildet einen Sammel-
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476 ErginzuDgen und BeriulitiguDgeii.
pnnkt der lerbisub- kroatischen Kräfte in DKlnwtiai, unter andern finden
BJoh darin viele Arbeiten von SuDdeCi6.
Bei den Kroaten ist die beste literaritche Zeitung die Wocfaenachrifl
„Tienac", deren Sedaoteur August Seiioa filr den besten kroatisohen No-
Tellisten gilt. — 1876 wurde die bemerkenawerthe poHüiohe Zeitung ^to-
boda" g^^adet. — Zu den «isMDsohafUiohen kam der „TSatnik" der kroa-
tisohen ArohiologiBohen Gesellaohaft in Agram hinia. Die Akademie nhrt
eifrig mit der Herauagabe ihrei „Rad" fort; die „Honnmenta" f3r sSdila-
rieche Gesohichte erseheinen weiter.
Das Streben nach einer Versöhnung zwisohen den Serben ond Kroaten
nimmt nicht ab. In dieaam Sinne wurde unter anderm eine interecsante
BroBOhöre geaohrieben: „üpoznajmo sei" („Lernen wir uns gigeiieeitig ken-
nen" von Elias Guteia. Agram 1860). Wir bemerken bei der Gelegenheit
Booh die schönen Verse von Zmaj Jovanoviö snm Andenken an Freradovid
S. 846. Die erwartete Ausgabe «erb o-kroatisoher Lieder aas alten Hand-
schriften ist 1878 TOQ Bogiiiä besorgt worden: „Narodue pjeame ir eta-
rijich Dajviie primorskih zapisa, sknpio i na srijet iidao B. Bogilif (1. Bd.
mit einem Bericht über die „Bngaritioe" und mit einem Wörterbuch. Bel-
grad 1878, 142 u. 4S0 S.) — ein reioUudtiges und in hohem Grade wich-
tiges Werk.
S. 864. Kurze biographische Naohrichten über Grgo Marti£ ün Jonmal
„Slövinao" 1878, Nr. 10.
S. 365. Zeile 12 sUtt BajaeeTi6 I. BadiSeviä. — Die Kosovo-Lieder
worden vor kurzem ins Grieohiscbe übersetzt von Kuroanndi und Achill
Farasohos; doob war uns das Buch oiobt zur Hand.
S. 866. Den Liedern fiher die Kosover-Sohlaoht hat .Stojan Novsko-
vic eine historische Forsohung gewidmet: „Srpske narodne pesme o boja
na KoBovn" („Die serbischen Volkslieder über die Schlacht anf Kosovo" in
Cupid's „Godiinioa" 11, 97 — 177, und in Jagiö's Archiv, IH, 418—462, —
gegen die obengenannte Schrift von Annin Pavid gerichtet).
Wir führen noch an: „Pesme narodne. Sknpio i izdao HUoi Hilosav-
leviä" („Volkslieder, gesammelt und heran^egeben von ", I.Tbl. Bel-
grad 1869). Im ganzen 104 meist kleiner Lieder. Die Sammlung ist da-
durch merkwürdig, dass die Lieder anssohliesslich ans dun östÜDhen an die
Bulgaren greuEenden Serbien gesammelt sind.
Wir nennen endlicb die reiche Sammlang südslsvisoher Volkslieder
(oämlioh serbo-kroatischer und einiger bulgarischer) von F. KahaiS, „Jngo-
stavenske narodne pjesme" (Agram 1879 u. fg.) mit Melodien (im ganzen
gegen 1600). Der Text ist in englischer und lateinischer Sehriift
Material znr Volkspoesie theilten im Journal „Slovinao" mit Yak TrSe-
vi£, Vid Vnleti6 o.a.
Ueber die Eigensohaft der antiqnarisohen Arbeiten Milojevif'e gibt in-
tereasanU Erklärungen die Schrift vonVelitkc Trpiö: „Uiloi S.Hilojevi^
u Prizrenu i njegovoj okolini", („M. S. Milojevi6 in Pritrend und in seiner
Ümgebnng". Belgrad 1680).
S. 368. Eine ausffibrliche Biographie Bogiii£*s und Anbählnng seiner
Werke im eeobisohen „Sv6tozor", 1879, Nr. 89—40.
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Ergänsüngen und Beriehtifraiq;en. 477
S. 869. [Sunnel SinKer, „Die Sloyenen" (in „Unsere Zeit", 1883,
Heft, 12, S. 876—891; mit überaetsteu Proben aus sloves- Dich tarn nnd der
■loven. Volkspoesie).) Du beate sloveniaohe Lexikon ist dai „Dentaeb-
■loveniiabe Wikterbuoh" (2 Bde. Lftibaoh 1860).
S. 374. [F. Herrn. Me;er, „Primus Trüber, Haus Freih. v. Uognkd
und Genossen" (im „Archiv für den deotsohen Buchhandel", VlI, 62—100),
behandelt die gesehätitlicbe Seite der würtemberger UoteruelimuDgen, in
Bezug auf Herstellung der Manosoripte, Beschaffung der Geldmitte), Druck
und Vertrieb dar BQoher.]
[Berichtigung. Z. 14 v. n. statt Mar6evi£ 1. MerGeriG.]
S. 383. PreEeren'a Biographie im „Svetozor", 1878, Nr. 50 und im
„Srpska Zora", 1879, Nr. 6 auf Ornnd von Biographien, welche die sloveni-
schen Sdiriftsteller J. Stritar und F. Leveo übersetsten.
S. 384. Eine Biographie Bteiweiss' im „Bvetozor", 1878, Nr. 46 and in
„Srpska Zora", 1879, Nr. 3.
S. 888. üeber Kopitar führen wir noch an: Erinnemngei) an ihn in
der Correspondenz äelakoTSkJ's, „Cuopii", 1871 (ein Brief von StankoVraz,
3.2S8 — 229); äusserst feindselige Aenssemngen ^afsHk's in „Piima k Pogo-
dinu", 2. Bd.; die CorrespondonE DobroTskJ's mit Kopitar in Jagid's Archiv;
einige Briefe Kopitar's im Geohisohen „Öaeopis", 1872, in Kskuljevid's Ar-
kiv, XII (1875); ein Artikel von DJ. IUjkovi6, im Journal „Bipska Zora",
1879, Nr. 4 — 5) nnd die Artikel Lamanskij's über die neuem Denkmäler
der altSechischen Sprache im ^nm.Hin. Nar.Prosv., 1879, and insbesondere
der Artikel im Jnniheft 1630, der uns die gerechteste Würdigu)^ des be-
deutenden sloveniaoken Gelehrten lu sein soheint.
S. 399. Später erschien auch der 2. Bd. des Sammelwerke von Öubinskjj,
sodass dasselbe vollendet isL Er empfing den Uvarov'sohen Preis auf eine
Beurtheilung A. N. Veselovsky's.
S. 400. Ivan Noviokij, „OGerk istorii krestjanskago soslovija jugo-
Eq>adnoj Bossii v XV— XVHI vSkg" (Kiew 1876; das Vorwort cum 1. Bde.
des VI. Theils des „Archiv jogozapadn. Bossii").
Zur Sprache: (Eng. Zeleohowski, „Malomsko-nimeakij. slovar —
Rathenisch>deutaohes Wörterbuch" (Lemb»]^ 1882 u. f.).]
S. 401. H.A. KolosoT, „Obsor tvtdcovjoh i formalnych osobennost^
narodnago mssk^o jazyka" (Warschau 1878. S. 253—266 Sohlussfolgemngen
über die Besiehungen des grossnissisohen zum kleinmsaischen Dialekt). —
Emil Ogonowski, „Studien auf dem Gebiete der nithenischen Sprache"
(Lemberg 1880).
S. 404. Jar. Vlaoh, „Die ethnographischen Verhältnisse Südrusslands
in ihren Hauptepochen" (in den Denkschriften der wiener Getq^phisohen
Gesellschaft 1880). Der VerÜMser hatte den Artikel nieht snr Hand.
• S. 425. (Z. 9 V. o. sUtt von Sanok 1. Sanockij.)
S. 425. [Z. 13. V. o. statt Qearg L Gregor (d. i. Grigorij).]
S. 446. Die neue Ausgabe des Samovidec ist nachträglich erschienen;
„LStopid Samovidca po novootkryt^m spiskam, s priloieniem treoh malo-
rossgekich Chronik: Chmelnickoj, «Kratkago Opisanija Malorossiiu i «So*
branija IttoriGeskagoo. Izd. Vrem. Kommissieju etc." Kiew 1878. 81a.468S-
ü,g :.._.. ..Google
478 ErgftniniigMi nod BeriolitiKniigen.
S. 462. Ueber du »Ite kleinnuilMlie Dmna Btehe die nm&ngreiobe
Abhandlung von N. I. FetroT: „JnjDornBiktqa litorfttorB XVlil vElm, prai-
maKeitvenoo dratnfttiliesk^a" in „RiuBk. V^tnik", 1880, Mai □. %.
8. 463. Ueber die Memoireo ^epa's Biebe bei Bantyi-KuaeoBkij, lator.
Maloj Boseii, 2. Anfl. I. Bd., VIIL
S, 471. Am 1& Not. 1878 wnrde tu Charkov, Kiew and St Petersburg
das Andenken an den l^yndertjälirigen Geburtstag Kvitka'a gefeiert. Ueber
die Festfeier in Petersburg ■. „Novoe Vremja", 1878, Sa öov.
S. 483. In der prager Ausgabe von äevEenka'e Werken finden sich
auch EriDnerungen an ihn und an die Brüdencboft des h. K;riU und Me-
thod von N. 1. Eostomarov.
Tgl.nochOraetjan(£mil)OgonoTskij, „2ite Tarasa ^vCenka. Cituik»
dlja aeljan i miiCan" (Lemberg 1876; eine Brosohflre); V&c«lav Dunder,
„Taras ^vCenko" im Journal „Oavita", 1872, Mr. 9, II; „Pominki T. G.
^vCenka 25. fevr. 1879 goda v Odessf. Sofit. A. T." (Odessa 1879).
S. 487. Ueber die Bit^raphie Kostoinarov'B vgl. noch in ,4't^rqa Pe-
terb. Univerriteta", 186a
S. 499. Nekrolog Alexander Storoienko's in „Odessk. TSatnik" und in
„Pravda", 1875, 622—524.
8. 514. KostomaroT, „Die historische Bedeutung der eüdrusa. Votke-
poesie" — eine Artikelserie rrassisch) im Journal ,^ee$da'*, 1872; »Die G«-
Bohiobte des Kosalcenthums" ... in der sfidmss. Tolkspoesie (ruiaiach) im
Journal „Russk. Myal", 18S0, eine It«ilie von Artikeln.
3. 618. Alfred Ramband, „L'Ukralne et les ohaDions historiqnes",
in Revue d.d. Mondes, 1876. IX.— A. Chodiko, „Lea ChenU hiatoriqMs
d'Ukraine et les ohansons desLatyohes dea bordes de laDvina oooidentale''
(Paris 1879).
S. 519. (Z. 1 V. n. statt MaksimoriS L Maksimov.]
S. 630. K. L. Knatodiev, „Iz istorii rKtoikrovanij avetr^kiob SIa-
vjan. Posolstvo ugorskich Russkiok v Y^6 v 1849 godn", in „Rnsak. Viat-
nik", 1872, Nr. 4, S. 377—407.
S. 686. Zur Bestimmung der Beziehnngen der Rassinen und Polen cn-
einander finden sich wichtiges saohliohes Material and Urtbeile suisinmen-
gestellt in der Sehrift: „Polityka Polaköw wzglgdem Rusi. üapiaat Stefim
Kacsata" (Lemberg 1879. 867 S.)
S. 536. Die Abkiudlui^ HoUvackij'e „0 pervom literatumo-nmstven-
nomdvUenii etc." (deutseb in „SlaT.Ceiitralblatt",1866,Nr.87— 40); diewlbe
rassisch aus dem Deuteohen von N. Bnnakov in „Filol. Zapiski", 1867.
S. .')61. Zn denen, die geistliche Werke nnd Predigten verfanten, ist
noch 0. UinileviE binmiuf^gen.
S. 612. [Anmerk. Z. 2 v. u. statt KlementoviC 1. Eleraertovie.)
S. 678. |Z. 13 V. o. der dort angefahrte Ortsname Pirjalevo (richtiger
Prjaiev) ist die slavisoha Benennui^ von Eperies.]
.y Google
Erg;anEDng«n and Beriobtigungen. 479
Znm IL Band, 1, Hälfte.
S. 12. |Z. 8 V. o. statt Bolidamobe H»h I. aesnmmtbürgschftft)
S. 30. |N. Bobowski, „Die poIo. DichtuDg des 15. Jahrb. I, Morien-
gedichte" {Breslau 1883).]
S. 44. [Z. & V. o. itatt Kroins 1. Paul von EroSno.]
S. 45. St. FtkBzycki, „Mikolaj Rej z Naghtwio i Ka. Josef Were>
szingki" (WUna 1880).
S. 188. [A. W. Maoiejowski starb 10. Febr. 1883. Nekrolog voa
St. Ptaszycki im 2um. Minist. Kar. Prosv., 1883, März, S.51— 60.— Rud.
Ottmann, „Jan Pawet Woronioz" (Krakau 1883).]
S. 210. [BrndziABki'a Wioafaw, deutsch von Job. Komicki (Tamow
1883).]
S. 353. [Slowacki's Beatrice Cenci, deutsch von Robert Riacbke (Jaro-
slav 1883).]
S. 417. Szajnooha's „Hedwig und Jagiello" erschien 1879 in russi-
Boher Uebersetzung von Kenevi5.
S. 433. {Viktor Ccajewski, „Katzuhi. Kilka s)öir o ich iyciu i
poezyi" (Warschau 1883).)
Zum II. Band, 2. Hülfte.
S. 63. Ancb den „Uastifikif" hielt Sembera fär nntergeiohoben: „Ma-
sti^käf' za pad^lanf pom&n a s literatury v^vrien r. 1879". Seine Besobal-
digui^ weist Oebaner kategorisch zurück in „Listy filo). a paedag.", 1860
und in Jagi£'s „Archiv", lY. Bd.
S. 101. (Z. 16 V. o. sUtt Gutaemator 1. Verwalter.]
S. 109. [Z. 18 V. u. sUtt Jobann u. o. w. 1. Peter Nfimec von Saati
(Steckt).)
S. 194. 243. Von dem erwähnten Buche von Jak. Hal$: „Naie znovu*
Eiozeni", erschien der 2. Band, den Jahren 1848—49 gewidmeL
S. 207. (Anmerk. Z. 7 v. o. sUtt Lavrovskü 1. Dnbrovekij.]
S. 263. (Job. Nernda, „Genrebilder, Qbersetzt von Ant. Smital'' (Leip-
zig 1883. Reolam's Dniv.-Bibliothek Mr. 17ö9).]
S. 280. Die Biographie Konst. JireSek's in „Srpaka Zora", 1879, Nr. 9.
9. 281. Jos. Lad. PiS, „Ueber die Abstanunung der Romineu" (Leip-
zig 1880).
S. 291. Emil Öern^, „Slovenskä Öitanka" (Wien u. Nensobl 1864— 66).
S. 825. [Anmerk. Z. 1 v. o. statt Cerveu&k t. Cerven&k.]
S. 357. Bisher hat man folgende Aehnliohkeiten von Liedern bemerkt:
A kdybyoh j& vidfil (Und wenn ich wüstte), ans dem 16. Jahrhundert
(Jungmann IT, Nr. 201, S. 139) mit dem neaen mährischen Liede bei Sulil
Nr. 200 (Ausg. 1860): A dybych j& smotn^ vMzSL
Dobrä DOC, mä mil&, dobri noo (Oute Nacht, mein Liebchen, gute Nacht),
im Kunwalder Cancional 1676, mit dem neuslovakischen Liede bei Koll&r:
Dobrü uoc, mk duial dobrä ncc viniqjem (N&r. Zpiew. I, 196).
.....Gooj^lc
480 Ergänznngei) und BonohtigongeD.
ElKks roilä, Eliiko (Elsohen, lieliea Elsohen), aus dem ID. Jahrhundert
(Feifalik, S. 73Sf mit dem (eohischeu bei Erben, S. 66 (Aiug. 1862— 64j.
Na toro panskem poli (Auf dem. herrsobaftlichen Feld«), ans dem
16. Jahrhandert, mit dem Liede bei Erben, Nr. 469; bei Suiil, VariaateB
zu Nr. 65B (S. 786).
Nie to nie, aua dem 16. Jahrhundert, mit dem Liede bei Erben Kr. 9
{S. fil6), bei SuSil Nr. 388.
Poved^laSibjUa däte (Es erzählte Sibj^lla weiter), aus dem 16. Jahrhan-
dert, vgl. bei Kollär, När. Zpiew. II, 467—468.
Pro£ kaliua v struze atoji (Warum stdt der Holderbusch im Bache), ans
dem 16. Jahrhondert, mit dem Liede bei Erben (S. 160 a. 804), bei Suiil
(Nr. 433, S. 321), bei Krolmus, „Staro6eske povSsti, zpSvy etc." (II, S. 70,
der ersten Fagination).
Vej v^MCkn z Dontge (W^e, Wind, von der Donan), im Kuuwalder
Cancional lö72 a. a., mit dem mährisohen Liede bei Suiil Nr. 622 (S. 438).
Vimt ja h^ek zelen^ (Ich kenne einen grOnen Hain), aus dem 16. Jahr-
hundert, mit dem mährischen Liede bei Suiil, Nr. 887 (S. 764).
S. 369. [Vom sechsten Kapitel des vorliegenden Werkes bat di« Ter-
lagefaandluDg auch eine Separatansgabe veranstaltet u. d. T.: „Das serbiscb-
wendisohe Sohrifttbum in der Ober- und Niederlaositz. Von Ä. N. Fypin.
Aua dem Knaaisobcn übertragen sovie mit Ergänzungen und Beriobtignngea
versehen von Traugott Feoh" (Leipzig 1884).]
S. 383. [Wilh. BognslawRki a Mich. Hörnik, „Historija Serbskeho
naroda" („Qesohicbte des serbisoh-wendi sehen Volkes", Bautzen 1884. XVI,
144 3. mit einer hittor. Karte, das 6.— 11. Jahrb. betr.). Das Werk ist einem
grossem Werke W. Bognstawski'a entnommen, das demnächst in Poaen tu
erscheinen beginnt: „Dzieje Stowiaäizezyzny Fötnoano-zachodniej" {„Q^
aohichte des nordwestl Slaventhums"). H. HAmik hat ans demselben naoh
dem polnischen Manuscript den die Lansitzer Serben betreffenden Tbeil in
der heimatlichen Sprache bearbeitet und hier und da, besonders in den
letzten zwei Kapiteln (17.— 19. Jahrb.), mit einigen Znaätcen veneha.]
S. 398. [Z. 18 V. o. statt f^elakovky I. Öetakovsk^]
S. 413. [Jakob Ciüniki (Jakob Bart) gab noch ein Bändchon So-
nette heraus: „Kniha sonettow" — Buch der Sonette" (Bantien 1884).)
S. 456. (Der in der Anmerkui^ oitirte Artikel Qber den literarischen
Fanslavismui ist von A.N. Fypin verfasst.)
B. 468. [Z. 6 T. o. statt Rambeau I. Rarabaud.]
.y Google
Register.
icbs OaatniUnde gue>i[l*b*n i
Abraham, Binchor vou FreiBitiKe» I,
372.
AuernuR a. Klonowiiu;.
Adalbfirt (VojUch), Bischof Tnn Frag
11,1. !(Ü; 11,». 27. 29. 381.
(A<)Bm von Brfimcn II, a. 37«.]
Adämek, K. II, ü. 278. 301. 4ir>.
[Adelung II, e. SW. 441.]
Arauaaiev, A. iN. I, 38. lOU: 11,2. 37.
Afanas^ev .(Om«er| I, 52H.
AfaniiBjt!v-CDzbinakij I, 483.
Aksakov, Ivan II, i. 21H.
Akaakov, Konst. I, S8; II, i. 37. 42.
Aksakov, N. II, a. 4l)r).
Albertraadi II, i. IHa
Albiaus, Chr. II, i. 421.
Albrecbt von Kamenko, Nikolaus II, t,
154.
Aleksijevic', Dim. II, i. 473.
[Ami-Bou^ I, 18. fiC. G7, 182. Ü82. 302.]
Anöid I, 232.
Andreas von Böbmisubbrod II, i. 99.
Andreas von Duba II, i. G(i.
Andreas (Russine) I, 434.
[Andree, Rieh. II, i. 377. 381. 383. 406.]
Andrii^, A. I, 298.
ADgeberg, 0. II, i. 131.
Angelar I, 75.
lAutoo, Karl Gottl. I, t!; 11,«. 392.
399. 442,]
AntoD, IMmata s. Dalmata.
Antoni, S. H. s. Kolle.
Antoniewioz, Karl II, i. 430.
Antouin (Arohim.) 11, S. 468.
Antonovie, V. B. I, 400.450.511.513.
BI7. 518. 519.
Antonovablj, M. 1, 467.
" pendini, F. M. I, 218. 237. 248;
l, i. 442.]
PipiK, SlBdioh* Lltmtnmi. n, 3.
[Appen
Aprilov, V. I, 129. 150.
Aijuilo, Joh. I, 149.
Arl)eB, Joh. Jak. II, »..255. 256. 263.
(Äretiu I, 872.]
Arscnius (Ileguineu) I, 531.
Arteuiovakij-Gulak, P. I, 470. 471. 474. ■/
492. 566.
Asnyk, Adam II, a. 302. 426.
lAsxemani I, 227; II, s. 441.]
Ast II, 11, 389.
AsUrdiiev, N. M. II, n. 471.
Atanackovii', Bogoboj I, 2iW.
Atanackovic, P. I, 288.
Atbanasius (Möoch) I, 92. 111.
lAuerBperiF, Gi-l. a. Gi'üo.]
August», Joh. 11, i. 146. 153. 154.
Auguntin von Olmütz (Olomuckj'; Kae-
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Babuki<5, V. I, 218. 31!i.
BaobmauD, W. s. Jezierski.
Bad£ovi£, Despot II, ». 472.
Bajza, Igu. II, v. 312.
Bakaloglu I, 145.
Bakulini, Mich. 11, ». 342.
BakuniD, Mich. II,». 251.
Balabauov I, 157.
Balbin, Boh. II,». 68. 167. 174—175.
177. 182. 183. 189. 190. 442.
BalbJDUB, Joh. II, t. 122.
BaliriHki, H. II, i. 9. 106. l!*a.
Baluoki II, i. 428.
Baludjaoskij, Andr. I, 577.
Bau, Matija I. 304. 331; II, i. 474. " -
Bandtkie 1, 416; II, ». 442.
Bandulovic I, 232.
[Banduri I, 235; II, t. 441.]
31
...Google
482 ReK
Bänovak/, Georg II, e. 307.
BaatyS-Kamenakij, D. I, 400. 515 ; H, 3.
478.
BBptiHt& a S. Cmce ». Kerstnik.
Barik II, s. 2. 54.
Barakovi«, G. I, 261. 346.
BarenoviS, Lozwr I, 442.
Barat;iukij, Eug. II, i. 256. 25».
Barchatoev II, i. 286.
'" ■ ley, H. C. I, 66.]
Barsov, E. B. 1,435.
Bart, Jakob II, >. 413-414. 480.
Bartenev, P. I, 163. 183; U, i. 371.
(Barth, H. I, 66.1
[Barthold n, i. 376.1
BkrtholomaeideB, L. II, i. 290. 310. 317.
Bartholomilus Pisaf (Bartol) II, t. 150.
Bartkö, Job. 11,1. 401. 409. 414.
Bartoszewicz, Jul. II, i. 7. 8. 30. 165.
Bartoi, Fr. II, i. 3. 27a 367.
Bartt^k von Drah;Dio II, i. 115.
Barvinskij, A. I, 566, 570.
[Biwtisn I, 303.]
Baazko, Godisl. II, i. 27.
Ba&kin I, 61.
BatjuäkoT, P. I, 416.
(Battaglift I. 483.]
Baudouin de Courtenay, J. 1, 3fl3;
11,1. 28; 11,1. 378.
Baum II, s. 48. 49. 124. 278.
Baumann I, 487.
[Bayer II, i. 441.]
BaziloviE, Joanniky I, 677.
Bazylik, Cyprian II, x- 63.
Bechyfika, Job. II, i. 139.
ßeckü I, 481. 484.
BeokovBky, Jos. 11, a. 175.
Beda, C. I, 316: 11,1. 303.
Beda Dudik b. Dudik.
IBeeeer, Jul. II, i. 165.]
[Beidtel a. Tebeldi.]
Bejta, Jarosz s. Rzenueki, Heinr.
Beku, Aug. II, 1. 271. 2%. 306.
Bei (Belius), Matthia» II. t. 309. 810.
B«laev, I. D. I, 416.
BetcikowBki, Ad. II, i. 109. 114. 209.
Beliug a. Bei.
Bella, Jan II, i. 366.
BelloBztenecz, I. a. BeloBtenec.
Bflobradov I, 167.
Beluateneo. IvaD I. 218. 261.
BMozerskij, N. 445.
BilozerBkij, V. I, 485. 488. 492.
Bendi, Vipe. 11, i. 281.
Benedioti tod Kudoier, LkDrantit»
II, ». 146. 162. 171. 30a 328.
Benediktov, V. I, 327; II, i. 25.
Beael von Hotovic b, Hgfovic.
BeneEovskj (Philonomua), Mattbäas
II, i
146.
Beniovriki II, i. 856-358.
Bentkowaki, Felis II, i. 6.
Berinek. J. II, «. 162.
Berohtold, Graf II. i. 315.
Ber&i<5, Ivan I, 66, 230.
Berg, N. II, i. 276; II, s. 42. 220. 236.
[Bergbaua, H. I, 182.1
BerlK, A. T. I, 184. 218.
Berlieka, Adalb. II, i 175.
BematowiCE II, t. 193.
Berooläk, Anton II, i. 291. 313. 314.
316. 345.
BeroviS (Baron), Pet«r I, 146. 146. .
Berynda s. Famva Berynda.
Beakydov e. Falärik.
Betondiö (Battondi), Joupb od. Joao
I, 252. 348.
Betondiö, Jakob I, 252.
Bettondi 8. Batoiidiö, Joe.
mezoldi I, 462.] -
BezBODOv, Pet«r I, 149. 170. 172. 174
-177. 343. 346. 366. 450. 526-629.
Beian, S. I, 157.
[BidennMin, H. J. 1, 16, 630.]
fiieUwaki II, i. 169.
Bielowski, A. 1, 530. 583; II, i. 9. 11.
64. 394.
Bielski, Joaob. II, i. 85. 86.
Biehki, Mart. II, i. 85. 86; II, i. 440.
Bierling (Pastor) II, i. 386.
Bilbaoov, V. I, 61.
Bilc, J. I, 386.
Bilejovaky, BohuiL II, s. 151.
Bilek, Jak. II, i. 164.
Biljarakii, P. I, 28. 139; IL i. 28.
BilJ, J. E. 1, 51.
Birkowski, Fabian li, i. 104. 106.
Biekupeo a. Pilgram, Nikolaus v.
Bjedrich, Nik. II, i. 413.
Blegove&eeuakij, >I. I, 82.
Blahoalav, Job. 1, 509; II, i. 13a 146.
148. 150. 152-164. 270.
[Blanqui, A. I, 66.]
Blaaa, Leo a. Sabiua.
Blaenik I, 893.
Bla£ek, M. I, 27a
Bleiweiaa, Job. I, 383. 384 ; II, t. 477.
Bleskov, Blskov, J. I, 167. 162. 166.
Bleakov, P. I, 163; 11,1. 471.
Blixiniki ü. i. 428.
BUkov a. Bleakov.
.....Gooj^lc
IBlaTnenstoek, H. II, i. 334.1
BobEev, S. ti. II, 1. 471.
BnbolJDBkij, Leont. 1, 448. 44A.
»oboweki, N. II, >. 479.
Bol.rovskü I, 528.
Bobrowicz, Joh. Nep. U, i. 129.
Bobrayiieki, M. II, i. 8. 9. 18. 19. 428.
Ilotek, Ant II, i. 270. 271.
Bodjanskij, O. M. I, 5. 51. 54. 55. 75.
129. 342. 355. 3GÖ. 390. 404. 425.
446. 459. 463. 474. 476-478. 515 -
516. 568. 585; II, i. 37. 210. Sia.
365. 378. 446. 44».
BogaBmorii!, Lakretik I, 253.
Bogdatiovif, Hippol. I, 458-
BogedaiD, Bernh. 11, 1.431.
' Bogilic, V. I, 84a 349. 368; II, i. 466.
476.
fiogoev B. BoKorov.
Bogonil, der Pope I, 90. 110. 11t.
Bogomoleo, B. I, 155.
Bogomoleo, Frz. II, t. 169.
Bogorov oder Bogoev, I. A. 1, 130.
151. 156. 169.
Bogovid, M. I, 319. 325. 330. 334;
11, 1. 242.
Boguchwal II, s. 439.
BoguslawBki , Adalhert (poln. Dranit-
liker) II, I. 170. 180. 131. 204.
Bogualawski W. (Historiker) I, 22;
fl, i. 378. 381. 382. 383. 390. 398. 480.
Bohdanowioz, S. von II, i. 424.
Böhmer, Joh. 11, i. 389.
BohoriC, Adam I, 374. 375. 376. 378;
II, 1. 440.
Bohualav von Lobkovic b. I^bkovic.
Bojiö, Luar I, 288.
Boleitawita b. Kraazewski.
Bolobao, GedeoD 1, 441.
BonCov, N. 1, 163.
BoAkowBki II, 1. 210.
IBoDDechose, Fr. de II, t. B8.|
[Bopp I, C. 28. 353. 391.J
Borbis, Joh. II, t. 291.
Boreckij, Hiob 1, 435. 439. 441. 444,
BorkowBki, Alex. II, i. 394.
BorkowBki, Job. II, i. 394.
Boro, Ign. II, i. 181.
Borovikovakij I, 474.
Borovsky a. HavliCek, Karl.
horovi. Kl. U, s. 270. 978.
Borowaki, Leo II, i, 230. 231. 240.
IBoBe II, «. 383.]
Boskovic, Johanna IL i. 121.
BoBkovic, Ladisl. v. II, i. 120
Boikovic (Hathem.) 1, 235.
Boikoviö, Anioa I, 252.
Botkoviö, I, 184.
■ter. 4ft3
Bofikovi6, Peter I, 252.
Botto, Joh. II, 1. 338.
[Bowriog, John I, 35ü.j
Bozdfch, Em. U, i. S59.
BoEveli B. Neofit
BoziEeviö I, 237.
[Brachelli, H. F. I, 16— 24.1
[Brachvogel, E. II, i. 318.)
Brodaika, Franja I, 386.
Brancel s. Freuzel.
Brandt V. II, s. 3. 43. 44. CO. 124. 15(J.
271. 272-273. 367.
Brandt, Roman II, s. 473.
Brauioky, Bischof Clemens II, i. 471,
it)
DjiuiiuKU, i>iacuuj \.rjt;jiieus 14, z.
Brankoviä, Qeorg (Despot u. Cbro
I, 209. 264. 341.
Bruikovi<!, Kosta I, 296,
Brainiä I, 218.
[Broun U, i. 128.]
[Braun, K. I, 354.)
Braxatoria ■. SlidkoviC.
BHzan, Wenzel II, i. 155.
B^CEOTi, Laurentias von II, >. 67. 112.
115.
Brezovaeki I, 262.
Brodovif, Theodos. I, 558.
Brodak« a. Fric, J. W,
BrodzinBki, Kozimir II, i. 208—213.
219. 371. 419; II, i. 242. ÜSl. 479.
Bronevskü, V. I, 298,
BroDiü, Chr. WJlh. II, i, 418.
BroDÜ, Heinr. Aug. U, i. 418. 421.
Broni6, Paul Fr. ft, t. 421.
Bronskij, Christoph. 1, 434. 441.
[Bropfay, Ch. A. 1, 66,J
BrosciuB s. Brzoaki.
Ißrückner, A. II, j. 376.]
Bruerovid (Bruere Oerivaiu) I, 254,
[Brüggeu iX .. 131.]
[Brabl, B. K. I, 358.]
BruuQ (Bnin), F. II, t. 380. 468.
Brzoski, Joh. II, i. 97.
BuEif, Michael I, 260.
BudiloviC, A. 1, 17—24. 54; II,». a
IBudinger, Max II, t. 39. 42. 43]
BudjaDskij, V. 1, 495,
Budmoni, P. I, 184.
Bujnicki, Karl U, i. 392.
Buk, Jak. 11,1. 409. 410. 412.
Bnlgakov a. Hakarij.
Bulgftiiu, Tb. II, 1, 231. 233. 260;
II, s. 344.
Bulgaris, Eugeniua I, 270.
Buoakov, N. II, j. 478.
Buniti (Familie) I, 235. 237. 250.
Buaiö (Bona), Joseph I, 331.
Buniti-VuCii-evit, Ivan I, 250.
31*
.u.,GüOg[f
484 BBfl
Burcov I, 429.
liurgaaelli I, 25f>.
jBurmeigter II, *. 377.]
BuHliRcq I, 340. 3B9.
BiiBlaav, F. I, as. 38. 54. 75. HC. 107.
10!l. lia 415. 521. 527; 11, s. 27G.
[Buea, F. J. U, i. 18S.]
ByCkov I, 422.
By<lÄovskJ, Marcus II, *. 157.
BzeneckJ, Wenzel II, i. 305.
Caf. OroBl. I, 384.
Caliimschua I[, i. 28. 44.
Camblak, Ueorg I, 124. 126. 203— 20t>.
21(J.
Campauua von Vodfiany, Jon. 11, g.
122, 14f).
Candidus, P. U, t. 172.
Cankov A. und D. I, 129, 130. 15ß.
Canov, Androfls 9. II, ». 4(!9.
Caaov, Maria A. K. II, t. 4m.
Capito (HIavU), Jos. II, i. 154.
ICaro, Jak. J. 11, i. 9. 18.J
(Carrara I, 356.]
Carskij, A. II, s. 187.
Caasiua a. KaSic.
(^asteilez b. Kaatelec.
Castuius e. Gregor von Prag.
Cstalinich, G. 1, 217.
Catancsiob s. Katani^ic,
Cauaia, Michaelia de 11- 1. 99.
Cebrikov 1, 528.
regnar, Fr. I, 386.
Cejnova, Florian II, i. 434.
Celles, Konrad II, i. 28. 44.
Certelev, Fürst I, 476. 512. 542.
Cerva. Serafin I, 236. 287.
Cerva od. CervinuB, Aeliua LampridiuB
8. CrjeviC.
Chaljavakij. C. I, 467.
Cbalüpka, Adam u. Job. II, i. 334.
Chaiiipka, Samo H, a. 323. 326. 334—
335. 338. 349. 447.
.(^anenko, Nik. I, 462. 515.
Chateauvillflin , Gi-ar de a. Moraztyn,
Andr.
Chel&iuky, Peter 11,8. 104. 108. 128
—134. 136. 137. 169.
Clieraakov I, 277.
Chitnv, Fanajot a. Hitov.
Chiüdeu I, 467.
(^lil^bowski, BroDis). II, i. 121.
Chtifdowaki 1(. I. 394
rblumeckt. Peter H. v. II. s. 156.
rhmfl II. B. 19y.
Chmelenskt, Jos, Kraaoalav 11,». "J-Ä.
231.
428.
ChochnlouSek, Prok. II, ». 239-240.
Choeiazewski, Joa, !!, i. 433.
(Ihodakowski , Zoryan Dolwa ( Ad.
Czarnocki) I, 6. 526. 527. 542. 583;
II, 1. 188; II, i. 442.
Chod*ko, Alei. I, 178; 11, 1. 381; II, i
478.
Chod£ko, ^az II, t. 381.
Chojecki, E. U, ». 3. 367.
Cho.inanus II, t. 408.
Chojnicki e. Kooitz.
Chotonieweki, Stanis). II, i. 26.5. 388,
Choinjakov, A. I, m>. 506; Tl. t. 244.
371. 448,
[Chopin I, 182.]
ChovsDskii n, 1. 434.
Chrabr, der Mönch I. 77; II, *. 287.
Chriataki PavIoviC a. Pavlo»iC ron
Diipiiica.
Christian von Pracfaatic a. Praohatic.
Cbriatophor Philalethea b. Bronskü-
Chritt.
Chrönn (Hren), Biachof I, 37a
Chvaletio, Weniel von IL s. 99.
Cibutka II, i. 154.
CidlinakJ b. Janda.
Cieazkowski, Aug. II, t. 335. 3Aa
IClair B. St.-Clair.]
Clemens (Kliment), balg, Bischof a.
Clemena (Kliment), einer iler heil.
Sieben I, 75. 76 ; II, a. 213.
Clemena Zinoriev I, 464.
Climacns, Johannes I, 202,
Codicillns, Petma II, i, 69. 122,
Collinna s. Kolin, Mattbaeua v.
Comeniua e. KomenakJ.
Conaul, Stephan I, 228. 374.
CopemikuB, Nik. s. Kopemih.
[ComeliuB, Peter tl, i. 256.]
Cornova II, b. 200.
(Conrbiitre, C. II, s. 467.)
[Cranz II, ». 135J
Crinitas, David II, % 122.
Crjevii^ (Cerva, Cervinna), Ilija I, 2Si.
Cmojevii;, Geoiv, I, 216.
Cromer Marl, II, t, 85; II, ». 440.
[Crouae, J. I, 67.]
Csaplovics a, CaploviE.
Ctibor von amburg U,i. 117. lÄ
124.
iCunibert, B. S. 1. 183.]
[Cuuo I. G. I. 7.)
Cybnlaki, A. U, i. 8.
Cybulski. W. II, 1. 248.
., Google
CjpriaD, ruBB. Metropolit t, 1'25. 216.
CypriuuB s. Praeotawski.
Cyrill, der Heil. (Konstontiii) I, 15.
51—60. 74-77. 219. 226. 372; II,».
7. 24. 29. 213. «7.
CyriU ». Methodina II, j. M. 141. 187.
28a 314. 347. 319. 361. 407.
Cyrill von Turov t. Kyrill von Turov.
Cyi, M. II, s. 401.
Czacki, Felix 11, i. 178. 197. 198.
Cz^ewBki, Vikt. II, t. 479.
Czajkowski, Antun II, i. 392,
CKajkuwski, Miüli. U, i. 382.
Czaruköw, Janko von II. t. 27.
Czaruooki (Adam) e. CtaodakowBki.
Czeczot II, 1. 9.
[Czörnig, K. I, 16 -23 ; II, *. 312. 369.]
t, I. P. II, ». 468.
fiapek, Job. II, », 10!*.
CaiiloviC, J. I, 217; II,», 290. 324.
Cccb, NikolauB i. Nikolai de Bohemia.
Goch, Svatopl. II, t. 258. 262. 263. 283.
(■ejka, Dr. II, ». 241.
Cekanovic. Slavomil 11, *. 290.
CelakovBk^, F. L. I, 28. 583; 11, ».
3. 75. 195. 225. 226-229. 230. 244.
248. 249. 358. 363. 375. 398. 404.
446. 447. 477.
Öepa I, 463; II, i. 478.
Cemev, At. A. II, ». 470.
Cernin von Cbudenic, Grf. Hurm. II, i.
, 173.
('eruojevic, Arseuije I, 13.
CeruJ, Emil II, ». 291. 479.
fkruy, Job. (böhm. Bruder) II, i. 148.
15a.
Coruy. Job. II,». 281.
Ccrveoäk, Benj. Pravuul. II, ». 290.
323. 325. 479.
Covapovic, GrgTtr I, 257.
^iutulov I, 163.
Cistovic, J. I, 443.
Öulakov I, ISO. 172.
frufie, J. I. 230.
CubiuBkij. P. P. I, 23. .^99. 518-521;
, II, i.,477.
Ciibr Oojkovii; b. Milutiuuvic.
flabraDOvie, Andrija I, 243.
Cupii- II, 1. 473. 474. 475. 476.
Cupr II, t. 75.
Bter. 485
D., M. II, ». 289. 290. 295. 331. 340.
ÜaEicky TOD IUbIov, Nikol. II, x. 146.
Dainko, P. I, 369. 382. 393.
Dalimil I, 370; II, s. 50. 56. 61 — 65.
71. 118. 190. 206. 275. 439.
Dalmata, Auton I, 228. 230. 374.
DalmatB, Georg I, 374. 375. 376. ;n8.
Danitic, Geo:^ I, 28. 126. 181. 205.
206. 213. 2ia-243. 244. 259. 284.
310—312. 341. 342. 367; II, ». 474.
Daniel, serb. Historiker I, 205. 207.
Daniel, kleinrusB. Historiker I, 537.
Daniel, Abt I, 397. 413. 415.
Danielewiaz II, i. 316. 317. 819. 326.
360. 369.
Danielewaki, Ig^. II, i. 483.
Danilowicz J. I, 416. ^1. 527; 11. i.
237.
Danov 11,1. 471.
DantiscUB B. Flaubsbindur.
Uaakalov I, 154!
Davidovie, Dim. I, 1^3. 280. 283. 287.
290. 291.
ID'Avril I, 866-1
Daxner, St. II, ü. 342. 343.
Dsboteoki, Adalbert II, i. 121.
Deuina II, i. 85.
Dfidiukij, B. I. 543. 556. 557. 559-
561. 564. 567. 572.
Deika Job. II, i. 394.
Delta Bella, P. A. I, 218. 251.
[D'Elvert II,». 3. 271.]
Demeter, Dimitr. I, 327. 331.
Demntb, K. II, i. 124.
[DeniB, Ernst II. i. 68. 141. 142.]
[Deprez, H. I. 66. 182.|
Deriaviu I, 385.
Deiko I. 530.
DetmevBki. Jos. II,». 6H.
Devolan, G. A. I, 531; II, t. 291.
Dimitroviö, Nikola I. 244.
[Dimitz, A. I, 369.]
Diuklea, Priester von I, 229. 218. 343.
Dionysina, bulg. SchriftBt. I, 123.
Divkuvic. MatUiiaa I. 232.
DjaCan, P. I, 537.
Diordjevit:, MiUu.'I. 309.
Diordjevic, Viadan II,». 171. 175.
Djordjiö (üeorgi), Ignaz I, 2.'i4. 2.^7.
239. 251-253. 324. 348; H. ». 410,
Dlabaü II. 1. 182. 102.
IHi^os/, Job. 11,1. 25—27. 59; II,».
4tO.
Umitriev, ruaa. Dicbtur II, i, 2.W,
Dmitriev. M. I. 52if.
Uniocbüwski. Fr. Xaver II, t- 150. 157.
168. 170. 195. 200.
Üobner II, ». 151. 180. 181. 442.
...., Google
486 Regi
Dobrfta II, ». 357.
Dobrjangkij, Adolf I, 577. 578.
Dobtov, L. H, s. 4fi7.
DobrovakJ, Josepb. Abbe I, 28. 47.
51. 53—55. 140. 37a. 374. 375. 382;
II, s. 3. 29. 30. 38. 42. 53. 177. 182.
184—189. 190. 191. 193, 197. 198.
209. 245. 284. 290. 321. 328. 375.
383. 410. 442. 443. 444. 459. 463.
477.
Dobiiosky, Paul 11, i. 364. 365. 366.
Dohnany, N. II, t. 290. 347. 348.
Doluisky, St«ph. II, ». 99.
Doloi, Sab. II, a. 442.
Dotjga-ChodakowBki s. ChodakowBki.
I>ol$gB B. NowoaieUki, Aot.
llolenec, Viktor I, 387.
Dolezal, Paul It, t- 309. 313.
Domaika, M. II, t. 408. 415.
Domejko. J. II, i. 236. 269. 289.
Domentijan I, 204—205. 343.
Domeyer II, t. 37.5.
Donin, Friedr. vo&-II, i. 159.
DoBitheuB Obradovic s. Obradoviö.
Doäen, Vid I, 255. 256. 267.
Douuha, F. II, i. 4. 383.
Di)vgalevflkij I, 152.
[Dozon, AoE. I, 13(1. 172. 178. 180.
365; II, i. 470.)
Dragomanov, M. P. (auch Ukraiaec)
1, 109. 400. 450. 495. 511. 513. 518.
519. 521. 536. 537. 567.
Drahynic, Bartosok von, e. hatluhek.
[Drake, A. r. 11,1. 351.]
Draikovit, Graf Janko 1, 31!t. 322. 327.
Drasner, Tham. II, i. 98.
Drinov, Marin. I, 54. 67. 85. 91. 129.
135. 140. 144. 154. 155. 165. 173.
175. 180; II, r 470.
Drumev, Vasilij, später Biichof Kli-
nient (Cleraena) I, 162. 169.
Dräiü, Georg I, 235. 238. 239. 346.
Driic, Marin I, 244.
Duba, Andr. von, s. Andreas,
Dubravsk^ (Dnbravins), Joh. II, i. 58.
I>nbrovHkij, P. i, 536; U, *. 399, 479.
Dnchineki I, 403. 498.
Duobinska, Frau II, i. 238. 266: 263.
DuchnoviS, Alei. T, 578. 581. 585.
. Dniiö, Ai-chini. N. 1, 16. 184. 299. 303.
, Andrea« il, u. 384. 408. 409.
DuEmai
411.
DuEman, Peter 11, i. 411.
Bndfk, Beda 11, t. 3. 166. 186. 271.
DuliSkevit I, 530. 579.
[Dammlei', E. I. 51; 11, i. 467.1
[Dumont, Alb. II, i. 470.]
Dunder. Väcslav II, ». 478.
DQDOvBky, J. II, j. 36G.
Dttrdik, Joi. II, i. 255. 257.
Ihiricb II, s. 182. 183. 184. 442.
[DüringBfeld, Ida II, i. 367.]
Daian, Slepb. b. Stephan Dnlan.
Uutkiewicü, W. II, i, 171.
DuvemoiB, Ä. I, 874; II, i. 99.
Dvoräk-MraSeh, Albina II, i. 259.
DvorskJ, Fr. II, t. 156. 270.
Dzieduazyoki, M. II, r 77.
Ebert, Mor Alb. II, i. 426.
[Ebon II, i. 876.)
[Ebrard I, 106.]
lEokardt 11. s. 375.]
Effreim, Job. U, ». 154.
ESmenko I, 518.
Ehrenberger, Joa. 11. 3. 240.
lEinhard II, ». 876.)
Einapieler, AndreaB I, 387.
Ekonomov I, 177.
Eksaroh, A. I. 156.
Emier H, s. 49. 66. 135. 270. 272.
tEngel. J- Cb. V. I. 67. 183. 217. 530;
II, % 441.)
[Engolbartlt, H, i. 383.)
Erbeu, Job. I, 369.
Erben, K. J. II, i. 4. 37. 52. 75. 93.
150. 158. 230—233. 248. 265. 272.
274. 335. 360. 365. 446. 479. 480.
Erkert I, 416.
EBtreicber, K. II, i. 6. 423.
]Evana, Aitbur, J. II, s. 472.]
[Evans, 0. I,.18a]
EythyniiuB *on Trnovo I, 93. 123—
125. 208.
EytbymiuB ZygadeDue I, 89. 124.
FagelluB VillatiuuB, Simon II, i. 122.
Fafkowski, J. II, i. 313.
[Fallmerayer I, 12. 89.)
Fandly, Georg II, 1. 313.
Farkai b. Vnkotiuovic.
[('arlati 11, i. 441.)
Faster, K. II, i. 4.
FedkoviC, Geoi-g I, 566 — 566.
Fedkovit, O. I, 537.
Fedorov, Ivan I, 440.
Feifalik, Jul. II,«. 39. 43. 53. 69. 60.
67. 114. 196. 355. 356. 479.
FcldmaDD I, 53a
..., Google
[FeUcetU I, 869.}
PeliD, Adam II, s. 104.
FeÜDiki, AloUiDB II, i. 194. 419.
FelWaki, Felix II, i. 377.
Fereneik, M, II, i. 349.
Keric (Gvozdeuius), Geoi-R I, 264.
FerienCik, Satn. II, t. 328.
Fems B. Plftcb4.
Fwsler II, j. S91.]
Fick, Ä. F. C. I, 7. 28-1
FickoT, A. I, IG.]
Fidioin II,». 377.)
FiduB U, t. 428.)
Fiedler, J. I, 6. 531 ; II, ». 135]
i'iedler, K. A. 11,*. 409. 411. 412.
Filaret ». Philaret.
Filipek, Weoz. 11, i. 236. 238.
Filipovic, J. I, 184. 218.
Filippov, T. I, 166.
Finitor a. Kooat von HodiStkuv.
Fink, Dr. II, 1 284.
Fiol, Sveibold 1, 421. 422. 428. 538.
Fixü (Fiatth), Zeno (Padalioa) I, 454.
487; 11,1. 388.
Flaobabinder, Joh. II, i. 44.
FlaciuB niyriüus II, ». UU. 152.
Flaika, Smil s.' Smil.
Flerov, J. I, 433.
[Fletcher I, 455; II, s. 441-1
[Fligie'- n, ». 47Ü.J
Fortinakij, V. J. II, t. 377.
[Fortis, Akate I, 217. 344. 351. 352;
II, 141 .]
Fotinov, KoDBt I, 162, 156.
[Fi-anceBOO, Frida II, J. 428.)
Franuitci , Juh, ( Janko Rymavsk;^)
II, t. 841—342. 349. 364. :W5.
FrauciBDUB, Chronist II, ». 64.
Frankopan, Anna Katharina II, X. 473.
Frankopan, F. K. II, j. 473.
Fredro, Graf Alex. II, i. 201—204.
Fredro Sühn II, i. 428.
Frenzel (Branoel), Abraham U, t. 387—
388. 389. 413.
Frenzel (Brancel), Micliacl II,». 386—
387. 390.
Frenxel (Brauuel), Michael, der Jüu-
■ gero II,». 388.
Frcnzel ( Bi-anocl ) , Satomo Gottlob
II, ». 388.
FriC, J. W. (BrodBkJ) II, *. 248. 25«-
261. 254. 260.
Frida, Boh. a. VrohliekJ.
Frilley, G. I, 299. 303.
Fritie (Fryoo), Gotthilf Chr. II, i.
Fröhliok I, 184.
Frulic 1, 280. 290.
Fruii6, Stef. I, 297.
Fryoo s. Fritze, G. Chr. n. Joh. Fr.
fiaukovic, E. II, i. 473.
Gaj, Iijudevit I, 263. 316. 317-321.
324. 328. 332. 340; II, i. 475.
Galjfttovskij, Joannik. I, 442.
G^lta von Dobuzyn, Andr. tl, i. 32.
GallaJ, Hern. II, t. 190.
[Qallus; Martinue II, i. 26 ; II, i. 439.]
Ganueuko, E- I, 483.
GaroiiynBki, Stef. U, i. 267. 269. 276.
277. 307. 335.
GuiorowBki, Alb. 11,1. 238.
GaBzynski, Konst II, i. 316. 317. 31«.
826. 371. 381.
GaB^towt, B. II, I. 295.
Gatcuk, A. I, 422.
Gatcuk s. Hatouk, K.
Gavrilovic, Jov. I, 182. 2«j. 312-
Gawiüiki, Joh. II, i. 108.
Gazda, Adalb. Ant II, ». 313.
Üebauer, Job. 1, 28; II, :<. 3. 4:i. 44.
49. 59. 60. 67. 196. 277. 360. 479.
fGebbardi U, i. 3. 382. 4«.]
(Gebier, W. I, 369.]
Gedeonov II, i. 10; II, J. 280.
Geisl (Geislova), Irma II, x. 2ri9.
Geitlei-, Leopold I, 28. 54. 341; II, i.
277—278. 470.
GeleniuH s. Hruby, Greg. a. Sigmund.
GenoviE I, 145. 156.
[Gerhard, Wilb, I, 293, 354, 364,)
[öerlaeb 1, 345)
Gerlaoh, teoh- CbroniBt II, i. 64.
lüermau. Lud. II, t. 304. 343,)
GermanuB, Polonua h, Joubmus, Di
Gorov, Sajden I, 130. 161. 170.
Gbetaldi I, 285.
IGiesebrecht II, t, 377.)
Gieseler I, 89,)
Giller, A. II, J. 291.
Giminiauu, da, Fil. BuuuauvurBi s. Cal
limacbns.
Gindely, A, 11, ». 3. 68. 130, 135. 136
187. 144. 160. 166. 269, 270. 272.
[Giniel, I. A. I, 51.]
(iizel, lonooenz I, 4^. 449.
Gi7.eviu8, Onst. II. i. 433.
Gjorcjevic s, Djonljevic, Vtadau.
[Gladjtone 11, «. 467.]
Glavinic l, 332.
Glodjeviö, Aat. I, 251.
.,GüÜg[f
488 Rflgi
Glibov, L. J. I, 499.
Glioaki, H. II, i. 398.
GÜBzczyneki, M. II, i. 28.
Gtogowczyk, Job. II, i. 25.
Glowan, Gtowanus a. Kopf.
Gnatowski, .loh. II, i. 367.
GnCdir-, N. I, 458.
Goilra, M. 11, s. .^17, 322. 3i'J.
Gogoekij I, 495.
Gogol, der Vater I, 4ti!(. 5<>5.
Uogol, N. V. I, 163. 286. 309. 386.
411. 458. 469. 473. 489. 490. 5(ffi.
513. 558. 565; II, j. 242. 246. 281.
Golfbionski. Lukas I, 526.
(ioliaii, MartiD II, ». 389. 390.
Gull, Jar. n, ». 98. 116. 135. 142.
151. 25.5. 278.
Gorowinski s. Holowiiiski.
Golabev, Ü. I, 433.
Golobinskij I, 40. 67. 76. 7K. m. »2.
120. 122. 126. 136. 137. 141. 144.
148. 155. 219.
Golachowgki, Jos. II, i, 231. 237.
fioraiCkov, Nik. 1. 579.
Uonfarov 1, 309; II, j. 281.
Gondula b. Oandulic,
Gopfeviö, SpiVidiun I, 299.
Gorazd I, 75. 76.
Goreeki, Anton 11, i. 381.
liorenjec, Leoj). I, 886.
üiirizootuv, S. 1, 519.
Uörnkki II, i. 86.
Gorodenf'iik s. Feükoviü, Guui-g.
Uorikij I, 75, 78. 110. 416.
Uorzalczyäaki A. I, 484.
Goi'zküwoki, Uai-iui II, i. 313.
Goszczyiiski, Scveiin II, i. 202. 20«,
218. 219. 224—230. 243. 290. 301.
391 i ir,i. 250.
[Göth, (i. I, 869.1
(Goethe I. 35a 3Ö5,)
Govorskij I, 50*. 553.
Grahjank« I, 400. 447-4 R 462. 163.
169. 479; II, i. 383.
Grabowski, Mioh. I, 48«. 490; II, i.
218. 219. 224. 387. 390.
Gradic, II, t. 440.
(iranovskij II, j. 389.
Gi-ePuIoviC I, 489. 603.
Gregor (staU Gourg), Aruhini. vou Pcic-
«opnioa I, 425; U, », 477.
Gregor, der Binider 11, *. 180. 135. 137.
138. 162.
Gregor, der Pi-eBbjtor I, 78.
Gregor von Prag jCaatiihiB, IlaStalskJ)
11,1. 120. 122.
Gregor von Sanok II, i. 25. 28.
[Grcgoroe, NicBphoruH I, 344.]
GregoriuB a. Camblak.
Gregr, Jul. II, i. 283.
GretBch N. J. I, 404. 459.
GribojMov II. 1. 201.
Grigorovif, Vikt. Ivao. I. 5. 54. 55.
56. 67. 82. 107. 121. 122. 125. 126.
138. 165. 169. 18;t. 194. 208. 266.
355. 420. 446. 448. 449.
GrigoroviE (Protopo)i) I, 527.
[Grimm, Jak. I, 6. 28. 184. 281. 363.
368; II, !. 187.1
[Grieebach, A. 1, 66. 82.]
Grochonski, Stan. II, i. 62.
Groddeok, Ernst II, i. 200. 230. 231.
240.
GroeU U, i. 148.
Grohmann 11, i. 367.
Grolmua b. Erolmua, W.
GroBsmann 11, x. 323.
Grot, K. 11, s. 384.
Grotkowaki II, 1. 107.
Groza, Alex. II, i. 391.
Gmcv, 3. 1, 129. 163.
[Grün, Anaatas. (Graf Aueraperg) L
394.]
Gryf B. Mai-cinkowaki, ÄlberL
Grya, Martin II, t. 421.
Guc B. Venelin.
Gulak-Artemovskij b. Artemovakij. -..^
Guljaev I, 116.
Gundulioh b. Guuduliü.
GuDduliü I, 235. 243. 246—248. 250.
346; II, s. 281. 440. 473.
Gnudiiliü, Ivan, derJQng. I, 250. 251.
Gui-oweki, Graf 11, «. 449.
Gu&aleviü s. Huäalevit.
GuteSii, Eliaa IL i. 476.
Gvozdenioa 8. Feriü.
Gzel, Peter 11, >. 121.
H»** S. II,». 303.
[Haan, W. II. «. 409.]
Uabdelie, Georg I, 260. 261.
Hadzie, A. II, i. 473.
Hadziü, Jovan (Mi)ok Svetio) 1, 28S.
288-291.
Hadzi-Daniil I, 137.
(Hahn, G. v. I, 66. 182.|
Häjck V. Libo6an, Wenzel II, i. «4.
70. 150-151. 155. 174. 175. 181.
Il^niä, Fr. II, t. 235.
Hilek, Vit£ulav U,i. 251—254. 266.
283. 388.
llalka, Jeromiaa a. Kostomarov, N. L
Halko, Igmu I, 384.
Ilamaljar II, i. 317.
Uamartoloa, Georgioa I, 79. 202.
ü,g :.._.. ..Google
Hammerscbmied, Joh. II, i. 176.
[Hamraeratein II, i. 377.1
Haiiiuljak, Muri II, 1. 322.
HaafkB II,«. 390.
Uiwgl, Jaroroir 1, 341 ; II. *. 3.
HmkB, WcDMl I, 65; U, i. 30. 31, 38.
3!l. 41. 42. 44. 48. 53. 56. 57. 63.
65. 68. 92. 126. 145. 190. 192. 205-
207. 208. 227. 356. 358.
Hanke von Hankensteiu II, t. 190.
Hanoi (HaDuatih), Ign. Joh. II, t. 2S.
29. 41. 43. 48. 63. 64. 76. 114. 146.
187. 207. 229. 356. 366. 378.
K«rBDt von Polzic, Chr. II, i. 158.
Harkav:r (statt Harkavi) 1, 6.
llartknooh II. i. 138.
(Hwwelbsch II, t. 376.1
HoSlslaky B. Gregor von Piv.
Uatonk, N. 1, 500.
Uattala, Martin I, 28; II, t. 3. 43. 66.
276. 291. 345. 414.
Ilaulik, BiBchof I, 821.
[Haupt, Leou. U, 3. 399. 400. 411.]
Uauptmann II, t. 390. 891. 426.
llMaBig, II, 1. 421. 426.
Haviasa, Bohumil II, >. 262.
HavliCek, Karl (Borovaky) 11,*. 171.
245—247. 275. 283. 347. 406.
tUeifiier II, ». 135.1
HuidentteiD, Roitili. 11, i. 85,
Hejduk, Ad. II, t. 353. 333. 338.
Ilektornvic, Peter I, 237. 243. 316. 347.
Hclvel, Ant. Sigm. II, v. 9. 16.
Helfert, S. A. n, s. 68. 77. 135.
Hellt, Lukas II, i. 154.
Helmold II, 1. 376.]
Heoiiiug, Chr. II, t. 375.]
Herlierstein H,i. 441.)
Ilerbord U, i. 376.1
Herder I, 1. 352. 353. 612; II, t. 44I.J
leriteB, Frz. II, s. 263.
Hemiann, £. [, 369.]
lernen. Alex. II, i. 292; Il,x. 2Ö0.
302, 450.
Hetmaueo I, 568.
Hidja, Juraj I, 254.
HieronymuH, der Heil. I, 227.
HieroüvmuB U, 1. 2. 12. 76. 94—96. 116.
142.
Hilarion (BiBchof) I, 93. 155.
Hilarion (rues. Schriftet) I, 536.
Hilarius von Leitmeritz II, t. 118.
HilferdiDg, A. F. I, 5, 12. 36. 51. 62.
66. 67. 72. 89. 120. 121. 130. 131.
137. 138. 182. 183. 206. 218. 285.
288. 303. 324. 336. 343. 347. 348.
355. 390. 506. 507; 11, i. 434; II, r
3. la 28. 37. 68. 86. 91. 92. 141.
143. 160. 171. 248. 289. 301. 850.
861. 362. 371. 376. 377. 878. 383,
397. 403. 404, 448. 465, 466.
Hiltubi-andt, P, i, 520, 528.
Hinilevit, G. H, i. 478.
Hippolyt I, 378. 379.
Hitov, Panajot I, 67. 159. 165. 166.
HIaväC s. Capito.
240.
Hoevkovsk^, Sek II, >. 190-191, 193.
209. 818.
[HoohBtetter, F. I, 66.]
Hod£a, M. M. II, i. 303. 323. 324. 326.
333. 334. 341. 346, 400.
IHoffmaiiQ II, t. 387. 388.]
lIöBer, Contt. II, i. 68. 100. tlO. 150.
Holan, Ernst 11, i. 386, 413.
Holetek, Jos. II, ». 281. 338, 471.
Hdeiov, Joh. V. II, t. 99.
Holko, M. II, t. 310,
HollJ, Joh. II,». 314-316. 322. 327,
334, 347, 447.
Holovackii (Golovackij) , Jak. Fedor,
I, 400. 422. 428, 527. 530. 536. 537.
542. 543. 547, 548, 550. 551, 552.
553. 564. 556, 558-559. 560. 561.
563, 566. 569. 679. 580. 582. 584.
585; II,*. 448. 478,
Ilotowinski, IgD. II, 1. 85. 387.
Holuby, J, L. II, s, 349.
Hör^anski II, t, 392, 393,
HorEiCka (Sinapias), Dan. H, t. 308.
Höi-nik (Hornig), Michael II,*. 381.
383. 385. 386. 387. 392. 397, 398.
402. 406—408, 409. 410. 411, 412.
415. 418. 480.
HorodBu6uk b. Fedkovic, Geon;.
Hotovic, BeneS von U, t. 67. 115.
HoatioBk*, P. Z. II, i, 349. 366.
Hoadek, Vit. II.». 337.
Houska, Job. II, i, 117. 156,
HouBka, Martin II, i, 108. 109.
Hovor», Janko b. Neruda.
Hrabjanka s. Gralijanka.
Hi-adil, J. I, 509; 11, >, 154,
Hrebenka, Eug, I, 469, 474.
Hi-en s. Chrönu.
Uromädko, Job. II, s. 202. 205, 208.
358. 363.
HrubJ (de CJelenio), Gi-egor H, ». 125,
126.
Hruby, »i^mund II, *. 126, 152.
HruBkoviu, Samnol U, *. 172. 309. 310.
Hube, R. 11, 1. 19.
ü,g :.._.. ..Google
IHunfalTy n, t. 4T3.)
(Hfippe, S. 11, 1. 2. 9. 33.)
Horbao, Joa. M. II, t. 933. 391. 318—
819. 334. 8S6. 837. 328, 330. 331 —
338. 386. 314. 349. 349. %0.
Hubs. Job. I, 421. 501; Il,t. 3. 11.
12. 23. 25. 2«. 28. BS. 75—94. 97.
105. 120. 133. 140 — 144. 159. 171.
206. 218. 233. 237.
HuSaloviS I, 556. 560. 661. 566. 56a
685. 686.
(Uuyiien, H«iiir. ab. II, i. 27.]
Ivezdy, Jan z b. Hareb, Job. U.
^ HjfW, Joh. II, ». 190. 236.
Igoatkov I, 578.
IgDaz von Ryl II, i. 471.
Ignjatovic, Jak. I, 298 ; H, t. 474.
llonomov I. 170.
Ilic, Jüvan I, 297. 307.
Iliä, Lukas I, 317.
Ilkevit I, 542. 544. 684.
Iljuminargkij, S. I, 51!).
UlyrioQg, FlaoiuB g. Flaoius Illyricua.
Uovajskij, D. I, (>7. 121. 557; 11, i. 10.
Imhric, Dom in I, 262.
Imii (ImniiBch) , F. H. II, i. :189. 397.
399. 408—409.
InBtit(irifr Moloveky, Mich. 11,«. 3U.
(li'by 8. MaokeuKiti u. Irby.j
Uajlovii- 1, 296.
lekander s. Herzen,
liimova (Frau) I, 488.
IvaDÜev, N. D. 1, 498. 61«.
Ivaniievic I, 250. 251.
Ivanov, I. I, 157. 163.
IvaSI'CDko, P. S. t, 518.
ivit-eviö I, aa.
IzvSkov, D. I, 443.
J^blunowBki, Job. II, i. 124.
Jablonsky, BuleBlav (Knaen Tupy) 11, t.
234. 243. 447.
tJaeobi II, ». 377.]
JaOBlawk, U. II, t. 401.
Jaffüt, „Bruder" II, e. 151.
J^c, Valroalav I, 5. 28. 29. 38. 54.
65. 75. 79. 80. 84. 85. 87. 96. 107.
111. 113. 114. 119. 137. 136. 166.
183. 184. 199. 202. 205. 206. 208.
313. 313. 218. 230. 231. 236. 237.
339. 243. 244. 259. 263. 384. 286.
288. 311. 338. 339. 340. 343. 347.
:!49. ;«5. 366. 405. 611. 520. 576;
II, 1. 44. 196. 377. 363. 354. 367.
385. 459. 466. 468. 478. 475.
[JabD, U. J. IL 1. 428.]
403.
Jakob, Georg II, i. 408. 415.
Jakob von Miea (Jakoubek ze StHbra)
II, 1. 83. 96. 97. 110. 128. 129.
Jakovonko, 0. I, 668.
Jakovlev V. II, i. 2. 280.
JakHc, Djordje I, 997. 307. 334; II,».
474.
JakHÖ, V. I, 16. 313.
Jaknbioa, Nikolaoa (Miklawnicb) U, i.
386. 416. 420. 42Ö.
Jakuikin, P. I. 109.
Jambreii6 (JambresaJub), A. T, 218.
261.
Jauda,Bohuniil(CidUnBky, Läosk} n. a.)
II, t. 256. 261.
Jandrid, Hatija I, 363.
JaueiiS, Anton 1, 38. 369. 372. 385.
394.
Jaoicki, ClemciiB U, I. 44.
Jänisch, Karolina a. Pawlow, Fran
Karolina.
Janilov I, 430.
Jankoviä, Em. I, 278.
J»nkovi6 do Mirievo, P. J. I, 266.
Janooki s. JeniBch.
Jauov, Matthiaa von II,*, 11. 73. 76.
105. 139.
JanovskiJ, Tbeod. I, 443.
Janyl'ar s. Konatantinovid.
Japel, Georg I, 380. 382.
Jamik, Urban I, 382.
JarouhowBki, K. II, i. 87. 428.
JaioBzewicz I, 416. 434. 627.
Jaeinakij, Barlaam I, 442.
Jastrebuv II, t. 472.
Javorakij, Stepban I, 443. /
Jcl^n U, t. 141.
JoUnek, Ednard Il,>. 282. 384. 415.
468.
JemiolowBki, Nik. II, i. 121.
3eui (Jentadi], E. A. 11, t. 330. 382.
383. 384. 385. 387. 389. 391. 393.
394. 397. 898. 402. 409. 411. 417.
426.
Jenisob (Januoki) II, i. 127.
Jentsoh b. Jent.
Jeföbek, Frz. II, i. 259.
Jeremias, Priester ven Bulgarien I,
99. 110-119.
Jerlicz, Joaohim II, i. 121.
JeaeD, Paal II, t. 164.
Jesenic, Job. von 11, «. 97.
Jezieraki (W. Bachmanu) U, i. 387.
388.
Jeiieraki F. B. II, i. 177.
ü,g :.._.. ..Google
Jedenki, Jaoek II, i. 179.
Jei, Thom. Theod. b. MitkowBki, Sigisn
Jirisek, Aloi- " - "-"
lirefek, Her
66. ia4, 125. 273. 153.
Jirefiek, Joieph 1, 55. 72. 178. 317.
366. 509; II, i. 32; II,». 4. 33. 39.
43. 44. 53. 56. 59. 65. 71, 75. 93.
114. 149. 1.54. 165. 173. 188. 192.
207. 209. 218. 270. 274—275. 305.
JireSek, Konst Jos. I, 19. 67. 78. 121.
122. 126. 128. 129. 135. 137. 138.
154. 156. 163. 166. 171. 175. 178;
II, 1. 280. 466. 467. 479.
Jowaph, bulgar. Sohriftet I, t'^H.
Jocher, Adam U, i. 6.
[Jochmae, Dr. II, i. 327.1
Johsno von Holeiov b. HoleAuv.
JohauD, Biach. vob Leitumiaohl. II, i.
99.
Johaouee, der Exarch 1, 77. 78. 88. 89.
Jokui, Matth. [I. i. 389.
Jona», K. II, 1. 4.
Jordan, Joh. Chr. II, v. 412.
Jordan, Joh. Feter l. 5. 119. 536;
11.». 3, :183. 400-401. 404.
Jordan, Heinr. II,». 411. 412. 416—
. 417. 421. 425. 426,
JosefoviC, Vojan b. Zähorsky, Jona»,
Josephi. Pual II. t. 32K.
JovBiiovif-, Iladii Kajdeu 1, 170.
Jovauovic, Dimit. I, 290.
Jovauovic, Djordje I. 305.
Jovanoviü, Paul I, 298.
Jovanovie, Peter 1, 297,
Jüvanovic, Vladimir I, ;<08. .309.
Juvaaoviü, Zmaj Jovan I, 297. 307;
II, 1. 473. 476.
Jukic, Ivan Franjo I, 364. 368.
Jukic, ü. I, 66. 182.
[Julius, Orion 11.1. 194.|
Jangmaon, Jos. I, 585; II, 1. ü. 4. 42.
76. 96. 195. 199-204. 208. 209. 214.
230. 312. 328. 329. 365. 358. 479.
JurCif, Josef I, 386. 387.
Jurifif, Georg I, 374.
Juiefovit, M. V. I, 485.
Kabaluik II, », 138. 139. 158.
Eaboga 1, 234.
KacMla, Stef. II, i. 478.
KaczkowBki, Sigm. II, i. 396. 413-
416. 424.
KaeanBki, HL I, 307.
KaCiü Hioiiü, Andrija I, 239. 2Ö2-
253. 258. 313. 350-352. 440-
KaCkovskij, Hioh. I, 556. 564. 672.
Kadüi6 («tatt Kaüic), Anton I, 228;
II, ». 472,
Kadlinsk^, Felix tl, *. 176.
Kadtubek, Vinoenz II, i. 27. 153.
KaJBiewiuz II, i. 290.
KalaEov I, 421.
Kalajdovi^ K. F. I, 74. 526; U,l. 442.
Kalenec, Joh. H, i. 1.39.
Kaiina, Anton II. i. 429.
Kalina tou Jäthenatein, M. II, ». 359.
Kaliutäk, Joh. II, ». 338 — 339. S48.
349 365.
Kalinka, Joauh. II, %. 308.
Kaliuka, W. II, i. 131. 136.
[KÄllay II,,». 472-1
Kalouaek, Jos. II, >. 2. 216. 278.
Kamar^t II, i. 227, 229. 231.
Kamemuky s. Vaoek.
Kamienaki, Ileiur. II, i. 374.
Kaminaki, Joh. Kep. II, i. 240.
Kanavelit: PeUr I, 237. 250.
Kanii II, i. 108. HO
[KauiU. F. I, 66. 67. 138. 183; 11, t.
4(i7.1
Kanizlii-, Au tun I, 265.
tKannegit-BBei'. L. 11. i. 255.)
:atiteuki, Cleinuna II. i. 133. 314. 417.
419.
Kantemir, A. 1, 451. 4.56.
Kapler, J. II. >. 413.
KapuiBt, V. 1, 458.
Kappor, Sieglr. I, 355. 365; II, ». 281.
Karodziü. Vuk. I, 114. 140. 169. 183.
184. 199—212. 218. 267. 279-287.
290. 292. 298. 306. 314. 345. 350,
353. 355. 361. 364. 366. 367, 368.
390. 586; II, i. 224. II, t, 197. 242.
281. 358. 443. 447. 448, 451. 473.
Karadzic, Wilhetmine I, 368.
Karamaji, Matth äua I, 228.
Karam/iu. N. H. I. 286, 469. 486;
II, 1. 165. 187, 235i II, *, 441. 442,
Karaao-Tvrtkovi.':, P. 1, 140. 184.
Karatacv. I. I, 42a
Karavclov, LjaboD I, 67. 129. 156.
160. 162. 172; II,». 469. 473.
Karazin, V. I, 466.
Kardinal, Joh. II, ». 97.
Komarntic 1, 251,
Karpenku a. Palivoda,
Karpinski, Franz II, i. 140. 167,
Karpov I, 487.
Karpovir-, LeontiuH I, 4-39,
Karwioki II, t, 124,
Kasabov I, 157,
Kaeaenbrot a. Ai^nstin von Otroütz.
Kastclcu, Matthias I, 378. 379.
ü,g :.._.. ..Google
492 R^
Kaetelid, Mich« I, 382.
Easteliz a. Kasteleo.
KaKic (CassiuB) I, 356.
KatanCic (CatanMich), Mat. P. I, 217.
25G. 257. 258; II,?. 442.
Katkov I, 504. 553.
Katranov, N. D. I, 170.
Kattic, Anselm I, 253.
Katzer b. Kooor, K. A.
[KäuiTer II, t. 382.]
iKauBokalyboe, E. 11, «. 4t>9.]
[kaweran, W. I, 484.1
kazali (Kazalic), Aot. 1, 331. 334.
KaznaCiL-, ÄntOQ I, 243. 254. 351', 11,1.
475.
KaznaC-iO, Aug. I, 331 ; II, j. 474.
Kefalinski s. HoIuwiiiBki.
[Kemble 1, 107.1
keDeviC n, i. 479.
Keren»kij, F. I, 119.
Kermpoti<%, Job. I, 256.
Keritnik, Janez I, 378. 379.
Ketrayiiski, W. II, i. 399.
[Kienberger, W. I, 326.1
Kilion II, 1. 389.
Kimak, Kjrill I, 578. 579.
Kinski, DominioDB 11, x. 190. 192.
KioBkJ, Grf. Franz U, t. 189.
Kii-a-Petrov II, ». 469.
Kira-StojaDov II, i. 470.
Kirtevekij Iv. II, i. 292. 256.
KiiCevskij, P. V. I, 626. 527.
Kireavskij, Brüder II, i. 256; II, i.
448.
Kirkor, A. 1, 5. 492. 527.
Kilowicz, Andr. II, t. 181.
Klaczko, Julian II, i. 320. 425.
Klemortovit (statt Klemoutoviü) I,
572; II, ». 47&
IKIempin II, i. 376.1
Klevanov, A. S. II, i. 68.
Kliupei-a, Ivan II, 3. 262.
Kliopei-a, W. Cl. II, ». 237. 239. 4H.
Klien 8. KUn, F. A.
KlimkoviC I, 564.
Klin (KHen), F. A. II, ». 395. 401.
[Klöden II, i. 377,]
Kloaowioz, Seb. II, t. 45. 67—73. 157.
161. 399. 432.
Ktuaupolski a. Moaak Kloaopulaki.
KlouCek, Jaroal. II, i. 282.
Klua, V. F. I, 369. 376. 877. 378. 379.
393 395
[Knauthe, Chr. II, *. :i82. 387. 392.]
Knezevic, Peter I, 254.
Kaiainin, Dionya. II, i. 140. 167. 168.
(KniMohek, Job. II, i. 57.]
Knizka b. Codioillue.
KnjaJevic I, 282.
KDJainiD, Jak. Borias. II, i. 168.
KoobanowBki, Job. I, 45. 53-61. 67.
69. 101. 210. 399. 432.
Eoohanowaki, NikoL II, i 54.
Koohanowiki, Peter II, i. 54. 240.
Koohowski, Veap. Nieozuja II, i. 57.
107. 114—118. 371.
Eocor, K. Ä. 11,1. 396.
Ko£abinBkij, P. A. II, i. 384.
[Kohl, J. G. I, 217. 298. 302.]
[Köhler II, I. 377. 383.)
koialoviC, H. I, 400. 434.
Kokovec, B. MareS.
Kol4r, J. G. II, ». 238. 239. 259.
[Kolb I, 23.]'
Kolberg, 0«L II, i. 9.
122.
1 II, 1.
Kollär, Job. I, 89. 148. 316. 318; II, i.
189; II, ». 170. 195. 20a 219—226.
229. 242. 244. 245. 248. 249. 286.
307. 310. 319. 320. 321. 328. 340.
348. 362. 363. 364. 383. 399. 422.
446. 447. 448. 460. 452. 459. 466.
473. 479. 480.
KolUtaj, Hugo U, i. 138. 171. 176-
178.
KolodBkij, M. I, 537.
Kolof B. Mizler de Kolof.
KoIoBov, M. A. II; ». 477.
Komensk^ (ComenJUB), AmoB II, i. 130.
160—170. 190. 32a
Komor II, t. 418.
KodU von Hodiltkov (Fiuitor), Niko-
laus II, 1. 117. 127. 149.
Konareki, Stanialaus II, i. 127-128.
Konaievit-SabajdaEayj, Hetman L, 439.
444. 450; II, i. 223.
Kondratowioz (Syrokomla), Ladw. I,
327. 484; II, L 7. 45. 109. 396. 406
—413; II, J. 242. 281.
KoneEn^ II, i. 3.
KoaiäS, Ant. II, t. 176.
EoniBBkn, Alex. I, 515.
Konisakij, Geo^ I, 452. 463. 477 —
478. 500.
KoniBBkJj, 0. 1, 567.
KoniU n, 1. 484.
Konataiitin b. Cyrill, der Heil.
KonaUotin, Bischof vuu Bnlg. I. 77.
KüuBtantin, der PhiloBoph oder vod
Koeteaeo II, t. 124. 125. 126. 1S&
203. 208.
., Google
KoDfit&iitinovic ( Janyozar), Mich.
II, 1. 32.
Konstanz (Jesuit) II, ». 176.
Kontrym, Kazimir II, i. 23«. 240.
Kopozyfiski, Onufr. II, i. 138.
Kopeok^, Jnr. s. Krajnik.
Kopernik, Kik. II, i. 25. 176.
Kopf (Glowon), Bav. Traug. 11, s. 417
— 4ia
Kopinekij, -Tesaias I, 433. 439.
Kopitar, Bartol. I, 28. 53. 55. 56. 140.
280. 283. 285. 369. 372. 374. 375.
376. 382. 388-390. 391— 3!t2. 422;
II, i. 38. 42. 48. 53. 197. 211. 442.
4r.3. 463. 477.
Koppen, P. I, 10. 16. 74. 372; II, i.
442.
Kiipyatenskij, Zachariaa I, 4S4. 439.
441. 442.
KoHkn, Jos. I, 369; II, >. 270.
Koranda, äete Jüngei-e II,«. 119.
KorKDda, Wenzel, der Aeltere II,»,
109. HO. 139.
Korozewski, Veit II, i. 59.
Koreva I, 528.
KoHoek, Frz. II, s. 281.
KoHatka, K. 11, i. 3.
IKörner, Geoi^ !I, ». 392—393.]
Kornicki, Job. U, ■. 47».
Knrnilowicz, A. 11, i. 168.
Korolev, Raj6o I, B9.
Koronowioz, W. b. Wröblewski, W.
Koiotyäski, Vinc. 11, i. 40a 413.
Koroty:iski, W. II, i. 238.
Knrsak, Julian II, i. 381.
Koraun 1, 474.
Korytko I, 393.
Kurzeniowski, Josepb 11, i. 314. 391.
396. 418-421; II, a. 242. 281.
Korzon, Thftdd. II, i. 2. 13ß.
IKosegarten II, j. 376.]
Kosiaa, Job. II, i. 157. 267. 278.
KnamnB von Prag II, e. 33. 34. 55. 64.
353. 439.
KoBmRH, baigar. Schriftat. I, 92. 94.
106. 110 111.
KoBBOv, Silv. I, 440. 448.
KoBBOvakij, Barlaain 1, 443.
Koata, Edw. I, 382. 386.
Kostid, lAza II, i. 474.
KoBtoraarov, N. I. I, 109. 112. 399.
401. 409. 4IÜ. 447. 448. 449. 450.
454. 466. 4G9. 471. 473. 474. 476.
478. 479. 481. 482. 484—487. 488.
491. 492. 494. 495. 498. .500. 501.
506. 509. 511. 514. 517. 519. 520.
521. 523—524. 565. 566; 11, i. 131;
U, 1. 436. 447. 448. 478.
iter. 493
KoBtrenEie, J. I, 374; II, s. 473.
Koatrowieo, 2egota von, b. üotowinski,
Kösyk, Matth. II, i. 421-422. 423.
425. 426.
Kotik, A. II, X. 4.
Kotljarevskü, A. A. I, 7. 404; II, i. 37.
43. 371. 376. 377. 466.
KotljaievBkij, Iv. Petrov. I, 466. 467—
470 474. 475. 543. 565. 566.
Kotoliehin I, 455.
Kott, F. II, I. 4.
Koubek, Job. Prav. II, s. 234.
Kovatevid, Gavr. I, 277. 278.
Kovatevic, Toma I, 368.
KovalevBkij, E. P. I, 298. 302.
KozaEinskij, Em. I, 265. 278.
Koziev, N. D. II, t. 470.
Kozlov, Ivan IT, i. 259. 261.
Kozmaneckj! (Kozmanecius, Kozmani-
des), W. F. 11, i. 175.
KoimiBD, Kajetan II, i. 193.
Krajkov, Jak. I, 136.
Kr^nik, Miroal. 11, s. 258.
Kral', Janko II, i. 337—338.
Kral, J. IL «. 414.
Kral, M. A. II, ». 402.
KrameriuB, W. M. 11,1. 151. 158. 190.
191.
Kraaicki, Ignaz 11,1. 140. 145-157.
159, 167. 206, 236.
Kraainaki, Sigm. II, i. 6. 265. 279.
295. 312. 313—380. 416. 419; II,».
Ki-aanohorakä, Elisabeth II, I, 238.
250. 253. 258-259, 262. 266-266.
KraeoaickJ, Laurent. II, ». 138.
Kraezenaki, J. I. I, 527; II,). I3L
145. 178. 197. 213. 386, 387. 388.
389. 891-892. 396. 405, 418. 421—
424; 11,1. 281. 430.
Kr^lic I, 261.
KrejEi B. Gr^or, „Bruder".
Krek, G. I, 6. 28. 55. 366. 386. 394.
Krelt, Sebaat., I, 374.
Kremer, Jos. H, i. 368. 39R
Krempl, A. I, 369. 383.
Kreatovii^ (Kratiovi5), G. I, 67. 166.
165.
Kristianovioh, I, 216.
Kriianic, Georg I, 43-44. 261. 346; .
II, j. 440.
Kniek, V. I, 16. 232. 394; II, f. 279.
Kri£nik 1, 394.
Knnan, Daniel II, a. 172. 309. 310.
Krolmua, Wenzel II, t. 356, 360. 480.
Kromer, Marc, s. Cromer.
kropirigki.
. 193.
.....Gooj^ic
494 R«tc
Kroäno, Paul v. II, i. 44; II, i. 479.
KrBÜc, Nik. 1, 31'2.
Krstjovit s, KreBtovifi.
Krüdener, Frau v. II, i. 248.
Krug II, t. 441.]
[Knimmel, S. II, a. 43.]
KrnpiDBki, F. II, i. 368.
Krayoki, Andr. U, i. 44.
Kubbk, S.'n, 1. 74.
Kuhal, Q. II, >. 415.
Kucharenko, F, H. I, 500. 565.
Kucharaki 1, 210; II, s. 66.
Ku^Unk, Jak. U,i. 401. 402.
Kuhot, F. U, i. 47G.
IKubn, A. I, 7.]
Kukulieviö-Sokoinski, Ivan 1, 92. 217.
218. 230. 231. 237. 238. 34Ö. 261.
319. 328—329. 33&. 367. 874; 11,».
- 213, 471.
Kulda, B. M. U, i. 361—363.
Kulicskowski, Adkm II, i. 7.
KulU, F. I, 399. 400. 4S6. 454. 464.
469—472. 474. 475. 480. 481. 482.
487—491. 492. 494. 502. 514. 565;
II, 1. 219.
Kulmao, Chntt. U, t. 401.
IKnmanudi il, t. 476.)
Kumerdei L 380. 382.
J£imi6, Philipp I, 368.
Kunik, A. I, 43; II, >. 468.
JCuptinko, G. I. I, 5ia 530.
Kurbriiü, Fürst A. Mich. 1, 429. 430.
431 Ö6 440.
Kureliw, Fratyo I, 3*0. 367. 448,
Kurganov I, 155.
Kunpeiiä 1, 344.
{Kartzmann, L. II, i. 8. 327. 882. 899.]
Jvuiitodiev, K. L. U, i. 478.
KutheD, Martin II, s. 116. 151. 157.
Kuzemskij, M. 1, 561.
Kuzmanid, A. I, 331.
Kuztuinj, Karl U, >. 321. 341. 844.
KOzmiö, IJiklav I, 392.
KüziniE (KüEmict), Steph. I, 392.
Kuzminekij, A. U, i. 7.
KumeooT I, 520.
üvaternik, Eugen I, 335—336; II, s.
476.
Kvaternik, Jos. R. I, 336.
KvSt II, a. 166.
Üvitka, 0. F., pseud. Oanovjauenko I,
466. 471—475. 498. 565. 566; II, i.
478.
KypJDiki, A. I, 526.
Kyriak-Cankov a. Caiikov.
Kyrill von Turov 1, 413. 414. 636.
Kyrmezer von Schemnitc, Panl U, >.
U&oglu. G. H. N. n, I. 471.
liademann II, x. 426.
Zaguna, ätOlUw 11, i. 27.
Lam, Job. U, i. 428.
Lamauakij, V. I, 75. 129. 137. 139.
167. 184. 309. 375. 404. 405; II, t.
35; 11,1. 39. 44. 48. 196. 207. 211.
236. 289. 330. 331. 378. 453—455.
457. 463. 466. 468. 477.
Lange, Job. II, i. 389.
[Langebek II, i. 376.]
Langer, Jar. 11, i. 368.
Langer, Jos. U, i. 962.
L4di, Elias II, >. 172. 308.
Läusk^ i. Janda.
Laras, Job. II, >. 407. 413. 414.
LavrenCW 1, 261. 262; II, 1. 473.
LavrovBkü, N. I, 96; II, i. 233.
LaTrorskij, F. 1, 51. 184. 218 (L-skij).
324. 400. 401. 406. 469; II, i. 434;
II, J. 160.
Lazareviö 1, 277.
Lazai'eviä, Lazar I, 296.
Lazareval^i, A. I, 517.
[Leake I, 137.1
Lebedev, J. II, s. 377.
Lebedkin, M. I, 399.
Leger, LouiH I, 51; II, t. 3, 251. 461.J
Legis GlüokscJig II, 1. 207.)
Lebrberg II, i. 4411
LeibnJE II, t. 375. 376.J
htiwa, G. I, 16. 67. 182. 192.)
:jelenel, Joachim I, 416; U, i. 8. 16U.
208. 230—236. 287. 24a 271. 307.
311. 393. 416.
Lenartowioz, Theophil. II, t. 426.
[LeagDioh II, i. ». 128.]
Lenz, A. II, i. 278.
Leo YOU Roimil&l s. Roimit&l.
Leonid (Archimandrit) I, 93. 1S6.
Leontovie, F. I, 218.
Lep«, Fr. II, 1. 166.
LepU, Job. II, t. 281.
Lermontov I, 297. 309. 386; II, t. S43.
281.
[Leskien, Aug. I, 5. 64; U, t. 386. 413.
425.]
LesEOEyÜBki, Slan. II, i. 93. 125—126.
LeKEinikij, PbilotbeuB 1, 443.
Les&kent, N. I, 568.
Leika, Steph, U, t. 311.
Levakovii, Rafael I, 328.
LevCenko, H. I, 401.
Levec, F. il, t. 477.
Leviokij, Ivan I, 537. 644. 565. 568.
570. 584.
Leviokij, Jos. I, 500. 536. 544. 660.
584.
ü,g :.._.. ..Google
Leviokij, 0. I, 4W.
Leviokij I, 89.
Levgtik, F. I, 382. 388. 38«.
Libi (LiehMh), 0. II, i. 383. 407. 113.
414.
Lichard, D. 11, i. 347. 349.
Liebelt, Karl II, i. 368.
(Liebeofels 1, 369.]
Liebsoh ■. Libi, G.
Ligftrid, Paytini I, 4&S.
Linda, Job. U, t. 30. 41. 44. 207.
LiBde, S. B. 1, 526. 586; II, i. fl. 178.
179. 188; II, I. 442.
[Lindau, W. A. I, 217.]
tinhart, Anton I, 369. 380. 3B1; U, s.
442.
.ILipiner, S. 11, i. 239. 240. 276. 282.1
Lipinaki I, 583.
Lipinaki, Tim. II, i. R.
ILipnicki, E. U, I. 7.1
Lipaki, Andr. U, i. 109.
Ups, Jan z II, X. 409.
Liaeneokij, Sin, I, 544.
Liaenko, N. V. 1, 6I&
LivCak, 0, I, 557.
I^BiCevakij, B. I, 452.
l^inbiö, 8, I, 218. 340; II, ». 472.
Ljubila, St .M. 11. 1. 474.
Lja)>oniir Hercegovac a. Martif, Qrgo.
Löbenatein, Fb. U, i. 384. 420. 428.
Lobkovic (auf HBaaenBMinJ, Bohu-
slav von II, ». 120. 124. 125. 126. 144.
Lobkovio, Johann von II, i. ISl. 158.
[Loehner II, g. 136,J
Lodü, Peter I, 540.
Lomuiok^ von BudeC, Simon II, ■. 147.
149. ItK).
.LomouonoT I, 449. 456. 459. 513.
Lonatevakij, A. J, I, 518.
LooB, J. II, >. 291.
(.opatiaakii, Theopkylaktua 1, 443.
Loquia s. Honska.
[Lotze, Herrn. U, t. 385. 425.]
Lourich, G. I, 217. 362.
Lovi£ II, I. 317.
Löwenfeld, B. U, i. 53. fifi.
LoEiüaki, J. 1, 537. 544. 561. 683.
Lubjenaki (Lubenakv), Andres« II, t.
394-395.
Labowaki II, i. 428.
tLucia, Ellen II, i. 428.]
Luoianoviä, Melcb. II, i. 472.
Luci£, Hunibal I, 239—841. 243.
Lucius, J. 1, 217. 229. 440.
LuEk^i (LuUkaj), Mich. I, 537. 584.
Lnkanf, Pranjo I, 234.
Luku, böhm. Bruder II,*. 137. 138.
146. 153.
irter. 49f>
Lnkuzewioz, Job. I, 416. 434. 527;
11, 1. 96.
Lukaazewicz, Lealaw II, i. 6.
LukaieviE, Platon 1, 514. 584.
Lukavec, Job. 11, i. 110.
Lakjanovskij, A. II, i. 475.
LupU von Hlav<>tov, Prokop II, t.
69. 122. 157.
LnaEaiuki H, i. 415.
Lutakaj, M. a. LuEkaj.
[Lützon II, t. 376.]
Luiioki, Venoeslava II, i. 262.
i:.y8kowaki, Igu. II, t. 433.
249.
Maoh&Eek, S. U, t. 237.
MacewicE II, >, 7.
Maoiejowaki, W. A. 1, 6. 422. 434;
U,i. 11. 56. 73. 85. 188; II, i. 378.
446. 479.
[Maokenzie u. Irbv I, 66. 138. 151.
182. 345. 366; lC>. 467.]
.Maoaay, Alex. U, t. S12.
Maoan. J. I, 370. 385.
.Magaraleviö, Djordje I, 210. 272. 288.
289.
MagUQuewski, Domin. II, i. 318.
Muar, Matth. I, 884. 387.
M^kov, A. I, 183. 202. 210. 337. 386:
U, J. 474.
[M^Uth U, a. 391. 303.]
Muorkiewioz, Job. 11, i. 7.
Makarij (Bulgtkov) I, 126. 433.
Makaimov, 3. I, 117. 619; II, t. 478.
Makaimovi«, Job. I, 442. 450.
Makaimovi«, M. A. I, 404. 461. 462.
459. 476. 478. 479. 488, 489. 512 —
513, 616. 642. 543, 644. 573. 588.
Makuiev, V. 1, 6. 67. 184. 217. 246.
249. 263. 299. 303. 367; U, i. 28,
29, 39. 44. 196. 217. 466.
Malavalid, Fr. I, 384.
Malczewaki, II, i, 214— 2ia 224. 236.
342; II, g. 28L
Mateoki, Anton II, i. 11. 12, 28, 35>
103. 119. 254. 296. 297. 308. Sil.
354. 363. 424.
Maleievae, Ivan I, 374.
Maletid, Djonlje 1, 296.
Malewaki, 3. II, i. 231. 237.
MalinoTBkij, M. (Raaaine) 1, 56L
Malinowaki, M., poln. Sobriftateller
IJ, 1. 238. 260.
Malinowaki, Nik. U, i, 407.
[Maliach, i. II, 1. 193.]
..., Google
496 Reg
MalJBskiewicz, A. MieloRzkn II, t. 145.
MalJ, Jak. II, i. 188. 194. »(6. 229.
238. 242. 360. 479.
Manfev, D. I, 163; II,». 471.
^larcinkowaki, Albert II, i. 388.
Marco Polo II, i. 441.
Marek, Joh. Helnr. (Jan ü Hvezdy)
II, i. 239.
Maieä, ¥r. II, ». l.W.
Marinkovid I, 296.
Marinov, TonPo II, g. 471.
Markevifi, N. A. I, 4O0. 44Ä. 452.
515.
Markovit, Jak. Andr. I, 462.
Markovif, Frau M. A. (Marko VovFok)
1, 499. 50G. 5C5.
Markovii*. kroat. ScbriFtsteller 1, 333.
MarkuK, Uottlob II, i, 418.
(Marinier, X. I, 298.1
Martha, Frau II, t. 121.
Martif, Urgo (Ltjubomir Heroegovac,
Radovan, Nenad PozDsnovi^) I, 364.
368; II, B. 397. 47fj.
Martin oder Martinnk von Mähren h.
Ilouaka.
Martin II, t. 139.
Msrtinec, Jarosl. II, s. 255.
3faruli (Maruliä), Marko I, 229. 234.
237. 240,
Maiilov, V. I, 48.^.
Maäek 11, 2. 44.
Materinka, liko ft. Bodjaaakii.
Matl^ I, 2m.
Matijnvic-, Steph. I, 232.
MatiaoT 1, 581.
Matkoviö, Peter I, 340.
Mattei, Djnro I, 348,
Matthäi II, i. 388.
Matthias b. PoUk.
Matthias von Janov «. Jauov.
MätUg II, 1. 389.
Matuliii I, 237.
Matuszewicz II, i. 122. 128.
Matzenauer, Ant. II, t. 278.
Mauritius, A. s. JoebrauB.
[Max, H. II, 1. 420.)
Majer, Rudolf II, i. 255.
[Mayers, K. I, 369.]
[Mazade, Chr. de II, i. 18(i.]
Maiuranic, A. I, 218. 24a 326.
; MaiuraDie, Ivan I. 248. 319. 326. 333.
334. 364. »86; II,». 281. 475.
Ma^uraniö, M. I, 182.
Mecherzynski, Kar) II, i. 7. 27.
Medakoviö, D. I, 183. 272. 298. 308.
MedakoTiä, Milorad I, 298.
Medo-Pncic, Graf (Orzato Pozza) 1,
237. 330. 334. 366.
jMeinert II, t. 441.]
Meissner, I^. II, g. 281.
MenCetiö, SiSko, der Jüngere I, 250.
Menietic, Vladislav.I, 250.
Men^tie-Vlahoviä, SiAko (Riffiamnndo
Menze) I, 235. 23a 346.
Menze s. Menfeti6-VlakoTi6.
MerEeriö (statt Hari^eviö), Leonard I,
874; II, j. 477.
IMerimäe I, 355.]
Mesiö, Mato I, 218. 340.
Met, Teuelin II, ». m>.
Uetelko, F. 3. I, 369. 382.
IMethner 11, i. 420.]
MetliodiuB, der Heil. I, 15. 51—58. 74.
75. 76. 77. 219. 220. 226. 372; II, i.
II; II, e, 7. 24. 2T, 29. 292. 467. (s.
auuh Cyrill u. Hethod.)
Metlinskij, Ambr. 1, 474. 47«. 514.
(Meyer, F. Herrn. 11, s. 477.1
Meiov, V. I. J, 129. 483. 536.
Miarka, Karl II, i. 431,
Miaskoweki, Kaap. 11, i. 62.
(Micalja, I. I, 2ia]
Miohajiovakyj, N., bulg. Schriftsteller
I, 163; n, «. 468.
Michaleo von Leitmeritz, Martin IL t.
146.
Mich&Iek, A. II, i. 282.
Michaion (Litauer) I, 421.
Micbalowski, Barth. II, i. 390.
.Mickiewicz, Adam I, 5. 331. 365. 366.
474; II, 1. 43. 45. 142. 194. 205.
224. 230. 233. 238. 239—293. 295.
S99. 305-306. 316. 322. 335. 363—
359. 370. 379. 397; II, t. 235. 242.
255. 281. 447. 449.
Miekienioz, Alex. II, i. 239. 419.
Mickiewicz, Ladisl. II, i. 241. 284.
291.
Micocs) I, 217; !I, i. 442.
Miechowita II, i. 85; II, 1. 440.
MieroBluwski, Graf II, i. 397.
Miee, Jakob von s. Jakob.
Mihajieviö, Dimitrije I, 297.
Mihalj«vi6, G. 1, 255.
Mibaljeviö-Buniä, Lnka I, 254.
MijalovioB, E. L. 1, 184.
Mijatoviö, Cedomil 1, 184. 312. 345.
368; 11,», 475.
Muatoviö, «erb. Histof. I, 133.
Miklosich (MikloiiC), Fr. I, 5. 28. 51.
32. 53. 54. 55, 75. 85. 129. 184. 341.
343, 347. 348. 349. 367. 372. 3)».
391-392. 404. 459; II, ». 3a 4Ä.
196. 277. 378. 383. 459. 466. 4«7.
...., Google
Miklousioh (Miklouiiö), Tbomu 1, 262;
II, I. 213.
Mikocsi a. Mioocsi.
Mikovec, Ferd. II, i. 23a
MikMeek, MattL II, *. 362.
Mikuokij, S. U, 1. 37».
MikulJUö l, 3(il.
MUadiaov (statt Miladin), Demetrius
und Konstantin I, 156. ITU — 171.
345; U, 1. 277. 470.
Milakovic, D. I, 298. 3U2. 304; II, i.
474.
MilEetif, Ivan II, i. 475.
Miletic, Svetozar I, 30». 309.
MiliC, Job. U, i. 11. 72. 73. 74. 84.
133.
Uili^evid, Milan I, IG. 183. 312. 345.
368; U, I. 475.
Milkowaki, Sigismtmd II, i. 425.
Miller, Orest. I, 38. 519.
Miller, Tsevolod I, 178.
Milojeviö, M. S. I, 172. 366; II, i. 476.
MUosBvleviö, MiloE II, i. 476.
Milovuk, J. I, 364
Milutinovic, Sima I, 183. 291-294.
Äta 300. 364. 378. 395. 447. 448;
U, 1. 473.
MinCofflu II, I. 468.
Mirko-Petrovic I, 303. 362.
Mirkoviä I, 16.
Miropohkij I, 169.
Miikoviö 1, 369.
[Mithof, Georg II, i. 375.]
Mitis, Thomas U, i. 122.
Mitrovio, W. Vratislav von s. Vra-
Mizler de Kolof, Laurent. II, i. 127.
Mjen, Georg II, i. 390. 394.
Mladenovio, Peter von U, s. 98. 116.
Mlaka, Danilo I, 568.
Mlünk, Peter U, t. 409.
Uoohnacki, Mor. II, i. 209. 307.
Modrzewski, Fr. II, i. 35. 63.
Mogila, AmbroB. s. Metlimikij, Ä.
MogiU (Möhyla), Peter, Metropolit L
438. 440. 441. 442; U, i. 98.
Mogilniokii, Anton 1, 559.
Möhu B. Mieö.
Mohyta e. Mogila, Peter.
Mohylniokij s. Mogilniokij.
Möller, Albinos II, i. 385.
Momtilov, I. I, 129. 163.
[Monae U, t. 271.1
Moraczewski, Andreas n, i. 8. 393.
MoraveU U, t. 3.
MorawBki, Frz. II, i. 393.
Morawski, Theodor II, i. 8.
Mordovcev, D. I, 483. 500. 514.
Pm>, SlftTtuho LltareiaiM. n,l.
iter. 497
Mordvinov, V. I, 531.
Moroikin, Mich. II, t. 19&
Morsztyu, Andr. II, i. 105. 107. loa
118-119.
MDrBztyn,'Hicron. U, i. 118.
Morsztyn, Stanialaas 11, t. 118.
Mosak KtoBupolaki (Mosig v. Aehreu-
feld) I, 6; ll,». 200. 399.
Moinin, A. N. I, 67.
Moiovakj H. Institoris.
M'Oiovsky, Georg e. Tesäk.
Mourek, V. E. fl, s. 4.
MowinHki, Michael s. Krasicki, Igo.
Moyses (Bisoh.) II, t. 341. 350.
Mrazovic, Abr. I. 267.
MrongoviDB, Christ. Cdlestin II, i. 432.
434. 435.
Hatislavec, Peter I, 423.
Maohar, A. v. I, 369.
Mucke 9. Muka, Ernst
Muczkowaki, Jos. II, i, 68.
MuCink, J. B. II, t. 402.
Mühlstein, Bertha 11, t. 259.
Muka, Ernst II, J. 388. 396. 411. 413—
414.
Müller s. Mlönk, Peter.
[MüUer, Fr. Max I, 7.)
{Müller, Hern. Fr. U, ii. 441.]
Murko, A. J. I, 369. 381. 382.
Mttrteo, J. I, 384.
Mustakov, Gebrüder I, 145. 151.
Mustiauovit, 8t. I, 561.
Muiicki, Luoian I, 287. 289. 295; 11, i. ,
447. 473.
Muikatirovic, Job. I, 277.
Mntjev, D, I, 156. 163. 170.
Muzilovakij, Andreas I, 435.
Kadeidin, N. I. I, 28; U, i. 223.
Nadler, V. Ü, ». 68.
N^den üerov t. GerOT.
NaJ^oz-Korzeniowski, Apollo II, i. 425.
NalJelkoTiö, Nik. I, 234. 244.
Narbatt, Theod. I, 416. 421. 449. 527;
U, I. 8. 391.
Nariinyj 1, 458.
Naruezewioz, Adam II, i. 140. 157 —
167. 178. 192. 236; II, ». 442.
Narzymski II, i. 428.
Nataliö 1, 237.
Naum, einer der heil. Sieben I, 75.
NanmoviC, Ivan I, 530. ^6. 560. 564.
Navarovsky s. Svoboda.
[Nawrucki, M. IL i. 188.]
NebeskJ, Weniiel U, a. 42. 56. 57. 63.
145. 195. 197. 241. 275.
Netuj-KocbowBki e. KochowHki.
...., Google
NeCuj-Leviokij b. Leviokij, Ivan.
NeCnj-Titer, A. I, 499.
Nehring, W. I, 5; II, j. 7. 119. 275.
280. 429; n, i. 385.
NiecEDJa-Kooliowaki s. Kocbowski.
NeiCov, Vülk II, », 469.
NejedlJ, Adalbert n, i. 190. 191. 192.
31&
Neiedl^, Job. U, >. 190. 191. 192. 193.
201. 227. 318.
Nekruov, Ivan II, >, 42.
Nekrasov, N. A. I, 568; U, t. 242. 381.
[Nelli, AdebIo I, 245.]
Nemanja, Stephan e. Stephan Nemaoja.
Nimcova, Bozena II, i. 241—242. 245.
335. 360. 414.
NeinCiiS, Anton I, 328.
N6meo von SaaU a. Saatz, Pet. N.
Nemirovi£-Danfenko 11, t. 472.
Nenadovic, L. P. I, 297. 302. 307.
Neaadoviii, Paul I, 265.
Nenovii, Vasilü I, 146.
Neoflt Bozvel) , von Chilendar i, 151.
154. 155.
Neofit vonRyl I, 129. 150. 151; H, ».
468.
Neruda, Job. II, s. 253—254. 260. 263.
479.
Nestor (Cbronist) I, 42—43. 139. 370.
397. 402. 412. 413. 449. 536; II, i.
27 ; II, «. 287, 370. 439.
[NeamaDD, G. I, 16.]
NevoBtraev, K. I, 75. 78. llü. 416;
II, ». 28.
Nicolai de BoLemia U, s. 117.
Niemcewioz, Jnl. Um. II, i. I.W. 179.
180. 193. 201.
Niesiecki, Kasp. II, i. 129.
Niketiö I, 184.
Nikola, Fürst von Montenegro I, 303.
NikolaJevi^ Djordje I, 290. 304.
NikoliS, A. I, 184. 20a 290. 366.
NiktHt (Patriarch) I, 455.
[Nitsobmann, H. II, i. 53. 66. 314.
217. 218. 248. 2.52. 429.]
Niegiiä B. Peter IL
[Nodier, CharlCB I, 355.1
Nomis, M. T. I, öOO.
Norwid, Luc. u. Cypr. II. i. 392.
NoB, St. I, 500.
Nosoviö I, 528.
Novakovic, Stojan 1, 107. 119. 186. 137.
183, 184. 199, 202. 209. 210. 213.
232. 28a 308. 309, 311—312. 341.
361. 365. 366. 367. 4S4; 11, i. 468.
473. 474. 476.
Novickij, Iv. l. 519; IL». 471.
Nüvi* 1, 307.
Novikov I, 452.
Novikov, Eng. II, >. 2a 6a 141. 383.
Nowka, J. II, ». 419.
NowosieUki, Ant II, i. 38a
Nowotny, J. H, t. 16a
Nudoier, Lanr. Benedict] von a. B^
nedioti.
Ny6ka, O. II, i. 425.
Obolenakü (Fürst) L 420.
Obradoriß t 369.
Obradoviö, Doaitbeni I. 269— 276. 28S.
314. 317. 3ia 334; II, i. 473.
(Obrist, H. L 484.]
Obru6ev, H. I, 530.
Odianicki, Om. s. Pooiobnt.
Odyniec, Ed. Ant. H, i. 208. 23a 23».
242. 262. 266. 369. 283. 316. 317.
381.
Ognjanovif, Konat I, 152.
(^novskij, 0. I, 488. 543. 566. 5»;
U, ». 477. 47a
Ohrysko, Joaanhat ü, i. 119. 127.
Okfioki, Wlad. II, i. 69.
Okolaki II, i. 447.
fOlbrecht 1, 5.]
fOlearias I, 455; II, >. 441.]
OlelkoviE, Dm. 1, 500.
Oleaka, Warfaw z I, 542. 544.671..
583. 584; n, i. 9.
Oleaikiewioz, Jon. II, i. 260. 274.
383.
Olisarowaki, Tb, U, i. 381.
Olmütz, Angnstin von (Olomuekf) s.
Augustin.
Opaliniki, Krzygt. U, i. lOa
C^atoviE, Steph. I, bCA.
Optät, Benei II, i. 121.
Orbini oder Drbini, Havro I, 234. 34&
258; U,». 440.
Orfelin, Zachar. I, 267.
OrI(y L 531.
Oreat Pooiä s. Medo-Paoi£,
Orzecbowaki, Stan. II, i. 34—^ 74-
76. 411. ■
Orzelaki, Swiet II, i. 86.
Orzeszkowa, Elise II, i.- 428.
Oaadoa, M. I; 537.
Oainiki, Lndw. IL i. 194. 210. 814.
Oanovjanenko a, Evitka.
Oaokin, N. I, 89.
Oaoatowicz Stryjkowaki b. Stryjkoirtkl
OBSolinaki I,' 544; II, i. 393.
OBBolinaki. Qraf Jos, 11,1. 442.
Ostaszewsk^, Spirid. I, 571.
Ostrorog, Job. ll, i. 28—29.- 35.
Ottrowski, B. II, i. 11.
ü,g :.._.. ..Google
Oatrozskij, Fünt Koostant. I, 439. 430.
4SI. 441. 442. 688.
Ottersdorf, SixtoB von s. Sixtos.
OttmaDD, Rnd. n, i. 479.
OtwinowBki, Erosm. 11, i. 121.
Pttobomias I, 216.
Faau, L. n, I. 475.
Padulica s. Fisoli, Zeao.
Pftdnra, Timko 1, 571; II, i. 218-219.
PseloviE I, 378.
Fuä I, 398.
Fkjeij g. Paysius.
PftlftckJ, Frani I, 5. 210; II, s. 2. 34.
37. 38. 42. 48. 53. 64. 68. 73. 75. 85.
100. 115. 118. 125. 130. 141. 142.
161. 165. 187. 195. 209. 211. 214—
21& 223. 226. 230. 231. 245. 24G.
268—274. 283. 328. 355. 378. 395.
400. 445. 446. 459.
Pftlirik, Job. (Be*kydov) H, *. 346 —
346. 347.
PalanzoT ü, i. 280.
PftlftOBOT, N. I, 150.
Patenzov, SpiridoD I, 18. 74. 76. 120.
130. 135. 155. 170.
Pilei, Steph. v. U, t. 99.
Palivoda-Karpenko 1, 565.
PeJkoTiS, Qeorg, kathol. Slovak. II, i.
Palkovie, 6., proteet Slovak II, t.
190. 192. 201. 214. 318—319. 322.
323. 326. 328. 389.
Palmotiä, Giore a. Jakob 1, 249. 250;
n, I. 473.
Palmotiä, Junius I, 243. 248—250. 346.
Palmotta (Giusno) s. Palmoti6, Janiiu.
Pamva Berynda I, 429. 439.
Fau^ot a. Hitov.
Pauk, Christ U, i. 419—420. 421.
Papaliö I, 237.
Paprooki, Barth. II, i. 86; U,t. 71.
168.
Parapat, J. L 386.
{Paraeohoi, ÄohiU II, t. 476.]
Farczewiki, Alfoiu J. II,*. 392. 398.
400. 408. 424-425. ^6.
Par£i<S I, 184. 218.
Pardnbia, Smil von i. Smil.
Parkoaz, Job. U, i. 30.
Partenije Zografskyj 1, 163.
Partioky,.0. I, 483. 566. 5G6. 570.
572.
Panun-Sohulze, Job. tl, i. 375.
Paaek, Joh. Chr. 11,1. 103. 104. 105.
121. 122.
P»Btri6, Joh. I, 228.
8t«r. 499
Patera, Adolf U, ». 28. 29. 39. 48-49.
51. 53. 62. 196.
PatOD, A. A. I, 66. Ifö.
Paul TOQ Prag b. Zidek, Paal.
Pauli, 2egota I, 555. 571. 581; 11,1.
9. 108.
Paaliny Töth, Maria II, ». 344.
Panliny-Toth, Wilb. II, ». 331. 339.
341. 342 344. 348.
Paviä,' A. B. I, 218. 241. 248. 340. 344.
366; U,». 476.
Pft»linoyi6, Mich. I, 308. 307; II, t.
474.
Pttviov, P. I, 399.
Pavlovie, Alei, I, 579. 584. 585.
Pavlovig von Dnpnica, Chiistaki I,
129. 144. 151.
Pavlovi6, Jov. I, 205. 312.
Pavlovi6, St«pb. I, 309.
Pavlovie, Todor I, 289. 290. 319.
PavlovBkij, A. I, 400. 643.
Pawgzki, Peter a. Skarga.
Pawikowski, G. U, i. 264.
Pawinski (Pavinakij), A. II, i. 122;
II, i. 376. 377.
Pawlow, Frau Karolina (geb. Jönitcb
oder riabtiger Janiez) 11, i. 262.
Payne, Peter II, ». 100. 108. 129.
PayiiuB (Priestennönoh) I, 74. 121.
141-144. 153; II, s. 4ea
Payeius, serb. Scbriftateiler I, 207.
Peoh, Henriette s. ErianohorBk&.
Pecb, oberl. Serben «. Pjeoh.
Peobnik, A, U, i. 276.
Pejateviä ( PejaoBeviob ) I, 183. 209;
11, i. 442.
Pekarakü, P. P. I, 428. 438. 443. 449.
452-454. 467.
Pelagi<!, Vaaa II, >. 474.
Pelegrinoviti I, 244.
Pelzel U,». 158. 175. 176. 182 — 183.
185. 189. 190. 202. 230. 4^.
Pergoii« I, 260.
Petuia, F. J. n, t. 4.
Perwolf, Job. I, 29; U, i. 17G. 188;
II, J. 194. 218, 279—280. 373. 876.
377. 443. 466.
Pelina, Thomaa II, i. 175.
Peter R Njegui I, 293. 299—302.
306. 307. 362. 364; 11, t. 447.
Petkovii, K. I, 82. 299.
Petranoviö, Bogolinb I, 366. 866.
Petranovic, Bozidar I, 89. 290. 304.
330. 361.
Petranovi^ Gerasim I, 290. 304.
Petrenko I, 474.
Petrov, N. I, 183. 511; II, ». 47a
Petrovie, L. II, J. 474.
..., Google
Petroviu, Mirko 8. Mirko.
Petrovic, Vasilije, Vladyka I, 2l
n,j
474.
Peti-ovBkij, M. r, 67. 184. 326. 365.
Petröw, Alex. II, ». 425.
PetraSevie. Änt, I, 530. 569—570;
II, ». 39. 43. 196.
Pfeffinger, Job. 11, *. 376.
Pfleger-MorevBky, Gurt. 11, «. 255. 260.
262.
Pfnl (Pfulil) I, 28; II, s. 876. 378. 383.
397. 402. 40Ö. 410-411,
P(riil), Emilie II, 3. 409.
Philaddphua ^. ZämrskJ.
Pbilaret (Filaret), Bischof von Riga
und Öemigov I, 61. 126. 4.S1. 433.
434. 486. 442. 467. 478.
Philonomus s. Bene^ovskJ.
Piueoki, Paul II, i. 119.
Picek, Wenzel Jaromir II, i. 234.
(Picot, fimile I, 184. 209. 315. 316.]
P!6, Joa. L. H, ». 223. 281. 290. 291.
305. 312. 328. 330. 337. 358. 479.
Pilw II, ». 3.
PilaKk, Steph. 11,8. 172. .308.
Pilat II, 1. 171. 429.
Pilgram, Nikolaus vou (gen. Biskupeo)
II, t. 109-110. 129.
Piaaf, Bartol e. Bartholomiae.
Piaarevskij I, 474.
Pisaraki, Achatiaa U, i. 109.
PIsek, Wenzel von (Piseoky) II, i. 126.
Piskunov, F. I, 401.
». 404—406.
Pieeh (Pastoi) II, )
Pjech, Job. Tr. II, s
480.
Pjekaf II, *. 401.
Pjenok II, I. 401.
PlachJ, Andr. II.!. 311.
PlachJ (FeruB), Georg 11, i. 176.
Platev I, 24.
PleterSnik I, 16. 382,
Pletner I, 488.
Pliska, M. N. I, 44ö.
Plohl-Herdvigov I, 367.
PloäEanakij, V, I, mi.
Pobädonoscev, K. II, *. 158.
Poczobut, M. 0dl. U, i. 138. 197.
Podibrad, Ilynek II, g. 145.
PodlipakJ, Dr. II, i. 284.
Podlipskä, Sophie ^eb. Rott) II, >. 262,
PotUavniiki I, 394.
Pogodin, H. P. I, 51. 53. 403. 404.
m-, II, i. 204. 211. 223. 331. 399.
400. 436. 442. 449. 453. 474. 475.
Pohont, J. II, s. 402.
PokornJ, Rud. 11, i. 258. .%33. 358.
Pol, Vinc. II, 1. 396. 397—405, 411.
Polik, Milota Zdii-ad II, t. 233—234.
Polevoj, N. A. II, 1. 256.
Polikarpov, F. I, 429.
Polockij, Simeon I, 443. 451.
Polonskij, Jak. P. I, 483.
PolonuB Germauns a. Dr. Jochma»:.
Polzio, Harant von s. Harant
Poniatowski, Stan. Aug. II, i. 136.
Popai-kov I, 157.
Popov, Alex. N. I, 298. 302. 343. 365.
421.
Popov, Andieaa I, 75. 79. 111. 112.
121. 122. 124. 126. 127. 128.
Popov, Nil A. I, 178. 183. 184. 578;
II, ». 204. 213. 218. 223. 273. 472.
475.
PopoviC, Job. I, 381. 382.
Popovi£, Matv^ I, 374.
Popovi^ Rajno I, 161.
PopoviE, V. I, 163.
PopoviiS, Gabriel I, 296.
Popovii, Jovan Stei-yi^ I, 291. 2Äi
Popovic, MiloS I, 290. 296. 309.
Popovic, Panta II, ». 474.
Popovid, Steph. I, 309. 364; II, t. 474
Porfirij Uspenakij I, 82.
Porfirjev, I, I, 96,
Poailovic, Paul I, 232.
Posoäov I, 455.
[Posaatt I, 183]
PoBt, Job. II, i. 418.
Potebnja, A. I, 28. 400. 405. 469. 509;
n, ». 277,
Potooki, Graf Job. II, i, 375. 442.
Potooki, Waol. H, i. 107. 109-114.
152,
PotoCnik, BIhz I, 383.
[Pott I, 6. 28.]
Fozoanovic, Nenad b. Martiv.
Praohatio, Christian von IL t. 97.
PraE II, I. 358.
fPrangeer, A. E. 1, 369.J
PrätoriuB II, t. 389.
ProuB I, 330,
Pravda, Frz, s. Hliuka, Ad«Ib.
Prawdonaki a. KamieÜBki, Heinr.
Prandzioki, Spiridion b. KraaiABki.
Prefit von Tlkanov U, t. 190.
Preiaa, P. I, 55. 342. 356. 358. 359.
360. 363. 365; 11, i. 434; II, ». 44^
FFelonf, Thom. von ü, i. 139.
Preradovitf, Peter I, 332; II, t 475.
ü,g :.._.. ..Google
PrCBl, Job. Svatopl. 11, >. 203. '21i.
Freieren, Frz. I, 383. 390; II,». 477.
I^'bram, Job. II, i. 100. 101. 105. 109.
Proobük^ FanstiD II,i. 65. 18-J. lFt4.
Prochizka, L. U, i. 18.
Prooop, Cbronist II, i. IIT.
Prokop, Abt n, I. 27.
Prokop, böhm. Bruder II, ». 138.
Prokop von PiUen II, i. 98.
ProkopoviS, Theophan I, 24(i. 443.
452. 456. 462.
Protiva, Job. II, s. 99. 129.
tPrümera II, t. 376.1
Pmno, Job. II, s. 307.
Prvanov, N. I, 129.
Pryzuv, I. 1, 401. 478.
PrzerfawBki, Job. II, i. 237. 2il8, 260.
262. 387.
Przezd£ieoki, Alex. II, i. 27.
PrzyborowBki II, i. 53. 67. 68. 219.
296.
Przytecki, SUnist. II, i. 109.
pBendo-KoniaskiJ e. Koniaskij, Georg.
PtaBzycki, St. II, t. 479.
Ftoobaeui a. Lomnickj-.
Pabieka II, i. 215.
Puohmayer, Ant. Jar. II, t. 190. 191.
192. 200.
Paoiö (PnEic), s. Medo-Pucic, Graf.
[Puffendorf I, 447.]
Pnlkava II, >. 65. 115. 190. 439.
[Pulszky U, ». 222. 303.]
PurkyoS n, ». 162. 228. 230. 398.
PnSkiD, A. S. I, 355, 385. 474. 478.
505. 513. 558; II, i. 205. 239. 243.
260, 261. 269. 293. 299; 11, ». 242.
255. 281.
Pypin, A. N. I, 84. 86. 94. 96. 213;
n. t. 71. 384. 439. 456. 480.
qnia, Ladisl. II, t. 258.
Babatein, Job. II, s. 12U.
Baozyniiki, Graf E. II, i. 181.
KaCki, Franjo I, 51. 75. 89. 183. 218.
304. 338—339. 341. 368; H, i. 232.
283. 466. 475.
Räda, R. II, t. 401.
- BadiEevic, Branko I, 297. 305. 307:
II, 3. 474. 476.
Itadivitovakij, Ant. I, 442.
RadliuBky, Andrea» II, s. 347. 349.
Radolinskij, A. I, 561.
Itadoslavov II, ». 469. 470.
RadoEtova, J. K. z U, >. 3W.
9ter. 601
Kadovan t. Martiö.
Badulov, S. I, 1&^.
Radyserb s. Webla, Job.
Radziwitr, Albrecht 11, i. 121.
Rafaj I, 261.
Kaie, J. I, 67. 183. 209. 21U. 267. 277.
■ 278. 347; 11,». 442.
Rt^acsicB, BaroB I, 18:^
Rajkovit-, J. I, 297.
Rakiö, V. I, 277. 278.
Rakovec, Dragut. I, 319. 325.
flakovakij, Geoi« Stojko I, 18. 145.
157. 163-165. 171. 178. 179. 180;
H, ». 447. 469. 470.
Rakovskij, Ivan I, 678. 579.
Rakowieoki, Ign. II, i. 188; II,». 41.
442.
[Ramband, Alfr. II, i. 458. 478. 480.{
Rantina, Dinko 1, 239. 244. 245. 324. /l'
346.
Rank, Joseph II, t. 3. 4.
[Ranke, L. I, 183. 190. 191. 282. 343.]
Rapacki, W. I, 530.
[Rasch, Gant. 1, 299.]
Ratk^j, Georg I, 260.
(Raumer II, *. 376.]
Rautenkranz, Joseph II, i. 191.
Ravnikar, Matthäuü I, 382.
[EedeD, M. von II, i. 427.
[Reinsberg, Baron II, >. 367.)
Rei V. Naglowioe II, i. 45-53. 56. 281;
II, ». 479.
Relkovit, Job. Steph. I, 256.
Relkovie, Matija Ant.. I, 256. 267. 349.
RembrowBk), Alex. II, i. 125.
RenC, M. II, i. 413.
RSsenec, Andr. Anastasov 11, i. 472.
[Rettel, L. I, 51.]
Rgzak, Pbil. 11,1. 414.
Rezek, Ant. II, *. 175. 278.
RheinBtein, Job. von s. Kardinal.
Ribay (Rybay), Georg II,*. 311. 317.
[Richentbal, Ulrich F. II,». 84.)
Richter, Igaaz II, i. 11.
Richter, P. 11, t. 415.
[Riedel II, ». 376.]
Eieger, Franz Ladial. I, 5; II, i. 23.
217. 283.
Rigelman, Alex. Iv. I, 463. 515.
Rigger II, ». 183.
[Rischka, Rob. II, ». 479.]
Riatic, Jovan I, 185.
RistiL-, KoBta I, 365.
Ritter b. Titezovic.
Rittei-sberg, Ladw. U, ». 240. 247.
Rittich, A. I, 530.
.u.,Goog[f
Robert, Cyprien 1, fiB. 102; 11,1
fBobinaon, Freu s. Talvj.]
137.
Röla n,>. 411. 415.
Rolle n, I. 342.
Boepell II, I. 9. 131.
RoBa 1, 256.
Roea, Weozel U, i. 176.
[Rosen, G. 1, 166. 175; II, s. 471.]
Rosenberg, Herr von II, i. 66.
RoBkiewioz, J. I, 16. 183,
Roatok, Mich. 11,1. 402. 409. 411.
BostovBkii, Demetr. I, 443. 451. 455.
462.
Rozen, Baron V. II, i. 468.
Rozkochan^ II, ». 46.
Roznm 11,1. 15B.
Rozmitäl, Leo von II, x. 15K.
Roznay II,». li*2.
Roiycki, Karl II, i. 2!II.
Huban, V. I, 400.
Rubci, Fr. Jar. II, ». 2:1.5. 23!l. 243.
Rudandkij, St. I, TiOO. 568,
Rudawski, Laureutiua II, i. Iltl.
RndCeuko I. J. I, 51K.
Rndnay, Alex. 11, i, :(L4.
Rnlik, Job. II, 1. 190. 191.
KuSBDV, A. A, I, 518.
Ruvarac i; 207.
Ruzic a. Roaa.
Rybay a. Ribay.
RybiCka, Ant U, «. 44. 12i. 156. 191.
201. 278.
Rybnikov I, 36.
Rycboioki a. Dzioduszyuki.
Ryl6ev I, 385. 505; II, ». 281.
Rymarkiewicz 11, i. 429.
Rymavsk^ a. Franoiaci.
Rz^zewski, Adam U, i. 114. 115. 419.
Rzewuaki, Heinr. II, i. 254. 2fiO. 265.
281. 317. 382-390. 413. 415. 416;
n, j. 242.
Kzewaeki, Severin II, i. 178.
Räihft, F. V. II, t. 467.
Saatz, I'et. Himce von (^ateck^l II, ».
109. 479.
SftbbaB (Sava), 1, 75.
Sabina, K. II, a. 4. 231. 236. 239.
Sabljar, Mijat I, 325.
Sabov, Kyrill I, 57a
Sadyk-Paacha a. Cz^konaki, Mich.
SafoDOviE, Theodosiue I. 439. 44K.
Sahi^daCnyj b. KonaieviL-.
Sakowicz (Sakovi6], Caaaian I, 438.
450.
Salatiö, Ivan I, 254.
Samarin, Jurij I, 44a 491.
Sameo, Max 1, 386.
Samovidec I, 400. 445-446. U7. 463.
479. 515, 582; U, ». 477.
(Sandel 11,1 151.]
Sanockij (statt von Sanok), Hioh. I.
425; II,». 477.
ijanok, (iregor vou a. Gregor.
Sapuno V, Peter 1, 145.
Sat'biewBki, II, t. lOK.
Karniokij I, 509.
Sa«inok, V. V. II,». 291. 312, 349.
350-351. 366.
Satanuvakg, Arseniua I, 43.9.
»auei-wein, I)r. Ü. II,». 421. 422— 424.
426.
Sava, aerb. Heil. I, 187. 204. 205. 20«.
3ia
Sava a. Sal>ltas.
Savtinakij I, 556.
[Saxo GrammatiouB II, ». 376.]
[Schaafr II, ». 135.1
Schafai-ik a. Safahk.
Schaguna, A. I, 530.
EAeitz II, ». nm.]
iberb I, 298.1
himek, M. I, 183; II,». 176.
Schindler, Job. Sig. Fr. II, ». 418.
Scbkviner a. Skrinjar.
Schleuhta r. äleohta.
[Sohleiohei-, Aug. 1, 6. 7. 2«. 54. 404;
II, ». 376. 378.1
rSchlözer, A. L. v. I, 6. 139. 181. 401 ;
II,». 441.]
Sohmaler b. Smoler, Job. ¥,.
Sohmedee, C, von I, 530.
[Scbmidt, Job. I, 7. 28; II,». 277.]
[Schmidt, Kall U, ». 165]
fSohinitt, F. I, 16]
Schmitt, B. Szmitt, Heinr.
Schmutz II, ». 388.
Schneider, F. II, ». 383.
[Schnurrer I, 374J
Schok, Wenzel Ili ». 255.
Soholze (SoHa), J. T. 11, ». 413.
Schonfeld, Ferd. II,». 151.
Schönleben, J. Ludw. I, 378. 379.
Sobrey (§rsj) I, 380.
[Scbubert, ü. W. II, ». 388.]
ü,g :.._.. ..Google
Sufauiz, Ferd. II, i. !». 56. 19^. ^04.
253. 261. 381.
Scholz, Wenzel II, t. 196.
Scbnlze n, i. 135.
fSohwammel, Ed. II, s. 42.]
[Sohwandtner I, 280.)
[Schwurtz II, t. 376.
[Sohweiger - Lercbenfeld, Freih. von
II, t. 172.1
(öchwicker, J. H. II, i. 472.)
KSastnyj, %tlomo I, 584.
Seiler (Zejler), Andi-esB II, t. 383.
395—397. 400. 401. 402. 404. 409.
411. 412. 414. 421. 423.
Seljan, D. I, 217. 323.
Seraentovekij, A. I, 518. 529.
äemiui, Mioh. II, i. 311.
äeoekovia, M. I, 256.
Seukovskij II, i. 236, 260.
Sgp Szantynski a. SzarajnBki.
Serafim, Pater 1, 145.
Sickert s. Sykora, Joh. Aug.
Siemieneki, Luoiaa II, i. :il4. 219. -i!48.
266. 269. 289: 394.
Sieniaweki II, i. 377.
Sienkiewiez, Heim-. 11, i. 231. 428.
SiraeOD, halgar. Zar I, fi8. 6». 73. 74.
75. 76. 124. 131.
Siroeon von Sngdal II, i. 439.
Simonidex b. Szymonowjcz.
SimoDovskij, Peter Iv. I, 40U. 462.
463. 515.
Sinapina a. Horäitka.
[Singer, Samnel II, i. 477.|
Sixtii» von Ottersdorf II,*. 70. 150.
SkabalanoviC, N. 1, 434.
Skala, J. II, 1. 415.
Skila von ZboH, Faul II, i. 16u. 170
—171. 270.
Sknlkovskij, A. I, 400.
Skarga, Peter I, 434. 435; II, i. 77 —
84. 104. 165. 188; 11,». 176.
SkarazewBki II, i. 107.
Skomorovskij, E. I, 560.
Skorina, Franoiac. I, 421. 422. 423.
428. 538.
Skovoroda I, 466—467.
Skrejäovsky, Frz. n, ». 284.
Skrejiovak^, Job. II, t. 284.
Sknrla I, 249.
Skute6Bky n. Rybiäks.
Slidek, Jos. W. II, *. 258.
Sladkoviö, Andreaa (Braxstoris) II, i.
335-337. 447.
Sladkovsk^, Karl II, i. 284.
SUvata, WUh. II, t. 16. 147. 172-173.
270.
»ter. 603
Slavejkov, P. R. I, 136. 157. 160—
161. 170; II, 1. 471.
Slavineckij, Epiphan. I, 439. 442.
Slomiek, Ant. I, 384. 387.
Stopuchowski (Audr. von Slup) II, i. 31.
Slowacki, Eueeb. II, i. 231. 295.
Slowaoki, Jul. H, i. 6. 259. 284. 29a
295—380. 390. .396. 413; D, t. 250.
281. 479.
Smil FlaSka von Pardubio 11, j. 57—
62. 64. 71. 72. 277.
Smimov, I. I, 96; II, i. 472.
Smimov, M. I, 530.
rSmitel, Ant. II, t. 479|
Smolef (Scbmaler), Job. Ernat I, 5.
395; II,». 383. 384. 386. 392. 395.
398—404. 405. 406. 408. 410. 411.
412. 413. 416. 418. 419, 448.
Smollk, Job. II, ». 27&
Smoljar a. Smolef, Jak E.
Smotriokij, Meletiua I, 265. 266. 429.
435. 442.
Sniadecki, Andreas II, 1. 195. 231. 236
Sniadeckj, Job. U,i. 138. 195. 201.
208. 231. 233. 243. 244. 253. 271.
Sobieaki, Jak. II, i. 111.
SobolevakU II, i. 256. 267.
Sobotka, Primu» U, a. 281. itöi.
Sokolov, A. II, 1. 42.
Sokolov, MatvSj II. 1. 468.
Solaric, Panl I, 272. 277.
Solovjev, S. [, 399. 454; U, i. 131. 235.
Soltanovi<! I, 237.
[Sommer, J. G. II, t. 2.j
Sophronius, Biaobof von Traoa I, 67.
144. 145.
Sopikov I, 422.
SorkoPeviö, Ivan (GiaufranceacoSorgo)
I, 2.52.
Sorkofevic, Peter I, 248.
Soviä, Matthias I, 228.
Sowitiaki, L. I, 484.
Spasii, M. I, 296.
Spaiowicz, W. D. II, I. 122. 396; II, t.
[Spftzier, R. 0. II, i. 276.]
Springer, Anton I, 545; II, t. 3.]
Sreikovi« I, 208. 312. 369.
Sreznevakij I, 5. 28. 54. 66. 75.
78. 96. 97. 178. 202. 285. 286. 311.
355. 400. 404. 476. 480. 514. 580;
II, s. 28. 37. 39. 44. 4a 195. 207.
211. 222. 364. 378. 382. 383. 367.
399, 446. 448. 449. 453.
Staohuraki a. Swjoioki.
SUdnioki, K. I, 53a
IStahlberger, Th. n, i. 342.|
SUImach, Paul 11,1. 431.
...Googlf
504 iteg
Stamatovid, Paul I, 290.
SUntev, T. Chr. 11,». 469. 471.
Stanilt II, 1. 211.
StaniC (Stanig), Val, I, 383,
Stanislav von Znaim b. Znaim.
StanislaTov, Philipp I, 137.
Stafikovek^, Jos. Georg 11, i. 261.
StarSevH, Anton I. 386—338.
Stttriokij, M. r, 355. 500.
StarobrÄdakJ *. Krajnik.
Starowohki, Simon II, i. 103. 129.
Staazic fl. i. 171—176. 193; 11, i, 447.
Staiek, Artal (Anton Zeman) ü,i.
258. 261.
St-awr I, 66.
Stefanovtä, Djordje Kojanov I, 366.
Stejiö I, 296.
Stempel, Chr. Fr. H, i. 418—441.
Stephan, Andreas 11, t. 154.
Stephan Couaul g. Conaul.
Stephan Dnian I, 39. 188. 189. 197.
207. 209—210. 236. 357. 361. 392.
Stephan Nemanja I, 186. 197. 201 —
204. 213 214.
Stephan, der Erstgekrönte I, 186. 187.
197. 204. 206.
Stemberg, Ignaz von II, i. 173.
Steyer (Jeeuit) II,»- 154. 176.
[Stieglitz, H. I, 298.]
Stifter 1, 384.
StoioaB s. Stojkoviö.
Stoja6koviö, A. 1, 298.
Stojadinovic, Milica I, 297.
Sto anov, V. II, ». 471.
Stojanov-BnrmoT I, 156.
StojanoviE, Anastas I, 145.
StojanovW, Myat I, 366.
Stojko VladielavoT e. Sophroniua
T. Traca.
Stojkovii; (Stoions) I, 235.
Stojkovi6, Äthan. I, 278. 282.
Stooi, Paul I, 328.
Storch, K. n, ». 1G5.
V Storoäenko, Alex. P. I, 494. 499. 565;
II, s. 478.
Storoienko, Andreas II, t. 44.
StOBOb II, ». 404.
StraMkJ, T. H, ». 171.
Strasjiewski, M. II, i. 195.
Strejo oder StrejEek (Vetterns), Geore
II, 1. 146. 154.
StrenJer, P. II, i. 434.
Stffbra, Jakonbek von, a. Jakob
Stritar, J. n, j. 477.
[Stritter n, t. 441.)
Stmad n, t. 200.
Stroev, P. M. I, 75.
Strosamayer, Jos. G., Bisohof I, 171.
338.
Ktronpezniok^, Ladisl. II, i. 260. 262.
StryjkowBki I, 448; U, i. 86. 440.
StndniEek, Boiena (StadniCkova) 11,1.
259.
StuUi, J. I, 218.
Stnpnicki, H. I, 530.
Sturm, Adam II, i. 146. 148. 152.
Stnrm, Wendel II, i. 134. 175.
Subotie, J. I. 185. 269. 283. 289. 290.
297. 801 ; II, t. 473.
Subotid, Vasilye I. 297.
Suohomlinov 1, 443; II, i. 207.
[Sndendorf II, >. 376.]
Sndienko, M. I, 400.
Snmlork s. Erolmus.
Sunde&iä, Jovan I, 302. 301. 307. 334;
II, a. 474. 476.
Surowiecki, W. I, 6; II,*. 210. 442.
Suiick}, Sam. II, i. 154.
Suiil, Frz. tl, i. 361. 479. 480.
SnikoT, N. I, 150.
Svotiü, Milol B. Had£i6.
SvStlä, Karolina (Jobanna Moiäk)
II, s. 258. 260—261. 262.
Svij, Pavel s. Swjoioki.
Svoboda, W. A. II, ». 42. 44. 207—208.
Swfoicki, Paulin I, 571.
Swideraki, Titas II, i. 119.
Äwi^tochowBki II, i. 428.
Swientek, A. II, i. 80.
Sykora, Job. Aur. II, i. 389. 40& 409.
Sylvanns, Job. U, t. 307.
Sylvias, Aeneas il, ». 104. 107. HO.
113. 117. 127.
Syrkii, P. A. II, i. 468. 469.
Syrokomla, W, b. Kondratowicz.
SytnianakJ s, Truehl^.
Sw^tlik (Swötlik), G. A. U, t. 388. 389.
Szignocha, Karl I, 416; II, i. S. 9. 12.
109. 153. 396. 405. 413. 417—418;
II, j. 479.
Szaraniewicz, Isidor s. Saranevi&.
Szarzynski, Nik. Sep II, i. 62.
Szeberinyi II, s. 317. 32a
Szmitt, Heinr. II, i. ft 131.
Sztjrmer, Lndw. II, i. 387.
Szujski, Jos. II, 1. 8. 131. 171. 42a
Szymonowioz, Simon II, i. tö. 63 — 67,
214.
SabEanin, Milorad II, i. 474.
Sadow, Fr. II, i. ^1.
Safank, Janko I, 127. 184. 205. 396 ;
11,1. 470.
.....Gooj^lc
äftfaHk, Paul Job. 1, 4. 6. 6. 10. 16.
17-24. 28. 47. 55. 56. 74. 119. 140.
182. 184. 202. 204. 206. 208. 209.
210. 2ia 219. 231. 232. 254. 268.
283. 292. »17. 370. 371. 390. 392.
399. 415. 459. 530; II, i. 224;
n, t. 3. 4. 28. 29. 37. 38, 42. 48. 52.
53. 56. 130. 196. 208—214. 221. 230.
245. 285. 290. 291. 312. 319. 320.
321. 328. 355. 362. 364. 365. 376.
377. 382. 399. 421. 444 446.
, 459. 462. 466. 473. 474. 477.
äafoDskij I, 463.
Saraaevit, Isidor I, 530. 569.
SaSkeviC I, M2. 543. 551. 557. 558.
, 561. 566. 584.
MEogolev I, 474.
äechoviC, S. H. I, 556.
Sejn, P. V. I, 529.
Sembera, A. A. II, i. 3. 4. 22, 89. 43.
44. 49. 53. 91. 196. 207. 278. 291.
, 328. 479.
Menoa, Aug. II, % 476.
^entigar, Job. 11, ». 122.
SeräeneviS II, i, 259.
öevCeako, Taras I, 281. 474. 480—483.
492. 494. 498. 501. 506. 507. 564.
565. 5G6. 575; 11,1. 218. 229; H, j.
281. 447. 478.
Kevyrev, St I, 53; II, i. 256. 259;
. II, «. 246.
Smbera, Tbon. II, i. 367.
Simeb g. Sohimek.
Simid, N. I, 277; U, i. 473.
biiaokij-ni6 I, 514.
Siikov {Admiral) II, i. 260; U, r 42.
SiikoT, T. II, i. 471.
SkrifljaWSohkriner) I, 380.
Skultetyr>:-,g^ ». 364.
§lechla, Joh. U, a. 120. 125. 126.
ämsHa, Job. II, >. 154.
Smidek, Karl II, i. 232. 278.
SmilovBky, Adalb. n, i. 255.
SmiloTBk^, Wenzel II, j. 261.
Snigookij II, i. 259.
Sotta a. Seholze.
Spilevakij I, 528.
Sraj B. Schrey.
Stfipanek, Job. Nep. II, r 237.
Steyr (Styr) i. Steyer.
SUtn^, Thom. II, i. 74—76. 78. 133.
« 232.
Stolba, Jos. n, I. 263.
»ter. 505
Stnic, Wenzel 11, ». 51. 235.
ätiir, Karl II, ». 326. 330. 334. 343.
äWr, Lndevit I, 316, 365. 575; II, *.
289. 303. 319. 320—323. 324. 325—
331. 345. 365. 367. 378. 399. 400.
447. 450. 452. 45a 461.
Sulek, BogoBl. I, 218. 340.
äulgin, V. I, 400.
Snmavak^, Ferd. II, i. 3. 154.
Svenr, J. I, 217.
Swjela, Christ II, ». 421. 425.
äyman (pseud.) II, s. 413.
T., A. II, *. 478.
Tablio, BohuBl. II,». 192. 196.291.
30& 317—318. 328.
TttorskJ, Jofa., böhm. Bruder Jl,t.
139. 146.
Tiborsk;^, .loh., Slovak, 11, i. 307.
Täborsk^, Joseph II, t. 189.
TalapkoviE I, 584. 585.
TalvJ (Frau Bobinson) I, 4. 353. 354.
355-358. 362. 363; II,». 1.
Tarnowski, Staaiil. Graf II, i. 35. 201.
203. 248. 276, 277. 296, 298 313.
351. 428.
Tarraki s. Tniski.
Tatomir, Lnoian II, i. 9.
Tebeldi (Beidtd), A. I. 316.
Tekalija, Sava 1, 289. 321; II, t. 473.
Temberaki, StaniBl. I, 511.
Teodorov, Alex. II, ». 468.
Teodorovic, Dim. II, j, 222.
Teplov, V. 11, j. 467.
Terlftjiö, G. I, 266. 277.
Tesik Molovskjf, Georg II, ». 149.
TeSna^ (Teschuer), Job. Fr. IL ». 420—
421. 425. 427.
T-ev, P. I, 401.
Tham, Karl II, i. 163. 177. 190. 191.
236.
Tham, Wenzel II, ». 190—192. 236.
Tbaraeus, Andreas 11, i. 385. 40a
TheodosiuB I, 205. 206.
TheodoBiuB (Mönoh) I, 128.
Theodosius von Tmovo I, 122. 123.
Theophan ProkopoviS b. ProkopoyiB.
Thietmar von MerBebunr II, l 24;
H, ». 376. 377.
[Thömniel, G. I, 16. 183.)
Thnn, «rar Leo Ton II, i. 400; II, i.
303. 347. 400.
Tbun, J. M. Qrf. n, ». 42. 36. 211. 400.
rrbunmann U, i. 441.]
Thom, MaUbias 11, i. 173.
ü,g :.._.. ..Google
506. B«g:
Tharzo II, I. ISO. 121.
TiohowftvoT, N. S. I, 75. 84. 96. 104.
119. 213. 425. 452. 453.
Tiobj a. Mitis, Thom.
TioinUB, Jak. Xav. Ü, t. 388. 408.
Tiaftrank, K. II, i. 4. 24, 171. 262.
210. 278.
Tirol, Dioiit. I, 290.
[TisBot, V. II, 1. 383. 428.]
Tiinov (Tischnowitz), Simon von II, i.
97.
Tiverias U, ». 388.
TioBOYBkii I, 155.
TjutCav n, J. 244.
Tkadle^ek II, «. 57. 62.
TkaUu, Imbro I, 330. 333; U, v. 459.
TkalEevic (Veber), Adolf I, 340.
TkalCic, Ivan I, 218. 340.
Tonrnn, L. I, 886.
Tomäiek, Joh. Paal {Thomas Viligos*
Vary) II, i. 303. 340.
Tomaiii6, Nikola (Nicola TommaBeo)
I, 327.
Tomatik, Sam. II, i. 339. 349.
Tomek, W. U, 1. 2. 43. 64. 66. 245.
268—269. 359.
Torai5ek, Job. Slav. 11, i. 222.
Tommaaeo, Nicola a. Tomaiic.
Tomaa, Fr. U, t. 66. 190. 191.
Tonner, E. 11,». 175. 284.
Topalovic, Mato I, 328.
Topolga, KyriU I, 474.
Torbar I, 338.
Tordinac, Georg I, 828.
Toronskij I, 566. 58ö.
T-ov, M. 1, 536. 546.
TovaCoT, Ctibor von s. Ctibor.
Towianski U, i. 221. 225. 288. 285—
289. 359. 360. 362. 370. 373.
ITozer, M. F. I, 66.1
TrajaDQB von Saaz II, s. 122.
TrankviUion, Kyrill I, 439. 441. 442.
450.
TiMOvskJ, G. II,». 172. 308. 309.
Trdina, J. I, 369.
Ttebi/akf , W. B. II, *. 261.
Tredjakovakij I, 545.
Ti-embecki, Stanislaw II, i. 140. 142—
145. 149. 159. 17a 240.
Trombicky, Isidor I, 572.
TrentoWBki, BronUl. II, i. 368.
Trizna, Joseph I, 441.
Tmski 1, 320. 327. 334.
TrofimoviS, Jesaiaa I, 440. 441.
Trpi6, Velifiko II, j. 476.
Trstenjak, Davorin I, 384.
Trüber, PrimoB I, 373—378: U, i.
477.
Tracht^ -SytniHuBk^, Andr. n,i. 339.
Trnhl«, Job. II, t. 121. 278.
Trzeoieoki II, i. 47.
Tndüevid, Maroje (Marino Tadisi) 1,
252.
Tflma, HanuS TencesUv II, i. 255.
Tnp^, Eng, ». Jablousk^, Bohiul.
TurEinoviE, 0. I, 416.
Targenev, I. S. I, 309. 386. 483. 499.
506. 558; II, i. 242. 281. 406.
TurinekJ, F. IL ». 237.
TnmovBkJ, J. L. II, i. 238.
Tnrowaki, J. K. II, i. 7; 85. 1(0. 213.
Tnrski, Adalbert II, i. 143. 179.
Tustanovakij b. Zizanija-Tustanovakij.
T-v., M. I, 495. 497.
Twardowski, Pan II, t. 117.
TwardowBki, Ssmael von Sikrypna I,
447; 11,1. 108.
Tyl, JoB.Eaj. II, i. 287. 239. 245. 360.
Tyszyiiaki n, i. 405.
Tyazkiewioz (Graf) 1, 527.
l)krainec s. Dragomanov, M. P,
UndoUkii, V. M. I, 75. 76. 79. 422.
425. 42a
Ungar, Karl (Bapbael) II, v. 66. 174.
182. 183.
lÜngewittar, F. I, IG.]
Ungnad, Baron Johann I, 227. 228.
373. 376; n, j. 477.
Drb&nek, F. II, t. 4.
Urbini, Mavro e. Orbini.
Uspenikij, F. U, i. 3; II, i. 46a
UBpenskij b. Porfirij.
572.
üstrjalov I, 430.
DtieienoTid, (^igeBlav I, 297. 334;
n, t 459.
Üvarov, A. S. I, 7. 75; II, ». 449.
Y., B. 1, 495.
Vacek, Frz. Jaroai. II, s. 284.
„Vaoerad" II, i. 31. 47-49.
Vaolik, J. I, 298.
TagileviE s. Vahylevit.
Ve£yIeviE (Vagilovifi, WagUewioi), Itmi
I, 537. 542. 543—544. 557. 584.
Vajanaky II, i. 351.
Yalentiö I. 331.
[ValentineUi, G. I, 217.)
..., Google
Vaailij Petrovic, Vladyka von Monte-
nwro B. Petroviö.
Vaiek, AntoD U.i. U. 53. 196. 20T.
278.
[Vater I, 353.]
Vävra, Em. II, ». 281.
Vävra, ViDcenz II, t. aSi.
Vmov, J. II, ». 469.
Veber, Ad. u. TkalEevit.
[Veckenstedt, Edra. U, t. 427.]
Veit II, ». 139. *
Veteilavin, D. A. U,i. 69. 151. 154.
156-157. 193. 201. 31Ö. 328.
VeleÜD, Jan von I, 46.
VeliEko, Samuel I, 400. 445. 446—447.
Venelin, Jurii I, 129. 136. 146-149.
170; II,». 447.
Verantius s. VranCiü, Faustiu.
Venmzio s. VranEi*;.
VerehratBkij, Ivan I, 570.
Veihovao, Maximilian I, 262.
Verkovic, Stefan J. I, 170. 177-180;
II, 1. 278. 470.
Vcrtovee, M. I, 384.
Veselinov I, 157.
Vesel-KoNeski, Jovan I, 3»5. 386.
Vcielovnkij , Alex. Wik. I, 38. 84. «6.
87. 96. 103. 51'J. 521; II, s. 472.
477.
VcGelJ. J., 0. II, i. 260.
Vetranic-CavEiü, Nikola I, 237. 241—
243. 244.
Vettcma b. Strejc.
Vezenkov, Stojan I, 172.
VezUiü (statt Ve.-<elic), Äleksije 1, 277;
II,)
473.
Vidakovic, M. I, 183. 278-279.
Viktorin, J. K. II, i. 291. 315. 337.
346 - 347. 348.
Viktorin a St, Cruce II, ». 151. 182.
ViktoriD von VSehrd b. ViehiiJ.
Viktorov, A. E. I, 56. 75. 422; II,».
213.
Vilagosvii7 u. TomäSek, Job. Paul.
Vilhar, Miroslav I, 386.
Villani, BaroD Drah. M. II, t. 235,
Vikiviiki, Th. Ste&novic II, j. 474.
475.
ViDitfioky, Karl II, ». 121. '2!», 234.
Vineentiua (Chronibt) II, t. 64.
ViSenskij oder VÜnevakij, Job. 1, 435
-437. 510.
ViSneTBkij, Gedeon I, 443.
Vilnevakii b. ViSenskij.
ViUliö I, 250.
Vitezovic (Ritter), Paul I, 43-44. 260. ' ,
260. 261.
Vitkovifi, Gavr. U, ». 472.
Vjaeemskij. Fürst P. A. II, i. 256. 259.
314.
[Vlach, Jar. II, s. 477.)
Vladimir Monomaob I, 415. 536.
Vladimir von Voljnien I, 119.
VUdislav (Grammatiker) I, 128.
VUdiBbv, Stojko s. Sopbroniua.
Vlasäk B. CriaitoB,
V16ek, Wens, II, j. 232, 259-260. 261.
262.
Vlk , Chr. I, 495—499.
Vodnik, Valentin I. 380. 381-382.]^
383. 388. 393; U, ». 447.
IVogel, C. R. II, 1. 214.]
[Vogl 1, 355.)
[Voiart, Elise I, 355.]
Voigt, Ad. II, ». 68. 182. 183. 442.
Vojinovic, Jov. I, 366.
Vüjnikov, D. I, 162. 163.
VojtkovBkij I, 212. 531.
VolinekJ II, ». 99.
Vülkmer, Leopold I, 381,
VolkonBk»a, FürBtin Zeneide U, i.
259. 264. 268.
Vollen, G. A, de s. I)evolan.
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Ornek na T. A. Broakhani In Lclpili
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